DAS MANIKÜRTE AUTOMOBIL
KOREA
1989
Um ins Guiness-Buch der Rekorde
aufgenommen zu werden, bringen es manche Zeitgenossen fertig,
sich bei minus 18 Grad stundenlang unter einen Wasserfall zu
hocken oder einem ebenso beduppten Partner tagelang bis zur
Ohnmacht die Lippen blutig zu lutschen, auf dass der
gegenwärtige Weltrekord im Eisduschen oder Dauerküssen
überboten werde und auf ewig mit dem Namen jener Nobodys
verbunden bleibe, die anders wohl nie in Schlagzeilen, auf
Bildschirme oder in Nachschlagwerke eingingen. Andere Leute
pfeifen auf Rekorde und Guinness, sofern es in gedruckter Form
ausgeschänkt wird, fordern indes gleichwohl die Natur mit
masochistischen Unternehmungen und ihren Leib mit erlesenen
Torturen heraus: Ob sie im Dauerlauf die USA von Küste zu Küste
durchmessen, mit dem Faltboot um den Globus paddeln, sich im
Gurkenfass die Niagara-Fälle runterspülen lassen oder per
Fahrrad den Kilimanjaro rauf- und runterjappen, keine Dummheit
scheint zu töricht, um nicht auf eine Handvoll komplexbeladener
Selbstmordkandidaten einen unwiderstehlichen Reiz auszuüben.
Wahrscheinlich waren auch Niccolò Polo (der erste Europäer in
China und Vater des berühmten Marco) und Leifur Eriksson (der
erste Europäer in Amerika, lange vor
Cristoforo Colombo), Robert F. Scott und Roald Amundsen, James
Cook und Vasco da Gama, Francisco Pizarro und wie sie alle
heißen, solche Typen.
Dank deren Vorarbeit ist heute auch der letzte Winkel unserer Erdkugel missioniert und zivilisiert, denn Schießgewehr und Syphilis, Jesus und Coca Cola, Krawatte und Plastikschrott folgten den Entdeckern auf dem Fuße. So ist, nachdem die höchsten Gipfel und die fernsten Pole nun bestiegen, mit allerlei Fähnchen gespickt und mit Abfällen zugemüllt sind, des Abenteurers größte Sorge, etwas zu finden, das noch ein bisschen Thrill verspricht und nicht auf der Weltkarte von TUI verzeichnet steht. Rockclimbing in Timbuktu? Da gibt's schon einen Club Méditerranée. Bungee-Jumpen in New Zealand? Hat kürzlich sogar ein 90jähriger Opa gemacht. Im Solar-Mobil quer durch Australien? Wird von Toyota gesponsert. Ohne Sauerstoff auf den K 2? Messner was schon here. Im Hundeschlitten durch Alaska? Alle Hunde auf Jahre hinaus schon ausgebucht. Auf dem Skateboard durch die Sahara? Vorsicht, man wird da von den wilden Horden der Rallye Paris-Dakar über den Haufen gefahren. Selbst auf dem Mond sind amerikanische Touristen schon herumgetrampelt....
Seufz, sagt da Meister Biedermann, packt Rümpel und Zelt, Straßenkarte und Ehefrau in sein eigenes Automobil, setzt sich ans Volant, nimmt Kurs auf die Landstraße und quält sich durch Stau und Maut an den Urlaubsort. Wer clever und sparsam ist, der fährt am Abend los, da ist weniger Verkehr und man kann eine Hotelübernachtung einsparen. Ein paar Stündlein nur, und schon ist man in Österreich, wo es auch ohne Fremdsprachenkenntnisse nach Urlaub duftet..... Da guckste, was? Das hättest du dem Frank Eschersheimer sicher nicht zugetraut, dass du ihm im eigenen fahrbaren Untersatz mitten im Stau München-Salzburg begegnest, auf dem Weg nach Kärnten.....
Der geschätzte Leser ahnt
jedoch vermutlich bereits, dass er hier nur an der Nase
herumgeführt wird, und deshalb schaun wir uns mal genauer an, wo
der Frank gerade den Zündschlüssel rumgedreht hat und sein
rostgeplagtes Vehikel Baujahr 1976 durch enge Gässchen rangiert,
ha, das sieht nicht nach Duisburg-Meiderich aus, sondern kann
eigentlich nur in Japan sein, genauer gesagt, in Matsudo, einer
gesichtslosen Bedtown vor den nördlichen Ausläufern Tokyos, wo
der Bursche aus Versehen seit einigen Jahren sesshaft geworden
ist. Nun ist Nippon bekanntlich ein Archipel, und weil sich Autos
erfahrungsgemäß nur in Extremsituationen auf offene See
raustrauen, enden alle japanischen Wege Richtung Ausland stets am
Rande irgendeines quallenreichen Gewässers. Aber wozu gibt es
Fähren?, dachte Frank in seiner Einfalt und töffelte
zuversichtlich durch die Vorgärten von Matsudo in Richtung
Korea.