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Die Stadt Ulaanbaatar fanden
wir heute wieder ein Stück sympathischer, nachdem wir
den wohlsortierten Foodmarket gefunden hatten. Das
ignorante Guidebook behauptet kühn, dass man dort zwar
Salatdressing kaufen, aber in der gesamten Mongolei
keinen einzigen frischen Salatkopf auftreiben könne.
Schön gesagt, aber leider kompletter Blödsinn.
Zugegeben, das Gemüse fand sich in der entlegensten
Ecke; ![]() |
Javier und Roberto waren schon auf dem Weg nach Beijing, als wir zusammen mit Mauro und Fabiana nach Terelj glitten. Ja, glitten. Die beiden Spanier versäumten nämlich glatte, asphaltierte Straßen, und Baatar, den "Helden" am Steuer des nagelneuen Hyundai, der uns wie ein Bundesbankpräsidentenchauffeur sachte um die wenigen Schlaglöcher schaukelte und seinem Prunkstück selten mehr als 40 km/h zumutete. Terelj liegt freilich von UB aus nicht allzu weit entfernt, so dass ein Driver von Khoikas Temperament in einer Stunde schon da wäre. Während wir Ausländer noch an der vertrackten Aussprache des Ortsnamens wie auf einem zähen Knorpel herumkauten (klingt so ähnlich wie Tirch-ilch-dsch), gelangten wir schon zu dem Schlagbaum, an dem das Eintrittsgeld zum Nationalpark (für Ausländer der zehnfache Preis) berappt werden muss. Die Straße folgt dem River Tuul in die Khentii-Berge, die mit ihrer Bewaldung an deutsche Mittelgebirge erinnern. Unterwegs sind seltsame Felsformen zu sehen; die Erosion hat dort die lustigsten Skulpturen gebaut: Eine gigantische Schildkröte (Turtle Rock), deren Kopf, wie Tuvshin erzählte, im vergangenen Jahr erstmals erklommen worden sei, von deutschen Alpinisten, oder auf einem Bergrücken die täuschend echt nachgeahmte Silhouette eines alten Mannes, der ein Buch liest, ohne freilich die Seiten umzublättern. Vielleicht hat er ja auch einen Laptop auf den Knien, was in der Mongolei freilich eher unwahrscheinlich ist. |
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SUCHBILD: DER AUTOR UND SEINE GEMAHLIN |
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Nach steiniger Steppe und windiger Wüste endlich ein Waldspaziergang, da bebt die deutsche Brust... Um das Wäldchen zu erreichen, überqueren wir die von fetten Rindern und zufriedenen Pferden glatt gemähte Wiese und stellen fest, dass die Tiere Edelweiß und Enzian offenbar verschmähen; vielleicht haben sie ja gehört, dass diese Pflanzen, die in dichten Büscheln wie Unkraut auf der Wiese wuchern, andernorts geschützt sind. Schnittlauch wäre dem banausigen Vieh vermutlich lieber als Edelweiß. Alpenglühen bekommen wir allerdings auch in Terelj nicht geboten, hier sieht es mehr nach Schwarzwald aus. Auch Klima und Wetter wecken Heimat-Erinnerungen: Zum Beispiel der hartnäckige Nieselregen, vor dem auch der schöne Birken- und Lärchenwald kaum Schutz bietet, aber das kann einen deutschen Wandersmann ebenso wenig schrecken wie die dürftigen 14 Grad Außentemperatur, gegen die nur ein zügiges Erklimmen des Gipfels hilft. Oben empfangen uns eine Wolkenlücke, aus der die Sonne lugt, und ein Ovoo, ein heiliger Steinhaufen, den man dreimal im Uhrzeigersinn umrunden muss, damit irgendwelche mongolische Erdgeister den dabei gemurmelten Wunsch erfüllen --- oder auch nicht. Die fleischfressenden Mongolen könnten mit etwas größerem Interesse für ihre Flora leicht von ihren Khuushuurs loskommen: Der Wald steht nicht nur voller Pilze, sondern man stolpert auch allerorts über wildes Gemüse, Rhabarber, Schalotten und Walderdbeeren. Auch die Vorfahren aller aufgemotzt verzüchteten Rosen und Nelken trotzen hier schüchtern und unscheinbar dem feuchtkalten Klima. |
"Können wir den Tempel
Gunjiin Süm besuchen?", fragt Mauro, dem eine
Jeepfahrt zu irgendwelchen Sehenswürdigkeiten lieber ist
als mühsames Umherkraxeln auf glitschigen Waldpfaden.
Aber Tuvshin enttäuscht ihn:
"Es gibt keinen für Fahrzeuge passierbaren Weg dorthin. Man müsste reiten, aber es ist zu weit, um am selben Tag zurückzukehren." Fabiana macht ein entsetztes Gesicht. Strapazen liebt sie schon im Alltag nicht, und noch weniger im Urlaub. |
Der Tempel hat eine lange
Vorgeschichte und verdankt seiner Lage in unwegsamer
Einöde das Überleben der kommunistischen Purgatorien.
Lange ist's her, als die Mongolei unter mandschurischer
Herrschaft ächzte, da machte sich ein uneheliches
Nomadenkind einen Namen, indem es, zum Jüngling
herangewachsen, mit einer Schar Gleichgesinnter die
Mandschus vertrieb.![]() |
Es wurde also nichts aus dem Tempelbesuch; stattdessen begab ich mich mit einem dringenden Bedürfnis in den Funktionärspalast, dem an entscheidender Stelle jedoch das nötige Papier fehlte. Ich wusste mir Rat und schaute im Damen-WC nach, wo man derlei meist vorfindet. Und mehr noch: Gleich neben der fast aufgebrauchten Rolle lag eine herrenlose, oh pardon, damenlose Gürteltasche, so ein Ding, in dem man sich alle Wertsachen um den Leib schnallt, offensichtlich vergessen nach der Verrichtung eines wichtigen Geschäfts. Ich machte den Reißverschluss auf und bekam sogleich ein asiatisches Frauenporträt zu fassen, garniert mit Hangeul-Schriftzeichen: Ein koreanischer Personalausweis. Da fiel mir ein, dass vor etwa 20 Minuten eine Koreaner-Gruppe auf der Wiese vor dem Ger-Camp ihren Minibus mit seltsamen Gesängen umtanzt hatte, als wäre er ein goldenes Kalb. Vielleicht war er ja nur so zum Anspringen zu bewegen. Ob sie noch da waren? Ich sauste raus wie ein geölter Blitz. Da stand er noch, der staubige Bus, aber die Insassen hockten alle drin und der Motor heulte soeben freudig auf. Mit dem Ausweis und der Gürteltasche fuchtelnd konnte ich das Gefährt gerade noch am Losfahren hindern. Da ertönte auch schon ein schriller Schrei des Schreckens aus dem Wageninnern, und eine rundliche Hausfrau mit schwarzen Dauerwellenlocken stürzte herzu und schob das Fenster auf, noch nachträglich erschrocken, was sie beinahe an Überlebenswichtigem verloren hätte, und bedankte sich mit unzähligen Verbeugungen, die allerdings, im ohnehin gebückten Zustand mit dem Kopf im halbgeöffneten Busfenster, ziemlich drollig aussahen. Vermutlich ahnte sie nicht, welcher Kette delikater Fügungen sie ihr Glück verdankte. |
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"Fermentierter
Yoghurt", kommentierte Tuvshin, "da machen die
Leute Wodka draus."
WODKA??? Aus Yoghurt? Da mag ich nicht recht dran glauben. Der Eingang verdunkelte sich, der Hausherr war von der Pferdeweide geritten gekommen, von wo er wohl den Besucherandrang an seiner Behausung bemerkt hatte. Jetzt saßen wir in der Falle, denn der Gastfreundschaft eines mongolischen Nomaden zu entrinnen ist nicht leicht. |
Zwei Sorten Käse (aus frischer und fermentierter Milch) bekamen wir nebenan im Wohnzelt zum Probieren vorgesetzt, und dazu Esslöffel voller Rahmbutter in allen Stadien der Entstehung.... Zum Glück saß Mauro neben Ka, die weder Milch verträgt noch es fertig bringt, sich esslöffelweise Fett einzuverleiben, aber Mauro schmierte sich die Butter so genießerisch in den Rachen, als handle es sich um Vanilleeis, und hätte dem Hausherrn wohl das ganze Butterfass leergeschleckt, wenn wir nicht zuvor gerade erst gefrühstückt hätten. Als nächstes bekamen wir exzellenten, frisch hergestellten Yoghurt, der jeden Danone-Becher erblassen ließe, und jene mongolische Milchsuppe, die sich zwar Tee nennt, aber nicht danach schmeckt. Danach lupfte der Nomade den Deckel des im Meierei-Ger blubbernden "Wodka"-Eimers und holte daraus einen Topf hervor, der mit einer heißen, durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war. |
"Der Topf wird im
Inneren des Eimers aufgehängt. Wenn der fermentierte
Yoghurt zum Kochen gebracht wird, steigt ein
alkoholischer Dampf auf und kondensiert am Deckel des
Eimers, von wo aus er in den Topf tröpfelt. So wird
Yoghurt-Wodka destilliert", erläuterte Tuvshin.
Na,
da bin ich beruhigt, denn wirklichen Wodka bringt man
damit nicht zuwege, höchstens eine Art von Yodka. "Du musst jetzt ein Lied singen und die Schale dann leertrinken. Das ist hier Sitte, man darf es nicht ablehnen." |
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EIN WODKA, EIN LIED, EINE PFEIFE.... NICHT GERADE FABIANAS GESCHMACK |
Fabiana machte ein so entsetztes Gesicht, als würde ihr ein Bauchtanz im Kopfstand abverlangt. Nach langem Zieren und Genieren trällerte sie zaghaft eine italienische Canzone, nur lalalalaa, denn sie hatte den Text vergessen. Aber uns anderen erging es nicht besser, der Yodka-Kelch verschonte keinen von uns. Zum Glück schmeckte der selbstgebrannte Fusel nicht übel und war nur sehr schwach alkoholisiert; wir verließen das Butter-Ger nach dem Verteilen unserer Gegengaben aufrechten Ganges und trabten dann zu Fuß über die sonnigen Weiden zurück, um uns nach der kalorienreichen Begegnung mit den hiesigen Nomaden die dringend benötigte Bewegung zu verschaffen. |
Zwischen den Holzhütten, die den Ortskern von Terelj bilden, fühlt man sich in den wilden Westen versetzt. Lehmboden und Lattenzäune, am Ende der staubigen Straßen Blick auf die freie Prärie, halboffene Türen, an denen freilich nicht "SALOON", sondern DELGUUR (Kaufladen) steht, und davor sind jede Menge Gäule, Rösser, Mähren, Rappen, Wallache, Klepper, Pferde, Stuten, Schimmel und Hengste geparkt. Von Zeit zu Zeit galoppiert ein Jüngelchen die staubige Dorfstraße rauf oder runter, wie es gleichaltrige Italiener auf der Piazza mit ihrer Vespa tun. |
Hunde haben's gut in der Mongolei. Den Nomaden sind sie unentbehrlich und werden daher hoch geschätzt und gut behandelt, vor allem diejenigen mit hellen Brauen auf dunklem Fell, denn sie gelten als besonders klug und treu. Hundeleinen sind in diesem Land unbekannt, von anderen Pet-Accessoires ganz zu schweigen. Gassigehen erübrigt sich, es gibt ohnehin keine Gassis, nicht einmal Weidezäune oder Wildgatter. Die mongolische Steppe ist voller Knochen, da frohlockt jedes Hundeherz, aber weil die ewig hungrigen Vierbeiner ab und zu auch Lust auf einen Khuushuur haben, freunden sie sich schnell mit Ka an, die vor ihren täglichen drei kalten, fettigen Hammelpasteten längst kapituliert hat. Und weil den Hunden auch das freie Herumstromern in der endlosen Wildnis längst langweilig geworden ist, folgt uns stets der eine oder andere bei unseren Expeditionen in die Wildnis um Terelj, denn in netter Gesellschaft streunt es sich kurzweiliger. |
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BLACKY MIT CLEVEREN HELLEN AUGENBRAUEN |
Das ist freilich nicht immer einfach. Wer es schafft, den River Tuul bei Terelj trockenen Fußes zu überqueren, kommt ins Guinness-Buch der Rekorde. Meint man nämlich, nach Überschreiten der für Parteibonzen errichteten stabilen Hängebrücke aus Stahlbeton schon am anderen Ufer zu sein, wird man schnell eines Besseren belehrt, denn das Inselchen, das man betreten hat, wird allseitig von flott dahinströmenden Nebenarmen umschlossen. An der schmalsten Stelle kann man auf einem umgestürzten Baumstamm den Seitenarm überqueren, um freilich sofort vor dem nächsten Gewässer zu stehen. Mal sucht man sich geeignete Felsen, die aus den Strudeln herausragen, und hopst drüber wie ein Eichhörnchen, mal testet man angeschwemmtes Treibholz, ob es dem Tritt standhält, dann wieder kämpft man sich verwegen über ein erdiges Wurzelgehölz auf einen breiten Baumstamm vor und krabbelt dann wie ein Käfer mutig über die Stromschnellen ans andere, noch längst nicht letzte Ufer, bleibt beinahe in schwammigem Morast stecken, überspringt das eine oder andere schmale Rinnsal und kommt, wenn man es geschickt anstellt, nach gut anderthalb Stunden tatsächlich heil, aber nass bis an die Knie über den letzten der mindestens 17 Flussarme hinweg. Blacky, der schwarze Mischling mit den intelligenten hellen Augenbrauen, trabte munter über jeden noch so schmalen und wackeligen Steg mit, und wo Ka nach Stellen suchte, das Gewässer zu bezwingen, ohne sich auch noch den Po zu befeuchten, sprang Blacky einfach drüber oder schwamm auch mal ein Stück, wo die Strömung nicht so schnell war, und empfing uns schwanzwedelnd, wenn wir endlich wieder einen Wasserlauf gemeistert hatten. Aber dann kam der breite Baumstamm mit dem mächtigen Wurzelteller vor dem rettenden Ufer. Hier war der Flussarm breit und die Strömung reißend; zudem lag das untere Ende des Stammes knapp unter der Wasseroberfläche. Wir zogen die Schuhe aus, balancierten drüber und zogen uns dann mit den Händen auf den erdigen Wurzelballen, von dem aus das feste Ufer in Sprungweite war. Hier war Endstation für Vierbeiner: Blacky versuchte zwar, mit einem beherzten Sprung an dem hohen Wurzelstrunk vorbei direkt ans Ufer zu gelangen, aber er sprang zu kurz, plumpste in die starke Strömung und versank vor unseren Augen im reißenden Strudel. Mir blieb fast das Herz stehen, denn mit ansehen zu müssen, wie so eine anhängliche Kreatur absäuft, hätte mir den Rest der Reise verdorben. Vom Fluss wurde Blacky zwar ein gutes Stück mitgerissen, bekam dann aber einen Ast zu fassen und rettete sich dann geschickt ans Ufer, schüttelte sich ein paarmal und wedelte munter mit dem Schwanz, als wäre er nur eben mal einer Badewanne entstiegen. Er stand freilich auf dem Ufer, von dem wir gekommen waren, und herzerweichend heulte und fiepte er uns bzw. unseren Khuushuurs nach, die sich langsam von ihm entfernten; einen zweiten Versuch, den Fluss an dieser Stelle zu überwinden, unterließ er klugerweise. |
Von einer Übernachtung im Ger-Camp in Terelj ist an Freitagabenden nur abzuraten. Neben den Zelten steht nämlich eine unscheinbare Holzhütte. BAR steht drangeschrieben, aber da ist am Wochenende Disco. Jugendliche aus der ganzen zentralen Mongolei kommen herbeigeritten oder -getöffelt, um sich ihr Gehör ruinieren zu lassen, denn da wird ein Sound aufgedreht, dass die Steppe wackelt, und wenn gegen 3 Uhr früh das letzte fetzige Techno-Riff in eine ohrenbetäubende Stille ausröchelt, geht die Fête auf der taunassen Wiese zwischen den Gers weiter bis um 8 Uhr morgens. Auch der Wodka, gut gegen die Kälte, tut seine Wirkung; es klingt wie auf dem Fußballplatz, und den wodkahaltigen Gesängen nach zu schließen, muss der FC Terelj haushoch in Führung liegen. Wir haben in unseren Gers kein Auge zubekommen und ausreichend Zeit gehabt, das Feuer im Öfchen bis zum Morgen zu hegen. Die Temperaturen müssen hier in der Nacht schon nahe am Gefrierpunkt liegen, denn als wir von der Funktionärsdusche zurückkamen und die Ger-Tür aufmachten, schoss einer der vielen Hunde blitzschnell mit hinein, verkroch sich unter Kas Bett und blieb trotz Disco-Dezibeln mucksmäuschenstill zusammengerollt dort liegen, warm und trocken bis zum andern Morgen. Wirklich clever, der Gute, obwohl er keine hellen Augenbrauen hatte. |