isoita


Geschniegelte Jungs
und sardische Macchia



Die italienischen Grenzhüter witterten wieder einmal den Fang eines lang gesuchten Schwerverbrechers und ließen mich erst nach gründlicher Durchtastung, Darlegung meiner Barschaft und dem üblichen Remidemmi in das Land, in dem die Zitronen blühen, allerdings nicht zu dieser Jahreszeit. Was mir dort alles blühte, erfahren wir später, aber fürs erste konnte ich nicht klagen, die Stopperei lief wie geschmiert. Die italienischen giovanotti sind mächtig stolz auf ihren benzingetriebenen, umweltverstänkernden Besitz, dem ich es verdankte, schon bis nach Ventimiglia gediehen zu sein, und verschmähen auch einen fremdländischen, trampenden Bewunderer nicht, wenn es zu demonstrieren gilt, wie schnittig sie mit ihrem spotzenden Cinquecento einen behäbig einherbrümmelnden teutonischen Touristenmercedes abhängen. Und wenn man seine Bewunderung über die Fahrkünste der Sonnenbrillenträger, aus deren weit geöffneten Hemdkragen silberne Kettchen blinken, in geschickte Worte kleidet, sind Italiener die liebenswürdigsten Menschen des Erdenrunds. In San Remo beendete ich den Tag, etwas früher als sonst, aber ich war ja in Italia, wo die Leute schon auf ein Fingerschnippen hin anhalten.

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...die liebenswürdigsten Menschen des Erdenrunds...

Wuaaah, das hätte ich nicht sagen sollen, das rächt sich umgehend. Ich hatte ganz vergessen, dass der Morgen zu einem Sonntag gehörte. Da muss man sich auch in Italia auf zwei Stunden Wartezeit gefasst machen. Vielleicht gehen die Leute ja alle in die Kirche. Aber dann brachte mich ein Signore in einem Rutsch bis nach Genova, das war ein kleiner Trost. Aber nur ein kleiner, denn genauer gesagt brachte er mich bis vor Genova, denn der Autofahrer hatte am äußersten Stadtrand zu tun, 100 m vor dem Ortsschild GENOVA. Na ja, sage ich mir in meiner Einfalt, Genova ist nicht die erste Stadt, die ich zu Fuß diagonal erkunde, aber wenn ich Genova so gut gekannt hätte wie zwei Jahre später, als ich dank eines Stipendiums der Università degli studi als ordentlicher Student der Romanistik in jener Stadt eingeschrieben war, dann hätte ich meinen Anhalterstolz an den Nagel gehängt und den Bus genommen.

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...100 m vor dem Ortsschild "GENOVA"...

Um elf war ich in Pegli, dem nördlichsten Vorort, angekommen, um zwölf näherte ich mich dem Frachthafen im Vorort Sampierdarena, gegen eins nahte ich dem städtischen Zentrum, um zwei hoffte ich in Foce vergebens auf ein baldiges Ende dieses Bandwurms von Großstadt, um drei kroch ich auf dampfenden Socken zwischen Wohnblocks und Kfz-Werkstätten von Sturla voran, denn die Stadt geht nahtlos über in eine Anzahl von Vorstädten, in denen kein Mensch hitchhiken kann. Als ich schließlich am späten Nachmittag nach Nervi gelangte, war ich mit selbigen ziemlich am Ende. Noch immer war kein Ende in Sicht, und wie ich, mitten im Stadtgewühl pausierend, einfach so auf gut Glück müde den Daumen hob, hielt doch tatsächlich ein funkelnagelneuer Alfa Romeo an, und der gepriesene Wohltäter am Steuer bot an, mit mir bis nach Roma zu fahren.

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...als ich nach Nervi kam, war ich mit selbigen am Ende...

Yeah man, nach Roma! Endlich mal wieder sitzen, die Gelenke entspannen und in ein paar Stunden, in der Dunkelheit, in Roma aussteigen... Es war zwar verlockend, aber ich wollte mir die Toscana doch lieber bei Tageslicht ansehen, weshalb ich mich von dem netten cavaliere bei Migliarino, wo die Autobahn ins Landesinnere abbiegt, mit aufrichtigem Dank verabschiedete, um anderntags via Landstraßen entlang der Küste dem Mezzogiorno zuzustreben. Schließlich führen auch andere Wege nach Rom. Meine Nachtruhe wurde durch die Attacke eines fliegenden Plagegeists gestört, der seine Kühnheit zwar mit dem Leben büßte, im Laufe der Nacht jedoch von zahllosen Artgenossen gerächt wurde.
Auf die Nacht der Blutspenden folgte ein internationales Frühstück mit französischem Gruyère, der zwar schon reichlich dezimiert war, aber noch immer wacker mitreiste, und Genueser Brötchen vom Vortag, und frisch gestärkt machte ich mich auf nach Pisa, das von hier aus genau auf dem Weg liegt, um mir den schiefen Turm anzusehen, bevor er ganz umfällt. Allen Zweiflern sei hier versichert, dass ich noch rechtzeitig eintraf und auch drauf herumkletterte, denn das Ding sah nicht ganz unstabil aus. Allerdings bewirkt es durchaus ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, wenn man auf der nach unten geneigten Seite des Daches steht. Aber dort stehen auf der Wiese noch weitere, weniger schiefe, aber nicht minder sehenswerte Marmorwunder, die auch ohne schiefen Turm einen Abstecher wert sind.

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...ein mulmiges Gefühl in der Magengrube...

Gut, dass Pisa nicht so groß ist wie Genova, freute ich mich, und weil die hiesigen Jungs alle mit modischem Fummel und Silberkettchen behangen umherstolzieren und wie geleckt aussehen, warf ich meine vom gestrigen Gewaltmarsch heftig gezeichneten, löcherigen Tennisschuhe in eine Mülltonne, nachdem ich preiswert ein Paar neue erstanden hatte. Damals gab es noch leinene Turnschuhe anstelle von Sneakers for Freaks mit viel Cash. Und auch keine Mülltrennung. Ferner bedachte ich vorausschauend die in absehbarer Zukunft heraufdämmernden Post-Gruyère-Zeiten und verproviantierte mich in Pisa. Trotzdem war es noch immer Vormittag, als ich mich nach Livorno ans Meer chauffieren ließ. Vielleicht hatte der Fiatbesitzer mir meine von gestern noch knackenden Waden angesehen, denn er brachte mich sogar bis zum Ortsausgang, wo es einen bildschönen weißen Sandstrand gibt.
Nach der gestrigen Strapaze und auch aus Gründen der Hygiene war ein wenig Wellness dringend geboten. Auch meine Jeans gingen gleich mit baden, denn sie hatten es noch nötiger als ich. Nachdem der mediterrane Sonnenschein die Jeans getrocknet hatte, tuckerte ich über die Dörfer voran, Rosignano, Vada, Cecina und wie sie alle heißen, wo die lokalen Senioren auf den Mäuerchen des Kirchvorplatzes hocken wie die Krähen auf der Telefonleitung und bei einem Gläschen Rotwein den jungen Mädels hinterhergucken und Exoten wie Frank Eschersheimer beäugen - das war und ist das ländliche "Fernsehen" in Italia. Bei Campiglia beendete ich mein Tagewerk wieder mal in einem Weinberg, wo ich, vom heftigen Gefecht mit den gefügelten Minivampiren ermattet, in einen tiefen Schlaf fiel. 

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...wo die Senioren auf dem Mäuerchen am Kirchplatz hocken...

Das Ziel des nächsten Tages war Roma, ein Wiedersehen mit der ewigen Stadt. Von der Entfernung her rechnete ich mir gute Chancen aus und war gegen Mittag tatsächlich schon in Civitavecchia, wo ich den Hafen aufsuchte und mich über Preise und Fahrzeiten der Fähre nach Sardegna informierte. Zu meiner Erleichterung lagen die Passagierpreise für dieses unvermeidbare öffentliche Verkehrsmittel weit unter deutschem Niveau. So segelte ich auf schnellen Pneus via Santa Marinella und Ladispoli nach Roma, wo ich um Punkt 15:38 Uhr am Ufer des Tevere gegenüber Castel Sant'Angelo dem letzten Lift entstieg.
Da stand ich nun mit meinem Bündel, ohne Dach überm Kopf, ohne jemanden zu kennen, nur mit einer Handvoll Lire, einem Stadtplan aus den späten 1950er Jahren und viel Optimismus ausgestattet. Jetzt grins nicht über den von meinem Vater ererbten antiken Stadtplan. Die Stadt und ihre Eckpunkte Coliseo, Foro romano und Terme di Caracalla stehen schließlich seit gut 2500 Jahren unverändert an ihrem Platz.

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...am Ufer des Tevere gegenüber Castel Sant'Angelo...

Weil ich nicht mit meinem gesamten Gepäck durch die Stadt laufen wollte, ließ ich meinen Rödelsack in ein Schließfach im Bahnhof Termini plumpsen, obwohl ich dann die Nächte ohne Schlafsack verbringen musste; das erschien mir aber während der Tageshitze als das kleinere Übel. Nach Mitternacht änderte ich dann meine Meinung, aber da war es leider zu spät.
Im Bahnhof gibt es natürlich auch eine Toilette, wo ich mich mal wieder rasieren konnte, um die Römer und vor allem die Römerinnen nicht als teutonischer Waldschrat das Grausen zu lehren. Zu meiner Enttäuschung lag auf der Hauptpost keine Nachricht von Grissenda Nurieddu, die du aus dem Vorwort kennen müsstest, und die ich über meinen bevorstehenden Besuch informiert und um Antwort nach Roma gebeten hatte. Danach war es schon Zeit, der guten römischen Pizza erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen, und weil ich von Termini aus eigentlich nur mit dem Weg zum Coliseo und von da zu dem einschlägig bekannten Nonnenkloster vertraut war, trugen mich die Beine automatisch in jene Richtung.

Nein, Grissenda harrte dort nicht mehr meiner, denn sie war nach Ablauf ihrer Dienstzeit nach Sardegna zurückgekehrt, aber es gab dort in der Nähe den weitläufigen Park der Villa Celimontana, und während ich auf einer Parkbank die untergehende Sonne bewunderte, kam ein Parkwächter und warf alle Besucher einschließlich der Liebespaare und Penner raus, denn mit Einbruch der Finsternis werden die Parks zugesperrt. Da wusste ich sofort, wo ich die römischen Nächte ungestört verbringen konnte; nach einem Bummel durch die nächtliche Großstadt kletterte ich an einer dunklen Stelle über den Zaun und ließ mich, wie ein professioneller Stadtstreicher in den Corriere della sera gewickelt, auf einer Parkbank nieder. Bis drei Uhr früh hielt die Spätsommerwärme vor; danach vermisste ich meinen Schlafsack, der im Bahnhofsschließfach mit Sicherheit wärmere Nächte verbrachte als ich. Zum Glück fand sich aber in einer nahen Seitenstraße ein wunderschöner Mercedes der S-Klasse, dessen Motorhaube und Heck zerdellert und dessen Lampen abgeschraubt waren; auch die Tür war verbogen, aber leicht zu öffnen, während die Scheiben heil und die Polster weich waren, so dass ich erst durch den einsetzenden Berufsverkehr in den römischen Alltag zurückgeholt wurde.

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...in der Nähe den weitläufigen Park der Villa Celimontana...

Bei all ihrem Charme verfügt die italienische Kapitale über relativ wenige Obstbäume und Weinberge, weshalb ich zusehen musste, wie ich ohne allzu schmerzhafte Diät mit rund 1000 Lire pro Tag über die Runden kam. Zwei Brötchen und ein halber Liter Milch zum Frühstück, macht 110 Lire. Weil ich, äh, berufshalber Frühaufsteher war, musste am Vormittag noch ein Espresso oder Cappuccino für 80 Lire samt Trinkgeld her. Mittags fand ich mich in der Mensa der Uni ein oder beim Schnellimbiss am Bahnhof, am Nachmittag kostenloses Brunnenwasser und auch mal eine Cola, damit sind weitere 350 Lire dahin. Weil ich im Urlaub war, fand ich, dass auch Obst und ein Gelato zur Zufriedenheit gehörten, das sind schon wieder 200 Lire, und lieber würde ich zu Fuß in die Heimat zurücktippeln als am Abend auf die due etti (200 gr) Pizza zum Mitnehmen zu verzichten; mit 140 Lire schlägt dies zu Buche. Hotel und Transport sind für VIPs wie Frank natürlich kostenlos. Der gute Gruyère aus Nîmes war mittlerweile leider den Weg aller irdischen Güter gegangen, und eine neuerliche Bekanntschaft mit einem Formaggio-Meister wäre schon ein seltener Zufall gewesen. So schlug ich mich gut dreieinhalb Tage lang in Roma durch. Und warum machte ich mich nicht schleunigst auf die Socken nach Sardegna, um meine Holde zu treffen? Weil ich Tag für Tag auf der Post nach ihrer erhofften Antwort von der Schafhirteninsel fragte.

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...weil ich Tag für Tag auf der Post nach ihrer Antwort fragte...

Ich war in diesen dreieinhalb Tagen wohl der emsigste deutsche Tourist. Nichts blieb unbesucht, ich war auf der Via Veneto und Piazza Navona, in Pantheon und Villa Borghese, lief über Gianicolo und Campidoglio, Vaticano und Foro romano, traf Nero und Vespasiano, besuchte Cinecittà und Bocca della verità, San Paolo und San Giovanni, ich will dich nicht mit allem langweilen, sondern nur verraten, dass ich bis zuletzt ohne ein Lebenszeichen von der schwarzlockigen Grissenda blieb. Così fan tutte... Vielleicht spielte auch hier das Schicksal mit, denn sonst wäre ich heute womöglich Schäfer in den sardischen Bergen und Großvater einer größeren Schar von Bambini....
Als junger Mann war ich ja gut zu Fuß und im Park der Villa Celimontana schon beinahe zuhause, aber Italia besteht nicht nur aus römischem Pflaster. Ich befreite also meinen Beutel aus dem engen Schließfach, rasierte mich noch einmal und marschierte schon wieder quer durch die Kapitale, bis zur Via Aurelia, die kurz hinter der Città del Vaticano beginnt. Das Rasieren hatte sich wieder mal gelohnt, denn ein stattliches blondes Wesen, Typ Oktoberfestkellnerin, gab mir den ersten Lift, und da ihr Italienisch noch alpiner klang als meines, tippte ich auf bayerischen Migrationshintergrund. Richtig, sie war Flight attendant bei der Alitalia auf der Linie Roma - München...

Civitavecchia erreichte ich gegen 17 Uhr und löste gleich das Billet für die lustige Seefahrt nach Olbia, die um 23 Uhr startete. Ein Pulk von sardischen Soldaten auf Heimaturlaub wartete im Hafen und vertrieb sich die Zeit mit seltsamen Gesängen und mit sa murra, dem sardischen Knobelspiel. Gegen 21 öffnete der Kahn seine Luken und ließ die Meute an Bord, und unter all den soldati, deren Anzahl sich mittlerweile mindestens vervierfacht hatte, war ich einer der wenigen Zivilisten und kam mir vor wie ein blinder Passagier auf einem marinierten Kriegsschiff. Als die "Città di Nuoro" die Anker lichtete, hallte das Deck wider von archaischen Gesängen, und auch unter Deck war nicht gerade stille Nacht, aber wer wird den Jungs ihre Vorfreude auf den Besuch ihrer Heimat und ihrer Lieben übelnehmen? Irgendwann sind die singenden und brüllenden Kehlen ausgetrocknet, und auch der fahrigste Irrwisch sinkt, vom Rotwein eingeschläfert, in seine poltrona, so dass auch ich, von den vergangenen Parkbank- und Autositznächten nicht gerade verwöhnt, auf meiner ersten Seefahrt zu einer leidlich bequemen und erholsam warmen Nacht kam.

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...als die "Città di Nuoro" gegen 23 Uhr die Anker lichtete...

Um Punkt 6 Uhr früh rumpelte der Kahn an die Mole in Olbia. Es war noch dunkel, als ich sardischen Boden betrat. Meine erste Insel. Wie im Vorwort schon kurz dargelegt, hatte sich nie zuvor ein junges Mädchen so spontan in mich verliebt wie die kleine Grissenda Nurieddu aus einem Dörflein namens Palmas Arborea tief in der sardischen Wildnis. Als ich drei Jahre zuvor auf Klassenfahrt nach Roma gekommen war und im Gästehaus eines Nonnenklosters wohnte, gestand mir dieses blutjunge Dienstmädchen, dass ihr mein fröhliches Pfeifen und holpriges Italienisch unversehens das Herzchen entflammt habe. Ich war von ihrer schlichten, aber aufrichtigen Art, ihre Zuneigung zu zeigen, gerührt. Die Nonnen boten Töchtern armer Leute vom Land vormittags den Besuch einer Berufsschule und Kost und Logis, wofür die fanciulle aber den Rest des Tages als Dienstmädchen im Kloster arbeiten mussten.
Nun war ich hier angelandet, um jener sardischen Grissenda ohne Aufsicht der Unzucht witternden Non
nen mal wieder
ein "ciao" zu sagen, mehr nicht. Na ja, und vielleicht auch ein Küsschen zu erbeuten. Ab und zu hatte sie mir seither Postkarten mit "saluti con tantissimo affetto" geschickt und in ihrer letzten Nachricht mitgeteilt, dass sie eine Karriere als Krankenschwester anstrebe und sich zu einem Lehrgang gemeldet habe. War das nicht ein guter Grund, entlegene Inseln zu erforschen, die sonst kaum jemand als Reiseziel erwählte?

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...um Punkt 6 Uhr früh rumpelte der Kahn an die Mole in Olbia...

Seinerzeit gab es zwar schon einige Villen betuchter Ausländer an der bekannten Costa Smeralda ganz oben im Nordosten der Insel, aber sonst war das Eiland auch mental abgeschieden selbst vom italienischen Festland und bewahrte noch viele seiner urtümlichen Eigenschaften, seine alten Lieder, die ich auf der Seefahrt zu hören bekam und mit denen die heimreisenden Wehrpflichtigen ihre Zugehörigkeit zum sardischen Volk bewiesen. Bis heute erinnere ich mich an das schmissige Lied "A s'andira, a s'andira, andira andira allirò". Zwar sprechen heute alle Sarden Italienisch, aber die meisten beherrschten 1969 auch noch Sardisch, das sich vom Italienischen stark unterscheidet und viele lateinische Wörter wie "ianna" (Tür, lat. ianua) bewahrt. Wenn ein Italiener will, dass du das Maul hältst, ruft er "stai zitto!", während der Sarde "istadi mudu!" sagt.
Weiß der Teufel, wo dieses Palmas Arborea liegt, damals gab es noch kein Gugelmops, und ein sardisches Dörflein dieser Größenordnung verzeichnete kein für mich erreichbarer Atlas. Dem Poststempel nach musste es in der Gegend von Maristanis (Oristano) stecken, was von Olbia aus, das am tyrrhenischen Meer liegt, eine Fahrt quer über die Insel auf deren Westseite bedeutete. Eine Straßenkarte musste her. Der einzige Shop, der im Morgendämmern schon offen hatte, war die Tankstelle am Hafen, wo ich auf meine Anfrage hin eine mappa stradale "Italia" der Firma Shell geschenkt bekam, auf der ganz Sardegna gerade einmal die Größe einer italienischen Tomate hatte. Aber auch auf diesem guten Stück war weder in der näheren noch weiteren Umgebung von Maristanis (Oristano) ein Palmas Arborea zu finden, das übrigens heute Prammas heißt. Wie die Tribalisten in allen Ecken Europas es vorgemacht haben, verwenden auch die Sarden, je weniger sie noch Sardisch sprechen, desto hartnäckiger die alten sardischen Bezeichnungen ihrer Gemeinden. 
Als nächstes geriet mir ein Weinberg ins Visier, der mich daran erinnerte, dass es Zeit fürs Frühstück und für einen Vitaminstoß war, und dann versuchte ich mein Glück an der Straße nach Tàttari (Sassari). Schon das zweite Auto hielt und brachte mich nach Telti, und von da chauffierte man mich sofort nach Monti - die Autofahrer sind sehr liebenswürdig und kooperativ, fahren aber jeweils nur ins Nachbardorf. Das sind immer so etwa zehn Kilometer, und dazwischen liegt braungrüne Macchia.

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...und dazwischen liegt braungrüne Macchia...

Die Universität des Lebens brachte mir indes allerlei neue Erkenntnisse. Dieses Greenhorn von Frank hatte bislang noch nie einen leibhaftigen Mandelbaum gesehen und wusste auch nicht, dass man die stachligen Früchte der Fichidindia (auch Ficchi d'India), der allgegenwärtigen sardischen Kakteen, ebenso essen kann wie die frischen grünen oder violetten Feigen von den Bäumen am Straßenrand. Heute gibt's die auch im Supermarkt von Pasewalk, aber 1969 dachte der durchschnittliche Deutsche, zu denen Frank sich zählen durfte, bei Feigen an diese harten, braunen getrockneten Dinger, die auf dem Weihnachtsteller zwischen Nüssen und Plätzchen lagen, und bei Mandeln an die braunen Nüsslein, die man beim Kuchenbacken benötigt und von denen jede zehnte speibitter ist. Sardegna ist voller Nahrungsmittel, man muss sie nur erst mal erkennen und sich Mühe geben mit den harten Mandelschalen und den sehr stachelichten Kakteenfrüchten, deren Inhalt, ein leckerer süßer Mus, von steinharten Minikernen durchsetzt ist, die man entweder ausspuckt oder runterschluckt. Das Ergebnis ist dasselbe, denn ob sie oben oder unten herauskommen, sie bleiben unversehrt und bewirken die Geburt neuer Kakteen. Jedenfalls stillt das Zeug sowohl Hunger als auch Durst und sorgt sogar für einen Zeitvertreib, wenn mal kein Auto kommt, denn die Finger von den feinen Stacheln zu befreien, das ist ein länger währendes Geduldsspiel.

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...ihr Inhalt, ein süßer Mus, ist von steinharten Minikernen durchsetzt...

Die Straßen dieser Gegend sind vermutlich seit ihrem ersten Asphaltieren vor etlichen Jahrzehnten nicht mehr ausgebessert worden. Vielleicht ist der Zustand der Chaussee mit ein Grund dafür, dass sich nur durchschnittlich alle zwanzig Minuten ein motorgetriebenes Verhikel in meiner Fahrtrichtung zeigte, aber dafür hält wirklich fast jeder an, die Leute sind erstaunlich gutwillig. Wer nicht anhält, hat entweder den Wagen voll bis unters Dach oder er ist kein Einheimischer. Man sieht überhaupt nirgendwo Leute, die Insel besteht nur aus weiter, bergiger Landschaft, Solitüde und endloser Stille.
Auch Olbia war seinerzeit noch nicht mehr als ein größeres Dorf, hinter der zweiten Kreuzung war es zu Ende. Ich kam 2018, also rund ein halbes Jahrhundert später, erneut nach Olbia und kippte echt aus den Latschen angesichts dieser Großstadt mit Parkhäusern und Shopping Centres, Sheratons und MacDonalderias, Swarovski und Dior. Aber 1969 war jeder fünfte Sarde Gastarbeiter auf dem italienischen Festland oder in Germania, und zurückgeblieben waren nur ein paar Alte, viele Schafe, Esel, Hirten, Banditi, Steine, Berge und Kakteen. In den Dörfern starrten die wenigen Kinder dem Fremden mit seinem Bündel auf dem Buckel hinterher wie dem Weihnachtsmann persönlich und klammerten sich verschreckt und nasbohrend an die dunklen Röcke der Mamma.
So tuckerte ich von Dorf zu Dorf, von Monti nach Oscheri (Oschiri), denn wer fährt schon weiter als bis ins Nachbardorf? Die seltsamsten automobilen Antiquitäten keuchen hier über den löcherigen Straßenbelag und halten alle, alle an, wenn man winkt. Auch wenn schon vier Personen in dem alten Cinquecento sitzen, so ein Fremdling mit Gepäck, den kriegen wir doch noch mit rein, nicht, dass er uns hier in der Macchia versauert!

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...so tuckerte ich von Dorf zu Dorf nach Oscheri...

Tàttari (Sassari) war die erste richtige Stadt, und eine recht hübsche obendrein. Trotz des Kleinkleins meiner Lifts war es erst gegen Mittag, denn ich war ja sehr zeitig aufgestanden, und bis nach S'Alighera (Alghero) ging es sogar in einem Rutsch durch, denn zwischen größeren Orten herrscht auch mehr Fernverkehr. Vielleicht assoziiert man in Sardegna den alten Dante mit S'Alighera anstelle von Alighieri, denn die dortige Bucht nennt sich Mar Dante, und weil der weiße Strand für mich mehr nach Paradiso als nach Purgatorio aussah, stürzte ich mich, wenngleich ohne Beatrice, in die warmen Fluten, denn der Tag war zur Mittagszeit ziemlich heiß geworden. Und weil es dort so schön war, blieb ich bis zum Einbruch der Dunkelheit und rollte mich zwischen den Dünen in meinen Schlafsack, froh, dass es vor Ort keine Schnaken zu geben schien.
Per Anhalter von S'Alighera aus in Richtung Maristanis (Oristano) voranzukommen, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Offenbar hat sich die Erfindung benzinbetriebener Kutschen noch nicht in alle Winkel dieses entlegenen Eilands herumgesprochen. Bis gegen Mittag rührte sich in meiner Richtung so gut wie nichts, und die Entfernung, die ich dann mitgenommen wurde, hätte ich in der verflossenen Zeit auch gemächlich zu Fuß zurücklegen könnnen. Auch in der Folgezeit ging es nur von Dorf zu Dorf voran, und die Straße wandelte sich in eine unasphaltierte, steinige Piste, was in der Hitze des frühen Nachmittags von Vorteil war. Ich konnte mich nämlich unter einen schattigen Feigenbaum legen, Früchte naschen und vor mich hindösen, denn wenn sich ein Fahrzeug nähert, erkennt man von fern schon die gewaltige Staubwolke, lange bevor das Motorgebrümmel die wunderbare sardische Stille aufstört.

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...die Straße wandelte sich in eine unasphaltierte Piste...

Ich genoss es in vollen Zügen, nicht voranzukommen. Wie herrlich ist es doch, in einer so großartigen Landschaft aus dem Schatten heraus zum tiefblauen Himmel aufzuschauen und die reine, flimmernde Luft sanft den ganzen Körper streicheln zu lassen. Die Macchia duftet in einer ganz eigenartigen, hinreißenden Mischung aus Sommerglast, würzigen Kräutern und süßlichem Feigen-Odeur und trägt pausenlos eine leise Hintergrundmusik bimmelnder Glöckchen herbei, die jedes einzelne Schaf um den Hals trägt. Die gesamte Insel ist mit Schafherden besprenkelt, und wenn sie näherkommen, klingelt und bimmelt es, als seien Scharen von Pagliacci und Arlecchini unterwegs. Ich war so entzückt, dass ich den Autofahrern und ihren engen, stickigen Vehikeln nicht dafür grollte, dass sie nicht hier entlang ratterten und die Idylle in eine Wolke von Staub und Mief hüllten. Ich langte mir wilde Birnen, Feigen, Mandeln und Trauben aus der Natur, knackte die eine oder andere besonders reife Kaktusfrucht, kaute auf meiner braunen Wiese an einem Grashalm und schaute mir das makellose Blau des Himmels an, die Schäfer beneidend, die ihr ganzes Leben hier verbringen.

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...ich genoss es in vollen Zügen, nicht voranzukommen...

Meine Gedanken schweiften in die Ferne und kreisten bald um meinen Freiheitstraum. War es nicht genau das, was ich mir darunter vorgestellt hatte? Nach Lust und Laune in herrlicher Natur zu liegen, aufzustehen oder liegen zu bleiben, wann immer ich dazu Lust hatte, in Richtung Tàttari (Sassari) oder Càlares (Cagliari) oder Nùgoro (Nuoro) zu reisen, denn niemand machte mir Vorschriften? Aber ich warne dich, zu viel Denkerei ist ungesund und gefährlich. Stell dir vor, ein Gewitter zieht auf. Oder meine Lire gehen zur Neige. Oder das bereits angefangene Semester klopft am Gewissen des Freiheitsdenkers an. Auch der sardische Winter dürfte nicht mit Trauben und Feigen zu Diensten stehen. So frei ich mich in dieser Idylle fühlte, die Zwänge waren nur vorübergehend außer Sicht geraten, und meine grenzenlose Freiheit, ja, die war wohl nur ein schöner Traum.
Am Abend stand ich, anders als geplant, noch lange nicht in Maristanis, sondern erst in Cossoine, das war nur etwa die Hälfte der 132 km Wegstrecke. Es gab keine andere Möglichkeit, als in der Macchia unter freiem Sternenhimmel zu nächtigen, was schöner war als jedes noch so komfortable Hotelzimmer.


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...in der Macchia unter freiem Sternenhimmel nächtigen...

Ob Sternenzimmer oder Hotelhimmel, am Morgen kam jedenfalls ein junger Genovese des Weges gefahren und chauffierte mich in einem Rutsch bis nach Maristanis (Oristano). Über meine Erzählungen von der Genoveser Stadtdurchquerung von Pegli bis Nervi amüsierte sich der Fahrer köstlich und setzte seinen unterhaltsamen Fahrgast vor dem Postamt ab, weil mir eingefallen war, dass in ganz Italien, das in diesen Jahren gerade mit der Einführung von Postleitzahlen beschäftigt war, auf allen Postämtern sehr genaue Karten aushingen, in denen jedes noch so unbedeutende Viertel samt PLZ verzeichnet war. So machte ich mich über Prammas (Palmas Arborea) kundig und fand es in der Tat in nicht allzu weiter Entfernung, geschätzte zwei Stunden zu Fuß im Hinterland. Gestärkt durch den Caffè, den mir der freundliche Genovese als Entschädigung für meine Plagen in seiner Heimatstadt spendiert hatte, begann ich meine gepäcklose Wanderung, denn mein Bündel ruhte in einem Schließfach im örtlichen Bahnhof.

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...Gestrüpp, Olivenbäume, Korkeichen und Kakteen über und über...

Zunächst genoss ich, ähnlich wie am Vortag, die ländliche Idylle außerhalb des Städtchens Maristanis. Zuerst kam Santa Giusta, eine Art Vorort, der noch einige kleinstädtische Züge aufwies, und danach begann die richtige Macchia. Gestrüpp, Olivenbäume, Korkeichen und Kakteen über und über, die hier nach Belieben wachsen und auf dem harten, trockenen und steinigen Grund so gutwillig gedeihen, dass man sie als Umzäunung der Viehweiden und Obstfelder anpflanzt. Mit ihren furchterregenden Stacheln sind sie wirksamer als der beste DDR-Stacheldraht, der 1969 noch sehr in Mode war. Mit Bedauern stellte ich fest, dass auch die Weinranken und Feigenbäume auf diese Weise vor meinem Zugriff geschützt waren. Nur karges Weideland, spärliche Weinreben und Korkeichen ringsumher, ab und zu ein Gehöft oder ein Dorf aus wenigen Häusern, deren Bewohner mich verwundert und misstrauisch musterten. Beim Weitergehen spürte ich förmlich ihre Blicke im Rücken, die mir schweigend folgten.
Allmählich kamen mir Bedenken, in einem solchen Landstrich ein junges Mädchen aufsuchen zu wollen. Auf die briefliche Ankündigung meines Besuchs in Sardegna hatte ich nur eine sehr vage Zustimmung erhalten, der erbetene Brief an die Hauptpost in Roma, postlagernd, war jedoch ausgeblieben. Na schön, was soll's, angucken kannst du dir die Gegend trotzdem, hatte ich gedacht, aber hier ist eine andere Welt als Deutschland, das wurde mir bei jedem Schritt stärker bewusst. Jemand von den Autofahrern hatte mir erzählt, dass die Leute auf dem Land an Geister und Seelen der Toten glauben und dass sie nach Einbruch der Dunkelheit kein Putz- oder Spülwasser mehr in den Graben vor dem Haus schütten, aus Furcht, den Schutzengel, der unsichtbar vor der Türe steht und Wache hält, zu treffen und zu vergrätzen.

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...deren Bewohner mich verwundert musterten...

Der Chor der Spötter unter meinen Klassenkameraden war nichts gegen den Orkan von Gerede, den der Besuch eines Ausländers in einem solchen ländlichen Nest auslösen muss, wenn sein Ziel ausgerechnet ein junges Mädchen ist. Und ich malte mir aus, welches Spießrutenlaufen danach jeder weitere Gang durch ihr Heimatdorf für Grissenda sein muss. Und dass ihre seinerzeit entflammten Gefühle trotz mancher Postkarte voller affetto keine drei weiteren Jahre lang weiterköcheln würden, erschien mir nur logisch. Ich hatte mir das so vorgestellt, dass wir uns in einem Café treffen, das Wiedersehen genießen und von damals erzählen würden, mehr wollte ich ja gar nicht, aber das mag tun, wer in Heidelberg sein Herz verloren hat.
Je näher ich an Prammas herankam, das bedeutendste und trotzdem nur sehr kleine Nest der Region Arborea, desto mehr schwand mir der Mut. Mir selbst hätte ein missverstandener oder missglückter Auftritt in einem sardischen Haus nicht viel ausgemacht, anderntags wäre ich wieder on the road, aber wenn ich mir vorstellte, dass die arme Grissenda, wie zuvor vermutlich schon bei den Nonnen, auch in ihrer Heimat fortan einen äußerst unangenehmen Stand hätte, war ich dicht davor, kehrt zu machen. Am Dorfrand, beim Friedhof, hockte ich mich auf einen buschigen Hügel und hielt mit mir Rat. Ohne gar nichts umzukehren war allzu blöde, nachdem ich durch halb Europa gezischt war, um eine Kleine zu treffen. Und dann hundert Meter vor ihrem Häusel kehrt zu machen, das wäre doch ein übler Flop. Einerseits. Aber andrerseits wollte ich das arme Kind wirklich nicht in Verlegenheit bringen, das mir nichts weiter angetan hatte, als sich in einem Anfall von Teenager-Leichtsinn mal kurz zu verlieben.
Um ihr für den Fall, dass sie nicht zu Hause war, eine Nachricht in den Briefkasten zu legen, hatte ich einen Umschlag und Papier mitgenommen. Ich schrieb etwas Unverfängliches hin und deutete an, dass ihr "cugino" gekommen sei und unter dem Nussbaum am Friedhof an der Landstraße nach Maristanis (Oristano) hocke. Einen Dreikäsehoch, der des Weges kam, fragte ich, ob er die Grissenda Nurieddu kenne und wisse, wo sie wohne. Bei der "Größe" dieses Dörfleins war die Frage überflüssig gewesen, man konnte von meinem Hügel aus das betreffende Haus sehen, auf das der Junge wies. Ich drückte ihm 100 Lire in die Hand, damit er das Briefchen abgebe, und versprach ihm weitere 100 Lire, falls er eine Antwort oder das Mädel herbeischaffe.

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...ich machte auf dem Dorfplatz von Palmas Arborea kehrt...

Um es kurz zu machen: Ich konnte die restlichen 100 Lire für Nahrungsmittel oder Postkarten verwenden, in Maristanis. Bis zur Dämmerung kam weder der Knabe zurück noch gar die Grissenda gelaufen. Das Wahrscheinlichste war, wie mir während meiner langen Wartezeit durch den Kopf ging, dass sie gerade in Maristanis oder Tàttari in der Krankenschwesternschule hockte und Kanülen setzen oder Verbandwickeln übte, während mir hier die Nüsse auf den Kopf fielen und die von den Feldern heimkehrenden Dorfleute anfingen, über den seltsamen Fremdling zu munkeln, der den Dorfeingang bewachte. Den Blicken nach zu urteilen, die mich auf meinem Gang durch das Dorf im letzten Abendlicht verfolgten, traute man mir jede Schandtat zu. Weil ich keine Lust hatte, von irgendwelchen Antonios, Giovannis oder Giuseppes aus dem Ort geprügelt zu werden, ging ich an dem namensschild- und briefkastenlosen Haus, das mir der Knirps gezeigt hatte, nur langsam vorbei, ohne mir erhöhtes Interesse anmerken zu lassen, machte auf dem Dorfplatz kehrt und tippelte dann, dem Abendrot im Westen hinterherlaufend, wieder in Richtung Maristanis zurück. Das war's, Prammas (Palmas) Arborea.

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...keine Lust, von irgendwelchen Giuseppes
aus dem Dorf geprügelt zu werden...


Inmitten der rauen Nachtlandschaft, vor der mächtigen Kulisse der sardischen Berge, in denen angeblich die berüchtigten Banditi hausen, machte ich mir abseits aller Wege in einer sandigen Kuhle ein Feuerchen, vertrieb einen hungrigen Köter, der von dem kargen Abendmahl noch etwas abbekommen wollte, und rollte mich dann unter einem Feigenbaum zur Nachtruhe. In ganz Sardegna scheint es keine Stechmücken zu geben, gesegnetes Land!


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