Eine Seefahrt, die ist lustig....
aber nicht sehr lange nach der Romantik war vorerst mal Schluss mit lustig.
Während die Eisschollen zahlreicher wurden, verdunkelte sich
allmählich der Himmel, und das nicht allein wegen der
untergehenden Sonne. Nebelschwaden tauchten auf, erst einzelne Fetzen,
die dem Frank wie feuchte Lappen um die Ohren wehten, aber dann wurde es rasch
unromantisch. So ist das also in Südgrønland...
"Sie sieht stabil aus, sieht robust aus...", hörte Frank sich
murmeln, während er im plötzlich eisigen
Fahrtwind an der Reling stand und mit Röntgenaugen auf die dunkelgraue Wand starrte,
in die sich die Sarfaq Ittuk mit ungebremstem Tempo hineinbohrte. Bald
fielen nur noch vereinzelte Sonnenstrahlen auf die Fläche zwischen
Nebelhimmel und Eismeer, und Frank eilte, seinen Daunenanorak
herauszukramen, der seit Berlin, wo er mehrfach zum Einsatz gekommen
war, im Koffer dösend Urlaub machte.
Na gut, so ein neuzeitlicher umiaq
hat Radar und GPS an Bord und lässt es nicht darauf ankommen, wer
stärker ist, Rumpf oder Eisberg; trotzdem blieb Frank noch lange
wach und hatte wenig Lust, sich in seine Koje zu betten. Das Schiff
fährt immer, Tag und Nacht, mit Ausnahme der kurzen Stops in den
Häfen. Wenn sich die Crew abwechselt, ist das auch okay, denn die
Nacht ist in dieser Jahreszeit hell, und im Winter fährt kein
Küstenlinienschiff. Wer irgendwohin will, sollte in den vier
Sommermonaten reisen, für den Rest des Jahres muss er sich ein
Illu bauen und überwintern.
Aber das Treibeis wurde zusehends
dichter, und der pujuq, der Nebel auf dem Meer, auch; Frank fand das Spielchen nicht sonderlich
lustig. Auch mit Daunenanorak würde er im Notfall keine zehn
Minuten im Eismeer überleben. Es war aber beruhigend zu sehen,
dass die Kalaallit an Bord lustig waren, ob vom dänischen Bier
oder von der netten Gesellschaft inspiriert, weiß man nicht;
jedenfalls kloppten sie Karten, sangen Lieder, saßen in der Bar und erzählten sich
was, während es von Zeit zu Zeit an den Außenwänden der
Sarfaq Ittuk hörbar schrappte und klongbongte.
So viel Eis, da kann man gar nicht
mehr ausweichen, sondern nur noch hoffen, dass kein bösartiger Troll einen
dicken Jahrhundertbrocken in den Wasserweg schiebt.
Vielleicht bewirkten ja die Münzen der Buben, die seit Aasiaat auf
der Außenbank von Franks Fenster froren und brav nach Süden mitschaukelten, dass der rote Renner am
frühen Morgen unversehrt in Paamiut einlief. Der Ort war vom pujuq
verschluckt, und es war richtig kalt an Deck, brrrr.
Allerdings lichtete sich im Laufe des Vormittags der Nebel und zeigte,
dass das Wetter im Prinzip ebenso sonnig war wie an den anderen Tagen
auch, wenn der Blick auf die Küste vorübergehend frei wurde. Das Schiff leerte sich immer mehr, je näher die
Endstation der Seefahrt am Südende der riesigen Insel rückte. Und
das Eis war, bis auf einige majestätisch und schwanengleich
einherdriftende weiße Riesen, inzwischen weitgehend verschwunden.
Am Nachmittag, beim Halt in Arsuk, war es wieder sonnig und blieb es
auch bis zum Abend, der schon beinahe so abendlich aussah wie man
sich das als Binneneuropinski üblicherweise vorstellt. Um halb 9 Uhr zeichneten
sich die weißen Häuser von Narsaq vor den abendroten Bergen
ab, während die Täler dahinter bereits im Dunkel lagen.
Narsaq liegt auf etwa 61° Nord, das entspricht der Höhe
von Helsinki, wo allerdings im August keine Eisberge treiben. Aber
Nacht wird es da auch im Sommer, wenn auch nicht so lange wie in
Kirchheimbolanden. Für Grønland bedeuten 61°
Nord praktisch das Ende der Fahnenstange, viel weiter südlich geht
es nicht mehr, nur bis Nunap Isua (Cap Farvel), dem südlichsten Punkt von Grønland, und danach kommt nur noch salziges Wasser bis zur brasilianischen
Küste, wo Eisberge auch eher selten anzutreffen sind.
Narsaq schaute Frank sich näher an, aber nur vom Schiff aus,
für
einen Landgang ist die halbe Stunde Hafenzeit zu kurz. Morgen will er nämlich schon wieder dran vorbeifahren, er ist zur Zeit auch ohne Qajaq recht mobil. Ein richtiger Globeschnorrer eben.
Dass die alte, immer leerer werdende Sarfaq Ittuk nicht länger in
Narsaq Pause macht, hat einen triftigen Grund. Sie will nämlich
noch vor Mitternacht die Endstation Qaqortoq
erreichen, und die Tatsache, dass du diesen Reisebericht liest, zeigt
dir an, dass sie samt Frank tatsächlich gut und pünktlich ankam. Als letzter Passagier verließ er kurz nach
Mitternacht das Linienschiff, stand mit seinem Rödel im
stockfinsteren Hafen von Qaqortoq und fror beinahe. Es war wieder neblig,
aber die Dunkelheit war echt: Richtige Nacht - wie lange ist es her,
dass es sowas mal gab!
Ein gletscher- und wüstentaugliches Allradungetüm rauschte
heran, packte Franks und Kas Gepäck ein und fuhr bis ins
modernste, chicste, vermutlich auch teuerste Hotel Grønlands, das in circa --- 207 m Entfernung von der Hafenmole sichtbar war.
Nach vier Übernachtungen in der Dampferkoje war so ein Luxushotel
mit festem Land unterm Keller eine Wohltat, die Frank indes nur
kurz genießen konnte, denn die Nacht war ja schon beinahe vorbei.
Allerdings machte er ausgiebig von dem einmaligen Service des
kostenlosen WiFi Gebrauch, bevor er sich am Morgen in
Qaqortoq umsah. Im Hafen löste derweil ein rotes Schiff die
Leinen und begab sich durch die Nebelschwaden auf die Rückreise nach Ilulissat, als
hätte es
die Tour nach Qaqortoq alleine dem Schnorrerfrank zuliebe auf sich
genommen.
Der Ort lag fest im Griff der Nebelschleier, kein Sonnenstrahl drang
durch und beleuchtete die schönen Häuschen oder die
Kunstwerke von Aka Høegh,
die in Nuuk die "Mutter des Meeres" auf die Felsen gesetzt hatte. In Qaqortoq war
diese aus Qulissat auf der Disko-Insel gebürtige Künstlerin ansässig und
besonders aktiv. Sie scheute nicht einmal davor zurück, wie die
Kraxelhelden von Greenpeace den Schornstein des lokalen Heizkraftwerks
zu erklimmen und zu bepinseln.
Wenn du also in Qaqortoq einem
Felsen begegnen solltest, der prähistorische Bearbeitungsspuren
aufweist, dann kannst du sicher sein, dass dahinter die durchaus
historische Aka Høegh
(Jahrgang 1947) und ihre Graffiti-Kollegen stecken - die Einwohner freuen sich, die
Touristen kramen ihre Fotohandys raus, und einige Arbeitslose dienen
sich als "Guide to the art works" an - das ist ja genau das, was Kunst bezwecken sollte.
Ohne den heute hartnäckigen Nebel wären die wiederum
kunterbunten Häuslein der Stadt sicher doppelt so fotogen, aber
auch im Hochnebel beweisen sie, dass Qaqortoq nicht zu Unrecht als
schönste Stadt Südgrønlands
gilt - was man denn hier so "Stadt" nennt, mit zwei Kirchen und 3200 Seelen. Ist aber kein sonderliches Kunststück, denn außer
den nur knapp halb so großen Siedlungen Narsaq und Nanortalik am Südkap gibt es keine weiteren "Städte" in
Südgrønland.
Nahe der moderneren Kirche, deren Glockenläuten durch den nebligen
Ort dröhnt, sieht Frank unter den zur Messe strömenden
Kalaallit auch eine Frau in der traditionellen Inuit-Tracht, mit
Kamiken an den Beinen, das erste
und einzige Mal. Vielleicht ist ja heute irgendein Feiertag. Kamiken
sind freilich zum Gehen auf Schnee gemacht, nicht auf Asphalt, wo sie
im Handumdrehn verschleißen. Aber vielleicht war es ja ein
modernes Folklore-Kostüm.
A propos Narsaq: Bevor es wieder
Nacht und Nebel wird in Qaqortoq, sitzt Frank schon wieder in einer
Fjordrakete der Blue Ice Line, die wie gedopt über die Dünung
zischt und auf Narsaq Kurs nimmt. Bis die flotte Nussschale an der Mole
festmachte und zwei weißhaarige Mütterchen an Land krabbeln
ließ, wusste Frank, dass das mit dem Blue Ice durchaus kein
Fantasieslogan war, ersonnen von den Schnöseln einer Werbeagentur.
In den Gewässern vor Narsaq dümpeln tatsächlich
Eisbrocken, die mit Türkis oder Hawaiian Blue gefüllt zu sein
scheinen. Es liegt freilich nicht am Eis, so viel kapiert sogar der
Frank, sondern an der blaugrünen Farbe des Wassers, das im
Eis reflektiert wird. Sieht aber cool aus, richtig eiscool an
einem solchen Annoraaqtag. Frank steigt auch heute nicht in Narsaq aus,
das mit seiner Industrie auch nicht zum Aussteigen verlockt, sondern
zischt weiter bis nach Narsarsuaq, das wieder weiter im Norden liegt
als Qaqortoq, am Ende eines tief ins Land reichenden Fjords.
Nein, er hat sich nicht
verfahren, irrt nicht zwischen Inseln, Schären, Eis und Nebel
umher auf der Suche nach blauen Eisblumen. Aber in
Narsarsuaq liegt der einzige internationale Airport des Südens,
das weißt du ja noch, wenn du den Anfang aufmerksam gelesen hast.
Mehr gibt's da eigentlich nicht. Narsarsuaq ist jedenfalls keine Stadt,
kein
Fischernest und noch nicht mal ein Nest. Es ist nur ein Airport mit
Wohnungen fürs Personal drumherum. Und einem Hotel für
Touristen, die früher oder später irgendwohin abfliegen oder
gerade angekommen sind und früher oder später irgendwohin
weiterfahren. Und dem Blue Ice Café, das für Besucher, die
hier gestrandet sind oder noch Zeit haben, das
übliche Repertoire an Tours, Excursions, Treks, Rides und Flights
organisiert, vom Kindergeburtstag mit
Sackhüpfen bis zu einer Expedition auf den Mars.
Narsarsuaq ist von Amerikanern gegründet worden, die während
und nach dem WK 2 hier eine Garnison und ein großes
Militärhospital unterhielten. Es heißt, dass auch die
Schwerstverletzten des Vietnamkrieges, deren Anblick man der Heimat aus
naheliegenden Gründen vorenthalten wollte, hier zusammengeflickt
oder, je nach Ergebnis der ärztlichen Mühen,
eingeäschert wurden. Beim Abzug der Amerikaner in den 70er Jahren,
als Grønland autonom wurde, machten sie die Klinik völlig
platt und übergaben den Kalaallit nur den Airport, der bis heute
Dienst tut.
Also gut, sagte der Frank, gucken wir uns hier mal um. Das Schöne
an einem Ort, der nicht existiert, ist die weite, stille, mosquitoreiche
Natur. Und davon gibt es rund um den Airstrip genug. Eigentlich handelt
es sich um ein weites Tal, das aus den Sedimenten eines Flüsschens
geformt wurde. Das Flüsschen wiederum speist sich, wie alle
Flüsschen Grønlands, aus einem Gletscher, der vom
hiku, dem Inlandeispanzer, zu Tal rutscht, und die Gesamtlänge des rauschenden Rinnsals entspricht
der Entfernung zwischen Gletscherende und Fjord - weniger als
zehn Kilometer. Zu sehen ist der Gletscher nur, wenn man hingeht
oder einen der Hüppel hinter dem Airport besteigt. Beides hat
Frank vor, er ist ja gelenkig und zu jeder Art von Trimmdich
aufgelegt.
Der Aufstieg auf den nächsten Hüppel namens Signalhøjen, ein Hausberg
von 226 m Höhe, auf dem die Funkmasten für Airport und TV
stehen, ist am
Nachmittag eine schweißtreibende Angelegenheit, denn da lichten
sich die Nebel und die Sonne brennt heraus. Und weil das Sedimenttal
erdreich und fruchtbar ist, wachsen hier, halt dich fest, sogar
richtige Bäume, die ersten und einzigen, die Frank in Grønland je gesichtet hat.
Die Inuit mussten früher Treibholz sammeln, wenn sie ihre Umiaqs
bauten und Paddel dafür brauchten; nicht alles konnten sie aus
Walknochen herstellen. Aber heute wächst zumindest hier
ein Importwald mit Migrationshintergrund; an fast jedem Bäumchen hängt so eine Art von
Preisschildchen dran, wie bei Ikea, und da steht dann "2004,
Lärche, Canada", oder "2012, Blautanne, New Zealand". Etliche der
Birken und Fichten sind dem Klima zum Opfer gefallen und eingegangen,
aber andere Immigranten trotzen den Widrigkeiten und bieten den Vögeln ein
hochwillkommenes Habitat. Nirgends sieht und hört man so zahlreiche Vögel
wie in Narsarsuaq.
Vom Hausberg aus reicht die Sicht bis zu dem fernen Gletscher mit dem
einprägsamen Namen Kiattuut Sermiat, und auch der Weg, der dorthin
führt, ist übersehbar. Bis zum ehemaligen US-Hospital im Tal hinter dem Bergsee ist die Piste sogar
asphaltiert.
Aber vorher nimmt Frank andere Gestade ins Visier: Zum
gegenüberliegenden Ufer des Fjords von Narsarsuaq geht es nur
über weite Umwege, denn der Flughafen, auf dem alle vier
Stunden mal ein Hubschrauber zum Rundflug startet und am späten
Nachmittag wie ein rotes Insekt ein Brummer der Air Greenland aufsetzt,
versperrt den Landweg - die Landebahn reicht bis zum Ufer des Fjords,
und wenn ein Pilot bis dahin nicht genug oder zuviel Zahn drauf hat,
geht er baden.
Um dennoch hinzugelangen, setzt sich Frank wieder in ein Linienboot,
das täglich zweimal rüber und nüber knattert. Und was
gibt's drüben? Schäfchen, Pferde und eine Handvoll Häuser, die
unter dem Sammelbegriff Qassiarsuk zusammengefasst werden. Sogar eine
Grundschule steht da, die aber wegen Sommerferien geschlossen ist, und
ein Guesthouse, vor dem schmutzige Trekkingstiefel und Snowboards
stehen, die vermutlich den dänischen Blondschöpfen
gehören, die aus dem Hostel herauslugten.
Die -außer den Huskys- ersten
Vierbeiner, die Frank in
Grønland fern der Fleischtheke der Supermärkte zu sehen
bekam,
nämlich die Pferde und Schäflein auf der Weide waren freilich
nicht der Grund, dass er hier durch die Pampa trabte.
Sondern ein rothaariger Schlagetot aus Ísland, der, high vom
Met, bei Streitereien immer gleich sein Messer zog und deshalb zur Strafe aus
Ísland verbannt worden
war.
Er baute sich einen Kahn und segelte aufs Meer hinaus, und bevor er dem
vermeintlich sicheren Hungertod erlag, erreichte er zu seiner
Überraschung festes Land, genauso kalt und unwirtlich wie
seinerzeit Ísland, weshalb vermutlich heimatliche Gefühle
aufkamen. Jedenfalls gelang es ihm, sich ein Frühstück zu
fischen und ein Illu zu bauen, und trotz des Bannes segelte er flugs
nach Ísland zurück und holte abenteuerwillige Kerle und
Frauen aus seiner Sippe nach. Im heutigen Qassiarsuk baute er seine
erste Siedlung, die er Brattahlíð nannte, und wurde unter
seinem Häuptlingsnamen Eiríkur Rauði (nicht "Erik, der Rowdy", sondern "Erik der Rote"!) der erste europäische Siedler in Grønland. Seine Ehegattin Þjóðhilður,
die während seiner Abwesenheit zum Christentum konvertiert war,
um für sein Seelenheil zu beten, ließ dort aus Dankbarkeit
über das unverhoffte Wiedersehen ein Kapellchen errichten, die
erste christliche Kirche
in Kalaallit Nunaat, und das Ganze spielte sich zwischen 984 und 1003
ab. Bekanntlich war sein Sohn Leifur Eiríksson ein verwegener Abenteurer,
der seinem Papa in nichts nachstand und sein Qajaq bis nach Vinland
paddelte, das im heutigen Canada liegt. Knapp 500 Jahre vor Cristoforo Colombo und Amerigo Vespucci war der Filius von Eiríkur Rauði vermutlich der erste europäische Tourist, der sich in Amerika nach Souvenirs umsah.
Weder das moosgedämmte
Appartement mit dem Kabel für Strom und Internet noch das putzige
Kapellchen mit rundem Steinmäuerchen sind Originale aus Eiríkurs und Þjóðhilðurs Nachlass, sondern Nachbauten aus
dem 21.Jahrhundert. Von Eiríkurs Aktivitäten zeugen nur einige
steinerne Grundmauern.
Als Frank dort auftauchte, öffnete sich die Tür des
roten Häuschens am oberen Bildrand, und eine junge Kalaallit im
roten Anorak kam, den Eintrittspreis zu kassieren. Die bis hin zum
Anorak rote Farbe wies sie vermutlich als Kassationsberechtigte aus.
"You look like a Greenlander", begrüßte sie Frank. Das war eine gelungene Überraschung. Wie looken Greenlanders eigentlich? Wie würde Frank
reagieren, wenn ihm in Kirchheimbolanden jemand sagte, er sehe aus wie
ein Grønländer? Er entschied sich schließlich
dafür, es an diesem Ort als Kompliment aufzufassen. Es gibt
auch qallunaaq, Grønländer dänischer Abkunft, Seemanstypen, Käpt'n Spiekenboom mit Helmutschmidtkappe. Nach so
viel Herumrennen im hohen Norden war Franks Gesicht, ohnehin vom Alter
gegerbt, noch einen Ton lederner geworden, und wuchernde weiße Mähne und
Bart mögen in der Tat an einen Nachfahren des Eiríkur Rowdy
erinnern.
"And my wife is Inuit", grinste er mit Blick
auf Ka, woraufhin die Annoraaqfrau lachte. So leicht lässt sich eine
Kalaallit nicht veräppeln. Aber ehrlich gesagt, sie selbst sah
auch nicht sonderlich grønländisch aus, kein Wunder, denn sie
heißt Maria Heilmann. So stand es jedenfalls auf ihrem Kärtchen
mit mail-Adresse, das sie Frank überreichte.
Aber aus Teutonien stammte sie nicht, denn sie
selbst bezeichnete sich als Nuummioq, "aus Nuuk gebürtig".
Als Maria bei der Erläuterung des Innern von Eriks Behausung
erzählte, dass Holzwände seinerzeit ein Luxus gewesen
seien, der nur hochgestellten Personen möglich war, während
die normalen Siedler die Erdwände nur mit Robbenfellen
behängten, gestattete Frank sich eingedenk der Preise für
Robbenfelle in den
Souvenirläden die Bemerkung, dass es heute genau umgekehrt sei,
Holzhütten für die armen Fischer, und Robbenfelle für
reiche Amerikaner. Das hatte Maria
wohl noch nie zu hören bekommen und war ihr auch noch nicht
eingefallen. Einen Augenblick sah sie Frank verdutzt an und brach dann
in ein lautes Gelächter aus.
"Yes, this is true, indeed", stieß sie hervor und konnte sich
kaum einkriegen. Kalaallit scheinen an Witzchen großen Gefallen
zu finden und gerne zu lachen.
Bis zum Gletscher Kiattuut Sermiat war es früher nicht weit, denn
er mündete direkt neben dem Airport in den Fjord. Jetzt hat er
sich viele Kilometer zurückgezogen, kein Wunder bei den
sommerlichen Temperaturen. Die schwitzenden Eisberge im Fjord kommen
jedenfalls von dem viel weiter entfernten Gletscher Qooroq, den Frank
nur mit
Hilfe der Blue Ice Company erreichen könnte. Stattdessen
schnürt er seine Sneakers und rüstet sich zu einem
längeren Spaziergang, bevor ihm das letzte Eis von Kalaallit Nunaat
noch fortschmilzt.
Bis zu der Brache, auf der früher das US-Hospital stand, war der
Weg eine richtige Straße, danach folgte eine Schotterpiste, die
an einem Bächlein endete, dessen Umgebung ein weiter Sumpf samt
obigen Blümchen säumte, und dann ging es nur noch auf einem
schmalen Saumpfad weiter über Stock und Stein, durch Senken und über
Klippen. Obwohl der Nebel sich nicht auflöste, sondern sich an den
Bergspitzen festklammerte und der Sonne den Anblick des kraxelnden
Frank ersparte, war die Temperatur zum Wandern perfekt. Und Frank
musste sich eingestehen: Das Blomsterdalen (Tal der Blumen), wie
diese Gegend auf dem Messtischblatt bezeichnet wird, machte seinem
Namen zu dieser Jahreszeit
alle Ehre. Das Foto der schönsten Naturwiese, die Frank je
erblickte, gibt ihre wirkliche Pracht nur zu einem Bruchteil wieder -
es war wie das Gemälde eines impressionistischen Meisters, mit
Unmengen weißer, gelber, blauer und lila Farbtupfer zwischen dem Braun
und Grün der Gräser.
Der letzte Kilometer war am beschwerlichsten. Ohne richtige Piste ging
es über endloses Geröll, an abweisend felsigen Bergen entlang
und einen steilen, schmalen Aufstieg zu dem Aussichtspunkt, von dem aus
ein Blick auf den dahinschmelzenden Gletscher möglich ist - alles
in perfekter Einsamkeit, ohne Guides und Trekking Piepel; nur in weiter
Ferne sah man ein anderes Kletterpaar, das mindestens eine halbe Stunde
früher aufgebrochen sein musste als Frank und, dem gewaltigen
Gepäck nach zu urteilen, auf dem Weg nach Canada
war und irgendwo eine andere Wegrichtung wählte.
Weil
die Sonne bis zum Nachmittag brauchte, um den Nebel ganz zu vertreiben,
wurde es in der Nähe des eisigen Atems des Gletschers schnell
windigkalt, aber Frank genoss auch den beschwerlichen, acht Kilometer
weiten Rückweg nach Herzenslust, machte sogar eigens Umwege, um
sich an Blaubeeren gütlich zu tun oder einen besonders leuchtenden
Blumenteppich aus der Nähe zu bestaunen. Er stellte sich vor, wie
unwirtlich es hier im Winter sein musste, da alle, aber auch alle
Blumen in dieser kurzen Sommerzeit so eifrig um die Wette blühten,
als werde eine grønländische Blumiade ausgetragen, bei der es
nur lauter Sieger geben kann.
Zurück in Narsarsuaq war es wieder sonnig und beinahe heiß,
und es blieb gerade genügend Zeit, um das Gepäck aus dem
Hotel zum einzigen Schalter des gerade mal 250 m entfernten Airports zu rollen.
Ob du es mir glaubst oder nicht: In den knapp zwei Wochen, die
Frank in Grønland verlebte, fiel kein einziger Regentropfen, schneite es keine einzige Flocke,
wehte kein einziger Sturm. Er brauchte keine Pudelmütze, keine
Handschuhe, keine Stiefel, keinen Pelz und keine drei oder mehr Lagen.
Da siehst du mal, wie vorteilhaft es ist, bei der isländischen Fee
Borghilður einen Stein im Brett zu haben.
Der Abschied von diesem riesigen Eiland mit seiner
überwältigenden Natur und seiner magischen Atmosphäre
fiel Frank ein wenig schwer. Obwohl die Winter hier geradezu unwirtlich
sein dürften, stellte er sich vor, wie der frische Schnee an einem
Wintertag, an dem die Sonne nicht aufgeht, in der von Mondenschein und Nordlicht türkis erhellten Finsternis
leuchten und funkeln sollte, und beneidete ein ganz kleines bisschen
die Kalaallit, die solche faszinierenden Begegnungen mit den Wundern
unsrer schönen Welt Jahr für Jahr erleben dürfen.
In
der Propellermaschine von Iceland Air, die Frank wieder in die
Kälte nach Reykjavík beförderte, bevor er den teuren
Norden verließ, um in Frankfurt am Main Urlaub zu machen, fand er
ein
seltenes Exempel von isländischem Humor, gepaart mit isländischem
Englisch. Auf der Papierserviette stand in holprigem Versmaß der sinnige Spruch:
I could be a boat, I could be a jet,
but right now I am only a serviette.
Serviette heißt zwar auf Englisch napkin, aber wir wollen das mal nicht so eng sehen und schulmeisterlich
sein angesichts des tiefen Wahrheitsgehalts dieser nordischen
Erkenntnisse. Frank konnte nicht an sich halten und schrieb darunter:
I could be an explorer,
or boss of a
bank,
but I'm
just a Schnorrer,
a Schnarchsack called Frank.
Franks
Englisch ist auch nicht besser, aber wir wollen das mal nicht so eng sehen und schulmeisterlich
sein *); jedenfalls sind es erhabene Schlussworte, meinst du
nicht?