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Als das letzte Kühlwasser des zweiten Jeeps dampfend aus den Ritzen der Motorhaube zischte, befanden wir uns bereits am Rande der Gobi irgendwo inmitten der Steppe der Provinz Dundgov. Eintönig wellige, baumlose Weite rings umher, so weit das Auge reicht. Die Anzahl der Herden hat merklich abgenommen, ebenso der Verkehr; den ganzen Tag lang haben wir nur 15 andere Fahrzeuge zu Gesicht bekommen. Am Horizont sind zwei Gers zu sehen, und wo Nomaden wohnen, gibt's auch Wasser. Khoika fegte mit dem heilen Jeep quer durch die Prärie auf die Gers zu, um Wasser zu holen. Wir machten Pause, dehnten unsere geknitterten Knochen und trotteten durchs spärlich gewordene Kraut, das auf dem trockenen, steinigen Grund dem Wüstenwind trotzt. Hier und da liegen malerische Skelette von Herdentieren, die dem Winter, den Steppenwölfen oder einer Krankheit erlegen sind; wer fotogene Schädel oder allerlei Gehörn sammelt, sollte es in der Mongolei versuchen.


 
weiteNachdem der verdurstende Jeep mit brackigem Brunnenwasser zu neuem Leben erweckt worden war, rollten wir nur wenige Meilen weiter zum Mittagspicknick auf eine Anhöhe, von der aus nur noch die Erdkrümmung die Sicht begrenzt. Die perfekte Einsamkeit, das nächste Nomadenzelt ist ein weißer Punkt, kilometerweit entfernt unten in der Ebene. Absolute Stille, abgesehen von Robertos Schmatzen.

 

Nomaden haben gute Augen. Wenn sich zwei Jeeps und eine Horde picknickender Ausländer am Horizont abzeichnen, ist das ein Ereignis, von dem die Nomadenzeitung berichten würde, wenn es eine gäbe. Jedenfalls kam Bewegung in die Steppe. Noch waren wir nicht beim Dessert angelangt, da schnaubte ein Gaul samt Reiter den Hügel herauf und hatte auch noch ein Fahrrad samt Dreikäsehoch im Schlepptau. Khoika, unser Chauffeur, entstammt trotz seiner öligen Jeepfahrer-Pfoten selbst einer Nomadenfamilie, als siebtes von 11 Geschwistern, und fühlt sich beim Umgang mit Nomaden sichtlich wohler als mit unverständliches Kauderwelsch brabbelnden Touristen. Er tauschte Neuigkeiten aus mit Papa und Filius, schwang sich auf das schwitzende Pferd und ritt eine Runde durch die Botanik, während Doky, der andere Jeep-Driver, gleich mit klobigem Werkzeug den schlackernden Ständer des Steppenbikes festschraubte. Unaufgefordert anpacken, wo es was zu helfen gibt, das ist unter Nomaden selbstverständlich.

nomkidsKa wollte den Bub gleich mit den in der Sonne aufgeweichten Schokokeksen überhäufen, die anscheinend bei keiner mongolischen Mahlzeit fehlen dürfen, aber ich hielt sie davon ab; in weiter Ferne, von dem Ger unten in der Steppe her, bewegten sich zwei Punkte auf uns zu und waren inzwischen leidlich erkennbar: Ein Junge und ein Mädchen kamen da gelaufen. Zehn Minuten später waren sie da, rotwangige Nomadenkinder, Brüderlein (etwa 10) und Schwesterlein (etwa 13 Jahre), und konnten sich den Nachtisch redlich teilen. Anschließend trotteten sie unbekümmert die vier Kilometer zu ihrem Heim zurück.

 
Das mit Isolierband abgedichtete Leck in der Kühlwasserleitung konnte das kostbare Nass je 40 km lang festhalten, bevor Nachschub nötig wurde. Trotz der zahlreichen Zwangspausen krochen wir am Abend am Ongiin Gol wie gerädert in unsere Gers. Die Flusssenke mutete nach der Fahrt durch immer unwirtlichere Wüstenlandschaft und ausgetrocknete, kiesgefüllte Flussbetten einladend an wie eine Oase. Am gegenüber liegenden Ufer erstreckte sich eine Ruinenlandschaft, Überreste eines zerstörten Klosters, und die Flussaue war betüpfelt mit schwarzweißen Ziegen und Schafen. Aber die Temperaturen waren heute bei sonnigem Wetter auf wüstenheiße Grade angestiegen und lähmten die geringen Reste von Tatendurst. Es reichte am Abend nur noch zu einem langen, mediterranen Plausch unterm Sternenhimmel vor der Ger-Tür, allerdings mit einer Bottel Wodka an Stelle des Rotweins. Doky und Khoika flickten unterdessen platte Reifen und lecke Kühlwasserschläuche.

 

Allmählich gerierte sich die Gobi wüstenhaft. Die Vegetation wurde noch karger, der Boden noch steiniger und die Sonne noch hitziger. Unsere Piloten legten einen ordentlichen Zahn zu und flogen mit knapp 100 Sachen über die harte, aber ebene Fläche; die Gobi-Gazellen hatten wirklich Mühe, den Jeeps zu entkommen. Dass es in der Wüste nicht regnet, ist freilich eine Legende: Mächtige Pfützen zeugen von handfesten Niederschlägen, aber dieser Boden kann noch so viel begossen werden, auf Sand und Kies, Schiefer und Splitt wächst eben kein Weizen. tankstelleDie Gobi besteht nur zu 3 % aus Sandwüste und sieht auf weiten Strecken aus wie eine unrasierte Mondlandschaft, bis die Piste unversehens zwischen bollige Hüppel gerät, in deren Senken lehmige Schlammkuhlen lauern. Der erste Halt in der südlichsten Provinz Ömnögov galt einer Tankstelle am Rand einer ärmlichen Siedlung. Während Khoika und Doky sich abwechselnd an den Handpumpen abrackerten, hörte Tuvshin die neuesten Nachrichten, denn Tankstellen sind die Orte, an denen man in der Mongolei am zuverlässigsten erfährt, was sich so alles in der Region tut.
 

"Im Distrikt Bulgan findet ein Reiterfest statt. Liegt zwar nicht auf unserer geplanten Route, aber man kann von da aus am Abend ein anderes Ger-Camp erreichen. Das Fest könnte interessanter sein als die ehemalige Fossilien-Fundstätte, die wir heute besichtigen wollten. Sollen wir hinfahren ?"

Aber klar doch, alle waren einverstanden. Auch die Fahrer, obwohl sie vermutlich wussten, was das für sie bedeutet. Bodenrinnen, Wasserlöcher, Sandhügel rauf, Lehmhänge runter, der Jeep ächzte und die Insassen auch. Jetzt schmerzte, nach mehrmaligem heftigem Kontakt des Kopfes mit dem Jeepdach, auch noch das Genick. Allmählich hängt mir diese Rallye zum Hals raus; das nächste Mal bewege ich mich per Helikopter in diesen Breiten!


gobikameleDas erste Fahrzeug in dieser Einöde begegnete uns am heutigen Tag erst gegen 15 Uhr, ausgerechnet an einem steilen Pass zwischen felsigen Klippen, wo Gegenverkehr höchst unwillkommen ist, aber was willste machen? 200 m zurücksetzen bis in die Wasserkuhle, aus der wir zuvor die saufende Kamelherde vertrieben hatten.

'Was, schon wieder ein Fahrzeug? Ein Mordsverkehr heute!', denken die Trampeltiere, falls ich ihren missmutigen Gesichtsausdruck richtig deute.

  

omnogovDen Grund für den "Mordsverkehr heute" erblickten wir kurz darauf, als unsere Jeeps scheinbar grundlos die vorgefurchten Spurrillen verließen und quer durch die Vegetation auf eine Bergkette zurasten, die das Blickfeld im Süden begrenzte. Mit ihren Nomadenaugen hatten die Jungs im Cockpit sofort gesehen, dass weit unten auf der Wiese was los war. Im Näherkommen sahen wir's auch: Sommerschlussverkauf auf der Alm? Die Wiese war voller Volk, Pferde en masse, Reiter, Jeeps, Gers, Lastwagen, Kleinbusse, PKWs... --- der Ort des Reiterfests, das heißt, von "Ort" fehlte jede Spur: Das Fest fand auf der Wies'n statt, right in the middle of nowhere, mitten in der freien Pampa. Auf einem Lastwagen war ein großes Transparent aufgespannt, mit der mongolischen Flagge nebendran. "10. Nationaler Reiterwettbewerb" stand da in kyrillischer Schrift, "Provinz Ömnögov, Distrikt Bulgan, 12./13. August 2000". Den 12. hatten wir heute, aber es liefen nur Tausende von Leuten herum, von Fest konnte keine Rede sein. Es sah eher wie ein Markt aus. An den Gers hingen über den Eingangstüren Schilder mit den Namen diverser Provinzen; jede Delegation hatte ihr Ger und die Produkte ihrer Provinz mitgebracht, und Neugierige sowie Kauflustige drängten sich um die Auslagen. Unser Eintreffen erregte wenig Aufmerksamkeit, denn die Nomaden waren, nach langen Monaten der Einsamkeit, vollauf damit beschäftigt, Freunde und Bekannte zu treffen und Nachrichten auszutauschen. So viele Leute auf einen Schlag trifft man nicht alle Tage in der Mongolei, und mitten in der Wüste Gobi schon gar nicht. Wir schauten uns das bunte Treiben an und grinsten, wenn die Jungs, die lässig wie Halbstarke auf ihren Gäulen hingen, mit neidvollen Blicken zwei Bengeln nachschauten, die auf einem verbeulten Motorrad über den Anger ritten und bei den Mädels punkteten. Bei uns würden die Girls ihren Moped-Macker glatt stehen lassen, wenn da ein fescher Typ lässig auf einem schwarzbraunen Hengst dahergeritten käme...
nomadjug

Da hinten scheint was los zu sein

 

stepkidsHinter mir trappelten Hufe, und eh ich mich umgucken konnte, waren die Pferde schon an mir vorbeigezischt, von zwei frechen Gören im Volksschulalter geritten. Kurz darauf kamen sie zurück, im Trab diesmal, in der rechten Hand eine Schnitte Wassermelone, in der Linken locker die Zügel, und kauten und kicherten vergnügt. Bei den Mongolen lernen die Kinder vermutlich schon reiten, bevor sie gehen können.

  

Dann wurde uns doch Aufmerksamkeit zuteil. Ein alter Mongole wie aus einem Lehrbuch für Völkerkunde, mit tiefbraun zerfurchtem Ledergesicht, in traditioneller Tracht, die Brust mit Orden behängt, hielt seinen Wallach an und hob die Hand zum Gruß. Woher wir denn kämen, wollte er wissen. Er sah zwar nicht so aus, als könnte er mit den Namen unserer Herkunftsländer etwas anfangen, aber willkommen hieß er uns trotzdem.

 
 

orden

VETERAN AUS DER ARMEE DES CHINGGIS KHAAN?

missgobiAnschließend wurden wir ins Ger der gastgebenden Provinz Ömnögov gebeten und auch offiziell willkommen geheißen und bewirtet. Eine Salatschüssel voll Airag (schmeckt ein wenig säuerlich prickelnd, beinahe wie Apfelwein, behält aber einen leichten Milchgeschmack) muss jeder leeren und vom Ziegen- und Stutenmilchkäse probieren. Alle Meiereiprodukte sind schmackhaft und bekömmlich, man kann sich durchaus damit anfreunden. Draußen stand ein nabelfreies, liebliches junges Mädchen, das durchaus nicht aussah wie die wüste Goby, und verkaufte Eiscreme, die wahrscheinlich auch mit Stutenmilch produziert wird und nach Steppenkäse schmeckt. Wir erfuhren auch, dass die Equipe aus Ulaanbaatar sowie die Kampfrichter noch nicht eingetroffen seien und deshalb mit den Wettkämpfen erst morgen begonnen werde, vorausgesetzt, die Jury kommt irgendwann noch an. Telefone gibt's hier leider nicht; wenn das Team mit Achsbruch oder Kolbenfresser im Sand stecken geblieben ist, muss das Fest halt ausfallen. Immerhin wurde als Vorspiel ein Pferderennen für Kinder unter 12 Jahren ausgetragen; wir sahen nur den Start und den Zieleinlauf, denn die Knirpse mussten einen 30-km-Parcours durch die Wüste absolvieren. Sieger wurde ein etwa 10jähriger Bub, aber als 5. kam ein wohl 8jähriges Mädchen ins Ziel galoppiert. Bei den Nomaden stehen auch die Frauen wacker ihren Mann ! An 13. Stelle kam ein Pferd ohne Reiter ins Ziel; wie das gewertet wird, haben wir nicht erfahren.

Roberto träumte, er stehe unter der Dusche. Als er die Augen aufmachte, träufelte ihm der Regen, von heftigen Winden durch das Ofenrohrloch geblasen, ins Gesicht; er rappelte sich aus dem mongolischen Wasserbett auf und stellte fest, dass die Wüste zu weiten Teilen in sintflutartigen Regengüssen zu ersaufen drohte. Die anderen Gers waren zum Glück wasserdicht, aber unsere Träume vom Reiterfest drohten in den garstigen Fluten zu versinken. Gegen 11 war der Spuk aber vorüber, und als wir an der Festwiese eintrafen, war der Boden schon wieder trocken geblasen von dem heftigen Sturm, der den Regenwolken nachfolgte.
 
Alle Fahrzeuge am Festplatz waren so geparkt worden, dass sie eine weitläufige, rechteckige Arena von etwa Fußballplatzgröße bildeten, in deren Mitte eine Herde wilder Pferde von Reitern gehetzt wurde. Es galt, ein bestimmtes Pferd aus der Herde dreimal hintereinander mit dem Lasso einzufangen und sich beim dritten Mal aufzuschwingen und das sattellose Tier quer durch die Arena zu reiten, ohne abgeworfen zu werden. Es flogen die Mähnen, es wirbelte der Staub, die Tiere galoppierten, schnaubten und wieherten bei diesem mongolischen Rodeo, Reiter jagten einher oder purzelten auch mal vom Klepper, und wenn Fang und Ritt gelungen waren, applaudierte das sachkundige, vielköpfige Publikum.

 
 

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RODEO IN MONGOLISTAN

 

Die Ankunft eines Kleinbusses, dem eine Gruppe Holländer entstieg, lenkte die Aufmerksamkeit der Nomaden vorübergehend ab, denn aus der Gruppe ragte ein Hüne von mindestens 210 cm Größe hervor und wurde vom raunenden Volk bestaunt wie die jungen Kontorsionistinnen von uns. Ich hatte soeben mit einem breitschultrigen jungen Mongolen Freundschaft geschlossen, als er durch den Gucker unsrer Kamera linsen wollte, das gute Stück aber ungeschickterweise fallen ließ und mit Gesichtsausdruck, Gebärden und endlosem Händeschütteln zum Ausdruck brachte, wie leid ihm dies tat. Händeschütteln ist in der Mongolei die Geste des Bedauerns; als Begrüßung wurde es erst durch die Russen verbreitet. Nun stellte er mir seine Mutter, seine Tochter (3 Jahre) und seine Frau vor und wollte mich unbedingt in sein Ger einladen, und ich konnte ihm nicht verklaren, dass wir in Kürze weiterfahren mussten und die verantwortungsbewusste Tuvshin einen Herzanfall bekäme, wenn ich mitten in der Wüste spurlos verschollen wäre. Da kam mir der Trubel um den gigantischen Holländer höchst gelegen, und als mein neuer Freund loslief, um das Naturwunder nicht zu versäumen, eilte ich zum abfahrtbereiten Jeep, und weiter ging die Rallye.

  

In ein Nomaden-Ger kam ich trotzdem noch am gleichen Tag, zusammen mit den Gefährten. Wir bekamen Kamel-Airag und Kamelkäse vorgesetzt. Der schmeckt wie saurer Regen und ist dabei mürbe wie Sandgebäck; nicht mein Geschmack. Dann ging die Schnupftabakdose des Kamelhirten herum, der uns bewirtete, und das Zeug muss ebenfalls nach einem bestimmten Ritual verkostet werden.

"Ich muss nachschauen, wo die Kamele sind", verabschiedete sich der Mensch danach, schwang sich auf sein Pferd und verschwand kurze Zeit später hinter den sieben Bergen der hügeligen Einöde. 
"
Die laufen frei herum, und wenn jemand zum Kamelreiten kommt, muss er sein Vieh erst suchen gehen", erläuterte Tuvshin.

Eine halbe Stunde später waren die Viecher da, fünf ausgewachsene Trampeltiere, lässig mit einer Hand festgehalten von der fünfjährigen Tochter des Kamelhirten.

 

kamele
NA, DU MAUS, WO WILLST DU DENN HIN MIT DEINEN KNUDDELTIERCHEN ?

gobiWir bekamen jeder einen bunten Teppich, der leider nicht zum Fliegen taugte, sondern als Kamelsattel diente, und machten es uns zwischen den beiden praktischen Höckern bequem; Javier fiel trotzdem beinahe runter, als sich das Tier, mit dem Hinterteil zuerst, lässig aufrichtete. Dann schaukelten wir zwei Stunden lang gemütlich im Karawanentempo durch die Wüste in fotogene, felsige Klüfte und wieder zurück. Wenn die Biester nicht so wohlgenährt breite Hüften hätten, auf denen man dermaßen breitbeinig hockt, dass man einem Krampf nahekommt, wären Kamele für mein Rückgrat eine willkommene Alternative zum Jeep, auch wenn sie auf der gleichen Strecke wohl ein halbes Jahr unterwegs wären.