Da schwimmt
doch jemand im Pool! Es
platscht und grunzt von jenseits der Hecke an der Terrasse der
Ozeano-Grafen, die mich ungefragt beherbergten. Ob die
nationalen Hausmeister gekommen sind und sich zur Arbeit suhlen?
Ich lugte in der Morgensonne vorsichtig hinter die Hecke und
erblickte, durch einen Maschenzaun gesichert, ein Plantschbecken
für Delfine, die Luftsprünge machten, als wollten sie von
einem Zirkus engagiert werden. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie
hungrig auf die Wärter mit den Makrelen warteten. Es ist Zeit,
meine Luxusvilla zu verlassen, zumal mich hier niemand mit Makrelen
oder wenigstens einem Toast mit Spiegelei bewirten dürfte.
Nach meinem kargen Mahl aus einem übrigen Kanten trockenen Weißbrots und einem Schluck Wasser vom ozeanografischen Wasserkran könnte ich mich jetzt zu den anderen schwitzenden Franzosen, Briten und Germanen auf den Sandstrand legen und die Sonne anbeten, was nach dem gestrigen Regenwetter durchaus verlockend wäre. Aber da gab es etwas, was mich noch stärker lockte als der weiße Strand von Biarritz, lauter rief als der brausende Atlantik: Die nahe Grenze, España! |
...die nahe Grenze, España! ... |
Jetzt grins mal nicht so spöttisch. Damals war Mallorca noch keine
deutsche Kolonie, und die wenigen Gebildeten, die schon einmal davon
gehört hatten, wussten seinerzeit sogar noch, wie man den Namen der Insel richtig
ausspricht. Nämlich das LL wie in Sevilla oder Paella, und nicht wie in
"Ballermann". Spanien lag damals noch jenseits von Frankreich und war für
die Deutschen, die sich allenfalls auf Capri oder in
Rimini rösteten, noch richtig exotisch.
Ich hatte keinen Abstecher nach Spanien geplant. Überhaupt lag die iberische Halbinsel nicht auf meiner geistigen Landkarte, als ich die Trasse nach Sardegna absteckte. Ich konnte keinen Ton Spanisch, besaß keine Peseta und war kein Franco-Anhänger. Aber hier scheint Spanien hinter jeder Wegbiegung zu lauern, und eine Grenze zu neuen Abenteuern zu überschreiten hatte für mich weit mehr Reiz als vom Sandstrand von Biarritz her neidvoll prächtigen Yachten hinterherzugucken. Jedes unbekannte Land war für mich wahnsinnig attraktiv, eine nahe Grenze war wie ein unwiderstehlicher Magnet, der mich nicht mehr los ließ. Grenzen waren ein schmerzender Widerspruch für meine grenzenlose Freiheit und nur dazu da, sie einzureißen. Da musste ich hin, denn die Pyrenäen, die kann man auch auf der spanischen Seite umfahren, und dann, am Mittelmeer auf der anderen Seite, wieder zurück nach Frankreich. Ich investierte also meine kostbaren Francs in eine Straßenkarte von España und stürzte mich entschlossen ins Abenteuer. |
...ich stieg ganz egoistisch in San Sebastián aus... |
Es
war ein Marokkaner, der mich über die Grenze brachte. Er fahre
nach Madrid, ob ich ihm nicht Gesellschaft leisten wolle? Gleich nach
Madrid! Nein, ich wollte die neue Exotik ganz allmählich
auskosten, Schritt für Schritt, wie ein wirklicher Genießer,
und nicht einen ganzen Tag lang über endlose Landstraßen
rollen und am Abend müde in einem Großstadtgewimmel
umhertappen, in dem allenfalls die Umgangssprache Spanisch ist. So leid
mir der generöse Nordafrikaner auch tat, der sich Unterhaltung
für die weite Strecke erhofft hatte, ich stieg ganz egoistisch
in San Sebastián aus, bei heißem, sommerlichem
Postkartenwetter, mit einem Wolfshunger im Leib. Keine Peseta im
Säckel, als Wortschatz nur olé und caramba, hoffentlich
gibt's hier eine geöffnete Bank.
|
...und mampfte einen gigantischen Bocadillo... |
Gab's tatsächlich, und der
Mensch am Cambio-Schalter sprach sehr gut Französisch, olé!
Aber leider nicht die Frau an der Imbissbude, caramba. Dort kam ich
zu meiner ersten spanischen Vokabel und mampfte einen gigantischen
Bocadillo, ohne zu wissen, wie viel er gekostet hatte. Ich tat, als
verstände ich den geforderten Preis, reichte der Señora einen
Schein, der auch in Biarritz für zehn Casses-croûte gereicht
hätte und ließ das Wechselgeld mit dem Konterfei des
Caudillo achtlos in meine Tasche klimpern. Mit gefülltem Bauch
sieht die Basken-Kapitale noch viel hübscher aus, vor allem der
lange, weiße Strand, auf dem ich meine bleiche Tapete zaghaft
der südlichen Sonne aussetzte. Auffallend ist die geringe Zahl der
Touristen, zumindest im Vergleich zu Biarritz. Dem
Augenschein nach alles Spanier*innen, schwarzhaarige, langbeinige,
schlanke Geschöpfe wie aus dem Bilderbuch, und das wenige
Kilometer von Frankreichs dicklichen, sonnenbrilligen Herren mittleren
Alters in Leinenhosen und Espadrilles, denen man Käse und
Rotwein schon von Weitem ansieht. Von den rotgesichtigen germanischen
Glatzen und Bierbäuchen ganz zu
schweigen.
Es kommen ein paar junge Leute den Strand entlanggetrottet und sagen mir lächelnd irgendwas, aber ich verstehe leider nur Bahnhof. Stell dir vor, da kämen einige von den flotten Mädels und sagten dir was Nettes, und du kapierst nur estación...! Womöglich hatten die Strandbesucher mich ja hier in der Hauptstadt des Baskenlands sogar auf Baskisch angesprochen? Diese Vorstellung verleidete mir ein allzu langes Verharren auf der faulen, sich rötenden Haut. |
...womöglich hatten die Strandbesucher mich auf Baskisch angesprochen?... |
Überdies
steckte, wenn ich als Anhalter unterwegs war, schon damals ein kleiner
Ahasver in mir, der rastlose, ewige Jude, der nirgendwo eine feste
Bleibe findet, weshalb die tiefer stehende Sonne mich am Ortsausgang
Richtung Tolosa antraf. Ich dachte an den gestrigen, kühlen
Nieselnebel, wahlweise unterbrochen von währschaften
Wolkenbrüchen und nieselndem Landregen, und fühlte mich nun
beinahe in Afrika, noch richtig heiß am späten Nachmittag!
Der schwitzenden armen Sünderseele erbarmte sich ein Profi, der beruflich dafür zuständig ist, nämlich ein Herr in schwarzer Soutane, der vermutlich nicht weniger schwitzte. Dass seine Wärme anderer Natur und sein Erbarmen weder die allerreinste Nächstenliebe war noch einzig meiner Sünderseele galt, merkte ich, auch ohne Spanisch zu können. So zärtlich bekommt man nicht alle Tage die Knie getätschelt, aber ich hatte schon bei Morlaix einem Fummler gezeigt, wo laut Straßenverkehrsordnung des Autofahrers Hände während der Fahrt hingehören. Ich machte dem spanischen Autopfarrer jedenfalls schnell und ohne Worte klar, dass er sich gefälligst auf den Straßenverkehr konzentrieren möge. |
...der Autopfarrer schwitzte vermutlich nicht weniger... |
Mein Wortschatz mehrte sich stündlich. Ich musste nur die Augen
offen halten, überall steht was angeschrieben, was einer, der
Französisch und Italienisch beherrscht, unschwer deuten kann. In
Tolosa schleppte ich mich durch die heißen Gassen dem Ortsausgang
zu, aber der Ort wollte einfach nicht enden, hinter jeder Kurve und
Kehre schraubte sich die Straße samt Häuserreihen weiter
bergauf. Etwas schlapp pausierte ich mit meinem Bündel, ohne zu
winken, als Juan Alfonso Marticorena y Peñalosa mit
seinem 2CV die Steigung heraufgetuckert kam. Da kannte ich ihn
selbstverständlich noch nicht, aber ein winziger Augenblick, in
dem sich im Vorbeifahren die Blicke trafen, eine fragende Handbewegung
"willst du mit?" und ein fast gleichzeitiges instinktives Kopfnicken
meinerseits, das sind Sekunden, die ein ganzes Leben verändern
können. Oder zumindest eine Reise. Jedenfalls polterte die graue Ente
mit prächtigem Karacho den Bordstein hinauf und quietschte
voll bremsend auf das menschenleere Trottoir. Diese Begegnung war vermutlich von
den Nornen, von der Vorsehung oder vom Karma vorherbestimmt,
denn dass dich einer mitnimmt, wenn du ohne zu winken irgendwo
herumhängst, das gibt's eigentlich gar nicht. Und Juan Alfonso berichtete später, dass er überhaupt noch
nie einen Anhalter mitgenommen habe. Wir hatten uns
einfach irgendwie erkannt.
|
...als sich im Vorbeifahren die Blicke trafen... |
Juan Alfonso ist Student, stammt aus San Sebastián und
will nach Barcelona, wo er Architektur studiert. Heute sind die
Semesterferien zu Ende. Dies und noch viel mehr erfuhr ich während
einer ziemlich langen Fahrt bis in die dunkle Nacht
hinein. Wir verstanden uns auch ohne viele Worte so, als kennten wir
einander schon lange. Juan Alfonso konnte dreieinhalb Brocken
Französisch, ich ebenso viel Spanisch, inzwischen, und machte aus
der Not eine
Tugend, indem ich auf der finsteren Chaussee durch die nächtlichen
Schluchten und Serpentinen der Pyrenäen in dieser rappeligen
Benzin-Ente
mehr Spanisch lernte als in den ersten zehn Lektionen einer
Sprachschule. Nicht dass wir uns fließend unterhalten
hätten; es bedurfte schon erheblicher Konzentration und viel
Kombinationssinnes, aber was soll's: Ein Halt in dem
Pyrenäendorf, in dem gerade ein Volksfest mit Fackeln im Gange war
und die
Bauernkinder Sardana tanzten, ein als Hexentanz entstandenes traditionelles Ringelreihen, an
der Bude erstandene, frisch fritierte Churros, Juan Alfonso
wollte mir alles zeigen und ich wollte alles kennen lernen. Der
eine freute sich, dass der andere sich freute, und der andere freute
sich, dass es den einen freute, dass sich der andere freute... Als Dank
für die Churros spendierte ich meinem neuen Freund ein
Gläschen Rotwein und war aufrichtig entzückt, in dieser Nacht
ungeplant mitten im Trubel eines Volksfestes in einem abgelegenen
Winkel der Pyrenäen zu hocken, wo kaum je ein Fremder seinen
Fuß hinsetzt und daher alles vollkommen authentisch ist.
|
...Fiesta in einem abgelegenen Winkel der Pyrenäen... |
Bei aller Freude über die Freundschaft trennte ich mich aber in
Huesca von meinem neuen Kumpel, denn wenn ich morgen früh um 3 Uhr
in Barcelona einträfe, wäre ich beinahe schon wieder aus
Spanien draußen, und das am Tag nach der Einreise. Jetzt, wo der
vormals weiße Fleck auf meiner Landkarte Konturen und Gesichter
anzunehmen begann, wo er nach Mitmenschen, Stränden, Bocadillos, Tänzen,
Fiesta und Churros zu duften begann, wollte ich noch mehr davon
haben. Ich besichtigte noch mit Juan Alfonso gemeinsam das
nächtliche Huesca, und dann, nach endlosem
Händeschütteln, musste ich schwören, ein paar Tage
später, bei der Rückreise, meinen neuen Freund in Barcelona
zu besuchen. Auch ich freute mich aufrichtig auf das Wiedersehen. Es
war fast Mitternacht, als die Finsternis schließlich die roten
Rücklichter des davontuckernden 2CV verschluckte. Ich
wanderte durch die stille, warme Nacht zum Ortsausgang, ließ die
Stadtmauern hinter mir und rollte mich in freier Landschaft auf eine
Wiese, die mir in der Dunkelheit gefällig aussah. Hier sind die
Nächte warm, es ist knarztrocken, die Grillen zirpen, weder Regen
noch Kälte sind zu befürchten. Schließlich lag ich in
Spanien unterm Sternenhimmel.
|
...das nächtliche Huesca... |
Das
Morgensonnenlicht bestätigte, dass die Wahl des Schlafplatzes
einfach nicht idealer hätte ausfallen können. Eine
grasgrüne Senke, ein klarer Bach mit sauberem Kiesbett, einige
schattenspendende und sichtblendende Bäume und Büsche - an
einem dermaßen idyllischen Ort legte mein knapper
Wäschevorrat eine Generalwäsche nahe. Mit viel Mühe und
Seifenpulver gelang es mir in dem weichen Bachwasser, meine heftig
abgasgedunkelte Wäsche, wenn auch nicht waschmaschinenfrisch, so doch
einigermaßen hellgrau zu bekommen. Dann flatterten die Lumpen
fröhlich von Busch und Baum, und ich lag darunter und
genoss meine grenzenlose Freiheit. Allerdings zermarterte ich mir
vergeblich den Kopf nach dem Grund, warum ich an einem
solch paradiesischen Flecken in Sichtweite der Stadtmauern von Huesca
von keiner Menschenseele behelligt wurde. Nahebei gab es sogar wilde
Apfelbäume und Brombeersträucher, und auch ein Brocken
Hartkäse war noch in meinem Besitz, so dass ich nicht zwecks
Nahrungsaufnahme nach Huesca zurückwandern musste. Schau an,
langsam wird ein professioneller Tramper aus unserem Frank
Eschersheimer! So gefiel mir jedenfalls España, zumindest
bisher. Dass ich trotzdem kein Franco-Fan war, gehört nicht
hierher.
|
...paradiesischer Flecken in Sichtweite der Stadtmauern... |
Mit
gelüftetem Schlafsack und blütengrau seifenduftiger
Wäsche, selbst ebenfalls am Busen der Natur taufrisch gebadet,
brach ich gegen Mittag auf und konstatierte, dass ich bisher
unwahrscheinliches Glück gehabt hatte, schon bis Huesca gediehen
oder beinahe in Madrid oder Barcelona gelandet zu sein. Spanier
scheinen gegenüber Anhaltern jedenfalls deutlich mehr
Zurückhaltung an den Tag zu legen als Franzosen, und selbst die,
so heißt es, ne prennent pas facilement les stoppeurs, sofern
diese weder Minirock noch Laufmaschen vorweisen können. So war es
ein Franzose, der mich aufpickte und mich, da ich noch ein wenig ins
Land reinschnuppern wollte, nach Zaragoza spedierte. Von der
Brücke über den Ebro wurde eine vieltürmige Basilika
sichtbar, die für mich so märchenhaft aussah, dass ich
ausnahmsweise eine kurze
Stadtbesichtigung einschob, bevor ich den Aufenthalt in einer richtigen
Stadt zur Auffüllung meines Knuspervorrats nutzte. Während
der Siesta winkte ich
mir wieder eine kleine Ewigkeit lang den Arm ab, und auch dann waren es
keine Spanier, sondern Tunesier, die mich noch in ihre volle
Klapperkarre mit reinquetschten.
|
...märchenhaft vieltürmige Basilika in Zaragoza... |
In spanischen Städten fühlte ich mich längst
sicher,
begann erste Sprachfetzen zu verstehen sowie die meisten Inschriften,
kaufte im Supermarkt ein wie ein Einheimischer und genoss es, mit den
Maghrebiern, die mich weiter ins Land spedierten, auf Französisch
parlieren zu können. Sobald man in Spaniens Inland eine Stadt
wie Zaragoza verlässt, befindet man sich nicht in dunklem
Tann oder grüner Au wie nördlich von Alpen und Pyrenäen,
sondern meist in wilder Ödnis, in einer sonnenverbrannten, kargen
Prärie, die nur vereinzelt von kleinen Orten, die in der
Mittagshitze dösen, unterbrochen wird.
Einen solchen Ort steuerten die Tunesier an, und ich frage mich bis heute, was sie dort zu tun hatten. Auf der Straßenkarte groß eingezeichnet, schätzte ich die paar Häuschen, die in einer Talsenke lagen, auf allenfalls 5000 Einwohner. Sein Name lautet Cariñena.
Jetzt verstehst du sicher, warum es mich wunderte, dass muslimische Tunesier ausgerechnet dieses sündige, alkoholhaltige Nest zum Ziel erkoren hatten. Aber das Sündigen (und Traubenklauen) ist oft verlockend und unwiderstehlich. Und du verstehst wohl auch, weshalb ich bis heute automatisch zugreife, wenn ich in der Weinecke des Supermarkts das Wort "Cariñena" auf einer Rotweinflasche erblicke. |
...wie eine Raupe sich durchs Kohlfeld frisst, ernährte ich mich von Weintrauben... |
Am Morgen geschah das Wunder, dass das erste die Chaussee
entlangsurrende Fahrzeug, ein roter Cabrio mit offenem Verdeck, anhielt
und den traubenhaltigen Frank mit einlud. Der Señor, ein
waschechter Spanier, teilte die Freude, sich die Sonne und den
Fahrtwind um die Ohren und durch die Haare rauschen zu lassen, gerne
mit dem wildfremden Tramper, und nach flotter Fahrt auf praktisch
verkehrsloser Straße entstieg ich dem chiquen Fahrzeug erst
wieder in Teruel. Diese Provinzstadt ist weitgehend unsichtbar, denn
sie verbirgt sich auf dem Grund eines breiten Spalts, der wie ein Riss die endlose
braune Ödnis durchzieht; die weißen Häuser mit ihren zu
einem Ockerton gebleichten, einst roten Ziegeldächern scharen sich
um das fast ausgetrocknete Flussbett des Rio Turia. Eine Stadt wie
Teruel hätte ich in Algerien, am Rand der Sahara, vermutet, aber
nicht in Europa, anderthalb Anhalterwochen von zuhause entfernt.
|
...Teruel verbirgt sich auf dem Grund eines breiten Spalts... |
Auf den einsamen spanischen Landstraßen des Inlands -die
Küstenstraßen sind von Touristenvehikeln verstopft- muss man
als Tramper Glück haben. Manch ein Automobilist fährt
vielleicht nur zum nächsten Dorf, aber mangels Autobahn kann auch
ein ganz unscheinbar dahertöffelndes Entlein ganz Iberien
durchqueren, man sieht es den Fahrzeugen nicht an. Nach dem
Teruel-Sightseeing, das bei mir mangels Bildung und Guidebooks in
einer Wanderung aus der Ortsmitte zur Ausfallstraße bestand,
widerfuhr mir wieder mal das Glück eines Fernlifts, der mich in
einem Rutsch bis nach Valencia brachte, wo es ziemlich
großstädtisch nach Auspuffmulk duftete. Der Rest des Tages
war Stadtbummel, und trotz seines blumigen, feurigen Namens war
Valencia eine ziemlich normale Businessgroßstadt, sachlich,
nüchtern und schlechte Luft, nun ja, es liegt am Meer, und die
motorisierten oder per Bus transferierten Touristen auf dem Weg nach
Andalucia müssen alle hier durchfahren. Jedenfalls keine Toreros,
keine Carmen, kein Flamenco, sondern Stau, Versace und Banken. Nun ja,
auf der Loreley hockt ja auch längst keine Jungfer mit goldenem
Haar mehr, sondern da donnert unten der TEE (Trans Europa Express, so
hießen die Fernzüge seinerzeit) durch den Tunnel,
damals noch meist ohne Verspätung.
|
...an der Strandpromenade entlang aus der Stadt raus... |
Ich tappste
also wieder aus der Stadt raus, an der Strandpromenade
entlang, bis die Hochhäuser am Stadtrand ziemlich klein aussahen.
Unversehens verdunkelte sich da von hinten her, früher und
plötzlicher als
sonst, der Sonnenschein; der Blick zurück fiel auf eine drohend
schwarze Gewitterwolkenwand, die über der Stadt emporwuchs und
sich durchaus zügig auf mich zubewegte. Jetzt war vorerst Schluss
mit grenzenloser Freiheit, jetzt galt es, flott das
Bündel zu schultern und kehrt zu machen, auf die Hochhausfront
zu, denn an der Strandpromenade kümmerten nur ein paar mickrige
Palmen vor sich hin, nichts, was vor einem Unwetter Schutz böte.
Geschätzt ein Kilometer vor der rettenden
Bebauung begann ein wilder Sturm aus der Gegenrichtung zu blasen, und
als mir die ersten Autos mit wedelnden Scheibenwischern begegneten,
waren es noch 200 Meter. Als die ersten Tropfen fielen, erreichte ich
mit Mühe und Not die erste Bäckerei am Stadtrand und
nahm zu einem gepflegten Teatime-Imbiss Zuflucht. An ein
Weiterhitchen war nicht zu denken, als alle Elemente sich über
Valencia austobten, weshalb ich mich anschließend in einen
Hausflur verzog und mal wieder eine Postkarte schrieb.
|
...als die ersten Tropfen fielen, erreichte ich mit Müh und Not den Stadtrand... |
Für
die Nacht wählte ich einen Rohbau angesichts dieses
unspanischen, völlig unverhofften Wetters, denn man muss sich den
Umständen anpassen. In der Nacht blieb ich nicht allein.
Erst erschnüffelte ein streunender Köter meinen in Zaragoza
erworbenen, inzwischen
aber längst alle gewordenen Käse, und als er bemerkte,
dass nur noch die Duftnote übrig war, gab er es auf und
rollte sich hungrig neben mich zur Nachtruhe. Zum Glück hatte
er keine Flöhe. Aber dann kamen weitere Besucher, und die waren
mir weitaus unsympathischer. Ich hätte ja wissen müssen,
dass
Valencia die Heimat der guten Paella ist, und wo es Paella gibt, wird
auch Reis angebaut, und wo es Nassreisfelder gibt, da gedeihen auch die
Stechmücken prächtigst. Aber ich war halt noch ein
Anfänger und kein Naturphilosoph. Bssss, sirrte es um mein
Ohrläppchen, aber die
Hände steckten tief im Schlafsack... Um den verehrten Leser nicht
mit juckenden Einzelheiten zu molestieren und es kurz zusammenzufassen:
Valencia brachte meiner Spanien-Euphorie die ersten Minuspunkte ein.
|
Um 6 Uhr in aller Frühe -der Hungerköter war längst
seiner Wege gezogen- stand ich an der Landstraße in Richtung
Barcelona, aber auch
Valencia steckt trotz seiner internationalen Verkleidung voller
Spanier, die eher nicht daran denken, einen
unbekannten, unrasierten Tramperfrank in ihr Auto zu laden. Täte
ich auch nicht, sagst du jetzt wahrscheinlich. Klar, klar, ich
beschwere mich ja auch gar nicht, dass ich erst um halb 9 zu einem nur
2,6 km entfernten Vorort spediert und um 9 Uhr in dem 4 km entfernten
Sagunto angelangt war. In derselben Zeit hätte ich das auch zu
Fuß geschafft, ohne Eile. Aber ein Hitchhiker lehnt aus Prinzip
keinen Lift ab, auch wenn es drei Tage bis Barcelona dauern sollte,
wenn das so weiter geht. Aber man weiß halt nie im Voraus, was
der Tag so bringt. Der Mitmensch, der um 9:40 in Sagunto anhielt, ein
echter spanischer Geschäftsmann, wollte ebenso wie ich nach
Barcelona, wo er mich nach etlichen mangels Fremdsprachenkenntnissen
auf
beiden Seiten gescheiterten Konversationsversuchen um 15 Uhr
absetzte, an der Plaça d'Espanya (Plaza de España). Die
Namen in Klammern sind die spanischen Namen von 1969, denn auch in der
Provinz Catalunya (Cataluña) mucken seit Francos Ableben die Eingeborenen auf und wollen ihre eigenen Lederhosen und
Schottenröckchen, äh, lokalen Dialekte und Selbstverwaltung gewaltsam
durchsetzen, was mich zur Zweisprachigkeit zwingt.
|
...um 15 Uhr in Barcelona, an der Plaza de España... |
Wohlan, so geht es mitunter nach einem verkorksten Anfang. Bei Tagesstrecken
oder Kurztrips kann man keine Zeitplanung aufstellen oder einhalten,
aber bei Fernreisen ergibt sich eine ziemlich konstante
Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 500 km pro Tag, wenn man keine
Pausen einlegt. Das fand ich als Hobby-Statistiker, der genau Buch
zu führen pflegte über seine Lifts, aber erst später
heraus.
In Barcelona, das seltsamerweise auch heute noch so heißt wie 1969, nieselte es leise vor sich hin, aber mit Regenschirm ist alles nur halb so schlimm. Mehr störte mich, dass ich keine Ahnung hatte, in welchem Stadtteil die Adresse des guten Juan Alfonso liegen könnte. Na gut, wovon hatte ich denn damals überhaupt schon eine Ahnung? Die Carrer de les escoles pìes (Calle de las escuelas pías) schien, den ratlosen Gesichtern der befragten Einwohner nach zu schließen, keine der großen innerstädtischen Avenidas zu sein. Sicher, normale Leute wohnen nicht im Zentrum nahe der Plaça d'Espanya, sondern in den üblichen Wohnvierteln, das ist in allen Städten so. Ein Streifenpolizist wusste genau Bescheid, denn er führte einen detaillierten Stadtplan mit sich. Er beschrieb mir alles ausführlich, aber leider in einem sehr schnellen Spanisch oder Katalanisch, und ich schloss aus den Handbewegungen und Gesten in etwa auf Richtung und Entfernung und hoffte nur, dass mir der Guardia Civil nicht den Weg zur nächsten Bushaltestelle gewiesen hatte. Nach längerem Umherirren und weiteren unzähligen Interviews mit Anwohnern, deren Antworten für mich so einleuchtend waren wie das Orakel von Delphi, stand ich schließlich vor der angegebenen Haustür. Es war längst dunkel geworden, kein Mensch war zuhause. Zwei Stunden stromerte ich noch durch die Umgegend, dann war Juan Alfonso da und freute sich ein Loch in die Mütze über mein Erscheinen. Er ließ mir kaum Zeit, mir den Landstraßen-, Baustellen- und Weinbergstaub aus dem Gesicht zu waschen, sondern machte auf der Stelle seinen 2CV flott und packte mich mit ein zu einer Tour "Barcelona at night". Um eine Übersicht zu gewinnen, ging es zuerst auf den Hausberg Montjuic (Montjuich), dann runter zum Hafen, zosch, danach tuckerten wir über die Rambles (Ramblas) und die in diesem Reiche seinerzeit nirgendwo fehlende Avenida del Generalísimo Franco, die heute in Avinguda diagonal (Avenida diagonal) umgetauft ist. Die berühmte Sagrada familia war 1969 leider noch eine unbetretbare Baustelle. Weiter ging es durch die Nachtviertel, Parc d'atraccions (Parque de atracciones), Ausstellungsgelände und Schloss. |
..."Barcelona at night", runter zum Hafen... |
Ziemlich atemlos kehrte ich in die Villa zurück, die
Don Juan Alfonso ganz allein bewohnte, denn die Besitzer, eine
befreundete Familie seines Vaters, der ein betuchter und bedeutender
Geschäftsmann ist, verbrachten ihren Urlaub in Frankreich. Und so
hatte Juan Alfonso ein ganzes Prachtschloss als Studentenbude
für sich allein. Ich hätte Nacht für Nacht in einem
anderen Zimmer schlafen können und dennoch drei Wochen
gebraucht, um das ganze herrschaftliche Anwesen durchschlafen zu haben.
|
|
...ein ganzes Prachtschloss als Studentenbude... |
Jetzt fing
aber erst mal der Urlaub an. Studentengemäß
bequemte sich Juan Alfonso erst um 13 Uhr aus den Federn, was
ich der Tatsache zuschrieb, dass es am Vortag sehr spät geworden
und heute Sonntag war. Im Organisieren von Unterhaltung war der
spanische Freund freilich ein Genie. Er arrangierte eine Verabredung
mit zwei
jungen Französinnen, damit endlich jemand zwischen uns dolmetschen
konnte, aber nach einem kurzen Stadtbummel und Cafébesuch hatten
die beiden Demoiselles andere Termine und es trennten sich die Wege. Eine der
beiden hatte
wirklich reizende Grübchen.
|
...eine der beiden hatte wirklich reizende Grübchen... |
Aber das richtige Programm, das
beginnt in Spanien erst mit Einbruch der Dunkelheit. Es tauchten drei
spanische Mitstudenten auf, angehende Bauingenieure, von denen einer namens Ramón
passabel Französisch sprach, und dann stürzten sich alle ins
Nachtleben. Im ersten Lokal nur ein Apéritif, man soll ja nichts
überstürzen, dann ein leichtes Mittagessen gegen 18 Uhr in
einem Paella-Haus. Im dritten Établissement ein Cafecito, danach
ein Drink im berühmten "Kent". Dermaßen gestärkt ein
neuerliches Sightseeing für den Gast aus Alemania, und
während des Hafenbummels bekam Luisito Lust auf ein
nächtliches Bad im Meer, weshalb die Rasselbande zu dem Vor- und
Badeort Castelldefels töffelte, wo sich auch eine attraktive
Strand- und Tanzbar fand, in der man ein kleines Gläschen Roten
für 5 Pesetas erhielt. Der Strand war natürlich menschenleer
und stockfinster, aber das ist von Vorteil, wenn leicht
angesäuselte Studenten ohne Badehosen ins Meer hoppen;
Handtücher hatte Luisito aus der Toilette der Tanzbar mitgebracht,
weshalb es an nichts mangelte.
|
|
(v.l.n.r.) Juan Alfonso, Luisito, Ramón, Frank mit seinen Tennisschuhen |
Derlei
Zeitvertreib macht hungrig, und
außerdem war es inzwischen halb elf geworden, die Stunde, zu der
in Spanien die Restaurants zu öffnen beginnen. In einem gepflegten
Gasthof dinierten die studentischen Lebemänner katalanische
Spezialitäten und verklarten dem verdatterten Frank, der seinen
Anteil ehrlich bezahlen wollte, dass dies ein grober Verstoß
gegen die Ehre spanischer Gastgeber sei. Der Fremde und die
Gastfreundschaft sind hier heilig. Ich hörte es mit Staunen und
Vergnügen. Da können die Knauserteutonen noch was lernen.
Aber ich kam allmählich dahinter, dass es in Spanien seinerzeit
eigentlich nur Söhnchen reicher Eltern zu einem
Universitätsstudium brachten, und auch Juan Alfonso,
stolzer Besitzer eines eigenen Studentomobils, hat noch nie in seinem
Leben auch nur eine Peseta selbst verdient, sondern nur ausgegeben,
aber das umso gründlicher. Der reiche Papa wähnte seinen
Filius in Seminaren und Bibliotheken, an Statiktabellen büffelnd
und über Designproblemen grübelnd, während die ganze
Pandilla nach dem lukullischen Mahl wie die Kinder in den Juxpark
sprang und eine halbe Stunde lang im Loco ratón (Ratón
loco), der wilden Ratte, wie hier die Achterbahn heißt, johlend
dem Schwips Tribut zollte.
Gaudeamus igitur. Und anschließend Autoskooter, Geisterbahn, Schiffsschaukel. Iuvenes dum sumus. |
|
...wie die Kinder in den Juxpark... |
Vor dem Schloss ist ein Platz, wo man um diese Zeit Bekannte
trifft oder einfach herumhängt und schwätzt, und eine
Fontäne, die Font màgica (Fuente mágica), der man stundenlang zuschauen kann, denn aus rund 500
Düsen spritzt ein Kunstwerk aus Wasser in wechselnden Figuren,
angestrahlt in wechselnden Farben, es gibt über 300 Kombinationen.
Und hinter dem Brunnen steht auf der Anhöhe das erleuchtete
Schloss. Blaue Lichtfinger, die sich hinter dem Bau in den Nachthimmel
bohren, bilden einen Strahlenkranz, dessen Mittelpunkt der Palacio
ist.
Als wir auseinandergingen, war es etwa 3 Uhr früh. |
|
...eine Fontäne, angestrahlt in wechselnden Farben... |
Unter der Bedingung, heute nicht erneut von den Kommilitonen
ausgehalten zu werden, hängte ich auf Juan Alfonsos
ausdrücklichen Wunsch noch einen weiteren Tag des lustigen
Studentenlebens an. Am Nachmittag, als wir uns aus den Bettdecken
schälten, hätte ich beinahe neidvoll geseufzt "Student
müsste man sein", aber ich war ja selbst einer, und auch mir
stände es vermutlich nicht schlecht an, mich in den nächste
Woche beginnenden Seminaren blicken zu lassen und in ein paar
ernsthafte Bücher zu schauen. Aber das wäre eine
unwillkommene Limitierung meines Traums von der grenzenlosen Freiheit gewesen. Jetzt war ich
in Barcelona und
studierte an der Hochschule des Lebens. Schon Humboldt und Goethe, weit
größere Geister als Frank Eschersheimer, waren der Ansicht
gewesen, dass Reisen bilde, und der erste Bildungstrip des heutigen
Tages führte nach Sitges an den Strand, um die letzten
Sonnenstrahlen zu nutzen und sich für das anstrengende
Abendprogramm fit zu machen.
|
|
...in Sitges bei den letzten Sonnenstrahlen an den Strand... |
Wenn du meinst, die gestrige Sause sei dem
vorlesungsfreien Sonntag geschuldet gewesen, dann siehst du, dass ein
Studium in Spanien nicht mit deutschen Maßstäben zu erfassen
ist. Die Bar "Renault" ist mit Sitzen von Oldtimern und Salonwagen der
Eisenbahn eingerichtet, in denen man sein Cuba libre schlürft, und
ein anderer Hit ist das Cafetín musiquero, eine verrauchte
Höhle, in der es zwar ganz dieselben Cocktails gibt wie auch
anderswo, aber in einer Ecke hockt, Nacht für Nacht, in
wechselnder Besetzung eine kleine Band mit Guitarra, Bass und Tambourin, die
singt und spielt, was immer gerade angesagt ist in España. Ich
war davon sehr angetan und wäre gern noch öfter hierher
gekommen, aber es folgten noch eine ganze Reihe weiterer
Bildungserlebnisse in diversen Tapas-Bars und Vinotecas, und in der
Gesellschaft von Ramón, Luisito und vielen anderen, von Bar zu Bar wechselnden
Bekannten und Kommilitonen wurde es auch diesmal wieder sehr
früher Morgen, als die emsigen Studien des
Bauingenieurwesens und der Architektur des heutigen 13.Septembers
betrüblicherweise ihr Ende nahmen.
|
|
...im Cafetín musiquero eine kleine Band mit Guitarra... |
Das einzige, was ich außer dem nahenden Abschied aufrichtig bedauerte, war die Tatsache, dass in
den genannten Fächern offenkundig keine weiblichen Studierende
anzutreffen waren. Nach den zweieinhalb Tagen oder vielmehr
Nächten mit den netten Jungs von der Technischen Universität
von Barcelona tat es mir ein wenig leid, weiterfahren zu müssen.
Auch Juan Alfonso war mächtig gerührt, man sah es ihm
an. Er sagte, dass man sich unbedingt einmal wiedersehen müsse,
und so viel kann verraten werden, dass nämlich mein Studentenleben
im Sommer 1971 in San Sebastián, diesmal mit fast der gesamten
Jugend der Stadt und unzähligen hübschen und lebenslustigen Conchitas, Maites
und Amadas, eine würdige Fortsetzung fand. Juan Alfonsos
Papa war nämlich verstorben, und der Filius hatte umgehend sein
schon neun Jahre währendes Studium abgebrochen und war nun mit
Eifer und Erfolg bestrebt, als freischaffender Kunstmaler Papas ererbtes
Vermögen unter die Leute zu bringen. Man lebt schließlich
nur einmal.
|
|
Juan Alfonso |
Jedenfalls hatte Juan Alfonso es sich nicht nehmen lassen, mit dem ersten
Morgenlicht aufzustehen und mich bis an den äußersten
Stadtrand zu kutschieren. Er schniefte heftig, stakste nach dem
Adieu steif in sein Vehikel zurück und machte kehrt. Im
Morgenlicht sah ich dem fortwuppenden Entlein nach, dem ich lange
Lifts, tolle Nächte und eine herzliche Freundschaft verdankte, bis
das graue Studentomobil vom morgendlichen Großstadtverkehr
verschlungen wurde.
|
Trist ist
der Tramper-Alltag nach so viel Glamour, und ich musste
viele Auspuffdünste inhalieren, bevor ich die Welt wieder durch
ein Autofenster betrachten konnte. Es waren Briten auf Urlaub,
die mich noch in das bis unters Dach mit Luftmatratzen und
Gummienten, Campingrödel und Schlafsäcken vollgestopfte
Fahrzeug stapelten. Ein nettes Pärchen aus London, und wenn ich
einmal nach London käme, solle ich sie unbedingt besuchen; die
Adresse bekam ich schriftlich, als ich meine Beine beim Niederklimmen
von
dem innerautomobilischen Gepäckgebirge endlich wieder entfalten
konnte. Na klar, ich würde auch mal nach London hitchen, aber
momentan war ich in der Gegenrichtung unterwegs.
|
|
...bis unters Dach mit Campingrödel vollgestopft... |
In Calella
hatte ich vier Stunden Zeit, mir Gedanken über das
Reisen per Anhalter im Allgemeinen und Spanien im Besonderen zu machen.
In Deutschland werden die unrasierten, langhaarigen Typen als Gammler
verachtet, aber oft von ihresgleichen aufgelesen. Ganz anders in
Frankreich. Da halten auch mal Geschäftsleute und junge Damen,
Apotheker-Ehepaare und ältere Bonhommes. Ein Repräsentant
dieser letzteren Kategorie hatte mir einmal beim Aussteigen sogar einen 10
Francs-Schein in die Pfoten gedrückt, und andere spendieren dem
Fahrgast einen Kaffee. In Spanien hingegen steht man sich weit mehr als
doppelt so lang die Beine in den Bauch, und wenn jemand anhält,
sind es oft Marokkaner, Briten und Franzosen, bloß keine
Hispanier. Aber dann kommt so einer wie Don Juan Alfonso des
Wegs und hält an, als hätte man ihn herbestellt. Und danach
kann man nur noch das Schicksal walten lassen, wenn Spanien wie ein
Hurrikan auf dich einstürmt, Widerstand ist zwecklos. Ich wollte
ja eigentlich nur mal kurz hineinschnuppern und sehen, wie es auf der
iberischen Seite der Pyrenäen aussieht, und dann kommt so ein
Mensch und tunkt dich bis über beide Ohren in dieses wunderliche
España, dass dir Hören und Sehen vergeht, und wenn du dann
fast wieder draußen bist, hast du beinahe schon Heimweh nach
diesem Zipfel Erde, den du noch vor zehn Tagen nur aus dem Atlas
kanntest. Jetzt hat sich das Land für immer in meine Sinne
eingegraben, es ist dort, wo Juan Alfonso, Ramón und
Luisito sich auf
einen weiteren Besuch freuen würden, wo die Leute in den Bergen
Sardana tanzen, wo man sich durch Weinberge und Tapaslokale fressen
kann und einen Heidenspaß hat, wenn man an die richtigen Leute
gerät.
|
|
...Gedanken über das Reisen per Anhalter im Allgemeinen... |
Nun gut,
noch war ich nicht draußen, und es hatte auch
keineswegs den Anschein, als wollte Spanien mich so sang- und klanglos
davonziehen lassen. Bis zum Abend schaffte ich es mit Mühe bis
Girona (Gerona), wo kein warmes Bett, sondern ein Rohbau als Nachtquartier auf
mich wartete. Und wegen der durchzechten Nächte wurde es am Morgen
sehr knapp, denn als die Arbeiter vorn die Baustelle betraten, huschte
der verschlafene Frank heimlich durch den Hinterausgang ins Freie, um
erneut auf Godot zu warten. Und als der kam und mich bis nach
Figueres (Figueras) beförderte, war es schon Mittag.
Möglicherweise sagt
dir der Name Figueres etwas. Nein, dass Salvador Dalí seinerzeit
noch dort lebte
und sein Atelier hatte, meinte ich nicht, sondern dass es der letzte
Ort vor der Grenze nach Frankreich und der Ortsausgang in dieser
Richtung mit wahren Heerscharen von Trampern übersät ist. Da
bleibt fürs Fortkommen nur die Hoffnung auf ein kleines, nein,
mittelschweres Wunder.
|
|
...mit Heerscharen von Trampern übersät... |
Ich fragte
ein niederländisches
Kollegenpärchen, wie lange sie denn schon hier warteten.
Fünfeinhalb Stunden, lautete die freundliche Antwort.
Caramba! Aber glaub bloß nicht, dass es an spärlichem
Verkehr liegen könnte - im Gegenteil: Hier windet sich ein
wahrer Tatzelwurm von heimkehrenden Urlaubern über die kurvige
Landstraße, mit Schlauchboot auf dem Dach, Harley-Davidson auf
dem
Anhänger, Kind und Kegel und manches Fläschchen Rotwein im
Fond, und fast alle fahren ausländische, ja überwiegend
deutsche Matrikeln spazieren. Na dann, viel Glück, wünschte
ich den geduldigen Niederländern und reihte mich ein paar
hundert Meter entfernt ans Ende des Tramperspaliers ein. Ich versuchte
eine Zeitlang, eine mitgeführte deutsche Zeitschrift deutlich
sichtbar aus meinem Gepäck hervorlugen zu lassen, auf dass sich
die Teutonen freudig den Landsmann ins Gefährt holen
mögen, aber weil ich heute einen meiner seltenen Denkertage
hatte, kam ich
darauf, dass die deutschen Muffel wohl eher davor
zurückschreckten, sich womöglich einen stinkenden Labertramp
einzuhandeln, der ihnen von Figueras bis nach Kiel nicht mehr aus dem
Fond und von der Pelle weicht.
|
Was dann hielt, war ein Taxi. Tja, mittelschwere Wunder sind
heutzutage kostenpflichtig. Darin saßen die beiden
Niederländer. Sie berichteten, sie hätten das Taxi gechartert,
um nicht den Tag oder die Woche am Ortsrand von Figueras verweilen
zu müssen, und wenn noch einer mitfährt, kostet es keine
Peseta mehr. Ich wollte dem Image der knauserigen Deutschen keine
Nahrung geben, zahlte ein paar anteilige Pesetas und erreichte auf
diese Art die Grenze, wenn auch auf eine für Anhalter vollkommen
unwürdige Weise. Von heimkehrenden Urlaubern genervt, machten die
Grenzer keine Umstände mit uns, obwohl andernorts per pedes die
Grenze überquerende Individuen meist auf höchstes amtliches Interesse
stoßen. Aber wie schon gesagt, hier ignorierten
uns die spanischen Grenzer, vermutlich, weil sie froh waren, dass
wieder ein Schwung Hippies ihr Land verließ, und den Franzosen
war es zu heiß, sie winkten einfach alles durch.
|
|
...sie winkten einfach alles durch... |
Jetzt, in
Frankreich, lief es wieder besser mit dem Fortkommen. Perpignan huschte
vorbei, durch Narbonne fegte ich und landete am Abend schon in
Montpellier, wo ich die Nacht auf meine Art verbrachte.
Am Morgen war ein Käsehändler so liebenswürdig, mich und einen am Wegrand stehenden amerikanischen Kollegen zwischen seine Roqueforts und Camemberts zu klemmen, und als der junge Ami angesichts der Berge von frischem Yoghurt hinter dem Rücksitz hungrige Telleraugen machte, bekam er von dem freundlichen Herrn des Käses bei der Ankunft in Nîmes den Rucksack preisgünstig vollgestopft, und ich bot für ein Stückchen Gruyère 2 Francs, erschrak aber beinahe angesichts des gigantischen Brockens, den mir der Fahrer dafür absäbelte. "Ich bin schließlich Großhändler", grinste der Fromagier, hoch soll er leben! |
|
...ich bin schließlich Großhändler... |
Ohne den amerikanischen
Kollegen drang ich weiter nach Osten vor, über Aix-en-Provence
nach Marseille, und in der Capitale du midi ließ ich mich zum
Hafen chauffieren, denn dort befindet sich das Hauptpostamt, wo ich wie
vereinbart postlagernde Nachrichten von daheim vorfand. Auch auf eine
Bouillabaisse hatte ich Lust, verschob den Restaurantbesuch aber auf
die Zeit, wenn ich es zum Millionär gebracht hätte, denn die
Preise ließen mein Reisebudget erblassen.
|
Weil
Marseille Frankreichs zweitgrößte Stadt ist und im
Süden die Tage schon spürbar kürzer waren, erreichte ich
nur noch den Ortsausgang, wo ich mich zur Tramperruhe bettete, bis
mich ein Donnerschlag weckte, denn der Tag wurde von einem deftigen
Gewitter eingeläutet. Wäre mein ephemeres Domizil weniger
wasserdicht gewesen, hätte es ein böses Ende genommen. So
aber musste der Aufbruch in Richtung Côte d'Azur bis um halb
neun verschoben werden. Bei meiner Ankunft in Hyères und auch
später
imponierten mir die süßen Trauben der Region, die
zu frischem Weißbrot und einem Brocken Gruyère, der
auch eine mehrköpfige Familie tagelang sättigen würde,
ein vollendetes französisches Frühstück
ergaben. Just murmelte ich, dass es mir ergehe wie Gott in
Frankreich, aber nach Bormes, falls das jemand kennt, war Schluss, mit
Gott in Frankreich ebenso wie mit Fortbewegung; niemand ließ sich
von meiner Winkerei beeindrucken.
|
|
...die süßen Trauben an der Côte d'Azur... |
Falls du
vermutest, dass der Tramperfrank
einfach nicht zur Côte d'Azur passe und deshalb nicht zu den
Playboys und Starlets reingelassen werde, gebe ich dir vollkommen
Recht, aber andrerseits war ich auch problemlos nach Biarritz und
in das
Märchenschloss in Barcelona gelangt. Ich wünschte, ein
porschekompatibles Girlchen in kurzem Röcklein tauchte auf und
bewegte die Playboys zu einem galanten Tritt auf das Bremspedal, aber
wenn man sie braucht, sie sie nicht da, die Mädels. Seufz. Und
dann beginnt es auch noch zu tröpfeln, und das an der Côte
d'Azur! Ich will mein Geld zurück, murmelte ich, als ich unter
meinem Regenschirm am Straßenrand missmutig Zwangspause machte,
nach vier Stunden vergeblichen Winkens. Und ausgerechnet da bremst
einer, fragt, ob ich mitgenommen werden will, und lädt die nasse
Frankscheuche zu sich in die weichen Polster. Nicht mal ne Pause gönnense
einem....
|
|
...fragt, ob Frank mitgenommen werden will... |
Als der Kavalier am Steuer, vor Liebenswürdigkeit
überfließend, wieder mal an meinen Knien
herumzutätscheln begann, meinte ich, noch immer grantig
gestimmt, wenn Môssieu den Tramper einzig zu diesem Behufe
mitgenommen habe, ginge ich lieber zu Fuß.
"Mais non, je ne suis pas de ce coin-là, pas du tout!", beeilte sich der Fahrer zu betonen, und gab sich, das muss man ihm lassen, alle erdenkliche Mühe, von mir fortan als Gentilhomme wahrgenommen zu werden. Er erwies sich als der beflissenste Fremdenführer, um mir die Côte zu zeigen, fuhr bis ins Hinterland in malerische provenzalische Dörfer, kurvte eigens für mich durch Saint Tropez, lud mich auf einen café ein und wagte keine falsche Handbewegung mehr. |
|
...kurvte eigens für mich durch Saint-Tropez... |
Viele
große Geister, Künstler und Wissenschaftler waren und
sind Homos und deshalb nicht weniger Ehrenmänner als alle anderen.
Ich habe wenig Vorurteile, sofern man mir keine einschlägigen
Handlungen aufdrängt, und verabschiedete mich von meinem braven
Chauffeur deshalb auch ohne Groll, nachdem ich dessen aufrichtige
Freundlichkeit dankbar genossen hatte. Schade nur, dass es ausgerechnet
heute, an dieser gerühmten Ferienküste, den ganzen Tag vor
sich hinnieselte. Am Abend war ich in St.Raphaël, einer getreuen
Kopie von St.Tropez, wo ich mich
nach einem ausgiebigen Dîner aus Weißbrot, Äpfeln vom
Baum nahebei und Gruyère zur Ruhe bettete. Frag bloß
nicht, wo. Jedenfalls in keinem der teuren Hotels...
|
Zu behaupten, dass es am nächsten Tag flott weiterging, wäre
eine Übertreibung. In Cannes, das von St.Raphaël aus gesehen
eine Art Nachbarstadt ist, traf ich glücklich um die
Mittagsstunde ein. Das Wetter gab sich alle
Mühe, mondäner zu wirken als am Vortag, und die
Landschaft tat ebenfalls einiges, um mir die Côte sympathischer
zu machen. Cannes hat offenbar viel zu tragen an all den schweren
Geldsäcken, die ihren Wohlstand und ihre Schmerbäuche auf der
Strandpromenade zur Schau stellten. Es war mir vergönnt, die Stadt
auf Schusters Rappen in Richtung Ortsausgang Ost recht gut kennen zu
lernen, denn obwohl es sich nicht gerade um eine riesige Weltstadt
handelt, zieht sich das Ding am langen Meerufer entlang und nimmt und
nimmt kein Ende. Da schwitzt und schuftet der Trampermann mitten
in den Ferien, während unterhalb der Promenade alle Leute faul
herumliegen und darauf aus sind, sich auf blanken Popos und Busen
einen Sonnenbrand zu holen.
|
|
...Cannes zieht sich am langen Meerufer hin und nimmt kein Ende... |
Die nächste Station ist eine deutlich
vergrößerte Kopie von Cannes und heißt Nice. Hier sind
die Herrschaften noch fetter, reicher und zahlreicher, die Hotels noch
nobler und antiker, die Popos und Busen noch verwegener, und auch die Strandpromenade ist zu meiner
großen Betrübnis noch länger und
der Ortsausgang viel weiter entfernt. Auf Italienisch nennt man Nice
übrigens Nizza, was sich auf Pizza reimt und mich daran
erinnerte, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen
hatte, und überdies, dass es nicht mehr weit war bis Bella Italia.
Nach meinem Gruyère-Imbiss umfuhr ich, durch zwei
kräfteraubende Städtetouren gewitzt, Monaco und Monte Carlo
und landete in Menton, wo ich mich und mein Bündel bis zur Grenze
nur noch 200 m zu schleppen hatte.
|