APINUN, TOK PISIN?
Ihr seid ja verrückt!
Na schön, ich geb's ja zu, es ist schon eine Schnapsidee, mal bei den Wilden Urlaub zu machen.
Bei den Wilden? Jetzt denkst du wahrscheinlich, Frank wollte mal kurz nach Afghanistan, um Mohnblümchen zu pflücken, und ehrlich gesagt, zuzutrauen wäre ihm das auch, aber 1991, da standen die Buddhas von Bamian noch und guckten so steinig entrückt ins Tal, als wäre da nur Tal ohne Taliban, wie sich die dortigen Wilden nennen. Aber was Moslems aus Buddhakunst machen, das Gemetzel hatte Frank bei Turfan und Urumtschi schon gesehen. Nein, er wollte jetzt echt nur ganz friedlich Urlaub machen, natürlich nicht im Allgäu, das brauche ich ja wohl nicht eigens zu betonen. Aber Malaria, Giftschlangen, Menschenfresser, Kopfjäger und Banditen sind nicht so ohne weiteres Neckermann-kompatibel, weshalb Papua New Guinea damals bei TUI noch nicht im Katalog stand. Also, Frank hatte zwar keine Lust, seine Karriere am Ende als Schrumpfkopf in der Vitrine eines australischen Völkerkunde-Museums zu krönen, aber er war halt ein unverbesserlicher Optimist. Freilich nur so lange, bis er sich den Globetrotter-Reiseführer besorgte und die ersten Seiten zu lesen anfing. Das hättest du mal sehen sollen, wie ihm da allmählich die Haare immer steiler zu Berge standen...! Am Ende der Lektüre sah er aus wie ein Seeigel.
Der grimmste Grusel, das waren die Preise. Man sagt das ja nicht so offen, aber als vollgefressener Wohlstandsbürger einer Friedensgeneration kann man eigentlich nur deshalb so wild durch die Weltgeschichte wetzen, weil überall die Leute so schön arm und die Preise so schön niedrig sind. Da kann sich auch der Nachbar aus der Sozialwohnung einmal im Jahr Hilton und Hummer gönnen. Aber pass auf, jetzt kommt der Clou: Als bei der Unabhängigkeit von PNG der australische Dollar durch die papuaneuguineische Kina (= 100 Toea) ersetzt wurde, geschah nämlich das Wunder, dass die Kina raketengleich in den Devisenhimmel davonzog, und die Expats (ansässige Brits und Aussies), die darauf bestanden hatten, auch weiterhin in der vermeintlich stabileren Währung Australiens entlohnt zu werden, klappten die Kieferlade runter und schnappten entgeistert nach Luft. Nach Kaufkraft mag eine Kina vielleicht 20 Cents wert sein, aber um sie einzutauschen, muss man mehr als einen ganzen Euro investieren, und das ergibt für die schlichtesten Urwaldhütten Übernachtungspreise wie in der Münchner Innenstadt, und jede ausgegebene Toea reißt klaffende Löcher in das schmale Reisebudget. Na gut, denkt sich das Greenhorn, dann schlemmt man halt etwas mäßiger, packt sein Falthotel ein und fährt per Anhalter, ist doch auch nicht übel. Aber dann kommt im Reisebüchel die Seite mit der Landkarte. Die hier ist selbstgemalt, aber trotzdem nur wenig zensiert:
Ey, wo sind sie denn, die Straßen? Vergessen einzuzeichnen, was? Drei Landstraßen verlassen die Hauptstadt Port Moresby, und die längste davon endet kurz vor dem 160 km entfernten Weiler Iokea. Gibt's doch nicht! Eine genauere Karte muss her. Aber leider, leider verschwendetes Geld. Auch das detaillierteste Messtischblatt kann keine Straßen herbeizaubern, wo keine sind. Mosby, wie die Einheimischen ihre Kapitale nennen, ist auf dem Landweg mit keiner anderen Stadt verbunden. In die nächste Stadt Popondetta gelangt man über den Kokoda-Trail, das ist ein Fußweg über das Zentralgebirge, der über 12 Pässe, der höchste davon 2300 m, und durch 6 brückenlose Flüsse führt und im Eilmarsch in 5 Tagen zu bewältigen ist, was bei Regen oder mit Gepäck aber auch 7 bis 10 Tage dauern kann. Und wenn man endlich da ist, kann man noch zur Oro Bay runter und sich für den Rückmarsch nach Port Moresby stärken, denn Oro Bay ist das Ende der Fahnenstange. Es gibt zwei Alternativen: (1) Die gesamte Reise in Port Moresby und Umgebung verbringen oder (2) die Kina-verschlingende Air Niugini. Wunderbar, denkt Frank, keine Straßen, keine Atomkraftwerke, keine Chemiefabriken, lauter unberührte Natur, und Bushwalking und Trekking, das ist doch genau das, was nach Abenteuer und Dschungel riecht. Frank ist einfach nicht unterzukriegen, so ein Optimist! Aber dann hat er doch mit den Ohren geschlackert, als er auf Seite 3 kam.
Das Extra-Kapitel über die Rascals. Auf Deutsch "Räuber und Wegelagerer". Na schön, die gibt's in jedem nächtlichen Park, in Gütersloh wie in Greifswald. Aber da steht fett gedruckt:
"WARNUNG. Seien Sie vorsichtig. Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch, und die Statistik für Vergewaltigung ist Weltspitze. Gehen Sie nie bei Dunkelheit aus, selbst in Gruppen sind Sie gefährdet. An Freitagen, wenn die Löhne ausgezahlt werden, ist besondere Vorsicht geboten, da beherrschen nach Sonnenuntergang betrunkene Banden die Straßen. Frauen sollten nie ohne Begleitung ausgehen, sich unauffällig kleiden und einsame Gegenden meiden. Die am schlimmsten von Rascals heimgesuchten Städte sind Port Moresby, Lae, Mount Hagen, Madang, Rabaul und Teile des Hochlands."
Da kann man nämlich glatt den Kokoda-Trail vergessen, wenn da hinter jedem Busch eine Räuberbande lauert, und gerupft zu werden wie ein Brathendl, das ist nicht die Art von Thrill, die sich Frank Eschersheimer erhofft, wenn er mal wieder zu irgendwelchen Leuten reist, deren Sitten er nicht kennt. Na schön, blas die Sache ab und reis mal wieder nach Tirol, ist doch auch ganz schön, und außerdem, wann hast du zum letzten Mal gejodelt?
Das hättest du dem Frank nicht sagen dürfen. Der stieß nämlich postwendend einen Jodler aus, der einem brünftigen Pavian zur Ehre gereicht hätte, blies sich auf wie eine Bettwurst und krächzte: JETZT ERST RECHT. Als ob Tirol so schrecklich wäre. Also ehrlich, nichts gegen Tirol!
Um mal offen zu sein, ohne seinen Freund Mark hätte sich unser Frank nicht so trotzig auf PNG versteift. Mark, das war ein alter Kumpel von ihm, Schlosser von Beruf und 68er von Alter und Gesinnung, und der hatte schon damals die gesamte Mischpoke von Antiimpis und Sozialinskis mit Werkzeug versorgt. Niemand konnte nämlich bessere Zwillen schmieden als der gute Mark, und das war ein lebendiges Beispiel für den Schulterschluss von Proletariat und Intelligentsija. Und als sich die Lebenswege von Mark und Frank trennten, hatte Frank von seinem Freund ein symbolträchtiges Präsent erhalten, Hammer und Zwille, weil nämlich Sicheln schon außer Mode gekommen waren, mit revolutionsrotem Schleifchen drum, und dazu ein Päckchen leicht eingefettete Stahlkugeln, und weil Frank schon bald etabliert war und sich bei seinem langen Marsch durch die Institutionen einen Wohlstandsbauch anzufressen begann, ruhte die waffenscheinfreie Wehr bis gestern noch jungfräulich auf seinem Speicher. Aber jetzt wird das Dingens poliert, und der Gummi getestet, damit er nicht beim ersten Einsatz spröde zerspringt und Frank bei der Entscheidungsschlacht mit den Rascals um die Löffel fliegt. Dazu kommt noch ein gut geschliffenes Klappmesser, das im Airport auf dem Röntgen-Screen nicht auffällt, aber zu wesentlich mehr taugt als zum Salami-Häuten. Damit fühlte Frank sich stark.
"Sollnse kommen, die Räskels", murmelte er, als er sein martialisches Gerät in den Rucksack packte. "Wer Zoff will, soll ihn kriegen." Und als er eincheckte, wusste er nicht recht, ob er in den Urlaub fährt oder in den Krieg.
Jetzt lach dich nicht tot, Frank als Dschungelkämpfer, Privatguerrillero Frank Ché, das kannste dir nicht vorstellen, ich weiß. Ich nämlich auch nicht. Aber Frank ist halt ein Kavalier, der seine Begleiterin und Ehefrau den Buschmännern nicht kampflos zum Verzehr abtreten mag, denn die können ja nicht ahnen, wie ungenießbar diese Ka bisweilen sein kann. Außerdem ist es inzwischen zu spät, da hocken die beiden nämlich schon in dem Jet, und die pechschwarze Papua-Crew von Air Niugini gibt sich alle Mühe, gewinnend lächelnd und Saft servierend, die Besucher, denen der Skalp offenbar locker sitzt, willkommen zu heißen, aber die Tatsache, dass außer Frank und Ka nur noch zwei weitere Rucksack-Piepel in dem nur spärlich besetzten nächtlichen Flieger saßen, verstärkte das mulmige Gefühl, das Frank beschlich, und keine krausgelockte Flight Attendantin konnte es ihm von der Seele fortlächeln.
* * *
Während wir auf die Wellblechhütten zutaperten, die in Port Moresby das Passagier-Terminal ersetzen, drückten sich unzählige schwarze Wuselköpfe am Maschendrahtzaun ein Muster auf die Nase.
"Da gucken sich die Rascals ihre nächsten Opfer aus", kicherte Ka, und kurze Zeit später waren wir draußen, unter den "Wilden". Jetzt grins mal nicht so ölig, wenn du dir vorstellst, wie Frank mit seiner Ka aufgrund der Lektüre des erwähnten Gruselführers überall Taschendiebe und Gangster witternd seinen schäbigen Rucksack bewachte wie den Goldschatz von Fort Knox, alle Sinne angespannt, stets auf einen dreisten Überfall aus der Mitte des Pulks von Ankömmlingen, Abreisenden, Taxifahrern und Schaulustigen gefasst. Vereinzelt ragten Expats (= weiße Ansässige, Expatriots) aus dem Getümmel, stämmige Buren-Typen mit Kniestrümpfen und Shorts an den weißen Waden.
Während ich versuchte, das einzige Telefon des Airports zum Tuten zu bringen, stellte sich Ka in die Nähe solcher Expats, in der Hoffnung, dass von da weniger Gefahr drohe, auf der Stelle überfallen, ausgeraubt, vergewaltigt und skalpiert zu werden. Also ich sag dir, Guidebooks vorher zu lesen ist echt deppert. Hinterher macht es viel mehr Spaß, wenn man alles besser weiß als der Verfasser. Irgendwann hatte ich Erfolg mit dem antiken Telefon, und auch die letzten, hartnäckigsten Taxifahrer gaben auf, als ein Vehikel des gewählten Hotels eintrudelte und uns in Sicherheit brachte. Du musst jetzt wissen, dass unser Ankunftstag ein Freitag war, und vor Freitagen hatte das Guidebook besonders eindringlich gewarnt. Freitags wird der Wochenlohn ausbezahlt, und dann fließen Alkohol und Blut in vollen Strömen, so weit die Reiseführer-Lyrik. In unser blumiges Asyl, einige Pavillons in einem weiten Hibiskusgarten mit Swimmingpool, drangen weder Kriegsgeschrei noch kannibalischer Lärm oder Schlachtgetöse, und obwohl Mosby ziemlich nahe am Äquator liegt, war die Abendbrise so frisch, dass wir lieber die Kakadus in den großen Volieren fütterten als ins Pool zu steigen. Äquator, das heißt nämlich nicht "mörderische Hitze", sondern nur "ewiger Sommer", und Sommer können auch mal kühl sein, das kennst du ja aus Sindelfingen.
Bei Tageslicht machte Mosby keinen sonderlich militanten Eindruck. Überhaupt ist es eine Übertreibung, von einer "Stadt" zu reden. Busse verkehren da nur deshalb, weil der Ort aus mehreren, weit auseinander liegenden Dörfern besteht. Ausgangspunkt ist der Hafen, "Town" genannt. Wahrscheinlich deshalb, weil da die Polizeibehörde ist; ansonsten ist der Name eine maßlose Übertreibung, denn so ein Townchen, das hast du in 20 Minuten zu Fuß vollständig erforscht.
Die Pfahlbau-Siedlung Koki |
Von da aus geht es über den etwa 1 km langen, palmengesäumten Sandstrand Ela Beach nach Koki, einem großen Markt auf dem Festlandufer und einer Ansammlung von hölzernen Hütten auf Pfählen in der seichten Bucht, deren Bewohner neidvoll auf die Protzvillen der Expats schielen, die den gegenüberliegenden Hang zersiedeln. Drei Meilen weiter durch den Busch, dann kommt das Zentrum, das Geschäftsviertel Boroko mit drei Banken, einem Postamt und zwei Supermärkten. Von Town aus 7 Meilen entfernt ist der Flugplatz, ein paar Meilen westlich davon liegt eine braune Wiese namens Waigani, um die das Parlament (geschlossen), ein paar Botschaften (geschlossen), die Universität (geschlossen) und das Nationalmuseum (geschlossen) gruppiert sind, und dann gibt es noch, wieder ein paar Meilen westlich davon, den Riesenmarkt Gordon, wo die Einheimischen siedeln und das Bus-Terminal ist. Städtisch wirkt diese Kapitale nirgendwo. Du kannst über die ausgedörrte Rasenfläche bis vors Parlament spazieren und vor dem verriegelten Portal picknicken; samstags wird ohnehin nicht regiert. Du musst nur bei der Suche nach Schatten unter den wenigen Palmen aufpassen, dass sich kein trockener Palmwedel im lauen Lüftchen löst und dir auf den Schädel kracht, denn diese holzigen Dinger haben ein beachtliches Gewicht. Auch das Museum, vor dem die Straße 150 m weiter endet, wirkt wie ausgestorben und ist ohnehin immer zu. Dahinter beginnt der Busch.
Ein paar dunkelhäutige Typen
im Rasta-Look, mit T-Shirts und Shorts angetan, lungern um das
Museum herum und kommen auf uns zu, als sie uns erblicken.
"Nachtijall, ick hör dir trappsen", denkt Frank
vor seiner ersten Schlacht mit einer Übermacht von Rascals und
greift nach dem Klappmesser. Weit und breit ist sonst keine
Menschenseele zu sehen, und das zur Mittagsstunde und nicht etwa
um Mitternacht. Mit gespannten Muskeln stellt sich Frank
kampfbereit vor Ka, und der erste Angreifer naht, lächelt
übers ganze Gesicht, fragt "do you like peanuts?", und
drückt dem verblüfften Bleichgesicht ein Bündel Erdnüsse in die
Hand, frisch vom Markt, ungeröstet. Während ich gerade noch ein
erstauntes "thank you" hervorbringe, winken die Jungs
uns freundlich zu und schlendern dann langsam ihres Wegs. Frische
Peanuts schmecken übrigens wesentlich besser als geröstete.
Allmählich kommen wir
dahinter, dass die roten Flecken und Lachen überall auf dem
Boden von Boroko nicht die Spuren nächtlicher Gemetzel sind,
sondern ausgespuckte Betelnuss-Brühe. So gut wie jeder
männliche Einheimische hat einen zinnoberroten Mund, zinnoberrote Zähne und zinnoberrote Zunge und kaut unentwegt auf einem zinnoberroten Matsch herum, ab und zu einen zinnoberroten Sud aufs Pflaster speiend.
"Ich bin so wild auf deinen Erdbeermund..." hatte Klaus Kinsky einst
unvergesslich gehaucht, da muss er wohl mal in Boroko gewesen
sein und sich in die urigen Typen verguckt haben, die hier
rumlaufen. Schwarz wie die Nacht, kraus wie Afrikaner, sogar das
Brusthaar ist gekringelt, aber hier haben sie kantige
melanesische Schädel wie die im südlichen Nachbarland heimischen Aborigines, mit
zerfurchten Gesichtern und mächtigen Bärten. Überwiegend in
Jeans und T-Shirts gekleidet, aber barfuß. Die Frauen haben oft
allerlei Kringel und Ornamente ins Gesicht tätowiert, auch die
am Bankschalter oder am Computer-Terminal. Sie tragen bunte
Sarongs, die hier Laplap heißen, über die eine weite, ebenfalls
blumenbunte Bluse bis zu den Knien herabhängt, und über den
Kopf haben sie ihr Bilum gehängt, ein gehäkeltes Tragenetz
voller Gemüse, lebender Hühner oder Pikinini (Kinder).
Bilum-Stand auf dem Markt |
"Papua" ist ein Wort malaiischen Ursprungs und bedeutet "kraushaarig", und Neuguinea tauften die preußischen Landräuber diese Insel, weil die Einheimischen so tiefschwarz sind wie die Leute im innersten Afrika. Was es im afrikanischen Guinea freilich nicht gibt, sind die melanesischen Haarfarben, denn das gute Kraushaar ist in allen modischen Schattierungen zu bestaunen bis hin zu mandarinenblond. Von wegen gefärbt oder Punk! Vielleicht haben ja die Expats bei den Varianten der Haarmode ihren Unterleib im Spiel gehabt, frag mich nicht. Jedenfalls ist die melanesische Haartracht nicht unpraktisch; man muss gesehen haben, mit welch unnachahmlicher Eleganz der Mensch am Postschalter sich den Kuli ins Haar steckt, wo bereits Schere und Radiergummi ihre Stammplätze haben...
Wenn Rascals dir an die Moneten wollen, gibt's ein Gegenmittel: Wir eröffnen bei der Papua Niugini Benkin Koporesen (Nationalbank) ein Sparkonto und tragen fortan unser Geld im Sparbuch durch den Dschungel, denn ausgezahlt wird nur gegen Passvorlage, und unseren Passfotos ähnlich zu sehen, dürfte auch für gewiefte Rascals eine beträchtliche Herausforderung sein. Jedenfalls brauchen wir Moneten, denn kaum im Land, bekommt die Brieftasche schon heftige Schwindsucht. Das liegt vor allem daran, dass wir dem Kokoda-Trail entsagen, aber trotzdem mehr sehen wollen als nur Mosby, dieses staubige Dschungelnest mit Preisen wie in Tokyos Glitzerviertel Ginza. Da müssen wir wohl für teures Geld in die Luft gehen. Also sparen wir am Essen. Zum Glück gibt es überall Kaikai (Futter), denn jeder dritte Laden ist ein Brutzelshop, in dem du Fritten, Hendln, Lammkoteletts, Gulasch, Lammherzen, Hühnerklein, Frikadellen, Würschtln, Süßkartoffeln, Lammzungen, Backfische und Reis kriegst. Mit den Backfischen meine ich die mit Gräten, und nicht die welken Greteln, auf die wir später noch stoßen werden. Also, all die genannten Delikatessen kannst du dir, wenn du magst, auch in Plastikschalen eintopfen und deckeln lassen, take out wie bei McDonalds, und eine Wampe voll kostet da höchstens 3 Kina, also 3,50 Euro inclusive Cola oder Fanta, was die Papuas am liebsten süffeln, das kann man sich gerade noch so leisten. Es gibt aber auch Bier, das gute South Pacific Lager, denn Neuguinea war Anno dunnemals kaiserliche Kolonie gewesen, und wo immer drei oder mehr Deutsche beisammen sind, gründen sie einen Verein und brauen Bier. Das hat im Reiche der Kina freilich einen so stolzen Preis, dass einem der Durst von alleine versiegen möchte; da erfeilschst du dir lieber auf dem Markt eine Kokosnuss für 20 t (Toea), da kannste ein Loch reindrillen und den ganzen Tag dran nuckeln, und am Abend ist das Ding immer noch nicht leer. Und ein Frühstück am andern Morgen gibt die Nuss auch noch her, sofern du sie entzwei bekommst.
Zur Ela Beach geht's mit dem PMV (Public Motor Vehicle). Diese Publikumsmotorvehikel haben in Mosby Ähnlichkeit mit Kleinbussen, in abgelegeneren Gebieten kann der Komfort aber auch aus einer Holzbank auf der Ladefläche eines Kleinlasters bestehen. Neben dem Fahrer sitzt der Kopilot und hält ein Schild aus Pappedeckel oder Holz zum Fenster raus, auf dem geschrieben steht, wohin die Fuhre geht. Zum Einheitspreis von 40 t fahren diese PMVs bis Einbruch der Dunkelheit auf allen Gassen der "Hauptstadt", und wer aussteigen will, brüllt laut "Draiwa stap hia!", die landessprachliche Version für "Driver, stop here". Bei den PMVs machen wir erste Erfahrungen mit dem melanesischen Zeitgefühl. Wenn das Vehikel anhält, schlurfen die Leute wie gelangweilt auf das Fahrzeug zu, und nach dem Aussteigen schlendern sie gemächlich an das offene Fenster, wo der Kassierer sitzt, kramen umständlich eine Handvoll Münzen aus der Tasche, und kein Mensch motzt, meckert oder mosert, wenn es ein paar Minuten dauert, bis die Fahrt weitergeht. Das hat den Vorteil, dass es den Leuten auch völlig schnuppe ist, wenn ein Tourist auf Ämtern, Banken oder wo immer es voll ist, "let me ask a question" sagt, sich vordrängelt und dann gleich bedient wird. Zeit bedeutet den Leuten hier überhaupt nichts, davon haben sie im Überfluss und geben dem von Terminen gehetzten Fremden gern von ihrem Reichtum etwas ab.
Town (in der Senke links) und Ela Beach |
Wochenende an Ela Beach. Eine steife Brise vom Meer erfrischt die Promeneure, von den schwarzen Kindern, die mit einer sandgefüllten Plastikbottel als "Ball" im Meer Rugby plantschen, bis zu der barbusigen Matrone, die ihre schlaffen, papayaförmigen, von zahlreichen Nachkommen ausgelutschten Brüste stolz wie Orden vor sich herträgt. Gelassen hocken wir unter einer Palme und sehen dem Treiben zu. Ein paar Jugendliche im Rasta-Look mit Kofferradio, junge Pärchen mit Auto und vielköpfige Familien flanieren vorüber, von der Oma bis zum Kinderwagen, und alle, alle winken uns wie guten Freunden mit liebem Lächeln einen Gruß zu. Ein paar Wohnboote, auf denen Wäsche im Wind zappelt, dümpeln in der Dünung, zwei Damenteams in verschiedenfarbigen T-Shirts über den bunten Laplaps kämpfen am Sandstrand wie Profis um einen Basketball-Pokal, der neben dem Schiedsrichter aufgebaut ist, und stören sich dabei auch nicht an den Kleinkindern, die ausgerechnet mitten auf dem Spielfeld mit einer leeren Konservenbüchse spielen.
Plötzlich blinkt blendender
Chrom: Zwei weiße Kids auf schnieken Fahrrädern mit
Gangschaltung und allerlei blitzendem Schnickschnack kurven unter
den neidvollen Blicken ihrer schwarzen Altersgenossen die
Strandpromenade entlang, gefolgt vom Papa in Expat-Shorts mit
Bügelfalte und weißen Kniestrümpfen, einen stattlichen Köter
an der Leine. Apartheid gibt es hier nicht, denn die Papuas sind
ihre eigenen Herren im unabhängigen Staat, aber das
Wohlstandsgefälle ist augenfällig. Und einen gewissen
Herrenstolz vermeine ich aus den Worten eines "Buren"
herauszuhören, den ich nach dem nächsten öffentlichen
Fernsprecher fragte.
"Diese Dinger da hab ich mein Lebtag
noch nicht benutzt", sagte er. Und PMVs erst recht nicht.
Wenn da mal ein Bleichgesicht oder eine Blondine drinhocken, dann
sind das die wenigen verwegenen Globetrottel, die all den
Gefahren, die das Guidebook so wortreich beschwört, zu trotzen
gedenken. So Leute geraten auch dann nicht in Panik, wenn sie
zwischen nachtschwarzen Papuas im vollen Kleinbus stecken.
TOK
SAVE
Rund 450 Stämme gibt es in PNG, und jeder Stamm hat seine eigene Sprache. Um sich landesweit verständigen zu können, verwendet man die gemeinsame Landessprache TOK PISIN, die auch in der Nachbarschaft, in Tuvalu und den Solomon Islands, gesprochen wird. Mit etwas Eifer und Interesse ist TOK PISIN schnell zu erlernen, bedeutet es doch "talk pidgin" und ist eine Mélange aus einheimischer Grammatik und verballhorntem Englisch und Deutsch, allerdings nach festen Regeln. Und macht es nicht sogar Spaß? Wer vergisst den Slogan jener Bank, die sich als "Nambawan haus moni" anpreist? Und auch das Schild mit der Aufschrift "Dring dispela wara no gut, planti sik" ist nach einiger Eingewöhnung unschwer als "Es ist nicht gut, dieses Wasser zu trinken, macht schwer krank" zu identifizieren. Im Bus lesen wir mit Vergnügen: "Noken simok, noken kaikai, noken buai, tambu long insait dispela bas". Also, man darf nicht rauchen, futtern oder Buai (Betelnuss) kauen, das ist tabu, so lang man im Bus sitzt. Wer sich nicht daran hält, für den gibt es jenen preußischen Fachausdruck, der als Hinterlassenschaft unserer Vorväter in die Nationalsprache der Papuas eingegangen ist: Rrrrrraus! Tok save? (Kapiert?) |
Einen Vorgeschmack auf die Weglosigkeit dieses Landes brachte der Ausflug zum Nationalpark Varirata, 40 km von Mosby entfernt auf dem Weg nach Sogeri. Da fahren PMVs hin, die man in Gordon an dem großen Markt erwischt. Den Markt, den muss man freilich erst mal begucken, vielleicht gelüstet es dich auf gebratenen Hund als Wegzehrung, oder nicht mehr ganz frischen Fisch, dessen Beilage, die dicken Fliegenschwärme, die Marktfrau lässig mit einem Palmwedel zu verscheuchen versucht? Niemand drängt sich auf, keiner drängt uns zum Kauf, niemand glotzt uns an wie Marsmenschen. Die Leute nehmen uns hin, wie wir sind, als gewöhnliche Mitmenschen, auch wenn wir ersichtlich keine Einheimischen sind. In aller Ruhe können wir dem Markttreiben zusehen. Sogar die Suche nach dem richtigen Bus ist ein Kinderspiel. Der junge Papua, den ich frage, lässt es sich nicht nehmen, seine eigenen Geschäfte hintansetzend, uns bis zu dem richtigen Gefährt zu lotsen, eine gute halbe Stunde bis zur Abfahrt zu warten und uns dann freundlich nachzuwinken. Ja, wo sind sie eigentlich, die Rascals, die Kopfjäger und Kannibalen? Wir haben bisher nur nette Leute getroffen.
Modische Handtaschen made in PNG |
Eine Stunde rattert die altersschwache Rostbüchse durch ein schmaler werdendes Tal, schraubt sich schnaufend die engen Serpentinen hoch, und als wir das E-Werk Nr.2 sichteten, das für Parkbesucher der Orientierungspunkt ist, brülle ich meine ersten Worte in der Landessprache: "Draiwa stap hia!" Und dann stehen wir an jener Abzweigung, von der aus der Nationalpark nur noch 8 km entfernt sein soll. 2 Stunden Spaziergang durch luschigen Busch auf asphaltierter Piste, und wohlgemut traben wir durch die menschenleere Stille und halten nach Paradiesvögeln und Rascals Ausschau. Der Himmel ist bedeckt, und 800 m Höhe machen das Klima erträglich. Es trillert, zwitschert, gackert, pfeift und kräht aus dem Wald zu beiden Seiten des Weges, aber kein Lebewesen zeigt sich. Nach einer halben Stunde gelangen wir an eine Senke, in der ein Wässerchen gluckert und ein Jeep geparkt steht. 5 Männer lungern da herum, und einer kommt auf uns zu, als er uns gewahrt. Aha, da sind sie, die Rascals. Der zweite Überfall? Ich greife wieder nach dem Messer, lasse es aber gleich wieder los, denn der beleibte Herr grinst wie ein Honigkuchenpferd und streckt mir schon aus 50 m Entfernung die Pfote entgegen. Freudestrahlend, als seien wir Weihnachtsmann und Osterhase persönlich, schüttelt er uns lange die Hand und erklärt, dass er Offizier der Papua-Armee sei, momentan aber auf Urlaub und mit seinen Jungs -- eine großartige, weite Geste -- zum Angeln gekommen sei. Ich strahle ebenso erfreut, dass ich das Messer offenbar auch bei dieser zweiten unverhofften Begegnung mit einer Überzahl von Papuas mitten im einsamen Dschungel doch nicht benötige. Aber dass wir zu Fuß bis zum Nationalpark latschen wollen, nein, das kann doch nicht möglich sein! Schon läuft er, um seinen Jeep startklar zu machen, da brummelt von fern ein Pritschenwagen heran, das erste Motormobil seit Beginn unserer Wanderung, hält ungefragt an und liest uns wie selbstverständlich mit auf.
Der Park ist weitläufig, hervorragend gepflegt, mit gut beschilderten Wanderwegen und Aussichtspunkten auf das weit unten in der Ferne erahnbare Port Moresby versehen. Ein menschenleerer Campingplatz und etliche, wunderschön angelegte Picknickplätze mit Grill-Rost und Brennholz zur kostenlosen Selbstbedienung runden das Bild ab. Dazu saubere Bäche, herrliche Seen, dichter, blütenduftiger Urwald, an dessen Rand sich zwei bunte Papageien rauften, dass die Federn nur so flogen, unverständliche Schimpfwörter, wahrscheinlich in Tok Pisin, von sich gaben, als wir uns mit der Kamera einmischen wollten, und dann wütend davonflatterten --- aber keine Paradiesvögel und keine Rascals. Wo stecken die bloß?
Ein komisches Volk, diese Papuas. Vor nur 30 Jahren wurden in den Tälern des Hochlands die letzten noch unentdeckten Stämme "der Zivilisation zugeführt", wie es der dabei gedrehte Film "The first contact" dokumentiert, und viele der "Wilden" von 1961 leben heute noch, als Empfänger von Arbeitslosengeld. Gleichzeitig sitzen energische Frauen am Check-in des Airports und hacken auf der Computertastatur herum, als seien sie nicht nur mit dem Laplap, sondern auch mit dem Laptop zur Welt gekommen. Dann steht auf einmal ein barfüßiger Mensch im Kaufhaus, bekleidet nur mit einem Seil um den Bauch und einem Bündel Blättern vorn und am Po, und kauft sich wie selbstverständlich eine Dose Cola und eine Tüte Kartoffelchips.
Alle Bücher sind voller Warnungen vor Raub, Mord und Vergewaltigung, aber die Leute sind in Wirklichkeit so kindlich scheu, dass sie geniert weggucken, wenn man ein finsteres Gesicht macht, und strahlen wie die Kinder bei der Bescherung, wenn man sie anlächelt. Dann grüßen sie artig "Moning" oder "Apinun" (good morning, good afternoon), und wenn man die Begrüßung erwidert, geraten sie vor Begeisterung derart aus dem Häuschen, dass sie gerührt herbeikommen und dir eine Ewigkeit lang die Hand schütteln. Das Händeschütteln scheint eine Art Ritus zu sein, durch den man vorübergehend zum Wantok ("one talk" = Stammesgenosse, der die gleiche Sprache spricht) ernannt wird. Und das kann in Städten mit ihrem Rascal-Geziefer nur von Nutzen sein, denn Wantoks krümmen einander kein Haar. Wer einem Wantok etwas antut oder klaut, der fliegt -auch heute noch- aus seinem Stamm. Und das Rascal-Problem ist eben durch die Vermischung der Stämme und die Loslösung aus der Gemeinschaft in den Städten entstanden, gepaart mit der hohen Arbeitslosigkeit. So blind man einem Wantok die größten Schätze anvertrauen kann, so wenig finden die Papuas daran auszusetzen, Angehörige anderer Stämme zu berauben und deren Frauen zu schänden. Es handelt sich um jenen Tribalismus in seiner Urform, der bis zum heutigen Tage in Teilen Irlands, in Jugoslawien oder in Palästina so zahlreiche Anhänger hat. Immerhin sind die Papuas beim gegenseitigen Totschlagen zurückhaltender als die Juden und Philister, aber auch hier gilt das nahöstliche Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ein PMV-Pilot, so stand in der Zeitung, der ein bisschen zu stark auf den Pilz getreten war, dann die Kurve nicht bekam und im Schleudern drei Schulmädchen erwischt hatte, wurde kurz vor dem Lynchmord durch die Wantoks aus dem Stamm der verletzten Kinder von der Polizei gerettet. Sein Bus ging jedenfalls in Flammen auf. Solche Bräuche haben freilich den unschätzbaren Vorteil, dass alle Autofahrer ihre fahrbaren Untersätze mit bewundernswerter Vorsicht voranbewegen und vor den wenigen Zebrastreifen schon dann anhalten, wenn ein Passant auch nur Anstalten macht, sich dem Übergang zu nähern.
"Wenn Sie im Mietwagen unterwegs sind und aus Versehen ein Huhn oder gar ein Kind überfahren oder verletzen, halten Sie auf keinen Fall an, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, sondern melden Sie den Vorfall bei der Polizei, die Sie danach schützen wird", empfiehlt das Büchlein, in dem auch die Rascal-Stories verzeichnet sind. Überraschend ist vor allem die Behauptung, dass es in diesem straßenlosen Land Autovermieter geben soll, aber stell dir vor, am Airport hatten doch wirklich alle international agierenden Firmen einen Schalter, das ist der Gag, nur -- geöffnet hatte kein einziger davon -- und das ist die Logik. Da wir mangels PKWs, mangels Straßen und mangels Gelegenheit weder ein Huhn noch ein Kind überfahren haben, konnten wir den Wahrheitsgehalt der restlichen Aussagen nicht verifizieren, aber in den wenigen Tagen unseres Aufenthaltes in Mosby sahen wir zweimal, wie sich offenbar Angehörige verschiedener Stämme auf offener Gasse windelweich prügelten, bis die Polizei dem Pugilat mit Platzpatronen ein Ende setzte, die amüsierten Zuschauer vertrieb und die blutig lädierten und blauäugig gehämmerten Schwellköppe in der grünen Minna wer weiß wohin karrte.
Meteorologen haben noch nicht ganz herausgefunden, warum es in Port Moresby so trocken ist, während ganz PNG, besonders aber das zentrale Hochland, in der "trockenen Jahreszeit" täglich, in der "nassen Jahreszeit" hingegen stündlich unter Wasser gesetzt wird. Als die wackere Fokker in den Pfützen der Landebahn von Goroka ausrollte, war der Regen gerade vorbei. 23 Grad! Ka jubilierte. Jetzt frag nur nicht, was wir in Goroka wollten, denn das ist gar keine Stadt, sondern eine Flugpiste mit ein paar Häusern drum herum. Und dahinter weite Wiesen, hohe Bäume, und wenn du mal den Kurpark von, meinetwegen, Bad Pyrmont im Regen gesehen hast, dann kannst du dir auch Goroka vorstellen. Vom Airport aus, zu Fuß über die Rollbahn, die den Kindern als Radsport- und Spielplatz dient, ist man in 5 Minuten im Lutheran Guesthouse, das wie alles Lutheranische in diesem Lande halb in britischer und halb in deutscher Hand ist. Da in Goroka der Flugplatz eine ähnliche Funktion hat wie andernorts der Bahnhof, liegt er mitten im Ort, denn die zwei bis drei lütten Propellerhüpfer, die hier täglich mit ihren barfüßigen Passagieren im Laplap ankommen und abfliegen, unterbrechen das Spiel der Kinder nur vorübergehend. Die Schulkinder von Goroka haben noch keine Eisenbahn gesehen, aber Flugzeuge und Hubschrauber beherrschen schon die Buntstiftbilder der Erstklässler.
Wenn es in Goroka mal nicht regnet... |
"Sonntags gibt's im Hause leider kein Dinner", bedauerte die (weiße) Frau Pastorin, und wir taperten also in die nahe Nobelherberge "Bird of Paradise Hotel", das nambawan Refugium der ansässigen Expats. Die lungern an der Gartenbar am leeren Swimmingpool, das bei 18 Grad Abendkühle nicht allzu reizvoll ist, leeren ein Bier ums andere und schlagen die Zeit mit Klönen tot. Das Bistro bietet Steak und Salatbar zu erstaunlich mäßigen 7 K, und eine japanische Reisegruppe und, siehe da, die Frau Pastorin auch, gehen dort zum Abendmahl. Und nach dem Dinner ist es unbeleuchtet finstere, rascalschwangere Nacht, und ich habe glatt meine Zwille und den Halogen-Scheinwerfer extra-hell im Rucksack gelassen, aber außer einem unerwarteten, freundlichen "goodnight" von irgendwoher aus der Finsternis stieß uns auf dem Weg zum Pfarrhaus nichts zu.
Das Unheil ereilte uns erst am andern Morgen, als ein Inferno antiautoritär verzogener Pastorengören, ein pfadfinderhaft salbadernder Missionar und eine urdeutsche Kratzbürste von Omama alles daran setzten, uns die lutherischen Cornflakes zu vergällen, und wir konnten uns mit Mühe auf den nahen Markt der Papuas retten, wo sich ein Dutzend PMV-Crews die Seele aus dem Leib brüllte: "Hagenagenagenageeeeeeen!" klang das, und das ist kein papuaniugineischer Urschrei, sondern unser nächstes Fahrtziel Mount Hagen, die Hauptstadt des Hochlands. In den am stabilsten aussehenden Minibus plumpsten unsere Rödelbeutel und wir, aber der Bursche fuhr, wie alle Fern-PMVs, erst los, als kein Sitz mehr unbesetzt war. Darauf folgte die Ehrenrunde durch Goroka, zur Tankstelle, und außerdem waren noch zwei Cargosäcke abzuholen, bevor sich das Ding ernsthaft auf den Weg machte. 3 Mann Crew, 12 zahlende Passagiere, 2 kleine Kinder, ein quiekendes Schwein, 5 Säcke Gemüse, 2 Rucksäcke und 7 Stangen Zuckerrohr gehen in so ein Vehikel, das auf der Landstraße nach Mount Hagen ordentlich Fahrt machte, vor allem, wenn es bergab ging. Dies war leider nicht allzu oft der Fall, und auch der Asphalt endete bedauerlicherweise kurz hinter Goroka, um nur noch gelegentlich mit einzelnen Placken an bessere Zeiten zu erinnern. Auf dass die Fahrt nicht eintönig werde, wurde die Piste durch mehrere Erdrutsche und Baustellen aufgelockert. Mitten im Urwald verlangsamte der Pilot die Fahrt und brachte das Vehikel an einer einsamen Stelle zum Stehen. Die Crew sprang auf, und einer rief mit lauter Stimme: "Jetzt wird kassiert!"
Ich wähnte schon wieder Rascals am Werk, Ausplündern und Aussetzen der Fahrgäste in der Wildnis, aber mehr als der reguläre Fahrpreis wurde niemandem abverlangt, und kurz darauf ratterte die Klapperbüchse weiter durch Schlick und Pfützen. Um die Mittagszeit erreichten wir Kundiawa, den größten Ort der Provinz Chimbu, und weil einige Fahrgäste hier ausstiegen, musste der Wagen erst wieder neu aufgefüllt werden, was eine neuerliche Pause und Stadtrundfahrt zur Folge hatte. Kundiawa besteht freilich nur aus zwei Straßen, jeweils etwa 300 m lang. Auf der Weiterfahrt passierten wir zahlreiche Dörfer, es war auf der gesamten weiteren Strecke nirgendwo mehr einsam. Immer spazierten Leute, Schweine, Hühner, Ziegen oder Kühe auf, neben, an und über die Hagener Landstraße, und mehrfach sah ich uns schon Chausseegraben landen, wenn der Fahrer einem fetten Schwein allzu plötzlich ausweichen musste. Du weißt ja, andernfalls würde er gelyncht. Mt. Hagen erreichten wir gegen 15 Uhr, zu spät, um noch nach Mendi weiterzufahren.
Eine nette, hübsch tätowierte junge barfüßige Dame empfing uns in Mt. Hagen, vor dessen Rascals das mehrfach genannte Büchlein besonders eindringlich gewarnt hatte. Nicht, dass wir die Lady bestellt hätten. Sie stand einfach neben uns und sprach in gutem Englisch über die australische Konjunktur, die globale Erwärmung und das Ozonloch, als seien wir alte Bekannte. Da wir hofften, doch noch einen PMV nach Mendi zu erwischen, schwatzten wir tatenlos wacker mit, bis uns ein heftiger Tropenguss unter das Dach des nahen Postamtes trieb und uns daran erinnerte, dass wir eines Hoteldachs bedurften, da es mit Mendi heute wohl nichts mehr werden würde. Unsere Gefährtin führte uns zu den öffentlichen Fernsprechern, aber wegen der Wolkenbrüche der letzten Tage, hieß es dort, sei das gesamte Telefonnetz wieder einmal zusammengebrochen. Na und? In PNG kein Problem, die Kommunikation funktioniert auch ohne überseeische Technik, wie in alten Zeiten. Die Barfuß-Tante laberte den Inhaber des Reisladens an, und der geht zum Wäscherei-Fritzen. Der wieder alarmiert seinen Wantok von der Altkleider-Boutique, bevor ich die Staffette aus den Augen verliere, aber dann rattert ein Pritschenwagen heran, und eh wir so recht raffen, was jetzt abgeht, winkt unsere Holde bye-bye und ein nachtschwarzer Mensch bugsiert unser Gepäck auf die Pritsche und uns in das Vehikel.
"My name is Jeronimo", grinst der Draiwa, schüttelt mir heftig die Pfote und klappert mit uns im prasselnden Tropenregen alle Hotels von Monte Hagen ab, bis wir eins finden, das noch ein nicht zu schäbiges Zimmer frei hat. Plitschnass, aber dankbar checken wir ein, und der wackere Jeronimo hat seine 3 Kina Trinkgeld ehrlich verdient. Weiß der Geier, wem wir diesen erstklassigen Service in der Rascal-Hauptstadt Hagen verdanken. Vermutlich hat uns die Papua-Schönheit von vorhin zu Ehren-Wantoks erklärt. Eines aber sag ich dir: Schmeiß dein Guidebook auf den Müll, wenn darin nur von Räubern und Banditen die Rede ist und mit keiner Zeile erwähnt wird, welch unglaubliche Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit dich in dem fremden Land erwarten. Ich verwette meine gesamte Barschaft samt Kina-Pasbuk der Benkin Koporesen, dass ein Papua im "zivilisierten" Deutschland keine so flotte und effektive Hilfe bekommt, wenn er barfuß auf dem Schlauch steht.
Mount Hagen ist so nass und kalt wie Gütersloh im Herbst. Die Kiminaga Lodge, wo wir Obdach gefunden haben, liegt eine knappe Meile außerhalb des Ortskerns, aber nach dem Ende des Regens latschten wir los, um uns Hagen anzusehen. Auch diese Stadt ist in 20 Minuten vollständig zu erforschen, Busse braucht man hier nicht. Der nambawan Luxus manifestiert sich im Highlander Hotel am anderen Ende des Ortes, wo es von italienischen und japanischen Reisegruppen wimmelt. Trotz beginnender Dämmerung taperten wir durch die immer finsterer werdenden Gassen wieder zurück, denn alle die Rascal-Horrorgeschichten halte ich mittlerweile für Räuberpistolen der weißen Expats, die ohnehin in jedem schwarzen Krauskopf einen Halunken zu erblicken vermeinen.
Dass sich eine Siedlung in Papua Niugini nibelungenhaft "Hagen" nennt, das ist natürlich ein Werk unserer Vorväter. Ein kaiserlicher Gouverneur mit Namen Kurt von Hagen gab dem nahen 4000-m-Gipfel seinen Namen, und der Marktflecken, der sich zu seinen Füßen erstreckte, wurde nach selbigem Berg Mt. Hagen genannt. Heute ist der Hagener Markt der berühmteste von ganz PNG und quillt vor allem an Samstagen vor Wuselmenschen schier über. Kein Touristenbus lässt den Markt unbeachtet, weshalb sich auch Souvenir- und Talmi-Stände zwischen den Gemüsehändlern breit machen.
Markt in Mt. Hagen |
In der kleinen Kantine des Hotels setzte sich ein Papua mit an unseren Tisch. Als ich ihn mit der hier üblichen Floskel "Yu stap gut?" (Wie geht's?) anlabere, antwortet er in einem schnellen Pidgin-Dauerfeuer, bis ich ihn mit "Mi noken tok pisin" bremsen konnte. Auf Englisch machte er mir aber ein Kompliment für meine Sprachkenntnisse und erzählte, dass einige Expats wirklich gut Tok pisin beherrschten. Immerhin.
TOK
SAVE
Die Papuas mit ihren zerfurchten, urigen Gesichtern und Rauschebärten sehen aus, als seien sie mit allen Wassern gewaschen und fürchten weder Tod noch Teufel, aber wenn man sie anguckt, genieren sie sich sichtlich. Auch gestandene Großväter haben, nicht anders als ihre Enkel, stets ein Jojo zur Hand und lassen es mit kindlichem Vergnügen auf und ab schnurren. Da begegnet dir in der Dämmerstunde tief im Busch ein hünenhafter "Wilder", das blanke Machete in der Faust, und stürmt auf dich zu. Nur keine Bange, der massakriert dich nicht, sondern lässt das Messer fallen und will dir nur freudestrahlend die Pfote schütteln. "Apinun, apinun!" Welche Freude, auf beiden Seiten! Und dann kommen die Kinder gelaufen. "Apinun, apinun!" Da macht Frank ein ernsthaftes Gesicht und fragt wie ein strenger Lehrer: "Skul pinis?" (Ist die Schule aus?) Ein Chor heftig nickender Kinder antwortet eifrig: "Yesyesyesyesyes!" |
Rings um die Stadt ist das fruchtbare Land dicht besiedelt. Kaffee, Tee, Kakao und Gemüse werden angebaut, und die Dorfbewohner freuen sich über jeden ausländischen Besucher, zeigen ihre Felder und Hütten, lassen sich und ihre Kinder auch gern fotografieren, und eh man sich's versieht, geben halbwüchsige Pikinini (Pick-a-ninny = Naseweis, Dreikäsehoch) eine Gala-Vorstellung, indem sie aus 5 m Höhe von einer wackligen Bohlenbrücke samt Kleidern in den braunen Fluss hüppen. Und die alten Männer kommen gelaufen zum obligatorischen Händeschütteln und strahlen wie der Reaktor von Tschernobyl.
Pikinini bei Mt. Hagen |
Auf dem Weg nach Mendi, wieder im proppevollen PMV, gerieten wir immer tiefer in Nebel, Wolkenfetzen und Regen, und ich muss sagen, dass ich die Papuas aufrichtig bewundere, die halbnackt, mit ihrem Lendenschurz und sonst ohne Kostüm barfuß in den Pfützen stehen, bei bestenfalls 18 Grad, denn das Hochland ist bei Regen richtig kalt. Mich wärmte ein Jüngling von der PMV-Crew, der sich unablässig an mich drängte und mich gar für den Rückweg in seine Hütte einlud. Ich musste ihn enttäuschen, denn wir wollten die Wärme im tropischen Regenwald am klaren Kutubu-See genießen und nicht in der Hütte eines warmen Jünglings vom Stamme der Truka. Da gefielen mir die Reden eines anderen Mitreisenden schon besser. Der sagte, er wohne in einem Dorf, drei Stunden vom See entfernt, "und da haben wir am Samstag ein Singsing, zu dem wir unsere Trachten und Kriegsbemalung anlegen, tanzen und feiern. Wenn ihr am Samstag im Kutubu Lodge seid, komme ich und hole euch ab zu meinem Dorf. Da könnt ihr mitfeiern und alles fotografieren, was ihr wollt." Das ist ein Wort, Mann!
"Also bis Samstag", riefen wir beim Aussteigen im strömenden Regen von Mendi, und dann hätten wir zum Backpacker-Treff Menduli Guesthouse latschen können. Das liegt aber 2 km außerhalb des Ortes. Näher, direkt vor der Nase, lag hingegen das Mendi Hotel, das ich für eine Konservendosen-Fabrik gehalten hätte, wenn da nicht "Hotel" drangestanden hätte. Wegen des Regens trotteten wir zu diesem einzigen Hotel des Ortes, fielen aber beinahe in Ohnmacht, als der Mensch, der uns eine spartanische Zweipritschen-Zelle mit nackter Glühbirne an der fleckig getünchten Decke entschlüsselt hatte, den Preis von 90 Kina für diesen Komfort nannte. Mann, das sind 100 Euro! Langsam komme ich mir mit meinen Yens und Euros vor, als wären das Rupien oder Zloty. Erstaunlicherweise zeigte der Herr der menschenleeren Übernachtungsfabrik Verständnis für unser Entsetzen. Nicht im geringsten vergrätzt rief er seinen Chauffeur, und der packte uns in einen Geländewagen und fuhr uns durch Schlamm und Pfützen zum Menduli Guesthouse. Kostenlos.
Mendi ist, wie Goroka, eine Ansammlung von Häusern rund um den Flugplatz, aber noch viel kleiner. Unterbempflingen oder Hintergosselbach wirken im Vergleich zu Mendi geradezu großstädtisch. Immerhin verfügt Mendi über besagtes Hotel, einen Kaufladen, eine Bank, ein Postamt, zwei Kaikai-Bars und zwei öffentliche Fernsprecher. Letztere sind kaputt, das heißt, dem einen ist der nicht ganz unwichtige Hörer abhanden gekommen, und der andere funktioniert nach eigenem Gutdünken. Man päppelt die Technik mit Münzen, wählt und kriegt die Verbindung, aber urplötzlich verliert der Apparat die Lust, bricht das Gespräch ab und zeigt auf dem Display "außer Betrieb". Fairerweise spuckt er auch alle Münzen wieder aus. Rütteln oder Klopfen ist aussichtslos. Man muss das Gerät streicheln und ihm sanft zureden. Nach 8 Minuten Psychotherapie zieht es seine "Error"-Anzeige wieder zurück und gestattet ein weiteres Gespräch bis zum Ende, bevor es sich wieder außer Betrieb setzt, nicht ohne die Münzen wieder herauszurücken. Wunderbar. Selbst die Telefone haben sich der einheimischen Mentalität angepasst.
In allen Räumen des Menduli Guesthouses hängen an der Wand Bilder eines bärtigen und langhaarigen Ausländers. Es scheint sich um einen Popstar zu handeln, dessen Konterfei wir auch im Lutheran Guesthouse in Goroka schon erblickt hatten. Dazu herrscht im Hause strenges Alkoholverbot, und vor den Mahlzeiten rezitiert der Gastgeber irgendwelche britische Lyrik. Wenn man diese Macken akzeptiert, kann man da billig logieren und die währschafte Hausmacherkost des weißen Chefs dreimal täglich genießen. Außer uns hat es noch ein bayrisches Lehrerehepaar in diese Gastbeherbergungsanstalt verschlagen. Ka war schon in deutsche Konversation vertieft.
"Und was sagten Eure Freunde und Bekannten, als sie hörten, dass ihr nach PNG wollt?"