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Legende der acht Hundekrieger


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An einem Spätnachmittag im Herbst des folgenden Jahres machte ein anderer der Hundekrieger, Inukai Genpachi, im Teehaus eines Dorfes im Distikt Makabe im Lande Shimotsuke Rast. Auch er war seit der Trennung von den Gefährten am Berg Arameyama im Lande Kôzuke auf der Suche nach den bekannten und noch unbekannten Hundekriegern ziellos durch die Lande gestreift. Die Suche war zwar sein Hauptanliegen, aber nebenbei fand er auch Vergnügen daran, bekannte Schwertkämpfer in allen Provinzen aufzusuchen und sich mit ihnen zu messen. Dabei hatte er auch eine Weile in Kyôto bei dem Zenmönch Ikkyû im Tempel Daitokuji an Zen-Übungen teilgenommen
, um den Zen-Schwertkampfmeister Ichinyo zu treffen.
Nun, auf dem Rückweg, fielen Genpachi in dem Teehaus des auf dem Weg liegenden Dorfes, während er Tee trank, die sieben Bögen, die an der Wand hingen, ins Auge, und er erkundigte sich, was es damit auf sich habe. Das ältere Ehepaar des Teehauses antwortete, dass man von hier aus zu dem knapp sechs Meilen entfernten Berg Kôshinyama mit seinen steilen und zerklüfteten Felswänden gelange, und seit alter Zeit seien etliche Reisende, die diese Wegrichtung einschlugen, dort verschollen. Deshalb verkauften sie diese handgefertigten Bögen an Reisende, die dies wünschten. 
"Halt, hiergeblieben!", rief die alte Frau plötzlich, hielt eine Katze fest, die zwischen ihren Füßen ins Freie laufen wollte, und nahm sie auf den Arm. Darauf erblickte Genpachi eine wunderliche Gestalt, die auf der Straße näherkam. Es war ein Krieger, der auf einem Pferd ritt. Aber ihm folgten etliche Dutzend Katzen, die obendrein alle ihre roten Mäuler aufrissen und maunzten oder fauchten. Der Ritter mochte um die Mitte vierzig sein und trug ein ärmelloses Übergewand und damastne Beinkleider. Mit seinem Schnurrbart bot er das Bild einer erhabenen Person, würdevoll und majestätisch. Aber ein Gefolge von mehreren Dutzend Katzen...? Im Schein der tiefstehenden herbstlichen Abendsonne bot diese ungewöhnliche Prozession, die vor dem Haus vorüberzog, einen gespenstischen Anblick.
"Wer ist das denn?", fragte Genpachi, dem Zug hinterherblickend. Der Alte antwortete:
"Es ist Meister Ikkaku, der im nahen Ort Akaiwa wohnt."
"Was? Akaiwa Ikkaku?" Genpachis Blick erstarrte, und bestürzt fragte er:
"Wohin will denn dieser Meister Ikkaku mit all den Katzen?"
"Meister Ikkaku soll einer der bedeutendsten Schwertkämpfer des Landes Shimotsuke sein. Er hat hier tief in der Provinz eine Schwertkampfschule eröffnet, und von nah und fern strömen ohne Unterlass Leute herbei, die von ihm unterwiesen werden wollen. Trotz dieser Erfolge ist er offenbar noch immer nicht zufrieden, und einmal im Monat reitet er, so wie jetzt, mutterseelenallein in die Wildnis des genannten Berges Kôshinyama zu irgendwelchen Kampfübungen."
"Und die Katzen?"
"Ach, das sind Katzen aus den Dörfern. Nicht nur an solchen Tagen, sondern wenn immer Meister Akaiwa aus dem Haus tritt, kommen aus irgendeinem Grund stets alle Katzen angelaufen und rennen ihm hinterher. Wie Ihr seht, will unsere Katze auch hinlaufen...."
Die von der alten Frau auf den Armen festgehaltene Katze riss ihr rotes Maul nach der Richtung auf, in die Meister Akaiwa Ikkaku sich entfernte, und strampelte wie irre, um sich loszureißen.


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"Was für Übungen betreibt er ganz allein am Berg Kôshinyama?"
"Das weiß ich nicht. Er kehrt immer erst am andern Morgen zurück. Aber er mag ein noch so hervorragender Schwertmeister sein, es gehört schon gewaltiger Mut dazu, allein eine Nacht am Kôshinyama zu verbringen. Unsereins brächte das nicht fertig."
"Hm.... Akaiwa Ikkaku....Schwertmeister...."
Irgendwoher hatte Genpachi diesen Namen schon einmal gehört. Ja, richtig, von Inuzuka Shino!
Auf dem gemeinsamen Weg von Gyôtoku nach Ôtsuka vor zwei Jahren, und noch einmal während der Flucht zum Berg Arameyama hatten die Hundekrieger einander von ihrer Vergangenheit erzählt. Damals hatte Genpachi eröffnet, dass er selbst ein Schüler des berühmten Schwertkampfmeisters Nikaimatsu Yamashironosuke aus Koga gewesen sei und angesichts der Kampfkunst seines Gegners Shino auf dem Dach des Gebäudes Hôryûkaku der Burg sofort gemerkt habe, dass dieser sich das nicht selbst beigebracht haben konnte. Daraufhin berichtete Shino, dass er als Heranwachsender die Schwertkunst bei einem Meister namens Akaiwa Ikkaku erlernt habe, der im Dorf Ôtsuka eine Schwertkampfschule betrieb. Er selbst glaubte damals, sein Fechten sei recht laienhaft, aber die Grundlagen habe ihm sicherlich Meister Akaiwa beigebracht. Und er erzählte auch, dass dieser Meister Akaiwa sein Können bei Genpachis Lehrmeister Nikaimatsu vervollkommnen wollte und deshalb nach Koga gereist sei, aber unglücklicherweise habe sich Meister Nikaimatsu seinerzeit gerade auf einer langen Reise durch ganz Japan befunden. Und Akaiwa habe nach Shinos Erinnerung in Ôtsuka gewohnt, um auf die Rückkehr Nikaimatsus zu warten, und sei, als sich sein Wunsch nicht erfüllte, erfolglos in seine Heimat Kôzuke zurückgekehrt.
So, hier ist also die Heimat dieses Meisters Ikkaku! Oder vielmehr, falls es sich bei dem genannten Meister Ikkaku aus Akaiwa überhaupt um Akaiwa Ikkaku handeln sollte. Shino hatte zwar nichts allzu Genaues über Akaiwa Ikkaku zu sagen gewusst, aber dennoch fühlte sich Genpachi soeben bei der Nennung dieses Namens angenehm berührt, wollte dieser Ikkaku doch einst bei Genpachis eigenem Lehrer Nikaimatsu seine Kunst verfeinern. Aber diese geisterhafte Gestalt, die er gerade erblickt hatte, das konnte doch nicht Shinos einstiger Schwertkampflehrer sein! Allerdings hatte Shino nicht erwähnt, dass sein berühmter Schwertkampfmeister Akaiwa Ikkaku an einer starken Katzenphobie litt. Hätte Genpachi das gewusst, hätte er sich erst recht über diese
Katzengefolgschaft des Meisters Ikkaku gewundert.
Dann fiel ihm noch etwas ein.
"Hat Meister Ikkaku nicht einen Sohn?"
Shino hatte doch erwähnt, dass jener Akaiwa einen gleichaltrigen Sohn habe, mit dem er zusammen oft geübt hatte. Genpachi hatte den Eindruck gewonnen, dass für Shino die Freundschaft mit dessen Sohn wichtiger war als die Erinnerung an seinen Lehrmeister. 
"Ihr wisst aber gut Bescheid! Ja, es handelt sich um den jungen Meister, Herrn Kakutarô", antwortete nun die alte Frau.
"Wohnt er auch jetzt bei seinem Vater?"
"Nein, er weilt....woanders. Er hat sich ganz allein in eine Klause in dem Dorf Tamagaeshi zurückgezogen."
"In eine Klause? In seinem jungen Alter? Das kann doch nicht sein...."
"Ganz richtig. Der junge Herr tut mir sehr leid. Seine Mutter verstarb, während Meister Ikkaku einst in der Fremde weilte, um seine Kunst zu verfeinern, und Meister Ikkaku kam mit seinem Jungen zurück, als Herr Kakutarô noch ein Knabe war. Nach seiner Rückkehr heiratete er ein zweites Mal, eine sehr schöne und freundliche Frau, aber auch sie ist vor wenigen Jahren gestorben. Vorletztes Jahr nahm er zum dritten Mal eine Frau, aber diese scheint von
nicht sonderlich angenehmem Wesen zu sein."
Hastig unterbrach der Alte seine Frau.
"Hör mal, lass solche Reden lieber bleiben, die einen fremden Reisenden nichts angehen!"
"Doch, was dieses Weib betrifft, da hat sich selbst ein Herr wie Meister Akaiwa meiner Ansicht nach gewaltig vertan!"
Dem Gesicht der alten Frau nach zu urteilen, wollte sie ihre Meinung unbedingt loswerden.
"Vor einigen Jahren hatte Herr Kakutarô eine wunderbare Frau zur Braut genommen und lebte mit ihr glücklich und liebevoll zusammen, aber seit im vorletzten Jahr jenes Weib ins Haus kam, tat sie alles, um die Beziehung des jungen Paars zu zerstören. In diesem Sommer haben sich die beiden schließlich getrennt, und Herr Kakutarô lebt derzeit ganz allein in besagter Klause."
"Aha", nickte Genpachi. Er ließ den übrigen Tee stehen.
"Alter, ich hätte gern einen deiner Bögen."
"Oh, was habt Ihr vor?"
"Ich will auch diesen Berg Kôshinyama besteigen."
"Lasst ab davon! Zu diesem Berg, vor dem sogar wir uns fürchten, obwohl wir hier in dessen Nähe leben...! Überdies bricht bald die Nacht herein."
"Aber Herr Akaiwa reitet ja auch dorthin. Also..."
Genpachi legte zusätzlich zu dem Preis für den Tee noch 300 mon hin. Er hängte sich den Bogen über die Schulter, den ihm der Alte wider Willen aushändigte, und brach auf.
"Falls Ihr...., falls Ihr Meister Akaiwa begegnen solltet, sagt ihm bitte nichts über das, was wir Euch eben über ihn erzählt haben", bat die alte Frau.
"Kein Ton davon wird mir über die Lippen kommen. Ich habe ja gar nichts mit dem Herrn zu schaffen", gab Genpachi zurück und setzte seinen Reisehut auf.
Das stimmte zwar, aber Genpachi, für den das Schwert sein Lebensinhalt war, war auf einmal von dem Wunsch beseelt, Akaiwa Ikkaku zu treffen, den größten Schwertkampfmeister des Landes Shimotsuke, der einstmals bei seinem eigenen Meister Nikaimatsu Yamashironosuke seine Kunst vervollkommnen wollte.

Der Berg Kôshinyama war furchterregender als alles, was Genpachi sich vorgestellt hatte. Sein Keuchen wegen der steilen Serpentinen des Bergpfads war erst der Anfang. Während allm
ählich die Sonne unterging, sah er rechts und links mysteriöse Felsen dicht beieinander stehen, die mal wie Pagoden, mal wie Wachttürme aussahen, mal wie Glocken herabhingen, sich mal wie Stellwände erhoben. Der Pfad zwängte sich durch diese Felsen. Hier öffneten sich natürliche Steintore, dort bildeten sie steinerne Stege über die Klüfte. Hatte man endlich eine fürchterlich steile Anhöhe erklommen, ging es gleich wieder hinab bis zum Grund einer Schlucht, so schlimm, dass selbst ein Inukai Genpachi ein wenig bereute, hierher gekommen zu sein.


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Die Beschreibung der Wege im Berg Kôshinyama ist nicht übertrieben. Sie zählen auch heute trotz moderner Hilfsmittel zu den schwierigsten und anspruchsvollsten Trekkingstrecken in Japan



Die Sonne ging unter. Es gab offenbar nur diesen einen Weg, aber wo war Meister Akaiwa Ikkaku, der vor ihm hier entlang gekommen sein musste? Er war aber zu Ross gewesen; konnte
ein Pferd solche Pfade bewältigen? Bis hier war jedenfalls weder von einem zurückkommenden Pferd noch von der Katzenschar etwas zu sehen gewesen.
Auf einmal spürte Genpachi, dass er zu einem merkwürdigen Ort gelangt war. Er war auf allen Seiten von steilen Felswänden umstellt. Fast der gesamte Berg schien nur aus steilen Felsen zu bestehen, aber hier wucherten Kräuter, der Boden fühlte sich feucht an. Sogar Bäume standen hier und da, waren
aber alle abgestorben. Genpachi befand sich auf dem Grund eines runden, tiefen Lochs mitten in der Bergwildnis; deshalb sammelte sich hier das Wasser und bildete einen Sumpf.
Über einer der Felswände schimmerte die schmale Sichel des jungen Mondes. Die Bäume waren tot, aber Schatten von Vögeln, die auf den kahlen Ästen saße
n, waren zu erkennen. Sie regten sich nicht. War das hier nicht gar ein Teil der Unterwelt?
Nein, es gab lebende Wesen. Über den Grasboden lief ein Rascheln. Genpachi blickte an sich hinunter, was ihm da die Beine streifte: Es war eine riesige Schar von Ratten, zu Hunderten rannten sie davon.
Hier war nicht gut sein. Selbst Genpachi fühlte sich beklommen. Er erhob den Blick zu den Felswänden und suchte nach der Stelle, von der er gekommen war. Da wurde ein ungewöhnlicher Laut vom Wind hergetragen. Das Schreien von Katzen. Nicht nur von einer. Von einer großen Meute. Das Kreischen kam allmählich näher. Genpachi schaute starr in diese Richtung, aber als ein Mann, der ein Pferd ritt, schemenhaft zu sehen war, versteckte er sich im Gebüsch. Das war Herr Akaiwa Ikkaku! Was hatte er bis jetzt in dieser Bergwildnis getrieben? Und wo war er gewesen? Akaiwa Ikkaku kam direkt auf ihn zu geritten, die Katzenmeute hinterdrein. Er schien einen langen Ast von einem kahlen Baum in der Hand zu halten. Den stieß er vom Pferd aus wie einen Speer zu Boden. Etwas war an der Spitze aufgespießt, flog in einem Bogen durch die Luft nach oben. Er fing es mit der Hand auf und steckte es in den Mund. Man hörte, wie er es zerbiss, zerkaute und herunterschluckte. Eine Ratte, eine wilde Ratte. Akaiwa Ikkaku frisst Ratten!
Auch die Katzenmeute zu Füßen des Rosses jagte natürlich gierig die Ratten.
"Ich will Gedärm fressen, ich will Innereien fressen!", tönte es wie im Selbstgespräch aus dem Mund von Ikkaku. "Nicht die Eingeweide von Ratten....., sondern das Ungeborene von Menschen!"
War das Ross, das sich vor dem blassen, schwachen Mondschimmer abhob, wirklich dasselbe Pferd, das Ikkaku vorher geritten hatte? Seine Beine glichen den kahlen Bäumen, Schweif und Mähne dem Pampasgras, und hier und da hing etwas wie graues Moos an ihm herab. Aus dem Mund des Akaiwa Ikkaku bleckten Fangzähne hervor, seine Augen funkelten goldglühend.
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Das war nicht Akaiwa Ikkaku. Das war nicht einmal ein Mensch. Das war ein wahrhaftiges Gespenst!
Die glühenden Augen bewegten sich und wandten sich genau dorthin, wo sich Genpachi im Gebüsch verborgen hielt. Genpachi spannte den Bogen, auf den er schon längst einen Pfeil aufgelegt hatte, und ließ die Sehne los. Der Pfeil verfehlte sein Ziel nicht, sondern bohrte sich genau in das linke Auge des Gespensts auf dem Pferd.
"Waooo!"
Mit einem wahnwitzigen Schrei hielt Ikkaku die Hand auf sein Auge und fiel vorn
über auf den Rücken seines Pferdes nieder, woraufhin das Ross mitsamt Reiter wie von Sinnen durch den aufspritzenden Sumpfboden auf eine Felswand zustob, und die kreischende Katzenschar rannte hinterher.
Genpachi stand in Schweiß gebadet da, als wäre er mit Wasser übergossen worden.


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Inukai Genpachi



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Nachdem Inukai Genpachi in dieser Nacht blindlings aus diesem Gespensterloch fortgestürmt und entkommen war, legte er sich auf einem Felsvorsprung schlafen. Aber auch nachdem er am andern Tag aus dem Berg Kôshinyama herabgestiegen war, kam ihm die Erinnerung an die Geschehnisse der Nacht nicht anders als ein durchlebter Alptraum vor.
Er sprach in der Schwertkampfschule Akaiwa im gleichnamigen Dorf vor und sagte, den Ahnungslosen spielend, er sei ein Kriegsmann in Ausbildung und wolle unbedingt von Meister Ikkaku unterwiesen werden. Der Schüler, der ihn empfing, wies ihn ab mit der Begründung, der Meister sei derzeit erkrankt.
Nach einigem Überlegen wandte sich Genpachi von dort aus in die Richtung des etwa eine Meile entfernten Dorfs Tamagaeshi. Nachdem er sich im Ort erkundigt hatte, suchte er die Wohnung des Akaiwa Kakutarô auf. Aus einer Grashütte im wörtlichsten Sinn, mit Reet gedecktem Dach und von einer Bambushecke umgeben, war leise die Stimme eines Mannes zu vernehmen, der ein Sûtra rezitierte.
Genpachi wartete, bis das Sûtra zu Ende war, und rief dann nach dem Bewohner. Er erhielt lange keine Antwort, weshalb er hinzufügte:
"Möglicherweise, Herr Akaiwa, sagt Euch der Name Inuzuka Shino aus dem Dorf Ôtsuka im Lande Musashi etwas; ich bin ein Freund von ihm."
Die Stille, die darauf erfolgte, war deutlich als Schweigen vor Überraschung zu deuten, denn kurz darauf erschien der junge Mann an der Tür und sagte: "Oh, Inuzuka Shino, ein Name, an den ich mich mit Wehmut erinnere."
Er war etwas über zwanzig und trug über seiner mausgrauen Kleidung eine Priesterstola. Er war ein still wirkender Mann von der Art eines Scholars, hatte seine Samuraiglatze zuwachsen lassen und sein Haar mit Stroh zusammengebunden; sein blasses Gesicht wies fein geschnittene Züge auf.
Genpachi wurde hereingebeten und sagte, dass er Inuzuka Shino bei seiner Ausbildung im Schwertkampf kennen gelernt habe, und auch, dass Shinos Vater Bansaku unversehens Selbstmord begangen habe und Shino, um seine Fertigkeiten zu vertiefen, durch die Lande reise. Dass er mit Shino als Hundekrieger brüderlich verbunden war, erwähnte er nicht.
Dennoch sprach Kakutarô voller Anteilnahme, dabei sogar Tränen vergießend:
"Ach, jene Zeit, als ich im Dorf Ôtsuka gemeinsam mit Shino bei meinem Vater den Schwertkampf übte, zählt zu den schönsten Zeiten meines Lebens!"
"Übrigens, als ich heute die Kampfschule in Akaiwa aufsuchte, um zu bitten, von Eurem Herrn Vater unterwiesen zu werden, erfuhr ich, dass Meister Ikkaku erkrankt sei....", deutete Genpachi vorsichtig an.
"Mein Vater ist erkrankt? Davon weiß ich noch nichts", erwiderte Kakutarô, schüttelte aber den Kopf und meinte:
"Nun ja, ich lebe hier fern von ihm ganz allein; da erfahre ich keine Neuigkeiten über meinen Vater."


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Eine reetgedeckte Klause



Mit traurigem Blick sah er Genpachi an und fuhr fort: "Auf jeden Fall wird er Euch schwerlich im Schwertkampf anleiten. Früher vielleicht, aber jetzt hat sich mein Vater verändert."
"Euer Herr Vater hat sich verändert? Auf welche Weise?"
"Nun ja.... Ich weiß wirklich nicht, wie ich es ausdrücken soll, und kenne auch nicht die Ursache, aber ich kann es nur so formulieren, dass mein Vater zu einem gespenstischen Mann geworden ist", sagte Kakutarô. "Deshalb dürfte es nichts bringen, selbst wenn Ihr mit ihm persönlich sprecht. Mehr kann ich dazu nicht sagen...."
"Gespenstisch...." Genpachi rief sich die Ereignisse der vergangenen Nacht ins Gedächtnis zurück. "Als ich vorhin vorsprach, hieß es zwar, er sei erkrankt, aber tatsächlich habe ich gestern Meister Ikkaku auf der Landstraße erblickt. Er ritt zu Ross in Richtung irgendwelcher Berge, aber zu meiner Verwunderung folgte ihm eine große Schar Katzen."
"Das habt Ihr gesehen?", fragte Kakutarô überrascht. "Das ist es nämlich. Dass mein Vater gespenstisch wirkt. Er ist von einer Katze verhext worden."   
"Von einer Katze verhext?"
"Genau. Ich will es Euch gestehen. Obwohl mein Vater als einer der selten starken Schwertkämpfer seiner Generation gilt, hatte er eine erstaunliche Schwäche; er litt an einer heftigen Katzenphobie."
"Ha?"
"Als Kind fand ich das auch lustig, aber es war nicht sehr lange lustig. Meine Mutter starb, und mein Vater kehrte mit mir in seine Heimat, das Dorf Akaiwa, zurück. Er war noch in seinen Dreißigern und heiratete bald darauf erneut, eine Frau aus dem Nachbardorf. Sie war, wiewohl meine Stiefmutter, eine hinreißend schöne Frau. Allerdings brachte sie aus ihrem Elternhaus ihre Katze mit. Obwohl mein Vater sagte, dass er Katzen hasse, wollte sie sich von ihrer Katze nicht trennen."
Auf dem Grasdach der Hütte war das Tröpfeln von Regen zu hören. Ein leichter Herbstregen sicherlich.
"Mein Vater, der seine neue Ehefrau sehr liebte, dürfte wegen ihrer Katze stark gelitten haben. Überdies hing die Katze beinahe wie verliebt stets an meiner Stiefmutter. Eines Tages sagte mein Vater, er habe etwas Unaufschiebbares zu erledigen, und obwohl es sich nur um eine Katze handelte, tötete er sie schließlich mit dem Schwert. Meine Stiefmutter verfiel darüber in Hysterie, erkrankte und starb nur kurze Zeit später. Seitdem verwandelte sich mein Vater in ein unheimliches Wesen. Heimlich fing er an, Öl zu schlürfen, rohe Fische zu verschlingen, und des Nachts begannen bisweilen seine Augen 
aus irgendeinem Anlass goldgrün zu funkeln. Mit einem Wort, mein Vater hatte sich lebenden Leibs in eine Art Katzenmensch verwandelt. Sein Hass und seine Furcht vor Katzen, seine Reue und Abbitte gegenüber seiner Ehefrau, all das verkochte vermutlich zu seinem Wahnzustand, aber ich glaube, nicht allein das war die Ursache für den gegenwärtigen Zustand meines Vaters. Er war früher ein so starker Schwertkämpfer und ging dermaßen in seiner Kampfkunst auf, dass seine lächerliche Schwäche, nämlich seine Katzenphobie, ihn deshalb beschämte. Der einzige Ausweg, um davon loszukommen, war für ihn, selbst zu einem Katzenmenschen zu werden; das würde ihn von allen Leiden befreien. Aus dieser Einsicht, glaube ich, hat er sich wie von selbst in einen katzenartigen Menschen verwandelt."
Das Pladdern des Regens wurde etwas heftiger.
"Selbstverständlich verbirgt mein Vater dies seither nach außenhin. Im Gegenteil, im Schwertkampf ist er geschmeidiger geworden, und wenn ich es richtig beurteile, glaube ich, dass ihm niemand auf der Welt derzeit beim Schwertkampf Paroli bieten kann. Aber verbirgt er es auch nach außenhin, alle Katzen im Dorf laufen ihm seitdem hinterher, wenn sie ihn zu sehen bekommen.
Herr Inukai, es verhält sich genau so, wie ich es Ihnen erzählt habe, obwohl es eine Schande für meine Familie ist. Es ist besser, darauf zu verzichten, meinen Vater noch einmal aufzusuchen."
In Gedanken an das, was Genpachi in der vergangenen Nacht erlebt hatte, lief ihm aufs Neue ein Schauder über den Rücken. Der Ritt des Akaiwa Ikkaku diente also womöglich dazu, wieder einmal nach Herzenslust Ratten zu fressen - war das nicht ein rechtes Geisterbankett? Nachdem ihm Kakutarô diese eigentümlichen Dinge eröffnet hatte, wollte Genpachi seinerseits über das gestrige Vorkommnis sprechen. In diesem Augenblick ertönte aber aus dem Vorgarten des Hauses eine weinerliche weibliche Stimme.
"Mein Herr Gemahl....!"
Kakutarôs Miene blieb reglos.
"Mein Herr Gemahl, bitte zeigt Euch mir! Hört Euch an, was ich Euch sagen möchte!"
Kakutarô antwortete nicht. Die Frauenstimme begann zu schluchzen.
"Ich habe Euch mit niemandem betrogen. Und bin auch nicht schwanger...."
Kakutarô stand auf und öffnete eine Schiebet
ür. Vor der Bambushecke stand eine junge Frau, von Verlassenheit und Regen gezeichnet. Ihr Liebreiz glich einer Baldrianblüte. Als sie Kakutarô erblickte, leuchtete ihr Gesicht auf, als habe ein Sonnenstrahl es getroffen.
"Bitte seht Euch meinen Bauch an, seid so gut!", rief sie, sich an die Hecke klammernd.
"Ich warte noch ein halbes Jahr. Dann weiß ich, ob du ein Kind bekommst oder nicht", gab Kakutarô zurück. "Ich habe gerade Besuch. Geh nach Hause!"
Er schob die T
ür wieder zu.
"Das war meine Frau Hinaginu", sagte er mit traurigem Gesicht zu Genpachi. "Oder vielmehr, meine Ehemalige, von der ich mich vor zwei Monaten getrennt habe. Von ihrem Elternhaus kommt sie alle drei Tage einmal hergelaufen...."
Man hörte noch eine geraume Weile, wie sich ihr Schluchzen langsam durch den Regen entfernte.


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Kakutarôs Frau Hinaginu



"Weshalb empfangt Ihr sie nicht einmal? Sie tut mir leid..."
Genpachi hatte sie nur kurz erblickt, aber ihre klägliche Gestalt hatte sein Mitleid unerwartet stark erregt.
"Nein, sie ist halt ein bisschen verrückt... Wenn ich sie abweise, geht sie jedesmal gehorsam wieder nach Hause."
"Ein bisschen verrückt? Sie hat doch nur gesagt, dass sie jetzt nicht schwanger sei, und dass Ihr Euch ihren Bauch ansehen mögt...."
"Diese Frau ist im 4.Monat schwanger."
"Und deshalb habt Ihr Euch von ihr getrennt?"
"In diesem Frühjahr ist ihr Vater gestorben. Wir legten Trauerkleidung an und enthielten uns aus Pietät ein halbes Jahr des ehelichen Verkehrs. Aber in dieser Zeit ist Hinaginu schwanger geworden."
"Oh!"
"Ihr Leib wird langsam dicker, ihre Menstruation setzte ab dem 6.Monat dieses Jahres aus. Das Kind kann nicht von mir sein. Als ich sie fragte, wer der Vater sei, erklärte sie nur, sie wisse von gar nichts. So etwas sei eine Schande für das Haus Akaiwa, tobte meine Stiefmutter. Meine jetzige Stiefmutter, das ist eine Frau mit Namen Funamushi, die dritte Frau meines Vaters."
"Funamushi...."
Wenn Inuta Kobungo diesen Namen gehört hätte, hätte er sicher laut aufgeschrien, aber seit ihrer Trennung am Berge Arameyama hatten sich Genpachi und Kobungo noch nicht wiedergesehen, und Genpachi hatte nur leichthin diesen Namen vor sich hingemurmelt.
"Es ist eine Frau, die aus Musashi gekommen ist, und eines Tages, als mein Vater nach Ashikaga gegangen war, brachte er sie auf dem Heimweg aus einer Sakekneipe mit. Sie führte eine schwarze Katze mit sich, aber trotzdem nahm mein Vater sie zur Frau. Oder vielmehr nicht 'trotzdem', sondern wie eben gesagt war mein Vater bereits von einer Katze verhext, und ebendies war womöglich der Grund, dass er sich mit dieser Frau eingelassen hat. Jedenfalls ist diese Frau meine jetzige Stiefmutter.
'Das ist eine Schande für unser Haus', hatte sie gescholten, und mein Vater hatte genickt. Ich kann mich ihm nicht widersetzen. Vor zwei Monaten habe ich mich von meiner Frau getrennt. Ich selbst habe auch mancherlei Kummer erlitten und, davon ermüdet, mein Elternhaus verlassen und lebe jetzt in dieser Grasklause."
Genpachi entsann sich des scharfen Urteils, das die alte Frau in dem Teehaus gestern über die jetzige Frau des Hauses Akaiwa gefällt hatte.
"Hinaginu ist ein Mädchen aus dem Dorf Inumura, das eine halbe Meile von hier entfernt liegt. Es war ein Haushalt von Vater und Tochter, und weil ihr Vater, wie schon gesagt, im Frühjahr verstorben ist, lebt sie ganz allein, auch wenn sie in ihr Elternhaus zurückkehrt. Dass sie da verrückt geworden ist, kann ich schon verstehen. Mir tut sie auch leid."
Aber dann schüttelte er den Kopf.
"Solange sich das mit ihrer Schwangerschaft nicht klärt, kann ich mich jedenfalls
mit Hinaginu nicht abgeben."
Auch Genpachi wusste keinen Rat, wie Kakutarô sich zu dieser von aller Welt verlassenen, armen jungen Frau verhalten solle.
Eine längere Zeit war nichts zu vernehmen als das Prasseln des Regens auf dem Reetdach der Hütte. Dann raffte sich Genpachi auf und erzählte die unheimliche Begebenheit, die er gestern am Kôshinyama erlebt hatte. 
"Dass jemand von einer Hundegottheit besessen sei, habe ich schon einmal gehört, aber nicht von einer Besessenheit durch einen Katzengott. Aber wenn es Hundegottheiten gibt, wäre es nicht verwunderlich, falls es auch Katzengottheiten geben sollte. Es ziemt sich zwar nicht, so zu Euch zu sprechen, aber Euer Herr Vater, das muss ich sagen, ist schon kein menschliches Wesen mehr."
Und dann fügte er noch hinzu: "Selbst das Pferd sah für mich geisterhaft aus... ich frage mich trotz alledem, ob es sich nicht vielmehr um einen Alptraum gehandelt hat!"
Kakutarô, der mit entsetzt geweiteten Augen zugehört hatte, stöhnte nun mit tieftraurigem Gesicht:
"Und doch ist er letzlich mein Vater! Mein Vater, der mich als Kind an der Hand gehalten und mich später den Schwertkampf gelehrt hat!"
Für die Nacht ließ sich Genpachi in dieser Schilfhütte beherbergen.

Seit er Kakutarô kennen gelernt hatte, empfand Genpachi für ihn eine erstaunliche seelische Verwandtschaft, und während er in derselben armseligen Hütte übernachtete, spürte er, dass der junge Mann ihm mehr bedeutete als eine flüchtige Bekanntschaft. Er wusste zwar nicht, wie er dem unglücklichen Kakutarô helfen könnte, aber er würde es nicht fertig bringen, ihn einfach sich selbst zu überlassen.
"Ich möchte trotzdem noch einmal die Kampfschule aufsuchen", äußerte Genpachi am folgenden Nachmittag entschlossen, nachdem er bis dahin mit sich zu Rate gegangen war. "Es hieß zwar, Meister Akaiwa sei krank, aber ich mache mir Sorgen, dass es mit der Verwundung durch meinen Pfeil zusammenhängen könnte." 
"Nun denn... Soll ich auch mitkommen?"
"Nein. Es könnte sein, dass Meister Akaiwa mich am Berg Kôshinyama erblickt hat; dann wäre es schlimm, wenn wir beide gemeinsam bei ihm auftauchten. Ich will nur sehen, wie es um ihn steht, und komme dann zurück, um es Euch zu berichten."
Kakutarô nickte zwar, sagte aber:
"Lasst Euch auch nicht versehentlich auf einen Streit mit meinem Vater ein! Gegenwärtig ist mein Vater ein Schwertkämpfer mit, ich kann es nicht anders sagen, Geisterkräften."
"Ist mir klar."
"Und im anderen Fall, falls mein Vater ums Leben käme, geriete auch ich in Not."
"Verstanden. Also, bis nachher!"


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Genpachi kehrte zum Dorf Akaiwa zurück und suchte die Schwertkampfschule auf. Der Schüler, der ihn am Eingang empfing, musterte ihn zornig.
"Schon wieder Ihr? Habt Ihr denn vergessen, dass ich gestern gesagt hatte, der Meister sei krank?"
Am Tor waren mehrere Pferde mit prachtvollen Sätteln angebunden. Ikkaku hatte wohl Besuch. Genpachi machte widerwillig am Tor kehrt.
'Es ist sinnlos, so einfach abgewiesen zu werden', dachte er missmutig, während er mit verschränkten Armen davonschritt. Da hörte er, dass ihn jemand rief und ihm nachgelaufen kam. Als Genpachi sich umdrehte, kam der Schüler vom Empfang angerannt.
"Herr Samurai, jemand hat geäußert, Euch empfangen zu wollen."
"Ha?"
"Aber nicht der Meister. Es sind zufällig einstige Schüler gekommen, den Meister aufzusuchen. Sie wollen Euch sehen, genügt Euch das?"
Genpachi beschloss, die Kampfschule Akaiwa zu betreten. Er kehrte wieder um. Als er in die Übungshalle eintrat, hockte dort eine größere Anzahl offenkundig ortsansässiger Schüler zusammen; aber auch vier richtige Samurai, die auf einen Blick von den Jungen zu unterscheiden waren, hatten Platz genommen. Akaiwa Ikkaku war nicht zu sehen.
"Ihr seid ein Schwertkämpfer in Ausbildung?", sprach einer der Samurai, ein Mann mit Bart.
"Jawohl, ich bin ein Nachwuchskämpfer, ein herrenloser Samurai aus Shimôsa mit Namen Inukai Genpachi."
"Ich bin Hattô Tôta und stehe in Diensten des Feldherrn Nagao Kageharu. Ich bin hier, um meinem Lehrmeister Akaiwa einen Dankesbesuch abzustatten. Ich stehe Euch als Partner zur Verfügung", sprach er hochmütig, stand auf und griff sich ein Holzschwert. Von vornherein zeugte seine Haltung davon, dass er keinen wirklichen Zweikampf im Sinne hatte, sondern es vielmehr diesem dahergelaufenen Fremdling
aus reinem Spaß mal so richtig zeigen wollte. Als er jedoch nach wenigen Schlagwechseln umgekehrt von Genpachi umgehauen wurde, machte er ein betroffenes Gesicht. Der zweite Samurai stellte sich zum Kampf, verdrehte aber schon nach nur einem Hieb die Augen.


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Schwertkampftraining mit Holzschwertern


"Die beiden anderen können meinetwegen auch gleichzeitig gegen mich antreten", lächelte Genpachi. "Aber es ist vielleicht besser, einen Arzt rufen zu lassen."
Aber just da traten durch das Tor zum inneren Wohngebäude der Schule drei Personen herein. Die eine war tatsächlich Akaiwa Ikkaku, aber als Genpachi sah, dass er einen weißen Seidenverband schräg über das linke Auge trug, bekam er doch einen Schrecken. Es war also doch kein Alptraum gewesen!
Die zweite Person war ein gro
ß gewachsener Samurai etwa Mitte vierzig mit bläulich glattrasiertem Kinn, der ein ärmelloses Übergewand und Reisebeinkleider aus Damast trug, und die dritte war eine Schönheit leicht fortgeschrittenen Alters mit einer schwarzen Katze auf dem Arm, die jedoch aufreizend sinnlich wirkte.
Nun kamen die beiden anderen Samurai mit ihren Holzschwertern mit wildem Kampfschrei auf Genpachi eingestürmt. Ihre Holzschwerter flogen, aus ihrer Hand geschlagen, davon, die zwei Kämpfer taumelten zurück und stürzten zu Boden.
"Ho?", brummte der Samurai mit
dem ärmellosen Übergewand, der das mit angesehen hatte, und stand starr.
"Die 'vier Himmelskönige' des Komiyama Ittôta, diese hochgepriesenen Kämpfer des Hauses Nagao, ... umgehauen!  Wer... wer seid Ihr?"
Komiyama Ittôta. Wäre es Inuzaka Keno gewesen, der diesen Namen hörte, hätte auch er einen lauten Überraschungsschrei ausgestoßen. Es handelte sich um den Mann, der vor achtzehn Jahren der zweite Burgvogt des Chiba Yoritane gewesen war und den ersten Burgvogt Aihara Tanenori umgebracht hatte. Aber die Schätze des Hauses Chiba, die Bambusflöte und zwei berühmte Schwerter, waren von irgendwem geraubt worden. Wegen dieser Schande hatte er sich nicht zurückgetraut und in seiner Verzweiflung die Flucht ergriffen. Einige wenige Leute waren mit ihm gekommen und ziellos durch die Lande der Kantô-Region gestreift. Zwei Jahre später gelangten sie zufällig in dieses Gebiet und versuchten, in der in ganz Shimôsa gerühmte Schwertkampfschule des Akaiwa Ikkaku ihre Stärke unter Beweis zu stellen, aber obwohl sie sich für die erprobtesten Krieger des Hauses Chiba hielten, kassierten sie im Handumdrehn eine deftige Niederlage.


Die "vier Himmelskönige" schützen den Weltenberg Meru der indischen Mythologie gegen Feinde aus den vier Haupthimmelsrichtungen. Ihren Befehlen untersteht die himmlische Streitmacht der Yashas (himmlische Heerführer). Seit dem Altertum ist es üblich, Vierergruppen nahezu unschlagbar starker Vasallen oder Gardisten im übertragenen Sinne als "vier Himmelskönige" zu bezeichnen.


Da sie ohnehin kein spezielles Ziel hatten, blieben sie allesamt als Schüler in der Schwertkampfschule, und Ittôta stieg zum stellvertretenden Schulleiter auf. In jener Zeit erging vom Hause Nagao, das über weite Gebiete von Echigo bis nach Kôzuke das Sagen hatte, der Ruf an Akaiwa Ikkaku, dessen Ruhm wie Donnerhall bis dorthin gedrungen war, in dessen Dienste zu treten. Ikkaku lehnte jedoch mit der Begründung ab, er müsse seine Kampfkraft noch weiter vervollkommnen und wolle den großen Schwertkampfmeister Nikaimatsu Yamashironosuke in Koga aufsuchen; an seiner Statt empfahl er Komiyama Ittôta. Und danach hatte Akaiwa Ikkaku in dem Dorf Ôtsuka in Musashi gewohnt und sich mit Inuzuka Bansaku und dessen Sohn angefreundet.
Komiyama Ittôta, der in den Dienst des Hauses Nagao getreten war, stieg danach auf und fungierte derzeit als Kommandeur der Vasallenstreitmacht. Auf einer Dienstreise im Auftrag seines Herrn hatte er heute in der Nähe zu tun und die Gelegenheit genutzt, um Meister Ikkaku zu besuchen.
Es gab zwar diese alte Verbundenheit, aber er wollte auch von Meister Ikkaku wieder einmal unterrichtet werden und erfahren, welche Fortschritte diese Schule gemacht hatte. Insgeheim hoffte er womöglich, dass seine Leute mit der Zeit stärker als ihr Lehrmeister geworden seien. In dieser Erwartung war er gekommen, aber zu seinem Leidwesen hatte Meister Ikkaku eine Augenverletzung erlitten, weshalb der Schwertkampf entfallen musste. Bei einer Übung im Bogenschießen, sagte Ikkaku mit seiner Binde über dem einen Auge, sei der Pfeil vom getroffenen Ziel zurückgeprallt, was diese Verletzung bewirkt habe... Beide bedauerten dies und vertrieben sich seit der Mittagszeit mit Sake die Zeit, als jener Samurai auf Durchreise um Unterweisung ersuchte. Und das schon zum zweiten Mal. Die vier Vasallen, die sich auf ihre Schwertkunst viel einbildeten und vermeinten, ihrem Herrn kaum nachzustehen, wollten sich sozusagen als Zuspeise zum Sake mit dem hereingebetenen Fremden ein wenig vergnügen, mit dem geschilderten Ergebnis.
'Wer seid Ihr?', hatte Ittôta zwar gefragt, aber er wusste, dass es sich um einen so gut wie namenlosen Kriegsmann auf Reisen handelte. Solch einen gefährlichen Mann indes einfach lebendig weiterziehen zu lassen, das ging nicht an.
"Ich werde mich mit dir messen. Und zwar mit scharfen Schwertern", sagte Ittôta
, zog sein Schwert aus der karminroten Scheide und wollte antreten.
"Halt, einen Augenblick!", ging Akaiwa Ikkaku dazwischen, der Genpachi scharf angesehen hatte, und hielt 
Ittôta mit der Hand zurück.
"Ihr seid dem Mann nicht gewachsen. Überlasst das mir!"
Er trat anstelle des Ittôta vor.
"Junger Mann, zieht blank!", rief Ikkaku und zog sein Schwert aus der Scheide.
Genpachi zog zwar unwillkürlich blank, aber in seinem Innern tobte ein Zwiespalt.
'Schließlich ist er mein Vater...
Lasst Euch auch nicht versehentlich auf einen Streit mit meinem Vater ein... Falls mein Vater ums Leben käme, geriete auch ich in Not', hallte die nachdrückliche Bitte des Kakutarô in seinen Ohren wider. Nun sollte er mit diesem Ikkaku auf Leben und Tod fechten - Genpachi fühlte den kalten Schweiß, der ihm den Rücken hinunterlief. Überdies hatte Kakutarô noch gesagt, dass sein Vater gegenwärtig ein Schwertkämpfer mit Geisterkräften sei.
Genpachi verspürte bei seinem ruhig dastehenden Gegner die mit Worten nicht beschreibbare, übermenschliche Wendigkeit und Sprungkraft einer wilden Bestie, ja sogar einen den ganzen Körper lähmenden Bann, der nur noch nicht aktiviert worden war. Obendrein begann das einzige Auge des Akaiwa Ikkaku gerade, goldfarben zu erglühen! Wie durch Hypnose wurde es trüb in Gepachis Kopf.


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Ikkaku erhob sein Schwert, aber in diesem Augenblick rief Genpachi laut: "Oh, Kôshinyama!"
Ihn durchfuhr die Erinnerung an die goldglühenden Augen des Mannes, dem er am Berg Kôshinyama begegnet war. Auf der Stelle erstarrte nun Ikkakus Bewegung wie festgebannt.
Genpachi drehte sich um und ergriff die Flucht. In der Kampfschule sprangen alle auf.
Komiyama Ittôta brüllte: "Lasst ihn nicht entkommen, ihm nach!"
Kaum ins Freie gelangt, sprang Genpachi seitlich auf die Mauer und schwang sich gleich weiter aufs Dach
hinauf. Die Schüler, die aus der Halle geströmt kamen, teilten sich vor dem Tor und liefen nach links und rechts suchend davon. Genpachi stieg unentdeckt über das Dach zur Rückseite des Anwesens, sprang hinunter und wanderte dann geradewegs nach Tamagaeshi.



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"Dumm gelaufen ist das...."
Genpachi berichtete, nachdem er in der Grashütte angekommen war, kurz das bis jetzt Geschehene.
"Die Verletzung Eures Herrn Vaters am Berg Kôshinyama war also doch kein schlimmer Traum. Er hat tatsächlich eine Wunde am linken Auge erlitten. Das habe ich gesehen, aber was ich jetzt tun soll, weiß ich auch nicht. Ich wollte Euch nur diese Nachricht überbringen und gehe jetzt besser fort."
Er wollte eilig aufstehen, aber Kakutarô sagte:
"Wartet. Es ist schon zu spät. Die Verfolger sind da."
In der Tat waren die Schritte vieler nahender Menschen zu vernehmen, durchsetzt von Hufgetrappel.
"Ihr habt keine Chance zu entkommen. Was die Schüler angeht, die schicke ich zurück. Wenn mein Vater mit dabei ist, rede ich mit ihm. Oder vielmehr, ich muss diese Gelegenheit nutzen, um mit ihm zu sprechen."
Draußen vor der Hecke machten die Schritte Halt, und aus den Geräuschen heraus ertönte der Ruf "Kakutarô!"
Kakutarô schob die Türe auf und trat auf den Bohlenrand. Er erblickte seinen Vater Ikkaku, der dort stand, die Zügel seines Pferdes in der Hand haltend. Genpachi, der im Innern saß, war voll sichtbar.
"Schick mir diesen Mann heraus!", sagte Ikkaku. Hinter Ikkaku waren natürlich auch der noch aufsitzende Komiyama Ittôta, die hinterdrein drängenden Schüler und eine große Schar Katzen zu sehen.
Kakutarô setzte sich in aller Ruhe nieder und schüttelte den Kopf.
"Was soll dieser Mann getan haben? Er hat nur die Gegner in der Kampfschule besiegt. Was soll dieser Aufwand?"
"Darum geht es nicht", sagte Akaiwa Ikkaku düster. "Er ist derjenige, der mir
mit seinem Pfeil das Auge ausgeschossen hat."  
"Er hat seinen Pfeil auf die Katze abgeschossen, von der mein Vater besessen ist", erwiderte Kakutarô. "Wie lange wollt Ihr Euch noch von einem solchen furchterregenden Dämon verhexen lassen? Ich bitte Euch inständig, wieder mein Herr Vater von früher zu werden. Erinnert Ihr Euch noch an Herrn Inuzuka Bansaku und seinen Sohn, mit denen wir vor gut zehn Jahren, als wir im Dorf Ôtsuka in Musashi lebten, eng befreundet waren? Dieser Sohn Shino war mein bester Freund. Und dieser Herr Inukai ist ein enger Freund jenes Inuzuka Shino. Ich lehne es strikt ab, Euch diesen Mann auszuliefern."
"Was?", knurrte Ikkaku. "Kakutarô, willst du dich gegen mich auflehnen?"
"Das habe ich nicht vor. Aber wenn Ihr Herrn Genpachi erschlagen wollt, so bringt zuerst mich um!"
Kakutarô ergriff das Schwert an seiner Seite und warf es samt Scheide unter die Hecke.
"Ich bitte Euch, Herr Vater, werdet wieder mein Vater wie ehedem!", stieß er mit schmerzerfüllter Stimme hervor.
Über Ikkakus Gesicht lief eine Welle von Verzweiflung. Sie war der Ausdruck des Kampfs in seiner Seele zwischen einem Menschen, den er liebte, und einer Bestie. Aus dem Schatten Ikkakus, der zögernd dastand, trat von hinten her eine Frau hervor und rief:
"Kakutarô, willst du deinem Herrn Vater etwa Lehren erteilen?"
Sie trug eine schwarze Katze auf dem Arm und hielt an der Hand noch eine junge Frau. Diese Frau, die etwas später eingetroffen war, war Ikkakus Ehefrau Funamushi, aber als er die andere Frau erblickte, musste Kakutarô doch ziemlich blinzeln. Es war nämlich seine Frau Hinaginu.
"Auf dem Weg hierher sah ich diese Hinaginu hier herumlaufen und habe sie mitgebracht. Diese Frau, die wegen ihres Fehltritts samt Schwangerschaft aus dem Hause Akaiwa entfernt wurde, soll, wie ich hörte, auch jetzt noch weiterhin um dein Haus herumlungern. Ich weiß nicht, was dir einfällt, das zuzulassen. Weißt du nicht, dass du damit zur Schande des Hauses Akaiwa beiträgst? Du hast keinerlei Recht, Herrn Ikkaku irgendwelche Lehren zu erteilen!"
Hinaginu warf mit weinerlicher Stimme ein: "Ich bin doch gar nicht schwanger! Glaubt es mir! Ich bin wirklich nicht schwanger!"
"Und dein dicker Bauch, wo kommt der her?"
Funamushi stierte Hinaginus Bauch an. In der Tat war seine Wölbung alles andere als natürlich.
"Es ist alles ein Irrtum. Ach, ich möchte mir den Bauch aufreißen und es allen zeigen...!", rief Hinaginu gequält.
"Den Bauch aufreißen.....", murmelte Funamushi mit unheimlicher Stimme. "Wenn du das tust, wird das Auge des Herrn Ikkaku heilen."
"Was soll das denn heißen?", warf Kakutarô ein.
"Ich habe gehört, dass es zur Heilung einer durch einen Pfeil verursachten Augenverletzung nötig sei, die Augen eines ungeborenen Kindes aus dem Leib seiner Mutter zu essen. Wenn dies geschähe, wäre das die beste Sühne gegenüber ihrem Schwiegervater", sagte Funamushi.
Welch fürchterliche Worte aus dem Mund dieses Weibes! Nur der Teufel weiß es. Es war diese Funamushi, die vor zwei Jahren dem Inuta Kobungo eine Falle stellen wollte, sich aber selbst darin verfing. Dann konnte sie durch die Hand der Leute des Makuwari Daiki entkommen und verschwinden. Wo war sie in der Zwischenzeit gewesen, und was hatte sie getrieben? Es war ihr jedenfalls gelungen, ganz offen die dritte Ehefrau des Akaiwa Ikkaku zu werden. Das ihr eigene teuflische Wesen passte wohl vorzüglich zu Ikkakus Verwandlung in einen Dämon. Und darüberhinaus war Ikkaku jetzt vollgesogen von ihrem Gift.


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Die teuflische Funamushi als Ehegattin des Akaiwa Ikkaku



Das Elternhaus der neuen Gemahlin von Ikkakus einzigem Sohn Kakutarô, das Haus Inumura, zählte zwar zum lokalen Samuraistand, besaß aber reichlich urbares Ackerland. Die Familie bestand nur aus Vater und Tochter, und in diesem Frühjahr war auch Hinaginus Vater verstorben. Nun war aller Besitz des Hauses Inumura in die Hand der Braut Hinaginu gelangt. Und wenn man Hinaginu vertreiben und Kakutarô aus dem Haus werfen könnte, würde das alles Akaiwas, und mithin auch Funamushis Eigentum. Dass sie Ikkaku dazu drängte, Hinaginu von seinem Sohn zu trennen und Kakutarô zum Waldeinsiedler zu machen, beruhte zwar auf dieser Gier, aber vielmehr war sie von Natur au
s eine solche Gifthexe, dass sie ein junges, hübsches Paar, das im selben Haus in inniger Liebe zusammenlebte, einfach nicht ertragen und ihrem Trieb, diese Eintracht zu zerstören, nicht widerstehen konnte. Dennoch war das, was Funamushi soeben gesagt hatte, haarsträubend entsetzlich.
"Lasst solche albernen Reden!", rief Kakutarô errötend, denn es war immerhin seine Stiefmutter, die ihm gegenüber stand. "Hat Hinaginu denn nicht gesagt, dass sie nicht schwanger ist?"
"Oh weh, und das glaubst du ihr so einfach? Warum hast du dich dann von ihr getrennt?"
Kakutarô war sprachlos, gab aber nach einem Atemzug kläglich zurück:
"Selbst wenn sie schwanger sein sollte, wäre es unerhört, ihr Ungeborenes zu essen...."
"Ach, das Ungeborene... Dann liefer uns halt diesen Kerl da aus!"
Sonderlich logisch war diese Forderung Funamushis nicht, aber auf einmal stöhnte Ikkaku:
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Sein Auge, das auf Hinaginus gerundeten Bauch starrte, glühte goldgrün auf. Kakutarô hielt vor Entsetzen den Atem an. Da bückte Hinaginu sich plötzlich nieder und griff nach etwas auf dem Boden Liegendem. Es war das Schwert, das Kakutarô vorher von sich geworfen hatte. Hinaginu zog es aus der Scheide und umfasste die Klinge mit ihrem Ärmel.
"Mein Herr Gemahl..., seht her...., dass ich nicht schwanger bin!"
Sie stellte ein Knie auf, und dann stieß sich diese liebreiche, bedauernswerte, schöne Frau die Klinge durch das Gewand in den Leib.
"Oooh!"
Nicht nur Kakutarô, sondern auch Genpachi im Innern der Hütte sprangen auf und rannten in den Vorgarten. Vor aller Augen wandte sich Hinaginu, als wollte sie sagen "seht her, ich bin unschuldig!", zu Funamushi hin und zog die Klinge quer durch ihren Unterleib.
In diesem Augenblick schoss ein Blitzstrahl aus der Blutfontäne, die ihrem Leib entquoll. Ihr Blut spritzte auf Funamushi und Ikkaku, aber der Blitzstrahl traf direkt auf Ikkakus offenes, goldglühendes Auge, und ein Gegenstand prallte von dort in den Garten zurück.
"Waooo!"
Dieser starke Kämpfer Ikkaku stürzte wie vom Blitz getroffen nieder. Kakutarô hatte dafür kein Auge, sondern schloss Hinaginu in die Arme.
"Hinaginu, meine Hinaginu, was hast du getan!"
"Mein Herr Gemahl, ....seht her...., es ist kein Kind in meinem Bauch...."
Kakutarô blickte nur kurz auf Hinaginus blutbesudelten Leib; er starrte mit blutunterlaufenen Augen auf seine Stiefmutter und brüllte, zum ersten Mal ohne jeden Respekt:
"Funamushi, her mit dir, sieh dir Hinaginus Bauch an!"
Aber Funamushi, Komiyama Ittôta auf seinem Ross und alle Schüler stierten nur wie benommen auf den am Boden liegenden Akaiwa Ikkaku. Sein Mund war bis zu den Ohren aufgerissen, spitze Fangzähne säumten seinen Schlund. Sein Bart wehte wie vertrocknetes Pampasgras. Das konnte nur die Fratze eines Katzendämons sein. Es hatte so ausgesehen, als ob Ikkaku sein Bewusstsein verloren hätte, aber sein Arm bewegte sich, seine Fingerkrallen gruben sich in den Boden. Mit dämonischer Geschmeidigkeit erhob er seinen Kopf.
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Während er schon wieder diese Worte von sich gab, sprang er so plötzlich auf, dass er sich beinahe überschlug.  
"Waooo!"
Mit blitzschnell gezückter Klinge sprang er, mysteriöse Laute brüllend, hinüber, wo Kakutarô Hinaginu in den Armen hielt.
"Du Unwesen!", schrie Genpachi, der neben den beiden kniete, und hieb den gespenstischen Schatten, der auf sie zugesprungen kam, mit dem Schwert entzwei. Dessen abgetrennte Beine fielen auf die Erde, und Akaiwa Ikkaku schlug inmitten seines eigenen Bluts ohne Beine auf dem Boden auf. Diesmal war er wirklich tot.
Da sah Kakutarô, wie Funamushi auf den Sattel von Komiyama Ittôtas Pferd steigen wollte und dieser sie zu sich hochzog und sein Pferd mit den Zügeln wendete.
"Halt!", schrie er. Genpachi wollte zu ihm hinlaufen, da stieß sein Fuß gegen etwas Hartes. Als er erkannte, dass es eine Kristallkugel war, hielt er wie angenagelt im Lauf inne.
"Ha, was ist denn das?", rief Genpachi unwillkürlich und hob die Kugel auf. 
"REI!", schrie er. Das war das Schriftzeichen, das in der Kristallkugel zu schweben schien.

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 REI bedeutet Anstand



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Genpachi dachte nicht mehr daran, den zu Pferde flüchtenden Ittôta und Funamushi und der hinterherlaufenden Schar der Schwertkampfschüler auch nur nachzuschauen. Er murmelte nur:
"Was ist das...? Was ist das nur...? Was hat es damit auf sich...., dass hier eine solche Kristallkugel aufgetaucht ist?"
Er reichte sie Kakutarô und fragte: "Ist das nicht das Ding, das gerade eben aus Hinaginus Bauch herausgeflogen kam?"


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Kakutarô mit seiner Kristallkugel - 
Er wird den Namen seiner schuldlos ums Leben gekommenen Gemahlin annehmen und in ihrem Namen weiterleben 



"Aaah!", stöhnte Kakutarô mit weit aufgerissenen Augen. "Jetzt wird mir alles klar! Das ist es gewesen, was Hinaginu wie schwanger aussehen ließ! Kurz nach meiner Geburt unternahm meine Mutter eine Wallfahrt zum Hakusan-Schrein im Lande Kaga. Sie griff sich ein wenig Kies von jenem Schrein, um ihn in meinen Amulettbeutel zu füllen, und diese Kugel mit dem Schriftzeichen REI lag zwischen den Kieseln. Ich habe sie immer sorgsam in meinem Amulettbeutel verwahrt, aber eines Tages im 6.Monat holte Hinaginu die Kugel heraus, um sie sich näher anzusehen. Da trat auf einmal diese Funamushi von hinten her zu ihr und wollte sehen, was Hinaginu da hatte. Daraufhin verschluckte Hinaginu hastig die Kugel. Jetzt fällt mir ein, dass Hinaginus Bauch seitdem dicker war... Es darf doch nicht wahr sein, dass diese Kugel die Ursache dafür war!"
"Herr Kakutarô, habt Ihr nicht an irgendeiner Stelle Eures Körpers ein Mal, das die Form einer Päonienblüte aufweist?"
"Ja, das habe ich. Und zwar peinlicherweise auf der linken Backe meines Hinterteils", antwortete er, fügte aber verwundert hinzu: "Wie kommt es, dass Ihr davon wisst?"
Mit leuchtenden Augen berichtete Genpachi von den durch ein Schicksal aus einer früheren Existenz verbundenen Hundekriegern, deren Kennzeichen diese Kristallkugeln und das Päonienmal sind. Während er davon hörte, begannen die traurigen Augen des Kakutarô zu strahlen.
"Ach, so ist das also, das ist die tiefere Bedeutung!", nickte er und blickte auf seine tote Gemahlin, die auf seine Knie gebettet lag.
"Ach, die Ärmste, sie ist schon leblos.... Aber seht her, Hinaginu trägt ein Lächeln im Gesicht! Sie, die meine Gattin ist, hat mir diese Kristallkugel aus ihrem Leib wiedergeschenkt!"
Er umschlang den bluttriefenden Leichnam und rief:
"Ist sie nicht wahrhaftig eine Wiedererscheinung der Fusehime, von der Ihr berichtet habt?"
"Ohne Hilfe dieser Kugel hätte ich Herrn Ikkaku nicht niederschlagen können. Die Kugel hat genau sein gesundes Auge getroffen, und dass Herr Ikkaku nun auf beiden Augen blind war, hat es mir ermöglicht."
Aber es lief Genpachi dabei erneut kalt den Rücken hinunter.
"Aber ich habe nun doch Euren Herrn Vater umgebracht", sagte er, sein Haupt tief neigend.
"Nein, lasst es gut sein, es gab keine andere Möglichkeit." Kakutarô schüttelte den Kopf. "Mein Vater war nicht nur von einer Katze verhext, sondern selbst zu einem dämonischen Ungeheuer geworden. Aber dieses Weib namens Funamushi wird meinen Vater umgarnt haben, damit er Hinaginu das Kind aus dem Leib reißt. Sie spricht kaltblütig dermaßen verwerfliche und abscheuliche Dinge aus, dass selbst die teuflischsten Dämonen den Blick von ihr abwenden. Sie hat sich vermutlich schon aus dem Staub gemacht, aber die Strafe des Himmels wird sie bestimmt ereilen", sagte er zähneknirschend, das Gesicht zum Himmel gewandt.
"Brechen wir auf, Herr Inukai!", sprach er entschlossen. "Wir sind acht Hundekrieger; jetzt kennen wir sieben, nur einer ist noch nicht gefunden. Und wo die anderen fünf stecken, wissen wir auch nicht. Auf die Reise, um sie zu finden, begleite ich Euch."
Unter Tränen bestattete er Hinaginu. Und mit unangenehmen, schmerzlichen Gefühlen bestattete er seinen Vater Ikkaku.
Sie durchsuchten die Schwertkampfschule Ikkaku; es sah so aus, als habe Komiyama Ittôta seine "vier Himmelskönige", die von Genpachi niedergeschlagen worden waren, in Sänften gesetzt, sogar das verführerische Weib Funamushi mitgenommen und sich hastig davongemacht.
Den Namen Akaiwa zu führen, sagte Kakutarô, sei ihm fortan zuwider; fortan wolle er sein Leben auch im Namen seiner Gemahlin führen und deshalb ihren Familiennamen Inumura annehmen und seinen Eigennamen in den Kriegernamen Daikaku abändern.


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Inumura Daikaku, der siebte Hundekrieger - im Manga, mit 'Scholar'-Image



So brachen sie gemeinsam aus Shimotsuke zu ihrer Reise auf, als die Herbstwinde die Ähren des Pampasgrases zu zausen begannen. Es war der 10.Monat des 12.Jahrs Bunmei (1480). 



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In demselben 10.Monat des 12.Jahrs Bunmei (1480), als Inukai Genpachi zusammen mit Inumura Daikaku aus dem Lande Shimotsuke zu ihrer Wanderschaft aufbrachen, wurde auf Inuzuka Shino, der durch das Land Kai streifte, plötzlich ein Schuss abgegeben. Shino stürzte zu Boden.
Seit der Trennung von den Gefährten am Berge Arameyama waren etwa zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit war auch Shino auf der Suche nach den sieben anderen 'Brüdern' durch die Lande gezogen. An jenem Abend wanderte er im Lande Kai bei Tomino im Distrikt Koma am Fuß des Berges Anayama auf der Landstraße dahin, die von hohen Herbstgräsern fast zugewuchert war. Als der Schuss fiel, stürzte er in das trockene Gestrüpp. In Wirklichkeit hatte die Kugel nur seinen Ärmel durchschlagen, aber er warf sich nieder und stellte sich tot.


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Inuzuka Shino



Bald kam durch das Gesträuch ein Samurai um die vierzig mit einem einzigen Gefolgsmann gelaufen und fand Shino, der mit dem Bauch nach unten dalag.
"Ho? So ein Mist! Ich dachte, es sei ein Hirsch und habe versehentlich einen Mann totgeschossen!", hörte Shino ihn verdattert sagen.
Sie wollten hastig fortlaufen, aber nach etwa zehn Schritten rief der Schütze "Warte!", und blieb stehen.
"Der Mann, der da liegt, trägt an seiner Seite ein Schwert, das mir kein gewöhnliches Schwert zu sein scheint. Dass ich ihn erschossen habe, lässt sich nicht ändern, aber ein Toter braucht kein wertvolles Schwert. Ich will die Gelegenheit nutzen und es an mich nehmen."
Er kam zurück und wollte sich an Shino zu schaffen machen. In diesem Augenblick sprang Shino auf. Nach einem kurzen Kampf war der Gefolgsmann ohnmächtig von Schmerzen, und der Samurai lag zu Boden gerungen im Schwitzkasten.
"Du alberner Narr! Du hast mich anscheinend für einen Hirsch gehalten und auf mich geschossen! Abgesehen von diesem Irrtum wolltest du auch noch das Schwert deines Opfers entwenden! Das ist weder ritterlich noch eines Samurais würdig. Sag mir, wer du bist, nenn deinen Namen!", schimpfte Shino, da kam ein Mann auf der von Herbstgräsern halb zugewachsenen Landstraße herbei, schaute her und rannte dann so schnell, dass er beinahe zu Fall kam, herbei.
"Wa...was ist Euch denn zugestoßen, Herr Awayuki?", rief er.
Der Samurai verzog schmerzlich das Gesicht.
"Wer bist du denn?", fragte Shino, und der Mann mittleren Alters antwortete:
"Ich bin der Dorfvorsteher des nahen Ortes Saruishi und heiße Yorogi Mukusaku."
Er merkte nicht, dass ihn der Samurai mit seinen wütenden Blicken zum Schweigen bringen wollte.
"Dieser Herr ist der Herr Forstverwalter des hiesigen Landesherrn vom Hause Takeda und heißt Awayuki Nashirô, aber... was ist mit ihm geschehen?", antwortete er.
"Wie, das ist der Forstmeister?"
Shino war bass erstaunt und ließ den Samurai los. Sofort leistete der Forstverwalter des Fürstenhauses Takeda, Awayuki Nashirô, wie eine Spinne auf allen Vieren einen Kotau vollführend, vor Shino Abbitte und flehte ihn an: "Bitte behaltet meinen Fehltritt für Euch, bitte sagt niemandem etwas darüber!"
Dann lief er eilig davon
und nahm auch seinen wieder zu sich gekommenen Begleiter mit.
Yorogi Mukusaku blickte ihm mit verblüffter Miene hinterdrein.
"Das ist also geschehen! Dieses Missverständnis ist sicher das Werk eines Dämons gewesen. Bitte seht ihm das nach!"
Er bat erneut um Verzeihung, als ob es seine eigene Schuld gewesen wäre. Und fragte Shino, wohin
er des Weges ziehe und ob er schon ein Obdach für die kommende Nacht habe. Shino antwortete, dass er auf der Suche nach bestimmten Leuten sei und sich keine Gedanken um ein Obdach für die hereinbrechende Nacht gemacht habe.
"Das trifft sich gut; es ist zwar eine Anmaßung, aber als Amtmann dieser Domäne kann ich den leidigen Vorfall wiedergutmachen. Kommt bitte mit mir und seid mein Gast!", forderte er Shino auf. "Und bei dieser Kälte sieht es so aus, als würde es in der Nacht Schneefall geben", fügte er mit einem Blick zum Himmel hinzu.
Shino hatte gesagt, dass er kein Obdach habe, aber überdies hatte Shino bei Mukusaku den Eindruck eines gutmütigen Mannes von schlichtem Gemüt gewonnen, weshalb er sich in das Dorf Saruishi zu dessen Haus mitnehmen ließ.
Die Bewohner begrüßten den Gast.
"Dies ist meine Frau, Nabiki."
Sie war jünger und hübscher als gedacht. Sie mochte Mitte dreißig sein und war eher sinnlich als schön.
"Und dies ist meine Tochter Hamaji."
"Wie? Hamaji?" Shino blickte das Mädchen mit stockendem Atem an. So direkt angestarrt, errötete die Tochter. Um die vierzehn Jahre mochte sie sein, und ihre Züge wirkten vornehm, so gar nicht zu Mukusaku passend.  
Mukusaku fragte erstaunt: "Was ist damit?"
"Nein, nichts Besonderes"
, schüttelte Shino den Kopf.
"Meine Frau ist, genauer gesagt, meine zweite Gemahlin", sagte Mukusaku entschuldigend, aber dass Shino der Atem stockte, hatte damit nichts zu tun. Der Grund war natürlich der Name Hamaji. Es war ein Name, der für ihn unvergesslich war.
Das Mädchen war zwar ebenso hübsch wie die frühere Hamaji, sah ihr aber überhaupt nicht ähnlich. Das war nur logisch, und die Übereinstimmung der Namen war nichts weiter als ein Zufall.
Aber in der Nacht ereignete sich etwas Seltsames, und danach
glaubte Shino nicht mehr, dass die namentliche Übereinstimmung reiner Zufall war.
Nach einer herzlichen Bewirtung hatte Shino sich zur Ruhe gelegt und war fest eingeschlafen. Er erwachte auf einmal, weil er einen starken Duft wahrnahm. Neben seinem Kissen saß dieses Mädchen. Sie schaute Shino, der aufgesprungen war, mit geistesabwesendem Blick an und sagte:
"Herr Shino, lang ist es her, dass wir uns sahen.... Ich bin Hamaji..."
Shino war, als sei er mit Wasser übergossen worden. Er schaute das Kind fragend an.
"Damals habe ich Euch gebeten, mit mir zusammen zu fliehen, aber Ihr habt es nicht für mich getan. Das hat mir den Tod gebracht...."
"........"
"Aber ich grolle Euch nicht länger. In der Welt, in der ich jetzt weile, wäre es sinnlos, Euch zu grollen. Aber ich bitte Euch, an meiner Statt dieses Mädchen Hamaji zur Frau zu nehmen."


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Hamaji von Saruishi



In diesem Augenblick waren Tritte auf dem Holzbohlengang zu vernehmen.
"Hamaji!....Hamaji!", rief eine Frauenstimme.
Die Tür flog auf, und Nabiki, die Gattin des Dorfvorstehers, schaute herein.
"Ja, was machst du denn hier in diesem Raum?", rief sie.
Da sah es aus, als ob Hamaji, obwohl ihre Augen offen standen, ihre Augen soeben auftäte.
Wegen der schrillen Stimme seiner Frau Nabiki war auch Mukusaku aufgewacht und kam herbei. Und Hamaji, wie gerade eben vom Schlaf erwacht, sagte, dass ihr im Traum ein unbekanntes Mädchen erschienen und gesagt habe, sie möge mitkommen. Sie habe sie an der Hand gefasst und hierher geführt - an alles, was danach war, könne sie sich überhaupt nicht erinnern.
"Mit dreizehn Jahren fängst du schon an zu schlafwandeln!", lachte Mukusaku, aber Nabiki zog ein schiefes Gesicht.
Shino war nicht zum Lachen zumute. Und nach einem schiefen Gesicht ebenso wenig. Ihn hatte ein vertrauter Schauder ergriffen.

Am andern Morgen war
im Dorf Saruishi Schnee gefallen.
"Das ist kein Wetter zum Weiterwandern!"
Von Mukusaku vom Aufbruch abgehalten, saß Shino mit seinem Gastgeber am Rand der Feuerstelle und hörte sich wieder eine seltsame Geschichte an. Dieses Mädchen Hamaji war keine leibliche Tochter des Mukusaku. Er hatte das Kind gefunden und an sich genommen. Als er vor etwa zehn Jahren am Berg Kurokomadake auf Jagd ging, erblickte er einen riesigen Adler, der von einem hohen Felsengipfel aufflog. Von dort, wo der Adler gesessen hatte, hörte er ein kleines Kind weinen. Er erklomm den Felsen und fand ein etwa dreijähriges Mädchen, das in vornehme Gewandung mit Sasarindô-Wappen gekleidet war und weinte.


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Das Sasarindô-Wappen des Fürstenhauses Satomi von Awa


Es sagte nur, dass es Hamaji heiße, wusste aber weder, von wo es gekommen, noch wie es hierher geraten war. Das Kind war so liebreizend und hübsch, dass er es mit nach Hause genommen und gemeinsam mit seiner vorigen Gattin großgezogen hatte.
Er drängte Shino wiederholt, in seinem Haus zu bleiben, zumindest bis zum nächsten Frühjahr.
"Nein, auf keinen Fall bis zum kommenden Frühjahr!", wehrte Shino ab, aber dann blieb er erst einen, und dann einen weiteren Monat; er tat dies weniger wegen der Winterkälte, sondern weil er von unsichtbaren Fäden, die von dem Mädchen mit Namen Hamaji ausgingen, festgehalten wurde. Mukusaku kannte zwar ihre Abstammung nicht, liebte Hamaji aber wie eine eigene Tochter und hütete sie sorgsam wie etwas sehr Wertvolles.
Auch seine zweite Frau Nabiki verhielt sich scheinbar in der gleichen Weise, aber Shino gewahrte schnell, dass ihre Hingabe nur äußerlich war. Wenn Mukusaku nicht anwesend war, änderte sich ihre Haltung sofort, und oft fuhr sie Hamaji grob an.
Hamaji war wortkarg und sah still in sich gekehrt aus, wodurch sie noch bedauernswerter anmutete. Shino begann, sich zu ihr hingezogen zu fühlen, und Hamaji sprach zwar nie darüber, aber in ihren Blicken, die sie auf Shino richtete, lagen ebensolche unausgesprochenen Gefühle. Ihr Anfall von Schlafwandelkrankheit in der Nacht, als Shino ins Haus kam, erschien ihm immer mehr als Ausdruck einer seelischen Sehnsucht, obwohl Hamaji sich selbst an nichts mehr erinnerte. Immer stärker spürte Shino, dass diese Hamaji eine Wiedergeburt seiner verstorbenen Hamaji sein musste.
Im Laufe der Zeit begann auch Mukusaku anzudeuten, dass er sich, bei allem Respekt, durchaus vorstellen könnte, dass Shino bei ihm bliebe und Hamaji seine Braut würde, aber Shino lehnte es natürlich ab, da ihm auferlegt sei, seine Wanderung durch die Lande auf der Suche nach seinen Gefährten fortzusetzen.
Mukusaku hatte allerdings begonnen, etwas in die Wege zu leiten, um Shino weiter festzuhalten. Er hatte insgeheim nach Wegen gesucht, Shino in den Dienst des Hauses Takeda treten zu lassen. Und in seinem gutmütigen Wesen dafür ausgerechnet den Forstmeister Awayuki Nashirô um dessen Hilfe gebeten.


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Yorogi Mukusaku



Zu den Dienstpflichten des Mukusaku gehörte, im Wald Brennholz zu schlagen, und Awayuki war der Forstverwalter, der in den Wäldern des Lehens für Ordnung zu sorgen hatte. Weil er deshalb immerzu durch diese Gegend streifte, kannten sie einander schon lange recht gut.
An einem Tag nach dem Jahreswechsel ganz zu Beginn des Frühlings erfuhr Mukusaku, dass sich Awayuki Nashirô gerade in dem Amtshaus ganz in der Nähe aufhalte. Er begab sich dorthin, um sich mit dem Forstverwalter zu besprechen.
"Um die Wahrheit zu sagen, handelt es sich dabei um jenen Mann, der Euch, dem Herrn Forstmeister, im Herbst des vergangenen Jahres eine ungebührliche Schmach bereitet hat..."
Es sprach über Shino und sagte, dass er seit jener Zeit bei ihm wohne und in Wirklichkeit ein prachtvoller junger Mann sei; er halte es für einen erheblichen Schaden für diese Domäne, wenn man ihn nicht in den Dienst des Fürsten berufe. Wegen jenes Zwischenfalls seinerzeit dürfte der Herr Forstverwalter möglicherweise einen Groll gegen jenen Herrn hegen, aber dem Wohl des Landes zuliebe diese Geschichte auf sich beruhen lassen. Um ihn näher kennen zu lernen und sich mit ihm auszusöhnen, möge er doch gemeinsam eine Schale Sake mit ihm leeren, bat Mukusaku den Forstverwalter.
"Aha... Nun ja, das treibt mir den Schweiß der Verlegenheit ins Gesicht. In möchte den Herrn gern wieder treffen und mich erneut bei ihm entschuldigen", nickte Awayuki, aber nachdem Mukusaku gegangen war, begannen Awayukis Augen auf eigentümliche Weise zu funkeln. Dass ein Mann, der über einen Fehltritt von ihm Bescheid wusste, in den Dienst des Hauses Takeda einträte,
kam überhaupt nicht in Frage. Das war es, was er befürchtete. Außerdem hatte Forstmeister Awayuki schon lange ein Auge auf die sinnliche Ehefrau Nabiki dieses Mukusaku geworfen und, ohne dass dieser gutgläubige Mensch etwas davon ahnte, immer wenn er auf Rundgang durch diese Gegend kam und Mukusaku zufällig abwesend war, Nabiki in das Amtshaus rufen lassen und es dort ausgiebig mit ihr getrieben. Als hinterhältiger Mensch argwöhnte er deshalb, dass Mukusaku womöglich die heimliche Affäre zwischen ihm und seiner Ehefrau Nabiki durchschaut habe und ihm etwas heimzahlen wolle.
Einige Tage später sandte Awayuki Nashirô also Untergebene, die bisweilen mit ihm auf Jagd zu gehen pflegten, als Boten zu Mukusaku. Er möge zum Amtshaus kommen, um die erwähnte Sache zu beraten, aber niemandem etwas davon sagen. Als Mukusaku eintraf, schlug er ihn tot.


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Es war zwar Frühlingsbeginn, aber eine Schneenacht in diesem Bergland, in dem die
bittere Kälte noch lange vorherrscht.
Am folgenden Tag ließ
Awayuki Nashirô Mukusakus Ehefrau Nabiki rufen. Diesmal hatte er nicht den Mut, sie in den Amtsbau kommen zu lassen, sondern traf sie in einem Tempel bei dem entlegenen Weiler Isawa. Es war ein kleiner Zen-Tempel mit Namen Shigetsuin am Rand des Dörfchens Isawa. Als der alte Tempelbonze vor wenigen Jahren im Sterben lag, hielten sich zufällig zwei Wandermönche bei ihm auf. Weil sie sehr liebenswert waren, vermachte er den beiden seinen Tempel. Die beiden Wanderpriester waren aber oft als Bettelmönche auf Wanderschaft und ließen sich während ihrer Abwesenheit durch einen jungen Novizen vertreten. Der Tempelgarten war wundervoll angelegt und zog nicht wenige Besucher an; es waren sogar so viele, dass vor dem Tor ein Teehaus eröffnet hatte, aber der Tempel selbst war fast immer so gut wie menschenleer.
Nashirô, der den Tempelgarten einmal besichtigt hatte, wusste darüber Bescheid. Er vereinbarte eine bestimmte Zeit, zu der Nabiki dorthin kommen sollte. Sie trafen sich in dem Teehaus, und dann betraten sie den Tempel Shigetsuin. Es lag Schnee, weshalb es sonst keine Besucher gab. 
Nur der junge Novize war anwesend, aber er war gerade erst etwas über zehn Jahre alt. Er hegte keinerlei Verdacht gegen dieses Paar, das durch den Schnee zum Tempel kam, und wies ihnen einen Raum zu, von dem man den Schneegarten gut sehen konnte. Aber weil man nie wissen kann, wann die beiden Wandermönche zurückkommen, sagte Nashirô dem Novizen, er solle sich an den Eingang setzen und ihnen Bescheid geben, wenn jemand käme. So schickte er den Novizen auf den Bohlengang hinaus, schlüpfte dann mit Nabiki in den zugewiesenen Raum und schloss die Tür.
Dort eröffnete Nashirô ihr, dass er in der vergangenen Nacht Yorogi Mukusaku umgebracht habe. Mukusaku habe offenbar etwas von dem Verhältnis zwischen ihnen gewittert, begründete er die Untat.
Nabiki erschrak. Aber dann äußerte sie, dass ihre Tochter Hamaji das womöglich mitbekommen und sie beim Vater verpetzt habe. Nabiki wollte nämlich keinesfalls miterleben, dass ihr Ziehtöchterlein eines Tages die rechtmäßige Gemahlin eines hohen Gefolgsmannes des Hauses Takeda würde. So nickte sie schließlich und meinte:
"Unter den gegebenem Umständen blieb wohl keine andere Wahl. Aber wenn Herr Mukusaku länger ausbleibt, wird es eine große Aufregung geben. Was habt Ihr mit seinem Leichnam gemacht?"
"Dafür habe ich einen Plan ausgeheckt, einen genialen Plan, der uns alle Probleme auf einmal aus der Welt schaffen wird."
Er zog Nabiki näher zu sich heran und wisperte ihr etwas ins Ohr. Anschließend kam es in dem vom Schnee erhellten Gemach, ohne Scham und ohne Furcht, oder vielmehr gerade wegen dieser Spannung, zu einer sehr viel wilderen intimen Begegnung als sonst.


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Nashirô und Nabiki



Langsam erhoben sie sich anschließend, schoben die Tür auf und traten auf den Bohlengang. Dort saß in einer Ecke der Novize, der im Sonnenlicht seine Beinkleider ausgebreitet hatte und darin vertieft war, sie von Flöhen zu befreien. Niemand hatte etwas von dem Liebesakt des Paars mitbekommen.

Am nächsten Morgen entdeckte Nabiki eine menschliche Hand, die aus dem Schnee im Garten hinter dem Haus des Dorfvorstehers hervorragte, und als sie weitergrub, fand sie den erschlagenen Leichnam des Yorogi Mukusaku. Nabiki fing an zu weinen. Hamaji weinte auch. In Wirklichkeit war der Leichnam, der bis dahin im Schnee am Amtshaus verscharrt gewesen war, während der Nacht hierher gebracht worden.
Just während dieser Aufregung streckte rein zufällig der Forstverwalter Awayuki Nashirô seinen Kopf in das Haus herein und rief sofort:
"Dieser Fall muss auf der Stelle dem Herrn Landvogt gemeldet werden! Nein, es handelt sich um den unnatürlichen Tod eines engen Bekannten. Ich hörte, dass der neue Vogt, Herr Amari Hyôe, gerade heute
 in der fürstlichen Amtsresidenz in Tsutsujigasaki eingetroffen sei. Ich werde ihn persönlich herbeiholen. Nabiki, du bist zwar in Aufregung, aber bereite bitte den Empfang des Herrn vor!"
Nach diesem Auftrag ritt er eilends auf seinem Ross davon.
Nabiki trat unter Tränen in das Haus ein und sagte im Vorbeigehen zu dem wie erstarrt dastehenden Shino:
"Ah, Herr Inuzuka, helft mir bitte ein wenig! Wenn der Herr Vogt hier zu erscheinen geruht, muss ich die ganz besonderen Schalen und Teller verwenden. Ich will sie aus dem unterirdischen Speicher holen, aber dort ist es dunkel. Seid so gut und nehmt die Handlaterne und leuchtet mir!"
Shino tat ohne den leisesten Argwohn wie geheißen. Er betrat den Erdspeicher mit der Laterne in der Hand, aber nachdem er vier oder fünf Schritte getan hatte, bemerkte er, dass Nabiki ihm nicht folgte. Er drehte sich um, aber in diesem Augenblick knallte die Eingangstür zu, und er hörte, wie von außen der Riegel vorgeschoben wurde. Danach wurde auch die äußere Lattentür verschlossen.
"Oh, was tut Ihr, Frau Mutter?", schrie Hamaji. Nabiki sah sie mit einem so offen hasserfülltem Gesicht an, wie Hamaji es noch niemals gesehen hatte.
"Ich habe den Kerl eingesperrt, der Herrn Mukusaku erschlagen hat. Misch dich bloß nicht ein!", schalt sie und befahl dem Gesinde:
"Die schreit herum, obwohl der Herr Vogt kommen soll. Stopft dem Mädchen einen Knebel in den Mund und schließt sie irgendwo weg!"

Etwa eine Stunde später traf der Vogt samt seinen Leuten ein. Es waren nur zwei Gefolgsleute, die Soldatenhelm und Kürass trugen, aber der Vogt mit seinem hohen Amtshut und gepflegtem Bart, seinem mit Goldfäden durchwirkten Offiziersmantel und einem glitzernden Amtsschwert erhoben in der Hand, er war das lebende Abbild eines vollendeten Ritters.  
"Dies ist unser neuer Vogt, Herr Amari Hyôe!", verkündete einer der Gefolgsleute. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war Awayuki Nashirô, der ihn herbeigeholt hatte, nicht zu sehen.
Von der Würde des Herrn beeindruckt, kauerten alle Anwesenden ehrerbietig am Boden.


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Japanischer Vogt und Gefolgsmann



Nabiki rutschte auf Knien hervor.
"Der Täter, ein in unserem Hause wohnender herrenloser Samurai mit Namen Inuzuka Shino, der mich schon vorher lange unsittlich belästigte, hat, wie ich meine,
aus Verbitterung, weil er bei mir keinen Erfolg hatte, meinen Gatten getötet. Ich habe ihn vorhin mit einer List in eine unterirdische Vorratskammer gesperrt", sagte sie aus.
"Ein guter Einfall. Als Frau hast du das ausgezeichnet gemacht. Das ist anzuerkennen."
Amari stieg vom Ross herab. Ohne einen Blick auf den Leichnam des Opfers zu werfen, ging er durch das Haus hindurch in den Garten dahinter und blieb vor dem Erdbunker stehen.
"Aufmachen!", befahl er.
Angesichts dieser allzu einfachen Direktheit des neuen Vogts war Nabiki, die dieses Schauspiel sorgfältig inszeniert hatte, fassungslos und wandte ihm angstvoll ihr Gesicht zu.
"Dieser... Schurke ist ziemlich kräftig und gefährlich", warf sie ein. Sie hatte gehört, dass Awayuki Nashirô und sein Untergebener von Shino übel zugerichtet worden waren.
"Keine Bange, hier steht Amari Hyôe, der in Hinsicht Kampfkraft als einer der besten Leute des Hauses Takeda gilt. Macht auf!", wies er seine beiden Gefolgsleute per Wink mit dem Kinn an. Beide Flügel der Außentür gingen auf, die Lattentür wurde geöffnet.
Heraus trat Inuzuka Shino.
Als er Amari Hyôe erblickte, zuckte er kurz zusammen, wandte sofort aber den Blick auf Nabiki und lachte:
"Haha, das hast du schlau gemacht!"
Seine Gelassenheit führte dazu, dass Nabiki sehr hastig rief:
"Geruht, sein Schwert zu untersuchen. Der Beweis dafür, dass damit ein Mensch erschlagen wurde, müsste an der Klinge noch zu sehen sein!"
Am Vorabend hatte sie nämlich Shino zu einem Bad gedrängt und in der Zwischenzeit die Klinge seines Schwertes mit dem Blut einer getöteten Katze eingefärbt. Bei allem hatte sie genau den Plan des Awayuki Nashirô befolgt.
"Ich bin Vogt Amari Hyôe des Fürstenhauses Takeda. Her mit Eurem Schwert!", herrschte Amari Shino streng an.
Wie weit sich Shino das Geschehen außerhalb seiner unterirdischen Kammer zusammengereimt hatte, ist nicht klar, aber ungerührt übergab er sein Schwert einem Gefolgsmann, der es an Amari weiterreichte. Dieser zog es aus der Scheide.
"Was soll es damit auf sich haben?"
"Wie? Das Blut! Klebt denn kein Blut daran?"
Nabiki rutschte noch etwas näher.
"Nein."
Amari schwang das Schwert direkt vor ihrem Gesicht. Nabiki
beugte sich zurück. Was ihr ins Gesicht sprühte, war kein rotes Blut, sondern ein silbriger Wasserstrahl. Dass es sich bei diesem Schwert um das berühmte Schwert Murasame handelte, an dem auch dann, wenn es hundert Leute erschlüge, keine Blutspur hängen bleibt, das ahnte nicht einmal das böse Weib Nabiki.
Da rief eine überraschte Stimme von draußen:
"Wie? Der Herr Vogt ist schon zugegen? Mir wurde gesagt, der Herr Vogt sei nach Kôfu geritten und derzeit leider abwesend. Was hat das zu bedeuten? Habt Ihr Euch hierher begeben?"
Es war die Stimme des Awayuki, der nach Tsutsujigasaki geritten war. Er kam hergelaufen und blieb angesichts des Bildes, das sich ihm bot, mit einem Gesichtsausdruck
stehen, als habe er den Verstand verloren. Nach seinem Plan sollte Shino noch in der Erdkammer eingeschlossen sein, und selbst wenn der Vogt wahrhaftig gekommen wäre, müsste Shino jetzt gefesselt vor ihm stehen. Allerdings kannte er das Gesicht des neuen Vogts noch nicht.
"Ich bin Amari Hyôe", nannte Amari streng aufs Neue seinen Namen. "Du wirst mich nicht kennen, aber ich kenne dich. Mein Blick erfasst alles."
Er blickte Nashirô durchdringend an.
"Ehebrecher und Kebsweib! Ich durchschaue alle eure Untaten. Du hast im Amtshaus den Yorogi Mukusaku erschlagen, seine Leiche hierher gebracht und, um die Schuld diesem Mann mit Namen Inuzuka Shino anzuhängen, seine Schwertklinge mit Hunde- oder Katzenblut besudeln lassen!"
Nashirô und Nabiki standen wie versteinert.
"Mein Name ist Amari, aber mein Blick ist nicht getrübt, ihr Schufte!"


Es handelt sich hier um ein Wortspiel mit dem Wortteil 'ama' von Amari. Das Schriftzeichen bedeutet "süß", was im Japanischen aber auch "milde", "nachgiebig", "schwach", "sanft" bedeuten kann. Es ist das Gegenteil von "streng", und, auf den Blick bezogen, von "scharf".


Awayuki, der plötzlich, als habe er den Verstand verloren, mit der Hand nach seinen Schwert griff, wurde mit einem Hieb von der Schulter bis zum Nabel gespalten, und das zurückschwingende Schwert Murasame, dem ein Wasserstrahl entströmte, schlug der zur Flucht aufspringenden Nabiki den Kopf ab.
"Oh, es bleibt keine Blutspur an der Klinge! Das ist gewiss das Schwert Murasame!", murmelte Amari Hyôe geheimnisvoll, schwang das Schwert noch einmal und besah es sich.
"Inuzuka Shino, es ist unerlässlich, auch Euch zu verhören. Mitkommen zur Amtsresidenz des Vogts!", ordnete er an, gab Shino sein Schwert zurück und ritt voran. Dann befahl er, als wäre es ihm soeben eingefallen:
"Ho, in diesem Haus soll eine Tochter namens Hamaji leben. Auch sie muss zu der Sache verhört werden. Holt sie her!"


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Hamaji II. von Saruishi



Viele Leute wohnten diesen Szenen als Zuschauer bei, aber diese überaus strenge Handhabung des Falls durch den neuen Vogt raubte ihnen jeglichen Mut. Sie gaben keinen Ton von sich, als die Gefolgsleute Hamaji aus dem Haus holten und abführten, und schauten ihr nur stumm hinterher.
Der Zug erreichte die Ecke der Dorfstraße. Dort am Waldrand waren drei Rösser angebunden. Die beiden Gefolgsleute bestiegen je eines; auf das letzte ließen sie Hamaji und Shino, der das Mädchen festhielt, aufsitzen, und dann galoppierten die vier Ritter wie der Sturmwind davon.
Aber sie wandten sich nicht nach Tsutsujigasaki, sondern schlugen den Weg zu dem Tempel Shigetsuin in Isawa ein. Als sie durch das Tor des menschenleeren Tempels ritten, brach Amari Hyôe in schallendes Gelächter aus.
"Schön, dass wir dich getroffen haben, Inuzuka Shino!"
Der angebliche Vogt trug die großherzigen, wagemutigen Gesichtszüge des Inuyama Dôsetsu.

 

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Als sie im Empfangsraum des Tempels ankamen, trat zu ihnen
der allein zurückgebliebene Novize mit dem Kleiderkasten herein, auf dem ein schwarzes Gewand mit Wappen und dunkel gefärbte Mönchskleidung lagen. Dôsetsu legte sein schwarzes Gewand mit dem Familienwappen an und sah wieder aus wie ein herrenloser Samurai, und seine beiden Gefolgsleute wurden mit ihren dunklen Kutten wieder Wandermönche. Es handelte sich um die Mönche Chudai und Kantoku, also Amasaki Jûichirô. Chudai und Jûichirô waren nämlich die Priester des Tempels Shigetsuin. Die geheimen Gespräche zwischen Awayuki Nashirô und Nabiki, die sich gestern hier zum Stelldichein getroffen hatten, waren von dem Novizen, während er nach Flöhen suchte, belauscht worden. Er teilte sie später Chudai und seinem Gefährten mit. Dass dabei mehrfach der Name Inuzuka Shino fiel, war der Anlass für ihre großartige heutige Aktion gewesen.
Shino, den sie neben Hamaji hatten Platz nehmen lassen, erzählte, wie er in diese Lage geraten war. Und Chudai berichtete, wie er den aus Gyôtoku nach Ôtsuka aufgebrochenen Hundekriegern nachgefolgt sei, aber dann die Leute 
reden hörte, dass die Kämpfe am Fluss Todagawa schon vorbei seien. Er wusste nicht, wohin die Hundekrieger verschwunden waren, und während er auf der Suche nach ihnen durch die Lande zog, habe er hier im Lande Kai zufällig Amasaki Jûichirô getroffen und sich in diesem Tempel, der gerade seinen Priester verloren hatte, niedergelassen.


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Wieder in Mönchsgewandung: Chudai



Amasaki Jûichirô wiederum erzählte, dass er auf dem Wege nach Awa in Begleitung von Yamabayashi Fusahachis Mutter Myôshin und ihrem Enkel, dem kleinen Hundekrieger Inue Shinbei, durch den Bösewicht Akashima Kajikurô überfallen worden sei. Obwohl sie mit knapper Not entkamen, war Shinbei von dem Geisterross Seigaiha entführt worden und verschwunden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als nur Myôshin nach Awa zu geleiten, und danach habe er sich wieder auf Wanderschaft durch die Lande begeben.
Dann war die Reihe an Inuyama Dôsetsu, der berichtete, dass er von Arameyama aus zusammen mit Inukawa Sôsuke geflohen sei. Anschließend hatten sie gemeinsam auf Wanderschaft vor zwei Jahren zufällig in diesem Tempel um Obdach gebeten und seien dort unerwartet auf Chudai gestoßen. Beide hatten Chudai noch nie gesehen, aber bei der Nennung ihrer Namen Inuyama und Inukawa habe Chudai laut aufgeschrien. Aufgrund dieser Reaktion hatten sie einander ihre Identität preisgegeben.
"Bloß geht es bei diesem Versteckdich-Suchspiel immer so, dass einer wieder verschwindet, wenn man den nächsten gefunden hat. Ich habe das Gefühl, dass wir so nie zu einem Ende kommen. Ich habe deshalb beschlossen, dass wir diesen Tempel als Treffpunkt bestimmen und immer einer von uns hier bleiben soll", warf Chudai ein. "Derzeit ist Inukawa Sôsuke wieder auf Wanderschaft. Es ist reiner Zufall, dass wir gerade zu dritt hier waren."
"Übrigens, ihr beide passt gut zueinander", sagte Dôsetsu mit Blick auf Shino und Hamaji, die wie Puppen brav nebeneinander saßen. Shino erläuterte errötend, was es mit Hamaji auf sich hatte. Beim Zuhören leuchteten die Augen des Jûichirô auf.
"Oooh, dann... ist dieses Fräulein Hamaji womöglich eine Tochter unseres Herrn Fürsten Satomi Yoshinari!"
Er erzählte, wie vor elf Jahren, im Frühling des 2.Jahres Bunmei, dieses Fräulein Hamaji, das im Hause Satomi Gonokimi hieß, eines Tages im Garten der Burg Takita von einem riesigen Adler geschnappt und entführt worden und nie mehr aufgetaucht sei.
Dieser Vorfall hatte sich zwar erst ereignet, nachdem Chudai und Jûichirô zur Suche nach den acht Kristallkugeln aufgebrochen waren, aber Jûichirô war danach mehrfach zurückgekehrt, um Yoshizane und Yoshinari Bericht zu erstatten, und hatte dabei selbstverständlich auch von diesem Ereignis gehört.
"Wenn das so ist....", meldete sich Shino, "Mukusaku hatte erzählt, dass das Kind, das er auf dem Berg gefunden hatte, Gewandung mit dem Sasarindô-Wappen getragen habe. Ist das nicht das Wappen des Hauses Satomi?"
"Genau, das stimmt. Dann muss dieses Fräulein die Tochter Gonokimi unsres Herrn Fürsten Satomi Yoshinari sein!"
Chudai und Jûichirô neigten sich sofort respektvo
ll vor ihr zu Boden.
Shino und Dôsetsu standen nicht in Diensten des Fürstenhauses Satomi, waren aber trotzdem von diesen Eröffnungen bewegt. Aber mehr als sie beide zeigte Hamaji mit ihrer Miene, wie sehr sie all dies in Verlegenheit brachte. 
"Wie dem auch sei, es ist unsere Pflicht, das Fräulein sicher in ihre Heimat, zum Fürstenhaus Satomi zu geleiten", sprach Dôsetsu.
Hamaji wehrte ab, wurde aber schließlich überredet. Heute war sie zwar dank des falschen Vogts einer Gefahr entronnen, aber hier zu bleiben, wäre für sie ebenso gefährlich wie für Shino.
Am nächsten Morgen setzten sie Hamaji in eine Sänfte, Amasaki Jûichirô, Shino und Dôsetsu gaben ihr das Geleit und brachen auf zur Reise nach Awa; nur Chudai blieb im Tempel zurück.
Nach vielen Tagen erreichten sie den Fluss Sumidagawa, der die Grenze zwischen Musashi und Shimôsa bildet.
"Wohlan, hier müssen wir von Euch Abschied nehmen", sprach Shino, sich vor Hamaji tief verbeugend. Sie hatten vereinbart, dass Shino und Dôsetsu bis hier mitkommen würden, danach aber allein Jûichirô Hamaji nach Hause bringen sollte.
Hamaji war zwar darauf gefasst gewesen, machte aber ein todtrauriges Gesicht. Es war schon bitter genug, sich hier trennen zu müssen, aber Shinos respektvoll gewordene Sprache schmerzte sie noch weit mehr.
"Ihr werdet doch hoffentlich auch irgendwann einmal nach Awa kommen?", fragte sie von der Fähre aus.
"Ja, sobald wir Hundekrieger alle acht zusammen sind, auf jeden Fall!", antwortete Shino vom Ufer her.
Über den sich kräuselnden Wellen des Flusses Sumidagawa schwebte ein erster Hauch von Frühlingsduft.



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Mit Tränen in den Augen - Hamajis Abschied von Shino





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