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OGASAWARA
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Wir sehen uns nach Fluchtwegen um und werden anderntags fündig. Die kleine Hahajima Maru hat angesichts des freundlichen Wetters all ihren Mut zusammengenommen und heute früh um 8 Uhr den Hafen verlassen, mit uns an Bord. Also nicht dass sie eigens wegen uns losgefahren wäre --- das ist der planmäßige Dampfer, kaum größer als eines der Fischerboote. Es sind ein paar Einheimische mit an Bord, zwei Geschäftsleute, aber außer uns keine Urlauber. Entweder reicht deren Zeit, die üblichen zweieinhalb Tage, nicht zu einem Abstecher, oder die Aussicht, auf einer noch kleineren Insel, auf der nur zwei Kaufläden und ein paar krumme Häusel existieren, zu versauern, schreckt die Tokyoter Jugend.

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Alles Mini auf Hahajima, die Fähre wie der Hafen


Zweieinhalb Stunden Wellenreiten, denn trotz des scheinheilig blauen Himmels gleicht die Reise mit dem Schipperkahn der Fahrt mit einer Achterbahn. Arg mürbe und flapp verlassen wir in großer Mittagshitze die schwankenden Planken, zur Genüge für die gestrige Schadenfreude gestraft, und tappen zu dem Haus namens Asakaze, dessen Bewohnerinnen, zwei ledige Schwestern im besten Hausfrauenalter von knapp 50 Jahren, Gästezimmer haben und uns aufzunehmen willig sind.

In der Tat scheint Hahajima (Mutterinsel), die größte der "weiblichen" Inseln, eine Miniaturausgabe von Chichijima (Vaterinsel) zu sein. Das heißt, die Insel ist fast genauso groß, aber im Vergleich zu Okimura, dem Hafendorf mit seinen 400 Einwohnern, ist Omura mit seinen beiden Verkehrsampeln (, die aber immer nur gelb blinkten,) beinahe eine Großstadt. Okimura besteht aus Fischer-Kooperative, Landwirtschaft-Kooperative, Polizeistation, Kaufladen, Kraftwerk, Postamt, Wetterstation, drei Kneipen, in denen abends sakeselige Lieder erklingen, und einer Anzahl farb- und fantasieloser Wohnhäuschen, die sich um die einzige Grundschule auf dem bisschen Platz nahe der Hafenmole drängen, wo es halbwegs flach ist.

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Ganz Okimura auf einen Blick


Vor unserem Besuch auf dem Ogasawara-Archipel meinten wir, dass da nur lauter Fischer lebten. Aber weit gefehlt. Stell dir vor, du hast eine Insel zu besiedeln. Als erstes setzt du eine Garnison von 300 marinierten Soldaten drauf, dann kommt ein Rathaus dazu, eine Polizeiwache, ein Postamt und eine Schule. Dann noch ein paar Forschungsinstitute, ein Dieselkraftwerk und die Feuerwehr. ALLES BEAMTE! Und die haben Weib und Kind und Kegel dabei, brauchen was zum Essen und ein Dach überm Kopf. Das ergibt dann die Kaufläden, Bauunternehmen, Tankstellen und Autoklempner, ein Internet-Café und ein SONY-Geschäft mit Batterien und Glühbirnen im Angebot. Und im Sommer, da kommen die Bikini-Girls und ihre Fans, dazu braucht's Kneipen und Souvenirfritzen, Postkartenstände und Tauch-, Surf- und Segelschulen. So entsteht schon ein ganz wackeres Dörflein ohne auch nur einen einzigen Fischer. Wer da am Anfang noch so dämlich war, mit seinem Kutter auf Fischfang zu fahren, der hat schnell umgerüstet und tuckert nun die Touristen zwischen den Inseln umher zum Schnorcheln und Plantschen, 40 Euro pro Fahrgast und Tag, und das alles ohne Netzeflicken, ohne Schuppen und ohne Gräten.

Auf Hahajima sieht das anders aus. Keine Garnison, kaum ein Tourist, nur eine Handvoll Beamte. Hier muss man sein Gemüse schon selber anbauen, seinen Fisch schon selber aus dem salzigen Wasser holen. Und die guten, schon im April reifen Wassermelonen werden bis nach Tokyo geliefert, und was immer auf Chichijima an Sushi, Suppenschildkröten und Walfleisch auf den Tisch kommt, wird von der Fischer-Kooperative in Hahajima geliefert. Das einzige Rätsel ist, weshalb es hier 11 Kraftfahrzeuge gibt, denn dieses Dorf mit seinen 426 Metern Straße ist das einzige auf der ganzen Insel.

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Afrika-Maimais sollten die Hitze gewöhnt sein


In glühender Hitze stapfen wir durch die Plantagen, durch stinkend verwesende Massen von Maimais, die es auch bis nach Hahajima geschafft und offenbar gemeint hatten, der Taifun dauere ewig an, kommen am sachte grummelnden E-Werk vorbei, steigen durch sorgsam ausgeschilderte Dschungelpfade hinab zur Küste, wo laut Karte die Strände Miyukihama, Nankinhama und Mannen-Aohama auf uns warten. Hier kann man wohlgemut durch jedes Dickicht krauchen, es gibt keine Schlangen auf Ogasawara, und auch das sonstige Getier, von den Maimais bis zu den Bergziegen, ist weitgehend vom Menschen hierher verbracht worden.

Miyukihama ist ein Flop: Felsen, Geröll, Krebse... nichts zum Baden. Nankinhama gleicht dem ersten Strand, ist aber etwas flacher und breiter. Weil der dritte Strand für den Rest des Nachmittags zu weit entfernt ist, steigen wir eben hier zwischen dem glitschigen Gestein in die Flut, seit Tagen das erste Bad auf diesen Südsee-Inseln. Von hier hat man eine gute Aussicht auf den Süden der Insel und die gesamte weibliche Sippschaft, große Schwester, kleine Schwester, Tanten und Nichten, Kusinen und Großmamas, aber alles ist steil und klippig, nur eine einzige Stelle in der Ferne sieht nach Badestrand aus und ist auf der Karte als Why-Beach ---warum wohl?--- verzeichnet. Überdies verschwindet eine Insel nach der anderen hinter einer Art Vorhang, den wir als heranziehende Regenfront deuten. Hier ist nicht gut sein, zumal nach dem ersten Schauer die Damen erneut ihre Schleier runterlassen und wir unsere Sachen zu den Einsiedlerkrebsen in einen Felsspalt retten, bevor es erneut lospladdert.

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Nankinhama - zwischen glitschigem Geröll in die Fluten....


Ein Abkürzungsweg führt zur Straße, auf der die noch ungedörrten Maimais gerade mit dem Aufatmen beschäftigt sind, denn der nächste Regen kommt bestimmt und erwischt uns kurz vor der Ankunft im Dorf. Wir flüchten unter das nächstbeste Dach, das sich als dasjenige eines Kuhstalls entpuppt, wo uns drei gehörnte Viecher blöd anglotzen und uns Myriaden von dreisten Fliegen auf die Pelle hetzen. Bis zum Dorf ist es nur noch ein Katzensprung, da brummelt ein Lieferwagen heran und lädt uns auch noch zu den drei Waldschraten auf die Ladefläche, die auf irgendwelchen Pfaden unterwegs gewesen sind. Vermutlich sind damit sämtliche Touristen gemeinsam ins Dorf zurückgekommen, und das alle bewegende Gesprächsthema ist die Frage, ob diese Schauer-Serie nur eine vorübergehende Laune des Wetterministeriums war oder der Auftakt zum nächsten Taifun.

In Okimura erwartete uns vollkommener Trost für den verpatzten Badeausflug. Die beiden Schwestern, die unser Heim managen, setzen ihren gesamten Ehrgeiz daran, uns aufs Beste zu verwöhnen. Alle die Köstlichkeiten, unter denen sich die Tischplatte des Abendmahls biegt, sind wie aus dem Kochbuch herausgezaubert, wie kann man ein Drei-Sterne-Menü auf so einem mickrigen Eiland komponieren?

Stolz erzählt die kleine Frau Holle, dass alles aus Produkten von Hahajima bestehe, mehrere Sorten Fisch, auf verschiedene Arten zubereitet, dazu Gemüse und Salat und Dessert, und all das findet beim Frühstück beinahe noch einmal seine Entsprechung. Unglaublich, dass dieser lukullische Luxus im Übernachtungspreis von 34 Euro enthalten ist, und das im teuren Tokyo! Na ja, Tokyo. Ich will ja nicht behaupten, dass wir in der Innenstadt logieren.

Kein Auto röhrt am Abend, kein Moped knattert, keine U-Bahnbaustelle, kein S-Bahn-Rattern. Nur ein leises Rauschen von der Brandung her, ein Rascheln der Abendbrise in den Hibiskusbüschen, ein leises Gackern der Geckos an der Hauswand, sonst ungestörte Stille. Auf den verlassenen Straßen hocken philosophierende Kröten und schnappen ab und zu nach einem Nachtfalter, und ein klarer, von Smog und Licht unbeeinträchtigter Sternenhimmel spannt sich über die wenigen Leute, die auf der Hafenmole hocken und Fische angeln, die man wohl bedenkenlos verspeisen kann.


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Und oben drüber baumelt der Mond


Wer von Hahajima etwas sehen will, der muss sich per pedes dorthin begeben, denn wie Rockefeller snobisch im Mikrobus am Strand vorgefahren kommen, das läuft hier nicht. Erstens, weil es weder Bus noch Taxi noch Leihfahrräder noch Helikopter gibt, und zweitens, weil auch das Straßennetz noch ausbau- und entwicklungsfähig ist. Für lange Fußtouren braucht man ein gutes Fundament im Leib, und dafür sorgt die brave Mama unsrer Herberge, ich muss einfach Lobeshymnen anstimmen. Wo kriegt man denn sonst gleich zum Frühstück eine halbe Melone als Nachtisch vorgesetzt?

Nach etwa einem Kilometer endet die asphaltierte Straße, die aus Okimura in der Südrichtung hinausführt, im Nichts. Sie hat nur einen Wasserkopf oder Klumpfuß, damit verdutzte Autos, die sich hierher verirrt haben (kommt sicher nicht häufig vor, weil es nämlich kaum Autos hier gibt), wieder wenden können. Stattdessen beginnt ein grünsteiler Buschpfad, der schon auf den ersten Metern zeigt, was auf den Wagemutigen so alles noch zu kommt. Es fängt an mit nassen Füßen, weil nach Taifun und Schauern der Weg zugleich einem Bächlein als Bett dient, und das legt sich darin keineswegs schlafen, sondern gluckert recht munter über unsere Sandalen. Natürlich spazieren wir hier nicht im Smoking, sondern lassen das scharfkantige Gras allerlei blutige Schriftzeichen in unsere bloßen Beine ritzen. Immerhin ist es abwechslungsreich, indem der Weg wie zum Spaß ein Stück steil nach oben führt, und danach wieder ebenso steil nach unten, und wer auf dem bach- und regennass glibberigen Boden ausglitscht, der kriegt bald echte Trekkingspuren am Hinterteil seiner Shorts.

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Der angenehmere Teil des Wegs


Dann muss man sich die Wedel aufdringlicher Gewächse aus der Visage streichen, über zeitzahn-benagte Baumstrünke krabbeln, durch Sumpflöcher quatschen und Maimais zermatschen, Landkrebsen kühn in die gewetzten Scheren blicken und über die bizarren Wurzeln der Tako-Bäume kichern, die wie Krakenarme aus dem Boden wachsen und sich in zwei oder drei Metern Höhe endlich zu einem mickerig dünnen Stämmchen vereinigen.

Lohn der Schinderei, eine gute Stunde später: Das Südkap ist erreicht, eine weite Bucht, die so aussieht, als habe Polyphem hier Felsen-Weitwurf geübt. Nur Geröll, so ähnlich wie auf dem Mars, kennst du ja, und ein paar Inseln, die aus dem Wasser ragen, aber leider keine Spur von Strand. Und obendrein kurvt da ein Boot in die Bucht herein, mit laut plärrenden Kiddies an Bord, fugamus citissime! (Für Leute ohne das kleine, gelbe, große, dicke oder salzige Latrinum: Lasst uns behändest die Flucht ergreifen!)


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Viel Felsen gab's und wenig Strand


Glücklicherweise haben wir unterwegs eine halb verwitterte Hinweistafel mit der seltsamen Aufschrift "Why-Beach" gesehen und hoffen, dass es sich tatsächlich um einen Strand handeln möge, und da Strände dem Rost in der Regel länger trotzen als Weigweiser, kämpfen wir uns durch fast unberührtes Geschling in die gewiesene Richtung. Kurz darauf stehen wir ÜBER der Küste und sehen weit unter uns den gepriesenen Strand, der weißsandig leuchtet...! Da unsere Hosenböden ohnehin schon von Schlammgraffiti gezeichnet sind, rutschen wir einfach den bröseligen Steilhang zwischen Dschungelwedeln und Lianen runter, das Gepäck kullert uns voran, die Sandalen folgen, bevor wir wie eine Herde Orang Utans, die versehentlich eine Wanne Wodka geleert hat, polternd und holpernd auf dem Sandstrand landen.

Es ist der unberührteste Sandstrand der Welt, und zugleich der schönste Strand von ganz Ogasawara, das kannst du mir glauben. Ein Stück Sand, um leicht ins glasklare Wasser einzutauchen, und hier eine Art Aquarium, ein felsiges, aber seichtes Stück Meeresboden, das von allen möglichen exotischen Fischen in großer Anzahl bevölkert wird.

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Da kannst du notfalls auch drauftreten...


Aus allernächster Nähe kann man sich die seltsamen Südseeigel mit ihren knallroten, röhrenförmigen und zum Glück an den Spitzen abgerundeten Stacheln ansehen, Krebse in allen Größen und Farben, Saugfische, die sich mit der Schnauze an glitschigen Felsen festsaugen und, wenn man sich nähert, akrobatische Sprünge vollführen, als wären sie im Wasser, Riesenmuscheln, die sich im seichten Grund verankert haben und deren schlangenlinienförmig nach oben offene Schalen so kräftig aussehen, dass man es nicht mal wagt, probeweise eine Gummisandale reinzustecken, gelbliche, weiße, bläuliche und violette Korallen und eine wunderbare Plattform, ein flacher Fels, der ins Meer hineinragt und unter dem es sichtbar tief ist, so dass man von da aus unbesorgt jeden Hechtsprung vollführen kann.


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...aber hier lieber nicht !


Die Begeisterung hält den ganzen Nachmittag an und wird nur noch gesteigert, als in wenigen hundert Metern Entfernung eine Schar Delfine eine übermütige Gala-Vorstellung von Luftsprüngen gibt. Wahrscheinlich üben sie für die nächste Olympiade. Wenn ich Delfin wäre, würde ich mich wahrscheinlich auf die gleiche Weise im lauwarmen Wasser vergnügen, mit einer hübschen Delfinia in der Nähe. Allerdings muss man nicht unbedingt ein Delfin sein, um sich hier einen schönen Nachmittag zu machen. Sogar der Rückweg fiel uns leicht, uns lockte die Vorfreude auf die Cuisine unserer beiden Herbergsmütter, und die Erwartungen, das kann ich mit bestem Gewissen versichern, wurden noch weit übertroffen. Normalerweise verliere ich auf meinen strapaziösen Expeditionen Gewicht, aber wenn das hier so weiter geht, walzen wir trotz unserer weiten Wanderungen auf Hahajima bald prall wie Sumo-Ringer einher.

Hatte ich vorher gesagt, dass es nur ein Dorf und 426 Meter Straße gebe auf dieser 10 km langen Insel? Ich korrigiere mich hiermit und bitte um Verzeihung. Es gibt noch ein Dorf namens Kitakô am äußersten Nordende der Insel und eine asphaltierte Straße bis dorthin. Der Haken an der Sache: Kitakô ist eine unbewohnte Ghosttown, die vor dem 2.Weltkrieg evakuiert und nach Ende des Kriegs nicht wieder besiedelt wurde, und die asphaltierte Straße wird mitunter von Bachläufen und Erdrutschen der Natur angenähert, so dass unsere Hoffnung, ein motorisiertes Vehikel käme des Wegs gefahren und nähme uns ein Stück mit, vergebens war. Aber sind wir nicht hier hergekommen, um nahezu unberührte Natur zu genießen ?

Die zehn Kilometer mussten alle abgelatscht werden, und weil sich das Wetter aufgrund unserer Proteste am ersten Tag nunmehr wolkenlos gibt, rinnt der Schweiß auf dem weiten Weg über diese bergige Insel in Strömen. Selbst der höchste Berg der "Mutterinsel" Hahajima, der den sinnigen Namen Chibusayama (Brustwarzenberg) trägt, hat seinen bisher stets schamhaft getragenen Wolkenbikini abgelegt und reckt sich keck ins Himmelsblau, nicht anders als Kas Entsprechung an der menschenleeren Why-Beach gestern. Für die Mühen des weiten Wegs entschädigen schöne Ausblicke auf Inseln, Küsten und den Ozean.

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Schroff und steil ist Hahajima


Nach etlichen Strapazen, gelindert nur durch klare Bächlein, erreichen wir nach Ablauf der dritten Wegstunde den Nordhafen Kitakô, in dessen Wohnstuben vielwurzelige, mächtige Dschungelbäume eingezogen sind, sich in den Schlafzimmern breit machen und wie zum Scherz die Holzdächer hochstemmen. Verwilderte Hibiskus-Pflanzen werden von weißäugigen Mejiro-Vögeln ausgelutscht, und in verlassenen, rostigen Wäschetruhen, in denen noch verschimmeltes Bettzeug liegt, haben Spinnen und Ratzen es sich höchst bequem gemacht. 600 Einwohner soll es hier mal gegeben haben, ja, sogar ein Bordell das Nachtleben der Fischer bereichert haben, die an der jetzt zerbröselnden Hafenmole ihre Kähne festgerödelt und große Wale ausgeladen haben, als Japan seine Wale noch ohne den lästigen Umweg über angebliche "Forschungszwecke" erbeuten und verspeisen konnte.

Kaum haben wir unser Mittagsmenü auf der Hafenmole ausgebreitet, da brummelt ein Allrad-Fahrzeug heran und lädt eine muntere Bande von Scuba-Divern aus, und dann folgt noch einer und noch einer und noch einer.... Die Straße ist also doch für geländegängige Fahrzeuge zu bewältigen! Wir suchen uns eine taucherlose Stelle aus, kitzeln Seesterne und foppen die Krebse, versuchen vergeblich, einem der exotischen Fische die Flosse zu schütteln, baden und fressen, damit das Gepäck auf dem Rückweg leichter wird. Um das frugale Abendmahl in unserer Unterkunft nicht zu versäumen, nehmen wir gegen 15 Uhr den Trek zurück in Angriff. Jetzt ist es kühler, der Leib ist erfrischt, das Gepäck erleichtert, die Nachmittagsonne wirft fotogene Strahlen und die Abendbrise weht uns durch das T-Shirt; ideal für lange Wanderungen, aber wie das Schicksal so spielt, nach 300 Metern Wegs kommt das erste Taucher-Vehikel und nimmt uns mit an Bord.

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Holzhausfressende Bäume in Kitakô


Als der einheimische Fahrer hört, dass wir im Hause Asakaze wohnen, erglänzt sein Gesicht: Das Haus ist in ganz Okimura berühmt für seine exquisite Küche und wird, wie man sieht, sogar im unbewohnten Kitakô gepriesen. Das erzähle ich dann schmunzelnd der gesprächigen Gastgeberin, die, von so viel Finesse charmiert, uns einen Extrateller Walspeck auftischt und das Bier auf Kosten des Hauses gehen lässt.

Anders als auf Chichijima gibt es hier keine Nachtfalterplage. Nur die Maimais haben den Weg von Afrika aus bis nach Hahajima gefunden, aber das habe ich sicher schon einmal erwähnt. Ansonsten leben hier noch die andernorts fast ausgestorbenen Ogasawara-Riesenfledermäuse und eine Vogelart mit Namen Meguro (Schwarzauge, wegen der schwarzen Zeichnung um den Augen), die im Gegensatz zu den sogar in Tokyo allgegenwärtigen Mejiro (Weißauge) sehr scheu und selten ist.


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Weißauge Mejiro...

...und Schwarzauge Meguro


Während wir uns in Kitakô amüsierten, hatte die Fähre Hahajima Maru neue Gäste in unser Haus Asakaze eingeliefert, fünf Erwachsene und drei Kinder, wodurch die Population der Insel vorübergehend glatt um 2 Prozent zunahm. Und kaum bekamen diese Leute spitz, dass wir für morgen ein Boot für einen Trip zu der unbewohnten Insel Hirajima gechartert hatten, lud sich die gesamte Mischpoke zum Mitfahren ein, so dass unsere Popos, die sich auf ein paar Stunden unverhülltes Sonnenbaden an menschenlosen Stränden gefreut hatten, missmutige Backen zogen. Just zur Abfahrt trudelten an der Mole auch noch zwei braungebrannte Jungs ein, und siehe da, es waren unsere Copains von Kopepe! Auch schon da!?

Uns begrüßten sie zwar freudig, auf die Mamipapis mit ihrer Kinderschar, die mit Badetüchern, Sonnenschirmen und aufblasbaren Plastikenten den schwankenden Kahn enterten, äugten sie allerdings etwas säuerlich. Nun ja, für die Erstbesiedelung der Insel Hirajima sollten diese 12 Personen ausreichen.

Durch seidiges Meer, aus dem fliegende Fische aufstoben und in dem eine eilige Schildkröte paddelte, tuckern wir rüber an den weißen Sandstrand von Hirajima, wo uns der Schiffer absetzt und gelobt, uns um 16 Uhr von selbigem wieder aufzulesen, wenn die Ebbe vorbei ist. Der Sandstrand ist zwar sehr schön, aber die dürren, kleinblättrigen Takobäume spenden nur spärlichen Schatten, den die Kindersippe sofort in Beschlag nimmt. Vom Boot aus war aber in einiger Entfernung eine weitere Beach zu sehen gewesen, zu der wir vier Wanderer uns aufmachten. Ohne ein ordentliches Schweißvergießen sich einfach auf die faule Haut zu legen, das ist uns zu simpel. Obwohl Hirajima "flache Insel" bedeutet und aus weiter Ferne vielleicht auch eher flach anmutet, kann, wenn man sich ans Erklimmen des Inlands macht, von "flach" keine Rede mehr sein. Und wie es unbesiedelte Eilande so an sich haben, musst du dir deinen Weg selber bahnen. Da beißt du dich durch Geschling und Gestrüpp einen Hang hoch und stehst schließlich vor einem Abgrund, der einen Umweg angeraten sein lässt, krauchst durch spinnwebiges Dickicht, bis dir die Hagebutten den Buckel runterrutschen und scharfes Gras den Beinen eine rote Kriegsbemalung bescheren, kriegst beim Übersteigen eines knorrigen, vor Jahren umgefallenen Baumes von zurückschnellenden Gerten eine Backpfeife, schnaufst den dritten, vierten und fünften Hügel durch unberührte Vegetation rauf und wieder runter, bis endlich weit unten weiß und türkis etwas Sandstrandiges heraufleuchtet, das wir um die Mittagszeit jappend erreichen.

Ehrlich gesagt, der andere Strand, unser Ausgangspunkt, war schattiger und schöner, aber wir haben nun mal unseren Stolz -und nichts gegen Kinder!- und bleiben hier, schon alleine deswegen, weil der Gedanke an den Rückweg doch nicht allzu verlockend ist. Unbewohnt, das hat allerdings auch einen Vorteil. Schon bewaffnen sich die beiden Kopepe-Burschen mit wackeren Steinen und ziehen ins Gefecht gegen die feisten Krebse, die hier, von Menschen unbehelligt, massenhaft die Felsen besetzen. An trockenem Holz ist kein Mangel, und bald schon riecht es nach Mittagessen, frische Krebse am offenen Feuer gegrillt. Etwa zehn kapitale Burschen sind so dumm gewesen, sich fangen zu lassen, munden aber nicht weniger vortrefflich als die intelligenteren.

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Alle Felsen voller Krebse

Die Ebbe ausnutzend, kehrten wir über die Küstenfelsen an den Ausgangsstrand zurück, einige Buchten durchschwimmend, und kaum stiegen wir wieder an Land, verschlug es uns die Sprache: Direkt am Ufer, in dem flachen Wasser, dem wir soeben entstiegen waren, schiebt sich träge ein dunkler, grauer Hai über den Felsengrund. Uns war, als habe uns Dracula auf die Schulter geklopft. Da kommt grinsend so ein Typ daher, der während unserer Abwesenheit mit einem lütten Motorboot hier eingetroffen ist, und meint, dass Haie recht wohlschmeckend seien und er sich gerade einen gefangen habe. Tatsächlich, das anderthalb Meter lange Vieh ist mit einem Seil um die Schwanzflosse an einer nahen Klippe vertäut und deshalb so friedfertig. Und wie fängt man solche Biester?
"Och, die kommen mittags in die Bucht und halten in dem warmen, flachen Wasser ihr Mittagsschläfchen, da braucht man ihnen nur ein Lasso um die Flosse zu wickeln..."
Min ollen Ossen, wat ji mi seggen wullt, dit reekt man bannig na Seemannsgarn, ha haa!

Im Meer um die Ogasawara-Inseln plantschen 34 Arten von Haien in Größen zwischen 1 und 6 Metern, darunter auch der dickschädelige Hammerhai. Alle haben auch Menschenfleisch auf ihrer Speisekarte, aber man versicherte uns, dass sie sich in diesen fischreichen Gewässern den Wanst überwiegend mit Flossengetier vollstopfen und bisher noch kein Besucher angeknabbert worden sei. Tatsächlich sind Haie eher nachtaktiv und lieben es, sich tagsüber mit vollgefressener Wampe im warmen, seichten Küstengewässer auf die Flosse zu legen und eine Runde zu dösen. Jedenfalls soll es angenehmer sein, Haie zu verspeisen als sich von ihnen verspeisen zu lassen, wobei ich mangels eigener Erfahrung hier nur das wiedergebe, was andere Leute, die offenbar beide Varianten schon erlebt haben, dazu äußern.

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Lieber fressen als gefressen werden

Das Abendessen brach mal wieder alle Rekorde, und wenn es einmal einen MICHELIN-Fritzen auf Hahajima verschlagen sollte, was eher unwahrscheinlich, aber nicht vollkommen auszuschließen ist, denn schließlich brauchen die 11 Autos sicher irgendwann auch mal neue Pneus, so sind dem Hause Asakaze etliche Sterne so gut wie sicher. Für uns war es das letzte Abendmahl, und nicht nur die beiden Schwestern, die das Haus und die Küche managen, sondern auch die junge, braungebrannte Studentin aus Tokyo, die hier als Serviermädchen jobbt und deren appetitlicher Popo immer frech aus den abenteuerlich knapp abgeschnittenen Jeans-Shorts lugte, waren heute freundlicher zu uns denn je.

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Drunter trägt sie Bikini


Bevor anderntags gegen Mittag der Kutter namens Hahajima Maru angejuckelt kommt, versuchen die beiden Kopepe-Jungs mit urigen Spießen und Gummibrillen im Hafenbecken irgendetwas Maritimes zu erbeuten, aber die hiesigen Fische haben anscheinend nicht genug Humor, sonst hätten sie sich nämlich kaputtgelacht über die zwei unbeholfenen Froschmänner und wären dadurch eine leichte Beute geworden. Als die Fähre ablegt, stehen an der Hafenmole zwei kleine, schmächtige Frauen mit großen Sommerhüten und winken und winken und winken, als ob die beiden Gäste, die vier Tage lang in ihrem Haus gewohnt haben, ihre eigenen Kinder seien.

 

susumu modoru mokuji

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