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Also,
da gibt es ganz clevere Bars in teuren Hotels, die servieren dir den
Whisky, den Cocktail oder das Wasser für die Kopfwehpille mit
"Jahrtausende altem Eis" vom Gletscher, natürlich zu
Jahrtausendpreisen. Man sieht halt zu, wie man aus den Besuchern die
Penunzen herauskitzelt, vom Sommerboom ernährt sich Ísland
ein ganzes Jahr lang. Früher, da fuhren die harten Jungs auf die
stürmische See und holten da mühsam Heringe, Lachse und Wale
heraus, aber das geht jetzt maschinell, und überdies motzen die
Greenpeace-Leute und die EU über jeden erlegten Wal - wer den Wal
hat, hat die Qual. Also, das macht nicht mehr viel her, und
Fischerjungs
haben bei den Mädchen einen schlechteren Stand als Barkeeper, die
mit "Jahrtausend-Eis" jonglieren. Und wenn es gerade ausgegangen ist,
fördern sie aus dem Frigo den nicht ganz so alten Nachschub unter demselben Label
zu demselben Jahrtausendpreis zutage, man muss sich ja zu
helfen wissen.
Frank weiß sich auch zu helfen und angelt sich
seine Eisklumpen selbst aus dem Gletschersee, die schmecken garantiert
nach der Frühbronzezeit, und wenn er Hunger oder Durst auf mehr
hat, holpert er mit dem ächzenden Mietwagen über Stock und
Stein, mehr Stein als Stock, jedenfalls über eine Schäfchenpiste
bis zu einem garantiert besucherfreien Gletschersee, der nicht auf den
Karten verzeichnet ist und den für deutsche Ohren heimeligen
Namen Heineberg trägt. Und wenn er auch spät abends gegen halb
elf eintrifft, macht es nichts, die Sonne steht noch am Himmel hier oben im
Norden. Nur die Schatten sind ziemlich lang geworden.
Ganz recht, allmählich reicht es mit Gletschern und Muränen,
äh, Endmoränen, finde ich auch. Frank könnte zwar mit
seiner Ka ein Snowmobil mieten und auf den Vatnajökull pesen,
kostet
läppische 600 Eurönchen; er kann es aber auch sein lassen und
nach Höfn (sprich: Heppen) fahren, dem nächsten
Örtchen nach all der Gletscherei. Und noch weiter nach Osten, aber
da fängt Ísland an, aufzuhören; die Straße biegt
mangels Alternativen nach Norden ab und dödelt die Ostküste
rauf. Da gibt's auch weder Muränen noch Moränen noch
Gletscher, sondern
steile Küste, die bei jeder Schneeschmelze heftig erodiert und
dann Geröll talabwärts schickt. Du musst eben Glück
haben, dass dir keine größeren Brocken aufs Dach bollern;
gegen kleinere hilft bereits eine gute Versicherung. Es ist nicht
auszuschließen,
dass die Steinbrocken härter sind als ihre Kollegen aus dem
Jahrtausend-Eis, und auch ein paar Millionen Jährchen älter.
Überdies brauchen sie deutlich länger, um zu schmelzen.
Jedenfalls ist die Ostküste reich an solchen steilen Rollbergen
und von zahlreichen Fjorden tief eingefurcht. Ein Blick auf die Karte
bestätigt diese Frankschen Behauptungen. Er hat sich eingehend mit
der Geographie der Südostecke Íslands befasst und ist
dieselbe Strecke mehrfach hin- und hergefahren. Genauer gesagt, die
Strecke von Höfn nach Djúpivogur, 250 km auf waghalsiger
Piste. Nein, es ist ausnahmsweise nicht Forscherfleiß, der Frank
an einigen Tagen im Jahr oder in Gesellschaft junger Ladies mitunter
befällt, sondern das kam so:
In Djúpivogur gibt es ein Café, das Free WiFi offeriert.
Das ist etwas Kostbares in Íslands Wildnis. Und als Frank
dortselbst, nur mal so, seine Mails checkte, fand er eine Nachricht aus
Berlin von der Reisefirma, die ihm die Übernachtungen in
Ísland so
schön vorgebucht hatte.
"Wir erfahren soeben, dass Sie aus Ihrem Hotel bei Höfn heute
Morgen schon ausgecheckt haben. Eventuell haben Sie übersehen,
dass Sie dort für zwei Nächte gebucht sind...."
Yah mon, sagt man da in Jamaica, das war ein Glück! Nicht
auszudenken, wenn Frank am späten Abend viele viele Kilometer,
Fjorde und Geröllberge weiter beim nächsten Hotel vor
verschlossener Tür gestanden hätte!!! Und so machte Frank auf seinen Gummipneus kehrt und trudelte am
späten Nachmittag wieder in Höfn ein. So lernst du Land und
Leute besser kennen....
Nun ja,
von kennenzulernenden Leuten kann eher keine Rede sein, wenn du in
deinem eigenen Vehikel hockst und nur mit dem Hotel- und
Cafépersonal konferierst.
Das Land der einsilbigen Insulaner präsentiert sich
auch am anderen Morgen ebenso steil und geröllhaltig wie am
Vortag. Bei einem stärkeren Erdbeben wird sicher auch die
Straße, die sich in den schrägen Sand gefressen hat, mitsamt
Schutt in die Nordsee rutschen.
Weil Frank sich in Djúpivogur schon so gut auskennt, dass er
Auskunft geben könnte, wo es free WiFi gibt, geht es jetzt nonstop
weiter via
Breiðdalsvík nach Stöðvarfjörður.
Die Orte im Osten sind deutlich größer als die im
Süden, aber nach Höfn hat der touristische Verkehr stark
abgenommen. Einerseits liegen die großen Attraktionen, Geysir,
Gletscherseen, Þingvellir, Vatnajökull, Sárlóne und die großen
Vulkane, alle zwischen Reykjavík und Höfn, und die Omnibusse der
Tages- bis Dreitagestouren kommen nicht über Höfn hinaus. Und
zum andern bleiben viele Touristen nicht länger als vier oder
fünf Tage; Recht haben sie, denn die Preise in Ísland
befördern die Tendenz zum ökonomisch und ökologisch sinnvollen
Kurzaufenthalt. Oder vielmehr der Wechselkurs, denn die
weißblonden Einheimischen
bevölkern schließlich ihre Restaurants, ohne mit der Wimper
zu zucken oder die Suppe mit peinvollem Gesicht auszulöffeln.
Tief schneiden die Fjorde, wie auf dem Foto bei Breiðdalsvík,
ins Land hinein, und es gibt nur wenige Abkürzungen. Da musst du halt
fast jeden Fjord umrunden, viele Straßenkilometer auf der
Südseite hin,
und dann auf der Nordseite wieder zurück. Dafür bieten sie
Schutz vor dem offenen Meer, sind natürliche Häfen, für
Schiffe aller Größen leicht erreichbar, weshalb die Orte hier
durchaus florieren. Dem ersten richtigen Supermarkt in Ísland,
einer Bäckerei mit Café und einem Einrichtungszentrum mit
Werkzeug für Freizeit-Eskimos, professionelle Trolle und Hobbywalfänger begegnete Frank in Stöðvarfjörður,
einem Ort, dessen Namen er nie zuvor gehört hatte, und das will
was heißen, denn Frank ist auf unaussprechliche Namen
spezialisiert und kann sprudelnd Ortsnamen wie Kirchheimbolanden, Androandroatra,
Qeqertarsuatsiaat und
Hódmezövásárhelykutasipuszta herunterrasseln. Cool, sag ich dir.
Manchmal ist selbst den geduldigen Isländern die Strecke um die Fjorde zu weit, weshalb sie bei Reyðarfjörður doch mal den Bohrer angesetzt und ein Loch in den Berg gedrillt haben, durch das man schneller nach Egilsstaðir
(das g wird janz jenauso ausjesprochen wie in Köln) gelangt.
Dieser Ort mit seinen 2346 Einwohnern ist die Metropole von
Ostísland, ein urbaner Moloch mit Disco, Campingplatz, drei
Restaurants (Steakhaus, McDonald's und Imbiss, der aber leider zu
hatte) und einem zweistöckigen Einkaufszentrum.
Möglicherweise sind es inzwischen auch ein paar Einwohner mehr
oder weniger, die Zahl stammt vom Juli 2017. Diese Stadt befindet sich
in einer weiten Ebene im Inland, einem
Flusstal, in dem, jetzt halt dich fest, tatsächlich Bäume
wachsen! Respektvoll macht der Fluss angesichts der Wäldchen Halt
und staut sich zu einem kleinen langen See.
So groß, dass sie auf dem Foto sichtbar wäre, ist die Stadt
Egilsstaðir nun auch wieder nicht. Man darf nicht zu viel
verlangen...
Oben auf dem Hang, wo der Fotograf steht, beginnt eine Hochebene, von
der man in weiter, weiter Ferne den Monte Snæfell sehen kann. Oder
auch nicht, je nach Wolkenlage. Was man aber mit Sicherheit sieht,
unabhängig von Wolken und Windrichtung, sind die Schafe, die das
gefährliche Lämmchenalter überlebt haben. Ein wenig
reumütig denkt Frank an den zarten Lammbraten in Egilsstaðir, in einer schlichten Búðin am Campingplatz getestet, der seine 38 € (da war noch ein alkoholfreier Drink mit dabei) ausnahmsweise einmal wert gewesen ist.
Die Schafe am Hang äugten nur missmutig zu ihm her und widmeten
sich dann wieder dem spärlichen Klee, während Frank sein
Vehikel vorsichtig zu Tal lenkte, obwohl er wusste, dass die
nächste Sehenswürdigkeit wiederum am Hang liegt; leider
führt keine befahrbare Straße dort hin, man muss etwas
für Gesundheit und Kreislauf tun. Ka würde lieber Yoga machen
als steile Hänge hinaufklettern, aber mit Yoga gelangt leider nur
der Geist in höhere Sphären.
Wie? Ich habe dir noch gar nicht verraten, was es nach dem steilen
Fußmarsch zu ernten gibt? Das Ziel, hier sei es kundgetan,
heißt Hengifoss und ist, so viel Isländisch kannst ja
schon, Wasserfall von Beruf.
Ach, wie originell. Als hättest du noch keinen Wasserfall gesehen.
Ich gebe es ja zu, in Ísland häufen sie sich ein wenig, und
derjenige hier am Talhang gehört sicher nicht mit zu den
spektakulärsten, aber da ist der Frank nun einmal raufgekraxelt, weshalb
ich dir das Ziel seiner Leibesübungen nicht verheimlichen wollte.
Warum er sich das antat? Tja, man soll doch gesund leben und sich
manchmal die Füße vertreten und nicht immer nur Autofahren.
Und außerdem sprudelt der Hengifoss über vulkanisches
Gestein, das zu ansehnlichen Basaltsäulen erstarrt ist, diese
sechseckigen Steinkristalle, die kennst du sicher aus Nordirland (Giant's
Causeway). Wenn nicht, dann schau sie dir am Hengifoss an, und Frank
hat nur deshalb seine Waden knacken lassen, um dir dieses schöne
Foto mitzubringen, ich hoffe, du weißt es zu schätzen.
An Wassermangel leidet Ísland eigentlich nicht, obwohl wir nun
schon den dritten Tag hintereinander uneingeträuft durch die Pampa
töffeln und das Auto allmählich nach Rallye aussieht, denn
nicht alle Straßen sind asphaltiert. Mit so einer Kalesche will
Frank das schönste Fjordstädtchen des Ostens besuchen?
Ja klar, noch ist Frank den Fjorden nicht entronnen, und nicht
überall gibt es diese praktischen Tunnels, mit denen man wuppdich am
Ziel ist. Vielleicht sind ja nicht genügend Schweizer nach
Ísland eingewandert. Jedenfalls muss man über den Pass, an
dem sich die wenigen Wolken festkrallen, die der starken Seebrise widerstehen. Unten im Sonnenschein liegt Seyðisfjörður,
das von Weitem wirklich malerisch aussieht. Und Frank traut seinen
Augen nicht - was da im Zentrum des Dörfleins aussieht wie ein
vielstöckiges Bürohaus, ist in Wirklichkeit ein gewaltiges
Trumm von Kreuzfahrtschiff, das im Hafen vor Anker liegt, so ein Ding,
das bis zu 3000 Passagiere auszuspucken imstande ist, mehr als Egilsstaðir Einwohner zählt. Und nebendran dümpelt noch eins, ein kleineres.
Kein Wunder, dass es in dem winzigen, idyllischen Fischernest
zugeht wie auf dem Kudamm. Die Passagiere des Cruisers AidaCara aus Genova stürmen, in dicke
Daunenanoraks gehüllt, die beiden Cafés des
Ortes, kaufen den winzigen Markaður leer und fotografieren sich durch die kleine Holzkirche. Die Einwohner lassen den Besucherschwall stoisch über sich ergehen, kassieren
die großen und kleinen Geldscheinchen und denken daran, dass das
Schiff morgen wieder weg ist, aber die Euros und Dollars da bleiben, und das ist
ja wirklich ein Trost. Gut, dass die Cruise-Touristen ihr eigenes Logis
mitbringen, denn einem solchen Ansturm wäre das schlichte
Gästehaus des Ortes nicht gewachsen.
Trotz nur etwa 11 Grad schlucken die härtesten
Burschen bei steifer Brise ihr erstes isländisches Bier auf Bänken im Freien,
ja klar, Cruiser auf Nordfahrt sind nicht aus Pappmaché, und in der Sonne
lässt es sich durchaus ein paar Minuten aushalten.
Keine Angst, die Einheimischen sind es gewöhnt. Im Juli kommen laut Fahrplan im Hafen neun Kreuzfahrtschiffe nach Seyðisfjörður,
alle drei Tage eins, weshalb auch im Kirchlein, in dem kein Bier
ausgeschenkt wird und es deshalb etwas stiller zugeht, eine
bebrillte Studentin mit Laptop aufmerksam Wache hält,
damit keine Kerzen geklaut oder Wände besprayt werden; du ahnst ja
nicht, wie sich Touristen benehmen, wenn sie in Horden unterwegs sind
und beispielsweise vergeblich nach einem Örtlein suchen, an dem
sie ihr Bier auch wieder abschlagen können. Stichwort Ballermann.
Es wird Zeit, hier fortzukommen. Frank hat noch mehr vor als
Kirchenbesuche, das nächste Ziel ist noch weit, schwer erreichbar
und eher heidnisch. Aber man kann seinen Urlaub ja nicht in der Kirche
verbringen, selbst wenn diese für einen Tempel ziemlich bunt
und hell gestrichen ist.
Bis zur Nordostküste, zur Bucht Héraðsflói, sind die Straßen super, wenn du erst mal den Pass bei Seyðisfjörður erneut überwunden hast. Dann kommst du zwar wieder nach Egilsstaðir,
bist aber in dem breiten Flusstal und kannst schnurgerade bis zum
kalten Meergestade dahinschnurren. Zwar gilt überall in
Ísland ein strenges Tempolimit von 90 km/h, aber mit
Rückenwind geht es manchmal auch schneller, vor allem, wenn keine Polizei in
der Nähe ist.
Ach so, Polizei. Verkehrspolizei in Ísland?
Auf der gesamten Rundstrecke kann es vorkommen, dass du höchstens
einen einzigen Streifenwagen in Aktion siehst, der einen
Temposünder - nicht den Frank - zur Kasse bittet.
Weil es am Meer meist nicht geradeaus weiter geht, biegt die
Straße wahlweise nach Osten oder nach Westen ab, wo sich wieder Berge am Horizont
abzeichnen, und hinter den sieben Bergen im Osten wohnen die sieben Zwerge bzw.
ihre Verwandtschaft, die Elfensippe. Es kann nicht schaden, sie
zu besuchen, meint das Guidebook, es bringt Glück, und wer
könnte das nicht gebrauchen? Sonst gibt es in dem vielnamigen Ort
Bakkagerði, der unter anderem auch Borgarfjörður Eystri heißt, eigentlich nichts Besonderes zu sehen, nur viele Elfenhäuschen eben.
Nein, lass dich mal nicht ins Bockshorn jagen! Das sieht zwar durchaus verwunschen aus,
ist aber kein Elfenhäuschen, sondern darin wohnt eine ganz normale
Frau Holle, die ihren Rasen eigenhändig mäht und die
Engelswurz für den Gemüseeintopf im eigenen Garten
züchtet. Ja, das ist der Busch im Vordergrund. Die
Blütenstengel sehen aus wie Rhabarber, schmecken aber wie Lauch
und sind in Ísland und Grønland als Gemüse sehr
beliebt, vitaminreich, wohlschmeckend und nahrhaft.
Nach der grässlichen Fahrt über eine wilde, steile,
staubreiche Geröllpiste, zig Pässe und sieben Berge wäre es freilich eine herbe Enttäuschung, wenn diese Hütte die
einzige Sehenswürdigkeit des Ortes wäre. Zum Glück gibt
es noch mehr. Eine Tankstelle beispielsweise, die Frank hochwillkommen ist, weil er
andernfalls in dieser Einöde seine Reise beenden müsste, das
Alfacafé, in dem man sich für einen verschmerzbaren Betrag
einen heißen Tee reinziehen kann und noch viel mehr Alfa, denn
alles heißt hier Alfa-Sowieso. Mit einem Alfa Romeo kam Frank
aber nicht, es war irgendein japanisches Erzeugnis.
Erlaube mir, einen Exkurs über isländische Cafés
einzufügen, bevor wir uns mit den Mysterien von Bakkagerði und dem Alfa-Geheimnis befassen. Die Cafés haben
nämlich Personal in der Regel nur zum Kassieren, alles andere ist
Selbstbedienung. Klar doch, wo soll denn auch all das Personal herkommen bei 86 Einwohnern in Bakkagerði? Du holst dir also deinen Kaffee von der Maschine und was
zum Knuspern aus der Auslage und bezahlst an der Kasse, das ist ganz
skandinavisch simpel. Und wenn du glaubst, im Café gäbe es
nur Sachertorte, dann bist du vermutlich noch nicht über
den Stadtrand von Kirchheimbolanden hinausgekommen. In Ísland kannst du im Café
auch Lachsbrötchen, eine Fischsuppe, einen Stew, Fish'n'chips
bekommen oder was der Barkeeper sonst noch im Repertoire hat. Ein
Stück Rührkuchen gibt es meist auch, für die Briten, die
lieber verhungern als Fisch zu ihrer Tea time zu ordern.
Was es mit Alfa ohne Beta auf sich hat? Mann, du bist aber schwer von
Begriff! Logisch, dass álfur das isländische Wort für
einen Elf ist, und álfa, das sind die
(weiblichen) Elfen. Hier wimmelt es vor Elfen. Glaubst du nicht? Na, dann pass mal auf.
Natürlich wimmeln sie nicht
tagsüber, ist doch logo, sondern in Vollmondnächten. Aha,
Vollmondnächte... Im Juli geht die Sonne in Nordost-Ísland
um 23:39 h unter und um 0:19 h wieder auf.
Also Trolle, das sind die Fieslinge, die Kobolde, die dir den Hagel
aufs nagelneue Gewächshaus schütten, den Reifen plätten,
wenn du eilig zum Rendezvous willst, oder die Kaffeetasse des teuren
Services, von den Ahnen ererbt, aus der Hand schlagen - nur aus Daffke,
weil sie sich langweilen und sowas cool finden. Die isländischen
Hooligans, sozusagen. Und wenn du sie ärgerst, werden sie so
fies, wie sie aussehen.
Die Elfen hingegen sorgen dafür, dass die Tomaten auch im
durchlöcherten Treibhaus reif werden, dass dich der Nachbar
mitnimmt, damit du pünktlich zum Rendezvous kommst, und dass du im
Antiquariat von Akureyri zu einem Spottpreis genau dieselbe Kaffeetasse
findest, die dir neulich zerklirrt ist. Und wenn du die Elfen
respektierst und willkommen heißt, brauchst du gar keine
Heinzelmännchen mehr.
In Bakkagerði
finden sich fast ausschließlich weibliche Elfen ein, weil hier
seit dem Altertum die Elfenkönigin ihren Wohnsitz und hat. Deshalb
sind die Elfenköniginnen der letzten Jahrzehnte, so weit man sie
zu einem Fototermin überreden konnte, als Schwarzweißfotos an die Wand des
Alfacafés gepinnt und namentlich genannt.
In der Glockenblümchenheide nahe der Ortsmitte oder dem Ortsrand,
was bei 36 Häusern auf dasselbe hinausläuft, findet man einen
unscheinbaren felsigen Hüppel, an dem du glatt vorbeilatschen
würdest, wenn nicht ein deutlicher Hinweis auf die Álfaborg, die "Burg der
Álfadrottning Borghilður"
davor stehen würde. Isländer meinen das in vollem Ernst. Mit
Elfen und Trollen treibt man keine Späße, und Frank, erst
kürzlich zum Trollversteher konvertiert, nähert sich dem Sitz
der Borghilður,
der ersten namentlich überlieferten Elfenkönigin
Íslands, mit demselben Respekt, den er raketenturmigen Moscheen,
goldenen Buddhas, gekreuzigten Palästinensern, Voodoo-Schamanen,
Gebetsmühlen und unleserlichen Thorarollen zollt, und besteigt den
Hüppel, um sich
für die Wohltaten, die ihm die Elfen in seinem bisherigen Leben
beschert haben, zu bedanken.
Du wirst es nicht glauben, aber beim Abstieg begegnete Frank am
helllichten Nachmittag doch tatsächlich ein leibhaftiges,
weißblondes
Elfchen, sicher aus dem königlichen Hofstaat, das am Felshang
Blaubeeren pflückte, und das war nicht das einzige Zeichen, mit
dem die alte Burghilda sich für seine Danksagung revanchierte.
Sie griff ihm nämlich unmerklich ins Lenkrad, als er seine Rollkiste wieder in Bewegung setzte und Bakkagerði
verlassen wollte. So töffelte das Vehikel in die Gegenrichtung, wo die
asphaltierte Straße nach 5 km am sehrsehrsehr winzigen Fischerhafen
des Dörfleins endete.
Eine grasbewachsene Felsgruppe bildet dort einen natürlichen
Hafen, und bei den Felsen sah man zwei, drei Leute herumhüpfen, ganz
offensichtlich keine Fischer, sondern Fototouristen, die es
ebenso wie den Frank in diese abgeschiedene Gegend verschlagen hatte.
Frank tappste also runter zum Hafen und zu den Felsen, wo die Touristen
noch immer wuselten, und traute seinen Augen nicht - in dem Gras
der Küstenfelsen hockten Lunde, die berühmten
Papageientaucher, die Puffies, die Frank noch nie mit eigenen Augen
gesehen hatte. Sie nisten nur in sehr entlegenen Gegenden, fern
menschlicher Siedlungen, auf den Shetlands oder Orkneys, und Frank
hatte gar nicht damit gerechnet, in Ísland welche zu Gesicht zu
bekommen, ohne eine teure Exkursion zu sturmumtosten Eilanden zu
buchen. Und hier hocken sie einfach im Gras mit ihren ulkigen
Schnäbeln und blinzeln in Franks Camera.
Also, um die Lunde wird in Ísland ja ein mords Gedöns
gemacht. Kein Souvenirshop ohne Puffy goods. Auf Zahnbürsten, Kaffeetassen, T-Shirts, Ansichtskarten,
Schlüsselanhängern, Dessous und Kondomen, überall sind Lunde
drauf. Wenn es keine gäbe, müsste man sie erfinden.
Íslands Pandas sozusagen. Drollig sind sie ja wirklich, und
fliegen, als hätten sie es gerade eben erst gelernt; obwohl die
Möven daran eigentlich gewöhnt sein müssten, lachen sie sich
halbtot über dieses unbeholfene Geflatter und werden deshalb Lachmöven genannt. Aber lieber hocken
die Lunde eigentlich reglos im Gras und meditieren über Wind und
Wetter, bis der knurrende Magen sie zu neuen Flugversuchen zwingt.
Du kannst mir erzählen, was du willst, aber Frank ist fest davon
überzeugt, dass es ihre Majestät, die Álfadrottning
Borghilður
war, die ihm die Lunde gezeigt hat, und dass sie ihn auch künftig
behüten werde, falls ein griesgrämiger Troll am Steuer eines
Streifenwagens Franks flottes Tempo bei der Weiterfahrt mit Missfallen
beäugen sollte.