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Die nächtlichen
Nieselregenschauer haben sich nicht damit begnügt, am
Morgen malerische Nebelfetzen in die Bergwände zu
hängen, sondern sich auch im Zündverteiler von Khoikas
Jeep feucht niedergelassen. So
schraubt er, von den Marmeladen-Pfannkuchen des
Frühstücks gekräftigt, 40 Minuten lang unter der
Motorhaube herum; zum Glück sind russische Fabrikate
recht simpel gefertigt, für Bastelfreaks ein gefundenes
Fressen. In der Regel genügen Hammer und Sichel, um den
Schaden zu beheben.
Nachdem alle Zündkerzen frisch poliert wieder drin waren, heulte der Motor tatendurstig auf, und wir erreichten noch am Vormittag die Provinz Övörkhangai und das Kloster Erdenezuu in Kharkhorin. |
Kharkhorin ist der moderne Name für Karakorum, die alte mongolische Hauptstadt des Chinggis Khaan. Nachdem sein Enkel Kublai Khaan die Residenz nach Beijing verlegt hatte, verfiel Opas Hauptstadt. Aus den Ruinen errichteten Mönche das Kloster, von dessen einst 62 Tempeln nur 14 dem Zahn der stalinistischen Zeit widerstanden haben. Die 400 x 400 m lange, mit Stupas gespickte Mauer der Anlage steht noch, und im weiten Geviert auf der Ruinenwiese verlieren sich die Tempel im chinesischen, mongolischen und tibetischen Stil, eine weißgetünchte Stupa-Gruppe und, wie überall in der Mongolei, auch ein Ger, dessen Daseinszweck mitten im Tempelbezirk mir freilich unklar blieb. Von dem antiken Karakorum ist nur eine Stein-Schildkröte übrig geblieben, die bis heute eine der vier Ecken der längst verschwundenen alten Stadtmauer bewacht. |
HIER ROTTEN DIE ÜBERRESTE VON KARAKORUM |
Am frühen Nachmittag schon rollten unsere Jeeps im nächsten Ger-Camp vor, direkt am Orkhon Gol, dem längsten Fluss der Mongolei, gelegen, und weil das Wetter endlich auf blauen Himmel und warme Sommersonne umgeschaltet hatte, machten wir ein paar Stunden richtigen Urlaub, badeten im glasklaren, aber fröstelkalten Fluss, versuchten vergeblich, einen Fisch dazu zu bewegen, uns zum Abendessen zu begleiten, und stromerten durch die Steppe, die zu unserer Verblüffung mit Edelweiß und Enzian übersät ist. In diesem Viehzüchter-Reich gedeihen naturgemäß Schwärme von Fliegen, aber auch ulkige Heuschrecken, die sich mehrere Minuten lang in der Luft halten und dabei mit den Flügeln klackern können --- die Welt ist voller Wunder. |
Tuvshin erzählt am Abend von mongolischen Bräuchen. Wenn eine Party im Gang ist, gilt es als unhöflich, das Fest vor dem Ende zu verlassen. Wer unbedingt austreten muss, tritt zum Gastgeber und sagt: "Ich geh mal nach meinem Pferd sehen." Nach der Verrichtung des Geschäfts meldet er sich wieder zurück: "Das Pferd ist wohlauf; kann ich wieder reinkommen ?" |
Heute beginnt der Ernst des Lebens: Ende der Asphaltdecke. Was folgt, ist Rallye Paris-Dakar. Schon bei der ersten Pinkelpause bei Khujirt quietscht mein Rückgrat, als sei ich die Strecke im Galopp geritten. Aber eine Fahrt über Stock und Stein im anschnallgurtlosen Jeep, mit dem ungerührt durch die Schlaglöcher bollernden Khoika am Steuer, da wird das Frühstück im Bauch zu Butter geschlagen wie im Schleudergang einer modernen Waschmaschine. Und das war erst der Anfang, denn die Geologie auf dem Weg zum Orkhon Khürkhree, dem Wasserfall des Orkhon-Flusses, dürfte, nach internationalen Kriterien, eigentlich nur für beherzte Reiter passierbar sein. Unser Respekt für russische Technik wuchs jedenfalls gewaltig, als wir wider Erwarten abenteuerliche Steilhänge rauf, über fussballgroßes Geröll, durch Matschkuhlen, die überdimensionalen Eierkartons glichen, holperten, ohne uns dabei fünfmal zu überschlagen. Murmeltiere, Karnickel und Erdmännchen flüchteten in Panik in ihre Löcher, wenn die Staubfahne und der aufjaulende Motor unseres gequälten Vehikels nahte, und die Heuhopper, die sich ins Innere des Wagens verirrt hatten, machten so grüne Gesichter, als seien sie total seekrank. Khoika meinte nur, bei Regen sei der Ritt noch verwegener. Nun ja, das kann noch kommen, denn es bleibt keine andere Wahl: Am Nachmittag müssen wir denselben "Weg" wieder zurückschuckeln. |
MONGOLISCHES AUTOBAHNKREUZ |
Der
Wasserfall ist keineswegs gewaltig, aber in eine hübsche
Landschaft gebettet. Als wir den Jeeps entstiegen und die gemarterten Glieder dehnten, staunten wir nicht schlecht, dass der Ort -- trotz des herben Charmes der einzigen Zufahrtstraße -- offenbar ein beliebtes Ausflugsziel ist. Mehrere Familien bevölkerten die Flussidylle, eine Bande von Jungs und Mädels entstieg gerade einem jener ulkigen graubraunen russischen Kleinbusse, die wie Kellerasseln aussehen, aber stabil wie Lunomobile sein müssen, und von den Gers in der Umgebung kamen immer wieder berittene Hirten des Weges und sahen sich neugierig die Fremdlinge an. Nun ja, das Interesse beruht auf Gegenseitigkeit. |
"Das Mädel da hat eine tolle Figur und endlos lange Beine...", bemerkte Mauro mit Kennerblick, und worauf ihm Fabiana, mit Blick auf seinen gedrungenen Rumpf, spitz entgegnete: "Das kann beim Reiten vorteilhaft sein". Aber auch mir will scheinen, als hätte ich diese schlanke Mongolin schon einmal gesehen. War das nicht die hübsche Kellnerin aus dem Ger-Camp gestern Abend? Was macht die denn hier? Tuvshin verkündet, dass wir heute Barbecue bekommen zum Mittagessen. Es war also keine Täuschung! Ich bin fassungslos. Auf der mit Abstand verwegensten Piste der ganzen Mongolei ist uns das Küchenpersonal aus dem Ger-Camp über 100 km weit nachgerattert, um uns am Rand des Wasserfalls einen Ochsen zu braten! Das nenne ich einen Service...! |
Die langbeinige Schöne breitete eine blütenweiße Decke auf die Wiese und verteilte Porzellanteller und Plastikflaschen mit Trinkwasser aus Korea. Aus Thermosflaschen ergoss sich eine erstklassige Crème aux champignons in die Suppenteller, gefolgt von Gurken- und Weißkrautsalat, und dann das Barbecue, einen halben Meter lange Spieße mit kinderfaustgroßen Fleischklumpen, saftig gegrillt und peppig gewürzt -- Shorlog nennt sich dieses Highlight mongolischer Küche, das die beiden italienischen Vegetarier freiwillig versäumen; sie mampfen stattdessen altbackenes Butterbrot mit Marmelade. |
Wie immer, wenn sich Ausländer auf der Wiese die Wampe vollschlagen, füllte sich allmählich die Umgebung mit Zuschauern. Reiter, die ihre Herden im Stich gelassen haben, um uns beim Hantieren mit Plastikgabeln zuzusehen, oder Kinder, die darauf spekulieren, von den shorlogsatten Fremden die Nachtisch-Schoko-Knusperlis einheimsen zu können. |
Tuvshin stieß einen Entsetzensschrei aus, weil Ka versuchte, die Pferde der Hirten, die hinter ihr geparkt standen und gelangweilt äpfelten, mit dem restlichen Brot zu mästen. "Sei vorsichtig, geh nicht zu nah an die Pferde heran! Mongolische Pferde sind nur halbdomestiziert und können dich unvermittelt beißen oder treten!" Tuvshin kann nicht wissen, dass Ka selbst nur halb domestiziert ist und zu den seltenen Menschen zählt, denen alle Tiere treu ergeben sind, bis hin zu den Moskitos. Die Pferde ließen sich jedenfalls geduldig die Mähne kraulen und den Hals tätscheln; das harte Brot allerdings mochten sie nicht, frisches Gras ist ihnen allemal lieber. |
ICH GEH MAL NACH MEINEM PFERD SEHEN |
Die Fleischspieße, die von den vegetarischen Kostverächtern verschmäht worden waren, reichte ich den hinter mir hockenden Hirten; wie es die mongolische Etikette vorschreibt, nahmen sie je ein Fleischstückchen und gaben den Rest schweigend zurück. "Danke, aber wir sind nicht deshalb gekommen, weil wir hungrig wären", sollte das vermutlich heißen. |
Wer von der Hochebene aus wagemutig die Felswand hinunter in den Talgrund turnt, gelangt an einen klaren See am Fuß des Wasserfalls, von lichtem Wald gesäumt, und während ich mich dort der guten Luft erfreue, sagt es auf einmal hinter mir vernehmlich "platsch", da, wo Ka soeben auf einem Felsen am Seeufer gesessen hatte. Unheil witternd drehte ich mich um, aber Ka saß noch da und war trocken. Vom oberen Ende des Wasserfalls, aus gut 25 m Höhe, war ein mutiger Junge in den See gesprungen und tauchte kurze Zeit später prustend und johlend aus dem Orkhon Gol auf. |
Auch die Rückfahrt nach Khujirt haben wir überlebt; schlapp machte nur ein Pneu, aber wer mag ihm das verdenken? Das Ger-Camp ist gleich hinter einer verfallenen Fabrik am Stadtrand errichtet, nicht sonderlich romantisch, aber wir sind ja hier nicht zur Kur. Wir versuchen, uns im letzten Abendlicht eine kleine mongolische Provinzstadt anzuschauen, und wandern in die Richtung, die nach Ortsmitte aussieht. Zwei große Backsteingebäude könnten Schule oder Rathaus sein, aber was wir aus der Ferne für Wohnhäuser hielten, waren Viehställe. In einer anderen Richtung waren einige Lichter zu sehen; als wir sie erreichten, standen wir vor der Tankstelle. Hier ein Haus, da ein Ger, die verrottete Fabrik, und ansonsten nur Stallungen. Es dunkelte, ein paar Reiter trabten an uns vorbei, und an der Brücke zum Orkhon kletterten Frauen mit Eimern zum Wasserholen ans Flussufer hinab; das Städtchen aber hatte die Nacht spurlos verschluckt. |
Noch so ein Tag im Jeep, und ich bin reif für die Orthopädie. |