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Marken
auf Importpapier
Kaum
war mit dem Drucken von Marken mit Silbenzeichen im Markenbild begonnen
worden, traf eine erste Ladung des bestellten europäischen
Papiers ein. Die ersten japanischen Fabriken zur Herstellung von Papier
aus Holzfasern (Zellulose) nach europäischem Vorbild waren
noch im
Bau und nahmen die Produktion erst Ende 1874 auf,
weshalb westliches Papier anfangs importiert werden musste. Japanisches
Papier wurde aus Kozo, den weichen Innenfasern der Rinde einer
Maulbeerbaumart (Broussonetia kazinoki), aus Mitsumata
(Edgeworthia chrysantha) oder Gampi (Diplomorpha Sikokiana), beides
asiatische Seidelbastgewächse, gewonnen. Der
Generalpostmeister hielt das weiche Japanpapier, das
sich durch die Auftragung des Gummis wellte und dazu tendierte, je nach
Schwefel- und Schellackgehalt der Gummierung krisselig und runzlig zu
werden, auf lange Sicht für untauglich, um mit Japans
wachsendem Postaufkommen mitzuhalten. Auch seine
gerühmte Reißfestigkeit war für das leichte
Zerteilen der perforierten Bögen hinderlich, so dass die
Beamten in den Postämtern trotz Zähnung noch immer
gerne zur Schere griffen, um die Marken aus dem Bogen zu trennen - zum
Leidwesen der heutigen Sammler, denn die Leute auf den
Postämtern schnitten dabei oft, bei schlecht zentrierten
Marken, einfach ins Markenbild hinein oder die dämlichen
Zähne einfach ratzfatz ab. Für sie waren die Marken
keine Wertobjekte, sondern nichts weiter als schlichte
Gebührenquittungen.
Gummierungen,
die Schellack enthalten, werden mit der Zeit brüchig und zerstören im Extremfall das Papier |
Nach
wie vor wurden die
Marken per Hand gezähnt und dabei mehrere Bögen übereinander gelegt. Starke Verzähnungen sind nicht selten |
Als erstes kam die rosarote 4 sen dran; bei dieser Marke gab es noch eine relativ neue Platte ohne Silbenzeichen, die erst mal bis zu ihrem Verschleiß zum Drucken auf Importpapier verwendet wurde, und wie man erst in allerjüngster Zeit bemerkte, wurde auch die 30 sen ohne Silbenzeichen in geringen Mengen auf Importpapier gedruckt, vermutlich nur wenige Bögen. Die wenigen bis heute aufgetauchten Marken zählen ebenfalls zu den großen Raritäten, ebenso wie die im vorigen Abschnitt genannte Version mit Silbenzeichen, aber auf Japanpapier.
Im
Prinzip aber wurde jetzt
die gesamte laufende Markenserie mit Silbenzeichen auf
dem neuen Papier gedruckt,
worüber die folgende
Aufstellung Auskunft gibt:
½ sen
braun:
Silbenzeichen i
und ro,
gedruckte Gesamtauflage ca. 1
Mio. Stück.
1
sen blau:
alle Silbenzeichen von i bis wo, gedruckte
Gesamtauflage ca. 8 Mio. Stück.
2
sen gelb:
alle Silbenzeichen (i bis mu), gedruckte
Gesamtauflage ca. 20
Mio. Stück.
4 sen
lilarosa:
nur Silbenzeichen i, gedruckte Auflage
ca. 50 000 Stück.
6 sen
braunviolett: Silbenzeichen nu bis so, mit Ausnahme von
Sz. wo,
gedruckte Gesamtauflage ca. 500 000 Stück.
10
sen
maigrün: die
Silbenzeichen von i
bis ha,
gedruckte Gesamtauflage ca. 400 000 Stück.
20
sen
violett:
Silbenzeichen ni
und ho,
gedruckte Gesamtauflage ca. 150 000 Stück.
30 sen
schwarzgrau: nur Silbenzeichen i, gedruckte
Gesamtauflage ca. 150 000 Stück.
Alle Marken mit Silbenzeichen auf europäischem Papier
kamen gleichzeitig am
2.7.1874 an die Postschalter, woran ein gewisser Ordnungssinn abzulesen
ist. Diese Serie war offensichtlich dazu intendiert, nunmehr als
Standardserie japanischer Briefmarken an allen Postämtern
vorrätig zu sein. In der Tat zeigen die hohen
Auflagen der
niedrigeren Werte, dass die Anzahl der beförderten
Postsendungen
stark zunahm. Die gelbe 2 sen,
das "Arbeitspferd" im Postdienst, fehlt
heute in keiner Altjapansammlung, und selbst komplett erhaltene Briefe
mit dieser Marke
kosten heute kaum mehr als ca. 50 €. Einige Marken
erfuhren
leichte Korrekturen in der Farbgebung, die aber im Prinzip beibehalten
wurde: Die ursprünglich rosa 4 sen wurde
jetzt lilarosa,
die blaugrüne 10 sen wiesengrün,
und die
schwarze
30 sen
dunkelgrau.
Farbunterschiede: 4 sen, 10 sen, 30 sen - jeweils links Japanpapier ohne Silbenzeichen, rechts Importpapier mit Silbenzeichen
Mit
diesen Marken war mit Briefmarkenausgaben Schluss für 1874,
doch auf anderen Gebieten blieben die Leute
in der Postbehörde
nicht untätig - und auch der Stempelstreit
begann
bald wieder zu eskalieren.
Das Jahr 1875 brachte wieder zahlreiche Neuerungen, Raritäten und Rätsel durch die noch unerfahrene japanische Post. Das Postaufkommen wuchs kontinuierlich, obwohl der moderne Postdienst erst in sein viertes Jahr ging. Sogar die Auslandspost wuchs weit schneller als erwartet, allerdings wurde sie fast ausschließlich von den immer zahlreicher nach Nippon drängenden Ausländern genutzt, die nach ihren ersten Niederlassungen in Yokohama inzwischen auch in anderen Hafenstädten wie Kobe, Nagasaki und Hakodate in größerer Zahl ansässig waren. Welcher Japaner hatte seinerzeit schon einen Cousin in Düsseldorf oder eine Freundin in New York? Allerdings war die Isolation Japans tatsächlich durchbrochen, und auch in der Gegenrichtung fuhren immer mehr Japaner auf den amerikanischen, britischen und französischen Dampfschiffen in den fernen Westen, um zu studieren, Handelsbeziehungen zu knüpfen oder zu intensivieren, obwohl jede Reise nach wie vor durch das japanische Innenministerium genehmigt werden musste. Ein halbwegs einleuchtender Grund und der Nachweis ausreichender finanzieller Ressourcen genügten jetzt allerdings, um die Ausreiseerlaubnis zu erhalten. Diese Genehmigungspflicht wurde erst 1964 anlässlich der Olympiade Tokyo aufgehoben.
Am 1.Januar 1875 wurde mit der Ausgabe einer neuen Serie von drei Marken der wachsenden Nachfrage nach Postbeförderung ins Ausland Rechnung getragen. Der Entwurf von Yanagida Ryusetsu, einem Kupferstecher aus Satsuma, der von der Reichsdruckerei zuvor schon mit dem Design von Geldscheinen beauftragt worden war, zeigt drei Vogelarten als Sinnbild für den Weg der Post ins ferne Ausland. An diesem 1.Januar traten neue Gebühren für die Auslandspost in Kraft, so dass die schon vorhandene Marke zu 6 sen der Gebühr für Briefe bis 15 gr. nach Shanghai, die neue Marke zu 12 sen, die eine Wildgans abbildete, der Gebühr für Briefe von 16 bis 30 gr. nach Shanghai entsprach. In Shanghai war Japan besonders aktiv; man bemühte sich um eine Niederlassung im Bezirk der ausländischen Konzessionen und war damit im Folgejahr 1876 erfolgreich. In der japanischen Niederlassung von Shanghai öffnete ein japanisches Postamt, von dem aus in Shanghai ansässige Japaner ihre Post mit japanischen Marken frankieren und auf japanischen Schiffen in die Heimat schicken konnten. Die Wahl der Wildgans als Thema der neuen Briefmarke zeigt, dass sich die Designer wirklich Mühe gaben, um sinnreiche Wertzeichen zu schaffen; in einem Gedicht aus dem Altertum (7.Jh.) wird die Wildgans nämlich poetisch als Botin einer Nachricht in die ferne Heimat genannt: Ach, könnte ich als Botin / die Wildgans mir gewinnen, / die hoch am Himmel fliegt, / ich sendete wohl eine Nachricht / nach Haus in die Hauptstadt Nara!
Die
Stempeltype, die im japanischen Postamt in Shanghai verwendet
wurde,
nennt man "Kreuzweg-Stempel", weil er an eine Wegkreuzung erinnert
-
sehr ähnliche Stempel wurden auch in Nagasaki verwendet!
Der Nennwert zu 15 sen
auf der Marke, die einen Kiebitz
darstellte, war das Porto für einen einfachen Brief bis 15 gr.
oder die Einschreibgebühr für Briefe in die USA.
Der Kiebitz heißt auf Japanisch sekirei, was an das
Wort für die Postglocke ekirei
erinnert, die seinerzeit, wie unser Posthorn, den Postdienst
symbolisierte. Für
Großbritannien, Frankreich und Deutschland galten jeweils
unterschiedliche Portosätze, nach Gewicht
differenziert und mit zusätzlich
möglichen Gebühren für eingeschriebene
Sendungen;
überdies waren
die Verträge mit den ausländischen Postanstalten
dahingehend
revidiert worden, dass auch eine Weiterbeförderung innerhalb
Europas, nach Italien, Finnland oder gar Ägypten möglich
war, und die Post in die USA konnte auch nach Hawaii,
Cuba
oder Chile weiterspediert werden. Sogar Australien und New Zealand
waren für Briefe aus Japan erreichbar geworden. Alle diese
unterschiedlichen Gebühren mussten einer umfangreichen
Preisliste
entnommen werden, wobei sich leicht höhere Beträge
ergeben
konnten. Für diese kam die dritte Vogelmarke zu 45 sen
mit dem
Abbild
eines
Adlers zum Verkauf, wobei der Adler so gestaltet wurde, dass sein
Körper an einen Pfeil im Bogen, den die Schwingen bilden,
erinnert, Symbol für die pfeilschnelle Post ins ferne Ausland.
Ursprünglich sollte diese Marke zweifarbig gedruckt werden,
der
Adler in Schwarz und die Ornamente in Rot, aber dies wurde als zu
aufwendig wieder verworfen und die Marke schließlich
einfarbig
gedruckt.
Das
Blumenornament in den Ecken der 15 sen Marke zeigt
deutliche Ähnlichkeiten zu dem Blumenmuster der in
Abschnitt 12 abgebildeten
Schweizer Hotelmarke, so dass der Autor die Vermutung von Ichida
Soichi, dass sie als Vorbild beim Entwurf japanischer Marken gedient
habe, für sehr stichhaltig ansieht.
Alle drei Vogelbilder sind in einen Kreisrahmen gefasst, in dessen
unterer
Mitte das Silbenzeichen eingefügt ist. Jeder der Werte ist von
je drei Platten gedruckt worden, die mit den Silbenzeichen i, ro und ha
gekennzeichnet waren. Leider sind auch hier den Graveuren der
Reichsdruckerei, die unter hohem Stress standen und Tag
für
Tag an der Herstellung neuer Platten arbeiteten, zwei Fehler
unterlaufen, die aber
schnell
bemerkt und korrigiert wurden. Auf einer Marke zu 12 sen in Platte 3
(Silbenzeichen ha ハ)
hatte der
Graveur die drei parallelen Trennungslinien im Kreis oben rechts von
SEN zu gravieren vergessen. Aber was noch schlimmer war: Auf Feld 5 der
Platte 2 (Silbenzeichen ro
ロ)
der 15 sen
Marke hatte ein schlampiger Graveur, der mitten in
der Arbeit wohl einmal austreten musste, in der rechten japanischen
Wertangabe das kreuzförmige Schriftzeichen 十
(= 10) vergessen,
wodurch die Nominale auf der linken Seite korrekt mit 15 sen, auf der
rechten Seite aber nur mit 5 sen
angegeben war. Das durfte
natürlich nicht sein! Alle noch in der Druckerei
befindlichen,
fertig gedruckten Bögen wurden festgehalten, und da ein
Fortwerfen
nicht in Frage kam, musste der Graveur einen feinen Pinsel in
die
Druckfarbe tunken und per Hand das fehlende Schriftzeichen direkt auf
die Marke aufmalen und erst danach die Druckplatte nachgravieren.
Leider waren aber schon
einige Bögen ausgeliefert worden, die sich nicht mehr
korrigieren
ließen. Alle diese Fehler existieren schätzungsweise
auf höchstens einem Dutzend erhaltener Marken, die heute zu
den teuersten und
gesuchtesten Raritäten japanischer Briefmarken zählen.
Die Auflagen der Vogelmarken werden auf je ca. 300 000 Stück der Werte 12 und 15 sen, sowie ca. 200 000 Exemplare der 45 sen Marke geschätzt.
Im
japanischen Postamt in Shanghai durch sogenannte
"remainder-Entwertungen" in Lateinschrift 1885 entwertete
Restbestände der
Vogelmarken.
I.J.P.A. bedeutet International
Japanese Postal Agency
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Neue Stempel auf Postsendungen
Mit Aushängen in den Postämtern und mündlichen Ermahnungen durch die Vorgesetzten mühte sich die frühe japanische Post, alte Unsitten bei Schalterbeamten und Postkunden abzustellen und den Briefverkehr zu vereinheitlichen. "Anschrift und Briefmarke auf die Vorderseite, Absender auf die Rückseite!" war einer der Slogans, denn erst durch den regen Postkartenverkehr, der in diesem Jahr seinen ersten Aufschwung nahm, gewöhnten sich auch die Schalterbeamten allmählich daran, die Briefmarke nicht auf eine beliebige freie Stelle des Briefes zu pappen, sondern auf die Seite mit der Anschrift. Und der Ankunftsstempel solle bittesehr auf der Briefrückseite angebracht werden, wurde den Postlern eingebleut.
Auf
Seiten der
Kundschaft war der Post die Gewohnheit, unfrankierte Sendungen
aufzugeben und die Bezahlung dem Empfänger zu
überlassen, ein
Dorn im Auge. "Briefmarken dienen der Vorauszahlung der
Postdienstleistung", hieß ein anderer Slogan, den die
Kundschaft
aber nur halbherzig befolgte, weshalb sich die Post gezwungen sah,
gänzlich unfrankierte oder nur ungenügend frankierte
Sendungen als
erzieherische Maßnahme deutlich zu kennzeichnen.
Hierfür
wurden die Postämter 1875 angewiesen, sich in
Eigenregie Stempel anfertigen zu lassen, die in wiederum
unterschiedlicher,
uneinheitlicher Form meist
den Schriftzug "ungenügend frankiert" aufwiesen. Und wenn ein
Absender trotz Belehrungen des Beamten am Postschalter darauf bestand,
seinen Brief unfrankiert abzusenden, erhielt dieser jetzt den Stempel
"Gebühr bezahlt Empfänger".
Frühe
Nachgebührstempel:
Links ein X, daneben "ungenügend frankiert" in drei
Varianten,
dann zweimal "Gebühr bezahlt Empfänger",
und ganz
rechts "Postgebühr ungenügend".
Auch
für andere Zwischenfälle gab es inzwischen Stempel,
die zwar nicht auf der Briefmarke, aber auf den Sendungen angebracht
werden konnten. Schließlich waren Japans
Landstraßen um 1875 keineswegs
asphaltierte Autobahnen, sondern Reiterwege, in
die Lastkarren, gezogen
von Ochsen oder Pferden, hier und da tiefe Furchen gegraben hatten;
Regen und Frost schufen Schlaglöcher, Pferdeäpfel und
Rinderkot machten die Pisten glitschig, und nach einem Taifun oder im
Monsun traten die Flüsse über die Ufer, so dass
manche
Straße stellenweise unpassierbar wurde.
An Bergpässen konnten im
Winter
heftige Schneefälle ein Weiterkommen unmöglich
machen.
Erdrutsche, durch eines der häufigen Erdbeben oder starke
Regenfälle ausgelöst, waren ebenfalls nicht selten.
Der
Postreiter oder Kutscher ließ sich dann in der
nächsten
Herberge nieder, gab seine Briefe dem Postamt zur Aufbewahrung und
wartete, bis die Piste wieder passierbar wurde, was mitunter mehrere
Wochen
dauern konnte. Auf dem Postamt erhielten die Sendungen
dann Stempel, die den Grund für die verzögerte
Zustellung
angaben. "Fluss nicht passierbar", "Zustellung verzögert wegen
nächtlichen Hochwassers", "....wegen
Unwetters",
"....wegen hohen Schnees", "....wegen starken Sturmes", "....wegen
heftiger Regenfälle", waren die
häufigsten Texte, aber auch originellere Angaben wie "....wegen
Unfalls der Postkutsche", "....wegen
plötzlicher Erkrankung des Boten" oder "durchnässte
Postsendung nachträglich getrocknet"
finden sich mitunter und erzählen von
den Schwierigkeiten, mit denen die Postzusteller in den
Anfangsjahren zu kämpfen hatten.
Japanische Landstraße um 1890. Nachträglich kolorierte Fotografie
Auch
die Reisestationen unterschieden sich noch kaum von denjenigen der
vorphilatelistischen Zeit. Eine pastellfarben handcolorierte
Postkarte aus der Frühzeit der japanischen Fotografie zeigt
die
Reisestation von Hakone gegen Ende des 19.Jhs und zeigt, dass die
einzige Neuerung gegenüber der Otsu-Ansicht von Hiroshige
(vgl. Kap.1) darin
besteht, dass nun Pferde die Ochsen als Zugtiere ersetzten.
Im gleichen Jahr 1875 wurden auch endlich die ersten Poststempel in Lateinschrift für Sendungen ins Ausland fertig; wer im Frühjahr in Yokohama, Kobe oder Nagasaki einen Brief nach Übersee versandte, bekam darauf möglicherweise einen fremdländisch anmutenden Lateinschriftstempel ohne jedes japanische Schriftzeichen abgedrückt. Dafür stand, eine absolute Neuerung bei Japans Stempeln, nicht nur das Datum, sondern sogar die Uhrzeit mit darauf, die alle 2 Stunden per Hand neu eingestellt wurde, von 0 bis 12 Uhr, unterteilt nach A.M. und P.M. wie in den angelsächsischen Ländern. Die Anzeige der Uhrzeit erwies sich jedoch als zu aufwendig und wurde noch im gleichen Jahr wieder abgeschafft; anstelle der Uhrzeit tauchte im Stempel ein schwarzer Balken auf, der bei der nächsten Stempelgeneration 1878 wieder entfernt wurde. In Tokyo kam der erste Lateinschriftstempel erst 1878 in Gebrauch, schon ohne Uhrzeit und in der Schreibung TOKEI, die später in TOKIO, und danach in TOKYO abgeändert wurde - auch hier löste eine Neuerung die andere ab. Interessant ist, dass hinter den Orts- und Landesnamen meist ein Punkt steht wie am Ennde eines vollständigen Satzes. Wie an anderer Stelle schon erwähnt, wurden auf Auslandspost aber auch weiterhin oft noch stumme Intagliostempel abgeschlagen, die man wesentlich häufiger antrifft als die neuen Lateinschriftstempel.
Die älteste Lateinschrift-Stempeltype von Yokohama (1875) mit Uhrzeitangabe
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Farbänderung und Vereinheitlichung der Dauerserie
Eigentlich war die 1874 ausgegebene Freimarkenserie dazu angetan, eine kleine Ewigkeit ihren Dienst zu tun. De facto traf dies aber nur auf das "Arbeitspferd" zu, die gelbe 2 sen Marke. Alle anderen Marken hatten nur sieben Monate später schon wieder ausgedient. Es ist nicht bekannt, was die Unzufriedenheit mit diesen Marken in der Postbehörde verursachte; sicher ist nur, dass laufend irgendwelche Neuerungen diskutiert und vorgeschlagen wurden, und wenn sich eine Mehrheit dafür fand oder der Generalpostmeister eine neue Idee für gut befand, wurde der Vorschlag umgesetzt. Einleuchtend ist das Argument, die unterschiedlichen Größen der Marken mit den hohen Nominalen seien überflüssig; alle Marken könnten durchaus im gleichen Format gedruckt werden. Gute Idee, akzeptiert. Wie die Graveure den Befehl aufnahmen, das extrem komplizierte Design der Blütenzweige der 30 sen Marken weiter zu miniaturisieren, ist nicht überliefert. Das Ergebnis zeigt aber, dass die Künstler auch diese Aufgabe, die uns heute hohen Respekt abfordert, mit großer Virtuosität meisterten. Das mit der neuen Briefmarkenserie, die am 4. Februar 1875 Ersttag hatte, etablierte Markenformat für Dauermarken wurde in Japan mit wenigen Ausnahmen bis zum heutigen Tag beibehalten.
Unklar ist, warum die bisherigen Marken mit Ausnahme der 2 sen zwar in unverändertem Design, aber in neuen Farben gedruckt wurden. Denkbar wäre, dass die für die Stempel zuständigen Streithähne in der Abteilung Markengestaltung etwas hellere Farbtöne anforderten, damit die Stempel besser sichtbar seien. Das würde verständlich machen, warum die gelbe 2 sen unverändert weitergedruckt wurde. Aber nicht, warum die lilarote 4 sen nun in ein durchaus nicht helles Seegrün mutierte. Möglicherweise spielten auch technische Probleme und Kostenfragen in den Überlegungen eine Rolle, die zu der großen Farbrotation führten. Das würde erklären, dass die billigsten Farben, das Grau und das Braun, jetzt für die beiden niedrigsten Werte verwendet wurden, und das teure Violett nunmehr die 30 sen Marke zierte. Wie bei so vielen anderen Dingen in der Welt darf man auch hier wohl nicht monokausal denken, sondern sollte die neue Serie als das Ergebnis einer lange ausdiskutierten Beratung ansehen.
Jetzt
präsentierte sich die postläufige Dauerserie,
abgesehen von den unverändert im Verkauf bleibenden drei
Vogelmarken vom 1.Januar, wie nachstehend:
NOMINALE | alte Farbe | neue Farbe | Silbenzeichen | gedruckte Auflage |
½ sen | braun | grau | ro, ha, ni | ca. 1 Mio. Stück |
1 sen | blau | braun | ho, to, chi, wo, wa, ka, yo, ta, re | ca. 8 Mio. Stück |
2 sen | unverändert gelb, siehe vorige Serie | |||
4 sen | rotlila | seegrün | i, ro, ha | ca. 1 Mio. Stück |
6 sen | braunviolett | orangerot | nu, ru, wa, ka, yo, ta, re, tsu, ne, na, ra | ca. 2 Mio. Stück |
10 sen | maigrün | hellblau | ni, ho | ca.700 000 Stück |
20 sen | violett | rot | chi, ri | ca.500 000 Stück |
30 sen | grau | lila | ro, ha, ni | ca.150 000 Stück |
Auch bei dieser Serie entstanden einige Raritäten, allerdings
nicht durch
fehlerhaftes Design; im Gegenteil, je routinierter die Graveure im
Laufe ihrer Arbeit wurden, desto fehlerfreier arbeiteten sie, trotz der
unglaublichen Konzentration, die diese schwierige Arbeit erforderte.
Diesmal waren es die Leute im Ministerium, die in ihrer Hektik nicht
nur lauter neue Dinge einführten und beschlossen, sondern auch
zuvor beschlossene Dinge wieder rückgängig machten.
Noch war
diese neue Serie, die man nun eigentlich für
endgültig und
dauerhaft betrachten wollte, erst wenige Monate alt, da setzte sich in
der Postbehörde
die Auffassung durch, die Praxis der Kennzeichnung der
Platten habe eigentlich überhaupt nichts gebracht und
japanische
Briefmarken könnten auch ohne die Silbenzeichen im Markenbild
auskommen. Gute Idee, akzeptiert. Und wie immer drängte der
hitzige Generalpostmeister darauf, die neue Richtlinie
möglichst
sofort, von heute auf morgen, umzusetzen. Das hatte zur Folge, dass
einige Platten, die gerade erst ganz neu graviert waren,
überhaupt
nicht
mehr oder nur probeweise zum Einsatz kamen, und andere Platten nach
sehr kurzer Zeit schon wieder aussortiert werden mussten. Selbst von
dem Standardwert 1 sen,
von dem insgesamt 8 Millionen Marken gedruckt
wurden, sind Exemplare mit den Silbenzeichen to
ト, chi
チ und wo ヲ
gut fünfmal teurer als diejenigen mit anderen Silbenzeichen.
Bei
der 6 sen
in orange jubelt jeder Sammler, der ein Stück mit
dem
Silbenzeichen ra
ラ zu fassen
bekommt. Mit dem Silbenzeichen yo
ヨ wurde
vermutlich nur ein einziger Bogen probehalber gedruckt (und
postalisch verwendet); als 2012 in Schweden ein neu entdecktes Exemplar
zur Auktion gelangte, war es das siebte, das bekannt wurde. Wenige
Jahre zuvor erst war eine 20 sen
mit dem Silbenzeichen ri リ
entdeckt worden;
bis dahin glaubte man, die Marke sei nur mit dem Silbenzeichen chi チ
gedruckt worden.
Aber auch mit ri
リ muss mindestens ein Bogen, vermutlich in
Kagoshima, in den Verkehr gelangt sein. 2010
bot ein
amerikanischer Händler bei eBay für einen Ausrufpreis
von 5 $
ein weiteres Exemplar mit Silbenzeichen ri
リ an, ohne zu ahnen, um was
für eine Rarität es sich
handelte,
und dürfte sich gewundert haben, dass er
dafür 55000 $
einstreichen konnte; aber der Höchstbietende wird
über diesen
Sonderpreis überglücklich gewesen sein. In Japan kann
er bei einem
Wiederverkauf
mindestens das Zehnfache dafür erlösen. Nur zwei
bekannte
Exemplare, beide mit Stempeln von Kagoshima - es ist die
zweitseltenste japanische Marke
überhaupt.
Zwei
der allergrößten japanischen
Raritäten:
Links 6 sen
Silbenzeichen yo
ヨ (7 Exemplare bekannt),
daneben die beiden einzigen erhaltenen 20 sen mit
Silbenzeichen ri
リ
(bei der linken, zuerst entdeckten Marke durch den Stempel
teilweise verdeckt)
17
Das Ende der handgravierten
Marken
Kaum waren die Silbenzeichen als Plattenkennzeichen als überflüssig erachtet worden, erging der Befehl, die neue alte Idee in die Tat umzusetzen. Schon wieder neue Platten gravieren?!, stöhnten die Graveure vermutlich. Irgendjemand kam auf den grandiosen Gedanken, im Speicher nachzuschauen, da mussten doch noch die Platten von früher liegen, als ebenso plötzlich der Befehl kam, Silbenzeichen einzugravieren. Richtig, die Platte 26 der blauen 1 sen auf Japanpapier ohne Silbenzeichen fand sich dort noch, noch nicht allzu zerkratzt, leicht verstaubt, aber noch nicht verrostet. Weiteres Stöbern brachte auch noch vier kaum genutzte alte Platten (Platten Nr. 7,8,13,14) der früheren 4 sen zum Vorschein, man brauchte bloß die Spinnweben abzuwischen, frische Farbe draufzupinseln und los ging's mit der Druckerei neuer Marken. Problem gelöst! Die früheren Marken waren zwar in anderen Farben gedruckt worden, aber die Farbreste in den Platten waren längst eingetrocknet und störten überhaupt nicht - schon am Tag nach der Anordnung lagen die ersten neu gedruckten Bögen ohne Silbenzeichen vor, die Leute im Ministerium kippten vermutlich vor Staunen aus den Galoschen. Von allen anderen Werten waren bereits solche Mengen gedruckt worden, dass sie erst mal aufgebraucht werden sollten, denn wegwerfen wollte man nichts, was in mühsamer Handarbeit hergestellt worden war. Die Marken ohne Silbenzeichen galten als neue Auflagen und kamen ohne Ankündigung und offiziellen Erstverkaufstag an die Schalter.
Das
einzige
verbleibende Problem bildete die gelbe 2 sen Marke. Wo waren
denn die
alten Platten ohne Silbenzeichen geblieben? Leider ist es
nicht
bekannt, ob die Platten unauffindbar, beim Lagern
beschädigt, zerkratzt worden oder überhaupt schon zu
abgenutzt
waren, um davon aufs Neue Marken zu drucken. Jedenfalls mussten sich
die Graveure noch einmal ans Werk machen, denn die 2 sen war
der
gefragteste, meistverkaufte Wert auf den Postämtern. Und auch
die
einzige alte Platte für die 1 sen würde
wohl nicht
mehr lange
halten, auch hier mussten neue Platten graviert werden. Um die Stelle,
an der früher das Silbenzeichen saß, nicht so kahl
und leer
erscheinen zu lassen, änderte man das Design ein wenig ab und
fügte an der Stelle, wo sich die Blütenzweige
kreuzten, ein
neckisches Schleifchen ein, da sahen die Marken gleich viel einladender
aus! Zum Verkauf gelangten sie am 12.6. bzw. im August 1875.
Mit einem hübschen Schleifchen sieht die Marke gleich viel einladender aus
Dank der alten
Platte der 1 sen
Marke mussten nur zwei neue Platten mit Schleifchen
hergestellt werden. Für die gelbe 2 sen hingegen wurden
noch
einmal mindestens 20 neue Platten graviert, um mit der enormen Zunahme
der eingelieferten Briefe mithalten zu können. Wie vermutet
hielt
die alte Platte für die 1 sen
Marke nicht mehr sonderlich
lange.
Die Anzahl der damit gedruckten Marken ist derart
überschaubar,
dass man heute für ein Exemplar, und sei es nur ein
gebrauchtes,
im Handel beinahe 1000 € hinblättern muss.
Brief
mit
zwei Exemplaren der seltenen 1 sen braun ohne Silbenzeichen und ohne
Schleifchen,
gedruckt von der alten Platte der 1 sen blau
Bevor sich die
Kunsthandwerker in der Reichsdruckerei daran setzten, auch von den
anderen Werten der laufenden Serie neue Platten ohne Silbenzeichen zu
gravieren, sollten erst einmal die alten Vorräte auf den
Postämtern aufgebraucht
werden, diese
Aufgabe war nicht allzu dringlich. Und als es so weit war, dass neue
Platten erforderlich geworden wären, kam aus dem Ministerium
schon
wieder ein "STOP". Den Grund dafür erfahren wir aber erst im
nächsten Kapitel.
Gegen Ende des Jahres 1875 gelangten allerdings endlich die Klagen der Schalterbeamten bis zum Innenministerium, die monierten, dass bei den Nominalen unter 10 sen außer der 1 sen kein einziger Wert in einer ungeraden Zahl existierte, was bei krummen Portosätzen mitunter misslich sein kann. Immer wieder mussten 1 sen Marken, eigentlich für den Ortsverkehr gedacht, dazu herhalten, ungerade Portosätze zu frankieren, wodurch es bei Marken in dieser Wertstufe immer mal wieder zu Engpässen kam. Als die Neujahrsfeiern zum Jahr 1876 vorbei waren, erging die Order, noch eine 5 sen Marke zu entwerfen und herzustellen, und die Entwerfer übernahmen dafür das Gürtelmuster der 6 sen Marke, füllten es mit einigen Paulowniazweigen anstatt der stilisierten Wölkchen auf, und fertig war eine brandneue Marke zu 5 sen, die in Lauchgrün gedruckt wurde und am 19.3.1876 in den Verkehr gelangte. Die wenigsten Menschen, die seinerzeit mit der japanischen Post zu tun hatten, ahnten, dass mit dieser Marke die Ära der handgravierten, von Kupferplatten traditionell per Hand hergestellten, in Bögen zu 5 x 8 Marken gedruckten, auf dem Nadelbrett per Hand gezähnten japanischen Briefmarken ohne Landesname zu Ende gehen sollte.