DAS MANIKÜRTE AUTOMOBIL
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In Gyeongju muss man die berühmte Hühnersuppe gegessen haben, von der ganz Korea schwärmt. Vor dem Essen ist daher im Hotelzimmer die erste Lektion Hangeul zu bewältigen, damit man nicht aus Versehen auf der Speisekarte Hundebraten, Quallenragout oder Schweinekutteln erwischt, worauf wir momentan gerade mal keine Lust verspürten. Obwohl Gyeongju, das Firenze von Korea, an Touristen, auch aus dem Ausland, gewöhnt sein sollte, preisen alle Altstadt-Lokale, die so gemütlich und einladend aussehen, ihre Lockspeisen nur auf Hangeul an, im Schaufenster oder auf großen Tafeln vor der Eingangstüre, mit Kreide angeschrieben wie beim Ochsenwirt in Oberdackelbach. Und dann das Erfolgserlebnis: Auf jeder Tafel an prominenter Stelle jene Hieroglyphen, die gemeinhin dem Samgyetang, dem berühmten Hühnerschmaus zugeordnet werden! Ein ganzes Hendl schwimmt in dem Sud, gefüllt mit Ginseng-Wurz und Knoblauch, und dazu gibt's allerlei Gemüsegrün, Yoghurt und Ginseng-Schnaps. Prost! Das nenne ich Biokost! Auch an der Restaurantkasse, wie überall im koreanischen Dienstleistungsgewerbe, ein Präsent: Ein Kaugummi pro Gast. Im Zeitalter von Aids wird dem Gast vermutlich bald auch an der Hotelrezeption zusammen mit dem Zimmerschlüssel ein Kondom mit Geschenkschleifchen ausgehändigt.
ASTROLOGIE UND ASTRONOMIE - ANTIKES OBSERVATORIUM ZU GYEONGJU
Neben den begrünten Königsgräbern steht das Wahrzeichen von Korea, das uralte, flaschenförmige Observatorium der königlichen Astrologen. Zwölf Reihen Steine sind da übereinandergemauert, dann ein Fenster, dann wieder zwölf Reihen, und oben drauf das Dach. Insgesamt besteht das Ding aus 365 Quadern, und schon ahnt selbst ein astrologisch unbeleckter Laie wie du, dass hier womöglich die zwölf Monate und 365 Tage eines Jahres sowie der asiatische Tierkreiszeichenzyklus, der ebenfalls zwölf Jahre umfasst, zu Stein geworden sind. Übrigens, wir befinden uns nicht im Jahr der Miezekatze, sondern der Schlange, haben aber keine angetroffen.
Rekonstruiert ist der Gänse-Enten-Park mit seinen Pavillons im Stil der Silla-Architektur, in dem freilich weder Gänse noch Enten, sondern ein frecher Kater mit einer Bande von Lausbuben im Gefolge auf uns zugestürmt kommt. Wenn man das endlich schönere Wetter zu einem Spaziergang durch die angrenzenden Reisfelder nutzt, an Bauernkaten, Blumenbeeten, Obstbäumen, Vogelsang, Froschorchester und steinernen Wegschutzgottheiten vorbei, kommt man 40 Minuten später zum nächsten Königsgräberpark Orung, von reich bemalten hölzernen Eingangspforten bewacht. Bis hier verfolgten uns die Katzenkids nicht, die uns am Observatorium wie am Nationalmuseum erneut mit hussa über den Weg gelaufen sind; Orung ist ein wenig abgelegen von den breitesten Touristenpfaden und auch nicht spektakulär genug, aber der weite Park mit seinen schattigen alten Bäumen, Bambushainen und Blumenwiesen, fast menschenleer, ist genau der richtige Ort, um ein Päuschen einzulegen und eine koreanische Mär zu erzählen.
Vor langer, langer Zeit wurde
im Königreich Silla eine prächtige Bronzeglocke
gegossen, die größte in ganz Asien, Pracht und Zierde des Königstempels. Zur Verwunderung aller Geladenen blieb die Glocke bei der Einweihung aber stumm, so sehr man sie auch schlagen mochte. In der folgenden Nacht ward dem obersten Priester im Traume kundgetan, wenn die Glocke tönen solle, müsse man sie noch einmal einschmelzen, in die flüssige Bronze ein Mädchen werfen und dann den Guss wiederholen. Man folgte dem Traum des Priesters, und als das arme Kind in die glühende Bronze geworfen wurde, schrie es laut EMILII !! (Mama!) Bei der neuerlichen Einweihungsfeier, als man die Glocke schlug, tönte sie zwar laut und vernehmlich, aber jedermann vernahm mit Entsetzen, dass ihr Ton ganz so klang, als riefe ein Kind EMILII !! nach seiner Mutter. Dem König grauste es, und er befahl, diese Glocke nie mehr zu schlagen; er ließ sie wie ein totes Kind begraben. Heute
steht die Glocke im Garten des Nationalmuseums von Gyeongju, heißt auf Englisch "Emily bell",
stammt aus dem 7.Jahrhundert |
DIE GLOCKE EMILY BELL
Bulguksa ist der schönste alte Tempel in Korea, der "Tempel vom Reiche Buddhas". Und wohl auch der meistbesuchte, denn er liegt nicht weit von den Toren der Stadt Gyeongju. Dass er heute nur noch einen Bruchteil seiner ursprünglichen Ausdehnung aufweist, liegt weniger am nachlassenden Glaubenseifer der Koreaner, sondern an den japanischen Glaubensbrüdern, die unter dem Shôgun Toyotomi Hideyoshi zu Ende des 16.Jhs. wieder einmal über Korea herfielen und bei dem Versuch, das Reich zu annektieren, auch den Bulguksa kurz und klein trümmerten.
Bei dem Prachtwetter heute, Samstag obendrein, wimmelt es vor Besuchern, die das Städtchen vor den Tempeltoren bevölkern, das Gastronomen, Souvenirfritzen, Hoteliers und Devotionalienhändler errichtet haben. Sie kommen aus allen Teilen des Landes herbeigeströmt, aber Ausländer sieht man darunter nur wenige, dafür aber etliche hutzelige Omas in der traditionellen Landestracht Chima Jeogori. Im Gegensatz zu Japan wirkt Koreas Natur wunderschön sauber, an einem sonnigen Sommertag zumal. Keine Elektroleitungen, die den Himmel zerteilen und den Besuchern das Fotografieren verleiden, keine Werbetafeln in den Reisfeldern, keine Stundenhotels und Daddelhallen längs der Landstraßen, keine Müllberge und Abfallhalden in den Wäldern. Städte sind, wie in Europa, am Stadtrand zu Ende und fressen sich nicht, von keiner Vorschrift gehindert, metastasenhaft in die Landschaft wie in Nippon. Trotz Industrialisierung, Wirtschaftsboom und neuer Technologien, Korea sieht auf dem Lande einfach wunderschön aus. Man möchte stundenlang durch Felder und Wiesen spazieren.
Warum eigentlich nicht? Auf geht's, gönnen wir der Karre einmal ein bisschen Ruhe. Andernfalls kommen wir rundgemästet, fett und faul, tranig und träge von dieser Reise zurück. Oben auf dem Berg bohrt sich eine weiße Pagode in den azurnen Sommerhimmel, und als wir, ein bisschen außer Puste, davor standen, bot sich eine herrliche Aussicht auf Tempel, Stadt und die ferne japanische See. Ein Waldweg endet vor einer geheimnisvoll dämmrigen Höhle, und darinnen wohnt eine Buddha-Familie aus Silla-Zeiten, erst zu Anfang des 20.Jhs. wiederentdeckt. Den Rest des Tages stromerten wir noch von Tempel zu Tempel rings um Gyeongju, bevor meine Hangeul-Fortschritte mit einem fürstlichen, unglaublich billigen Abendmahl belohnt wurden.
KOREAS HAUPTTEMPEL BULGUKSA
Also, Hangeul ist im Prinzip kinderleicht. Du brauchst nur zwei, drei Stunden intensiv zu lernen und dann ein bisschen zu üben, und dann kannst du schon koreanische Texte lesen, mit deiner deutschen Aussprache, ohne ein Wort Koreanisch zu können. Na ja, du weißt schon, der Frank ist ohnehin ein Kommunikationsgenie, und Hangeul liegt ihm offenkundig. Das ist aber auch nur so eine Art Alphabet wie bei uns, ein Symbol für jeden Laut, wobei die Symbole jeder Silbe so geschickt zusammengefasst werden, dass sie wie ein einziges Schriftzeichen aussehen. Da sieht dann das Wort BUSAN aus, als würde es mit zwei Schriftzeichen geschrieben, aber wenn man genau hinguckt, besteht das erste, das BU, aus zwei, und das zweite, das SAN, aus drei Symbolen, macht am Ende genauso fünf koreanische Glyphen wie mit Lateinbuchstaben geschrieben. Bei der Lateinschreibung sollte man wissen, dass das AE (Daewoo) wie unser Ä gesprochen wird, und dass man ein geschlossenes o (wie in Trost) und ein offenes eo (wie in Post) in der Schreibweise unterscheidet. Das offene "o" findet sind in den beiden Hauptstädten Seoul und Pyeongyang, das geschlossene in all den Lauten, die mit einfachem o geschrieben sind. Das gleiche gilt auch für das u, so dass Hangeul etwa "Hangull" ausgesprochen wird. Bei den Konsonanten wird ch wie in "sandwich", und j wie in "John" gesprochen. Mit etwas Eingewöhnung fallen dir dann nicht nur die Hühnersuppen von Gyeongju, sondern auch die Hotels, Postämter und --- die Apotheken im städtischen Hangeul-Schriftbild auf. Jetzt muss mir nur noch einer erklären, warum es in Korea so irre viele Apotheken gibt.
Zu unserer Überraschung blinzelten unsere schlaftrunkenen Augen am Morgen auf graubewölkten Himmel. Wir hatten am Abend den idealen Zeltplatz gefunden: Fern von Stadt und Touristen, ein Seitenweg eines Seitenweges, dessen Unkrautbewachsung verriet, dass hier allenfalls einmal im Jahr ein motorisiertes Gefährt entlangkommt, wahrscheinlich dann, wenn die Kastanien der Plantage nebenan geerntet werden. So weit ist es aber noch nicht, und dank des klaren Baches, der vom steilen Berghang heruntergegluckert kommt, umhuppen Hunderte von Fröschen, Kröten und Lurchen unser Zelt und halten uns am Morgen die Fliegen vom Hals. Als Badewanne und Dusche, als Waschbütte und Toilette hat der Bach durchaus Qualität und das rechte Format, und für die nächtliche Notbeleuchtung sorgen unzählige Glühwürmchen, die uns beim Zähneputzen umschwirren. Das Auto hat anderntags Ferien: Wir erklimmen per pedes den Namsan-Berg, Teil 1.
EREMITENKLAUSE AM NAMSAN
Seit alter Zeit ist dieses Berggebiet südlich von Gyeongju Heimat der koreanischen Eremiten, mit einsamen Klausen und buddhistischen Asketen derart übersät und gespickt, dass es als "heiliger Berg" betrachtet wird. Weil Bergmönche viel Muße haben und meist auch irgendwelchen Gelübden Folge leisten müssen, hinterließen sie etliche Spuren frommen Wirkens: Kaum ein prominenter Felsen, der nicht zu einem Bodhisattva gemeißelt, mit einem Buddha-Relief versehen oder anderweitig sanktifiziert worden wäre.
Das heutige Wetter ist für unseren Drang nach Kultur durchaus nicht ungeeignet; Berge sind auch in Korea steil und schweißtreibend, und nach dem ersten Kilometer sind wir schon dankbar für Bewölkung und kühlende Brise. Just da taucht aus dem Wald ein Tempel auf, und unter einem Bodhi-Baum meditiert ein heiliger Genosse aus Stein seit Sillas Zeiten, auf der Nase eine grüne Heuschrecke, die freilich nicht allzu antik ist. Wieder einen Kilometer weiter ist ein bemooster Felsbrocken, groß wie ein Appartementhaus der Neuen Heimat, mit schlecht erhaltenen Graffiti bedeckt, und 300 Meter seitlich hockt der älteste Steinheilige in einer felsigen Nische und blinzelt den schwitzenden Visitor freundlich an.
NAMSAN - BUDDHISTISCHE FELSBILDER
Es hat den Anschein, als seien die meisten koreanischen Buddhas der Syphilis erlegen, denn kaum einer besitzt noch seine Nase. Jetzt glaubst du wahrscheinlich, dass sich die koreanischen Heuschrecken am liebsten von steinernen Buddhanasen ernähren, aber - leider falsch geraten. Gegessen wurden die Steinnasen tatsächlich, obwohl man sie auf den Speisekarten von Restaurants eher selten verzeichnet findet. Ganz spezielle Gourmets haben sie auf Grund des weit verbreiteten Aberglaubens geklaut, die Nasen von Buddhafiguren, zu feinem Pulver zermahlen und gläubig verschluckt, seien ein Allheilmittel gegen alle denkbaren Gebresten und Zipperlein, an denen es der Menschheit noch nie gemangelt hat. Ich werde es demnächst einmal ausprobieren. Warum die nasenlosen Herrschaften alle so versteinert nach Osten blicken, als wüssten sie, dass von dort Sony und Toyota drohen, weiß der Geier. Alle anderen vernünftigen Buddhas der Welt gucken nach Westen, denn dort liegt das Paradies, vermutlich irgendwo bei Las Vegas.
200 Meter weiter hockt ein flottes Pärchen am Wegesrand und picknickt. Genüsslich kauen sie gerade, da schau, welch ein Zufall, Äpfel und Pfirsiche. Womöglich, so beschleicht den an religiösen Zeichen und Wundern Zweifelnden ein finsterer Verdacht, womöglich besteht gar ein Zusammenhang.....?
Wir sind keineswegs die einzigen Pilger, die den mühseligen Aufstieg auf sich nehmen, um Sankt Bodhisattvus zu besuchen. Hier und da schnaufen auch koreanische Gläubige durch den Wald, und vor einem ziemlich groß gewachsenen Felsenbuddha opfert eine Gruppe älterer Damen Kerzen und Kuchen, um dann, irgendwelche Sûtra-Texte laut rezitierend, Rumpfbeugen und andere Religionsgymnastik zu vollführen. Uns ist bei der sommerlichen Bergtour mehr nach Erfrischung zumute, die eine Wasserkuhle von Gartenpool-Format, von einem sprudelnden Mini-Waserfall in den Fels gefräst, offeriert. Frisch entschweißt und auch der allerletzten japanischen Bazillen ledig treten wir den finalen Abstieg in die profane Welt an, denn der Tag neigt sich gen Ende. Amen.
RELIGIÖSE GYMNASTIK - GUT FÜR LEIB UND SEELE
Allmählich dringt das ungeliebte Geräusch bis ins schläfrige Hirn der müden Pilger in der Faltvilla Krötenbach: Rassadisassa drippelts auf unseren Plastikhimmel, und weil wir beide zu faul sind, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, und alle Sachen, die besser nicht nass werden sollten, im trockenen Auto wissen, lassen wir uns ungerührt einträufen. Ideales Wanderwetter für den Monte Santo, Teil 2.
Mit seltenem Tatendurst strebt Ka den heutigen Gipfeln zu, bevor sich die Wolken lichten und eine milchige Sonne die Feuchtigkeit zu einer schwülen Waschküche aufheizt. Wir erreichen den höchsten steinernen Buddha an einer Felswand weit über steilem Abgrund, hocken uns zu Füßen des stummen Fernsehers und lassen wie er die Blicke müßig über Land und Wolken schweifen, etwas enttäuscht, dass hier niemand Kuchen, Äpfel oder Pfirsiche hinterlegt hat, bis das Tal zu dröhnen und zu hallen beginnt von dem Radau und Trillergepfeife, das eine vielköpfige Bande von Pfadfindern ankündigt. Zahlreiche Lurche, Unken, Pilze und Reptilien, vom nächtlichen Regen hervorgelockt, begleiteten uns, vermutlich ebenso wie wir auf der Flucht vor dem nahenden Getöse. Dass sich im Gegensatz zu vergangenen Zeiten nur noch sehr wenige Einsiedlerklausen im Bergwald verstecken, wundert uns nicht; Eremiten streben schließlich nach Einsamkeit und haben wenig Lust, sich tagtäglich die Bude von Campern und Trampern einrennen zu lassen, als Objekte von Fotosafaristen oder als Auskunftsstelle verirrter Trampeltiere herhalten und statt Vogelsang und Föhrenwinden dem johlenden Hallihallo naseweiser Rasselbanden lauschen zu müssen. Also, die Bergeinsamkeit war früher auch schon mal stiller, aber für uns war der Namsan gerade richtig, um die Lungen mit Waldeslust zu blähen, die morschen Knochen in Bewegung zu halten und ab und zu auf bemooste Kultur zu stoßen. Wunderbar, aber fix und groggy.
NAMSAN - FERNSEHENDER GIPFELBUDDHA
Da wir noch ein paar Lumpen zu trocknen haben, turnen wir ein bisschen früher als gestern zu Tal zu unserem ausgeruhten Fahrzeug, das mit seiner fremdländischen Matrikel und Machart stets Fans um sich zu scharen weiß; heute umringen es gleich ein halbes Dutzend Neugierige, denen auch die im Innern ausgebreiteten Schlafsäcke und Zeltbahnen spanisch vorkommen mögen, caramba, señores! In Hellas und Honduras, bei Malis wie Somalis, wo immer Benzin geschluckt wird und Gummipneus rollen, sind Toyota, Honda und Nissan mittenmang dabei ---- nur nicht in Korea. Dort ist ein Japanmobil so exotisch wie eine schlittschuhlaufende Kuh auf der Reeperbahn, denn auch die Koreaner sind wahre Marktabschottungskünstler, freilich weitgehend unbemerkt im Schatten des großen Nachbarn. Durch Seoul und Busan kurven nur Hyundaes und Daewoos, ferner noch ein paar Sorten endemischer Lastwagen, und ganz selten perlt ein betuchter Snob im BMW oder Daimler durchs Gewühl.
Unser Menü und Hangeul-Repertoire hat sich mittlerweile um die beiden unvergesslichen Wörter Kalbi und Bulgogi erweitert. Das sind die artigsten Köstlichkeiten der nationalen Cuisine, die wir nun beinahe Abend für Abend abwechselnd ordern. Kalbi ist nicht Kalb-, sondern Rindfleisch, das in dünnen Scheibchen auf einem Grill am Tisch bereitet wird, heiß in ein großes Blatt frischen Salates gewickelt und in eine Würze getunkt verschmaust, und Bulgogi ist ebensolches Rindfleisch, das freilich in einem speziellen Würzsud geschmort samt der schmackhaften Brühe dem Schlund des Gourmets zustrebt. Der Gag des Ganzen sind aber die Beilagen, die in Korea als zuverlässiger Indikator für die Güte des Restaurants gelten. Ein Kanten Brot und drei gesottene Karotten wie in Frankreich? Ein Berg fader Kartoffeln und zerkochtes Gemüse wie in Deutschland? Jedem Koreaner würden sich die Haare sträuben. Zwischen acht (absolutes Minimum) und zwanzig Sorten Gemüse und Delikatessen, jedes auf eigenem Schälchen, werden herbeigeschleppt, bis sich die Tafel biegt. Anzahl, Art und Zubereitung dieser Zuspeisen sind in jedem Haus anders, oft wohlgehütetes Geheimnis aus Omas Tradition, und hieran weiß der koreanische Feinschmecker, trotz annähernd gleicher Preise, die Gaststätten der absoluten Spitzenklasse von lieblosen Mampfbuden zu unterscheiden. Niemals fehlen darf Kimchi, das als Koreas Nationalspeise schlechthin gelten darf, zu Sauerkraut gepresster Chinakohl, aber nicht nur sauer, sondern auch mit Peperoni und Knoblauch aufgepeppt.
HINTER JEDEM BAUERNHAUS STEHEN DIE KIMCHI-KRÜGE
Die anderen Beilagen sind alle in verschiedenen Geschmacksrichtungen zubereitet: Da gibt es salzige, süßsaure, sesamwürzige und pikante Gemüse, vor allem aber viel Scharfes und Knoblauchhaltiges. Koreaner verzehren garantiert dreimal so viel Gemüse wie Japaner und zehnmal so viel wie Europäer, und Knoblauch gar vieltausendmal so viel. Wir staunen noch jedesmal über die Fülle und den Variantenreichtum der Zuspeisen in Korea. Man vergisst leicht das auf dem Grill verkokelnde Fleisch vor lauter Eifer, die Beilagen alle zu verkosten und zu würdigen, während das Personal unverhohlen Ausschau hält, welches Mienenspiel die Spezialitätenpalette des Hauses bei den Gästen hervorruft, hocherfreut, wenn es auch den Ausländern mundet. Nur das Tellerchen mit den Knoblauchzehen blieb stets unangetastet; Knoblauch mag ein brauchbares Gewürz und auch der Gesundheit dienlich sein, aber das Zeug roh oder eingelegt zu kauen, diese Fähigkeit scheidet die Menschheit in zwei unversöhnliche Lager, in selige Liebhaber und flüchtende Vampire.
KNOBLAUCH IST DIE SEELE DER KOREANISCHEN CUISINE
Heute stehen die letzten Sehenswürdigkeiten von Gyeongju auf dem Programm: Götter, Gräber und Gelehrte, Tiger und Schildkröten, Könige und Krieger, alles aus Stein aufgehäuft rund um die Stadt in Tempeln und Parks, und wo immer der Mensch im Kassenhäusel eingenickt war, schlupften wir kostenlos rein. Am Nachmittag ein Ausflug in die Industriestadt Daegu, bequem erreichbar dank der zur Olympiade in Seoul gebauten Autobahn. Auch die Attraktion von Daegu liegt tief im Wald versteckt: Im Tempel Haeinsa werden über 80.000 holzgeschnitzte Druckplatten aufbewahrt, mit denen seit alter Zeit alle buddhistischen Schriften Koreas gedruckt worden sind, eine beachtliche Leistung mönchischen Fleißes.
DAS BUDDHISTISCHE HAKENKREUZ MANJI AM TEMPEL HAEINSA
Da errötete unsere alte Klapperschachtel unter ihrem angegrauten, einst weißen Lack angesichts solch ungewohnter Komplimente!
BUDDHA & MARIA, FRIEDLICH VEREINT BEIM STEINMETZ
In jedem Dorf am Wegesrand mindestens eine Kirche, die Leute sind hier mächtig religiös. Endlose Rumpfbeugen vor Buddhas wie Madonnas, zur Vesper oder sonntagmorgens landesweites Glockengeläute wie in Bayern, dazu vielfach friedliche Kühe auf grüner Au, man wähnt sich beinahe im Schwarzwald. Was es aber da nicht gibt, sind die hier allerorts ins Auge fallenden roten Teppiche am Wegesrand, die, der zweite Blick erspäht es, nicht uns zuliebe ausgerollt sind: Hier werden die höllisch scharfen Chili-Schoten getrocknet, die uns jeden Abend die Tränen in die Augen treiben und nach der Feuerwehr rufen lassen, wenn wir uns allzu vertrauensselig an einer unbekannten Zuspeise vergriffen haben.
HÖLLISCH SCHARFE PEPERONI SIND IN KOREA UNENTBEHRLICH
Über staubige Feldwege führt die einzige Zufahrt nach Hahoe, einem Bauerndorf auf einer Landzunge, auf drei Seiten von einem Fluss umzingelt. Dieser isolierten Lage verdankt es vielleicht seinen Ruf als besterhaltenes Dorf uralter koreanischer Tradition, als lebendes Völkerkundemuseum. Hahoe ist kein "Hessendorf" aus zusammengekarrten Reetdach- und Fachwerkhäusern der gesamten Region, sondern eine funktionierende dörfliche Kommune, deren Einwohnern der Rummel mit den Besuchern von überallher sicher auf den Wecker ginge, wenn solche Hightech-Geräte hier schon bekannt wären. Sie verlangen nicht einmal Gebühren für die Benutzung des aufgeschotterten Parkplatzes am Dorfrand, der drei Busse und 20 PKWs fasst. Gäbe es hier einen Tempel, könnten die Dorfleute von den Bonzen noch viel lernen, unter anderem etwa, wie man den stetigen Besucherstrom in einen ebenso stetigen Geldstrom ummünzen kann. So aber wandern wir durch eine Ansammlung von über 100jährigen Häusern und Höfen, deren Türen und Tore offen stehen, und wo zu jeder Stunde Fremde durch Vorgärten und Kammern trampeln, an gestickten Decken und geschwärzten Balken fummeln, die geduldig in der Ecke hockenden Omas verblitzlichtern und jede Menge Staub und Dreck von der Gasse in die Stube tragen, von japanischen Bazillen ganz zu schweigen. Nur die Dorfkneipe, die profitiert vom Andrang und Durst der Besucher.
STRUBBELIGE DÄCHER IM BAUERNDORF HAHOE