LAND DES LÄCHELNS

THAILAND
 1990 
Bangkok

 
Noch ein paar Tage Bangkok, zum Abgewöhnen, noch ein paar Ups und Downs. Das erste Down war die Fahrt zum Hauptpostamt. In Bangkok nützt der schönste Stadtplan nichts, denn auch die breitesten Avenuen sind oft Einbahnstraßen, ändern mittenmang die Fahrtrichtung und zwingen dich zum Abbiegen in unverhoffte Stadtteile ---- um mit dem Auto flott zum Ziel zu gelangen, sollte man vorher eine Woche lang üben. Im Postamt aber ein unverhofftes Up: Am Paketschalter nimmt dir die königliche Beamtenschaft das Zelt und anderen Reiserödel ab, formt gegen eine geringe Gebühr das Ganze zu einem ansehnlichen, fachmännisch verpackten Postpaket und spediert es ohne Spirenzchen auf dem Seeweg nach Übersee.

Das nächste Down kommt ganz bestimmt: Das Kaufhaus, in dem wir unser leicht gewordenes Gepäck aufzufüllen gedachten, hatte einen Zettel aushängen, aus dessen unleserlichem Thai-Text aber zu ahnen war, dass es bis übermorgen geschlossen sei. Doch schon naht das folgende Hoch: Als wir dem Autoverleih das geschundene Vehikel zurückbrachten, sagte die grell geschminkte Lady nur "thank you, bye-bye". Ohne zu feilschen, zu rechnen, und dann nachzuzahlen wie sonst in aller Welt.

"10 000 Baht waren doch ausgemacht und vorausbezahlt, oder?"

sagte sie mir in das fassungslos staunende Gesicht. Sankt Bürokratius hat in Bangkok augenscheinlich noch keinen Tempel.

Das hierauf folgende Tief war das vom Guidebook hochgepriesene Restaurant Lemon Grass, "exquisit-exotische Thai-Cuisine". Exquisit-exotisch war nur der Preis, das Lokal war voller japanischer Touristen. Jede Landstraßen-Spelunke in der Provinz tischt dir üppige Leckereien auf, und hier guckste belämmert auf winzige, als "very spicy" betitelte, aber nur fad gewürzte Bröckli, die keines Ausländers Zunge beleidigen mögen, nippst vergackeiert an dem Tröpfli Getränk, das sich in dem bis zum Rand mit Eis gefüllten Glas verliert, und sehnst dich angesichts der betressten, marmowataber tranigen Kellnerschaft nach den flinken Bürschlein, lieblich händchenfaltenden Feen oder meinetwegen auch nach den siamkatzigen Imeldas vom Lande, die allesamt im kleinen Finger mehr Sinn für das Verwöhnen von Gästen haben als diese rotzigen Pinguine am ganzen Leib, die sich erfrechen, uns halbe Portionen zum doppelten Preis vorzusetzen.

Man darf sich einfach nicht von Bangkok ins Bockshorn jagen lassen, sondern muss selbst aktiv werden, dann gibt's nur noch Hochs. Und die fangen fast alle mit "Wat" an. Zum Beispiel Wat Benjamabophit, der berühmte Marmortempel, wat ein Juwel! Unten graumelierter Marmor, oben siamesischer Goldglitter. Todschick !

Oder Wat Traimit, dessen Inhalt ganze Busladungen von Amerikanern mit gierigen Dagobert-Duck-Augen verschlingen, denn da gleißt ein riesiges Nugget in Buddhaform, 5 Tonnen schwer und 3 Meter hoch. Dieser Genosse aus massivem Gold (zwischen wtrimit40 und 99% je nach Teil der Figur) wohnte früher in Ayutthaya, aber als die wilden Birmaner auf Souvenirjagd kamen und Thailands Tempel zu Steinbrüchen zerdroschen, verkleideten clevere Bonzen ihren goldigen Götzen als Gipsfigur. Als die neue Hauptstadt Bangkok erichtet wurde, transferierte man alle halbwegs erhaltenen Buddhafiguren von Ayutthaya nach Bangkok, wo der vermeintliche Gipsbuddha in dem unbedeutenden Tempelchen Wat Traimit in Bangkoks Chinatown unterkam. Erst als der Tempel renoviert und die Figur auf ein neues Podest gehievt werden sollte, rissen die Seile am Kran, denn für ein Gipsfigürchen war das Ding deutlich zu schwer, weshalb seine Heiligkeit auf das Pflaster krachte, woraufhin der ganze Gips-Schwindel abplatzte wie eine Eierschale. Die birmanischen Plünderer müssen aber irgendwas geahnt haben; anders ist es schwer zu erklären, warum alle alten Buddhafiguren in den Ruinen von Ayutthaya geköpft worden sind. Gesucht wurde vermutlich der Kollege aus Gold.

Weißer Mann steht gierig davor und blitzt Filme voll, weil er den Goldfinger anders nicht mitnehmen kann. Wir trotten derweil schon zum Wat Lakmuang, noch so ein Glitzerfunkel-, Blüten- und Blattgold-Wunderwerk, vor dem wieder eine einheimische Band schrummt und Thai-Tänzerinnen ihre goldgekrönten Häupter neigen und Fingerspitzen biegen, aber hier schwingen keine gestandenen Mütter, sondern junge Mädels das Tanzbein.

lakmugrazie


Kein Wunder: Dieser angebliche Nabel von Bangkok ist ein kaum verbrämter, güldener Phallus, mit Blumen überhäuft, von errötenden Jungfräuleins angebetet und von kinderlosen Ehepaaren beweihräuchert. Ob es was nutzt, ist nicht überliefert.

Von Phall zu Fall sollte man auch was anderes tun als Watte zu bestaunen. Noch immer sind wir nicht den Chao Phraya runtergetuckert. Die Nachmittagshitze ist dafür die richtige Stunde. Läppische 5 Baht, und schon spritzt die braune Flut, die für Touristen einfacher "Menam River" genannt wird, nach dem Stadtteil am Flussufer, und der Riverbus schaukelt am gesamten Panorama von Bangkok entlang. "Bangkok" ist auch so ein Trug, die Stadt heißt in Wirklichkeit "Krung Thep", aber dieses Geheimnis darf man Ausländern eigentlich nicht verraten.sampan

Wohnboote, Sampans, das Hilton Hotel mit seinen Flussterrassen, Bruchbuden, deren Bewohner den Fluss als wahre Lebensader, zum Waschen, Trinken und Pinkeln benutzen, der Katzen- und Scherben-Tempel der Abenddämmerung, Paläste, Klongs und Kloaken.... Und weil's so schön war und wir wieder zurück müssen, investieren wir nochmal 5 Baht und duschen uns in der nunmehr flussaufwärts spritzenden Gischt, um im klimatisierten Nationalmuseum, bis es um 16 Uhr zumacht, vor dem Fummel von Bhumipols Vorfahren, vor Schätzen in Holz und Elfenbein, buddhistisch und weltlich, die Klamotten zu trocknen. Am Abend stehen wir blinzelnd wieder auf der weiten Wiese am Wat Phra Keo, und die ist jetzt bevölkert von Mamipapis und Enkelkindern, Fußballkids und Liebespärchen, Picknick-Leuten und Faulenzern, Hippies papdrachund Knipsies. An allen Ecken und Ständen sind farbenprächtige Papierdrachen feil, und der Himmel über dem Stadtzentrum ist Schauplatz erbitterter Gefechte papierener Ungeheuer. Ein bisschen von dieser Art Krieg möchte man liebend gern nach Palästina oder Nordirland exportieren; wenn dort die Leute einmal keine wilderen Fights mehr vollführen als mit Drachenkordelkuddelmuddel wie in Thailand, fahren wir gerne auch da mal hin.

Nach einem ungenierten Konsumententag - die letzten Baht müssen ja sinnvoll investiert werden --- verabschieden wir uns von den Tieren, die Bangkoks Smog mühsam überleben. Der Zoo ist ein Witz, denn Affen und Elefanten gibt's im Siamreich überall auf freier Wildbahn, da braucht man eigentlich keine hier anzuketten. Der Zoo ist freilich kein normaler Zoo, sondern Verwahrungsort der königlichen Menagerie. Traditionell gehören in Asien alle weißen Tiere dem Herrscher, aber weil Herr Bhumipol in seiner Garage offenbar nicht genügend Platz für seine elefantösen Albinos hat, parken sie im "Zoo". Seinen Hauptzweck, so gewahren wir beim schlappen Einhertrotten zwischen Rhinozeros und Hippopotamus, erfüllt der Zoo mit seinen schattigen Winkeln und einladenden Bänken, mit stillen Ententeichen und hochwipfeligen Bäumen, als Refugium für Studenten, die an ihrer Examensarbeit tüfteln, und für junge Pärchen, die sich ein paar Stunden lang in einer friedlichen Oase miteinander befassen möchten, ohne von Bekannten und Verwandten gesehen zu werden. Und für Volksschulklassen vom Lande, die, wie könnte es auch anders sein, mehr Interesse für blondschopfige Wildwest-Menschen zeigen als für langhalsige Giraffen, rotärschige Paviane oder karierte Zebras. Ich mache mich davon, bevor ich ein eigenes Gehege zugewiesen bekomme.

Mit unguten Gefühlen folgt mir Ka ins Pasteur-Institut, wo eine Schlangenfarm Kobras, Vipern und Kraits melkt, um aus deren Giftzähnen Serum zu gewinnen, und wo sich "mutige" Besucher, die Tiere als Spielzeug missverstehen, eine satte, schwere Python als Halsband umlegen können.kannon Wir hätten eher kommen sollen, denn hier bekommt man gezeigt, wie man mit Giftschlangen umgeht und was zu tun ist, wenn man gebissen oder gefressen worden ist.

Die elendesten Viecher treffen wir im Wat Bovornivet, ein für thailändische Verhältnisse schlichter Tempel, der offensichtlich als Asyl für die lädierte, geschundene Kreatur dient. Den Buddhisten gelten alle Lebewesen gleich, denn auch Menschen können, wenn sie es zu toll treiben, als Blattlaus wiedergeboren werden, aber auch jedes Stinktier kann, beispielsweise als Diktator in Südamerika oder Nordkorea, die Welt in menschlicher Gestalt erneut bestänkern. Strenge Buddhisten essen daher vegetarisch, und manche treiben es so weit, dass sie beim Gehen stets mit einem Besen vor sich herfegen, um nur nicht versehentlich eine Ameise zu zertreten, es könnte ja die verstorbene Großmama sein. Wat Bovornivet ist jedenfalls das Heim für räudige Köter, zu Krüppel gefahrene Katzen und sonstige Missgeburten aus dem Tierreich. Auch für Menschen soll es so einen Tempel geben, denn Bangkok, wenngleich ohne Stadtstreicher, wimmelt doch von abenteuerlichen Gestalten und menschlichen Wracks, die immerhin nicht vertrieben oder schamhaft vor den flanierenden Damen auf dem Schickimicki-Strich mit seinem Butiken-Tand versteckt werden wie anderswo in der Konsumwelt.

An der Wäscheleine im Wat Bovornivet flattern 14 Mönche im Abendwind, oder vielmehr ihre lavamatKutten, die Frater Lavamat frisch gewaschen hat. Ein junger Orangekittel schlendert auf uns zu und erfährt, da er gut Englisch kann, dass wir aus Japan gekommen sind.

"Das ist ein schönes, buddhistisches Land, da würde ich gern eine Weile leben!", sagt er in seiner Einfalt.

Mann, hast du eine Ahnung! Da ist Februarfrost jetzt, und wenn du durch die Lande pilgerst und keine Kreditkarte parat hast, kannst du da glatt verhungern, Bonze hin und Buddhismus her, da ist heute nix mehr ZEN, nur noch YEN!

Ja, und dahin müssen wir noch heute Abend zurück, schade. Längst haben wir nicht alles gesehn, weder von Bangkok noch auf dem Lande. Thailand-Kenner unter den geschätzten Lesern werden sich ohnedies verwundert fragen:

"Und Pattaya-Beach? Und Neckermann-Phuket? Und Silom Road und Khaosan Street? Nicht mal die Brücke am Kwai gesehen?"

Nein, und der Grund ist nahe liegend: Wir haben uns einfach all das und noch viel mehr aufgehoben, um bald wieder herkommen zu können. Und schließlich sind wir immerhin den munteren Makaken von Lop Buri begegnet, den grimmigen Wachtmeistern von Udon Thani, der geringelten Krait überm Zeltdach, dem braven Schulmädchen im Gewitterregen, der koketten Imelda im nächtlichen Gartenlokal und zahllosen Himmelsfeen, Klosterfrauen und Mitmönchen, helfenden Bus-, Post- und anderen Beamten, die unsere Reise, auch ohne Pattaya und River Kwai, zu einer fast ununterbrochenen Abfolge trefflicher Vergnügen gestaltet haben, was bei einer Fahrt auf eigene Faust, ohne blassen Schimmer von Sprache und Schrift, alles andere als selbstverständlich ist.

 

Also danke, und bis bald, bis zum nächsten Besuch in  THAILAND! 

*

Zeitmaschine!!!
11 Jahre später . . . . . .

*

....... Zu Hause noch immer nichts zu lachen, am Arbeitsplatz weiterhin nur das gefrorene Berufslächeln der ungenießbar zähen Sekretärin, Rezession, Fundamentalisten, Terror, Krieg und Aktiencrash, das neue Jahrtausend ist, man ahnte es schon, noch scheußlicher als das alte. Elf Jahre sind vergangen, aber wir haben nicht vergessen, dass es eine Gegend gibt, in der Bedürftige und Gestresste ihren leeren Emotionsbeutel volltanken können mit Gelassenheit, Wundern und Lächeln, das man, in diesen Zeiten kaum glaublich, dort überall kostenlos geboten bekommt, man braucht es nur aufzuheben und mitzunehmen.....

frangipink


Das erste, leider etwas schwache
Lächeln erhielt ich nicht ganz gratis, aber immerhin zum Sonderpreis von nur 20 Baht am Airport von Bangkok, als ich der Thai-Schönen am Info-Stand mit Charme einen aktuellen Stadtplan abluchsen wollte. Die Dame war willig, rückte das Heftchen auch kostenlos heraus, klagte jedoch über Hitze und Durst, was ich richtig als Wink auf ein Trinkgeld interpretierte. Ach, mein Charme allein genügte ihr anscheinend nicht.... Da fanden sich in meiner Hosentasche auch zwei Münzen zu 10 Baht, die ich ihr verehrte. Als ich zuletzt in Thailand war, konnte man sich für 20 B noch beinahe neu einkleiden oder einen Mietwagen volltanken, aber heute, eine Währungsspekulationswirtschaftskrise später, kriegt man dafür offenbar nicht mal ein piefiges Eis am Stiel, nur ein motzig-schiefes Lächeln
. Sorry, ich bin leider noch ein wenig eingewöhnungsbedürftig.

In Bangkok hat sich vieles verändert. Über die bröselgrauen Dächer, über Staus und Hinterhöfe bollert jetzt ein hypermoderner,spakkad klimatisierter, siemensgetriebener "Skytrain" auf Stelzen, eine hochwillkommene Alternative zu dem Auspuffmulk, der nach wie vor über den hauptstädtischen Antennen wabert, gewiss nicht ganz billig, aber dennoch vollgestopft mit Yuppies und Office Ladies, Handy am Ohr, Gucci-Tasche über die Schulter gehängt. Die Hochbahn verkehrt genau zwischen dem Lustpark Suan Pakkad, Sommerresidenz einer mineraliensammelnden, inzwischen jedoch verblichenen Thai-Prinzessin, und dem Haus des Amerikaners Jim Thompson, der 1967 in Malaysias Dschungel verschollen ist, weshalb sein Haus, gebaut im Original-Thai-Stil und vollgestopft mit Chinoiserien, nun von Eintritt zahlenden Touristen gesponsert werden muss.

Auch die Neonschrift des THAI-Hotels ist wieder komplett, das früher fehlende T leuchtet wieder, aber das Haus sieht trotzdem ein bisschen vergammelter aus als beim letzten Besuch; vielleicht liegt es ja heute am bewölkten Himmel, denn der August ist in dieser Region die Regenzeit.

Die Botschaft von Laos liegt ziemlich busweit außerhalb, in Ramkhamhaeng, eine gute Stunde per Bus zu fahren, und dann schlängeln wir uns durch Scharen von Studentinnen des nahen Frauen-Colleges; haben die Mädels keine Ferien?

Nur ---- keine Laos-Botschaft weit und breit an der angegebenen Adresse. Wir fragen den Lehrer, der am Eingang einer Grundschule stand; leider war's nicht der Englisch-Lehrer, aber ich glaubte zu verstehen, dass die Anschrift ein ganzes Stadtviertel bezeichne... Den Rest fuhren wir per Taxi und hatten anderthalb Stunden später unsere Visa.

An der belebten Phloenchit-Kreuzung stehen, eingedieselt von Bussen und Mofas, Tische und Stühle auf dem Gehsteig, als sei es der Strand von Capri, und flinke Kellner füttern die Studenten, Geschäftsleute und uns mit fix herbeigezauberter Nudelsuppe und Chicken-Curry ab, aaah, der lang entbehrte Original-Thai-Würzmix kriecht uns durch den Schlund, wohlig prickelnd und peppig bitzelnd. Anschließend streunen wir auf der Suche nach Atemluft durch den Lumpini-Park und geraten von da aus direkt auf die Seidenstraße. Der verehrte Leser wähnt selbige vermutlich in der Wüste Gobi oder am Hindukusch, aber weit gefehlt, sie liegt mitten in Bangkok und heißt Silom Road.

Vorher waren wir in Bangkok, mit dem Reiseführer in der Hand, von Wat zu Wat getigert und hatten uns mit Sehenswürdigkeiten vollgestopft; inzwischen stromern wir leichten Sinns über die verkehrsdröhnenden Stauschluchten und nehmen in Kauf, dass wir dabei auch in Gegenden geraten, die man lieber meiden möchte. Eine davon ist die Silom Road, der man als Farang eigentlich nur mit heftiger Gegenwehr entkommt, ohne voll mit Kitsch beladen zu enden. Es reiht sich eine Boutique an die andere, seideAnzugsmaßschneidereien, Goldschmuckjuwelenbijouterien und mindestens 68 Thai-Seiden-Shoppes, und jeder rühmt sich, der billigste, authentischste, vertrauenswürdigste Laden von ganz Asien zu sein.

"Drei maßgeschneiderte Herrenanzüge, in 8 Stunden fertig, nur 290 $!", lockt eine Lächel-Sirene aus dem klimatisierten Innern durch die halbgeöffnete Glastür, wird aber übertönt durch die aus der Nachbartür hervorsprintende Dame in Thai-Tracht, welche Ka mit sanfter Gewalt am Arm fasst und sie geradewegs direkt zu ihren Smaragdrubinendiamanten-Vitrinen zu bugsieren sucht, nicht ahnend, dass Ka nicht mal einen Lippenstift, geschweige denn ein Abendkleid besitzt und sich für Juwelen kaum mehr interessiert als beispielsweise für Wellblechdächer oder Badezimmerkacheln. Nun ja, woher sollen die Ladies auch wissen, dass wir auf dem Weg zum Hochiminh-Pfad sind, zu dem man vermutlich auch ohne maßgeschneiderte Herrenanzüge und Smaragdbroschen Einlass erhält. Das Abwimmeln der Seiden- und Porzellan-Tanten ist freilich eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem Spießrutenlauf durch die T-Shirt-Buden, die mit Tand und Talmi den Gehsteig säumen und den arglos entlang wandernden Touristen kaum eine Chance zur Verteidigung ihrer Barschaft lassen. Wie eine fleischfressende Pflanze die eingedrungene Fliege um- und dann verschlingt, schnüren sie die Gasse durch die Kitschberge immer enger um die ausländischen Devisenträger zusammen; nur ein lebensgefährlicher, aber erfolgreicher Ausbruchsversuch auf die belebte Fahrbahn bringt Rettung. Wir können doch nicht schon an den ersten Tagen unser Gepäck mit ausgestopften Teakholz-Elefanten, maßimitierten Glasjuwelen und glitzernd-plüschigen Faschingskimonos vollstopfen, die unwissenden Ausländern frech als "Thai-Seide" angedreht werden!

"Seien Sie vorsichtig beim Einkaufen. Hier ist alles überteuert und von billigster Qualität", sagte eine in der gleichen Richtung einherstöckelnde schnieke Geschäftsfrau in dunkelblauem Kostüm in ordentlichem Englisch. Sie stellte sich als Empfangschefin eines der nahen Hotels vor.

"Wenn Sie es wünschen, kann ich Ihnen wirklich gute und preisgünstige Fachgeschäfte in anderen Stadtteilen empfehlen."

Diesmal setze ich ein freundliches Lächeln auf und bedanke mich für den guten Rat, obwohl es schwerlich zu übersehen ist, dass der Ramsch hier nicht viel taugt. Wir sind zwar nicht wie manche anderen Touristen zum "Shoppen und Ficken" (Titel eines bekannten Theaterstücks) nach Bangkok gekommen, aber diesen unaufgeforderten Tipp fand ich wirklich nett. Mich befremdete freilich, dass uns die Dame offenbar als Fachgeschäft-tauglich taxierte. Wir müssen also noch an unserem Image arbeiten. Die Altkleidersammlung, die wir auf Reisen üblicherweise spazieren tragen, soll nämlich nicht nur Taschendiebe und Juwelenräuber, sondern auch die Häscher der Armani-Läden und die Greifer der Gucci-Klitschen rasch resignieren lassen, denn bei Leuten, wie wir sie darzustellen versuchen, ist üblicherweise alle Mühe vergebens.

riverUnser Ausrutscher in die Klunker-und Flunker-Meile Silom Road war denn auch keinem plötzlichen Anfall von Shopping-Fieber geschuldet, sondern es war der kürzeste Weg zur Anlegestelle des Flussbootes, mit dem wir bald darauf, luftig, fast smogfrei, billig, still und schnell über die braunen Wellen des Chao Phraya gleiten, vorbei an den erinnerungsträchtigen Stätten früherer Besuche, von Wat Arun bis Wat Phra Keo, bis nach Banglamphun, wo wir ein wunderschönes, im Fluss dümpelndes Restaurant kennen, mit kühler Brise zu heißem Thai-Chili. Als wir jedoch die Stelle erreichten, an der wir vor elf Jahren eine unvergessliche Schlemmerei genossen hatten, standen wir vor einer gewaltigen Baugrube, aus der Brückenpfeiler aus Beton in den Nachthimmel ragten und wo noch abends um 8 Uhr gehämmert, genietet und geschweißt wurde.

"Hier entsteht das neue Bangkok...."

Die jähe Flucht führte uns in einen weiteren Abgrund, von dessen Existenz wir bislang nur munkeln gehört hatten: Die Khaosan Road. Alle Reiseführer nennen das Viertel an prominenter Stelle; hier ist was los, hier pulsiert das Herz von Bangkok....

Ansehen kann man sich die Chose durchaus einmal, denn die Straße ist abends für den PKW-Verkehr gesperrt und sieht auf den ersten Blick wie eine gemütliche Flaniermeile voller netter Restaurants und Cafés aus. Ist ja doll, der Pot pourri aus Dinos Pizzeria, Irish Pub, Ronnie's Guesthouse, Taverna di Roma, Schwarzwaldstüberl, Trattoria da Luigi, Le Couscous und wie sie alle heißen, und alle Buden sind gerammelt voll mit Rucksackvolk, Backpackern, Globetrottern, Aussteigern und bärtigen Yoga-Yoghurt-Yogis; die wenigen Thai-Gesichter gehören den Kellnern, fliegenden Geldwechslern oder Moped-Vermietern, die von der Invasion junger Wohlstands-Aussteiger zu profitieren gedenken. Hier kann man seinen Thai-Curry getrost löffeln, er ist auf kalifornischen Ketchup-Geschmack getrimmt, während die Pizza, mit Mayonnaise drauf anstatt Mozzarella, so mürbe und fad aussieht, als wäre sie in der Fabrik von Pizza Hut gezimmert worden. Hier sind alle Ausländer, die mit Thai-Cuisine, -Sprache und -Schrift nicht klarkommen, unter sich, hier kann man vor Gleichgesinnten von den bestandenen Abenteuern in Timbuktu und Marrakesch prahlen und andeuten, dass man übermorgen nach Tibet und Zimbabwe weiterreisen müsse. Hier ist Englisch die Amtssprache, und für die überhöhten Ausländerpreise kriegt man wenigstens eine lesbare Speisekarte, Heineken-Bier und garantiert entschärftes White-man-food, das ist die wahre Attraktion von Khaosan, einer Art Mallorca der Punkies und Junkies.

"Hier sind wir ja wohl fehl am Platz", murmelt Ka, und da ich Hunger habe, drehen wir dem Zirkus den Rücken und landen am Monument der Demokratie, dessen Rondell von beliebten Restaurants gesäumt wird. Da können die Kellnerinnen zwar kein Englisch, aber die Leckereien, die sie auftischen, sind so peppig-scharf wie der Minirock der langbeinigen Diseuse, die, von zwei Gitarristen und einem Harmonium-Virtuosen begleitet, Thai-Chansons ins Mikrofon haucht, ohne Aufpreis.

Thailand hat manches gemeinsam mit einem Mandelbaum. Betörend schöne und duftende Blüten, aber hart gepanzerte, ungenießbar anmutende Früchte. Erst wenn man weiß, wie die Schale zu knacken ist, kann man ihre delikate Süße auskosten. Ich kenne niemanden, der nicht nach kurzer Zeit von Thailand bezaubert worden wäre. Die herrlichen Strände, die gleißenden Tempel, die unbändige Blumenfülle, das unerschöpfliche charmante Lächeln, das ist die "Mandelblüte". Aber ich weiß noch ein Beispiel, das nur für Thailand gilt.

Wonach riecht es in deinem Land im Pissoir der Herrentoilette?

- - - - - - -

Genau.

Aber nicht in Thailand.

Ob im Kaufhaus, am Flugplatz oder Bahnhof, genannte Örtlichkeit ist stets erfüllt von

 Orchideenduft 

---- ungelogen! Neben dem Waschbecken steht mitunter ein silbernes Tablett, mit frischen Blumen garniert, auf dem der Gast blütenweiße Handtücher vorfindet.

orchideAber dann kommt die harte Nuss. Auch dafür soll ein Exempel geliefert werden. Wenn der nächste Flug um 8 Uhr früh startet, muss man sich zwischen 5 und 6 Uhr auf den Weg zum Airport machen, um pünktlich zum Einchecken da zu sein. Der Taxifahrer setzt sein liebenswürdigstes Thai-Lächeln auf und sagt: "Sonderpreis, ich fahre Sie für nur 300 Baht hin!"

Wer sich davon einwickeln lässt, knackt das Nüsslein nie.

"Mach das Taxameter an, Mann!", grunzt Ka, obwohl sie noch nicht richtig wach ist, und siehe da, am Abflug-Terminal zeigt das Ding nicht mehr als 141 Baht an. Gut, ich bin weder nachtragend noch ein schottischer Schwabe, aber trotz des großzügigen Trinkgelds für den Schluri haben wir noch 100 B gespart, da kriegen wir Frühaufsteher beinahe ein Frühstück dafür.

Wer diese Mandelschalen geschickt zu knacken weiß, dem öffnet sich in Thailand eine Art Paradies, das sich aus Sawasdee, mai pen rai und einer Menge Lächeln zusammensetzt. Sawasdee (sprich: Sawaddi) bedeutet zwar nur "hallo", enthält jedoch immer auch jenes "Willkommen", zu dem man beide Hände vor der Brust zusammenlegt und eine anmutige Verneigung vollführt. Mai pen rai ist der buddhistische Gleichmut, mit dem man Widrigkeiten gelassen wegsteckt. Wenn ein Fremder sich zornig erregt, mit der Faust auf den Tisch bollert oder entnervt aus der Haut fährt, bewirkt er in Thailand nichts, außer dass er neugierig angestarrt wird:

"Was macht er als nächstes? Spuckt er Feuer? Begeht er Harakiri?", scheinen die Mienen der Thais zu sagen, die mit Spannung die Fortsetzung der Vorstellung erwarten. Wer jedoch Thailand willig annimmt, bekommt von allem das Beste....

.....und doch sitzen wir nach nur drei Tagen in einer Propellermaschine der Bangkok Airways und quirlen uns durch Smog und Wolkendecke von Thailand weg, das nächste Ziel mit äußerst gemischten Gefühlen avisierend.

 

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