LAND DES LÄCHELNS

THAILAND
֍ 1990 ֍
Bangkok

 

Der Februar ließ sich in Tokyo besonders kalt an. Schneefälle, Frost und Eis. So kalt, dass sogar die sonst immer dauerlächelnden Japanerinnen dreinblicken wie rostige Tiefkühltruhen. Aber irgendwo muss man sich ja sein Quantum an Lebensfreude besorgen; wenn weder das Liebesleben noch der Kontostand zum Lächeln Anlass bieten, holen wir es uns eben selber, da, wo es gezüchtet wird, direkt beim Erzeuger: In Südostasien natürlich.... Nichts wie hin, nach Indochina, ins Land des Lächelns!


frangipani


Nur wenige Flugstunden von Nippon entfernt beginnt ein heftiger Striptease, als der Pilot der indischen Maschine im Landeanflug auf Bangkok muntere 35 Grad im Schatten ankündigt, und Anoraks, Pullis und ähnliche Polar-Untensilien verschwinden verschämt im Handgepäck.

Aus japanischer Sicht ist Thailand ein nicht sonderlich attraktives, chaotisches und schmuddeliges Drittweltland mit grandioser, aber längst ruinierter Historie, reizvoll bestenfalls für Freunde kulinarischer Exotika, für Sonnenhungrige, die sich auch im Februar auf heißem Sand suhlen wollen, oder für lustmolchige Männergesellschaften.

Kas ohnehin nur schwaches Interesse am heurigen Reiseziel drohte beim Verlassen des Terminals in der Abendschwüle vollends dahinzuschmelzen, zumal wir, wie bisher noch immer, wieder einmal aufs Geratewohl nach Siam hereingeschneit gekommen waren, ohne zu wissen, wie man vom Airport in die City gelangt, und erst recht, ohne irgendein Obdach vorgebucht zu haben. Wozu gibt's denn diese Infotheken im Flughafen? Damit die uniformierten Lächeldamen ihr Englisch nicht verlernen oder ihr Gehalt im Schlaf verdienen, lassen wir uns ein zentral gelegenes, nur mäßig touristenmonetenraffgieriges Hotel empfehlen, kriegen auch heraus, dass die Busse der Linie Nr.59 in die City brummeln, und trotten dann, den "to Bängkok-city-Chor" der Taxisten hochmütig ignorierend, zur nahen Bushaltestelle. Es ist der etwa 8.Versuch, als Neulinge in fremden Landen den Ankunftstag zu überstehen, ohne übers Öhrli gehauen zu werden oder mit unnötigen Wucherpreisen ausgenommen zu werden wie frisch geschlachtete Brathendln.

Da dieselt auch schon so ein schwarzqualmiges Transportmittel daher, die Nr. 59 groß angeschrieben, hält brav an, lädt uns mit ein, hat sogar Sitzplätze frei und ---- kostet nur 2 Baht (1 Baht = 0,025 Euro / 40 Baht = ca. 1 Euro) Fahrpreis pro Kopf. Was wollen wir mehr? Stürzen wir uns ins Abenteuer!

Die Zufriedenheit, mit der wir uns in die Plastikpolster räkeln und der Silhouette Bangkoks zustreben, die sich vor dem dunkelrotviolett verlöschenden Abendhorizont abzeichnet, währt etwa 40 Minuten. Dann sind wir an der Endstation des Busses angelangt, jedoch leider keineswegs im Zentrum von Bangkok. What is here loose?

Mittlerweile ist es stockfinster, wir stehen vor dem Busdepot, wo ein paar Jungs in der Uniform der städtischen Bus-Dompteure herumlungern, fragen wir die doch mal. Tja, Thai müsste man können! Wenn die Burschen nämlich Englisch könnten, wären sie Rechtsanwälte geworden und keine Omnibusputzer. Da suchten wir den Reisegrusel und stecken, erheblich schneller als erwartet, schon mitten drin!

Nach einer sehr einseitigen Konferenz, an der die gesamte Besatzung des Busdepots teilnahm und mehrere Notizheftseiten mit krakeligen Linien und handgemalten Landkarten gefüllt wurden, dämmerte mir allmählich, dass beileibe nicht jeder Bus mit der Nr.59 die erhoffte Route nimmt, sondern dass die Liniennummern wohl mehr einer Tradition entstammen, die wirkliche Fahrtroute hingegen in großen Lettern außen am Bus aufgemalt ist, in Thai-Schrift........ Exzellent. Immerhin waren die Jungs allesamt überaus herzlich und taten ihr Bestes, um uns auf die rechte Bahn zu geleiten. Einer von ihnen brachte uns zu einer Kreuzung, an der geeignetere Busse entlangzubrummeln pflegen, rief dem Schaffner auch noch Instruktionen zu, auf dass der uns auch ordentlich behüte, und wir bezahlten weitere 2 Baht pro Person.

Durch die geöffneten Fenster weht der allmählich städtischer werdende, würzige Großstadtmix aus rußigen Dieselschwaden und Zweitakter-Knattermax-Auspufffahnen herein, und unser inzwischen gut gefülltes Omnimobil karriolt bravourös durch den immer zäheren Rush-hour-Brei hupender Blechvehikel. Der Schaffner ist auf Draht: Als sich eine andere Nr.59 im mehligen Stau neben uns festgefressen hat, kommt er wie ein Wiesel durchs Fahrgastgewühl geschossen, brüllt dem Kollegen im Nebenbus durch die offenen Fenster eine Botschaft zu, dirigiert uns samt Päcken und Säcken rüber in den anderen Wagen, während sich beide Fahrzeuge unverdrossen im Schritttempo weiter voranquälen, und wir hoffen nur, dass die dritten 2 Baht pro Nase das letzte Fahr- und Greenhorn-Lehrgeld sein mögen. Alle Wege führen nach Rom, heißt es schließlich. Von Bangkok war keine Rede.

trafjam


Immerhin, betrogen worden sind wir nicht, und billiger als die Taxis war es mit Sicherheit auch. Quod erat demonstrandum. Nur Ka grummelte immer vernehmlicher, dass wir per Taxi zu dieser Stunde vermutlich schon unter der Dusche ständen, als wir, den Stadtplan in der Faust, von der Bushaltestelle aus durch die schwüle Nacht trabend, auf heißen Turnschuhsohlen mit schweren Taschen das verheißene Obdach zu finden suchten. Sie sehnte sich lautstark nach Bad und Dîner, nach Orchideengarten und Swimmingpool, anstatt durch hundepipimüffelnde, müllübersäte, finstere Gassen zu tapern.

Keine 5 Minuten später waren wir aber da, karrten unsere Bagage durch einen anmutigen Garten, am hibiskushecken-gesäumten Schwimmbecken entlang auf das Portal zu, bis von der Brandung des Straßengetöses nur noch ein leises Rauschen hörbar war und die Mulkschwaden vom schweren Parfüm üppiger Vegetation neutralisiert wurden. Ein Uniformierter an der Drehtür übersah uns vornehm, als wir mit unserem Rödel dahergelatscht kamen, aber nach der Erfrischung im klimatisierten Zimmer, gepflegter Thai-Cuisine unter fernöstlichen Gewächsen, bei einem Gläschen Wein auf dem Balkon, mit Blick auf Mondschein und Swimmingpool, war die Welt wieder in Ordnung. Der einzige Makel unserer Unterkunft mit dem originellen Namen

THAI HOTEL

war der defekte Neon-Schriftzug an der Fassade, bei dem das erste T unbeleuchtet blieb. Waren wir doch unter die Haie geraten?

Bangkok ist eine märchenhafte Stadt, in die man sich stürmisch verlieben könnte, wenn sie nicht 24 Stunden pro Tag von stinkpuffschmauchigen Kavalkaden knatterhupquietschbollernder Vehikel verhunzt würde. Von jeglichen Abgasvorschriften und TÜV-Kontrollen unbehelligt, spotzt alles, was einen halbswegs stotternden Motor besitzt, vom Moped über Motorrikschas bis zum Mammut-Touristen-Sightseeing-Bus, über die glutheißen Avenuen, schwarzen Staub und Ruß aufwirbelnd, und die Fußgänger am Rande der wilden Motorhorden jappen nach Luft und verstehen kaum ihr eigenes Wort. Dass man fast ausschließlich junge Leute auf den Straßen sieht, mir scheint's, liegt daran, dass die älteren Jahrgänge wohl sämtlich in der Lungenklinik liegen. Verflucht seien Nikolaus Otto, Rudolf Diesel, Gottlieb Daimler und Konsorten, sie haben die Perle Südostasiens auf dem Gewissen. girlande

Vergessen wir das Knatterstinkgetöse, gehen wir durch kleine Seitenstraßen, um uns in Thailand umzusehen. Ein Blumengeschäft, von Orchideen überquellend, die nicht etwa als Gebinde oder im Blumentopf feil sind, denn wer will schon so ein Zeugs kaufen, das doch, trotz Smogs, in jedem Vorgarten so üppig gedeiht wie bei uns Petersilie oder Löwenzahn? Nein, sie werden zerpflückt, und aus den Blüten fertigen junge Mädchen geschickt kunstvolle Girlanden oder Blütenskulpturen, in mühsamer Handarbeit, und doch spottbillig, eine der handwerklichen Traditionen Thailands. Ein kleines Brückchen über einen der Klongs, der Kanäle, die Bangkok durchziehen wie Amsterdam, und längs des weidenbestandenen Ufers zahlreiche Wägelchen, die wir auch aus anderen asiatischen Ländern kennen: Am Abend verzaubern flinke Hände die unscheinbaren Karren in malerische Schnellrestaurants, die für ein paar Groschen im Handumdrehn die exotischsten Leckereien asiatischer Kochkunst auftischen. Ein Laden bietet Dekor feil, Orden und Fähnchen, Pokale und Landesflaggen in allen Größen, und mittenmang, gerahmt und ungerahmt, in Schwarzweiß, koloriert oder auf Porzellan, Hunderte von Bhumipols und Sirikits....

sirikit




Sonntags, flunkert das Guidebook, sei der Eintritt kostenlos im Wat Phra Keo, Bangkoks, nein, Thailands, nein, Südostasiens größter Sehenswürdigkeit. Das muss schon lange her
sein.... Heutzutage haben nur die Einheimischen freien Zutritt, die Farangs (foreigners) müssen 50 Baht spenden, wochentags. Und sonntags das Doppelte. Aber was bekommt man dafür! In München auf dem Oktoberfest noch nicht mal eine Maß Hopfenbrühe, in Tokyo gerade mal ein Eis am Stiel, in Bangkok hingegen nicht weniger als das 8.Weltwunder, vergleichbar nur mit der Verbotenen Stadt in Beijing oder dem Potala-Palast in Lhasa, da sind 100 Baht doch geschenkt. Das ganze Wat (Tempel) ist eine Orgie in Gold und Funkel, ein Juwel thailändischer Architektur und buddhistischer Kunst.


phrakheo


Ein riesiges Areal, vollgestellt mit Hallen und Pagoden, Ornamenten und Dämonen, Götzen und Palästen, es gleißt und glitzert in der blendenden Mittagssonne, und der arme, von zerfallenen Kolosseen, rostigen Eiffeltürmen, kariösen Burgruinen und morschen Akropolen nicht gerade verwöhnte Europäer weiß gar nicht, wohin er zuerst staunen soll. Wenn der fassungslos aufgesperrte Mund wieder zuklappt, die heißgeknipste Kamera nach Ruhe verlangt und die von süßlich duftenden Blüten und Räucherwerk vor allen Buddhastatuen betäubten Sinne allmählich wieder aufklaren, nimmt man die Gläubigen wahr, die sich, ohne all den Prunk und Protz eines Blickes zu würdigen, mit Opfergaben und Lotosblumen um ein offenes Heiligtum drängen und den kleinen, aber barmherzig dreinschauenden Buddha mit Blüten, Gold und Gaben überhäufen. Ja, richtig gelesen, auch mit GOLD! Wie das, wo doch Thailand bislang nicht als erdölhaltiges, ökonomisches Wunderland aufgefallen ist? goldomaAm Verkaufsstand der glatzköpfigen Bonzen in ihren safrangelben Kitteln gibt es für ein paar Baht Blattgold zu kaufen, so hauchdünn, dass es im leisesten Luftzug davonsegelt, Blättchen von wenigen Quadratzentimetern Fläche, die von den faltigen Muttchen ehrerbietig an die Buddhafigur gepappt werden, so weit die Hände reichen, aber im Hauch des warmen Abendwindes flittern goldene Partikel durch die Lüfte und landen im Haar ungläubiger Touristen, die nach wenigen Tagen Wat Phra Keo ebenso vergoldet enden würden wie der wundertätige Buddha, falls sie sich nicht losreißen könnten von all dem Wunderwerk.

Bangkok wimmelt natürlich von Ausländern, und keiner versäumt die Besichtigung dieses Tempelgevierts. Da schnackt es hanseatisch, parliert's en français und speakt es english, mal kribbelt es berlinerisch, und ab und zu ein Schuss italo-iberisch, hier eine Gruppe aus Korea, und dort ein Pulk japanischer Männer, die hier den Tag totschlagen, bevor sie am Abend wieder Teenager bumsen gehen.

Hinter dem Wat noch mehr Türmchen, Garudas und Filigrandekor, Grand Palace heißt das Ensemble im Renaissancerokokostil, dazu ein Schuss Ayutthaya und eine Prise Versailles. Das war einst der Königspalast, wurde Herrn Bhumipol aber zu eng und zu altmodisch, denn Majestät pflegen nicht nur in Öl zu malen und auf dem Cello Beethoven zu kratzen, sondern verstehen sich auch auf den Umgang mit Handy und Computer. So werden in diesem Royal Schuppen heutzutage nur noch ein paar angestaubte Zeremonien zelebriert. So muss beispielsweise der berühmte, aus Laos geklaute Jadebuddha, den nur der King persönlich befingern darf, zweimal im Jahr frisch gewindelt werden, Sommer- und Wintergewandung, und ich frage mich, wie heiß es hier noch zu werden gedenkt, wenn der grüne Jadegott bei momentan 33 Grad Abendhitze winterlich gekleidet ist, auf dass er nicht zu frösteln geruhe!


Mit dem Riesen-Wat und Palais Royal sind Bangkoks Sehenswürdigkeiten bei weitem nicht erschöpft. Wer von Wats nicht genug kriegen kann, wandert zum nächsten, die Stadt ist das reinste Watten-Meer. Wat Pho heißt das Ding gleich um die Ecke, dessen Attraktion eine Art Depot ist, das aber keinen Zeppelin, sondern einen knapp ebenso großen Buddhagiganten enthält, der, weil er stehend nicht reingepasst hätte, 45 m lang hingefläzt lächelnd Siesta hält, mit halbgeöffneten Augen, obwohl ihn doch sein eigener Goldglanz blenden müsste. Dass er nicht zur Ruhe kommt, liegt nicht allein an den Touristen, die ihn pausenlos umrunden und in allen Zungen kommentieren, sondern auch an den gottlosen Bonzen, die mit unzähligen blechernen Aschenbechern die ganze Umlaufbahn bestückt haben. Da schmeißen die Leute aber keine Kippen rein, sondern lassen mit Eifer in jede Blechbüchse Münzen reinklackern, und so rattert und scheppert es in dieser heiligen Halle wie in einer Zeitungsdruckerei, dass man es bis draußen hört. Dem Buddha dröhnen vermutlich die güldenen Riesenohren, um die ihn selbst langjährige deutsche Ex-Außenminister elefantbeneiden könnten, und weniger geduldige Heilige hätten da schon längst die Tische umgeschmissen und die Geldschinder aus dem Tempel vertrieben, wie es ein Palästinenser vor circa 2000 Jahren mal getan haben soll.

Auf dem Weg zum nächsten Wat machen die Beine unwillkürlich Halt vor einem Gärtlein an der Ecke einer überaus verkehrsreichen Kreuzung; die Blütenpracht umrahmt einen bronzenen Elefanten, bis zu den Schultern mit Blattgold bekleistert. Um einen Schrein mit einem vielarmigen hinduistischen Himmelswesen tanzen und singen ein paar Tantchen im glitterigen Thai-Tanzkostüm, geschminkt wie Michael Jackson, die Fingerspitzen graziös aufwärts biegend. Vom Gesang sind nur Tonfetzen zu vernehmen, der Rest geht unter im Aufheulen der Benzinkavalkaden vor der grün werdenden Ampel. Eine absurde Szenerie, diese Kombination von Tanzgrazie und Motorenorchester, von Räucherwerk und Auspuffqualm, von Gottesdienst und Businesslärm. tanzSpäter haben wir erfahren, dass hier Frauen, die an die Gottheit eine Bitte haben oder ein Anliegen, sich ein Tanzkostüm mieten, es im Hinterstübchen anlegen und die Gottheit mit Gesang und Tanz gewogen stimmen.

Das Wat Suthat enthält nicht nur eine weite, luftig-kühle Halle mit einem gewaltigen Sitzbuddha drin, sondern auch eine Mittelschule, aber die Kinder sind an Farangs gewöhnt und gucken nicht mal zum offenen Fenster, in das neugierige Touristen ihre roten Langnasen glotzend reinstecken, sondern repetieren lautstark im Chor das große Einmaleins auf Thai

Der dickste Phallus, der sich in Bangkoks smogdunstigen Himmel bohrt, gehört dem Wat Arun, dem "Tempel der Abenddämmerung". Uns gefiel diese Wuchtbrumme auch im hellen Morgenlicht. Der Chedi (Hauptturm) des Tempels, Anfang des 19.Jhs. auf 79 m Höhe aufgestockt, gleicht einem mexikanischen Riesenkaktus, in der Länge gerillt und mit spitzigen Figüren gespickt, und wenn man mit wackligem Knie die steilen Steinstufen bis auf die oberen Galerien raufkraxelt, hat man eine gradiose Aussicht auf Bangkoks spitzig-güldene Tempeldach-Skyline. 

chedi

Das Kurioseste am Wat Arun ist die Ornamentik, mit der das gesamte Steingebirge übersät ist: Es sind alles Porzellanscherben, in einem willkürlichen Puzzle zu neuem Glanz zusammengefügt. Daraus kann der Besucher aus der industrialisierten Welt die Lehre ziehen, dass Polterabende nicht zwangsläufig Umwelt und Müllabfuhr belasten und als Monte Scherbelino enden müssen, sondern sich zu Kulturgütern recyceln lassen. katzenUnd wenn man glücklich wieder unten ist, gewahrt man, dass Wat Arun augenscheinlich auch die Heimstatt einer unüberschaubaren Anzahl streunender Katzen ist ---- eine Siamkatze war allerdings nicht darunter.

Thailand, wie Japan und der Iran eines der raren außereuropäischen Reiche, die nie von Kolonisatoren ausgeplündert und verheert wurden, hat seine Historie und Tradition halbwegs heil in die Gegenwart gerettet. Vom benachbarten Erzfeind Birma sind zwar die alten Kapitalen Sukhotai und Ayutthaya nacheinander kaputtgeschlagen worden, aber welches Kulturreich hätte derlei Blessuren nicht zu beklagen? Wie in Asien üblich, wird die zerstörte Hauptstadt dann eben verlassen und an anderer Stelle noch glanzvoller und größer neu errichtet, und wenn der Zahn der Zeit, Krieg oder Katastrophen ein einzelnes Heiligtum plattmachen, denkt niemand daran, es als Ruine und Postkartenmotiv für spätere Generationen so kaputt stehen zu lassen, sondern man stellt es mit Hilfe der Scherflein der Gläubigen alsbald wieder im alten Glanz taufrisch auf. Kein Wunder, dass es in Bangkok keine antiken Ruinen zu besichtigen gibt, sondern es entzücken den staunenden Fremdling nur lebendige, von Mönchen und Pilgern bevölkerte, in Goldglitter gleißende Tempel, frisch wie gestern erst errichtet. Was aber die gierigen Land- und Goldräuber der Kolonisatoren, in Europa als kühne Entdecker gerühmt, in Thailand versäumt haben, das schaffen allmählich Armut und westliche Technik, indem sie Land und Volk um die verbliebenen Reste von Stolz und Würde zu bringen drohen. Die Städte werden förmlich eingeschwärzt vom Verkehrs- und Industrie-Dreck, städtische Gewässer fangen an, in der Hitze gen Himmel zu müffeln, durch den Dschungel fressen sich staubige Pisten, und über die Dörfer ziehen Mädchenhändler, die den verarmten Bauern, die Schulden abstottern müssen oder sich einen Farbfernseher anschaffen wollen, für ein Bündel Bargeld die Töchter abschwatzen. An jeder Sehenswürdigkeit fallen einzelreisende Herren Ausländer auf, ein zierliches Thai-Girl an der Hand haltend, das ihnen kaum bis zur Schulter reicht. An den stämmigen, februarweißen Beinen, die aus den Reiseshorts lugen, erkennt man, dass es sich nicht um ansässige Ehepaare handelt. Anders als die Japaner, die auch ins Bordell in geschlossenen Gruppen einmarschieren, chartern die europäischen Sexfreunde ihre Kuschelmädchen tageweise und nehmen sie aufs Sightseeing mit, ohne sich zu genieren. Wer ein wenig mit asiatischen Sitten vertraut ist, kann sich eine Vorstellung davon machen, welch ein Spießrutenlauf das Flanieren an der Hand eines kahlköpfigen Ausländers mit Bierbauch für die verkauften und vermieteten Mädchen vor den Augen ihrer schnell wegschauenden Landsleute sein muss. Bisher hatten sich diese Teens und Twens nur mit Syphilis und Tripper abzuplagen, aber inzwischen soll sich jede dritte mit Aids infiziert haben, und den Typen, die meinen, sich mit ihren Yens, Dollars und Euros das Recht erkauft zu haben, armer Leute Kinder zu schänden, wünsche ich aus ganzem Herzen das HIV-Virus in die Tülle. Ein Nebeneffekt dieser Geschichte: Ka achtet in der Stadt auf eine deutliche Distanz zu mir und trägt Reisetasche und Kamera demonstrativ zur Schau, aber auch mir wäre es peinlich, mit Ka an meiner Seite von irgendwem als Sextourist angesehen zu werden.

Wenn es dunkelt in Bangkok, verwandelt sich die weite Wiese zwischen Wat Phra Keo, Nationalmuseum und Universität, die Bangkoks Stadtzentrum darstellt, in einen Treffpunkt für Liebespaare, foodstanSchwarzhändler und deren Kunden. Da gibt's zollfreie Qualmstengel, importierte T-Shirts, Babywindeln, Kassettenrecorder und Pornoheftchen, dazwischen brutzeln an kleinen Imbissständen würzige Appetithappen, und nach kurzer Konversation in der internationalen Gebärdensprache duftet auch uns bald was Exotisches vor der Nase. Es geht natürlich auch eine Nummer vornehmer, in einem kleinen, zur Straße hin offenen, einladend mit frischem Fisch auf Eis dekoriertem Lokal. Hier erhält man auch Speisekarten, handschriftlich verfasst, nur auf Thai natürlich, aber mit dem linken Zeigefinger auf den leeren Bauch, mit dem rechten auf den dicken Butt gewiesen, da weiß auch der dümmste Koch, was er uns aufzutischen hat. Noch eine Nummer nobler? Haben wir auch. Das Bang Lamphu, das Denkmal der Demokratie, in diesem Königreich der Militärputschs wahrhaftig sehr sinnreich, steht hell erleuchtet in einem weiten Grünrondell, um das sich der Autolindwurm im Kreisverkehr bewegt. Der Platz ist so weitläufig angelegt, mit lauschigen Platanen und eingetopften Büschen ringsum, dass die Restaurants mit ihren weiß gedeckten Tischen im Freien der Atmosphäre von Romas Piazza della repubblica kaum nachstehen, es sei denn, man verlangt nach einem Tenor, der "Santa Lucia" oder "O sole mio" als Beilage schmettert. Stattdessen bekommt man hier mehrsprachige Speisekarten, Garnelenreis auf Ananas, Huhn in Thai-Curry mit Kokosmilch und ähnlichen Schmaus, und von Singha-Bier, frischen Lychees und Kokosmilch-Eis verwöhnt, gerät sogar Ka ins Schwärmen, dass Thailand in mancher Hinsicht das Italien Asiens sei. Ich kann ihr da nicht widersprechen. Wenn man aber richtig völlern und Bangkoks laue Abendlüftchen romantisch ums T-Shirt streichen lassen will, gibt's noch was Besseres: Man gehe zum River, wo man unfehlbar auf Restaurant-Boote stößt, die, mit Lampions schummrig beleuchtet, in der Dünung dümpeln. Das Essen ist lukullisch, alle Finessen asiatischer Kochkunst werden von hübschen Mädchen in Thai-Tracht artig lächelnd serviert, während am Horizont vor dem roten Abendhimmel die Silhouette des "Tempels der Abenddämmerung" dunkelt. Nur wenige Boote plitschern vorüber, vom Verkehrschaos ist nichts zu hören, die Brise weht Orchideenduft herüber....

watarun

 
Wo man in Bangkok auch speist, die Preise unterscheiden sich nur geringfügig voneinander. Vermutlich muss man nur dann vorher eigens Geld wechseln, wenn man ins Sheraton dinieren geht, aber das kann man in seiner Heimatstadt ebenso tun und braucht dafür nicht eigens bis nach Thailand zu reisen.

Eine fiese Stadt, dieses Bangkok! Die Busse scheinen sich heute überhaupt nicht an den Linienplan halten zu wollen, sondern biegen immer im falschen Moment in die falsche Richtung ab, jetzt hab ich's langsam dicke! Mit deren launigen Routen hatten wir kurz zuvor bereits genügend Bekanntschaft geschlossen! Bis man ans Ziel gelangt, ist der halbe Tag flöten, sind die Füße schwarz wie Lakritze und die Haare, am Morgen frisch gefönt, vom Kneist der City-Suppe verklebt. Wie verträgt sich das mit der Thai-Sitte, dass die Menschen jederzeit sauber und reinlich sein müssen? Selbst Tankwarte und Automechaniker entsteigen ihrem zweimaligen täglichen Bad so frisch gepellt, als seien sie nie mit Schmieröl in Berührung gekommen, und mancher Stadtstreicher sieht hier eher nach Orchideenduft aus als nach Parkbank oder Gulli. Wir wollen möglichst schnell raus aus dem Mulk der Großstadt, checken bei den internationalen Vermietern nach einem Leihwagen, aber die wollen für 2 Wochen satte 21,000 Baht. Dafür könnte man ja glatt einem Bauern sein Töchterlein abkaufen! Andere Vermieter sind eingegangen, sehen allzu einheimisch aus oder gleichen einem Autofriedhof. Bei einer nationalen Firma kriegen wir aber eine klimatisierte Kalesche für nur 10,000 Baht, und einen Tag später töffeln wir mit, mittenmang im hupenden Ozean, irren durch das hitzeflimmernde Einbahnstraßenlabyrinth, den Stadtplan auf den Knien, bis wir endlich, endlich, den Moloch und seinen Duft der weiten Welt hinter uns wissen und auf einer breiten, autobahn-ähnlichen Ausfallstraße nach Norden brausen, hinein in das Land, in dem der Pfeffer wächst! Gepriesen seien Nikolaus Otto, Rudolf Diesel und Gottlieb Daimler, sie haben uns Flügel verliehen!

 

weiterhome