Man kann davon ausgehen, dass 1872 für den Kupferstecher, Entwerfer, Drucker und Geschäftsmann Matsuda Atsutomo ein stressiges Jahr war. Während seine Graveure noch neue Platten für die Drachenmarken herstellten, machte sich Matsuda ans Design einer neuen Serie, die den Vorgaben des Amtes für Reisestationen und Kommunikation, im Folgenden kurz Postbehörde genannt, vom Januar 1872 genügen sollte. Ihm waren als Pflicht der japanische Schriftzug “Postbriefmarke” und das kaiserliche Wappen, das Chrysanthemum, sowie eine zusätzliche Wertangabe in Lateinschrift aufgetragen worden. Ob er selbst die stilisierten Kirschblüten auf jeder Marke, von denen die neue Serie ihren Namen bekam, ins Design einfügte oder ob auch sie zu den Vorgaben der Behörde zählten, ist unbekannt. Im Februar wurde seine Firma mit dem Entwurf und eiligen Druck von Steuermarken beauftragt, und auch die Marine und andere Institutionen häuften ihn mit diversen Aufträgen ein; Japan erlebte Monat für Monat Neuerungen und Reformen. Auch japanische Steuermarken sind Sammelobjekte, aber es gibt nicht annähernd so viele Sammler für Steuermarken wie für Briefmarken. Aufgrund des entfernt ähnlichen Designs und derselben Drucktechnik werden sie häufig mit Briefmarken verwechselt oder vergeblich im Katalog gesucht. Wegen der geringen Nachfrage sind gebrauchte Steuermarken der Frühzeit für wenige Cents erhältlich, es gibt nur relativ wenige teure Spitzenwerte. Spezialisierte Sammler suchen Exemplare mit Musteraufdruck, ungebrauchte Stücke, größere Einheiten oder ganze Bögen.
Ausschnitt aus
einem Dokument (Quittung für die Anzahlung von 78 yen eines
Kaufpreises von 170,60 yen),
das mit frühen, ungezähnten Steuermarken beklebt ist
Das
Papier der Drachenmarken in sen-Währung
war so
spröde, dass die Marken oft
schon beim Heraustrennen aus dem Bogen zerrissen. Auch der enge Abstand
der
Marken und die häufigen Verzähnungen waren den Leuten
um Generalpostmeister Maejima ein Dorn im Auge. Und
schließlich zählten zu den eifrigsten Postkunden die
in Yokohama ansässigen,
aus ihrer Heimat längst an ein funktionierendes Postsystem
gewöhnten Ausländer,
denen die japanischen Schriftzeichen auf den Drachenmarken
unverständliche Glyphen waren. Man nimmt an, dass diese
Überlegungen dazu
führten, dass ab Juli 1872 (jap. Zeitrechnung) nach und nach
Marken in neuem Design
und mit zusätzlicher Wertangabe in Lateinschrift zum
Verkauf kamen.
Die ersten zwei Briefmarken in
der neuen Zeichnung gelangten am
20.7.1872 in den Postverkehr; die neuen
1 sen und
2 sen
Marken behielten die Farben dunkelblau und orangerot
der
Vorgänger-Drachenausgabe bei, waren aber
im hochstehenden Rechteckformat, das im Ausland für
Dauermarken üblich ist,
anstelle der nahezu quadratischen Form der
Drachenmarken gestaltet, und der Abstand
der Marken im Bogen war größer, was für die
Zähnung von Vorteil war. Diese wurde bald mit neuen,
längeren
Zähnungskämmen ausgeführt; zudem waren die
neuen Marken
von Anfang an
alle gummiert. Ihr einfarbiger Druck war rationeller, denn die
umständliche Herstellung der Drachenmarken in zwei
Druckgängen mit jeweils einer eigens für die
Wertziffern
gravierten Ziffernplatte war zu aufwendig geworden, jetzt musste es
flotter gehen. Noch fand sich auf diesen neuen Marken kein
Landesname, den das Chrysanthemum, das kaiserliche Wappen, aus
japanischer Sicht als Symbol ausreichend ersetzte. Beim
Papier kehrte Matsuda zum hochqualitativen, festen Japanpapier der
ersten Drachenmarken zurück.
Die 1 sen
Marke blieb bis Februar 1874, also knapp zwei Jahre, in Gebrauch und
erforderte
26 Platten, die orangerosa 2 sen
Marke wurde von nur zwei Platten
gedruckt und
bereits im Juni 1873 durch eine Marke in Farbänderung ersetzt.
Die ersten neuen Briefmarken in
Kirschblütendesign (in den vier Ecken) und eine 2 sen mit
"uneinheitlichem Stempel" Kobe,
die rechts unten neben der Kirschblüte ein Nadelloch (pin
hole) aufweist.
Die ungebrauchten Stücke zeigen Büge im Papier, die
durch die Gummierung verursacht ist.
Als
nächstes wurde die neue ½ sen Marke
fertig
und gelangte am
1.9.1872 (jap.
Zeitrechnung) in den Verkehr. Auch hier wurde die braune Farbe
der ½
sen
Drachenmarken beibehalten. Gedruckt wurde die Marke von vier
verschiedenen
Platten, und auf der letzten Platte 4 unterlief dem Graveur ein grober
Patzer, als er bei einer Marke in der Platte die beiden oberen, kurzen
Schrägstriche bei dem
linken japanischen Zeichen
für ½
半
schlichtweg zu gravieren vergaß. Es ist bis
heute ein
Rätsel, weshalb dieser auffällige Fehler niemals
bemerkt und nachgraviert
wurde; jedenfalls entstand hierdurch wohl die bekannteste Abart der
frühen
japanischen Marken, nicht allzu selten und nicht allzu teuer
– wer sie erstehen
möchte, kann ab ca. 800 € seiner Sammlung ein sauberes
Exemplar
einfügen.
normale ½ sen Marke
Der
bekannteste Fehler auf den handgravierten Marken Japans.
Rechts daneben eine Postkarte mit Stempeldatum 16.4.1883,
auf der die
fehlerhafte Marke als Zusatzfrankatur verwendet wurde
Diese Marke wurde in
zu großen Mengen gedruckt und war in
Osaka auch um 1883 noch massenhaft am Schalter übrig;
als in diesem Jahr der Ortstarif
für
Postkarten
abgeschafft wurde und alle Postkarten, ob innerhalb eines Ortes oder
nach
außerhalb, einheitlich 1 sen
kosteten, klebten die
Beamten in
Osaka die Restbestände dieser ½ sen Marken auf
Restbestände
von ½ sen Postkarten und
verkauften die Karten so für den
neuen
Gebührensatz vorfrankiert an die Kundschaft. Aber so weit sind
wir noch nicht, denn 1872 gab es noch gar keine Postkarten.
Zugleich mit der ½ sen Marke kamen auch erstmals drei höhere Werte in größerem Format zum Verkauf. Auf eine neue Marke zu 5 sen Nominale wurde verzichtet, da sie für keinen bestimmten Gebührensatz stand. Das verstärkte Postaufkommen und der Ausbau des Postnetzes erforderte Marken, die höhere Gebühren abdeckten, wozu die Werte zu 10, 20 und 30 sen dienten. Überdies sollte in Kürze der Postversand ins Ausland eröffnet werden, für den höhere Portosätze nötig würden. Je höher die Nominale, desto größer waren die drei Werte im Format, was auch wegen des immer detaillierteren und komplizierteren Designs für den Graveur von Vorteil war. Die Marke zu 10 sen (21,0 x 24,0 mm) erbte den blaugrünen Farbton der 5 sen Drachenmarke, die Marken zu 20 sen (rotviolett, 22,5 x 25,5 mm) und 30 sen (schwarz, 24,0 x 27,0 mm) erhielten bislang nicht verwendete Farben. Bei der Gravur der ersten Platte zu 10 sen bemerkte man beim Probedruck offenbar, dass die Wertangabe 1 0SEN anstelle von 10 SEN lautete, weshalb die Platte schleunigst retuschiert wurde; auf fast allen Marken dieser Platte sieht man hinter der 0 der Wertangabe einen mehr oder weniger deutlichen dunklen Schatten, die retuschierte Spur der alten Position der Null. Auch bei der 20 sen ist der Abstand zwischen der 0 und dem S kritisch, aber diese Platte wurde nicht retuschiert.
Ein Nachzüglerwert zu 4 sen in rosarot schließlich wurde erst im Folgejahr fertig und ab dem 1.4.1873 verkauft. Die Nominale entsprach der Standardgebühr für Einschreiben, ein neuer Service, der zum gleichen Datum eingeführt wurde und sich schnell großer Nachfrage erfreute.
Hiermit war die neue
Briefmarkenserie vollständig, die dem ständig
zunehmenden Postaufkommen Rechnung tragen sollte. Auch bei dieser
Serie, wie alle bisherigen Marken in Bögen zu 5 x 8 = 40
Marken gedruckt, ergaben sich zahlreiche Fehler im Design, Varianten
beim Papier und Experimente mit neuen Zähnungskämmen.
Etwas viel Entscheidenderes aber erfordert nachstehend ein eigenes
Kapitel.
9
Reichsdruckerei
Der ungestüme Reformeifer der japanischen Regierung machte auch vor der traditionellen Zeitrechnung nicht Halt. Bis 1872 wurden die Monate, wie in den arabischen Ländern, streng an den Mondzyklen ausgerichtet, die jeweils 30 Tage dauern. Weil jedoch das Jahr, unabhängig von den Mondphasen, 365¼ Tage dauert, bleiben nach 12 Mondphasen 5¼ Tage übrig, was alle 6 Jahre einen Schaltmonat erfordert, sofern man das Neujahrsfest mit dem Frühlingsbeginn gleichsetzen und nicht, wie zum Beispiel den Ramadan in den schaltmonatlosen arabischen Ländern, rund um das ganze Jahr ziehen lassen möchte. Japans Regierung dekretierte jedenfalls, dass ab dem 1.Januar 1873 des westlichen Kalenders selbiger auch in Japan gelte, was zur Folge hatte, dass das Jahr 1872 am 2.12. der alten Zeitrechnung endete und der 3.12. zum neuen 1.Januar wurde - fast der gesamte Dezember 1872 wurde dadurch vom schwarzen Loch der japanischen Zeitrechnung verschluckt.
Die unerfahrenen Ministerialbeamten versuchten, mit den von
Matsuda bei Mitsui hinterlassenen Platten weiterzudrucken, wobei
die Mitarbeiter von Mitsui, die in Matsudas Auftrag arbeiteten,
offenbar keinen Finger
zur Hilfe rührten. Schließlich nahmen die Beamten
die noch
nicht abgenutzten Platten mit
und setzten ab Februar 1873 den Druck in der gerade
erst fertiggestellten Reichsdruckerei fort. Somit gibt es von etlichen
Platten der Marken
dieser Serie sowohl durch Matsuda als auch durch das Ministerium
ausgeführte Drucke, die sich von Spezialisten unterscheiden
lassen, denn ein weiterer Grund
für die Produktion in Eigenregie war die erhoffte Reduktion
der Kosten. So
veränderte sich etwa das tiefe Stahlblau der 1
sen Marke durch Verdünnung
der Farbe und neue, blei- und zinnhaltige Druckfarben in ein
mittleres bis helles, milchiges Blau.
Die 2 sen
Marke wurde durch Fortlassen des teuren Gelb-Zusatzes fortan
in Tiefrosa gedruckt. Außerdem bezog die Reichsdruckerei ihr
Papier von anderen Lieferanten, das überwiegend ein Siebmuster
aufweist; besonders bei der ½ sen Marke
lässt sich
anhand des Papiers eindeutig bestimmen, von wem die Marken gedruckt
worden sind.
Übersicht
über die Platten, die sowohl von
Matsuda als auch
vom Ministerium gedruckt
wurden:
½ sen Platte 4
1 sen
Platten 1 bis 4
2 sen
Platten 1 und 2
10 sen, 20
sen, 30 sen
Die Marke zu 4 sen war zwar von Matsuda vorbereitet worden, aber nur die Reichsdruckerei druckte sie. Die erste Druckauflage der 10 sen Marke durch die Reichsdruckerei ist durch eine falsche Mischung der Druckfarben in hellem Gelbgrün gedruckt und verkauft worden; später wurde der Farbton zu Blaugrün korrigiert.
Trotz seiner Proteste war Matsuda Atsutomo fortan von der Briefmarkenproduktion ausgeschlossen; auch das Design neuer Wertstufen wurde fortan von Grafikern des Finanzministeriums, dem die Reichsdruckerei unterstand, oder des Innenministeriums, dem die Postbehörde unterstand, entworfen. Neue Platten bereits existierender Wertstufen, etwa die Platten 5 bis 26 bei der 1 sen Marke, wurden allerdings unter getreuer Wiedergabe der Entwürfe Matsudas im Auftrag des Ministeriums graviert und verwendet.
Die
Häufigkeit von ungebrauchten und gebrauchten Exemplaren
variiert bei dieser
Markenserie je nach Platte erheblich. Vor allem von den jeweils letzten
Platten
niedriger Nominalen existieren ungebrauchte Marken und ganze
Bögen
in
großer Anzahl, denn die Postbehörde reagierte auf Anfragen des
Briefmarkenhandels im
Ausland, wo schon seit ca. 1855 das Briefmarkensammeln populär
war, mit dem
Druck sogenannter Exportbögen, die nicht zu postalischen
Zwecken, sondern ausschließlich für
den Export an ausländische Interessenten hergestellt waren. So
gelangten beispielsweise komplette Bögen von Platte 4
der ½ sen und Platte 26 der 1
sen ungebraucht
ins Ausland.
Bei
unverbraucht übrigen Einzelmarken, die durch neue Werte
ersetzt wurden,
verfuhr die Post
unterschiedlich; niedrige Werte wurden aufgebraucht, beispielsweise
die ½ sen
im Raum Osaka bis Ende der 1880er Jahre hinein; höhere Werte
in kompletten Bögen wurden meist
eingesammelt. In der Endphase der Gültigkeit findet man
auch mit dem
Poststempel entwertete, lose
Restbestände
von Marken (remainder-Entwertungen).
Um in den überall neu
eröffneten
Postämtern die oft noch
unerfahrenen Angestellten mit den Postwertzeichen vertraut zu machen,
wurden
vom Ministerium Faltblätter gedruckt und an alle
Postämter verteilt. Diese Faltblätter enthielten
aufgeklebte Originalmarken als Muster,
die nicht
länger wie die Drachenmarken mit den "Muster"-Schriftzeichen
überdruckt, sondern mit
einem per Hand mit dem Pinsel aufgetragenen
Tuschepunkt gekennzeichnet waren. Vor allem bei neuen Marken oder
Farbänderungen wurden solche Musterblätter
angefertigt und verteilt. Daneben
stand etwa der folgende Wortlaut:
“An alle
Postbeamten. Hiermit übergebe ich Ihnen Briefmarken, die als
Muster auf der
Wertseite mit einem Tuschepunkt markiert sind und keinesfalls verloren
gehen
dürfen.
(Datum),
MAEJIMA Hisoka, Generalpostmeister.”
Schulen
und Zeitungen erhielten weiterhin die mit den Schriftzeichen んほみ überdruckten
Mustermarken,
weshalb diese ab der
Kirschblütenserie bis ins Jahr 1879 hinein als Kennzeichnung
sowohl Aufdruck
als auch Tuschepunkt aufweisen können.
10
Auslandspost
Wer um 1871/72 ins Ausland Post versenden wollte, was beinahe ausschließlich die in Yokohama ansässigen Ausländer betraf, der konnte einen Brief, der mit Briefmarken des Empfängerlandes (in Konsulaten erhältlich) vorfrankiert war, in einen Umschlag, der mit japanischen Marken frankiert war, stecken und an die ausländischen Postämter des betreffenden Landes in Yokohama senden. Diese existierten seit 1865. Oder seinen Brief dort persönlich abgeben und mit Marken des Empfängerlandes frankieren lassen. Diese Ämter leiteten solche Briefe dann auf Dampfschiffen der Fernostlinien in die Heimat.
Brief nach Lyon 1874 und Stempel
YOKOHAMA / JAPON der französischen Post in Yokohama,
frankiert mit französischen Marken
Für
Generalpostmeister Maejima
lag der Reiz des Postwesens indes vor allem in seiner
Internationalität, und er
scheute keine Mühe, das japanische Postnetz
schnellstmöglich auch auf
Auslandspost auszudehnen. 1873 waren die Verträge mit den USA,
kurz darauf auch mit Großbritannien, Frankreich und
Preußen
unterzeichnet, und Japans
Post wurde international. Die Portosätze für
Shanghai, San Francisco, London, Marseille und Hamburg wurden am
10.3. verkündet, japanische Briefmarken
international anerkannt, obwohl sie nicht einmal einen Landesnamen
aufwiesen,
geschweige denn in Lateinschrift. Die Portosätze für
Auslandspost, die bis dahin nur über die
ausländischen Postanstalten in Yokohama geleitet worden war,
verbilligten sich
deutlich (Shanghai von 14 auf 8 sen,
San Francisco von 28 auf
10 sen);
nur der Portosatz für Hamburg blieb bis Ende 1874
bei 34 sen
und war der allerhöchste; erst danach konnte man seinen Brief
direkt via Hamburg (21
sen) oder
via Köln (22 sen)
an alle
Adressen im Deutschen Reich versenden;
ein gutes Jahr später kostete es sogar nur noch 10 sen –
Post ins Ausland war
nichts Besonderes mehr, die Schiffe verkehrten im
regelmäßigen Liniendienst, und die
ausländischen
Postämter, die eine Zeit lang ihre Dienste parallel zur
japanischen Post offerierten, schlossen um 1880.
AUSLANDSPOSTGEBÜHREN BILLIGSTE ROUTE, STANDARDBRIEF | |||||||
von - bis: | nach: | Shanghai | USA | UK | D | F | I |
Beginn - 31.12.1874 | 8 sen | 28 sen | 24 sen | 34 sen | 32 sen | --- | |
1.1.1875 - 9.9.1875 | 6 sen | 15 sen | 21 sen | 21 sen | 25 sen | 25 sen | |
10.9.1875 - 31.12.1875 | 6 sen | 15 sen | 20 sen | 20 sen | 24 sen | 20 sen | |
1.1.1876 - 31.3.1876 | 6 sen | 12 sen | 17 sen | 17 sen | 17 sen | 17 sen | |
1.4.1876 - 19.6.1877 | 5 sen | 5 sen | 10 sen | 10 sen | 10 sen | 10 sen |
Stumme Stempel für Auslandspost (Auswahl): Initialstempel Yokohama, Kobe | Rosetten Tokyo, Yokohama, Osaka, Nagasaki |
Kreuze: alle von Yokohama |
Gitter Hyogo, Hyogo, Nagasaki |
11
Neue
Stempel im Inland
Am
1.4.1873 wurden die Portosätze
vereinfacht. Fortan
galten für normale Briefe, unabhängig von der
Entfernung, nur noch die
Portosätze 1 sen
(Ortspost) und 2 sen
(Fernpost);
höhere
Sätze wurden nur bei größerem Gewicht
fällig.
Somit war
die 2 sen
Marke der
Standardwert für die meisten Briefsendungen, weil Postkarten
erst ab Dezember
des gleichen Jahres eingeführt wurden. Der rosarote
Farbton
dieser Marke muss
auf einigen Postämtern zu Verwechslungen mit der rosaroten 4
sen
geführt haben,
weshalb das Ministerium beschloss, den Standardwert künftig in
einer anderen Farbe
zu drucken. Das dafür verwendete teure Gelb dürfte
sich angesichts der großen
Mengen verkaufter Marken amortisiert haben. In Gelb kam die Marke ab
5.6.1873
zur Verwendung und wurde von 15 verschiedenen Platten gedruckt.
Dass
Generalpostmeister Maejima es sehr lange bei dem
Durcheinander der “uneinheitlichen Stempel”
belassen würde, stand eher
nicht zu erwarten. Ihm schwebten runde Poststempel vor wie im Ausland,
aber in
Japan hatte es zuvor noch nie Stempel
gegeben, bei denen man Lettern
auswechseln konnte, was für die Datumsangabe indes
erforderlich war. Ab April 1873
war das Design der künftigen Stempelform endlich fertig; man
hatte
eine originelle
Lösung gefunden, indem der Ortsname im Zentrum des Stempels,
die Datumsangabe
dagegen in japanischen Zahlzeichen im umlaufenden Doppelkreissegment zu
finden war.
Zweikreisstempel Fukushima | Anfangs wurden die
Zweikreisstempel auf die Marken abgeschlagen Linkes Stempelbeispiel Matsue 15.7.1874, rechts Tokyo 27.1.1874 |
Zunächst wurden die großen Postämter in den Städten mit den neuen Zweikreis-Stempeln versorgt, danach folgten die kleineren Ämter, bis gegen Ende 1875 die uneinheitlichen Stempel abgeschafft werden konnten; man warf sie aber nicht fort, sondern hielt sie als Ersatz bereit; bis 1879 finden sich vereinzelt noch Abschläge uneinheitlicher Stempel auf Briefen und Briefmarken.
Damit war die Diskussion jedoch noch nicht beendet. Es muss in der Postbehörde eine starke Fraktion von Mitarbeitern gegeben haben, die der Ansicht waren, dass ein kleiner runder Orts- und Datumsstempel, der beispielsweise auf einer Briefmarke abgeschlagen wird, die in dunklem Farbton gedruckt war, überhaupt nicht lesbar sei; man müsse Killerstempel verwenden, um die Marke zu entwerten, und zusätzlich Datumsstempel, die neben der Marke deutlich lesbar anzubringen seien. Im Ausland existierten dafür durchaus Vorbilder. Das Ergebnis dieser Diskussionen war typisch japanisch; damit niemand sein Gesicht verliere, bekam die protestierende Gruppe als Kompromiss ein neues Stempeldesign zugestanden, das ab 1874 parallel zu den runden Orts- und Datumsstempeln zur Verwendung kam. Diese neue, ebenfalls runde Stempeltype, die man heute Kiban-Stempel nennt, zeigte kein Datum an, und das Postamt war chiffriert angegeben. Dazu erhielten die Postmeister klobige Duplex-Stempel mit zwei parallelen Gehäusen, so dass beide Stempel gleichzeitig abgeschlagen werden konnten, und zwar so, dass die Kiban-Stempel die Marke(n) entwerteten, und die Doppelkreisstempel zur Dokumentation des Laufwegs neben der Marke sichtbar wurden. So finden sich auf vielen normalen Postsendungen nunmehr mindestens drei Stempel: Ein Kiban-Killer auf der Marke, daneben ein Datums- und Ortsstempel, und zusätzlich der vorgeschriebene Ankunftsstempel des Zustellamtes. Allmählich setzte es sich durch, Frankatur und Abfertigungsstempel auf der Briefvorderseite mit der Adresse des Empängers anzubringen, während die Ankunftsstempel auf der Briefrückseite abgeschlagen wurden.
Vorbild aus dem Ausland: Duplex-Handstempel (Narrisville, USA)
Die ersten Kiban-Killer wurden als Intaglio-Stempel (negative Schrift) angefertigt, dann aber verworfen
Die Chiffrierung der Kiban-Stempel besteht in einer Kombination aus Silbenzeichen (kigo) im oberen Zentrum des Stempelkreises. Darunter steht nur eine Nummer (bango), bei einstelligen Ziffern mit dem Ordnungszahlzeichen dai 第 links, bei mehrstelligen Ziffern ohne das dai. Und unten im Zentrum steht das Zeichen go 号 für "Nummer". So bezeichnet etwa das Silbenzeichen i イ die Provinz Musashi, und die Nr.1 das Hauptpostamt von Tokyo, die Silbenzeichenkombination iu イ ウ die Provinz Nagasaki, dessen Hauptpostamt die Nr.16 trug. Ohne aufwendige Dechiffrierlisten, die die Nummern aller Postämter angeben, wüsste der Sammler allenfalls bei den häufigsten Kiban-Stempeln (Tokyo, Kyoto, Osaka), wo die Marke eigentlich abgestempelt wurde.
12
Silbenzeichen
im Markenbild
In der Folgezeit verzichtete man wie bei den Briefmarken auch bei den Postkarten auf den Zweifarbdruck, änderte das Design leicht ab, stellte von dünnen Faltkarten auf das übliche Postkartenformat auf Kartonpapier um und brachte auch mit eingedruckten Marken versehene Briefumschläge zum Verkauf, was hier nicht näher ausgeführt werden soll. Erwähnt werden muss jedoch, dass die japanischen Postkarten eine Erfolgsgeschichte wurden, die derjenigen der Briefmarken nicht nachsteht. In den großen Städten, in denen die Briefkästen stündlich geleert und die Post bis zu 12mal täglich zugestellt wurde, avancierten die billigen Postkarten zum wichtigsten Kommunikationsmittel, solange normale Haushalte noch nicht über Telefone verfügten. Alles, was heute Telefon und e-mail leisten, Grüße, Kurznachrichten, Verabredungen, Einladungen, Glückwünsche, Werbung, Anfragen, kurzum, die gesamte Alltagskommunikation der Bevölkerung, wurde per Postkarte geführt. Am Morgen eine Anfrage versandt, hielt man am Nachmittag schon die Antwort in der Hand. Die Auflagen der Postkarten waren höher als in den meisten anderen Ländern der Welt. Für den Sammler ein wenig bedauerlich ist, dass dadurch auch sehr alte gebrauchte Postkarten aus Japan, mit wenigen Ausnahmen wie die ersten Karten mit rotem Rahmen, selbst bei bester Erhaltung keine nennenswerten Preise erzielen, sondern zur Massenware zählen.
Aber
kehren wir zurück zu dem mysteriösen Sechseck, mit
dem es die folgende Bewandtnis hat.
Das Ministerium war, vielleicht um Missbrauch auszuschließen oder um die Verkäufe und den Verbleib der Karten jeder Druckplatte zu dokumentieren, dazu übergegangen, die einzelnen Druckplatten zu kennzeichnen, und verwendete dazu die 45 japanischen Silbenzeichen, die schon bei den Kiban-Stempeln zum Einsatz kamen. Sie waren von einem unbekannten buddhistischen Mönch im Mittelalter in eine etwas holprige Gedichtform gebracht worden, und zwar so, dass jedes Silbenzeichen nur jeweils einmal vorkommt und sich dennoch ein gewisser Sinn ergibt. Der Spruch bedeutet in etwa:
Das
Schöne entzückt uns zwar,
es muss jedoch vergehen, denn was in dieser Welt hätte auf ewig Bestand? |
Wer
heute
den finstren
Berg der Verblendung überschreitet, wird keinem seichten Traum, keiner
Illusion mehr erliegen.
|
Ein typisch buddhistischer Gedanke, den Fanatiker jeglicher Couleur beherzigen sollten.
In der japanischen Reihenfolge ergeben sich die Silben i イ, ro ロ, ha ハ, ni ニ, ho ホ, he ヘ, to ト, chi チ, ri リ, nu ヌ, ru ル, wo ヲ, wa ワ, ka カ, yo ヨ, ta タ, re レ, so ソ, tsu ツ, ne 子, na ナ, ra ラ, mu ム.... Für den Sammler genügt es, diese erste Hälfte des Gedichts zu kennen, das zu einer Art japanischem Alphabet mutierte; die Silbenzeichen der zweiten Hälfte fanden auf Postwertzeichen keine Verwendung.
Die ersten Postkarten weisen die Silbenzeichen i bis ni auf und waren demzufolge von vier verschiedenen Platten gedruckt worden; die obige Detail-Abbildung zeigt das Silbenzeichen ro ロ, die Karte stammt also von Platte 2.
Als am 1.Januar 1874 wieder eine neue Briefmarke zum Verkauf kam, eine in einer etwas undefinierbaren Mischung aus Braun und Violett gedruckte Marke zu 6 sen im neuen Design eines ovalen Gürtelmusters, trug auch sie unter der Gürtelschnalle ein deutlich sichtbares japanisches Silbenzeichen i イ, das die erste angefertigte Platte dieser Wertstufe kennzeichnete. Es ist die erste Marke, die nicht im Hause des Allroundkünstlers Matsuda Atsutomo entworfen worden ist.
Japanische Kleidung kannte freilich keine Gürtelschnallen. Der bekannte Forscher Ichida Soichi stellte das interessante Argument zur Diskussion, dass eine Schweizer Hotelmarke von 1868 auf irgendwelchen Wegen nach Japan gelangt sein und den Beamten im Innenministerium auf der Suche nach einem geeigneten Motiv für die neue Briefmarke als Vorlage gedient haben könnte. Einige abgelegene Hochalpen-Hotels, zu denen das Rigi-Scheideck Hotel in 1648 m Höhe zählte, gaben für die Beförderung von Briefen ihrer Langzeitgäste bis ins Tal zum nächsten Postamt private Gebührenmarken aus, und das Gürtelmuster der abgebildeten Marke weist in der Tat verblüffende Ähnlichkeit mit der neuen japanischen Freimarke auf, auch wenn die Kirschblüten in den Ecken und die Ornamentik japanischer Tradition entsprechen.
Jedenfalls
erschien
diese Marke während ihrer
Laufzeit immer dann, wenn eine neue Platte graviert wurde, mit neuen
Silbenzeichen im Design, nicht eigens angekündigt, aber von
Sammlern
beachtet und
gesammelt. Die 6 sen-Marke
existiert mit allen zwölf
Silbenzeichen von i
イ bis
wo ヲ. Gedacht
war sie zur Frankatur von
Briefen über Standardgewicht und für
Eilboten-Gebühr im Raum Kyoto-Osaka.
Neue
6 sen Marke mit
Silbenzeichen イ - verblüffende
Ähnlichkeit mit einer
Schweizer Privatpostmarke von 1868