Wer
heute einen Reisebericht von 1969 liest, dem kommen, je nach Alter,
entweder die Nostalgietränen wegen der "guten
alten Zeit" und eigener, ähnlicher Erinnerungen, oder Seufzer des
Mitgefühls für einen Studenten der Romanistik im 2.Semester
mit Namen Frank Eschersheimer, der gleich mal seine Sommerferien
eigenmächtig verlängert und drei Wochen
Vorlesungen schwänzt, weil er ausgerechnet auf der Insel Sardegna
etwas zu erledigen hat, das sich nicht länger aufschieben
lässt. Und das im letzten Drittel des 20.Jahrhunderts, der
Bronzezeit des Kommunikationswesens, ganz ohne i-Mehl, Fetzbuck,
Gugelmops und
Künstlerische Intelligenz. Man musste damals also tatsächlich
noch auf seine eigene zurückgreifen, soweit vorhanden, und mit
Landkarten, Farbfilm und Bargeld hantieren.
Nein, reiten war nicht mehr nötig, es gab schon umweltverseuchende Automobile und Schiffe mit rußigen Schwerölmotoren. Und man konnte per Anhalter reisen, was bei Schiffen allerdings mitunter nicht ganz einfach ist. |
Bevor der junge Frank Eschersheimer, ansässig
in der Gegend von Bonames (der Name wird auf der Endsilbe betont, mit
langem E, und kommt vom römischen Bona Mansio), als Schnorrer noch sehr
unerfahren, sein Bündel packte und sich auf Europareise begab, müssen wir dich mit zwei Vorgeschichten langweilen.
Die erste beginnt mit einem Ende, nämlich demjenigen der absolvierten Wehrpflicht. Dass er mal beim Bund war, das hättest du dem Frank sicher nicht zugetraut. Aber damals lebte sein Papa noch, der davon träumte, dass sein Erstgeborener einmal ein schneidiger Offizier werde, zumindest in dieser friedlichen Zeit des kalten Krieges, in der keine wirkliche Gefahr drohte. Der Frank war freilich durch die Ereignisse von 1966/68 zum '68er bekehrt worden und emanzipierte sich auf seine Art vom gestrengen Herrn Papa, indem er den Offizierslehrgang ausschlug und stattdessen Führerschein, Bootsführerschein und Funkerlehrgang machte. Im Militärdienst ist das nämlich kostenlos. Bevor es zu dem absehbaren häuslichen Clash kam, starb der Vater indes unversehens an einem Schlaganfall, der jedoch vermutlich in keinem Zusammenhang mit Franks verschmähter Offizierslaufbahn stand, und Frank hatte kurz darauf ein Erlebnis, das er bis heute nicht mehr vergessen hat. Dabei kann man es nicht einmal ein "Erlebnis" nennen. |
Seinerzeit bekamen Wehrpflichtige nach Ende der Dienstzeit
irgendwelche
Sachen, die dem Militär gehörten, mit nach Hause. Frag
bloß
nicht, weshalb; es ist ein militärisches Geheimnis, das
preiszugeben uns nicht zusteht. Und frag auch nicht, weshalb
man das Zeug ein paar Monate später persönlich zu irgendeinem
Amt zurückbringen musste und dafür einen Wehrpass erhielt
und wozu der von Nutzen war.
Bis zu Franks Ableben krähte niemals auch nur ein Wasserhahn danach.
Der
Weg zu besagtem Amt führte Frank jedenfalls an einem
wunderschön milden
und sonnigen Frühjahrsvormittag des Jahres 1969 über eine
Brücke, unter der sich irgendeine vielspurige Autobahn erstreckte. Frank blieb stehen, mit
seinem olivbraunen Gerümpel in der Hand, und schaute auf die in
der Sonne blinkenden Autos unter ihm hinab, die aus weiter Ferne
dahergesaust kamen oder bis zum dunstigen Horizont dahinschnurrten.
Frank
konnte sich eine lange Weile nicht von dem Anblick
losreißen. Das war es, was er als grenzenlose Freiheit empfand.
An diesem Tag erwachte in ihm der Drang, in ferne Länder zu
reisen, die Welt und ihre Bewohner auch jenseits des
Großstadt-Vororts, in dem er lebte, kennen zu lernen. Mit anderen
Worten,
Frank erträumte sich seine ganz persönliche grenzenlose
Freiheit.
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Die zweite Vorgeschichte,
nun ja.... Aber auch sie sei dir in Kurzform
preisgegeben.
Vielleicht denkst du, es sei nur natürlich, dass ein angehender
Romanist mal kurz studienhalber nach Sardegna trampt. So einfach ist das jedoch nicht, denn Franks
Studienreise hatte eine vollkommen andere Ursache. Cherchez la
femme.
Im letzten Jahr des Gymnasiums, kurz vor dem Abitur, war eine Klassenfahrt nach Roma angesetzt. Der Klassenlehrer, dessen Lehrfach weder Altphilologie noch Fremdsprachen, sondern Mathematik und Physik war, hätte sich geweigert, die Klasse zu begleiten, wenn nicht zwei der Schüler freiwillig so viel Italienisch lernten, dass sie im Notfall dolmetschen konnten. Frank war einer der Freiwilligen, Sprachen erlernte er gern. In Roma logierte die gesamte Klasse im Gästehaus eines Nonnenklosters, und Frank war derjenige, der den Nonnen mitteilen musste, wann die Rückkehr von den Besichtigungen zu erwarten stehe und die Pasta fertig sein solle, und den Dienstmädchen, wer neue Handtücher benötigte oder im Bett Rotwein verschüttet hatte. Und dort geschah es, dass Frank, aber niemand sonst aus seiner Klasse, Abend für Abend auf seinem Kissen ein Bonbon oder ein Stück Konfekt vorfand. Kurz darauf wurde eines der jungen Dienstmädchen "auf frischer Tat" ertappt, und Frank hatte anstelle der Schokolade nunmehr das Gelächter und den Spott seiner Mitschüler zur "Eroberung einer Küchenschabe" einzustecken. Er selbst fand das eher rührend und behandelte das Mädel sehr freundlich, das jedesmal errötete, wenn es ihm begegnete. Am Tag des Abschieds kam die schwarzgelockte Schöne im Trubel des Aufbruchs auf ihn zu, bekam von ihm ein Silberkettchen und schenkte ihm das silberne Herz-Jesu-Ringlein, das sie am Finger trug, und drückte ihm außerdem einen Zettel in die Hand, auf dem nur "Grissenda Nurieddu, scrivimi per favore" stand. |
Weil er ihr tatsächlich
bisweilen ein Brieflein oder eine Postkarte schickte und auch jedesmal eine Antwort erhielt,
erfuhr er, dass sie aus Sardegna stammte und nach Ende ihrer Dienstzeit
dorthin zurückkehren wolle. Dreieinhalb Jahre
später war er wieder da, der Frank, auf dem Weg nach
Sardegna. Manchmal dreht das Schicksal die dollsten Dinger. Na ja, mit
dem Teenie Frank konnte man damals sowas noch machen. Aber es wird langsam Zeit, ihm das Wort zu überlassen.
Es war der 3.September 1969, und Frank stand an einer Autobahnauffahrt. Per Anhalter Aufbruch in seinen Traum von Freiheit ohne Grenzen.... |