LAND DES LÄCHELNS
②
❀❀❀❀ | THAILAND | ❀❀❀❀ |
⁂ 1990 ⁂ | ||
Ayutthaya und Sukhotai |
Ich
darf getrost behaupten, von der Vegetation in diesem Winkel der
Erde so gut wie nichts zu kennen; mit Ach und Krach gleicht das
Gras dem unseren. Aber alles andere, was sonst so grünt und
sprosst, ist mir nicht geläufig. Da stehen Bäume längs der
Chaussee, wie man sie von Bildern aus Afrika
kennt, riesige Kronen aus dürren Ästchen, die so viel Schatten
spenden wie ein Sieb. Die Alleen des nahen Ruinenfeldes von
Ayutthaya sind gesäumt von Bäumen, die in rosa Blüten prangen,
und doch sind es, Ka hätte Stein und Bein geschworen, keine
Kirschblüten. Andere Bäume stehen geradezu in Flammen, so hell
lodern die üppigen orangeroten Blüten, die auch unter dem Baum
einen flammendroten Teppich bilden; dass man sie
"Flamboyants" nennt, ist nur logisch. Bananenstauden,
Palmenavenuen, blühende, in sattem Grün stehende und herbstlich
belaubte Bäume wohnen nebeneinander,
wahrscheinlich wissen sie in diesem ewigen Sommer nicht mehr, was
der Kalender anzeigt. Die Manna-Bäume sind am cleversten, denn
sie bedienen alle Jahreszeiten zugleich: In der Krone grüne
Blätter, rechts gelbe Blüten und links die
schwarzen, süßlich duftenden Manna-Schoten, an denen die Affen
gerne knuspern.
Auch
uns ist nach Knuspern zumute. Wir sind noch nicht ganz aus dem
Wagen draußen, da steht schon eine Thai-Schönheit vor uns,
faltet die Hände vor der Brust, verneigt sich mit lieblichem Lächeln und geleitet
uns, in ihrem golddurchwirkten, purpurnen Sarong zierlich
vorantippelnd, durch einen wahren Orchideengarten, von klaren
Bächlein durchgluckst, über geschwungene Stege zu einem der
offenen, palmwedelgedeckten Pavillons, die
je einen Tisch und vier Stühle enthalten. Ein anderes zartes
Wesen kommt über die Blumen und Fischteiche geschwebt und
überreicht mit artiger Verbeugung feuchte, duftende Tüchlein, auf dass
sich die verehrten Gäste vor dem Mahl wenigstens Gesicht und
Hände von weltlichem Schmutz befreien, und pausenlos umschwirren
uns weitere dienstbare Geister: Speisekarte, Wasserkaraffe,
Eiswürfel, Getränke und schließlich das georderte Menü. Und
der Gag, nach dieser Erholung im idyllischen Blütenhain, wo wir
wortwörtlich von Schmetterlingen umflattert speisten: Es kostete
weniger als die Hälfte dessen, was man in Bangkok zahlt, 104
Baht für all die köstlichen Schlemmereien, für 2 Personen
zusammen... Und den lächelnd versprühten
Charme der Mädchen, die uns einzige Gäste wirklich zu
verwöhnen suchten, gab es als Gratis-Zugabe. Das Paradies muss
irgendwo in der Nähe von Thailand liegen.
Jetzt
ist Trockenzeit in dieser Region, die
Hitze fängt im Mai an, sagt uns ein Jüngling unterwegs. Der
Trockenzeit verdanken wir das herrliche Reisewetter alle Tage,
schielen aber in den Mittagsstunden recht neidvoll auf die
Wasserbüffel mit ihrem ausladenden Gehörn, die sich im
Straßengraben längs der Asphaltpiste suhlen.
Erfrischung für uns halten die Dörfler bereit, die am
Straßenrand unter
Schilfrohr-Schattenspendern
stehen und Berge frischer Ananas und anderer Südfrüchte
aufgetürmt haben. Du willst dir eine saftige Ananas anlachen?
Blinkend malt ein spitziges Messer allerlei abstrakte Kringel
durch die dicke Mittagshitze, und eh du das Kleingeld
rausgefummelt hast, ist die Ananas, entschält und entholzt, in
mundliche Stückchen zersäbelt, in ein Plastikbeutelchen
geschwuppt, dem zwei, drei Holzspießchen und, die Thais mögen's
würzig, ein Tütchen Salz und Chilipfeffer beigefügt sind, das
Ganze für 10 Baht.
Wer früh auf den Beinen ist, kann Ayutthaya, die alte Königsresidenz, die von den Birmanern verhackstückt worden ist, noch vor der Ankunft der Touristenbusse aus Bangkok besichtigen. Und auch, bevor man in den trockenen Steinruinen dem Hitzeschlag erliegt. Pittoreske Ruinen, der alte Königspalast, ein liegender Buddha, der, seiner schützenden Halle beraubt, dennoch weltentrückt über das Knarzen der Zikaden meditiert, aber attraktiver sind die neueren, nicht ruinierten Tempel außerhalb der Ruinenstadt, Wat Yaichai Mongkol und Wat Phanang Choeng: Der erstere enthält eine Serie von Steinbuddhas, die wie Gartenzwerge um die riesige weiße Stupa Wacht halten, dazu einen Blumengarten mit Springbrünnlein, luschigen Pavillons und Flusspromenade, der letztere wiederum Massen von Pilgern, Räucherwerk und Blattgold, das dem verwunderten Farang fetzenweise in der Nachmittagsbrise um die Ohren flattert.
Die Suche nach
dem gerühmten Wat Mahathat in Phitsanulok war sehr mühsam, denn
die Stadt ist ein wuseliger Irrgarten und voller Wat Is Denn
Dats. Das richtige Wat, an einem eiligen Flüsschen endlich
ausfindig gemacht, lohnte die Sucherei vollauf: Der
anmutige, goldgekrönte Bau enthält eine in Schwarz und
Dunkelocker lackierte Halle mit perlmutt-gezierten Säulen,
einfach todchic. An der Stirnseite thront ein würdevoll
meditierender Buddha, hell angestrahlt vor dem schwarzglänzenden
Lack-Hintergrund. Sehr effektvoll und sehenswert, meinte auch die
Busladung deutscher Landsleute, die kurz nach uns in die Stille
gepoltert kam und alles ausfotografierte. Zum Glück ist der
Buddhismus samt Bonzen eine selten tolerante Einrichtung: So
lange man nicht auf dem Altar picknickt, im Hof pinkelt, mit
Schuhen im Heiligtum herumtrampelt
oder einen goldenen Taschenbuddha als Souvenir einsteckt, kann
man in den Tempeln tun und lassen, was man mag. Selbst wenn man
betende Bonzen mit Blitzlicht aus der Meditation zu reißen sucht
oder als geiziger Heide die Halle ohne Spende verlässt, grummelt
kein
Mönch.
Nur hier oder da, in extrem ländlichen oder heiligen Gegenden,
zupft dich mal ein lächelnder Glatzkopf am
Ärmel, wenn du in Shorts oder, als Lady, mit
allzu gewagtem Ausschnitt den Buddha zu vergraulen drohst; er
führt dich in ein Kabuff, in dem safranfarbene
Mönch-Sarongs bereit liegen, hilft dir auch bei der Verkeidung,
und dann kannst du als blonder siamesischer Kameramönch deine
Blitze im Tempelinnern verschießen. Den Kittel bringst du
hinterher brav wieder zurück und wunderst dich vielleicht, dass
sie nicht mal ein Trinkgeld dafür annehmen. Aber wer immer was
spenden mag, der tue dies am Opferstock.
Und schon wieder tut sich, just zur Mittagsstunde, ein märchenhafter Restaurantgarten auf wie Aladins Wunderhöhle, nur heller und luftiger, und was uns da begegnete, das unterschied sich von der zuvor geschilderten Service-Zeremonie von Ayutthaya nur dadurch, dass auch die Busse von "Garuda-Travel" und "Bangkok Tours" unversehens herbeigedröhnt kamen. Da wussten wir, für wen die gigantischen Gebirge von Melonen, Ananas und Lychees bestimmt waren, unter denen sich der große Tisch in der Mitte bog.
֍
Während
sich über einem Holzfeuerchen auf unserem Grill in einem
silbrigen Thai-Topf aus Bangkoks Supermarkt ein schwarzer Tee
zusammenbraut, begleitet eine Tafelmusik aus Grillenviolinen und
Quakfrosch-Fagott unser Frühstück. Ansonsten ländliche Stille.
Auch hier wartet nahebei
ein Historienpark, den freilich die Bangkok-Ausflügler nicht auf
ihrem Reiseplan haben. Entsprechend ungestört sonnen sich die
steinernen Elefanten, die das Wat Chang Lom auf dem Rücken
tragen. Gelangweilt auch die lebendigen Elefanten, die freilich
den Schatten einer Baumgruppe vorziehen und sich ab und zu eine
Ladung Sand über den Puckel pusten. Der Bursche, der die
siamesischen Dickhäuter an der Leine hielt, schnarchte im Gras.
Ein
anderer, allerdings völlig unhistorischer Tempel mit dem
einprägsamen Namen Wat Phrasirattanamahathatchaliang steht nahe
an einem Fluss,
den ein wackeliger Hängesteg überbrückt. Waghalsige
Mopedfahrer knattern da drüber, aber wir wissen uns was Besseres
und plantschen, von Brücke und Heiligtum, Bonzen und Pilgern,
Dorf und Abwässern gehörig entfernt, in dem seichten
Flüsschen, denn nach Tempeln, Hitze und Kultur muss auch mal ein
halber Tag Urlaub sein.
So fern der ausgelatschten Pfade liegt das unbedeutende Provinznest Lampang, dass sogar die Wüteriche aus Birma offenkundig übersehen haben, dass es auch da etwas kaputtzuschlagen gibt. Diesem Umstand verdankt das Wat Lampang Luang aus dem 16.Jh., dass es heute Thailands ältester aktiver Tempel ist. Die reiche, alte Siam-Ornamentik ist hier zierlich in rötliches Holz geschnitzt und in marmorhaft weiß getünchten Stein gemeißelt, so kunstvoll, dass der Bau an die ähnlich filigrane Alhambra erinnert.
Sein Alter verbirgt das Haus keineswegs, von der Tempelhalle
aus sieht man die Dachschindeln von unten, die Bretterwände sind
voller Spalten und Ritze, und doch ist der Tempel als Ganzes
schlicht ein Mirakel. Anmutige Himmelswesen, die Hände nach
Landessitte im Tanz gefaltet, schweben golden in der
Holzornamentik, reiche farbige Wandgemälde
bedecken das Innere der kühlen Halle, und sogar im Hof, am Stand
des Postkartenhändlers, noch farbige Pracht: An quer gespannten "Wäscheleinen"
flattern, von Metallklammern gehalten, Zehnerstreifen der
ungewöhnlich geschmackvoll gestalteten Sondermarken voller
traditioneller Thai-Motive im lauen Wind, und man kann sich, wie
in den Nachtclubs von Bangkok, die Schönsten selbst auswählen,
um der Ansichtskartenpflicht auch von der Gebührenseite her
gefällig zu genügen.
77 km weiter
schon das nächste Mirakel, in Lamphun, dessen Wat Prathet
Haripunchai vor blendend im
Mittagslicht gleißt. Was wir schon alles an Wats gesehen haben,
ist nicht mehr zu zählen, und doch wird es nicht langweilig;
jedes ist anders, eines prachtvoller als das andere, und überall
freundliche, lächelnde Leute,
sanftmütige glatzköpfige Bonzen.
Gibt's hier eigentlich keinen
Stress, keinerlei Ärger? Was stimmt die Leute so heiter und
friedlich?
Die Antwort heißt "mai pen rai".
Wie bitte?
Pardon, das ist Thai und bedeutet "mach dir nichts draus". Und noch viel mehr. Es ist die Redewendung, mit der man den weltlichen, ohnehin vergänglichen Verdruss von sich streift wie ein Paar zerschlissener Schuhe, denn was auf Dauer zählt, so lehrt es die zutiefst verinnerlichte Weltsicht des Buddhismus, sind weder Geld noch Karriere, sondern vor allem innere Gelassenheit, die heiter lächelnd nach außen abstrahlt und das ohnedies elende menschliche Dasein erträglich macht, indem man sich ein wenig über die Dinge stellt.
Ein bisschen mai pen rai würde auch Europäern, Amerikanern und Japanern gut anstehen, von Moslems, die "Ungläubige" aus ihren Moscheen prügeln, ganz zu schweigen.