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Als das letzte Kühlwasser des zweiten Jeeps dampfend aus den Ritzen der Motorhaube zischte, befanden wir uns bereits am Rande der Gobi irgendwo inmitten der Steppe der Provinz Dundgov. Eintönig wellige, baumlose Weite rings umher, so weit das Auge reicht. Die Anzahl der Herden hat merklich abgenommen, ebenso der Verkehr; den ganzen Tag lang haben wir nur 15 andere Fahrzeuge zu Gesicht bekommen. Am Horizont sind zwei Gers zu sehen, und wo Nomaden wohnen, gibt's auch Wasser. Khoika fegte mit dem heilen Jeep quer durch die Prärie auf die Gers zu, um Wasser zu holen. Wir machten Pause, dehnten unsere geknitterten Knochen und trotteten durchs spärlich gewordene Kraut, das auf dem trockenen, steinigen Grund dem Wüstenwind trotzt. Hier und da liegen malerische Skelette von Herdentieren, die dem Winter, den Steppenwölfen oder einer Krankheit erlegen sind; wer fotogene Schädel oder allerlei Gehörn sammelt, sollte es in der Mongolei versuchen. |
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Nomaden haben gute Augen. Wenn sich zwei Jeeps und eine Horde picknickender Ausländer am Horizont abzeichnen, ist das ein Ereignis, von dem die Nomadenzeitung berichten würde, wenn es eine gäbe. Jedenfalls kam Bewegung in die Steppe. Noch waren wir nicht beim Dessert angelangt, da schnaubte ein Gaul samt Reiter den Hügel herauf und hatte auch noch ein Fahrrad samt Dreikäsehoch im Schlepptau. Khoika, unser Chauffeur, entstammt trotz seiner öligen Jeepfahrer-Pfoten selbst einer Nomadenfamilie, als siebtes von 11 Geschwistern, und fühlt sich beim Umgang mit Nomaden sichtlich wohler als mit unverständliches Kauderwelsch brabbelnden Touristen. Er tauschte Neuigkeiten aus mit Papa und Filius, schwang sich auf das schwitzende Pferd und ritt eine Runde durch die Botanik, während Doky, der andere Jeep-Driver, gleich mit klobigem Werkzeug den schlackernden Ständer des Steppenbikes festschraubte. Unaufgefordert anpacken, wo es was zu helfen gibt, das ist unter Nomaden selbstverständlich. |
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Das mit Isolierband abgedichtete Leck in der Kühlwasserleitung konnte das kostbare Nass je 40 km lang festhalten, bevor Nachschub nötig wurde. Trotz der zahlreichen Zwangspausen krochen wir am Abend am Ongiin Gol wie gerädert in unsere Gers. Die Flusssenke mutete nach der Fahrt durch immer unwirtlichere Wüstenlandschaft und ausgetrocknete, kiesgefüllte Flussbetten einladend an wie eine Oase. Am gegenüber liegenden Ufer erstreckte sich eine Ruinenlandschaft, Überreste eines zerstörten Klosters, und die Flussaue war betüpfelt mit schwarzweißen Ziegen und Schafen. Aber die Temperaturen waren heute bei sonnigem Wetter auf wüstenheiße Grade angestiegen und lähmten die geringen Reste von Tatendurst. Es reichte am Abend nur noch zu einem langen, mediterranen Plausch unterm Sternenhimmel vor der Ger-Tür, allerdings mit einer Bottel Wodka an Stelle des Rotweins. Doky und Khoika flickten unterdessen platte Reifen und lecke Kühlwasserschläuche. |
Allmählich gerierte sich
die Gobi wüstenhaft. Die Vegetation wurde noch karger,
der Boden noch steiniger und die Sonne noch hitziger.
Unsere Piloten legten einen ordentlichen Zahn zu und
flogen mit knapp 100 Sachen über die harte, aber ebene
Fläche; die Gobi-Gazellen hatten wirklich Mühe, den
Jeeps zu entkommen. Dass es in der Wüste nicht regnet,
ist freilich eine Legende: Mächtige Pfützen zeugen von
handfesten Niederschlägen, aber dieser Boden kann noch
so viel begossen werden, auf Sand und Kies, Schiefer und
Splitt wächst eben kein Weizen. ![]() |
"Im
Distrikt Bulgan findet ein Reiterfest statt. Liegt zwar
nicht auf unserer geplanten Route, aber man kann von da
aus am Abend ein anderes Ger-Camp erreichen. Das Fest
könnte interessanter sein als die ehemalige
Fossilien-Fundstätte, die wir heute besichtigen wollten.
Sollen wir hinfahren ?"
Aber klar doch, alle waren einverstanden. Auch die Fahrer, obwohl sie vermutlich wussten, was das für sie bedeutet. Bodenrinnen, Wasserlöcher, Sandhügel rauf, Lehmhänge runter, der Jeep ächzte und die Insassen auch. Jetzt schmerzte, nach mehrmaligem heftigem Kontakt des Kopfes mit dem Jeepdach, auch noch das Genick. Allmählich hängt mir diese Rallye zum Hals raus; das nächste Mal bewege ich mich per Helikopter in diesen Breiten! |
![]() 'Was, schon wieder ein Fahrzeug? Ein Mordsverkehr heute!', denken die Trampeltiere, falls ich ihren missmutigen Gesichtsausdruck richtig deute. |
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Da hinten scheint was los zu sein |
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Dann wurde uns doch Aufmerksamkeit zuteil. Ein alter Mongole wie aus einem Lehrbuch für Völkerkunde, mit tiefbraun zerfurchtem Ledergesicht, in traditioneller Tracht, die Brust mit Orden behängt, hielt seinen Wallach an und hob die Hand zum Gruß. Woher wir denn kämen, wollte er wissen. Er sah zwar nicht so aus, als könnte er mit den Namen unserer Herkunftsländer etwas anfangen, aber willkommen hieß er uns trotzdem. |
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VETERAN AUS DER ARMEE DES CHINGGIS KHAAN? |
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Roberto träumte, er stehe unter der Dusche. Als er die Augen aufmachte, träufelte ihm der Regen, von heftigen Winden durch das Ofenrohrloch geblasen, ins Gesicht; er rappelte sich aus dem mongolischen Wasserbett auf und stellte fest, dass die Wüste zu weiten Teilen in sintflutartigen Regengüssen zu ersaufen drohte. Die anderen Gers waren zum Glück wasserdicht, aber unsere Träume vom Reiterfest drohten in den garstigen Fluten zu versinken. Gegen 11 war der Spuk aber vorüber, und als wir an der Festwiese eintrafen, war der Boden schon wieder trocken geblasen von dem heftigen Sturm, der den Regenwolken nachfolgte. |
Alle Fahrzeuge am Festplatz waren so geparkt worden, dass sie eine weitläufige, rechteckige Arena von etwa Fußballplatzgröße bildeten, in deren Mitte eine Herde wilder Pferde von Reitern gehetzt wurde. Es galt, ein bestimmtes Pferd aus der Herde dreimal hintereinander mit dem Lasso einzufangen und sich beim dritten Mal aufzuschwingen und das sattellose Tier quer durch die Arena zu reiten, ohne abgeworfen zu werden. Es flogen die Mähnen, es wirbelte der Staub, die Tiere galoppierten, schnaubten und wieherten bei diesem mongolischen Rodeo, Reiter jagten einher oder purzelten auch mal vom Klepper, und wenn Fang und Ritt gelungen waren, applaudierte das sachkundige, vielköpfige Publikum. |
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RODEO IN MONGOLISTAN |
Die Ankunft eines Kleinbusses, dem eine Gruppe Holländer entstieg, lenkte die Aufmerksamkeit der Nomaden vorübergehend ab, denn aus der Gruppe ragte ein Hüne von mindestens 210 cm Größe hervor und wurde vom raunenden Volk bestaunt wie die jungen Kontorsionistinnen von uns. Ich hatte soeben mit einem breitschultrigen jungen Mongolen Freundschaft geschlossen, als er durch den Gucker unsrer Kamera linsen wollte, das gute Stück aber ungeschickterweise fallen ließ und mit Gesichtsausdruck, Gebärden und endlosem Händeschütteln zum Ausdruck brachte, wie leid ihm dies tat. Händeschütteln ist in der Mongolei die Geste des Bedauerns; als Begrüßung wurde es erst durch die Russen verbreitet. Nun stellte er mir seine Mutter, seine Tochter (3 Jahre) und seine Frau vor und wollte mich unbedingt in sein Ger einladen, und ich konnte ihm nicht verklaren, dass wir in Kürze weiterfahren mussten und die verantwortungsbewusste Tuvshin einen Herzanfall bekäme, wenn ich mitten in der Wüste spurlos verschollen wäre. Da kam mir der Trubel um den gigantischen Holländer höchst gelegen, und als mein neuer Freund loslief, um das Naturwunder nicht zu versäumen, eilte ich zum abfahrtbereiten Jeep, und weiter ging die Rallye. |
In ein Nomaden-Ger kam ich
trotzdem noch am gleichen Tag, zusammen mit den
Gefährten. Wir bekamen Kamel-Airag und Kamelkäse
vorgesetzt. Der schmeckt wie saurer Regen und ist dabei
mürbe wie Sandgebäck; nicht mein Geschmack. Dann ging
die Schnupftabakdose des Kamelhirten herum, der uns
bewirtete, und das Zeug muss ebenfalls nach einem
bestimmten Ritual verkostet werden.
"Ich
muss nachschauen, wo die Kamele sind",
verabschiedete sich der Mensch danach, schwang sich auf
sein Pferd und verschwand kurze Zeit später hinter den
sieben Bergen der hügeligen Einöde. Eine halbe Stunde später waren die Viecher da, fünf ausgewachsene Trampeltiere, lässig mit einer Hand festgehalten von der fünfjährigen Tochter des Kamelhirten. |
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NA, DU MAUS, WO WILLST DU DENN HIN MIT DEINEN KNUDDELTIERCHEN ? |
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