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OGASAWARA
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Vorgestern per Schiff nach Hirajima, gestern per Schiff nach Chijchijima zurück, heute per Schiff nach Minamijima.... wir werden allmählich wasserdicht und seetauglich, und stapfen bald auch an Land so breitbeinig torkelnd, als ständen wir auf öligen Planken an Deck. Heute allerdings sind Kahn und Schipper echte Museumsstücke, der Alte mit Schlapphut, der anfängt, schaurig zu singen, sobald die offene See erreicht ist, nicht weniger als der angerostete Bottich, der träge und ächzend durch die sanften Wellen schnauft. Dennoch dauert es nur 30 Minuten, bis wir die Südinsel erreichen, denn sie ist so nah, dass man sie theoretisch auch schwimmend erreichen könnte.
Ich frage mich, was an diesem schroffen Felsklotz so reizvoll sein soll, dass alle Welt das Eiland als Highlight des Ogasawara-Urlaubs preist. Nur Steilwände ringsumher, an denen selbst die ruhige See beachtlich hoch aufgischtend anbrandet, da bin ich mal gespannt, wo der singende Schiffer seine Rostbüchse festmachen will. Jetzt stellt er sein Halsradio ab und hält eine Weile den Schnabel, wahrscheinlich muss er sich konzentrieren, damit seine Nussschale nicht an einer Klippe zerschellt. Aber er steuert das Schifflein mit spotzendem Außenborder zwischen zwei Klippen hindurch, und unversehens gleitet unser Vehikel in eine stille, weite, grüne Bucht mit flachen Sandstränden, die sich vor uns auftut wie jene Muschel, der einst Aphrodite entstiegen sein soll.

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Die griechische Aphrodite trug freilich keinen Bikini


Sacht knirscht die Bütte in den weißen Sand, und der bebrillte Caruso entlässt alle Fahrgäste, etwa zehn an der Zahl, ans Gestade. Die einen, darunter auch ein germanischer Wandersmüller namens Frank, krabbeln einen sacht ansteigenden Saumpfad zwecks Panoramablick empor, die anderen bleiben am Strand und spielen im grünblauen Wasser Aphrodite in der Muschel. Oben angelangt, ertönt ein Chor von Ahs und Ohs, die auf Japanisch ebenfalls "Ah" und "Oh" lauten, da sieht man mal wieder, wie leicht diese Sprache doch zu erlernen ist. Und der Grund für diesen internationalen Interjektionschor ist der Blick auf die tellerförmige Tiefe, alles weißer Sand, zur Linken durch ein Felsentor mit dem Meer verbunden, das ein Stückerl hereinspült und ein wunderschönes, natürliches Amphitheater mit Schwimmbad formt, dahinter leicht ansteigend und übersät mit blühenden Strandranken. An einer Stelle geht es über in eine Senke, die mit Regenwasser gefüllt einen Weiher bildet, in dem Reiher staksen und Kiebitze über die Seerosen laufen, und alles ringsherum eingefaßt von einem steilen Felsenkranz, der das lauschige Innere dieses Naturgartens behütet wie jene klobigen Mauern die zierliche Alhambra
in Granada. Dies ist also das Juwel des Ogasawara-Nationalparks!


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Felsentor und Swimmingpool von Minamijima


Es ist offenbar Vorschrift, dass man hier abgeladene Besucher innerhalb einer Stunde wieder aus dem Paradies entfernen soll, damit es nicht mit Picknickresten, Sonnencremedosen und Plastikbotteln verunziert wird. So bleibt für uns nur Zeit für ein hurtiges Bad, bevor unsere Luxusyacht ihren stotternden Zweitakter wieder anwirft. Für alle diejenigen, die doch einmal versuchen wollen, schwimmend bis Minamijima zu gelangen, sei erwähnt, dass sich dicht neben unserem Schifflein auf dem Grunde des klaren Wassers die Silhouetten von fünf Haien abzeichnen, die dort gemächlich herumschwimmen und keineswegs träge Mittagsschläfchen abhalten. Und diesmal haben sie kein Seil um die Flosse.

Jetzt jodelt er wieder, der ogasawarische Seebär, nachdem er die Klippen glücklich umkurvt hat. Und will uns noch was bieten für unser Geld. Die ganze Insel Chichijima entlang geht's nach Norden, wo zwischen der Hauptinsel und der Bruder-Insel Anijima der Unterwasserpark liegt. Hoffentlich parkt er da seine schnieke Yacht nicht unter Wasser....


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Ein Korallenpony, nein, Seepferdchen !


Also, hier ist das fischhaltigste Korallenparadies der gesamten Gegend, und nun röchelt der Motor, bevor er ganz verstummt, und der Jodler hält endlich auch die Raffel, schiebt seinen Schlapphut in den Nacken und fängt an, am Schiffsboden rumzupolkern. Da hebt er eine Planke ab und siehe da, am Schiffsboden ist ein Guckkasten aus Plexiglas, in den sich zehn schwarze und ein dunkelblonder Wuselkopf zwängen, und während wir fernsehen, rödelt der Mensch schon in einer anderen Ecke, angelt aus einem Holzbottich drei zappelnde Fische raus, die er mit einem langen Messer köpft, ausnimmt, entschuppt und in kleine Bröckli schnetzelt. Endstation des Fischlebens ist eine dampfende Brühe, weiß der Teufel, wo er die hergezaubert hat. Offenbar fahren wir heute in einer Art Kochtopf mit Außenbordmotor.

Durch eine Öffnung im Guckkasten werden die Innereien der enthaupteten Fische an einer Angelschnur ins Wasser bugsiert und locken im Nu ein ganzes Aquarium voller exotischen Flossengeziefers an, während wir die würzige Fischsuppe schlürfen, die im Fahrpreis enthalten ist. Nach dem Mittagsmenü geht das Knattern und Jodeln wieder los, bis wir nahe dem Strand einer unbewohnten Insel mit der üblichen Untersee-Plastik- und Gummiausrüstung von Bord springen und im Unterwasserpark spazierenschnorcheln, Hai, wie fein! Aber die Haie waren offenbar alle auf Familienausflug in Minamijima. Am späten Nachmittag setzt der Schipper seinen protestierend kollernden Yamaha wieder in Gang und tuckert im Altherrentempo ---ohne Gesang!--- in den Hafen von Omura zurück.


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Viel Betrieb im Unterwasserpark


Jo mei, do schaugst amoi!!! Da ankert mal wieder die Ogasawara Maru, frisch aus Tokyo eingetroffen, und hat ihre Ladung von nunmehr sage und schreibe 1100 Boyzngals ausgespien, die nun das enge Omura wahrhaftig überfluten, überschwemmen, überfordern. Unser Logis ist ab heute von anderen Gästen vorgebucht, wir müssen raus und wieder auf der Hostel-Fähre nächtigen. Da können wir es uns bequem einrichten in dem Bewusstsein, dass wir, wenn das Schiff wieder ausläuft, mit an Bord sein werden. Das Dorf hallt wider vom Lachen und Juxen der Neuankömmlinge, die kichernd und flirtend, schwitzend und schwatzend durch die wenigen Gässchen wandern und vergebens hoffen, etwas Interessantes zu entdecken. Wir hingegen sind nun schon Veteranen, die in Begleitung der beiden Kopepe-Jungs zum Meeresforschungs-Institut wandern. Die beiden waren auch heute wieder an der Kopepe-Bucht, so still und menschenleer wie zuvor, aber schon beim ersten Schnorcheln kamen ihnen Haie entgegengeschwommen, weshalb sie für den Rest des Tages auf Unterwassertouren verzichteten.

Der einzige Laut in der bewölkten, mond- und sternlosen Nacht ist das gleichmäßige Anbranden der Wellen an den Kiesstrand, der allmählich ansteigt und in tiefen Sand übergeht. Im Lichterschein von Omura und der hell erleuchteten Ogasawara Maru auf der anderen Seite der Bucht glänzen die runden, schwarzen Buckel zahlreicher Schildkröten, die unbeweglich in Ufernähe verharren.
"Die schlafen alle", erläutert leise der für die heutige Nachtwache zuständige Nachwuchswissenschaftler, "von denen kommt keine an Land."

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So ist das eben nachts --- fast alles dunkel !


In dieser Jahreszeit kehren die weiblichen Schildkröten nämlich nach langen Jahren des Wanderns durch alle Ozeane genau an den Strand zurück, an dem sie geboren sind, und legen dort ihre Eier ab, um die hundert Stück in der Regel, und das bis zu siebenmal hintereinander. Obwohl sie somit beinahe 1000 Eier ablegen, bevor sie sich wieder aufmachen in die Weiten des Weltmeers, brütet die Sonne nur etwa 600 Eier aus, die restlichen verfaulen oder fallen Würmern und Maden zum Opfer. Und diejenigen Schildkrötenkinder, die, kaum entschlüpft, von einem untrüglichen Instinkt geleitet, sofort ins Meer krabbeln, werden, bevor ihr Panzer ausgehärtet ist, auf dem kurzen Weg ins Wasser von Fledermäusen oder Krebsen, und im Wasser von hungrigen Fischen und Kraken gefressen, und selbst ausgewachsenen Tieren droht durch Haie und Schiffsschrauben, durch Umweltverschmutzung und Strandbetonierung Gefahr, denn ein Tier, das seinen Heimatstrand nicht mehr wiederfindet, legt die Eier einfach im offenen Meer ab, wo sie samt und sonders kaputt gehen.

Deshalb hat das Institut ein eigenes Stück Strand sauber abgezäunt und schildkrötengerecht hergerichtet. Alle Tiere, die nach der Paarungszeit in den Gewässern um Ogasawara angetroffen werden oder in Fischernetze geraten, werden hier hergebracht und beginnen ab Juni bis Anfang September, in tiefer Nacht den Strand zu erklimmen und ihre Eier abzulegen. In dieser Zeit kommen die zählebigen Tiere monatelang ohne Nahrung aus. Biologie-Studenten, die in den Sommerferien hier ihr Praktikum ableisten, markieren unbekannte und identifizieren bekannte Schildkröten, buddeln ihre Eier wieder aus und vergraben sie erneut in einem besonderen, sonnigen Feld, wo die Bedingung für die Reifung der Eier optimal sind und aus hundert Eiern 99 Junge ausschlüpfen. Und um ihre Überlebensrate weiter zu erhöhen, werden die geschlüpften Tiere etwa ein Jahr lang in einem Bassin aufgepäppelt, bevor man sie ins Meer entlässt.


suppon

Am liebsten fressen sie Weißkohl

Vorsichtig hebt der junge Mann den Deckel von einer Styroporkiste: In feinen Sand gebettet, liegen darin hunderte von weißen, etwa pingpongballgroßen Eiern, deren Schale zum Teil schon aufgeplatzt ist. Rosige Mini-Schildkröten, die mit schwarzen Knopfaugen ins Licht der Taschenlampe blinzeln, bleiben noch etwa drei Tage im Ei hocken, bis ihr Nabel zugewachsen ist, bevor sie aus dem Sand herausgekrabbelt kommen. In einer anderen Styroporkiste zappelt, raschelt und kratzt es, lauter kleine, frisch geschlüpfte Mini-Schildkrötchen, gerade mal einen halben Handteller groß, die unermüdlich, aber vergeblich den Ausgang suchen. Bevor sie ins Bassin zum Aufpäppeln kommen, müssen sie aber noch registriert und markiert werden. Ausgewachsene Exemplare bringen es auf hundert Kilo und mehr, und niemand weiß, wie lange sie leben. Geschätzt wird eine Spanne von um die 200 Jahre.

"Die ersten, die wir markiert haben. als das Institut gleich nach dem Krieg gegründet wurde, sind alle noch munter und erscheinen etwa alle zehn Jahre wieder zur Eiablage...."

neugeboren

Der erste Tag eines zweihundertjährigen Lebens

Nur wenige Minuten, da schiebt sich ein anderes Tier aus den nachtschwarzen Fluten aufs Ufer, verharrt eine Weile und schrappt dann hörbar über den Kies. Zwei, drei Schübe vorwärts, dann wieder eine Pause, dabei den Kopf aufmerksam nach allen Seiten wendend und hörbar schnaufend. Drei, vier weitere Schübe, dann kommt die Betonmauer, die den Strand seitlich begrenzt. Keuchend ächzt das schwere Tier zur anderen Seite hinüber, stößt an einen Maschendrahtzaun und bleibt eine Weile schwer atmend da stehen, wie um zu überlegen, was jetzt zu tun wäre. Dann aber nimmt es die richtige Richtung auf uns zu, wo fünf Personen den Atem anhalten und fünf Augenpaare jede Bewegung der Schildkröte verfolgen.

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Im Wasser, da fliegen sie


Im Wasser sind sie wendig und leicht, an Land aber hat so eine Seeschildkröte alle ihre Kilos das Sandufer hochzuwuchten. Ihr Keuchen und Schnaufen übertönt sogar das Rauschen der Brandung, das Ratschen des Schildpatts auf dem Kies ist durch die geöffnete Tür bis ins Innere der Wachstube der Forschungsstation zu hören. Entschlossen stemmt sich der schwarze Koloss weiter nach oben, erreicht den weichen Sand und sucht nach einem dunklen Eck, das einigermaßen geeignet erscheint. Eine halbe Stunde lang buddelt die Schildkröte eine recht tiefe Kuhle in den Sand. In der Zwischenzeit kommen noch zwei andere Tiere aus dem Ozean gekrochen und schrappen über den Kies.

Schwer atmend und wimmernd, ja, deutlich hörbar wimmernd, hat das erste Muttertier nun begonnen, seine Eier abzulegen. Jetzt kann die Erde beben, ein Gewitter blitzen und donnern, eine Felswand einstürzen --- die Schildkröte wird beharrlich weiter ihre Eier legen, bis sie damit fertig ist. Jetzt können ihr die Menschen zusehen, sich mit Taschenlampen um sie gruppieren und ihr hinter den Stummelschwanz leuchten, der sich regelmäßig hebt und wieder senkt und bei jeder Hebung drei oder vier feuchtweiße Eier in die Kuhle plumpsen lässt. Danach macht das erschöpfte Tier eine Pause, schnauft und japst, und dann wird der nächste Schub Eier unter Jammern und Stöhnen abgelegt.

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Hier werden Pinpongbälle produziert


Der Student liegt neben der Schildkröte auf dem Bauch, holt die abgelegten Eier sofort wieder aus der Kuhle und bettet sie in eine mit feinem Sand gefüllte Holzkiste. Mittlerweile hat er an der Markierung auch das Muttertier identifiziert. 45 Jahre alt, 120 Kilo schwer, 1,24 m lang, fünfte Eiablage in diesem Sommer. Nach 40 Minuten ist die Tortur vorüber. Noch immer heftig schnaufend und leise wimmernd liegt das Tier vor der Kuhle, und, wie die Taschenlampe zeigt, es rinnen ihm Tränen vor Anstrengung aus den Augen. Sorgfältig, mehr als zehn Minuten lang, scharrt die Schildkröte mit den Hinterbeinen Sand über die Kuhle, in der ihre Eier vermeintlich ruhen, und anschließend streicht sie den Sand noch glatt, um keinem Feind den Ort zu verraten. Danach wendet sich das ermattete Muttertier in der Gewissheit, alles in seiner Kraft Stehende für den Nachwuchs getan zu haben, schwerfällig wieder dem dunklen Ozean zu.

Unsere beiden Kopepe-Freunde haben andere Pläne am nächsten Tag. Wir wollen heute noch mal zu dem schönen Kopepe-Strand und morgen, am letzten Tag, noch unentdeckte Strände suchen. Allerdings ist es heute nichts mit der Einsamkeit von Kopepe, die mehr als 1000 Besucher haben den Strand entdeckt und machen sich überall bemerkbar, quellen aus allen Winkeln und besetzen jeden Strand. Aber wir sind ja keine Anfänger mehr; ein Stück durch den Dschungel über einen kleinen Hügel, und auf der anderen Seite über eine sandige Rutschbahn wieder runter, da ist der Sand zwar grau, aber wir sind allein. Clevere Vorgänger haben entlang der Rutschbahn Seile gespannt, damit man sich hinterher auch wieder raufhangeln kann, denn andernfalls müsste man nach Omura schwimmen.

abendbeach

...bis die Sonne untergegangen ist

Um möglichst spät in das lärmende Hostel-Schiff zurückzukehren, lassen wir den letzten Bus wegfahren und die Sonne untergehen, bevor wir uns langsam auf den Rückweg zum Hafen machen. Noch später kommen unsere beiden Freunde zurück, mit bedrückten Gesichtern. Wieder mit Haien gespielt?

Nee, nee, am Tsurihama-Strand sind sie gewesen, der aber nur aus Geröll besteht und zum Baden wenig geeignet ist. Umso besser ist er für Taucher und Schnorchler, und gegen Mittag ist ein Kleinbus der einzigen Scuba-Diving-Schule von Omura gekommen und hat drei Mädels und sieben Jungs ausgeladen. Unsere Freunde haben zusammen mit den Tauchern gepicknickt und mit den flotten Girls geflirtet, und dann haben die Tauchschüler ihre Flossen angelegt, sind auf das Boot der Tauchschule geklettert und von da aus mit Bohei abgetaucht.

Tsurihama liegt an der Nordseite von Chichijima, genau en face der Insel Anijima, an der Meerenge, in der sich auch der Unterwasserpark befindet, das Taucherparadies von Ogasawara. Die Jungs schnorchelten nur ein bisschen in der Bucht herum, aber die drei Mädels legten ihre volle Scuba-Gummimontur an, winkten unseren Kopepes grinsend zu und schwammen dann aus der Bucht raus zum Unterwasserpark. Zwanzig Minuten später kam Akane, eines der Mädels, wegen Problemen mit ihrer Sauerstoffflasche zurück und berichtete, dass die Strömung in der Meerenge zwischen den beiden Inseln unerwartet stark sei. Sie sei zu ihrer Überraschung an einer ganz anderen Stelle an die Oberfläche gekommen als erwartet und sorge sich um ihre beiden Freundinnen, die noch weiter geschwommen seien.


akane

  Akane und Tauchlehrer kurz vorm Abtauchen


Kein Grund zur Aufregung, der Sauerstoff reicht für eine ganze Stunde, die werden sich im Unterwasserpark amüsieren, meinte der Mensch von der Tauchschule. Aber eine Stunde verstrich, und es verstrich auch noch eine zweite, aber Sachiko und Yumi, die beiden anderen Tauchschülerinnen, kamen nicht zurück. Man informierte die Polizei und schickte Fischerboote raus, die bis Sonnenuntergang auf der Suche in der Meerenge zwischen den zwei Inseln umhertuckerten. Unsere beiden Freunde beteiligten sich an der Suche und wanderten die Klippen entlang in der Hoffnung, die beiden Mädchen, mit denen sie vor gut zwei Stunden noch geflirtet hatten, mit verstauchtem Fuß oder verirrt auf irgendeinem Felsen hockend zu finden, spitzten die Ohren, ob der Wind nicht von der gegenüberliegenden Insel Hilferufe herübertrage, aber das Meer blieb ruhig wie immer und der Mond, der vom heute klaren Himmel schien, beleuchtete eine friedliche Nachtszenerie. Wo könnten die Mädchen die Nacht verbringen, wo stecken sie jetzt? Der Gedanke an ein Unglück war so unfassbar, so unvorstellbar, dass unsere beiden Freunde bis spät in der Nacht an der Küste umherstolperten und die Namen der Mädchen auf das Meer hinausriefen.


mapchichijima
Oberhalb der Hauptinsel Chichijima ist die Meerenge, die Bucht Tsurihama liegt gegenüber der
nördlichen Nachbarinsel Anijima. Beim Gezeitenwechsel entsteht zwischen den Inseln eine sehr
starke Strömung. In der Futami-Bucht mit der Fähre liegt links oben Omura, rechts oben Okumura.
Die längliche Insel links unten ist Minamijima.


Wie immer flammen auf dem Übernachtungsschiff um 6 Uhr früh die Lichter auf, um 7 Uhr ist der plärrende Fernseher schon an. Von den schlaftrunkenen und verkaterten Kids an Bord, die an ihrem Gepäck rödeln, beachtet niemand die Morgennachrichten, bis auf einmal das Wort "Ogasawara" ertönt. Auf einmal wird es still ringsumher.

"....in den Nachmittagsstunden zwei Mitglieder einer Taucherschule mit einjähriger Tauch-Erfahrung zu einem Ausflug in den Unterwasserpark vor der Tsurihama-Küste aufgebrochen und werden seither vermisst. Die Suche wurde im Morgengrauen wieder aufgenommen. Die Vermissten sind Yumi N., 22, Studentin, und Sachiko N., 25, Angestellte. Die Bucht von Tsurihama gilt wegen ihrer starken Gezeitenströmung als gefährlich und hat schon mehrfach Opfer gefordert."


yumi sachi

Sachiko...

...und Yumi

"Ich kann es einfach nicht fassen, gestern haben wir noch mit denen gejuxt und geflirtet..."

"Alle beide waren wirklich nett und ziemlich hübsch..."

Die beiden Kopepe-Kumpels sind total außer Fassung. Der eine, von Beruf Schwimmlehrer, plagt sich mit Vorwürfen.
"Als Akane zurückkam, hätten wir sofort nach den andern beiden suchen sollen, da wäre es vielleicht noch nicht zu spät gewesen."

Vielleicht, vielleicht.

Die einzige Bucht, die wir noch nicht kennen, ist Tsurihama. Eigentlich haben wir keine rechte Lust, aber wohin sollen wir am letzten Tag sonst gehen? Die beiden Kopepe-Jungs rennen herum wie Tiger im Käfig und wissen auch nicht recht, was sie tun sollen. Ein Mensch von der Tauchschule verteilt Fotos von den vermissten Mädchen, das von Yumi ist erst vorgestern aufgenommen und in Eile vervielfältigt worden. Hinten stehen die Telefonnummern von Polizei, Ambulanz und Tauchschule drauf, als ob man die zwei Mädels im Laufe des Tages beim Sonnenbaden an irgendeinem Strand finden würde.


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Grauer Strand und graues Meer


Ja, es sieht trostlos aus in Tsurihama. Das Meer ist heute aufgewühlt, es ist bewölkt und riecht nach Unwetter. Am Ufer hocken zwei Polizisten mit Feldstecher und Sprechfunkgerät, in der Bucht dümpelt ein Fischkutter, an etlichen Stellen schwimmen und tauchen Froschmänner. Nieselregen setzt ein, das Meer setzt ein kaltes, graues Gesicht auf, die Felsen sind schwarz und kantig, der Dschungel drohend und dunkel. Wir trotten deprimiert ins Dorf zurück. Jedes junge Mädchen, jedes Lachen derjenigen, die keine Nachrichten gehört haben und von nichts wissen, versetzt dem Herzen einen Stich, wenn man daran denkt, dass irgendwo da draußen zwei junge Girls wohl nicht mehr lachen werden. Der Meeresgott, der im letzten Jahr drei Krankenschwestern entführt hatte, sucht sich als Bräute für seine Meeresprinzen anscheinend nur erlesen junge und hübsche Mädchen aus.

Das Inselreich Japan ist es gewöhnt, dass das umgebende Meer seinen alljährlichen Tribut fordert für all die Leckereien, mit denen es das Inselvolk ernährt. Schon die älteste Sammlung von Liedern, kompiliert im 7.Jahrhundert, enthält eine Elegie für Schiffer, die wagemutig hinausfuhren und nie mehr wiederkamen. Nur wenige Wörter muss man abändern, um eine Elegie für Sachiko und Yumi daraus zu machen:

 

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Die Inseln von Ogasawara,
reich an roten Korallen,
herrlich begnadetes Land,
wo Felsen und Inseln sich fügen
zu göttlich-erhabenem Ansehn.
Ausgeliefert der Macht der Wogen
der See, wo man Walfische fängt,
schwanken gebrechliche Boote
einher, dass die Ruder sich biegen,
dem sichern Hafen zustrebend,
denn hochauf türmen sich Wolken,
es stürmt der Gezeitenwind.
Laut brüllt am Gestade die Brandung,
und reißend treibt die Strömung
der Bucht von Tsurihama.

logo

Ihr Mädchen, die ihr frischen Muts
den Wellen euch anvertraut,
mit jugendhellem Lachen
in übermütigem Spiel
den Meerestiefen zustrebt,
wie habt ihr euch das wohl gedacht?
Lange vor der Zeit,
die euch beschieden war,
habt ihr am Meeresgrunde
ein kühles Bett euch gewählt,
und euer Haar, das pechschwarze,
schimmernd fließt es im Strome,
durchwunden mit strähnigem Tang,
und stumme Fische nur kosen
die weiße, erkaltete Haut.

main

Der Liebste fern in der Heimat,
er wähnt euch bei fröhlichem Spiel
und zählt voller Sehnsucht die Stunden,
bis er sein Mädchen beglückt
erneut in den Arm schließen kann.
Und käm' er nichts ahnend des Weges,
erfreute er sich wohl der Blumen,
die morgens am Ufer erblühen,
es rührten ihn sicher die Nebel,
die abends die Wasser verhüllen,
doch welk sind am Abend die Blumen,
verweht sind am Morgen die Nebel.
Ihr Mädchen, die ihr viel zu früh
verwelkt wie die Blumen am Strande,
verweht wie die Abendnebel!

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Wenn es der Liebste erfährt,
das Herz wird es ihm zerreißen,
bin doch selbst ich in Trauer,
ich, der euch nicht einmal kannte.

bonbori


Der Regen verstärkt sich, dann lässt er wieder nach und es klart allmählich auf. Wir hocken belämmert am Volksstrand von Omura, in dem von wuselndem Jungvolk überlaufenen Dörfchen. Auch am Strand geht es hoch her, es kiekst und quiekst, spritzt und platscht, die Kiddies amüsieren sich, als wäre nichts geschehen. Vielleicht war alles ja auch nur ein böser Traum, vielleicht sind Sachiko und Yumi heil auf irgendeiner Nachbarinsel aufgelesen worden.

In der immer entschlossener durch die letzten Wolkenfäden blinzelnden Sonne baden, surfen, segeln, schnorcheln und tauchen die Jungs und Mädels, am Strand spielen und flirten und aalen sich hunderte, die ihren letzten Tag vor der Rückfahrt mit der Ogasawara Maru noch voll genießen wollen. Auf einmal brummt ein Militärflugzeug im Tiefflug heran, was jedem auffällt, denn auf den Ogasawara-Inseln gibt es keinen Flugplatz. Es fliegt einen Bogen und verschwindet dann hinter den Hügeln im Norden. Wir wissen schon, da liegen Tsurihama, Anijima, die Meerenge mit der starken Strömung und der Unterwasserpark. Eine Stunde lang kreist der Flieger wieder und wieder über der Nordküste, dann dreht er ab und nimmt wieder Kurs auf Iwojima, den nächsten Militärstützpunkt mit Landebahn.

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Unbekümmerte Meerjungfrauen


Kurze Zeit später knattert ein Hubschrauber herbei, landet kurz auf dem Exerzierplatz des Marinestützpunkts und hebt dann wieder ab in Richtung Tsurihama, und nach und nach erscheinen auch allerlei graue Marineboote dort, wo sonst allenfalls Segelboote und Fischkutter dümpeln. Es war also doch kein Traum, und die Vermissten sind noch nicht gefunden.

Unsere beiden Freunde kommen angetrottet; auch ihnen ist die Lust zum Schnorcheln offenkundig vergangen. Sie hatten bei der Tauchschule vorbeigeschaut und berichten, dass sich dort niemand mehr Illusionen macht. Nur Akane, der die defekte Sauerstoffflasche wohl das Leben gerettet hat, hofft noch auf ein Wunder: Wie von Sinnen hockt sie in der Unterkunft ununterbrochen neben dem Telefon und bewacht das Gepäck der Vermissten.

Morgen Mittag um 12 Uhr wird die Fähre in Richtung Tokyo auslaufen, und morgen Mittag um 12 Uhr wird auch die Suche eingestellt. Wir würden am liebsten sofort heimfahren. Das Paradies vor Augen, den weißen Strand, das klare Meer, die bunten Segel der Windsurfer, und doch sieht das Meer unfreundlich aus, die Brandung höhnisch, die Strömung tückisch, die Felsen unheimlich.

Sachiko und Yumi haben sich einen Traum erfüllt, eine Reise nach Ogasawara, tauchen im klaren Meer, spazieren schwimmen im Korallenpark, weit weg vom grauen Alltag. Wer weiß, wie glücklich sie sind, für immer am Ziel ihrer Träume zu bleiben, nie mehr in Hektik und Smog von Tokyo zurückkehren zu müssen.

Aber wir müssen... Nach einer eher stillen Abschiedsfeier zusammen mit unseren Freunden am nächtlichen Strand drängeln wir uns an Bord und stören uns kaum an den Massen der Passagiere, denn die drei Mädchen, die heute an Bord fehlen und die wir nicht einmal kannten, Yumi, Sachiko und auch Akane, die voller Verzweiflung zurückgeblieben ist, lassen die Fähre halbleer erscheinen. In der Morgensonne füllt sich das Deck mit unzähligen jungen Mädchen in Shorts und Bikinis, die ihre braune Haut von der warmen Sonne streicheln lassen. Nur ein nimmermüdes Schwalbenpaar begleitet das Schiff, während die Silhouetten der Inseln am Horizont verschwinden.

Sayonara, Ogasawara!
Sayonara, Sachiko und Yumi!


dockof

Sayonara !

 

modoru mokuji

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