LAND DES LÄCHELNS

THAILAND
 1990 
Chiangmai und Phimai

 

Wer nach mehreren Wochen in Thailand, ohne Bildzeitung und Weißwurst, unter den ersten Entzugserscheinungen zu leiden beginnt, der kann sich in der Kapitale Nordthailands, in Chiangmai, erholen. Die Hälfte, mindestens, der Einwohner dieser schönen alten Tempelstadt sind Ausländer, und von denen scheint die überwiegende Zahl auf Dauer hier zu wohnen. Hängengebliebene Weltenbummler, der Nähe zum "Goldenen Dreieck" zuliebe hier gestrandete Junkies, bangkokmüde chiangmSüdostasien-Fans, alle wimmeln durch die Gassen und bevölkern die zahllosen, billigen Absteigen. Das gibt der Stadt eine eigentümliche Note: Neben dem Hindu-Schrein eine Pizzeria, neben der Schule ein Jazz-Café, neben dem Tempelgold ein Trekking Shoppe, aber in der toleranten Gesellschaft Thailands scheint sich all das mühelos miteinander zu vertragen. Wenn da auf einer Restauranttür mit weißer Tünche orthographisch korrekt "Rindsrouladen" und "Jägerschnitzel" angedroht werden, wundert man sich schon gar nicht mehr. Wir suchen uns ein einladendes Häuschen im Grünen, mit Parkplatz und Swimmingpool, und finden im Souvenirladen des Hotels auch ein Büchlein, "Sprachführer Thai" betitelt, von einem einheimischen Deutsch-Professor verfasst, in dessen Kapitel über Sitten und Gebräuche es in reizendem Deutsch heißt:

Wenn man sich nicht vorsieht, kann man in Hotelzimmern auch Wanzen und Flöhe finden, und weil sie (die Wanzen? die Flöhe?) oft auch die Laken nicht wechseln, kann es vorkommen, dass man in einem Bett liegt, auf dem zuvor die Huren tätig waren, denn Männer nehmen diese Huren oft in solche billigen Herbergen.

Auf Wanzen und Flöhe sind wir zum Glück nicht gestoßen, und das höchstens 19jährige Hürli, das mich auf dem Abendspaziergang, die seit Bangkok stets zwei Schritte hinter mir herlaufende Ka ignorierend, zum Aids-Tanz aufforderte, musste sich einen anderen Hürli-Mann suchen, um in einer billigen Herberge "tätig" zu werden.

An schummrigen Bars vorbei gelangt man im Abenddunkel von Chiangmai in ein sehr lebhaftes Zentrum. Auf der verkehrsfreien Piazza vor dem Novotel ist eine erleuchtete Bühne errichtet, auf der vor Bergdorf-Pappkulissen Thai-Musik und Tänze kostenlos dargeboten werden, und das internationale Publikum hockt vielköpfig davor und klatscht eifrig Beifall. Auch die "Night Bazar"-Zeile macht die Nacht neonhell zum Tage. Ein Paradies für Touristen und Taschendiebe, hier schiebt sich ein Gedrängel meist blondkopfiger, leicht bekleideter Kundschaft an Thai-Seide, Silberschmuck und ausgestopften Schmetterlingen entlang. Dann kommt der Vivaldi-Markt, weil hier Obst aus allen vier Jahreszeiten feil ist, Erdbeeren, Wassermelonen, Äpfel und Mandarinen, in Chiangmai passt einfach alles zusammen. Bei den Holzschnitzern kann man knapp lebendgroße Elefanten aus Teakholz erstehen, falls man mit einem Lastwagen unterwegs ist, und wenn nicht, kann man in einer schnieken Boutique Benetton-Kittel für die modebewussten Bambini - Enfants - Children - Kinder - Niños, fünfsprachig angeschrieben, in den Rucksack reinnudeln. Hier zetert eine Thai-Verkäuferin in makellosem Spanisch mit einer Touristin um einen Elfenbein-Tand, dort röhrt ein junger Siamese auf amerikanisch und will Kunden dazu bewegen, einen Elefantenritt zu buchen oder Meo-Bergdörfer heimzusuchen, und die Wechselschalter der Banken, an der Straßenseite in eigenen Kajüten untergebracht, sorgen noch lange nach Geschäftsschluss, sogar am Sonntag, bis 22 Uhr dafür, dass die Besucher ihre überschüssigen Gelder, in Baht umgerubelt, in den Aufschwung der Wirtschaft kitzldraNordthailands investieren. Kurzum, eine anheimelnde Stadt, dieses Chiangmai, und ohne den Alptraum von Verkehr, der uns Bangkok verleidet hat.

Für Trips in die Berge ist Chiangmai das ideale Basislager. Nicht, dass man sich hier alpine Meriten erwerben könnte, aber nach all dem platten Land wirken die dschungelbegrünten Hügel ringsum geradezu gebirgig. Die Wegstrecke zu den Buddha-Höhlen von Chiang Dao hat nicht nur malerische Szenerie, sondern auch einen wohltuenden Gewitterschauer im Repertoire, die erste kühlende Himmelsdusche, seit wir in Thailand sind. Ein Stück weiter gelangt man zur Elefantenschule, wo die Rüsseltiere aufs Teakholzschleppen gedrillt werden wie die japanischen Businessmen aufs Überstundenmachen, aber weil die Biester deutlich cleverer sind als die japanischen Workaholics, lassen sie um Punkt 12 Uhr den Holzstoß fallen und trampeln so lange mit ihren Plattfüßen, bis die Mahlzeit serviert wird.

Wir gerieten, auch ohne Plattfußstampfen, in eine exquisite Kantine, weil wir uns auf der Suche nach dem Bergtempel Doi Suthep im Thai-Hieroglyphen-Schilderdschungel verfranzt hatten. Die schmale Straße endete, just zur Kohldampfzeit, an einem stillen Bergsee, an dessen Ufer sich die Verwaltungsgebäude des Provinzgouvernements verteilten, und da sich die Staatsdienerschaft in aller Welt bei Laune zu halten weiß, war das Bergseegarten-Seerosen-Pavillon-Park-Restaurant schon wieder einmal ein satter Volltreffer. Solch exquisite Cuisine findet man in ganz Chiangmai nicht, zu so zivilen Preisen wie hier, im Waldesgrün versteckt. Schade, dass wir den Ort wohl kein zweites Mal wiederfinden werden.

Doi Suthep ist, mehr seiner Lage wegen, atemberaubend, denn die über 200 Stufen rufen, auch im Wald, die thailändische Februarhitze schnell wieder in Erinnerung. Der Gag des Heiligtums ist das Treppengeländer, das sich als feister siamesischer Zwillingslindwurm von oben nach unten herabringelt und den Besucher mit aufgerissenem Maul, triefigen Lefzen, spitzigen Reißzähnen und goldglänzenden Schuppen fotogen willkommen heißt. Oben angekommen, toben einige Mönchlein in Orangekitteln, bestenfalls 12 Jahre alt, um die Säulen, bis ein milde dreinblickender Oberbonze sie zu würdigerem Verhalten mahnt. In diesem Reich ist es Sitte, dass alle Knaben, wie anderswo den Barras, ein Jahr lang das Mönchsleben erkunden müssen, um noch vor der Pubertät Demut, Pietät, Heiterkeit und soziales Verhalten zu erlernen. Aber auch die Bonzen sind keineswegs Klosterzellen-Insassen, sondern wandern lebenslang auf Pilgerreise durch die Lande. Unterkunft bietet ihnen jedes Wat, und Nahrung ist in Thailand kein Problem. Der Glaube, dass jeder Mönch ein lebender Buddha, und jeder Bettler ein Bodhisattva sei, der in Verkleidung die Gesinnung der Menschen auf die Probe stelle, führt zu einer erstaunlichen Caritas in den streng buddhistischen Ländern, zu denen außer Thailand auch Birma, Cambodia, Laos, Tibet und Bhutan zählen. Der Penner,dsuthep der sich am Abend auf die Parkbank bettet, findet nicht selten am Morgen, beim Aufwachen, ein Frühstückspaket vor, mit Orchideen dekoriert, wir haben's mit eigenen Augen gesehen. Nicht in Bangkok, dieser heidnischen Businesskapitale, aber in der Provinz. Deshalb ist Bangkok auch weitgehend stadtstreicherfrei. Die Schluris gehen alle aufs Land, das für sie vermutlich "Schlaraffenland" heißt. 

Und erst die Mönche! Die setzen sich ins Dorfgasthaus und dinieren gepflegt, und wenn sie an die Kasse gehen, zahlen sie nicht etwa, sondern holen sich noch ein paar Münzen Zehrgeld und eine Schachtel Zigaretten als Dreingabe. Kommt ein Wanderbonze daher und schnauft die Stufen zum Doi Suthep rauf; da kramt die Verkäuferin am Souvenirstand eine Thermosflasche unterm Tresen hervor und labt den Alten, und die jungen Girls in Jeans und T-Shirts verneigen sich vor ihm mit gefalteten Händen, bevor sie sich wieder kichernd vor der Drachentreppe abfotografieren. Thailand ist voller Wunder.

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Am Morgen der Abreise von Chiangmai holten wir unsere Klamotten von der Reinigung ab, was nicht eigens erwähnenswert wäre, weilten wir nicht gerade in Bhumipols wundersamem Reich. "Reinigung", das ist ein Holzhüttlein, an dem mit Kreide auf einem Brett

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LAUNDRY SERVICE

Iron and Drying

Cheap, fast, reliable......

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angeschrieben steht. Die Bewohnerinnen dieses Baues verfügen nämlich über eine Waschmaschine und leben von dem begrenzten Drang nach Reinlichkeit unter den ortsansässigen Punkiejunkies. Unsere Jeans, starr von Reisedreck abgegeben, waren blitzblank gewaschen, von fleißigen Mädels getrocknet und handgebügelt, und das für zusammen 9 Baht! Zuvor hatte ich mir im Fotoladen nebenan gerade einen neuen Farbfilm für 65 Baht gekauft. Da konnte ich diesen Hungerleiderlohn einfach nicht akzeptieren und gab den Tanten, die sich einen Vormittag lang mit unserem Dreck geplagt hatten, 20 Baht, mehr als das Doppelte, auch wenn ich damit zu einer Preisinflation in der Dienstleistungsbranche von Chiangmai beigetragen haben sollte. Die Leute rackern und schuften, und sind doch immer heiter und freundlich, und kaum einer ist uns begegnet, der mit faulen Tricks und auf krumme Tour den reichen Farang zu melken versucht hätte. Unbegreiflich.

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Der nördlichste Punkt von Thailand ist nicht mehr weit. Von einer Anhöhe blinkt das goldene Dachl eines Wat herüber, lauschige Rastplätze, Palmen und Papayas, Blumen und Blüten, man könnte meinen, im Nationalpark eines reichen Staates zu weilen, aber hier ist weder Hawaii noch Waikiki, sondern der braune Urwald-River Maekok, an dessen Ufer wir im Freien vom liebenswürdigen Personal eines Flussufer-Restaurants schon wieder nach Strich und Faden restauriert werden, bis eine Busladung Franzosen uns die Exklusivität als einzige Gäste streitig machte. meo

Zwischen Chiangrai und Maesai wohnen die Meo und andere Berg-Ethnien fern der großen Verkehrsadern und führen ihr althergebrachtes Leben weitgehend unbehelligt, ernstlich bedroht nur von Baggerzahn und Television. Auf abseitigen Nebenstraßen begegneten uns hin und wieder einige dieser scheuen Leute, alle in ihre farbenfrohe Tracht gekleidet, als sie von ihren Pflanzungen nach Hause trotteten. Am Abend standen wir am Schlagbaum und äugten nach Myanmar rüber. Die Grenze, bis 20 Uhr geöffnet, ist frei passierbar grenzenur für die Insassen beider Nachbarländer, aber wir, sonst immer privilegiert, müssen diesmal draußen (oder drinnen) bleiben: Ohne Visum wollen die Birmaner unsere Devisen nicht, und ohne Demokratie kriegen sie sie von uns auch nicht.

Auch Ka ist mittlerweile, aller japanischen Vorurteile ledig, zu einer überzeugten Thai-Liebhaberin geworden, und der Begeisterung kann auch das bescheidene Hotel Riverside wenig Abbruch tun, das wir am Ufer des Grenzflusses in einer der zuvor schon mit gutem Erfolg getesteten Palmwedel-Laube entfalteten.

In der Nacht rispelt's und raspelt's, pispelt's und paspelt's, da trappelt's, trippelt's und quappelt's, da pfeift's und quiekt's - es scheint das Revier besonders emsiger Ratzen zu sein, in das wir uns vor Birmas zackiger Bergsilhouette gebettet haben. Und wo es nahebei Wasser und viele Mäuse hat, da fühlen sich auch andere Tierchen wohl. Ka gewahrte das geringelte, züngelnde Reptil beim Zeltabbauen, das sich wenige cm oberhalb kraitdes Zeltdaches auf einem Querstreben unter dem niedrigen Schilfdach der Laube mit mäusevollem Wanst zur Ruhe geknotet hatte. Selbst teakholzstemmende Elefanten hätten Ka nach ihrem entsetzten Aufschrei nicht mehr zum erneuten Betreten des Hüttleins bewegen können, aber wegen einer Schlange, der auffälligen schwarzgelben Zebrastreifen-Tapete zufolge zweifellos eine hochgiftige Krait, lasse ich mein Zelt doch nicht kampflos im Busch vermodern, das können wir noch gebrauchen. Dreißig Minuten habe ich Zeit, falls ich gemeuchelt werde, und baue darauf, dass es in Maesai ein Spital mit Serum gibt. Aber das Vieh war viel zu träge und schielte nur ab und zu runter zu dem Farang, der höchst rücksichtsvoll, um des ehrenwerten Tieres Schlummer nicht zu molestieren, beruhigende Wiegenlieder und Barockweisen summend, den Rödel abbaute, sachte ins Freie zupfte und dann umgehend verduftete.

Weiter unten ergießt sich das harmlose Grenzflüsschen in einen breiten, braunseichten Strom, den Mekong, und der Zusammenfluss bildet das Dreiländereck zwischen Myanmar, Laos und Thailand. Wir sind im Herzen des berühmten "Goldenen Dreiecks", aus dem etwa die Hälfte des Heroinmarktes der Welt versorgt wird. Man erwarte freilich nicht, dass wir nun Mohnblümchen gepflückt hätten. Auch unter den kilometerlang auf der Thai-Seite des Mekong aufgereihten Hütten fanden sich weder Drogen-Drogerien noch Opiate oder Spritzen, sondern nur Dealer des international üblichen Kitsch-as-Kitsch-can. In diese gottverlassene Gegend, ohne andere Attraktion als den Grusel des "Goldenen Dreiecks" und dem Blick vom Urwald Thailands auf den Urwald von Myanmar und Laos, fallen erstaunlicherweise doch Touristenbusse en masse ein, und bleiche, sonnenbebrillte Ladies und ältliche Herrschaften fummeln an Thai-Seide, Stickereien und Jade-Buddhas aus Plastik, und kaufen schließlich Ansichtskarten von blühenden und beernteten Mohnfeldern oder ein billiges T-Shirt mit dem Aufdruck

GOLDEN TRIANGLE - I was here

auf dass zuhause auch Omi und Opi ob der Verruchtheit des Omi- und dreieckOpium-Lasters mitfrösteln. Man kann sogar noch billiger dokumentieren, dass man dagewesen ist, denn auf einem Hügel mit fotogenem Blick aufs Dreiländereck steht ein Steinbogen mit entsprechender Inschrift und erinnert mich irgendwie an die Loreley. Bin halt ein echter Germane.

Vom Geschäftssinn der Thais könnten Birmaner und Laoten noch viel lernen, auf die Rendite, die eine asphaltierte Straße am Flussufer erbringt, sollten sie eigentlich neidisch sein. Die Regimes der beiden Nachbarreiche verschmähen indes kapitalistische Dekadenz, der Baumbestand am Ufer des Mekong wird ihnen für ihre sozialistischen Sonderwege in die Steinzeit ebenso dankbar sein wie die Betreiber der Mekong-Uferrestaurants auf der Thai-Seite, denen die Kassen klingen und die Herzen springen, wenn um die Mittagsstunde das Dieselorchester nahender Reisebusse zur konkurrenzlosen Umsatz-Ouvertüre bläst.

*

Da es nach Norden nicht weitergeht, donnern wir wieder dem Äquator zu, via Phayao, Uttaradit bis Phitsanulok, wo schon wieder Plattland und der halbe Weg bis nach Bangkok geschafft ist. Da wollen wir aber noch nicht hin, sondern biegen ab nach Osten, wo sich die Ausläufer der laotischen Berge nach Thailand hinein erstrecken. 

chaussee


Die Landstraßen sind, so lange man auf den großen Überland-Chausseen
bleibt, breit und asphaltiert, von
Dörfern und Hundekadavern gesäumt, denn einige Köter haben nicht begriffen, dass die Teakholz-Trucks nur höchst selten beeindruckt kehrt machen, wenn man sie mitten auf der Gasse ankläfft. Die Hühner sind, ihrem Aussehen zum Trotz, offenbar klüger, vielleicht, weil sie nicht bellen können. Sie bescheiden sich jedenfalls, einen Schwarm Küken im Gefolge, mit dem Aufpicken toter Insekten, die der wilden Hatz auf den Pisten zum Opfer gefallen sind. Nicht selten erblickt man auch zerdätschte Schlangen, deren weißer Unterleib, im Todeskampf hochgeringelt, so lange hell aufblinkt, bis alles platt gewalzt ist wie die 20 Tölen, die man täglich in allen Stadien der Verwesung und Plättung zu Gesicht bekommt. Zum Glück sind immerhin die Kinder so gewitzt, dass sie lieber mit den Rindern im Tümpel plantschen und nicht das heiße Pflaster zum Abenteuer-Spielplatz machen. Wir plantschen auch gleich mit, als ein klares Bergwässerchen in Sicht kommt, und in der Nacht noch ein zweites Mal, ebenfalls kostenlos, denn das Gewitter, das unser Stoffhotel zum Abbruch und uns ins wasserdichte Auto gezwungen hatte, kam auf leiseren Füßen noch einmal zurück, just als wir das Ding im Wald zum zweiten Mal aufgestellt hatten und zufrieden pennten.

Scheinheilig friedlich grinste am andern Morgen die Sonne vom blauen Himmel und half mit, unsere Wasserbetten zu trocknen. Die Bergregionen sind, auch in der Trockenzeit, immer für eine feuchte Überraschung gut, die freilich nie lange andauert. Der nächste Wolkenbruch traf uns zwischen Udon Thani und Nong Khai und war durchaus nicht von schlechten Eltern. Es bladderte so ungestüm, dass man kaum 100 m Sicht hatte und die Scheibenwischer vor den Fluten kapitulierten. Dazu krachte und rumpelte es vom Himmel her, als lägen sich da oben Tiger und Drachen in den Haaren. Ich glaubte nicht recht zu sehen, als mitten in der Sintflut ein Schulmädchen ohne Schirm die fast leergefegte Chaussee entlangtippelte, und Ka brauchte gar nicht erst zu rufen:

"Halt an, pack das Kind mit ein!"

Ich stand sowieso schon auf der Bremse. Das plitschnasse, etwa zwölfjährige Mädchen rettete sich aber nicht in unseren Wagen, sondern sagte etwas auf Thai zu Ka, zeigte auf ein zwischen den Feldern trotz der Prasselflut schemenhaft erkennbares Haus und brachte es fertig, inmitten des Unwetters die Hände zu falten und die artige Dankesverbeugung nach Landessitte zu vollführen, während ihr ein Wasserfall von den Zöpfen in den Nacken sprudelte. Mögen Buddha und all seine Bodhisattvas das gute Kind davor behüten, in ein paar Jahren in den Nachtclubs von Bangkok geilen Touristen zum Fraß vorgeworfen zu werden!

In Nong Khai legen die Fähren über den Mekong ab, ständig überfüllt, denn Viangchan (Vientiane), die Hauptstadt von Laos, ist nur 16 km entfernt. Das wäre ein lohnenderes Besichtigungsziel als das öde Grenzkaff Nong Khai, aber die grimmigen Blicke der Zöllner erinnern uns daran, dass auch in Laos für Farangs Visumpflicht besteht. Schade, ein andermal denn! Auf geht's, retour, neuen Aventüren entgegen!

Die ließen mal wieder nicht lange auf sich warten. Man soll das Schicksal nicht herausfordern. In flotter Fahrt auf der vor Hitze flirrenden Route surrten wir gen Udon Thani, und, schau an, es gibt Autos, die noch schneller dahinsurren und uns sogar überholen! Genauer gesagt, p Polizeiautos. Da wir keinen Köter zuschanden gefahren haben, muss wohl auf Thai irgendwas von Geschwindigkeitsbegrenzung angeschrieben gewesen sein, sonst hätten die siamesischen Bullen uns nicht angehalten. Besonders ärgerte sie es, dass Ka, trotz ihres asiatischen Gesichts, kein Thai konnte, das glaubten sie ihr einfach nicht und hielten es für einen neuen Trick ertappter Verkehrssünder, um die armen Schupos zu verhohnepipeln, fuhren wir doch an unsrer ganz ordinären Thai-Limousine eine ganz ordinäre Bangkok-Matrikel spazieren. Pass her, Führerschein her, folgen Sie mir unauffällig!

Udon Thani ist ohnehin eine unsympathische Stadt, voller Militärs und einem US-Luftwaffenstützpunkt, wo seinerzeit die Bomber starteten, die Vietnams alte Kaiserstadt Hué plattmachten, und all das Chemiegift an Bord nahmen, das zur größten mutwilligen Umweltzerstörung der Weltgeschichte über Vietnams Urwald verklappt wurde und bis heute daselbst die Leute vergiftet. Auch heute würde die Stadt wohl keine Pluspunkte sammeln, dachte ich mir, als wir wie an der Abschleppleine hinter den Thai-Wachtmeistern hertöffelten, die andernfalls unsere wichtigsten Dokumente entführt hätten. thaibulleDie Polizeistation von Udon Thani hält an einer großen Ausfallstraße in unserer Wegrichtung unter Palmen Siesta, von Bougainvillea und Hibiskus umrahmt. Es kommt sicher nicht häufig vor, dass ausländische Touristen in ihren Besichtigungsdrang auch Polizeiwachen einbeziehen, denn deren Inneres bietet wenig Sehenswertes: Das auffälligste Kulturgut ist ein mächtiger, antiker Ventilator, und das bedeutendste Kunstwerk ist das in Amtsstuben obligatorische Bhumipol-Konterfei an der kahlen, weiß getünchten Wand. Der wohlgenährte Chef, den die beiden Streifenbullis mit ihrem Fang aus der Arbeit aufstörten, die er offenbar am liebsten auf der Couch liegend verrichtet, konnte ein paar Brocken Englisch, aber wirklich nur ein paar Brocken, die Verständigung war mehr als mühsam. Nachdem er sich den Rapport angehört hatte, machte er ein dienstliches Gesicht, übernahm den Fall und bemalte einen Zettel, aus dem hervorging, dass wir uns irgend eines Vergehens schuldig gemacht hätten, das sich jedoch mit 200 Baht, sorry, für Ausländer 400 Baht, aus der Welt schaffen ließe.

Was kannste da machen? Soll er mir doch eine Quittung ausstellen, die ich in Bangkok von der Fremdenverkehrsbehörde überprüfen lassen kann, ob das mit dem Touristen-Vorzugspreis so seine Richtigkeit hat, das ist meine einzig mögliche Gegenwehr, denn man weiß ja nie, ob die Burschen sich nicht heute Abend auf meine Kosten besaufen wollen. 

Aber siehe da! Verdrossen kramt der Oberflic in seiner Schreibtisch-Schublade, zieht sich ins Nebenzimmer zurück, wo man ihn telefonieren hört, verschwindet dann in den Tiefen des Gebäudes und erscheint eine halbe Stunde später nur vorübergehend, um unsere beiden Häscher wieder auf Streife zu schicken. Die setzen ihren Wagen in Gang, ohne den Ausgang unseres Schicksals abwarten zu dürfen, und kaum sind sie fort auf erneute Sünderjagd, kommt der Oberwachtmeister, keine zwei Minuten später, wieder zum Vorschein, händigt uns unsere Papiere aus und grinst verlegen.

"Übereifrige Streifenbeamte", sagt sein Gesicht. Er deutet eine Verbeugung an, öffnet uns eigenhändig die Türe und wünscht, vermutlich, gute Fahrt. Auf Thai. Ob ihm wohl just heute die Quittungsformulare ausgegangen waren? Ich faltete die Hände und verlieh nach Landessitte meiner Dankbarkeit Ausdruck, hatte aber Mühe, nicht laut herauszuplatzen vor Lachen. Das taten wir hinterher, in Khon Kaen, wo wir vor Wonne fürchterlich schlemmten, konnten aber bei weitem nicht die 400 Baht verprassen, die der Ordnungsbehörde knapp entgangen waren. Den guten Oberwachtmeister hätten wir glatt eingeladen, wenn er nur mehr als sechs Wörter Englisch gekonnt hätte.phimai

Es wird wieder mal Zeit für ein bisschen Kultur zur Abwechslung, man kann ja nicht nur Polizeireviere und Fressbuden besichtigen. Der Westen Cambodias ist vor 500 Jahren als Kriegsbeute an Thailand gefallen, und man sieht, dass einst die Khmer-Kultur hier vorherrschend war. Die Ruinen von Phimai liegen denn auch nur knapp 200 km, und diejenigen von Phanom Rung und Muang Tam gar nur 25 km von der cambodianischen Grenze entfernt. Nicht so gigantisch wie Angkor Wat, aber ganz im gleichen Stil präsentieren sich die zum Teil restaurierten Steinmetz-Wunderwerke, ganze Banden von Affenkriegern und vollbusige Himmelsfeen in Phimai, über die ein verschreckter Iguana hurtiger davonsprintete als man es ihm zugetraut hätte, als er ein Zoom auf sich gerichtet sah.

Vollbusige Himmelsfeen sind in Phimai heutzutage freilich keineswegs ausgestorben und nicht nur in Stein gemeißelt anzutreffen; eine von ihnen, eine Art Imelda Marcos in engem hochgeschlitzten Kleid, beherrscht nämlich mit schwungvollem Elan ein hübsches Gartenrestaurant und streicht männlichen Gästen, sofern sie so attraktiv sind wie Frank Eschersheimer, auch schon mal, die neben ihm sitzende Gattin mit einem siamkatzigen Lächeln besänftigend, samtpfotig über das blondschmuddelige Haar oder schmeichelt im dimmen Laternenschimmer lustvoll seufzend ihre üppigen Kurven an den männlichen Rücken und annonciert zu diskreter Nachtmusik das Sorbet zum Dessert mit so verrucht-rauchiger Stimme, als sei es Isoldes Liebestrank. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben!

Phanom Rung ist zur gleichen Zeit und unter demselben Khmer-König errichtet worden wie Angkor Wat. Auf einem Hügel im Mittagssonnenglast flimmernd, schaut die ausgezeichnet restaurierte, mächtige Tempelanlage auf die zahlreichen, schwitzend die Steinstufen hinaufschmachtenden Besucher herab, außer kapokeuns nur fromme einheimische Pilger. Wir sind uns einig, dass heute der heißeste Tag der Reise ist, und jappen noch bis zu den Brünnlein an den Ruinen von Muang Tam, die allerdings nicht restauriert, sondern nur von den Würgefeigen befreit sind, die die Bauten so schief und beulig gebissen haben.

 

Bangkok mit all seinen Schrecknissen rückt bedrohlich näher, man kann den Smogduft schon förmlich riechen. Wahrscheinlich liegt das am merklich zunehmenden Verkehr, dem man am besten mit dem Umweg durch den Nationalpark Khao Yai entkommt. Dessen frische Luft ist für 25 Baht Einfahrtgebühr zu erkaufen; dafür darf man mit dem eigenen Automobil die grüne Idylle vollstinken. Der Nationalpark liegt auf der einzigen kobranennenswerten Anhöhe in der weiteren Umgebung von Bangkok, enthält riesige Leguane, wilde Elefanten, drollige Affen, kurzsichtige Brillenschlangen, hungrige Tiger und feuerspeiende Drachen, aber all das Getier, mit Ausnahme zweier neugieriger Monkeys, hat zu dieser hitzigen Mittagsstunde Ferien. Die Elefanten, wohlerzogen, wollten sich offenbar nicht gänzlich spurlos vor uns drücken und grüßten uns höflich mit gewaltigen, dampfenden Misthaufen. Nun ja, ein Nationalpark ist halt kein Zoo, und wir sind nicht auf Safari. Im luschigen Grüngeschling, an einem kokodril- und halbwegs moskitofreien Modertümpel sammeln wir, von exotischen Flatterlingen umschmettert, dösend Kräfte für den nahenden Clinch mit Bangkoks Großstadt-Charme, hopsen ein letztes Mal in einen klaren Bergbach, duschen unter einem schäumenden Wasserfall, blähen unsere Lungen mit Waldeslust auf und enden nach einem harten Straßenkampf spätabends bei tiefer Dunkelheit in unserem trauten Thai-Hotel. Dessen Neon-T war noch immer außer Betrieb; der einzige Unterschied zu unserem ersten Eintreffen war, dass der uniformierte Geck am Portal dieses Mal, da wir einer dunkellackiert blinkenden Blechlimousine entstiegen, einen tiefen Bückling vollführte und uns die Pforte aufriss, dieser Tartüff.

 

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