gl2


kalman

Noch ein bisschen Zeit bleibt in Ilulissat, das wirklich eine Reise wert ist. Ein richtig vergnügliches Städtchen mit vielen Attraktionen.

"Finden Sie wirklich?", fragte die abenteuerlich geschminkte und blondierte junge Dame in dem Reisebüro, der Frank die obligatorische Frage stellte, ob sein Schiff morgen früh plangemäß einlaufen und abfahren werde. In diesem Eisschollenland weiß man nie, was passiert, und wegen Treibeis oder Nebel kann da manches durcheinander kommen.
"Also, ich würde was dafür geben, um nach Los Angeles, Paris oder Singapore ziehen zu können. Hier ist es doch stinklangweilig. Eine Bekannte von mir war mal in Tokyo und hat mir Fotos gezeigt, und ich hab's mir im Internet angesehen. Das ist ein heißes Pflaster...!"
Frank musste ihr teilweise Recht geben. Forever in Ilulissat zu leben, das ist keine echte Alternative, vor allem im Winter. Aber für ein paar Tage bei diesem blendenden Wetter ist Ilulissat unschlagbar, und außerdem spürte Frank inzwischen, dass diese eisige Insel auf ihn eine magische Anziehungskraft ausübte, über die nur wenige Regionen der Welt verfügen. Schwer zu sagen, was die Aura Grönlands ausmacht, die Nähe der Natur, das ungezwungene Herumtollen im Freien, die (in dieser Jahreszeit) nicht untergehende Sonne, das knackende Eis?
Frank fand einen anderen Trail zum Eisfjord, er wollte es noch mal knacken hören.


339

Das Nordmeer ist heute ruhig und klar, glatt wie ein Spiegel, in dem die Eisberge wie auf einem Kalenderfoto ihre Eleganz zu betrachten scheinen.
Ein aus Holzbohlen gezimmerter Stegpfad führt durch die empfindliche Sommerflora hinunter zum Weltkulturerbe, das sich heute noch einmal von seiner allerschönsten Seite präsentierte - und heftig knackte, schabte und schürfte. Im Hintergrund sah Frank ein rotes Schiff auf den Hafen zusteuern, das sehr stabil und eisfest aussah, ganz anders als die AidaCara, die schon in Richtung Nuuk davongeschwommen ist. Es ist der Postdampfer, das Linienschiff der Arctic Umiaq Line, das die Westküste Grønlands rauf- und runterschippert und Waren und Menschen transportiert. Aber nur im Sommer. Frank wusste, dass dieses Schiff in den kommenden Tagen sein Heim sein würde.


340

Ka wollte sich noch von "ihren" Huskys verabschieden, die auch sofort wieder schwanzwedelnd gesprungen kamen, denn so eine nette Spielgefährtin finden sie nicht alle Tage.
Drei Stunden später betrat Frank mit Ka seine Kajüte auf der Sarfaq Ittuk, dem im ganzen Land bekannten Küstenlinienschiff, das genauso rot ist wie Grønlands Flagge und die dicken Propellerbrummer von Greenland Air, zu deren Flotte es gehört, obwohl es eher selten fliegt. Aber es befördert alles, was die plumpen Flugzeuge liegen lassen. Sarfaq Ittuk bedeutet etwas in der Richtung von "frische Brise", aber die ist in diesen Breiten kein Objekt großer Sehnsüchte. Frank Polyglott weiß auch, dass ein umiaq ("Arctic Umiaq Line") das große Transportboot der Eskimos ist, mit dem sie bei ihren Wanderungen Frauen, Kinder, Jagdausrüstung und Fellpelze transportieren, denn Frachtgut passt in ein Qajaq nicht rein.
Die Sarfaq Ittuk ist kein Kreuzfahrtschiff; sie transportiert überwiegend Einheimische und Waren. Schnorrer und Touristen wie Frank und Ka sind eine Minderheit, weshalb die Lautsprecherdurchsagen auf Kalaallisut und Dänisch erfolgen und auch gut verständlich sind, falls du eine dieser Sprachen beherrschst; bis Frank herausfand, dass die dritte Sprache, in der die Durchsage erfolgte und die er für einen alasko-alëutischen Dialekt hielt, Englisch sein soll, vergingen zwei Tage.


398

Bei der Abfahrt und Ankunft in jedem Hafen versammelt sich eine Menge Leute, in kleinen Orten oft die halbe Einwohnerschaft, zur Begrüßung oder Verabschiedung von Freunden und Verwandten. Die Kalaallit sind sehr herzlich im Bekanntenkreis; wer weiß schon, wann man sich wiedersieht? Jede Reise mit dem Postdampfer bedeutet für die Zurückbleibenden eine längere Trennung.
Der Fahrplan der Sarfaq Ittuk sieht Halts in mehreren Orten vor, in manchen nur 15 Minuten, in Nuuk hingegen 6 Stunden; in größeren Städten kann man an Land gehen, sich nach Belieben umsehen und, so wie die Passagiere der AidaCara, an Land tüchtig Geld ausgeben.

ruteplanGrønländer sind keine Eskimos, obwohl sie mehrheitlich von ihnen abstammen. Aber sie haben schon seit vielen Generationen ihre Qajaqs und Harpunen gegen Trawler und Fischernetze getauscht, wohnen in Häusern aus importiertem Holz und haben sich zum Teil auch heftig mit der hier ansässig gewordenen dänischen Minderheit durchmischt. Deshalb haben sich auch die Eskimosprache Inuktitut und das Kalaallisut getrennt und gelten als jeweils eigenständige, wenn auch verwandte Sprachen. Aber wenn du meinst, hier würde alles Dänisch quasseln - Fehlanzeige. Kalaallisut ist eine höchst lebendige und keineswegs ausgestorbene Sprache, du kannst sie täglich erleben, aber leider nicht verstehen...

Auf dem roten Traumschiff gibt es nicht nur private Kabinen, wie Frank eine gebucht hat, sondern auch billigere Etagenbetten mit einem Vorhang davor. Für Wertsachen kann man ein Schließfach mieten, die Koffer stellt man in die Gepäckablage. Die Mehrzahl der Einheimischen gibt sich damit zufrieden, ist ja auch deutlich billiger. Die Küchencrew serviert täglich drei Mahlzeiten und zwischendurch Kaffee und Kuchen oder Sandwiches, und es ist nicht mal teuer.


sarfaqittuk

"Sie sieht stabil aus...", wiederholte Frank für sich, als das Schiff am Abend -die Sonne steht abends so hoch wie bei uns gegen 15 Uhr- mit beachtlichem Tempo durch die Ausläufer des Eisfjords pflügte, an manchen der weißen Brocken haarscharf vorbei. Er versuchte, weniger an die Titanic zu denken und rief sich ins Gedächtnis zurück, dass ebendiese Sarfaq Ittuk 2012, vor fünf Jahren, mit großer Schlagseite auf einer Klippe bei Nuuk festsaß und trotzdem nur kurz zum Ausbeulen in die Werft musste - so eine unverwüstliche Schachtel lässt sich von lumpigem Treibeis nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Aber trotzdem - einen Zusammenstoß mit manchem kaufhaushohen Gletscherkälbchen würde Frank eher ungern miterleben.


400


Nachdem der sanfte Seegang Kas Befürchtungen hinsichtlich einer bewegten Seereise zerstreut hatte, meinte sie höchst angetan angesichts ihrer luxuriösen Privatkabine, sie fühle sich wie bei Agatha Christie in einem der Hercule-Poirot-Filme, von denen nicht wenige auf Kreuzfahrtschiffen oder in Orient-Expressen spielen. Ihr machte die Seefahrt augenscheinlich Spaß. So komfortabel, sonnig und preiswert hatte sie sich das alles nicht vorgestellt und insgeheim gebangt, tagelang mit flauem Bauch seekrank auf einer Pritsche dahinzudarben, aber nun eroberte sie sich putzmunter die Ober- und Unterdecks, fand das Kino und das Aussichtsdeck und ließ sich den arktischen Fahrtwind, die "frische Brise", um die Ohren blasen - noch immer ohne Annoraaq; der hing aber schon am Kleiderhaken.
Huskys gab es zwar nicht an Bord, aber dafür auch keine Mosquitos und keine anstrengenden Wanderungen über steile Klippen und durch moosige Heide, das ist doch schon mal was wert.


432

Sehr groß war sie zwar nicht, die Kajüte, verfügte aber über Dusche und Toilette sowie vier Betten, so dass auch ein Ehepaar mit Kindern hineinpassen würde.
Von Ilulissat aus geht die Fahrt die gesamte Westküste entlang in Richtung Süden, bis zur Endstation Qaqortoq am Südende von Grønland. Fast alle Besucher sehen von der größten Insel der Welt nur die Westküste, denn sie ist milder und grüner. An der Ostküste gibt es nur wenige Orte und Siedlungen; dort ist das Wetter bedeutend schlechter und das Klima wesentlich eisiger. Hotels gibt es dort überhaupt keine, und der einzige von Greenland Air regelmäßig bediente Airport Kulusuk liegt in der Nähe von Tasiilaq, einem der beiden größeren Orte des Ostens.
Im Hafen von Aasiaat, der am späten Abend, aber bei Sonnenschein, erreicht wurde, erwartete eine große Anzahl der Bewohner den Dampfer. Halb Aasiaat musste auf den Beinen sein. Wahrscheinlich ist die Ankunft des Linienschiffes der Höhepunkt einer eintönigen Woche. Erstaunlich viele Passagiere steigen zu und aus. Man spürt tatsächlich, dass dieses Schiff nicht für Touristen gemacht, sondern die Lebensader von Kalaallit Nunaat ist. Zwei Jungens traten an der Mole an unser Bullauge, von außen, und legten je eine 2-Kronen-Münze auf den Rand, ohne zu bemerken, dass wir von innen zusahen. Sicher ist es ein grønländischer Aberglaube, dass dann Sedna, die amazonenhafte Meeresgöttin, das Schiff und seine Passagiere von ihrem Zorn verschonen werde.


404

Eine halbe Stunde später schaukelte der rote Pott wieder weiter, erstaunlich pünktlich; die See blieb ruhig und die Nacht sonnig, während Frank und Ka den Rollvorhang runterließen und bis zur Ankunft in Sisimiut am andern Morgen in der bequemen Koje eine Art Nachtruhe hielten.

Sisimiut ist ein schönes, altes Städtchen, das zweitgrößte von Grønland, von den Dänen einst mit dem Namen Holsteinsborg versehen. Die quietschbunten Häuschen gruppieren sich auf einem Hügel vor der Silhouette des markanten Berges Nasaasaaq ("Frauenkapuze", 784 m). Hier steht die älteste Kirche des Landes, es gibt sogar eine Art historische Altstadt, als Freilichtmuseum eingerichtet, in dem Hundeschlitten im Gras stehen und auf den Schnee und den napariaq warten, den aufrecht stehenden Schlittenführer, und das alles bei einem wolkenlos blauen Himmel, den eigentlich nur Álfadrottning Borghilður ihrem Schützling Frank beschert haben kann. Wie lange ist es nun her, dass er den letzten Regentropfen erlebt hatte? Es ist gut möglich, dass der großartige Eindruck, den Grønland bisher auf ihn gemacht hat, dem warmen und sonnigen Wetter, das er gepachtet hat, zu verdanken ist. Wer weiß, wie grau und unwirtlich ihm Sisimiut bei Sturm und Eisregen vorgekommen wäre...! Im Winter liegt in dieser Gegend die Packeisgrenze, die Weiterfahrt in Richtung Norden ist auch mit Eisbrechern unmöglich.


407

Kangaamiut ist, vom Schiff aus gesehen, zweifellos das schönste Städtchen der Westküste. Der blöde Dieseltank für das Strom- und Heizkraftwerk stört zwar die Sicht, aber Frank will natürlich nicht, dass die Einwohner seinem Foto zuliebe winters in ihren hölzernen Illus erfrieren müssen. Die bunten Häuschen, die im Abendlicht zu leuchten scheinen, sind malerisch auf einen Hang drapiert, vor dem Hintergrund hoher Bergspitzen, die eisfrei aufs Meer niederblicken. Der Fischerhafen ist allerdings für ein Schiff mit den Ausmaßen der Sarfaq Ittuk zu klein. Es wurde eine ebenso knallrote Schaluppe ins Wasser gelassen, um die aus- und zusteigenden Passagiere vom Schiff zum Hafen und umgekehrt zu befördern.
Betuchtere Verwandte schicken mitunter auch ihr eigenes Boot, um die Söhne oder Töchter, die hundert Seemeilen weiter aufs Gymnasium gehen, direkt am Schiff für die Ferien bei der Familie abzuholen. Wer in einem kleinen Nest irgendwo am Rand der Eisinsel Kalaallit Nunaat zur Welt kommt, muss sich früh an
Selbständigkeit und ein Nomadenleben gewöhnen, wenn er nicht für immer Garnelenfischer bleiben will. Nicht jede Siedlung hat ihr eigenes Gymnasium, und eine Uni gibt es nur in der Hauptstadt Nuuk. Und wer fertig studiert hat, der findet meist nur in København einen Job, wo Grønländer nicht besser angesehen und willkommener sind als Oglallah Sioux in New York. In der Tat fallen im menschenleer anmutenden Nuuk die zahlreichen Alkoholiker, Lungerer und Desperados unter den Kalaallit schnell ins Auge, aber so weit sind wir noch nicht.


406

Aus dem Foto ist gut zu ersehen, dass das Polarmeer, wenn es nur die Temperatur des Indischen Ozeans hätte, ein Paradies für Badefreunde wäre. Das schönste, klarste Wasser, das man sich denken kann, funkelnd azurblau im arktischen Sonnenlicht, man möchte beinahe hineinspringen, wenn nicht das Treibeis an die Wassertemperatur erinnerte. Der Dampfer hält Kurs meist dicht am Ufer entlang, und dort, wo es steil abfällt und tief genug ist, tuckert die Sarfaq Ittuk durchaus in Rufweite des steinigen Gestades südwärts, so dass die Seefahrt auch außerhalb der Häfen durchaus nicht eintönig ist.
Wegen des kleinen und relativ ungeschützten Hafens zogen fast alle Bewohner von Kangaamiut 1781 weiter nach Süden und gründeten eine neue Siedlung, das heutige Maniitsoq, auf Dänisch Sukkertoppen. Es liegt in einer Schärenregion, in der tausende kleiner und kleinster Inseln den Eisbergen gleich im Polarmeer zu dümpeln scheinen, und weil die Fahrt zwischen Sisimiut und Kangaamiut den Polarkreis in Richtung Süden überschritten hat, ist das Meer hier ganzjährig schiffbar, und es sieht ab etwa 22 Uhr beinahe richtig abendlich aus. Eine Stunde später verabschiedet sich sogar die Sonne für ein knappes Stündchen Siesta.


407s

Ka hat einen Sinn für die Schönheit der gewaltigen Natur, sie genießt jede Minute der Fahrt auf der seidigen See, der sie vorher mit großer Skepsis entgegengesehen hatte. An Deck ist ihr abends wegen der tiefstehenden Sonne und des Fahrtwindes zu kühl, zumal die Backbordseite des Schiffs, die dem Land zugewandt ist, meist im Schatten liegt. Aber sie sitzt lange am Fenster und schaut auf die langsam vorüberziehende Landschaft und das nahezu wellenlose Wasser, in dem bisweilen prustende Wale ihre Tänze vorführen. Narwale, Finnwale, Buckelwale, Grønlandwale, die nur Spezialisten zu unterscheiden wissen. Keine Spur von seekrank, im Gegenteil, ein so ruhiges Meer kann man sich in Japan gar nicht vorstellen. Ihr Bedauern darüber, dass es an Bord keine Internet-Verbindung für die Passagiere gibt, hat sie längst vergessen, und die Worte des Stewards, den ich nach WiFi fragte, kann sie vermutlich bestätigen:
"No WiFi, but you can see the ocean and beauty of nature, it is as fascinating as the whole internet."
Es ist wirklich faszinierend. So eine Eis-Ozeanwelt haben wir beide noch nie erlebt. Manchmal fühlt man sich beinahe wie auf einem fremden Stern.


409

Nein, es ist kein Hochalpensee in der Schweiz, sondern die Küste Grønlands, die an den staunenden Fremdlingen vorüberzieht, makellos sonnig, immer wieder anders, mal steinig, mal eisig, mal besiedelt, mal unberührt. Mal treibt Eis im Wasser, mal liegt es auf den Bergen, aber niemals ist die Fahrt langweilig.
Auf der Mitte des Weges liegt die Hauptstadt Nuuk, wo das Schiff sechs Stunden lang Pause macht. Eine richtige Stadt, mit Industrie, Werft, Yachthafen, Wohnblocks, einer Universität, Luxushotels und WiFi, hier findest du alles, was du in einer Stadt zu finden hoffst. Auf Obdachlose hoffst du vielleicht weniger, findest sie aber ebenfalls und fragst dich, wo sie im Winter bleiben. Das fragt Frank sich auch. Hoffentlich haben sie irgendwo ihre drei Lagen.
Ein Menschengewusel wie Shanghai bietet Nuuk mit seinen 17000 Bewohnern natürlich nicht, und das Nachtleben dürfte auch noch ausbaufähig sein, aber Kaufhäuser, Fischmarkt und Shopping Mall kannst du schon nach kurzer Suche ausfindig machen.


425

Als die Sarfaq Ittuk im Hafen einlief, war es noch vor 7 Uhr früh. Im Schatten fröstelkalt, denn es wehte eine eher steife als frische Brise. Die Einwohner waren noch unsichtbar, abgesehen von den Heerscharen im Hafen, die mit einem gewaltigen Fuhrpark ihre Lieben abholten. Mindestens die Hälfte der Passagiere verließ hier den Dampfer, und am Nachmittag, wenn die Fahrt weitergeht, dürften vermutlich ebenso viele Fahrgäste zugestiegen sein.
Weil die Geschäfte noch zu hatten, wanderte Frank erst mal in die Altstadt. Ja, sowas gibt's da auch. Nuuk sieht ziemlich klein aus, ist aber weitläufig. Weite Flächen auf der Hochebene nahe dem urbanen Zentrum sind noch leer und stehen voller Unkraut, hier und da wird was gebaut, aber selbst die hölzernen Appartementblocks sind auf den Fels des Untergrunds gezimmert und würden, wenn es hier Hurricanes oder Taifune gäbe, vermutlich widerstandslos in den kleinen Yacht- und Fischerboot-Hafen segeln. Wo es keine asphaltierten Straßen gibt, sind hölzerne Stege über die Klippen gebaut, damit die Leute sich nicht die Glieder brechen, wenn sie zum Supermarkt einkaufen gehen. Schließlich ist der Sommer hier nur eine kurze Unterbrechung des laaaaaaaaaaaaaaaaangen, stockfinsteren Winters mit Schnee und Eis.


414

Auf einer hügeligen Wiese, von Felsen durchzogen, steht ein rotes Kirchlein und darum gruppiert ein paar hölzerne Illus wie aus dem Legobaukasten, das ist die Altstadt, die sich bis zum alten Hafen hinunterzieht. Den Hafen überblickt ein bronzener Norwegodäne in der Tracht des 18.Jhs; das ist der norwegische Pastor Hans Egede, der im 18.Jahrhundert mit Unterstützung durch das dänische Königshaus mit teils ruppigen Methoden versuchte, die Inuit zu frommen Christen zu bekehren. Der norwegische König hielt die Fianzierung eines derartigen Vorhabens wohl mit Recht für rausgeschmissenes Geld. Immerhin gründete Egede die Stadt Nuuk, die er Godthåb nannte, die "Gute Hoffnung", auf einer flachen, zerklüfteten Landzunge. Die gute Hoffnung erfüllte sich insoweit, als sich Nuuk mit seinen vielen als Tiefsee-, Yacht- und Fischerhäfen geeigneten Buchten zur größten Stadt der gesamten Insel mauserte. In Konkurrenz zu niederländischen Fischern beteiligte sich Den kongelige Grønlandske Handel an den Versuchen, durch Walfang aus der eisigen Insel Profite zu erwirtschaften, war aber im Robbenfang erfolgreicher und verlegte sich nach dem Kieler Frieden 1814, durch den ganz Grønland an Danmark fiel, auf die Erkundung von Bodenschätzen, aber der erhoffte Reibach aus dem geplanten Abbau von Mineralien und Erzen blieb auf lange Sicht aus. Arktistaugliche Gerätschaft herzuschaffen, Ingenieure und Arbeiter ins Eis zu locken und unterzubringen war äußerst kostspielig, und die wenigen Kalaallit, die seinerzeit dort siedelten, machten Rabatz; sie ruhigzustellen -kaltstellen ist ja in dieser kalten Region eher nicht so erfolgversprechend- kostete das Königreich dermaßen viele Kronen für Infrastruktur, Siedlungsprogramme und Versorgung, dass die Autonomie im Jahre 1979 beiden Seiten gleichermaßen willkommen war.


412

Auf einem Steinsockel am Alten Hafen sitzt, den Blick von den modernen Wohnblocks abgewandt, Aug in Auge mit Herrn Egede, die grønländische Entsprechung der kleinen Seejungfrau, die allerdings etwas kräftiger gebaut ist, mit Nixen und Meeresziefer spielt und Sassuma Arnaa oder Imap Ukua, "Mutter des Meeres", genannt wird. Diese Skulptur der Künstlerin Aka Høegh entstammt einer Inuit-Legende und taucht nur bei Ebbe aus dem Wasser auf.
Der grønländischen Sage zufolge wurde die Mutter des Meeres einst zur grimmigen Wutbürgerin, weil die Menschen die Meere leerfischten und sich nicht an das UN-Abkommen zur Beschränkung des Walfangs hielten. Daraufhin
fing sie mit ihrem langen Haar alle Beutetiere der Menschen ein und entzog sie in ihrem Haarkäfig dem Zugriff der Fischer, bis eine Delegation der verhungernden Inuit das Ende der Strafe aushandelte und Schamanen der resoluten Dame das Haar kämmten, bis sie die darin gefangenen Tiere wieder in den Ozean entließ. Vermutlich versäumten die Inuit-Coiffeure es auch nicht, der Lady bei der Gelegenheit eine Glatze zu scheren, aber wie die Skulptur zeigt, ist das Haar mittlerweile wieder nachgewachsen, so dass es nicht sehr ratsam ist, das Meer weiter zu überfischen.


418

Auf dem Fischmarkt von Nuuk liegt jedenfalls, neben Kabeljau, Garnelen, Lachs und Stockfisch, auch Speck vom Finnwal und Steak vom Narwal zum Verkauf, und wer das zähe, trockene Zeug einmal probiert hat, der wird sich nach einem ordentlichen Beef sehnen und das Fangverbot aufrichtig unterstützen.

Wenn du dich für die Kultur der Inuit interessierst und mehr sehen willst als Huskys und hölzerne Schlitten, warte bis um 10 Uhr; dann macht das Museum von Nuuk auf, ebenfalls in der Altstadt am Alten Hafen. Es ist das größte Museum von Grønland, gut gepflegt und reich bestückt, und es enthält nicht nur Robbenpelze und Umiaq-Nachbauten, sondern auch die berühmten Mumien von Qilakitsoq.
1972 fanden Jäger unter einem Felsvorsprung in dem längst verlassenen Ort Qilakitsoq bei Uummannaq, nördlich der Disko-Insel Qeqertarsuaq, unter aufgetürmten Steinen ein altes Inuit-Grab, das kalter Luft ausgesetzt, aber vor Schnee, Regen und Tierfraß geschützt war. Die dort bestatteten Menschen, fast ausschließlich Frauen, waren mumifiziert in ihrer Original-Bekleidung, samt Pelz-Annoraaq und Kamiken. Untersuchungen ergaben, dass sie vor mehr als 500 Jahren bestattet worden waren. Das vermeintliche Püppchen, das im Arm einer jungen Frau lag, wurde erst später als ein etwa 6 Monate alter Säugling identifiziert. Man nimmt an, dass er erstickt worden war, weil er nach dem Tod seiner jungen, etwa 20jährigen Mama nicht überlebensfähig gewesen wäre. Verhungern war bei den Inuit seit alters die zweithäufigste Todesursache.


421

Sechs Stunden später stach das gedrungene rote Schiff wieder in die ruhige, glitzernd blaue See und nahm Kurs auf Südgrønland; am Abend sollte es in Qeqertarsuatsiaat ankommen.


backhomeweiter