Ihr seid ja verrückt!

lautete die bereits erahnte Antwort.

Ferner logierten im Menduli Guesthouse ein Schotte, ein Texaner und ein bebrillter Papua. Dieser gelehrte Mensch ist Professor für Erziehungswissenschaften an der Fakultät in Goroka und derzeit auf Inspektion der Urwaldschulen im südlichen Hochland. Da gibt es in der Tat allerhand zu regeln, denn die Zeitung vom 6.August 1991 meldet:

Aus unbekanntem Motiv wurde ein Schuljunge von Kameraden eines anderen Stammes totgeschlagen. Aus Sicherheitsgründen musste die Schule mehrere Monate geschlossen bleiben, bis die beteiligten Stämme die Reparationszahlungen ausgehandelt und in einer traditionellen Zeremonie Frieden geschlossen hatten.

Auch der Schotte Simon McLaren und der Texaner Lannis Temple sind auf Schulbesuch; für ein Buch recherchieren sie über ungewöhnliche Schulen in der ganzen Welt und haben schon 36 Länder abgehakt. Jetzt wollen sie im südlichen Hochland eine Grundschule am Kutubu-See besichtigen, zu der die Kinder im Einbaum über den See rudern oder über Urwaldpfade getippelt kommen. Und die Bayern wollen nach Tari zu den Kriegern des Huli-Stammes, die ihren Frauen die Haare (nicht die Köpfe!) abschneiden und sich ulkige Perücken daraus flechten.

Ja, der Kutubu-See, da wollen wir auch hin. 
"In märchenhafter Landschaft und unberührter Natur gelegen, ideales Klima in etwa 500 m Höhe, Bevölkerung in den umliegenden Dörfern führt ihre traditionelle Lebensweise. Seltene Orchideen, riesige Schmetterlinge sowie Papuas schönste Paradiesvogel-Art Raggiana sind dort leicht zu sehen..." 
Und da gibt es eine Herberge, im Stil der Papua Hütten gebaut und von Einheimischen betrieben, Kutubu Lodge. Im See kann man baden und fischen. Kurzum,
der Geheimtipp!

Nun hat freilich jede Rose ihre Dornen. So verdankt die Natur ihre Unberührtheit schließlich der Tatsache, dass der See und Kutubu Lodge nicht per Landstraße erreichbar sind, ja nicht einmal über einen Telefonanschluss verfügen. Man kann von einem Dorf in der Nähe von Mendi aus wandern, dreieinhalb Tage zu Fuß, aber ohne einheimischen Guide verläuft man sich im unbeschilderten Urwald. Besser ist es, von Mendi aus nach Pimaga zu fliegen und von dort aus 5 Stunden bis nach Gesege zu latschen. Gesege ist der Hafen des Kutubu-Sees, und da kann man sich dann in einem Einbaum zum Lodge paddeln (5 Stunden) oder knattern (1 Stunde) lassen. Dann gibt es noch eine dritte Möglichkeit, und die haben wir gewählt. Aber die steht in keinem Guidebook.

Stell dir vor, wie froh wir waren, das gleiche Reiseziel zu haben wie Simon McLaren. Mit einem Schotten unterwegs sein, da müsste sich doch so manche Kina einsparen lassen. Aber die Freude erhielt einen Dämpfer.

"Und wie gedenkt ihr, zum Kutubu-See zu kommen?", fragte er ganz unschuldig. Es stellte sich heraus, dass er zusammen mit dem Texaner Lannis nun schon den dritten Tag in Mendi festsaß und auf den Flug nach Pimaga wartete. Laut Flugplan fliegt die MAF (Missionary Aviation Fellowship, von bösen Zungen auch als "Missionary Air Force" verspottet), das Flugnetz der christlichen Missionare, die für alle die Sand-, Urwald- und Klippen-Pisten des Landes zuständig ist, die kein heidnischer Flieger ohne Schutzengel anzusteuern wagte, täglich (außer Samstag und Sonntag) nach Pimaga hin und zurück. Natürlich nicht per Jumbo Jet, sondern mit einer 6sitzigen Cessna, die auch bereits tatendurstig auf dem Flugplatz von Mendi bereit stand. Aber wenn dem Piloten die Wolkensuppe, die er im Sichtflug umschiffen muss, zu dick ist, dann bleibt der Flieger am Boden. Morgen ist Donnerstag, die vorletzte Möglichkeit in dieser Woche, und der Pilot will um halb 8 in der Frühe starten, falls der Himmel oder der Pilot wider Erwarten blau sein sollte.

Der nächtliche Regen klang nicht sonderlich hoffnungsträchtig, aber der Pilot, ein indisch-australischer Mulatte, fuhr um Punkt 7 am Menduli Guesthouse nüchtern mit seinem Landrover vor, um seine Passagiere abzuholen. Nicht dass es in PNG generell üblich ist, dass die Piloten ihre Fluggäste persönlich einsammeln, aber er wohnte halt, in diesem 12-Hütten-Ort kein sonderlicher Zufall, gleich um die Ecke und hatte mit Simon und Lannis schon mehrere Tage lang die nassgrauen Wolken, mal dichter, mal lichter, von unten beäugt, so dass sie sozusagen schon per du waren, natürlich symbolisch gesprochen. Übersetz mal den Satz "Sie können du zu mir sagen" auf Englisch, da lernst du die Tücken der Linguistik kennen, an denen schon der Bundesheini Lübke grandios gescheitert war. Aber von der Linguistik zurück zur Meteorologie.

Also, die ersten drei Stunden auf dem stillen Airport von Mendi waren ja noch erträglich, aber dann wurde es langweilig, denn die vorüberfetzenden Wolkenschleier des Hochlandes ließen keine Illusionen aufkommen. Gegen 11 Uhr aber klarte es unverhofft auf, und der Pilot ließ seine Windmühle volltanken. Während wir unsere Beutel schon hinter den Sitzen verstauten, hockte sich der Draiwa nochmal an sein Funkgerät, um die Lage in Pimaga zu erkunden. Als er zurückkam und "ihr könnt eure Sachen wieder auspacken, in Pimaga regnet es seit zwei Stunden" sagte, hatte Lannis die Schnauze voll. Simon stand dem melanesischen Zeitgefühl näher als der amerikanische Businessman, und bestätigte leutselig und wortreich bei jeder neu aufziehenden Wolkenwand die Ähnlichkeit des hiesigen Klimas mit dem seiner schottischen Heimat, während Lannis voller Ingrimm über das Flugfeld stiefelte wie ein bengalischer Tiger durch seinen Zwinger.

helikopp

Auf dem wolkenbedeckten Airport zu Mendi

Da stand nämlich noch mehr Fluggerät herum, zwei Propellermaschinen der Milne Bay Airways, die die entlegenen Inseln bedienen, und zwei Helikopter verschiedener privater Unternehmen. Wo immer ein Rotor angeworfen wurde, stand Lannis daneben und fragte nach einem Lift in Richtung Pimaga, aber die MBA-Maschinen warteten ebenfalls auf gutes Wetter, um dann in die Gegenrichtung nach Mt. Hagen abzusurren, und der eine der beiden Hubschrauber wurde gerade mit Matratzen beladen, eine Fracht in ein abgelegenes Urwalddorf. Dass der aber dann trotz dunkler Regenwolken abhob und unter der Wolkendecke knapp über den Palmwipfeln auf Sicht davonknatterte, ließ Lannis keine Ruhe. Als das Ding wie ein uriges Insekt eine Stunde später wieder zurückgeschraubt kam, hatte Lannis den Drehflügler mitsamt Chris, dem Piloten, für 800 K gechartert, nachdem er sich vergewissert hatte, dass wir uns mit einem symbolischen Anteil von 100 K pro Kopf beteiligen würden.

"Taim i moni", würde man auf Tok Pisin sagen, sagt man aber nicht, denn dieser Spruch ist so uramerikanisch, dass er hier auf Unverständnis stieße. Aber Lannis rechnete uns lautstark vor, wie viel ein Aufenthalt im Menduli Guesthouse bis nächsten Montag kosten würde, samt Kaikai und Langeweile und der Ungewissheit, ob der Indoaustralier dann endlich abheben würde, und da wir unseren kleinen Anteil beizutragen gewillt waren, wurde das Forschungsbudget der beiden Grundschulforscher nur knapp überzogen, was sich mit Simons Geschicklichkeit sicher später irgendwo wieder einsparen ließe. So winkten wir dem Cessna-Mulatten von oben zu, hoppten über Urwalddörfer und wilde Schluchten gen Süden, wo die Hochland-Flora allmählich in Tiefland-Urwald überging, sahen uns aus der Luft den Trail an, den wir von Pimaga aus hätten entlangtapern müssen, schwebten über Sagopalmen zum See, den wir mit den teuren Außenbord-Einbaum hätten bewältigen müssen, und landeten 30 Minuten später auf dem Heliport von Kutubu Lodge.

vogelschau

Pimaga-Trail mit Papua-Dorf aus der Vogelschau

Wie die Eichhörnchen sprangen wir aus dem Knattermann, der uns beinahe umblies, sofort wieder abhob und sich, erneut die Reiher in der unberührten Natur aufstörend, davonröhrend in die Wolkendecke schraubte. Die Horde schwarzer Kiddies, die johlend und juchzend um den Hubschrauber gesprungen waren, brachte uns zur Empfangshütte und verschwand dann wie die Heinzelmännchen im Busch.

Hoch auf einer Landzunge im klaren See steht ein gutes Dutzend aus rohen Holzstämmen gezimmerter, mit Sagopalmwedeln gedeckter Hütten. Die besseren enthalten bis zu drei Betten, Mosquitonetz und Blick auf den See, die billigeren enthalten Spinnweben, muffige Luft und stehen fensterlos fern vom See am Urwaldrand, wo im nahen Tümpel Frösche quaken und malariaschnorchelige Mosquitos gezüchtet werden. Die Seeblick-Hütten mit Veranda kosten "nur" 69 Kina pro Person und Übernachtung, das sind 155 Euro für uns beide, und trotzdem musst du zum Duschen in das "haus waswas" (Waschhaus) und zum Pinkeln in das "liklik haus" (Häuschen) turnen, über lehmig-glitschige Wege und gern auch des Nachts und bei strömendem Regen, denn die teuren Lattengitterwetterkotterhütten enthalten weder Wasser noch WC. Mann, dafür kannst du auf Gran Canaria 3 Tage lang im Luxushotel nächtigen! Wahrscheinlich meinte Lawrence, der griesgrämige Manager, wer im Helikopter eingeschwebt kommt, der zahlt klaglos jeden Preis. Er konnte ja nicht ahnen, dass da ein Schotte mit dabei war. So trafen wir uns alle in einer der lichtlosen Pfahlbau-Spinnwebhütten wieder, denn so ein Lattenverschlag, zu erklimmen über einen schräg gestellten Baumstamm, in welchen Stufen genagt worden waren, ist für 10 Kina pro Tag zu mieten, egal wie viele Leute da reinkriechen. Und auch dabei witterte Lawrence noch ein Geschäft, indem er für das unmöblierte Kabuff Matratzen und Mosquitonetze zum Leasing offerierte. Wir schlugen in der Hütte aber einfach unser Zelt auf, das ist mosquitodicht und innen sauber, da brauchen wir auch keine wanzigen, teuren Matratzen auszuleihen.

kutubuhuette lattenhuette
Kutubu Lodge - Komfort-Suite mit Seeblick.... ....und Spinnwebhütte mit origineller Treppe und Zelt drin

Aus ebensolchen Bohlen gezimmert, aber eine repräsentative Nummer größer und rundherum mit freiem, luftigem Blick auf See und Regenwald, ist das Empfangsgebäude der Lodge, zugleich Lobby, Bar, Speisesaal und Aufenthaltsraum. Abends macht Lawrence oder einer seiner Helfer an der Feuerstelle ein Flackerchen an, das zugleich wärmt und die Mosquitos fernhält, und der grummelnde Generator, im Dschungelgrün versteckt, bringt Neonlicht ins Dunkel und unser Abendmahl zum Brutzeln. Spätestens um 16 Uhr setzt der Tropenregen ein, und unerwartet triefen da aus dem Busch zwei Regencapes heran, trotten zum Feuer und glotzen uns ebenso verwundert an wie wir sie: Die beiden Vogelkundler aus Belgien hatten, ebenso wie wir, geglaubt, sie seien die einzigen Gäste im Kutubu Lodge.

mutter TOK SAVE


Was blubbert eigentlich in den Kochtöpfen der Papuahütten? Um gleich mit der Antwort ins Haus zu fallen: Es ist uns leider nicht vergönnt gewesen, die Topfdeckel und ihr Geheimnis je zu lüften. Man sieht die Frauen, wie sie mit klobigen Prügeln auf - nein, nicht ihre Männer, sondern auf - nasse Sagopalmschnipsel eindreschen, mit Wasser die Stärke ausspülen und in einem Sacksieb auffangen, aber selbst das von Einheimischen errichtete und betriebene Kutubu Lodge hütet die lokalen kulinarischen Geheimnisse und füttert die Gäste mit White-man-food: Bacon and eggs mit Cornflakes am ersten, Cornflakes mit eggs and bacon am zweiten Tag zum Frühstück, und abends Fritten mit Lamm, Fritten mit Chicken und dann, weil der Nachschub wegen Dauerregens im Schlamm stecken geblieben war, nur noch Chicken und Chicken und Chicken....

"Der geht jeden Morgen in den Busch, fängt ein paar Paradiesvögel und grillt sie uns am Abend als Hendln", foppen wir den Vogelfreund Ronnie, der seufzend seine dritte Flasche Bier leergluckert.

 

Ein sonniger Morgen lockte uns zu einem Tagesausflug in den Busch. Da ist das Grün freilich so undurchdringlich, dass auch Sonnenschein nichts nützt: Der tägliche Regen steht überall in Pfützen und Tümpeln am Boden, tropft von den Blättern und schwappt in die Schuhe. schlammWer sich nicht darauf gefasst macht, bis an die Knie morastig koloriert und schlammig dekoriert zurückzukommen, mit lehmigen Orden am Po und an den Ellenbogen, Souvenir von Glitschpartien auf schlüpfriger Schräge, der soll sich den Regenwald lieber im Fernsehen anschauen. Da wir auf Reisen in derartige Länder nur solche Lumpen mitnehmen, die längst in die Altkleidersammlung gehören und schmerzlos unterwegs entsorgt werden können, platschten und matschten wir voller Lust durch Sumpf und Senken. Um uns keinen Riesenschmetterling und Paradiesvogel entgehen zu lassen, waren die Blicke meist nach oben gerichtet, während die Füße durch den Schlick rutschten. Deshalb dauerte es eine geraume Weile, bis wir die Blutegel entdeckten, die sich mit Eifer durch Socken und Hosenbeine zu beißen trachteten. Da haben sie nun ein Egelleben lang auf uns gewartet und werden dann so einfach abgezupft und ins lusche Buschwerk geschleudert, die Ärmsten. Ansonsten war nicht viel zu sehen außer einigen wirklich unscheinbaren Orchideen, Sagopalmen, Lianen, Sumpfgewächsen, Moosen und Mosquitos, und ab und zu ein nicht sonderlich großer Schmetterling, während wir weiter bis zu den Knöcheln im Sumpf steckten und schmatzende Schlammgluckerlöcher hinterließen.

Ein Dorf tauchte aus dem Geschling auf, mit dem traditionellen Langhaus für die Männer in der Mitte und drum herum die kleineren Frauenhäuser, in die sich die Ladies verflüchtigten, sobald sie unser ansichtig wurden, und schon waren wir an dem Zwanzighüttendorf vorbei. Hier sind die Leute ungalanterweise der Ansicht, dass Frauen giftig seien und den Mann bei zu engem Kontakt krank machen, weshalb der Medizinmann vor der Heirat und vor jedem Zeugungsakt den Mann erst mal immunisieren muss. So haben die Frauen ihre Ruhe vor den Aufdringlichkeiten der Männer, die alle gemeinsam im Männerhaus leben, und der Medizinmann wird nicht arbeitslos.

Zur Mittagszeit wurde es richtig heiß. Wir machten an einer trockenen, schattigen, luftigen Stelle Rast und stellten bekümmert fest, dass es mit Paradies- und anderen Vögeln auch hier, wo sie doch eigentlich nur so herumschwirren sollten wie in Tirol die Fliegen, so ähnlich stand wie mit den Rascals in den Städten. Da knatschen wir wie besessen durch zähen Schlamm und gluckernde Tümpel, ausgelutscht von Mosquitos und Blutegeln, nur um Elstern und Spatzen zu erblicken, wo wir doch Papageien, Krokodile, Drachen und Brontosaurier erwartet hätten! Auf dem Tiefpunkt von Zuversicht und Laune ertönte in unmittelbarer Nähe ein Gezeter, und ein Kakadu flatterte uns vor der Nase vorüber. Das war die Ouvertüre. Keine zehn Minuten später rauschte es durch die Lüfte, als seien Dädalus, Ikarus und Otto Lilienthal auf Jungfernflug, aber zu sehen waren weder die genannten Prominenten noch fliegende Jungfern, sondern Hornbills, diese Viecher mit ihren meterlangen Riesenschnäbeln, die beim Flug einen Sound machen wie altersschwache Dampflokomotiven. wasserwaldDann kamen uns Leute entgegen, ein Ehepaar mit Kind und dann noch zwei Frauen, die uns mit energischen Handbewegungen vom Weitergehen abzuhalten versuchten. Gibt's da Tiger, Giftschlangen, Alligatoren? Gefahren, Abenteuer, Thrill? Kopfjäger, Rascals, Rechtsanwälte, Kannibalen? Das müssen wir uns, dem wohlgemeinten Rat entgegen, anschauen und quälen uns einen steilrutschigen Glibberhang hinunter, durch einen grünen Lianentunnel bis zu einer Lichtung, wo der Weg durch einen braunen, vom vielen Regen zum reißenden Fluss angeschwollenen Urwaldbach abgeschnitten war. Ende der Fahnenstange, sozusagen. Das war also die Papua-Botschaft gewesen! Jetzt hätte ich nur gern gewusst, wie die Leute, die uns begegnet sind, da rübergekommen sind. Da fehlte es uns am Knowhow. Mehr als kurz reinzuhüppen und uns abzukühlen, sich immer vorsichtig festhaltend, um nicht von der gurgelnden Brühe mitgeschwemmt zu werden, konnten wir nicht tun vor dem Rückweg.

Zweieinhalb Stunden waren wir getappst, plus eine halbe Stunde Pause, und waren doch höchstens 5 km weit vorangekommen. Kleine Rinnsale und stehende Gewässer waren zu durchwaten gewesen oder wollten auf umgestürzten, nassglatten oder moosig morschen Baumstämmen balancierend überquert sein. Oft ging es steil bergauf oder nach unten, aber immer war eine Art Pfad erkennbar gewesen, nur eine einzige Abzweigung hatte es unterwegs gegeben. Just als wir wieder in die Nähe des Zwanzighüttendorfes kamen, hockte da ein exotisch-bunter Vogel von mindestens Truthahnformat hoch auf einem kahlen Ast und knarzte unüberhörbar. Auf Anraten der belgischen Vogelnarren hatten wir uns den Lodge-eigenen Feldstecher ausgeliehen und beäugten das farbige Federvieh durch die Linse. Und dann nahte der Höhepunkt des Tages. Ein Tropenguss, der nicht von schlechten Eltern war, durchnässte die wenigen Stellen, die uns am Leibe noch trocken geblieben waren, und erinnerte uns daran, dass es 16 Uhr war. Kaum war die Dusche vorüber, ertönte ganz in der Nähe ein Tirilieren, das uns aufhorchen ließ. Johan, der gesprächigere der beiden Amateur-Ornithologen, hatte uns nämlich am Vorabend den Ruf der Paradiesvögel so täuschend echt vorgejodelt, dass wir jetzt wie angenagelt stehen blieben. Und dann sahen wir sie, hoch in einem alten Baum, fünf oder sechs wunderschöne rosafarbene Paradiesvögel beim Balzen, ihren Plüsch spreizend wie bei einer Modenschau, tanzend, von Ast zu Ast springend. Und wir mit dem Binokel dabei, zwanzig Minuten lang andächtig still, keinen Mucks sagend, während es vom Grün der hohen Wipfel in unsere weit geöffneten Gesichtspunkte tröpfelte.

Paradiesvögel sind nur in PNG und einigen Teilen von Indonesien heimisch, und den schönsten davon, den rosaroten Raggiana, der als Landessymbol Geldscheine, Münzen und Flugtickets ziert, trifft man nur in dieser Gegend an. Es wäre wirklich schade gewesen, aus Papua Niugini heimzukehren, ohne diese Vögel in freier Wildbahn erlebt zu haben. Wahrscheinlich wären wir ohne den Rat der Hobby-Vogelkundler aus Belgien fernglas- und ahnungslos unter dem Balzbaum entlanggetrottet, den Blick auf Pfützen und Blutegel gerichtet, in belangsloses Geschwätz vertieft, ohne die rosenroten Petticoats zu bemerken, die über uns im Baumwipfel ihr Ballett aufführten. Ramponiert, zerschürft, verstochen, gebissen, geprellt, durchnässt und verdreckt, aber vollauf zufrieden wateten wir durch den Abendregen zum Lodge zurück und bedankten uns bei Johan.

 

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Der rosarote Paradiesvogel Raggiana beim Balzen

Johan und Ronnie können stundenlang miteinander über Vögel reden, Listen der Arten anlegen, die sie neu gesehen haben, im Vogelbuch des Lodge blättern und versuchen, alle anderen Gäste zu Vogelfans zu bekehren. Nur eine Sorge bedrückte sie: Spätestens am kommenden Mittwoch müssen sie wieder in Port Moresby sein, um ihren Rückflug nach Belgien nicht zu verpassen.

"Oh well, no problem!", grinste Lannis, "wir chartern wieder den Helikopter und fliegen am Sonntag zurück. Durch 6 geteilt sind die Kosten wirklich erträglich."

Hubschrauber sind eine Spezies, die unsere belgischen Freunde noch nicht in ihrem Buch der geflügelten Fauna verzeichnet hatten, aber nach all dem, was sie an Grauen und Grusel über den Marsch nach Pimaga erzählt hatten, war niemand von uns mehr darauf erpicht, zurückzulatschen. Und Frank, nach einem halben Tag Urwaldglitsch und Tümpelmorast, schon lange nicht. Ka hatte den Morast sogar dermaßen dicke, dass sie fest entschlossen war, falls morgen der Mensch kommen sollte, der uns am Samstag zu seinem Dorf abholen wollte, nur dann mitzukommen, wenn der dreistündige Weg zum Singsing ohne Matschmatsch zu bewältigen wäre, im Einbaum oder auf Asphalt. Indes, bis zum Mittag des folgenden Samstags kam niemand, nach uns zu fragen. Also schlossen wir uns am Nachmittag Lannis und Simon an, die einen Einbaum mit Yamaha-Außenborder charterten und sich auf die Insel in der Mitte des Sees und zu den Dörfern am anderen Ufer schippern ließen. Den ganzen Vormittag über waren sie allerdings damit beschäftigt gewesen, Chris, den Helikopter-Piloten, zu erreichen. Wie schon erwähnt, verfügt Kutubu Lodge nämlich nicht einmal über einen Fernsprecher, sondern hat als Notstrippe zur Außenwelt nur ein Funkgerät. Um den Spaß vollständig zu machen, funktionierte jedoch nur eine der beiden Frequenzen, aber die war nicht mit Mendi oder sonst einem Ziel von Belang, sondern nur mit der Ölbohrstelle Moro in einem Tal jenseits des Sees verbunden. Von da ist Moro-Dispatch, die Landestelle der Frachtflüge mit Bohrgestänge und Ingenieuren, erreichbar, und mit wem Moro-Dispatch in Verbindung stand, wissen wir bis heute nicht. Lannis versuchte jedenfalls, die Ölbohrer von Moro zu bewegen, für ihn per Funkstaffette den Airport von Mendi zu kontaktieren und den Hubschrauber-Chris zu einem Sonderflug nach Kutubu Lodge am Sonntag zu bewegen. Bis zum frühen Nachmittag kam jedoch keine Antwort.

Die Insel ist gerade groß genug für ein Dorf und ein paar Felder. Außerdem trägt sie Sagopalmen, Zuckerrohr, Affenbrotbäume und Bananenstauden, eine Rotte Köter, unzählige wuselköpfige Pikinini, Schweine, Hühner und was immer ein Dorf erst komplett macht. An Besuche von Gästen des Kutubu Lodge sind die Bewohner gewöhnt; sie zeigen uns, wie die Frauen Sago herstellen, eine wahre Knochenarbeit, und die Kinder rutschen auf dem Hosenboden mit uns zu ihren Kletterbäumen und Krebsfangplätzen.

sagofrauen
Frauen bei der Sago-Herstellung: Sagopalmen-Schnipsel werden gedroschen....
sago
.... und die Stärke wird mit Wasser herausgewaschen und in einem Sack aufgefangen.

Wir durften auch durch das Männerhaus klettern und den Frauen in die Hütten lugen. Seit freilich in der Nähe nach Öl gebohrt wird, ist es mit der unberührten Natur vorbei. Die Alten haben Kopfschmerzen vom Dröhnen der Transportmaschinen und vom Knattern der Hubschrauber, die alle paar Minuten Gerät einfliegen, und sogar die Jüngeren klagen, dass die meisten Vögel verschwunden seien und die Fische im See nach Petroleum schmeckten, was ich jedoch eher den Außenbordmotoren ihrer Kanus ankreiden würde, denn die Jungs haben heutzutage keine Lust mehr zu rudern. Jedenfalls sind bereits drei Straßen zum See in Bau oder Planung. In wenigen Jahren wird Schluss damit sein, dass die Kinder im Einbaum zur Schule rudern und sich unterwegs ihr Schulbrot speerfischen.

Auch in den anderen Dörfern war von der traditionellen Lebensweise nicht mehr allzu viel zu sehen. Sicher, die Hütten sind malerisch zwischen den Sagopalmen verstreut, überall blühen Bougainvillea und Hibisküsschen, aber die jungen Mädels laufen keineswegs mehr barbusig und im Baströcklein umher, sondern spielen, in Rock und Bluse, auf dem Dorfanger Basketball, und der Schiedsrichter geht auf die Palme, um die Fouls zu pfeifen. Und in der Hütte, die dem Einbaum-Anlegeplatz am nächsten steht, gibt es Cola und Fanta zu kaufen, mit Plastikstrohhalm.

sagohuette

Kaufladen und Sagopalmen

Da brauchst du gar nicht auf die Uhr zu sehen. Wenn es lospladdert, ist es 4 Uhr nachmittags, Zeit zum Heimfahren. Rasch wölkt es sich zum Abendregen ein, die Wolken legen sich auf die umliegenden Bergrücken, und der Kanu-Draiwa legt einen Zahn zu, damit wir die einstündige Rückfahrt unter drohend schwarzgrauen Vermeer-Wolken noch schaffen, bevor der richtige Regen anfängt. Fast gleichzeitig mit uns röhrte ein Hubschrauber heran, landete bei Kutubu Lodge und hob wieder ab, bevor wir vom Anlegeplatz aus hinaufgehaspelt waren. Acht der gefährlichsten Feinde der Paradiesvögel, nämlich weiße Petroleum-Ingenieure, waren dem Knatterflügler entquollen --- war es Chris gewesen, der sie hergeflogen hatte? Aber selbst wenn es ein anderer Pilot gewesen sein sollte, er hätte unsere Nachricht an Chris ausrichten oder selber den Lufttaxi-Auftrag für morgen entgegennehmen können, wo wir mit diesem blöden Funkradio nur die Ölfritzen von Moro an die Strippe kriegen. So ein Ärger!

Im Sonntagmorgennebel kam noch ein Helikopter, diesmal vom Landestrip in Moro, um die acht muffigen australischen Ölgötzen abzuholen, die in den teuren 69-Kina-Hütten gehaust und uns keines Blickes und keiner Rede gewürdigt hatten. Eine Botschaft zum Airport von Mendi? Der Pilot versprach, es zu versuchen. Und dann? Warten und Hoffen. Kommt Chris? Hat er unseren Ruf vernommen? Wird er unser Flehen erhören?

Die beiden Belgier sitzen auf glühenden Kohlen. Ihre Zeit und ihre Finanzen zerrinnen mit jeder Stunde und jedem Bier, von dem sie als echte Flamen täglich mindestens fünf Flaschen tanken, und das kostet zusammen 12,50 Kina pro Nase. Und ein Haus moni gibt's in dieser Gegend leider nicht. Wir haben im Laufe des Tages ausreichend Muße darüber zu meditieren, weshalb der tropische Regenwald REGENwald heißt, denn heute schüttet es dermaßen aus allen Knopflöchern, dass kein Mensch einen Schritt aus dem Kutubu Lodge heraus tun mag. Lannis hockt, sichtlich enerviert, am Funkkasten oder nebendran, und sein frustriertes "here Kutubu lodge, here Kutubu lodge" verhallt alle halbe Stunde ungehört im Äther und wird von sonntäglicher Stille erwidert. Für den Fall, dass Chris durch die nassen Wolkenlappen geknattert kommen sollte, haben wir unsere Rucksäcke fertig gepackt, das Zelt abgebaut, die Rechnungen beglichen und hocken nun Stunde um Stunde ums Feuer, bis wir einer Rauchvergiftung nahe sind. Warten auf Godot.

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Aufenthaltsraum im Kutubu Lodge

Den belgischen Vogelfreunden wäre mittlerweile das höllische Röhren eines Knatterflüglers lieber als das paradiesischste Vogelzwitschern. Nur Ka und Simon, der Spezialist für feuchte Wetterlagen, der nie die gute Laune und seinen britischen Humor verliert, amüsieren sich in langen, anregenden Gesprächen, in denen zu erfahren ist, dass ein Wetter wie das heutige in Scotland keineswegs als Regen, sondern als Scottish mist, eine Art Nebel, betrachtet wird.

"By the way," war Ka wieder einmal zu vernehmen, "was haben eure Freunde und Bekannten gesagt, als sie hörten, dass ihr nach PNG wollt?"