①
Zu
Beginn des Sommers im folgenden 14.Jahre Bunmei (1482) bezwang Inuta
Kobungo, der durch das Land Echigo streifte, einen wilden Stier.
Seit dem Herbst des Vorjahrs logierte Kobungo auf seinen Wanderungen
durch die Lande in Ojiya im Distrikt Kariha in Echigo im Gasthaus
Ishikameya. Dessen Gastwirt Jidanda war zugleich der Dorfrichter und
ein großer Anhänger des Sumô-Ringkampfs. Als Kobungo
dort übernachtete, kam das Gespräch von Kobungos stattlichem, einem Ringer gleichen
Körperbau auf den Sumô, wofür sich beide
gleichermaßen begeistern konnten. Als er hörte, dass Kobungo
kein spezielles Ziel habe, bat ihn der Wirt inständig, doch
wenigstens bis zum Frühjahr in seinem Haus zu bleiben.
Ringkämpfer Kobungo
Am 9.Tag des 4.Monats fand in dem Dorf Shiotani, von Ojiya aus
drei Meilen jenseits des Flusses Chikumagawa gelegen, ein
Stierkampffest statt. Es ist ein alter Brauch dieser Gegend, den man
auch "Stierwettkampf" oder "Hörnerpacken" nennt; die
Stierkämpfer tragen einfarbig tiefblaue Kampftracht,
die man Yamagi-Hosen nennt, und müssen hellrote
Bänder, die an den Hörnern der Stiere festgeknotet sind,
herunterreißen. Das ist das Ziel des Wettkampfs.
An dem Tag des Wettkampfs war nicht nur die Arena von Zuschauern
gesäumt, sondern auch die Anhöhen der Umgebung und alle
Bäume waren mit Hunderten von Leuten besetzt.
In diesem Jahr hatte der Gastwirt Jidanda Geschäfte und konnte
nicht mitkommen, aber er forderte Kobungo auf, hinzugehen und sich das
Spektakel nicht entgehen zu lassen; er gab ihm seinen Angestellten
Isokurô als Führer mit.
"Iso, lass dich nicht so sehr gehen, dass du dich mit Sake
betrinkst!", gab Jidanda seinem Bediensteten mit auf den Weg, als
sie das Gasthaus verließen.
Nach der Überquerung des Chikumagawa wand sich der Weg
immerfort aufwärts ins Bergland, und hier und dort standen
schon die Bergkirschbäume prächtig in Blüte, aber oben,
wo der Weg allmählich das Ackerland erreichte, lagen an schattigen
Stellen noch weiße Placken von Schnee.
Auf einem Platz, der eine Senke inmitten der Berge bildete, wimmelte es
von Leuten - woher waren die alle gekommen? Teestände,
Imbissbuden, ja sogar Spielzeugläden und
Getränkehäuschen waren aufgebaut, es glich einem lebhaften
Schreinfest.
Während Kobungo die selbstgefälligen Erläuterungen des
Isokurô über sich ergehen ließ, genoss er den Anblick
der Kampfstiere, die er zum ersten Mal in seinem Leben sah. Auch das
kaum je zuvor erlebte Festtreiben ringsumher machte ihm Spaß.
Aber jenes weiße Gesicht unter den vielen hundert Gesichtern der
Leute, das nicht auf den Stierkampf, sondern nur auf Kobungo achtete,
bemerkte er nicht.
Durch eine Unruhe, die kurze Zeit später auf dem Festplatz entstand, wurde
Kobungo aus seinem Vergnügen gerissen. Ein Stier war wild
geworden. Es war der große schwarze Stier des Mannes, der heute
beim Hörnerpacken gesiegt hatte. Der Sieger war dabei, ein Triumphlied
anstimmend den Platz zu verlassen, als sich der Stier, wer weiß
weshalb, plötzlich von dem Halfter losriss und fortrannte. Er hielt
die Hörner gesenkt wie ein Nashorn und stürmte blindlings in
die Menschenmenge hinein. Von den Hörnern erfasste Frauen und
Kinder flogen durch die Luft, Stände und Buden wurden umgefegt...
Kaum erkannte Kobungo, was da los war, sprang er blindlings hinüber. Den
Stier, der in vollem Lauf direkt auf ihn zugeschossen kam, packte Kobungo mit
beiden Händen an den Hörnern; seine Muskeln an Schultern und
Armen wurden zu Eisenklammern, seine Füße rammten sich in
den Boden, sein ganzer Leib lief rot an, und schließlich stieg
von ihm eine Art flimmernde Hitze auf - der Stier rührte sich
nicht mehr. Genauer gesagt, er konnte sich nicht rühren. Die
Stierkämpfer kamen zuhauf angerannt, hielten die Beine des
Stiers fest und beruhigten das Tier.
Kobungo bezwingt den wilden Stier (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
Aus den Scharen der Zuschauer, denen gerade eben minutenlang der
Atem gestockt hatte, brandete endlich ein gewaltiges
Beifallsgeschrei auf,
doppelt so laut wie zuvor während der Stierkämpfe.
Am Abend wurde Kobungo von Kakurenji,
dem Besitzer des Stiers, nach Hause eingeladen und dazu gedrängt,
zum Bankett zu bleiben. Es war ein recht ansehnliches Anwesen, und mehr
als zehn Teilnehmer des Kampffestes waren auch gekommen. Einer nach dem
anderen pries Kobungos beherztes Eingreifen und stieß mit ihm an.
Obendrein bekam Kobungo zehn kan in Eiraku-Münzgeld und fünf Klafter Seidenkrepp als Dank für seine Tat offeriert.
Das in Japan Eiraku
Tsûhô genannte Münzgeld wurde seit 1411 in China
hergestellt. Es sind aus einer Kupferlegierung gegossene Münzen mit einem Loch in
der Mitte, die im 15.Jh. durch den regen Handel mit China in
großen Mengen nach Japan gelangten und dort im Alltag als Bargeld
verwendet wurden. Sie wiesen keinen Nennwert auf, trugen aber die vier
Schriftzeichen Eiraku Tsûhô, auf Chinesisch Yongle Tongbao.
Ihr Guss (nicht Prägung!) erfolgte unter Kaiser Yongle der
Ming-Dynastie. Die Münzen waren in der Tat für den
Außenhandel gedacht; im Binnenhandel Chinas wurden
Silbermünzen und Papiergeld verwendet.
Zum Begriff kan und Abbildung der Münzen vgl. Anfang Kapitel 6.
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Kobungo lehnte die Gaben ab, aber man sagte ihm, es sei ein Brauch seit
alter Zeit. Kobungo sträubte sich weiterhin und sagte, er sei ein
Fremdling aus einem anderen Land. Überdies sei er todmüde und
bitte darum, sich schlafen legen zu dürfen. Diese Bitte
erfüllte man ihm.
In einem anderen Saal trank sein Begleiter Isokurô mit den
Stierzüchtern; er hatte gehört, dass Kobungo die
Gaben ablehnte.
'Das ist doch unsinnig; wenn es Brauch ist, solche Gaben zu erhalten,
sollte man sie auch annehmen. Wenn ich ohne die Geschenke
zurückkehrte, würde ich von meinem Herrn gescholten', befand
er, obwohl diese Logik nicht sonderlich einleuchtend war. Genau wie sein
Herr Jidanda beim Fortgehen treffend gesagt hatte, neigte er bei
übermäßigem Sakegenuss tatsächlich dazu, den
klaren Kopf zu verlieren.
'Wenn ich Kobungo nach seiner Meinung fragte, würde er mich sowieso davon
abhalten; also lasse ich mir die Geschenke geben und gehe noch in der
Nacht, etwas früher als er, nach Ojiya zurück', beschloss er.
In einer so kalten Nacht mehr als drei Meilen Weg durch die Berge...
Nun, den Weg kannte er ja. Und heute, am 9.Tag, würde der Mond
scheinen. Keine Sorge, sprach er sich selber Mut zu.
Im Flur lagen unbeachtet die Münzen und die Gaben, die eigentlich für Kobungo gedacht, von ihm aber abgelehnt
worden waren. Es wird schon in Ordnung gehen, wenn ich sie mitnehme,
dachte Isokurô, lud sich die Körbe mit einer Tragestange auf
die Schulter und verließ bald darauf das Anwesen.
Auch Isokurô war eigentlich ein Ringkämpfer, weshalb seine
zunächst vom Sakegenuss wackeligen Beine unter der Last
überraschend sicher standen; dazu bewirkte seine Trunkenheit, dass er etwa zwei Meilen des Bergwegs kraftvoll und flott
bewältigte. Im Mondlicht glitzerten hier und da helle Schneereste,
aber bei seinem schnellen Schritt unter der Last bis hierher fing er
doch an zu schwitzen. Nahe dem Dorf Aikawa setzte er zum ersten Mal
seine Last ab, zog ein Tüchlein aus der Tasche und wischte sich
den Schweiß von der Stirn.
Tragestange mit zwei Körben, wie sie Isokurô verwendet hatte
Da hörte er eine Frauenstimme.
"Hilfe! .... Hiiilfe!!! .... Helft mir doch!!!"
Verwundert blickte er sich um. Sowohl auf dem Weg vor und hinter ihm
als auch auf den Feldern der Umgebung war nicht einmal ein menschlicher
Schatten zu sehen.
"Helft mir!! ... Irgend jemand !!! ... Hier bin ich!!!", tönte das verzweifelte Rufen aufs Neue.
Schnell merkte Isokurô, dass der Ruf aus einer Schneegrube kam.
In dieser Gegend pflegten die Leute im Winter Gruben in den Schnee zu
schaufeln, um sich darin zu verbergen, wenn sie Vögeln oder Hasen
mit Bambusspießen auflauerten. Er schaute sich aufmerksamer um
und erblickte unter einem dicken Baum am Wegesrand einen
großen Haufen Altschnee, aus dem die Rufe herauszukommen
schienen. Er lief hin. Konnte er etwas ausrichten? In dem Haufen war
eine Schneegrube, auf deren Boden sich der Schatten einer Frau abstrampelte.
"Was ist denn los?"
"Ich bin heute als Zuschauerin zum Stierkampf nach Shiotani gegangen,
aber auf dem Rückweg in dieser Gegend von der Dunkelheit
überrascht worden und in die Grube gefallen. Und so sehr ich
bisher auch geschrien habe, niemand ist mir zu Hilfe gekommen. Ich bin
schon fast erfroren, helft mir, schnell!"
Es wird eine Bäuerin aus den umliegenden Dörfern sein, dachte Isokurô.
"Schon gut, ich hole dich raus. Einen Augenblick!"
Er sah sich um, fand aber nichts Geeignetes. Also löste er
die Körbe von der Tragestange, die er bis hierher geschultert
hatte, und stellte die Stange in die Grube.
"Halt dich gut dran fest. Alles klar? Ich ziehe dich hoch.... Aaaaah....!"
Mit einem Aufschrei stürzte Isokurô in die Grube und
knallte auf den Boden. Er war samt der Stange von unten her
hineingezogen worden. Und nicht nur das; kaum war er angekommen, fuhr
ihm ein Dolch in die Hüfte.
"Du willst mich wohl...!", rief er unter Schmerzen und rang mit der
Frau auf dem Boden der engen Grube, bis sie unter ihm lag.
"Wer bist du? Was hast du? Los, antworte, sonst trete ich dich hier
tot!", drohte Isokurô zornig, stieß aber einen neuen,
furchtbaren Schrei aus. Diesmal hatte ihn vom Rücken bis zur Brust
ein Speer durchbohrt. Dies war die Tat eines Schattens, der aus seinem Versteck hinter dem dicken Baum hervorgekommen war.
"He, bist du unverletzt?", fragte er, ohne den Speer aus Isokurôs
Leib herauszuziehen. Vom Boden der Schneegrube kam nach einer Weile die
Antwort:
"Der ist anscheinend verreckt. Jee, das war für mich
gefährlich! Um ein Haar wäre ich auch draufgegangen. Ich bin
auch voller Blut. Mach, dass du mich rausholst!"
Der Schatten zog endlich den Speer heraus und streckte ihn dann erneut
in die Grube. Daran kam der Schatten einer Frau heraufgeklettert.
Keuchend Atem holend, warf sie einen Blick zurück und
murmelte:
"Schade, dass es nicht Inuta Kobungo war!"
"Na ja, der kommt beim nächsten Mal dran. Dass wir aus
Leibeskräften hier hergelaufen sind und dem Kerl aufgelauert haben, hat
sich trotzdem gelohnt!", griente der männliche Schatten mit Blick
auf die am Wegrand stehenden Körbe voller Münzgeld und Geschenke.
Bald darauf verschwanden die beiden Schatten mit ihrer Beute im Dunkel
des Waldes wie zwei Fledermäuse unter dem kalten Mond einer
winterlichen Nacht.

②
Als
anderntags Kobungo aus Shiotani nach Ojiya zurückkehrte, wurde
erstmals offenkundig, dass Isokurô, der schon vor ihm in der
Nacht aufgebrochen war und längst da sein müsste, noch
nicht angekommen war. Die Aufregung war groß.
Es wurde Abend, bis man bei der Suche in den Bergen seinen Leichnam in
jener Schneegrube fand. Kobungo hielt sich den Kopf und rief: "Oooh,
das tut mir ja so leid! Den Stier habe ich festgehalten, bin aber
mitschuldig, dass Isokurô zu Tode kam!"
"Mit Euch hat das nichts zu tun. Ich hatte ihm doch so sehr
eingeschärft, nicht so viel Sake zu trinken! Es ist ein
Unglück, das Iso, dieser Schafskopf, sich selbst eingebrockt hat", brummte Jidanda, wiegte aber nachdenklich den Kopf.
"Eine Schneegrube, die der Jagd auf Getier und Geflügel dient,
zu nutzen... Das war kein gewöhnlicher Raubüberfall...!"
Kobungo sah zwar zu, wie die Bediensteten des Gasthauses Ishikameya in
alle Richtungen ausschwärmten, um zu dem
Mord an Isokurô Zeugen zu finden und Erkundigungen einzuziehen, blieb selbst jedoch mehrere
Tage lang untätig. Als Fremder aus einem anderen Land stand es ihm
einerseits nicht an, herumzulaufen und Leute zu befragen, aber
andrerseits wurde er auch von schrecklichem Muskelkater in Schulter und
Armen geplagt. Es war zweifellos eine Folge seines Kampfes mit dem
Stier. An jenem Tag bis zum andern Morgen hatte er nichts Besonderes
verspürt, aber seit dem dritten Tag wurden die Muskeln seines
Oberkörpers hart wie Bretter und schmerzten so, dass er nachts
kaum schlafen konnte.
Jidanda machte sich Sorgen, rief einen Arzt und ließ ihn Salben auftragen, aber nichts half.
Gegen Abend des siebten Tages danach, als Kobungo auf dem Tatamiboden
des hinteren Wohnraums saß und und mit beiden Händen am
Boden vor Schmerzen ächzte, erreichten aus der Ferne
Shamisenklänge und der Gesang eines wehmütigen Liedes sein
Ohr. Die Worte waren nicht alle genau zu verstehen, aber sie lauteten
etwa so:
Ach, ach, ich singe dies für dich.
Getrennt von Mann, getrennt von Kind,
möcht ich zurück nach Shinoda,
das ist mein Herzenswunsch....
Kobungo wusste, dass es eine fahrende Sängerin war, die seit Ende
des vergangenen Jahres in dieser Gegend umherstreifte. Obwohl sie blind
sind, pflegen diese für die Nordlande typischen Künstlerinnen mit
ihrer Shamisen von Tor zu Tor zu gehen, und wenn es jemand
wünscht, werden sie auch als Masseusen tätig.
Fahrende Sängerin mit dem Saiteninstrument Shamisen
Eine Magd, die gerade bei Kobungo anwesend war, meinte:
"Wie wäre es, wenn Ihr diese Frau riefet und Euch massieren ließet?"
"Hmmm...."
"Einige andere Gäste des Hauses wollen auch massiert werden; sie soll sehr geschickt sein."
"Na gut, dann lass sie auch zu mir kommen."
Etwas später kam die blinde Künstlerin, von jener Magd
geführt, zu Kobungo herein. Im Dämmerlicht der Laterne drehte
Kobungo seinen steifen Hals ein wenig zu ihr hin und sah sie kurz an,
aber sie hielt in der Hand ihre Shamisen und trug einen breiten
Strohhut, ein Kopftuch und überdies eine schwarze Binde über den Augen. Sie mochte eine Frau um die vierzig sein.
Nach kurzen Begrüßungsfloskeln ging sie hinter Kobungos
ihr zugewandtem Rücken auf dem Boden in die Knie und begann, seine
Schulter zu massieren.
"Sind Eure Muskeln hier verhärtet?"
"Ja, hier. Und da auch..."
In diesem Augenblick verspürte Kobungo unter seinem linken
Schulterblatt einen scharfen Schmerz. Er griff mit seinen gewaltigen
Armen hinter sich, zerrte die Frau vor sich und drückte sie zu
Boden. In einer ihrer Hände, die durch die leere Luft fuchtelten,
blitzte ein Dolch. Mit einer Hand entriss Kobungo ihr den Dolch und
zog ihr das Tuch vom Gesicht. Sie hielt ihre Augen geschlossen.
"Wer bist du? Was hast du gegen mich?", wollte Kobungo gerade fragen, als ihm ein Laut der Überraschung entfuhr.
"Du bist das! Dieses Weib...., ach ja, das Weib, das Funamushi heißt!"
Funamushi mit Mordwaffe
Wäre das Opfer nicht Kobungo gewesen, dann hätte ihm der Dolch vom wehrlosen Rücken her mit
Sicherheit das Herz durchbohrt. Aber in dem Augenblick, in dem ihr
Dolch auf seine Muskeln traf, wurden sie eisenhart und ließen
die Klinge abprallen, und unwillkürlich hatte Kobungo das
Weib zu Boden gedrückt. Aber Blut floss trotzdem jede Menge. Ohne
darauf zu achten, war Kobungo höchst verblüfft.
Genau. Vier
oder fünf Jahre war das jetzt her. Da hatte er in Musashi den
Räuber Namishirô erschlagen und war von dessen Weib,
nämlich dieser Funamushi, in eine Falle gelockt worden. Er selbst
war mit Mühe entronnen, und dieses Weib hätte gefangen
genommen werden müssen, war jedoch, wie er später erfuhr, durch dunkle Hände freigelassen worden und davongeflattert.
"Dieses Weib Funamushi.... --- Wie kommst du dazu, dich in dieser Gegend in Echigo herumzutreiben?"
Diese Frau hatte in den Jahren zwischen ihrem Verschwinden aus Musashi
und ihrem Wiederauftauchen in Echigo noch eine fatale Begegnung mit
anderen Hundekriegern in Akaiwa im Lande Shimotsuke gehabt, aber davon
wusste Kobungo nichts.
"Mörder meines Ehemanns!...Mörder meines Gatten!", schrie
Funamushi, die Augen noch immer geschlossen. War sie
tatsächlich blind geworden?
Auf ihr Geschrei hin kam der Wirt Jidanda mit einigen Angestellten
herbeigelaufen. Nachdem sie erfuhren, was geschehen war, wurde Jidanda
zornig.
"Dieses Weib ist ein abscheuliches Luder!"
Sie banden Funamushi mit einem groben Strick an einen Baum im Garten.
"Bringt mich doch um, wenn ihr unbedingt wollt!", brüllte
Funamushi weiter, an ihren Fesseln zerrend. "Wegen diesem Kerl ist mein
Mann ums Leben gekommen. Wenn er mich auch noch tötet, wird er
den Tod beider Eheleute auf dem Gewissen haben. Das wird ihn sicherlich
zufrieden stellen. Los, bring mich um!"
"Was kreischst du so, du Fuchsweib!"
Einer der Angestellten versetzte ihr einen Hieb mit einem biegsamen Bambusstecken.
Funamushi
Jidanda baute sich vor ihr auf und schrie sie an:
"He, dass du hier angebunden bist, kommt davon, dass du versucht hast,
einen geschätzten Gast meines Hauses zu ermorden. Aber ich will
dich noch etwas fragen. Unter den Jägern dieser Gegend gibt es
einen Kerl namens Shutenji. Der hat schon länger lauter Halunken
um sich geschart, die nicht mal dazu taugen, bei mir zu arbeiten, und
bringt ihnen die Jagd bei. Angeblich. Aber wie ich das sehe, gehen sie
nicht nur auf Jagd, sondern begehen auch eine Menge Schandtaten. Seit
letztem Herbst sollen sie auch eine Frau in ihrer Bande haben.
Kann es sein, dass du das bist?"
"Ich habe keine Ahnung, wovon du redest."
"Vor ein paar Tagen ist mein Angestellter Isokurô umgebracht
worden. War das etwa nicht die Räuberbande des Shutenji? Die
Methode, jemanden in eine Schneegrube zu werfen und umzubringen, riecht
mir stark nach Jägerart!"
"Ich blinde Frau sollte mich mit solchen Leuten abgeben?" Funamushi schüttelte den Kopf.
"Bist du wirklich blind?" Jidanda sah sie scharf an. "Woher weißt
du denn als blinde Frau, dass der Gast, der hier logiert, Inuta Kobungo, der
Mörder deines Ehegatten, ist?
"Das ist, also.... Ich habe gehört, dass der Mann, der beim
"Hörnerpacken" in Shiotani den wild gewordenen Stier festgehalten
hat, Inuta Kobungo heißt und im Gasthaus Ishikameya wohnt."
Jidanda wusste einen Augenblick nichts zu entgegnen.
"Zeig mal."
Er beugte sich zu ihr nieder, streckte beide Hände aus und zog ihre
verschlossenen Augenlider auseinander. Im abendlichen Dunkel waren ihre
Augäpfel beide vollkommen weiß. Nur eine Art silbriger Schimmer glänzte aus ihnen hervor.
"Hach, jedenfalls hat es
diese fahrende Sängerin faustdick hinter den Ohren. Wenn man ihr
ein bisschen weh tut, wird sie schon reden. Schlagt sie mal!"
Anstelle des wütend aufspringenden Jidanda droschen zwei seiner Bediensteten mit Bambusstecken auf sie ein.
"Bringt mich nur um, bringt mich nur um!", heulte Funamushi weiter und
wand sich unter den Schlägen, dass das Seil schier reißen
wollte. Sie war zwar nicht mehr ganz jung, aber noch immer recht
hübsch, und jetzt kam noch ihre schreckliche Pein hinzu. Kobungo
konnte die Folter nicht weiter mit ansehen und sagte den Angestellten:
"He, lasst es für heute damit gut sein! Dass sie mich als den
Mörder ihres Mannes angegriffen hat, kann man, je nach Sichtweise,
auch als heldenhafte Tat betrachten."
"Ja, das stimmt."
Jidanda schlug die Hände zusammen, denn er hatte einen Einfall.
"Wir sollten sie dem Gericht des Drachengottes überantworten."
"Dem Gericht des Drachengottes?"
Jidanda
erklärte, dies sei hier in Ojiya ein uralter Brauch der
Privatjustiz. Jenseits des Flusses Chikumagawa, von hier aus etwa ein Kilometer entfernt,
steht abseits der Wege am Fuß der Berge eine verlassene
Tempelhalle namens Kôshindô. Sie ist schon hunderte von
Jahren alt, enthält keine Buddhastatuen mehr und ist reichlich
verfallen, aber ein Dach hat sie noch. Wenn man der Ansicht ist, dass
jemand eine schlimme Tat begangen hat, sie aber nicht gesteht, und auch
die Beweise nicht ausreichen, bringt man den Verdächtigen dorthin
und hängt ihn fünf Tage lang gefesselt an einen Dachbalken.
Wenn er in der Zeit gesteht, ist der Fall klar, wenn er stirbt,
wird er in den Fluss geworfen, und wenn er die fünf Tage
überlebt, wird er auch ohne Geständnis freigelassen.
Kobungo runzelte die Stirn, denn das war ein grausamer Brauch. Aber
dieses Weib war keine unschuldige Frau. Sie verbarg etwas, da
pflichtete sein Gefühl Jidandas Anschuldigung bei, weshalb er die
Leute ihr Gottesurteil ausführen ließ.

③
Nach
Einbruch der Nacht stopften der Wirt Jidanda vom Hause Ishikameya und
seine Leute der Frau einen Knebel in den Mund, warfen sie gefesselt,
wie sie war, in eine Sänfte und brachten sie zu der Halle
Kôshindô am Fuß des Berges. An einem Dachbalken im
Innern hängten sie sie auf. Es war üblich, nur tagsüber
herzukommen und das Verhör fortzusetzen, des Nachts aber die
Delinquenten sich selbst zu überlassen.
Sie nahmen ihr nur den Knebel ab, und dann konnte Funamushi nur noch den Fackeln der sich lärmend entfernenden Männer nachblicken.
"So ein Mist!", flüsterte sie ins Dunkel hinein. Ja, sie blickte
den Männern tatsächlich nach. In der Dunkelheit hatte sie
ihre Augen geöffnet. Ihre "Blindheit" war nur ein Trug gewesen.
Dass sie vorher trotz der Prügel, die sie bezogen hatte, ihre
Augen geschlossen hielt, zeugt von der Willensstärke dieser Frau,
von ihrer Durchtriebenheit.
"Jetzt schaut nur her, Jidanda! ...und Kobungo!"
In der Luft hängend, zappelte und strampelte Funamushi wie
irre, aber das Seil, mit dem sie mehrfach umwickelt und am Rücken
aufgehängt war, gab natürlich nicht nach. Und selbst wenn es
risse, hing sie mit den Füßen in einer Höhe von mehr
als zwei Metern über dem Fußboden, und falls sie von da
herabstürzte, würde sie schwerlich unverletzt bleiben.
Funamushi aufgehängt am Deckenbalken (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
Durch
die halboffene Eingangstür und Lücken in den Holzwänden
fiel das Vollmondlicht der Zeit um den 15.Tag herein, und der vom Berg stetig
herniederwehende Wind brachte an etlichen Stellen Spinnweben zum
Schaukeln; auch Funamushis eigener Schatten schwankte wie ein
Gespenst an der gegenüberliegenden Wand auf und ab. Dass man
dieses Gottesurteil "Gericht des Drachengottes" nennt, rührt
daher, dass die von der Decke herabhängende menschliche Gestalt
einem durch den Himmel fliegenden Drachen gleicht.
Selbst ein Weib wie Funamushi fiel vor Furcht und Schmerzen in eine Ohnmacht.
Bei
dem in Japan in alter Zeit geltenden Mondkalender hatte jeder Monat 30
Tage, und die Monatsmitte, also der 15.Tag, war immer der Tag des
Vollmonds. Damit das Jahr aber den Tierkreiszeichen entsprechend
zwölf Monate hatte und der Neujahrstag mit dem Frühlingsbeginnübereinstimmte,
wurde etwa alle sechs Jahre vom Kaiserhof ein
Schaltmonat dekretiert, um die Jahr für Jahr übrigen
fünfeinviertel Tage auszugleichen. Unser Neujahr liegt mitten im
Winter; in Ostasien fällt das traditionelle Neujahrsfest auf den
Februar unsres Kalenders, weshalb man zu den japanischen Angaben
durchschnittlich zwei Monate hinzuzählen sollte. Der 10.
Monat entspricht also in etwa unserem Dezember.
|
Wie viel Zeit mochte wohl vergangen sein? Durch ein Knarren der Bohlen
kehrte Funamushis Bewusstsein zurück. Durch die halbgeöffnete
Tür war der Rücken eines Mannes zu erkennen, der
draußen auf dem Bohlengang saß. Mit einem Handtuch rieb er
sich den Nacken. Es war allem Anschein nach ein vor der Halle
vorübergekommener Reisender, der auf seiner nächtlichen
Wanderung ins
Schwitzen gekommen war und hier Pause machte. Die Bohlen waren so morsch, dass sie schon beim Niedersetzen knarrten.
Funamushi wartete noch einen Augenblick, dann rief sie mit schwacher Stimme:
"Hallo! Herr Reisender, helft mir bitte!"
Der Mann drehte sich überrascht um, stand dann aber auf und betrat das
Innere der Halle. Er war ein furchtloser Mensch. Er schritt voran, sah
zur Decke, von wo das Mondlicht wie ein dünner Nebel durch die
Ritzen fiel, und rief dann erstaunt:
"Was ist denn hier los?"
Er blickte sich um und fand sogleich die Leiter, die verwendet worden
war, um Funamushi aufzuhängen, lehnte sie an den Dachbalken und
durchschnitt das Seil.
"Was haben sie mit dir gemacht?", fragte er in noch immer verwundertem Ton.
Funamushi, die der Mann auf den Boden gelegt hatte, konnte kaum stehen
oder sitzen. Ihr schwarzes Haar war gelöst, und sich mit beiden
Händen abstützend richtete sie ihren verkrümmten
Oberkörper mühsam ein wenig auf.
"Ich bin dem
Gericht des Drachengottes überantwortet worden. Leute, die etwas
Schlimmes getan haben und nicht geständig sind, hängt man
hier fünf Tage lang auf, bis sie gestehen. Es ist eine Bestrafung, die in dieser Gegend Brauch ist", sagte sie. "Aber ich
kann mich nicht erinnern, je etwas Böses getan zu haben. Ich bin
eine Frau von hier und heiße Funamushi. Ich habe vor Kurzem
meinen Mann verloren. Ich war im Gasthaus in Ojiya angestellt, und der
Wirt machte sich gleich an mich heran. Als Vergeltung für meine
Weigerung bezichtigte er mich, für den Verlust eines
Silberbarrens aus dem Kasten seines Tuschereibsteins verantwortlich zu sein. Ich wurde
verprügelt, um es zu gestehen, und schließlich diesem
Gericht des Drachengottes unterzogen...."
"Hohooo..."
"Wenn Ihr mich jetzt nicht errettet hättet, wäre ich bestimmt hier zu Tode gekommen."
Sie war eine gut aussehende Frau, und eine solche Züchtigung
erschien dem Mann ungerecht und grausam. Jedem Menschen von klarem
Verstand musste eine solche Strafe unmenschlich und unzulässig
vorkommen.
Die Frau sagte, sie habe einen Bruder. Ein armer Jäger, aber ein guter
Schütze; mit seinen Lehrburschen und anderen Jägern habe er
sich kürzlich zusammengetan und lebe mit ihnen in einem
unbewohnten Tempel etwa eine halbe Meile von hier. Dorthin wolle sie
zurückkehren. Wo der fremde Herr denn die Nacht verbringen wolle, fragte sie
weiter. Wenn er nach Ojiya ginge, gebe es dort kein Gasthaus, das ihn
aufnähme. Er könne aber mit ihr zu ihrem Bruder mitkommen,
wo ihm für seine Hilfe auch gebührender Dank zuteil
werde.
Sie versuchte aufzustehen, aber die Beine versagten ihr den Dienst. Sie
wankte und klammerte sich im Fallen an den Mann. Der sagte:
"Gut, ich trage dich bis dorthin."
Seine Gewandung war zwar von Wind und Regen zerzaust, aber er war jung und
kräftig, ein Samurai von wagemutigem Aussehen, der Funamushi mit
Leichtigkeit auf den Rücken nahm und, ihren mündlichen
Anweisungen folgend, den mondhellen Bergpfad mühelos eine halbe
Meile weit hinanstieg.
Als sie bald darauf den herrenlosen Tempel erreichten, ertönte aus
der einstigen Priesterwohnung der Lärm sakebezechter
Männer, obwohl die Nacht schon weit fortgeschritten war. Auf den
Ruf der Frau hin erschienen einige Burschen.
"Herr Bruder, mir ist etwas Übles zugestoßen!"
Der angesprochene vollbärtige Hüne machte ein erschrockenes Gesicht.
"Die Leute des Ishikameya haben mich dem Gericht
des Drachengottes unterzogen und in der Kôshinhalle
aufgehängt, aber dieser reisende Herr Samurai hat mich gerettet."
"Was, die vom Ishikameya?", brüllte der Bruder.
"Dies ist mein Bruder Shutenji", stellte Funamushi ihn vor.
Näheres würde sie später erzählen, sagte Funamushi.
"Geleitet den Herrn erst einmal zu den Tischen und setzt ihm Sake vor!"
Der Samurai wehrte ab, er wolle keinen Sake trinken; es sei
ausreichend, ihn eine Nachtruhe zu vergönnen. Über den
verfallenen Bohlengang führte Shutenji ihn in ein Gemach im Innern
des Tempels.
Shutenji war nicht Funamushis Bruder, sondern ihr Ehemann. Ein
Jäger und obendrein der Hauptmann einer Räuberbande.
Räuberhauptmann Shutenji, Funamushis "Bruder"
Bei
Funamushi, die vor zwei Jahren zusammen mit Komiyama Ittôta aus
dem Dorf Akaiwa entkommen war, handelte es sich um ebenjene Frau, die
mehr als zwanzig Jahre zuvor, als Ittôta noch zweiter Burgvogt
des Hauses Chiba war und den ersten Burgvogt Aihara Tanenori mithilfe einer
Intrige erschlug, die Gelegenheit genutzt hatte, um die Schätze
des Fürstenhauses Chiba, die Bambusflöte Arashiyama und die berühmten Schwerter Ozasa und Rakuyô,
zu rauben. Dass Funamushi die weibliche Hälfte des Täterpaars war, wusste
Ittôta nicht. Ittôta wusste es nicht, aber Funamushi wusste
es. Aus Furcht, dass Komiyama Ittôta es irgendwann einmal
herausbekommen könnte, hatte sie ihn mit Sake betrunken gemacht
und dann das Weite gesucht. Von da aus kam sie in das Land Echigo, und
als sie im Herbst des vergangenen Jahres durch dieses Bergland kam,
traf sie auf die Räuber, wurde überfallen und ausgeraubt. Der
Räuberhauptmann Shutenji erlag jedoch Funamushis grenzenloser
Verführungskunst und behielt sie seitdem als Ehefrau bei sich.
Zwischendurch hatte sie zwar zeitweilig auch der Schwertmeister Ikkaku zur Gemahlin genommen, aber ursprünglich war sie schließlich die Frau eines Räubers in Musashi gewesen. Sie war eine
giftige Phaläne der Finsternis, und dies passte wohl trefflich zu
ihrem natürlichen Wesen. In Ojiya verkleidete sie sich als fahrende
Künstlerin und streifte durch die Dörfer der
Umgebung, betätigte sich als Masseuse und als Hure, hielt Ausschau
nach Häusern oder Reisenden, die nach Vermögen aussahen, und
meldete sie dem Shutenji. Das Räuberpaar, das vor einigen Tagen
den vom Stierkampffest zurückkehrenden Isokurô ermordet und
ausgeraubt hatte, waren Shutenji und Funamushi gewesen.
Selbstverständlich war es Funamushi, die Kobungo entdeckte, als er
zum Besuch des Stierkampffestes kam, und erschrak. Danach schlich sie
Kobungo nach, und das Verbrechen an Isokurô war nur dadurch zustande gekommen, weil sie hinter Kobungo her
gewesen war. Dort konnte sie sich nicht direkt an Kobungo rächen, aber
gestern war ihr unverhofft die einzigartige Gelegenheit in den Schoß gefallen,
Kobungo zu massieren und ihm den tödlichen Dolch in den
Rücken zu stoßen, aber das war letztendlich wie
beschrieben ausgegangen.
All das erzählte Funamushi gerade an der Feuerstelle der alten
Priesterwohnung dem Shutenji und seinen etwa zwanzig Kumpanen.
"....und
im Gasthaus Ishikameya haben sie uns wegen der Sache in der Schneegrube
im Verdacht und daher gewittert, dass wir uns nicht nur mit der Jagd
befassen!"
Die Aufregung, die alle erfasste, wiegelte Shutenji ab:
"Da braucht ihr euch keinen Kopp drum zu machen. Ich hab dafür
schon längst einen Riecher gehabt. Ich weiß auch was. Wir
hauen nach Kôzuke ab. Aber vorher zerdeppern wir den Ishikameya
und hauen dabei auch deinen Todfeind Inuta Kobungo und alle anderen
tot. Kapiert?"
"Alles klar", brüllten die Räuber alle zusammen. Einige wollten schon aufspringen.
"Aber erst mal....", brummte Shutenji mit grimmiger Miene, sich zu dem
hinteren Raum umwendend. "Da ist uns jetzt einer hereingeschneit.
Hinter dem Raum, wo dieser Samurai -der pennt wohl schon-
sich hingelegt hat, liegen unsre Spieße und Musketen. Wir
kommen nicht dran, ohne da durchzugehen."
Die Schwerter der Räuber, ihre Spieße und Flinten waren aus
Furcht vor fremden Blicken im allerhintersten Raum gelagert.
"Ach, ein ärgerlicher Schnitzer!" Funamushi mit ihrer schwarzen
Katze auf dem Arm machte ein betretenes Gesicht. "Aber wenn ich diesen
Samurai nach Ojiya geschickt hätte, wäre er vermutlich im
Ishikameya abgestiegen. Und falls er da erzählt hätte, dass
er mich gerettet hat, wäre es ihm schwer an den Kragen gegangen.
Deshalb habe ich ihn hier hergebracht, aber das war ein Fehler."
"Na, dann sollten wir den auch gleich mit beseitigen", warf einer der Räuber ein.
"Langsam, langsam. Nichts übereilen. Immerhin hat er meiner Frau
das Leben gerettet", gab Shutenji zurück. "Dieser Samurai sieht mir
ziemlich kräftig aus. Wär es nicht viel besser, ihn auf unsre
Seite zu ziehen? Bei den Gegnern ist schließlich einer, der den
wilden Stier umgeworfen hat. Wenn wir einen Samurai dabei haben,
der uns notfalls raushaut, fühle ich mich stärker. Ich werd mit
ihm reden."
Er sah seine Leute reihum an.
"Wenn nichts dabei rauskommt, gebe ich euch mit den Augen einen Wink,
dann könnt ihr ihn erledigen", sagte er und stand auf.
"Heee, Herr Samurai!"
Der Samurai, der, zu solch einem fragwürdigen Tempel geführt,
mit seelenruhigem Gesicht schnarchte, richtete sich erst nach
mehrmaligem Rufen langsam auf.
"Tut mir leid, dass ich Euch zu einer dringenden Unterredung wecken musste, wo Ihr doch so tief geschlafen habt."
Shutenji und Funamushi traten herein.
"Ihr habt sicher schon vorhin von meiner Schwester gehört, was
ihr vom Wirt des Ishikameya angetan worden ist. Unschuldig wie
sie ist, wäre sie beinah draufgegangen. Als Mann mit Selbstachtung
kann ich dem Ishikameya das nicht ohne Vergeltung durchgehen lassen. Meine Freunde wollen mitmachen."
Funamushi ging derweil durch den Raum und betrat die Kammer
dahinter. Auch die Räuberkumpanen kamen hereingeströmt. Die
einen ließen sich rund um das Lager des Samurai nieder, die
anderen folgten Funamushi in die hintere Kammer nach.
Funamushi mit ihrer schwarzen Katze im Kreis der Räuberbande (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
"Wir gehen jetzt nach Ojiya, um den Ishikameya zu demolieren, und
können Euch deshalb leider nicht weiter hier ruhen lassen."
"Aha."
"Es tut mir unendlich weh, dass wir, ohne Euch rechten
Dank abzustatten, in Eile aufbrechen müssen. Es ist zwar eine
Dreistigkeit, aber ich hätte eine Bitte. Wir alle haben
Musketen, weshalb wir eigentlich nichts zu fürchten haben, aber
bei denen ist ein Kerl wie ein Sumô-Ringer mit Namen Inuta Kobungo, ein wahnsinnig starker Schläger."
"Hmm."
"Mein Herr, Ihr seid sozusagen schon mit im Boot; seid so gut und steht uns als Helfer bei!", sagte Shutenji.
Der Samurai, dem ein solch anstößiges Begehren angetragen wurde, reagierte ohne Hast und fragte in aller Ruhe:
"Ich verstehe, worum es geht. Und wenn ihr damit fertig seid, was wollt ihr danach machen?"
"Höhöö... Danach... Wir haben Bekannte in Kôzuke,
und machen uns allesamt dorthin aus dem Staub. Wenn Ihr bei uns
mithelft, könnt Ihr entweder mitkommen oder Euch von uns trennen
und Eurer Wege ziehen, wie es Euch beliebt. Wenn Ihr einverstanden
seid, will ich Euch, pardon, 'als Vorauszahlung' ist nicht ganz der rechte
Ausdruck, jedenfalls ein tolles Schwert vermachen."
Funamushi kam mit zwei Schwertern aus der Kammer heraus. Sie nahm das eine und zog es vor dem Samurai heraus.
"Früher haben wir hier einmal einer Gruppe von hochstehenden
Leuten, die von einem Rudel Wölfe angegriffen wurden, mit unsren
Musketen aus der Patsche geholfen, und dafür haben sie uns zum Dank diese Schwerter gegeben. Die beiden Schwerter hier bilden ein Paar."
Der Samurai erkannte ihren Wert; seine Augen leuchteten.
"Das hier heißt Ozasa, der Schliff der Klinge sieht nämlich aus wie Sassagras im Schnee."
Es war ein Schwert, das Kennern die Seele aus dem Leib zieht.
"Das gebe ich Euch. Damit könnt Ihr so richtig draufhauen."
Der Samurai nickte. "Gut, ich stehe euch bei. Schon als ich die Aussage
Eurer Frau Schwester vernahm, empfand ich eine heftige Abneigung gegen
diesen Ishikameya; was es doch für verdorbene Leute in der
Welt gibt!"
"Danke! Also, nehmt das Ding hier!"
Es hatte den Anschein von Großzügigkeit, aber Shutenji hatte
vor, wenn die Leute im Ishikameya alle umgebracht wären, auch
diesen Samurai zu beseitigen und sich das Schwert wiederzuholen.
In der Zwischenzeit holten die Räuber aus dem hinteren
Raum nach und nach alle Schwerter, Spieße und Flinten heraus und
traten rauflustig ins Freie.
Die
Bande der mehr als zwanzig Räuber des Shutenji setzte vorsichtig,
um keinen Lärm zu machen, über den Fluss Chikumagawa ans
andere Ufer, und als sie vor dem Gasthaus Ishikameya in Ojiya
eintrafen, war es kurz vor Tagesanbruch.
Die Strategie des Shutenji sah vor, dass sieben Mann mit Musketen auf
der Straßenseite eine Reihe bildeten und auf das
Haus schossen. Gleich danach sollten die anderen in das Gasthaus
eindringen und zumindest Jidanda und Kobungo die Köpfe abschlagen.
Wenn das vollbracht war, sollten alle ins Freie herauskommen und zur
Abschreckung von Verfolgern eine weitere Salve von Schüssen
abgeben und anschließend blitzschnell die Flucht ergreifen.
An diese Strategie hielten sie sich.
"Feuer frei!", befahl Shutenji, aber als die sieben Schützen in
der ersten Reihe ihre Musketen anlegten, fielen ihre Köpfe alle
zugleich auf die Straße. Mit einem Streich färbte das Blut
von sieben abgeschlagenen Köpfen die Schwertklinge des fahrenden
Samurai, der, das von Shutenji erhaltene Schwert in der Hand
schwingend, laut rief:
"Herr Inuta Kobungo, eine Räuberbande ist zu Besuch gekommen, die es auf Euch abgesehen
hat. Kommt heraus, hier steht Euer brüderlicher Freund Inukawa Sôsuke!"
Dass Shutenji und seine Räuberkumpanen zunächst starr vor
Staunen standen, muss wohl nicht eigens erwähnt werden. In ihrer
Verwirrung kamen die anderen Räuber mit wahnsinniger Wut
auf Sôsuke eingestürmt und griffen ihn mit ihren Waffen
an. Im
Nu lagen drei, vier, fünf Angreifer erschlagen auf dem Boden, als
aus dem Gasthaus Ishikameya wie ein riesiger Wirbelsturm Inuta
Kobungo mit seinem großen Schwert herausgetänzelt kam.
Eigentlich hätte er noch an Schulter und Rücken
unerträgliche Schmerzen verspüren müssen, die seine
Bewegungen behinderten, aber ein richtiger Kampf war für seine
verhärteten Muskeln offenbar die allerbeste Medizin. In
kürzester Zeit lagen alle tot da. Gemeint ist natürlich die
Räuberbande, die den Überfall ausgeführt hatte.
Der fremde reisende Samurai: Hundekrieger Inukawa Sôsuke
Mehr als zwanzig Leichen lagen verstreut umher, und während den Toten noch Ströme von Blut entquollen, fielen sich Inuta Kobungo und Inukawa Sôsuke mitten auf
der Straße in die Arme. Sie hatten sich nicht mehr gesehen, seit
sie sich vor vier Jahren am Berg Arameyama getrennt hatten.
Als erstes berichtete Sôsuke, wie er hierher gelangt war.
"Verdammt, ich habe dieses Weib befreit!", bedauerte er nun erstmals,
sich nach ihr umsehend. In der Tat war auch Funamushi mit ihrer
schwarzen Katze auf dem Arm zu dem Überfall mitgekommen, aber
unter den Erschlagenen lag sie nicht. Sie war nirgendwo zu sehen.
"Dieses Weib? Wen meinst du?"
"Diese Räuberbraut Funamushi."
Jetzt riss Kobungo verdattert die Augen auf.
Es wurde Tag, die Gendarmen kamen. Dieses Gebiet unterstand dem
Fürsten Uesugi Kageharu, und dessen Gendarmen waren aus der
Zweigfestung im nahen Ort Katagai herbeigeeilt. Ihnen stand der
Gastwirt Jidanda Rede und erläuterte das Geschehene. Sofort wurde
die Räuberhöhle des Shutenji in dem verlassenen Tempel
durchsucht, und dort fand man die fünf Klafter Seidenkrepp, die
vor einigen Tagen dem Isokurô geraubt worden waren, und eine
Menge andere Waren, die sich eindeutig als Diebesgut identifizieren
ließen, weshalb der Vorfall als geklärt und erledigt galt.
Im Gasthaus Ishikameya tauschten sich Sôsuke und Kobungo erneut
über ihre Abenteuer aus. Sôsuke war zusammen mit Inuyama Dôsetsu
nach Isawa im Lande Kai gelangt. Von dort aus hatte er sich allein
wieder auf die Wanderung der Suche nach den anderen Gefährten
begeben und war vom Norden des Landes Echigo her nach Ojiya gekommen.
Als Kobungo von all den früheren Untaten der Funamushi berichtete, entfuhr Sôsuke ein bitteres Lachen.
"Verdammt nochmal, ich hätte dem Weib, das da in der Tempelhalle aufgehängt war, nicht helfen dürfen!"
"Aber dadurch bist du doch von ihr zu mir hergeführt worden",
entgegnete Kobungo und drückte seinem 'Bruder' noch einmal die
Hand.
So viel sie einander auch erzählten, der Gesprächsstoff fand
kein Ende, aber als Sôsuke sagte, dass in Isawa im Lande Kai in
einem Tempel namens Shigetsuin der Priester Chudai und Amasaki
Jûichirô auf sie warteten, beschlossen sie, dorthin
aufzubrechen, und verließen das Gasthaus in Ojiya etwa drei Tage
später.
④
Inukawa
Sôsuke und Inuta Kobungo
hatten nun Ojiya verlassen, aber die
Vernichtung der Räuberbande hatte später Folgen, die sich in
einer unervermuteten Richtung äußerten. Das Diebesgut der Bande des
Shutenji war von den fürstlichen Amtsleuten beschlagnahmt und in
die Gendarmerie von Katagai gebracht worden. Darunter befand sich auch
das Schwert, das der Leichnam des Shutenji in der Hand gehalten hatte.
Selbst dafür, dass es Diebesgut sein dürfte, war es einfach
zu wertvoll, weshalb sachkundige Amtsleute von Katagai es dem Vogt
präsentierten. Der Vogt Inanoto Yorimitsu vermachte es
der Ôtoji
von Ebira. Diese Dame war die Mutter des Landesfürsten Uesugi
Kageharu und mochte Land und Leute von Ojiya; sie kam oft zu Besuch
nach Katagai und war zufällig auch jetzt gerade zu Besuch in der
Festung.
Als sie dieses Schwert erblickte, rief sie aus:
"Oh, ist das nicht das Schwert Rakuyô des Hauses Chiba?"
Sie kannte es, weil von ihren beiden Töchtern, den Schwestern des
Kageharu, die eine ins Fürstenhaus Ôishi, jenes Oberbefehlshabers,
der über Ôtsuka in Musashi gebot, und die andere ins
Fürstenhaus
Chiba, Herr der Burg Ishihama, ebenfalls in Musashi,
eingeheiratet hatte. Ôtoji war auch schon mehrfach auf Burg
Ishihama zu Gast gewesen und hatte dort Gelegenheit, die beiden
berühmten
Schwerter, die Schätze des Hauses Chiba, zu bewundern.
"Es bildet zusammen mit dem Schwert Ozasa (Sassagras), dessen Klingenschliff Sassagras im Schnee gleicht, ein Paar. Und wenn man dieses Schwert Rakuyô (fallendes Laub) herauszieht und schwingt, fällt das Laub der Bäume in der Umgebung welk zu Boden", sprach Ôtoji von Ebira.
"Diese Schwerter sind dem Hause Chiba vor mehr als zwanzig Jahren aufgrund widriger
Umstände verloren gegangen. Sollte es sich bei
diesem nicht um das verlorene Schwert Rakuyô handeln? Ich erinnere mich gut daran. Wie kam es, dass dieser Räuberhauptmann es besaß?"
Sie konnte ja nicht wissen, wie es über Funamushi in Shutenjis
Hände gelangt war. Sie ließ einen Vasallen dieses Schwert im
Burggarten schwingen, aber kein Blatt fiel deswegen welk von den
Bäumen. Ôtoji bestand indes darauf, dieses Schwert
wiedererkannt zu haben.
Nun weilte aber gerade ein hochrangiger Herr namens Makuwari Haishichirô als Bote der Gattin des Hauses Chiba mit Geschenken für ihre Mutter in der Festung Katagai zu Gast.
"Lasst es ihn jedenfalls schnell zum Hause Chiba bringen und
untersuchen, ob es sich um das echte Schwert Rakuyô handelt oder
nicht", befahl Ôtoji. Makuwari Haishichirô nahm also das Schwert entgegen und brach in Eile nach Musashi auf.
Makuwari
Haishichirô war ein Neffe des verräterischen Vasallen des
Fürstenhauses Chiba, des Makuwari Daiki. Der einfältige und
ahnungslose Fürst Chiba Yoritane hatte, nachdem Makuwari Daiki
mitsamt allen Vertrauten von der Dengaku-Tänzerin Asakeno
umgebracht worden war, eigens nach Angehörigen suchen lassen und
diesen Neffen Makuwari
Haishichirô zu seinem höchstrangigen Berater berufen.
Leider
war der Mann total unfähig. Sein Auftrag konnte doch nicht
sonderlich eilig sein, befand er eigenmächtig. Es war
Frühling; er hatte Lust, sich mit seinen fünf Gefolgsleuten
in den Bergen dieser Region zu ergehen und wählte im Lande Shinano
einen Umweg, um den Suwa-See zu besichtigen. Dass er dort den
Großschrein aufsuchte, mag in Ordnung gehen, aber als er am
Seeufer vor zwei nebeneinander stehenden armseligen Strohhütten
einen alten Bettler sitzen sah, der sich gerade entlauste, kam er auf
einen unsäglichen Gedanken. Er bekam nämlich Lust, den Alten
totzuschlagen, um an ihm das berühmte Schwert, das ihm anvertraut
worden war, zu erproben.
Es war wohl ein Bettler, der mit den Almosen der Badegäste am Suwa-See und
der Besucher des berühmten Schreins sein Auskommen bestritt.
Überdies schien er lahm zu sein. In der Tat war er hier in
der Gegend unter dem Spitznamen 'Kamakura der Lahme' bekannt. Haishichirô sagte sich ohne Gefühlsregung, so ein Bettler taugt ohnehin zu nichts, wenn er am Leben bleibt; zu seinem Glück dämmerte der Tag seinem Ende entgegen, und am Seeufer war sonst niemand zu sehen.
Kamakura der Lahme am sandigen Seeufer
Er entnahm das Schwert dem Kasten aus Paulowniaholz, näherte
sich dem Bettler und sagte Dinge, die seiner eigenen, verworrenen Logik
entsprachen:
"Ich habe hier ein berühmtes Schwert, das ich erst dann meinem
Herrn überreichen will, nachdem ich erprobt habe, ob es wirklich
etwas taugt. Ich erschlage dich also sozusagen als Treuepfand;
betrachte es als ehrenhafter, durch einen Hieb eines berühmten
Schwertes dein Lebenslicht ausgehaucht zu bekommen als später
irgendwann einmal vor Hunger zu krepieren."
Dann schlug er den entsetzt aufschreienden alten Bettler, der noch
fortzukriechen versuchte, einfach tot. Daraufhin fielen, während
das Blut hoch aufspritzte, darein vermischt die Blätter der Birken
ringsumher wie Regen welk zu Boden.
So war das also mit dem Schwert Rakuyô! Nur wenn es tatsächlich einen Menschen tötete, fiel das Laub der Bäume welk zu Boden!
Ein anderer Bettler, der von drüben her gegangen kam, hatte den
Mord mit angesehen und beschleunigte nun wie beflügelt seine
Schritte. Makuwari Haishichirô bemerkte ihn nicht, sondern äußerte:
"Aha, dieses seltene Schwert ist also tatsächlich das berühmte Rakuyô!"
Auch seine Untergebenen betrachteten das Schwert voller Ehrfurcht, das im Licht der Abendsonne funkelte.
Die Umstände, die zum Verlust dieses Schwertes Rakuyô aus
dem Hause Chiba führten, waren eigentlich nicht gerade ein
sonderliches Ruhmesblatt auf der Ehre seines Onkels Makuwari Daiki
gewesen, aber davon hatte Haishichirô keine Ahnung.
"Wie, Rakuyô?", murmelte der andere Bettler, der bis auf wenige
Schritte herangekommen und nun stehen geblieben war. Er trug eine
Binsenmatte auf dem Rücken und ein Tuch um die Mundpartie; sein
Gesicht war schwarz mit Lehm beschmiert. Langsam trat er näher und
packte Haishichirô unvermittelt am Arm.
"Was tut Ihr?"
Haishichirô
wollte sich hastig losreißen, aber der Bettler nahm ihm einfach das
Schwert aus der Hand und besah es vom Stichblatt bis zur Spitze.
"Dreister Kerl, du Bettelstrolch, du wagst es, dich mit Makuwari
Haishichirô, dem engsten Ratgeber des Fürstenhauses
Chiba....", schrie er wie von Sinnen und stand im Begriff, das Schwert
an seiner Seite zu ziehen.
"Oh, Makuwari vom Hause Chiba. Du gehörst also zur Sippschaft des Makuwari Daiki. Fahr zur Hölle wie eine Sommermücke ins Kerzenlicht fliegt, dem Daiki hinterdrein!"
Mit einem Hieb des Schwertes in seiner Hand schlug der Bettler den Haishichirô nieder. Mit blitzenden Zähnen in seinem lehmgeschwärzten Gesicht rief er:
"Hiermit habe ich den Mörder meines Gefährten 'Kamakura der Lahme' totgeschlagen!"
Die verblüfften Gefolgsleute zückten ihre Schwerter und
schlugen auf den Bettler ein, aber über den Köpfen der
heftig Fechtenden, von denen einer nach dem andern tot
niederstürzte, fiel das Laub der Birken ringsumher herab, welk wie von Wirbelstürmen zerzaust, obwohl es doch Frühling war.
Zwei Samurai mit tief ins Gesicht gezogenen Reisehüten, die von
der Gegenrichtung des Bettlers her nähergekommen waren und mit
langen Hälsen dieses Schattengefecht in Dämmerlicht des
Seeufers und das niederregnende Laub gesehen hatten, kamen nun wie der
Wind gelaufen, und einer von ihnen rief im Laufen: "Haltet ein!", aber
da hatte der Bettler bereits alle Männer des Haishichirô
erschlagen und eilte flink wie ein Vogel auf das Ufer des dunkelnden
Sees zu.
Im Wissen, dass sie mit der Schnelligkeit des Fliehenden nicht
mitkämen, zog einer der beiden Reisenden mit Hut von seinem Hals
eine Art von Leine heraus, riss sie los und warf sie dem
Flüchtenden nach. Sie wickelte sich genau um den rechten
Ellenbogen des Bettlers.
"Aaaah!"
Unwillkürlich ließ der Bettler das Schwert, das er in der Hand hielt, fallen, taumelte nach rechts und stürzte ins aufspritzende
Wasser. Der Reisende mit Hut stürmte ihm hinterdrein und
verstellte dem Bettler, der sich aus dem Wasser aufrappelte, mit
gezücktem Schwert den Weg.
"Verdächtiger Kerl, wer bist du?"
"Was willst du? Komm doch her!", war die nicht minder verwegene Antwort
des Bettlers, der im Wasser stand und beide Arme weit ausgebreitet
hatte. Der schwarze Lehm im Gesicht und das um die Mundpartie
geschlungene Tuch waren vom Wasser fortgeschwemmt worden. Im Abendlicht
kam ein überraschend hübsches Gesicht zum Vorschein.
"Oooh, bist du nicht Asakeno?", rief der zweite, kräftig gebaute Mann mit Binsenhut, der ihnen nachgekommen war.
Der 'Bettler' schaute mit verwundertem Gesicht zu ihm her und fragte:
"Wer bist du, dass du mich kennst?"
"Inuta Kobungo doch!" Er nahm den Hut ab und rief:
"Sôsuke, halt! Das ist eine gute Bekannte, eine Dame mit Namen Asakeno!"
"Wie, eine Frau?"
Sôsuke machte große Augen und sah sich den
'Bettler' näher an. Sein Gesicht, so hübsch, wie es selbst
bei einer Frau nicht häufig vorkommt, setzte ein bitteres
Lächeln auf.
"Hör auf mit Asakeno! Ich bin ein Mann und heiße Inuzaka Keno."
"Ah, Inuzaka Keno! Euren Namen, Herr Keno, habe ich von Kobungo
gehört", rief Sôsuke, der sich plötzlich auf dem Boden
umsah und aus dem Sand einen kleinen Gegenstand aufhob. Es war der
Amulettbeutel, den er vorhin dem Bettler nachgeworfen hatte. Er
öffnete ihn, um nachzusehen, ob sein Inhalt noch heil war. Als Keno
die Kristallkugel erblickte, fragte er mit geweiteten Augen:
"Was hat es damit auf sich? Ich besitze eine ebensolche Kugel!"
Er kramte irgendwoher aus seinen Kleidern eine kristallne Kugel hervor.
Kobungo nahm sie in die Hand, hielt sie gegen die noch helle Wasserfläche des Sees und rief:
"CHI!"
"Dann.... Dann bist du.... Dann bist du also...."
Kobungo brachte vor Verblüffung kaum einen Ton heraus.
Kenos Tugend ist CHI - er hat zahllose Fertigkeiten und weiß sie geschickt einzusetzen
"Keno, sag mal, hast du nicht irgendwo am Körper ein Muttermal in der Form einer Päonienblüte?"
"Ein Muttermal? Nicht dass ich wüsste..."
Er hielt sich dabei den rechten Ellenbogen, der ihm noch wehtat, krempelte den Ärmel hoch, streckte den Arm aus und rief:
"Jaaa, hier hat sich ein Mal gebildet!"
Kobungo und Sôsuke schauten es sich an.
"Oh, das Päonienmal!", seufzten sie.
Schließlich blickte Kobungo Keno fest an und atmete vor Rührung fest durch.
"Ihr seid ein Hundekrieger. Ich bin früher von Euch gerettet
worden. Das hat unsre Beziehung als Hundekrieger bewirkt...."
"Was ist ein Hundekrieger?"
"Wir sind alle durch ein Schicksal aus einer früheren Existenz
miteinander verbrüderte Hundekrieger", wiederholte Sôsuke
und blickte zurück, wo der von Keno erschlagene Makuwari und
seine Gefolgsleute lagen.
"Da hinten gibt es einen großen Auflauf. Wir reden lieber dort drüben miteinander."
Er wies mit der Hand auf den Waldsaum, der in einiger Entfernung vom Seeufer begann.
Hundekrieger Inuzaka Keno zeigt seine Kristallkugel
⑤
Die
drei Gefährten ließen sich bald darauf in dem dunklen,
dufterfüllten Wäldchen auf einem umgestürzten Baumstamm
nieder und begannen, verborgen im Schatten der Bäume, mit Blick
auf das noch ein wenig schimmernde Wasser des Sees, einander alles zu
erzählen.
Zuerst erläuterte Kobungo, was es mit den Kristallkugeln, dem
Päonienmal und den Hundekriegern auf sich hatte, und was ihm nach
der Trennung von Keno widerfahren war. Danach berichtete Sôsuke
von sich und den anderen nunmehr bekannten Hundekriegern.
"Das steckte also dahinter....! Meine Kristallkugel....", begann Keno
seinen Bericht. "In der Nacht, als ich in den Bergen von Ashigara
zur Welt kam, soll sie vom Himmel herabgefallen sein und das Dach
unsres Hauses durchschlagen haben. Den Worten meiner Mutter zufolge
wurden hinterher, als man nachschaute, am Dach und im Haus noch
Bruchstücke wie von Eisen gefunden, und alle glaubten, es handle
sich wohl um eine Art von, wie man heutzutage sagt, Meteorit."
Er blickte dabei seine Kugel mit dem Schriftzeichen CHI unverwandt an.
Und vor drei Jahren, als er von Kobungo getrennt wurde, habe er den
entführten Kahn in Haneda festgemacht und sei in seine Heimat
Ashigara zurückgekehrt. Ein Jahr lang habe er dort mit Affen
und Wildschweinen als Gegner den Schwertkampf geübt, aber dann sei
er wieder aufgebrochen und habe sich auf Wanderschaft durch die Lande
gemacht. Er wollte den Komiyama Ittôta aufspüren, der seinen
Vater erschlagen hatte.
Hundekrieger Inuzaka Keno im Manga
Auf seinen Reisen hatte er zufällig gehört, dass es hier, in
der Nähe des Suwa-Sees, einen Weiler mit Namen Komiyama gebe, und
sich aufs Geratewohl hierher begeben. Seine Nachforschungen ergaben,
dass es sich tatsächlich um die ursprüngliche Heimat des
Ittôta handelte und dass er alle paar Jahre zu Besuch käme. Deshalb
hatte er sich als Bettler verkleidet hier niedergelassen, um auf den
Tag zu warten, an dem er Ittôta begegnen würde.
"Von den Leuten bekam ich den Spitznamen 'Sagami Kozô' (der Kleine aus Sagami) angehängt.
Da unten stehen doch zwei Bettlerhütten. Die eine
gehörte dem alten Mann, den sie 'Kamakura der Lahme'
nannten, der vorhin umgebracht wurde. Die andere ist meine
Wohnung", sagte Keno,
kurz auflachend.
"Der Bursche, der wider Recht und Gesetz meinen Freund 'Kamakura der Lahme'
totgeschlagen hat, hatte ein wundervolles Schwert; ich habe
ihn sagen hören, es heiße Rakuyô,
und weil ich wusste, dass er zu der Sippschaft des Hauses
Makuwari gehörte, habe ich ihn dafür bestraft", erzählte
Keno, das aus dem See geborgene Schwert auf seinen Knien trocken
reibend.
"Wie dem auch sei, die Schwerter Rakuyô und Ozasa
sind die Gaben, die mein Vater dem Fürsten in Koga
überreichen sollte, die aber auf dem Weg, als mein Vater ermordet
wurde, geraubt worden waren."
"Was sagst du, Ozasa?", fragte
Sôsuke erstaunt und nahm sein Schwert samt Scheide von der
Hüfte ab. Als er kürzlich dieses Schwert durch den
Räuberhauptmann Shutenji ausgehändigt bekam, hatte Shutenji
stolz dessen Namen Ozasa genannt, das hatte Sôsuke noch im Ohr.
Kobungo entzündete mit seinem Flintstein ein Papiertüchlein.
Im Schein der auflodernden Flamme besah sich Keno die Klinge.
"Oh, ich habe gehört, dass der
Schliff der Klinge wie Sassagras im Schnee aussehe und das Schwert
daher diesen Namen trage. Dieser Schliff hier sieht tatsächlich so aus!",
rief er.
Sôsuke berichtete, dass er dieses Schwert vor dem Überfall
auf das Gasthaus Ishikameya von dem Räuberhauptmann Shutenji
bekommen habe. Nach einer Weile Nachdenkens fiel ihm ein, dass Shutenji
ihm in der Tat noch ein zweites Schwert gezeigt und gesagt hatte, es
gehöre zu dem Schwert Rakuyô. Es muss sich also wirklich um Ozasa handeln.
Daraufhin stellte Kobungo Vermutungen darüber an, dass das Schwert
aus Shutenjis Beute in die Hand der Gendarmen von Katagai gefallen und
von da aus irgendwie zu dem Samurai Makuwari des Hauses Chiba
gelangt sein müsse, aber Näheres darüber wusste
natürlich keiner, geschweige denn darüber, weshalb sich diese
beiden Schwerter im Besitz einer Räuberbande in Echigo befanden.
Das überstieg ihre Vorstellungskraft.
"Dann gehört das also Euch", lachte Sôsuke und wollte Keno
sein Schwert übergeben, aber Keno wies es zurück.
"Wir sind durch das Schicksal brüderlich miteinander verbunden; ob
Ihr es habt oder ich, das ist dasselbe. Außerdem habe ich
schon das Schwert Rakuyô. Aber was ich am liebsten hätte,
das ist der abgeschlagene Kopf des Mörders Komiyama
Ittôta."
Am Ende sagte Sôsuke, dass im Tempel Shigetsuin bei Isawa im
Lande Kai ihr Betreuer, der Priester Chudai, der die Kristallkugeln
sucht, auf sie warte und dass Kobungo und er sich auf dem Wege dorthin
befänden. Er forderte Keno auf, mit ihnen zu ziehen. Keno war im
Prinzip zwar einverstanden, aber er wollte unbedingt erst den
Ittôta erschlagen. Daraufhin meinten Sôsuke und Kobungo,
dann wäre es ungewiss, wann Keno zu Chudai käme. Sie schlugen
vor, erst einmal so schnell wie möglich zum Shigetsuin zu ziehen;
danach würden ihm alle Hundekrieger gemeinsam im Kampf gegen seinen Feind beistehen.
Am Ende war Keno überredet, und zu dritt zogen sie weiter durch den Frühling
auf der Landstraße durch Shinano, aber als sie zwanzig Meilen vor
Isawa in einem Gasthof in Aoyagi an der Grenze zum Lande Kai
übernachteten, war Keno am andern Morgen unversehens spurlos
verschwunden. Auf der Papiertür stand, mit Holzkohle geschrieben,
zu lesen:
Vertrauend auf den Tag
des Wiedersehns in Kai
scheiden die Gewässer,
die von den Bergen strömen,
am Weg von Shinano.
Wie
dem auch sei, sämtliche acht Hundekrieger waren nun erkannt,
wenngleich noch nicht alle einander persönlich begegnet waren. Und
zwar
Inuzuka Shino, der die Kristallkugel mit dem KÔ besaß,
Inukawa Sôsuke, der die Kristallkugel mit dem GI besaß,
Inuyama Dôsetsu, der die Kristallkugel mit dem CHÛ besaß,
Inukai Genpachi, der die Kristallkugel mit dem SHIN besaß,
Inuta Kobungo, der die Kristallkugel mit dem TEI besaß,
Inumura Daikaku, der die Kristallkugel mit dem REI besaß,
Inuzaka Keno, der die Kristallkugel mit dem CHI besaß, und
Inue Shinbei, der die Kristallkugel mit dem NIN besaß.
Allerdings war der letzte, Inue Shinbei, obwohl bereits aufgetaucht,
durch das Geisterpferd Seigaiha vermutlich in eine unbekannte, fremde
Welt entführt worden. Und selbst wenn er unversehens erschiene,
wäre er doch noch immer ein Kind von weniger als zehn Jahren.
Es war zu hören, dass, trotz der weiter anhaltenden kriegerischen
Auseinandersetzungen überall im ganzen Reich, Shôgun
Ashikaga Yoshimasa fern in der Haupstadt Kyôto in diesem Jahr (1482) den märchenhaft schönen Silberpavillon Ginkaku errichten ließ.
Ashikaga Yoshimasas Ruhesitz Ginkaku wurde niemals, wie ursprünglich geplant, mit Silberfolie verkleidet.
Nach Yoshimasas Tod wurde der Pavillon in einen Tempel mit Namen Jishôji umgewidmet.