①
An einem Spätnachmittag im Herbst des folgenden Jahres machte ein anderer der Hundekrieger, Inukai Genpachi,
im Teehaus eines Dorfes im Distikt Makabe im Lande Shimotsuke Rast.
Auch er war seit der Trennung von den Gefährten am Berg Arameyama
im Lande Kôzuke auf der Suche nach den bekannten und noch
unbekannten Hundekriegern ziellos durch die Lande gestreift.
Die Suche war zwar sein Hauptanliegen, aber nebenbei fand er auch
Vergnügen
daran, bekannte Schwertkämpfer in allen Provinzen aufzusuchen und
sich mit ihnen zu messen. Dabei hatte er auch eine Weile in
Kyôto bei dem
Zenmönch Ikkyû im Tempel Daitokuji an Zen-Übungen
teilgenommen, um den Zen-Schwertkampfmeister Ichinyo zu treffen.
Nun, auf dem Rückweg, fielen Genpachi in dem Teehaus des auf dem
Weg liegenden Dorfes, während er Tee trank, die sieben Bögen,
die an der Wand hingen, ins Auge, und er erkundigte
sich, was es damit auf sich habe. Das ältere Ehepaar des Teehauses
antwortete, dass man von hier aus zu dem knapp sechs Meilen
entfernten Berg Kôshinyama mit seinen steilen und zerklüfteten
Felswänden gelange, und seit alter Zeit seien etliche Reisende,
die diese Wegrichtung einschlugen, dort verschollen. Deshalb
verkauften sie diese handgefertigten Bögen an Reisende, die dies
wünschten.
"Halt, hiergeblieben!", rief die alte Frau plötzlich, hielt eine
Katze fest, die zwischen ihren Füßen ins Freie laufen
wollte, und nahm sie auf den Arm. Darauf erblickte Genpachi eine
wunderliche Gestalt, die auf der Straße näherkam. Es war ein
Krieger, der auf einem Pferd ritt. Aber ihm folgten
etliche Dutzend Katzen, die obendrein alle ihre roten Mäuler
aufrissen und maunzten oder fauchten. Der Ritter mochte um die
Mitte vierzig sein und trug ein ärmelloses Übergewand und
damastne Beinkleider. Mit seinem Schnurrbart bot er das Bild
einer erhabenen Person, würdevoll und majestätisch. Aber
ein Gefolge von mehreren Dutzend Katzen...? Im Schein der tiefstehenden
herbstlichen Abendsonne bot diese ungewöhnliche Prozession, die
vor dem Haus vorüberzog, einen gespenstischen Anblick.
"Wer ist das denn?", fragte Genpachi, dem Zug hinterherblickend. Der Alte antwortete:
"Es ist Meister Ikkaku, der im nahen Ort Akaiwa wohnt."
"Was? Akaiwa Ikkaku?" Genpachis Blick erstarrte, und bestürzt fragte er:
"Wohin will denn dieser Meister Ikkaku mit all den Katzen?"
"Meister Ikkaku soll einer der bedeutendsten Schwertkämpfer des
Landes Shimotsuke sein. Er hat hier tief in der Provinz eine
Schwertkampfschule eröffnet, und von nah und fern strömen
ohne Unterlass Leute herbei, die von ihm unterwiesen werden wollen.
Trotz dieser Erfolge ist er offenbar noch immer nicht zufrieden, und
einmal im Monat reitet er, so wie jetzt, mutterseelenallein in die
Wildnis des genannten Berges Kôshinyama zu irgendwelchen
Kampfübungen."
"Und die Katzen?"
"Ach, das sind Katzen aus den Dörfern. Nicht nur an solchen Tagen,
sondern wenn immer Meister Akaiwa aus dem Haus tritt, kommen aus
irgendeinem Grund stets alle Katzen angelaufen und rennen
ihm hinterher. Wie Ihr seht, will unsere Katze auch
hinlaufen...."
Die
von der alten Frau auf den Armen festgehaltene Katze riss ihr rotes
Maul nach der Richtung auf, in die Meister Akaiwa Ikkaku sich
entfernte, und strampelte wie irre, um sich loszureißen.
"Was für Übungen betreibt er ganz allein am Berg Kôshinyama?"
"Das weiß ich nicht. Er kehrt immer erst am andern Morgen
zurück. Aber er mag ein noch so hervorragender Schwertmeister
sein, es gehört schon gewaltiger Mut dazu, allein eine Nacht am
Kôshinyama zu verbringen. Unsereins brächte das nicht
fertig."
"Hm.... Akaiwa Ikkaku....Schwertmeister...."
Irgendwoher hatte Genpachi diesen Namen schon einmal gehört. Ja, richtig, von Inuzuka Shino!
Auf dem gemeinsamen Weg von Gyôtoku nach Ôtsuka vor zwei
Jahren, und noch einmal während der Flucht zum Berg Arameyama
hatten die Hundekrieger einander von ihrer Vergangenheit erzählt.
Damals hatte Genpachi eröffnet, dass er selbst ein
Schüler des berühmten Schwertkampfmeisters Nikaimatsu
Yamashironosuke aus Koga gewesen sei und angesichts der Kampfkunst
seines Gegners Shino auf dem Dach des Gebäudes
Hôryûkaku der Burg sofort gemerkt habe, dass dieser sich
das nicht selbst beigebracht haben konnte. Daraufhin berichtete Shino, dass er als Heranwachsender die Schwertkunst bei einem
Meister namens Akaiwa Ikkaku erlernt habe, der im Dorf Ôtsuka
eine Schwertkampfschule betrieb. Er selbst glaubte damals, sein Fechten
sei recht laienhaft, aber die Grundlagen habe ihm sicherlich
Meister Akaiwa beigebracht. Und er erzählte auch, dass dieser
Meister Akaiwa sein Können bei Genpachis Lehrmeister Nikaimatsu
vervollkommnen wollte und deshalb nach Koga gereist sei, aber
unglücklicherweise habe sich Meister Nikaimatsu seinerzeit gerade
auf einer langen Reise durch ganz Japan befunden. Und Akaiwa habe nach
Shinos Erinnerung in Ôtsuka gewohnt, um auf die Rückkehr
Nikaimatsus zu warten, und sei, als sich sein Wunsch nicht
erfüllte, erfolglos in seine Heimat Kôzuke
zurückgekehrt.
So, hier ist also die Heimat dieses Meisters Ikkaku! Oder
vielmehr, falls es sich bei dem genannten Meister Ikkaku aus Akaiwa
überhaupt um Akaiwa Ikkaku handeln sollte. Shino hatte zwar nichts
allzu Genaues über Akaiwa Ikkaku zu sagen gewusst, aber dennoch
fühlte sich Genpachi soeben bei der Nennung dieses
Namens angenehm
berührt, wollte dieser Ikkaku doch einst bei Genpachis eigenem
Lehrer Nikaimatsu seine Kunst verfeinern. Aber diese geisterhafte
Gestalt, die er gerade erblickt hatte, das konnte doch nicht Shinos
einstiger Schwertkampflehrer sein! Allerdings hatte Shino nicht
erwähnt, dass sein berühmter Schwertkampfmeister Akaiwa
Ikkaku an einer starken Katzenphobie litt. Hätte Genpachi das
gewusst, hätte er sich erst recht über diese Katzengefolgschaft des Meisters Ikkaku gewundert.
Dann fiel ihm noch etwas ein.
"Hat Meister Ikkaku nicht einen Sohn?"
Shino hatte doch erwähnt, dass jener Akaiwa einen gleichaltrigen
Sohn habe, mit dem er zusammen oft geübt hatte. Genpachi
hatte den Eindruck gewonnen, dass für Shino die Freundschaft mit
dessen Sohn wichtiger war als die Erinnerung an seinen
Lehrmeister.
"Ihr wisst aber gut Bescheid! Ja, es handelt sich um den jungen Meister, Herrn Kakutarô", antwortete nun die alte Frau.
"Wohnt er auch jetzt bei seinem Vater?"
"Nein, er weilt....woanders. Er hat sich ganz allein in eine Klause in dem Dorf Tamagaeshi zurückgezogen."
"In eine Klause? In seinem jungen Alter? Das kann doch nicht sein...."
"Ganz richtig. Der junge Herr tut mir sehr leid. Seine Mutter verstarb,
während Meister Ikkaku einst in der Fremde weilte, um seine Kunst
zu verfeinern, und Meister Ikkaku kam mit seinem Jungen zurück,
als Herr Kakutarô noch ein Knabe war. Nach seiner Rückkehr
heiratete er ein zweites Mal, eine sehr schöne und freundliche
Frau, aber auch sie ist vor wenigen Jahren gestorben. Vorletztes
Jahr nahm er zum dritten Mal eine Frau, aber diese scheint von nicht sonderlich angenehmem Wesen zu sein."
Hastig unterbrach der Alte seine Frau.
"Hör mal, lass solche Reden lieber bleiben, die einen fremden Reisenden nichts angehen!"
"Doch, was dieses Weib betrifft, da hat sich selbst ein Herr wie Meister Akaiwa meiner Ansicht nach gewaltig vertan!"
Dem Gesicht der alten Frau nach zu urteilen, wollte sie ihre Meinung unbedingt loswerden.
"Vor einigen Jahren hatte Herr Kakutarô eine wunderbare Frau zur
Braut genommen und lebte mit ihr glücklich und liebevoll zusammen,
aber seit im vorletzten Jahr jenes Weib ins Haus kam, tat sie alles, um
die Beziehung des jungen Paars zu zerstören. In diesem Sommer
haben sich die beiden schließlich getrennt, und Herr
Kakutarô lebt derzeit ganz allein in besagter Klause."
"Aha", nickte Genpachi. Er ließ den übrigen Tee stehen.
"Alter, ich hätte gern einen deiner Bögen."
"Oh, was habt Ihr vor?"
"Ich will auch diesen Berg Kôshinyama besteigen."
"Lasst ab davon! Zu diesem Berg, vor dem sogar wir uns fürchten,
obwohl wir hier in dessen Nähe leben...! Überdies bricht bald
die Nacht herein."
"Aber Herr Akaiwa reitet ja auch dorthin. Also..."
Genpachi legte zusätzlich zu dem Preis für den Tee noch 300
mon hin. Er hängte sich den Bogen über die Schulter, den ihm
der Alte wider Willen aushändigte, und brach auf.
"Falls Ihr...., falls Ihr Meister Akaiwa begegnen solltet, sagt ihm
bitte nichts über das, was wir Euch eben über ihn
erzählt haben", bat die alte Frau.
"Kein Ton davon wird mir über die Lippen kommen. Ich habe ja gar
nichts mit dem Herrn zu schaffen", gab Genpachi zurück und setzte
seinen Reisehut auf.
Das stimmte zwar, aber Genpachi, für den das Schwert sein
Lebensinhalt war, war auf einmal von dem Wunsch beseelt, Akaiwa
Ikkaku zu treffen, den größten Schwertkampfmeister des
Landes Shimotsuke, der einstmals bei seinem eigenen Meister Nikaimatsu
Yamashironosuke seine Kunst vervollkommnen wollte.
Der Berg Kôshinyama war furchterregender als alles, was Genpachi
sich vorgestellt hatte. Sein Keuchen wegen der steilen Serpentinen des
Bergpfads war erst der Anfang. Während allmählich die Sonne
unterging, sah er rechts und links mysteriöse Felsen dicht
beieinander stehen, die mal wie Pagoden, mal wie Wachttürme
aussahen, mal wie Glocken herabhingen, sich mal wie Stellwände
erhoben. Der Pfad zwängte sich durch diese Felsen. Hier
öffneten sich natürliche Steintore, dort bildeten sie
steinerne Stege über die Klüfte. Hatte man endlich eine
fürchterlich steile Anhöhe erklommen, ging es gleich wieder
hinab bis zum Grund einer Schlucht, so schlimm, dass selbst ein Inukai
Genpachi ein wenig bereute, hierher gekommen zu sein.
Die Beschreibung der Wege im Berg Kôshinyama ist nicht
übertrieben. Sie zählen auch heute trotz moderner Hilfsmittel
zu den schwierigsten und anspruchsvollsten Trekkingstrecken in Japan
Die Sonne ging unter. Es gab offenbar nur diesen einen Weg, aber wo war
Meister Akaiwa Ikkaku, der vor ihm hier entlang gekommen sein musste?
Er war aber zu Ross gewesen; konnte ein Pferd solche Pfade
bewältigen? Bis hier war jedenfalls weder von einem
zurückkommenden Pferd noch von der Katzenschar etwas zu sehen
gewesen.
Auf einmal spürte Genpachi, dass er zu einem merkwürdigen Ort
gelangt war. Er war auf allen Seiten von steilen Felswänden
umstellt. Fast der gesamte Berg schien nur aus steilen Felsen zu
bestehen, aber hier wucherten Kräuter, der Boden fühlte sich
feucht an. Sogar Bäume standen hier und da,
waren aber alle abgestorben. Genpachi befand sich auf dem Grund eines runden, tiefen
Lochs mitten in der Bergwildnis; deshalb sammelte sich hier das Wasser
und bildete einen Sumpf.
Über einer der Felswände schimmerte die schmale Sichel des
jungen Mondes. Die Bäume waren tot, aber Schatten
von Vögeln, die auf den kahlen Ästen saßen, waren zu erkennen.
Sie regten sich nicht. War das hier nicht gar ein Teil der Unterwelt?
Nein, es gab lebende Wesen. Über den Grasboden lief ein Rascheln.
Genpachi blickte an sich hinunter, was ihm da die Beine streifte:
Es war eine riesige Schar von Ratten, zu Hunderten rannten sie davon.
Hier war nicht gut sein. Selbst Genpachi fühlte sich beklommen. Er
erhob den Blick zu den Felswänden und suchte nach der Stelle, von
der er gekommen war. Da wurde ein ungewöhnlicher Laut vom Wind
hergetragen. Das Schreien von Katzen. Nicht nur von einer. Von einer
großen Meute. Das Kreischen kam allmählich näher.
Genpachi schaute starr in diese Richtung, aber als ein Mann, der ein
Pferd ritt, schemenhaft zu sehen war, versteckte er sich im
Gebüsch. Das war Herr Akaiwa Ikkaku! Was hatte er bis jetzt in
dieser Bergwildnis getrieben? Und wo war er gewesen? Akaiwa Ikkaku kam
direkt auf ihn zu geritten, die Katzenmeute hinterdrein. Er schien einen
langen Ast von einem kahlen Baum in der Hand zu halten. Den stieß er vom
Pferd aus wie einen Speer zu Boden. Etwas war an der Spitze
aufgespießt, flog in einem Bogen durch die Luft nach oben. Er
fing es mit der Hand auf und steckte es in den Mund. Man hörte,
wie er es zerbiss, zerkaute und herunterschluckte. Eine Ratte, eine
wilde Ratte. Akaiwa Ikkaku frisst Ratten!
Auch die Katzenmeute zu Füßen des Rosses jagte natürlich gierig die Ratten.
"Ich will Gedärm fressen, ich will Innereien fressen!", tönte
es wie im Selbstgespräch aus dem Mund von Ikkaku. "Nicht die
Eingeweide von Ratten....., sondern das Ungeborene von Menschen!"
War das Ross, das sich vor dem blassen, schwachen Mondschimmer abhob,
wirklich dasselbe Pferd, das Ikkaku vorher geritten hatte? Seine Beine
glichen den kahlen Bäumen, Schweif und Mähne dem Pampasgras,
und hier und da hing etwas wie graues Moos an ihm herab. Aus dem Mund
des Akaiwa Ikkaku bleckten Fangzähne hervor, seine Augen
funkelten goldglühend.
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Das war nicht Akaiwa Ikkaku. Das war nicht einmal ein Mensch. Das war ein wahrhaftiges Gespenst!
Die glühenden Augen bewegten sich und wandten sich genau dorthin,
wo sich Genpachi im Gebüsch verborgen hielt. Genpachi spannte
den Bogen, auf den er schon längst einen Pfeil aufgelegt hatte,
und ließ die Sehne los. Der Pfeil verfehlte sein Ziel nicht,
sondern bohrte sich
genau in das linke Auge des Gespensts auf dem Pferd.
"Waooo!"
Mit einem wahnwitzigen Schrei hielt Ikkaku die Hand auf sein Auge
und fiel vornüber auf den Rücken seines Pferdes nieder, woraufhin das Ross
mitsamt Reiter wie von Sinnen durch den aufspritzenden Sumpfboden auf
eine Felswand zustob, und die kreischende Katzenschar rannte hinterher.
Genpachi stand in Schweiß gebadet da, als wäre er mit Wasser übergossen worden.
Inukai Genpachi
②
Nachdem Inukai Genpachi
in dieser Nacht blindlings aus diesem Gespensterloch fortgestürmt
und entkommen war, legte er sich auf einem Felsvorsprung schlafen. Aber
auch nachdem er am andern Tag aus dem Berg Kôshinyama
herabgestiegen war, kam ihm die Erinnerung an die Geschehnisse der
Nacht nicht anders als ein durchlebter Alptraum vor.
Er sprach in der Schwertkampfschule Akaiwa im gleichnamigen Dorf vor
und sagte, den Ahnungslosen spielend, er sei ein Kriegsmann in
Ausbildung und wolle unbedingt von Meister Ikkaku unterwiesen werden.
Der Schüler, der ihn empfing, wies ihn ab mit der Begründung,
der Meister sei derzeit erkrankt.
Nach einigem Überlegen wandte sich Genpachi von dort aus in die
Richtung des etwa eine Meile entfernten Dorfs Tamagaeshi. Nachdem er
sich im Ort erkundigt hatte, suchte er die Wohnung des Akaiwa
Kakutarô auf. Aus einer Grashütte im wörtlichsten Sinn,
mit Reet gedecktem Dach und von einer Bambushecke umgeben, war leise
die Stimme eines Mannes zu vernehmen, der ein Sûtra rezitierte.
Genpachi wartete, bis das Sûtra zu Ende war, und rief dann nach
dem Bewohner. Er erhielt lange keine Antwort, weshalb er
hinzufügte:
"Möglicherweise, Herr Akaiwa, sagt Euch der Name Inuzuka Shino aus dem Dorf Ôtsuka im Lande Musashi etwas; ich bin ein Freund von ihm."
Die Stille, die darauf erfolgte, war deutlich als Schweigen vor
Überraschung zu deuten, denn kurz darauf erschien der junge Mann
an der Tür und sagte: "Oh, Inuzuka Shino, ein Name, an den ich
mich mit Wehmut erinnere."
Er war etwas über zwanzig und trug über seiner mausgrauen
Kleidung eine Priesterstola. Er war ein still wirkender Mann von der
Art eines Scholars, hatte seine Samuraiglatze zuwachsen lassen und sein
Haar mit Stroh zusammengebunden; sein blasses Gesicht wies fein
geschnittene Züge auf.
Genpachi wurde hereingebeten und sagte, dass er Inuzuka Shino bei
seiner Ausbildung im Schwertkampf kennen gelernt habe, und auch, dass
Shinos Vater Bansaku unversehens Selbstmord begangen habe und Shino, um
seine Fertigkeiten zu vertiefen, durch die Lande reise. Dass er mit
Shino als Hundekrieger brüderlich verbunden war, erwähnte er
nicht.
Dennoch sprach Kakutarô voller Anteilnahme, dabei sogar Tränen vergießend:
"Ach, jene Zeit, als ich im Dorf Ôtsuka gemeinsam mit Shino bei
meinem Vater den Schwertkampf übte, zählt zu den
schönsten Zeiten meines Lebens!"
"Übrigens, als ich heute die Kampfschule in Akaiwa aufsuchte, um
zu bitten, von Eurem Herrn Vater unterwiesen zu werden, erfuhr ich,
dass Meister Ikkaku erkrankt sei....", deutete Genpachi vorsichtig an.
"Mein Vater ist erkrankt? Davon weiß ich noch nichts", erwiderte Kakutarô, schüttelte aber den Kopf und meinte:
"Nun ja, ich lebe hier fern von ihm ganz allein; da erfahre ich keine Neuigkeiten über meinen Vater."
Eine reetgedeckte Klause
Mit traurigem Blick sah er Genpachi an und fuhr fort: "Auf jeden Fall
wird er Euch schwerlich im Schwertkampf anleiten. Früher
vielleicht, aber jetzt hat sich mein Vater verändert."
"Euer Herr Vater hat sich verändert? Auf welche Weise?"
"Nun ja.... Ich weiß wirklich nicht, wie ich es ausdrücken
soll, und kenne auch nicht die Ursache, aber ich kann es nur so
formulieren, dass mein Vater zu einem gespenstischen Mann geworden
ist", sagte Kakutarô. "Deshalb dürfte es nichts bringen,
selbst wenn Ihr mit ihm persönlich sprecht. Mehr kann ich
dazu nicht sagen...."
"Gespenstisch...." Genpachi rief sich die Ereignisse der vergangenen
Nacht ins Gedächtnis zurück. "Als ich vorhin vorsprach,
hieß es zwar, er sei erkrankt, aber tatsächlich habe
ich gestern Meister Ikkaku auf der Landstraße erblickt. Er ritt
zu Ross in Richtung irgendwelcher Berge, aber zu meiner Verwunderung
folgte ihm eine große Schar Katzen."
"Das habt Ihr gesehen?", fragte Kakutarô überrascht. "Das
ist es nämlich. Dass mein Vater gespenstisch wirkt. Er ist von
einer Katze verhext worden."
"Von einer Katze verhext?"
"Genau. Ich will es Euch gestehen. Obwohl mein Vater als einer der
selten starken Schwertkämpfer seiner Generation gilt, hatte er
eine erstaunliche Schwäche; er litt an einer heftigen
Katzenphobie."
"Ha?"
"Als Kind fand ich das auch lustig, aber es war nicht sehr lange
lustig. Meine Mutter starb, und mein Vater kehrte mit mir in seine
Heimat, das Dorf Akaiwa, zurück. Er war noch in seinen
Dreißigern und heiratete bald darauf erneut, eine Frau aus dem
Nachbardorf. Sie war, wiewohl meine Stiefmutter, eine
hinreißend schöne Frau. Allerdings brachte sie aus ihrem
Elternhaus ihre Katze mit. Obwohl mein Vater sagte, dass er Katzen
hasse, wollte sie sich von ihrer Katze nicht trennen."
Auf dem Grasdach der Hütte war das Tröpfeln von Regen zu hören. Ein leichter Herbstregen sicherlich.
"Mein Vater, der seine neue Ehefrau sehr liebte, dürfte wegen
ihrer Katze stark gelitten haben. Überdies hing die Katze beinahe
wie verliebt stets an meiner Stiefmutter. Eines Tages sagte mein Vater,
er habe etwas Unaufschiebbares zu erledigen, und obwohl es sich nur um
eine Katze handelte, tötete er sie schließlich mit dem
Schwert. Meine Stiefmutter verfiel darüber in Hysterie, erkrankte
und starb nur kurze Zeit später. Seitdem verwandelte sich
mein Vater in ein unheimliches Wesen. Heimlich fing er an, Öl zu
schlürfen, rohe Fische zu verschlingen, und des Nachts
begannen bisweilen seine Augen aus
irgendeinem Anlass goldgrün zu funkeln. Mit einem Wort, mein Vater
hatte sich lebenden Leibs in eine Art Katzenmensch verwandelt. Sein
Hass und seine Furcht vor Katzen, seine Reue und Abbitte gegenüber
seiner Ehefrau, all das verkochte vermutlich zu seinem Wahnzustand,
aber ich glaube, nicht allein das war die Ursache für den
gegenwärtigen Zustand meines Vaters. Er war früher ein so
starker Schwertkämpfer und ging dermaßen in seiner
Kampfkunst auf, dass seine lächerliche Schwäche, nämlich
seine Katzenphobie, ihn deshalb beschämte. Der einzige Ausweg, um
davon loszukommen, war für ihn, selbst zu einem Katzenmenschen zu
werden; das würde ihn von allen Leiden befreien. Aus dieser
Einsicht, glaube ich, hat er sich wie von selbst in einen katzenartigen
Menschen verwandelt."
Das Pladdern des Regens wurde etwas heftiger.
"Selbstverständlich verbirgt mein Vater dies seither nach
außenhin. Im Gegenteil, im Schwertkampf ist er geschmeidiger
geworden, und wenn ich es richtig beurteile, glaube ich, dass ihm
niemand auf der Welt derzeit beim Schwertkampf Paroli bieten kann. Aber
verbirgt er es auch nach außenhin, alle Katzen im Dorf laufen ihm
seitdem hinterher, wenn sie ihn zu sehen bekommen.
Herr Inukai, es verhält sich genau so, wie ich es Ihnen
erzählt habe, obwohl es eine Schande für meine Familie ist.
Es ist besser, darauf zu verzichten, meinen Vater noch einmal
aufzusuchen."
In Gedanken an das, was Genpachi in der vergangenen Nacht erlebt hatte,
lief ihm aufs Neue ein Schauder über den Rücken. Der Ritt des
Akaiwa Ikkaku diente also womöglich dazu, wieder einmal nach
Herzenslust Ratten zu fressen - war das nicht ein rechtes
Geisterbankett? Nachdem ihm Kakutarô diese eigentümlichen
Dinge eröffnet hatte, wollte Genpachi seinerseits über das
gestrige Vorkommnis sprechen. In diesem Augenblick ertönte aber aus dem
Vorgarten des Hauses eine weinerliche weibliche Stimme.
"Mein Herr Gemahl....!"
Kakutarôs Miene blieb reglos.
"Mein Herr Gemahl, bitte zeigt Euch mir! Hört Euch an, was ich Euch sagen möchte!"
Kakutarô antwortete nicht. Die Frauenstimme begann zu schluchzen.
"Ich habe Euch mit niemandem betrogen. Und bin auch nicht schwanger...."
Kakutarô stand auf und öffnete eine Schiebetür.
Vor der Bambushecke stand eine junge Frau, von Verlassenheit und Regen
gezeichnet. Ihr Liebreiz glich einer Baldrianblüte. Als sie
Kakutarô erblickte, leuchtete ihr Gesicht auf, als habe ein
Sonnenstrahl es getroffen.
"Bitte seht Euch meinen Bauch an, seid so gut!", rief sie, sich an die Hecke klammernd.
"Ich warte noch ein halbes Jahr. Dann weiß ich, ob du ein Kind
bekommst oder nicht", gab Kakutarô zurück. "Ich habe gerade
Besuch. Geh nach Hause!"
Er schob die Tür wieder zu.
"Das
war meine Frau Hinaginu", sagte er mit traurigem Gesicht zu Genpachi.
"Oder vielmehr, meine Ehemalige, von der ich mich vor zwei Monaten
getrennt habe. Von ihrem Elternhaus kommt sie alle drei Tage einmal
hergelaufen...."
Man hörte noch eine geraume Weile, wie sich ihr Schluchzen langsam durch den Regen entfernte.
Kakutarôs Frau Hinaginu
"Weshalb empfangt Ihr sie nicht einmal? Sie tut mir leid..."
Genpachi hatte sie nur kurz erblickt, aber ihre klägliche Gestalt hatte sein Mitleid unerwartet stark erregt.
"Nein, sie ist halt ein bisschen verrückt... Wenn ich sie abweise, geht sie jedesmal gehorsam wieder nach Hause."
"Ein bisschen verrückt? Sie hat doch nur gesagt, dass sie jetzt
nicht schwanger sei, und dass Ihr Euch ihren Bauch ansehen
mögt...."
"Diese Frau ist im 4.Monat schwanger."
"Und deshalb habt Ihr Euch von ihr getrennt?"
"In diesem Frühjahr ist ihr Vater gestorben. Wir legten
Trauerkleidung an und enthielten uns aus Pietät ein halbes Jahr
des ehelichen Verkehrs. Aber in dieser Zeit ist Hinaginu schwanger
geworden."
"Oh!"
"Ihr Leib wird langsam dicker, ihre Menstruation setzte ab dem 6.Monat
dieses Jahres aus. Das Kind kann nicht von mir sein. Als ich sie
fragte, wer der Vater sei, erklärte sie nur, sie wisse von gar
nichts. So etwas sei eine Schande für das Haus
Akaiwa, tobte meine Stiefmutter. Meine jetzige Stiefmutter, das ist
eine Frau mit Namen Funamushi, die dritte Frau meines Vaters."
"Funamushi...."
Wenn Inuta Kobungo diesen Namen
gehört hätte, hätte er sicher laut aufgeschrien, aber
seit ihrer Trennung am Berge Arameyama hatten sich Genpachi und Kobungo
noch nicht wiedergesehen, und Genpachi hatte nur leichthin diesen
Namen vor sich hingemurmelt.
"Es ist eine Frau, die aus Musashi gekommen ist, und eines Tages, als
mein Vater nach Ashikaga gegangen war, brachte er sie auf dem Heimweg aus
einer Sakekneipe mit. Sie führte eine schwarze Katze mit
sich, aber trotzdem nahm mein Vater sie zur Frau. Oder vielmehr nicht
'trotzdem', sondern wie eben gesagt war mein Vater bereits von einer
Katze verhext, und ebendies war womöglich der Grund, dass er sich
mit dieser Frau eingelassen hat. Jedenfalls ist diese Frau meine
jetzige Stiefmutter.
'Das ist eine Schande für unser Haus', hatte sie gescholten, und
mein Vater hatte genickt. Ich kann mich ihm nicht widersetzen. Vor zwei
Monaten habe ich mich von meiner Frau getrennt. Ich selbst habe auch
mancherlei Kummer erlitten und, davon ermüdet, mein
Elternhaus verlassen und lebe jetzt in dieser Grasklause."
Genpachi entsann sich des scharfen Urteils, das die alte Frau in dem
Teehaus gestern über die jetzige Frau des Hauses Akaiwa
gefällt hatte.
"Hinaginu ist ein Mädchen aus dem Dorf Inumura, das eine halbe
Meile von hier entfernt liegt. Es war ein Haushalt von Vater und
Tochter, und weil ihr Vater, wie schon gesagt, im Frühjahr
verstorben ist, lebt sie ganz allein, auch wenn sie in ihr Elternhaus
zurückkehrt. Dass sie da verrückt geworden ist, kann ich
schon verstehen. Mir tut sie auch leid."
Aber dann schüttelte er den Kopf.
"Solange sich das mit ihrer Schwangerschaft nicht klärt, kann ich mich jedenfalls mit Hinaginu nicht abgeben."
Auch Genpachi wusste keinen Rat, wie Kakutarô sich zu dieser von
aller Welt verlassenen, armen jungen Frau verhalten solle.
Eine längere Zeit war nichts zu vernehmen als das Prasseln
des Regens auf dem Reetdach der Hütte. Dann raffte sich Genpachi
auf und erzählte die unheimliche Begebenheit, die er gestern am
Kôshinyama erlebt hatte.
"Dass jemand von einer Hundegottheit besessen sei, habe ich schon
einmal gehört, aber nicht von einer Besessenheit durch einen
Katzengott. Aber wenn es Hundegottheiten gibt, wäre es nicht
verwunderlich, falls es auch Katzengottheiten geben sollte. Es ziemt
sich zwar nicht, so zu Euch zu sprechen, aber Euer Herr Vater, das muss
ich sagen, ist schon kein menschliches Wesen mehr."
Und dann fügte er noch hinzu: "Selbst das Pferd sah für mich
geisterhaft aus... ich frage mich trotz alledem, ob es sich nicht
vielmehr um einen Alptraum gehandelt hat!"
Kakutarô, der mit entsetzt geweiteten Augen zugehört hatte, stöhnte nun mit tieftraurigem Gesicht:
"Und doch ist er letzlich mein Vater! Mein Vater, der mich als Kind an
der Hand gehalten und mich später den Schwertkampf gelehrt hat!"
Für die Nacht ließ sich Genpachi in dieser Schilfhütte beherbergen.
Seit er Kakutarô kennen gelernt hatte, empfand Genpachi für
ihn eine erstaunliche seelische Verwandtschaft, und während er in
derselben armseligen Hütte übernachtete, spürte er, dass
der junge Mann ihm mehr bedeutete als eine flüchtige
Bekanntschaft. Er wusste zwar nicht, wie er dem unglücklichen
Kakutarô helfen könnte, aber er würde es nicht fertig
bringen, ihn einfach sich selbst zu überlassen.
"Ich möchte trotzdem noch einmal die Kampfschule aufsuchen",
äußerte Genpachi am folgenden Nachmittag entschlossen,
nachdem er bis dahin mit sich zu Rate gegangen war. "Es hieß zwar, Meister Akaiwa sei krank, aber ich mache mir
Sorgen, dass es mit der Verwundung durch meinen Pfeil zusammenhängen
könnte."
"Nun denn... Soll ich auch mitkommen?"
"Nein. Es könnte sein, dass Meister Akaiwa mich am Berg
Kôshinyama erblickt hat; dann wäre es schlimm, wenn wir
beide gemeinsam bei ihm auftauchten. Ich will nur sehen, wie es um ihn
steht, und komme dann zurück, um es Euch zu berichten."
Kakutarô nickte zwar, sagte aber:
"Lasst Euch auch nicht versehentlich auf einen Streit mit meinem Vater
ein! Gegenwärtig ist mein Vater ein Schwertkämpfer mit,
ich kann es nicht anders sagen, Geisterkräften."
"Ist mir klar."
"Und im anderen Fall, falls mein Vater ums Leben käme, geriete auch ich in Not."
"Verstanden. Also, bis nachher!"

③
Genpachi
kehrte zum Dorf Akaiwa zurück und suchte die Schwertkampfschule
auf. Der Schüler, der ihn am Eingang empfing, musterte ihn
zornig.
"Schon wieder Ihr? Habt Ihr denn vergessen, dass ich gestern gesagt hatte, der Meister sei krank?"
Am Tor waren mehrere Pferde mit prachtvollen Sätteln
angebunden. Ikkaku hatte wohl Besuch. Genpachi machte widerwillig am Tor
kehrt.
'Es ist sinnlos, so einfach abgewiesen zu werden', dachte er missmutig,
während er mit verschränkten Armen davonschritt. Da
hörte er, dass ihn jemand rief und ihm nachgelaufen kam. Als
Genpachi sich umdrehte, kam der Schüler vom Empfang angerannt.
"Herr Samurai, jemand hat geäußert, Euch empfangen zu wollen."
"Ha?"
"Aber nicht der Meister. Es sind zufällig einstige Schüler
gekommen, den Meister aufzusuchen. Sie wollen Euch sehen, genügt
Euch das?"
Genpachi beschloss, die Kampfschule Akaiwa zu betreten. Er kehrte
wieder um. Als er in die Übungshalle eintrat, hockte dort eine
größere Anzahl offenkundig ortsansässiger
Schüler zusammen; aber auch vier richtige Samurai, die auf
einen Blick von den Jungen zu unterscheiden waren, hatten Platz
genommen. Akaiwa Ikkaku war nicht zu sehen.
"Ihr seid ein Schwertkämpfer in Ausbildung?", sprach einer der Samurai, ein Mann mit Bart.
"Jawohl, ich bin ein Nachwuchskämpfer, ein herrenloser Samurai aus Shimôsa mit Namen Inukai Genpachi."
"Ich bin Hattô Tôta und stehe in Diensten des Feldherrn
Nagao Kageharu. Ich bin hier, um meinem Lehrmeister Akaiwa einen
Dankesbesuch abzustatten. Ich stehe Euch als Partner zur
Verfügung", sprach er hochmütig, stand auf und griff sich
ein Holzschwert. Von vornherein zeugte seine Haltung davon, dass er
keinen wirklichen Zweikampf im Sinne hatte, sondern es vielmehr diesem
dahergelaufenen
Fremdling aus reinem Spaß
mal so richtig zeigen wollte. Als er jedoch nach wenigen Schlagwechseln
umgekehrt von Genpachi umgehauen wurde, machte er ein betroffenes
Gesicht. Der zweite Samurai stellte sich zum Kampf, verdrehte aber
schon nach nur einem Hieb die Augen.
Schwertkampftraining mit Holzschwertern
"Die beiden anderen können meinetwegen auch gleichzeitig gegen
mich antreten", lächelte Genpachi. "Aber es ist vielleicht besser,
einen Arzt rufen zu lassen."
Aber just da traten durch das Tor zum inneren Wohngebäude der
Schule drei Personen herein. Die eine war tatsächlich Akaiwa
Ikkaku, aber als Genpachi sah, dass er einen weißen Seidenverband
schräg über das linke Auge trug, bekam er doch einen
Schrecken. Es war also doch kein Alptraum gewesen!
Die zweite Person war ein groß gewachsener
Samurai etwa Mitte vierzig mit bläulich glattrasiertem Kinn, der ein ärmelloses Übergewand und Reisebeinkleider aus Damast trug, und
die dritte war eine Schönheit leicht fortgeschrittenen Alters mit einer
schwarzen Katze auf dem Arm, die jedoch aufreizend sinnlich wirkte.
Nun kamen die beiden anderen Samurai mit ihren Holzschwertern
mit wildem Kampfschrei auf Genpachi eingestürmt. Ihre
Holzschwerter flogen, aus ihrer Hand geschlagen, davon, die zwei
Kämpfer taumelten zurück und stürzten zu Boden.
"Ho?", brummte der Samurai mit dem ärmellosen Übergewand, der das mit angesehen hatte, und stand starr.
"Die 'vier Himmelskönige' des Komiyama Ittôta, diese
hochgepriesenen Kämpfer des Hauses Nagao, ... umgehauen!
Wer... wer seid Ihr?"
Komiyama Ittôta. Wäre es Inuzaka Keno
gewesen, der diesen Namen hörte, hätte auch er
einen lauten Überraschungsschrei ausgestoßen. Es handelte sich um den Mann,
der vor achtzehn Jahren der zweite Burgvogt des Chiba Yoritane gewesen
war und den ersten Burgvogt Aihara Tanenori umgebracht hatte.
Aber die Schätze des Hauses Chiba, die Bambusflöte und zwei
berühmte Schwerter, waren von irgendwem geraubt worden. Wegen
dieser Schande hatte er sich nicht zurückgetraut und in seiner
Verzweiflung die Flucht ergriffen. Einige wenige Leute waren mit ihm
gekommen und ziellos durch die Lande der Kantô-Region gestreift.
Zwei Jahre später gelangten sie zufällig in dieses Gebiet und
versuchten, in der in ganz Shimôsa gerühmte
Schwertkampfschule des Akaiwa Ikkaku ihre Stärke unter Beweis
zu stellen, aber obwohl sie sich für die erprobtesten Krieger des
Hauses Chiba hielten, kassierten sie im Handumdrehn eine deftige
Niederlage.
Die
"vier Himmelskönige" schützen den Weltenberg Meru der
indischen Mythologie gegen Feinde aus den vier Haupthimmelsrichtungen.
Ihren Befehlen untersteht die himmlische Streitmacht der Yashas
(himmlische Heerführer). Seit dem Altertum ist es
üblich, Vierergruppen nahezu unschlagbar starker Vasallen oder
Gardisten im übertragenen Sinne als "vier
Himmelskönige" zu bezeichnen.
|
Da sie ohnehin kein spezielles Ziel hatten, blieben sie allesamt als
Schüler in der Schwertkampfschule, und Ittôta stieg zum
stellvertretenden Schulleiter auf. In jener Zeit erging vom Hause
Nagao, das über weite Gebiete von Echigo bis nach Kôzuke das
Sagen hatte, der Ruf an Akaiwa Ikkaku, dessen Ruhm wie Donnerhall bis
dorthin gedrungen war, in dessen Dienste zu treten. Ikkaku lehnte
jedoch mit der Begründung ab, er müsse seine Kampfkraft noch
weiter vervollkommnen und wolle den großen Schwertkampfmeister
Nikaimatsu Yamashironosuke in Koga aufsuchen; an seiner Statt empfahl
er Komiyama Ittôta. Und danach hatte Akaiwa Ikkaku in dem Dorf
Ôtsuka in Musashi gewohnt und sich mit Inuzuka Bansaku und dessen
Sohn angefreundet.
Komiyama Ittôta, der in den Dienst des Hauses Nagao getreten war,
stieg danach auf und fungierte derzeit als Kommandeur der
Vasallenstreitmacht. Auf einer Dienstreise im Auftrag seines Herrn
hatte er heute in der Nähe zu tun und die Gelegenheit genutzt, um
Meister Ikkaku zu besuchen.
Es gab zwar diese alte Verbundenheit, aber er wollte auch von Meister
Ikkaku wieder einmal unterrichtet werden und erfahren, welche
Fortschritte diese Schule gemacht hatte. Insgeheim hoffte er
womöglich, dass seine Leute mit der Zeit stärker als ihr
Lehrmeister geworden seien. In dieser Erwartung war er gekommen, aber
zu seinem Leidwesen hatte Meister Ikkaku eine Augenverletzung erlitten,
weshalb der Schwertkampf entfallen musste. Bei einer Übung im
Bogenschießen, sagte Ikkaku mit seiner Binde über dem einen
Auge, sei der Pfeil vom getroffenen Ziel zurückgeprallt, was diese
Verletzung bewirkt habe... Beide bedauerten dies und vertrieben sich
seit
der Mittagszeit mit Sake die Zeit, als jener Samurai auf Durchreise um
Unterweisung ersuchte. Und das schon zum zweiten Mal. Die vier
Vasallen, die sich auf ihre Schwertkunst viel einbildeten und
vermeinten, ihrem Herrn kaum nachzustehen, wollten sich sozusagen als
Zuspeise zum Sake mit dem hereingebetenen Fremden ein wenig
vergnügen, mit dem geschilderten Ergebnis.
'Wer seid Ihr?', hatte Ittôta zwar gefragt, aber er wusste, dass
es sich um einen so gut wie namenlosen Kriegsmann auf Reisen handelte.
Solch einen gefährlichen Mann indes einfach lebendig weiterziehen
zu lassen, das ging nicht an.
"Ich werde mich mit dir messen. Und zwar mit scharfen Schwertern", sagte Ittôta, zog sein Schwert aus der karminroten Scheide und wollte antreten.
"Halt, einen Augenblick!", ging Akaiwa Ikkaku dazwischen, der Genpachi scharf angesehen hatte, und hielt Ittôta mit der Hand zurück.
"Ihr seid dem Mann nicht gewachsen. Überlasst das mir!"
Er trat anstelle des Ittôta vor.
"Junger Mann, zieht blank!", rief Ikkaku und zog sein Schwert aus der Scheide.
Genpachi zog zwar unwillkürlich blank, aber in seinem Innern tobte ein Zwiespalt.
'Schließlich ist er mein Vater... Lasst Euch auch nicht versehentlich auf einen Streit mit meinem Vater
ein... Falls
mein Vater ums Leben käme, geriete auch ich in Not', hallte die
nachdrückliche Bitte des Kakutarô in seinen Ohren wider. Nun
sollte er mit diesem Ikkaku auf Leben und Tod fechten - Genpachi
fühlte den kalten Schweiß, der ihm den Rücken
hinunterlief. Überdies hatte Kakutarô noch gesagt, dass sein Vater gegenwärtig ein Schwertkämpfer mit Geisterkräften sei.
Genpachi verspürte bei seinem ruhig dastehenden Gegner die mit
Worten nicht beschreibbare, übermenschliche Wendigkeit und
Sprungkraft einer wilden Bestie, ja sogar einen den ganzen Körper
lähmenden Bann, der nur noch nicht aktiviert worden war. Obendrein
begann das einzige Auge des Akaiwa Ikkaku gerade, goldfarben zu
erglühen! Wie durch Hypnose wurde es trüb in Gepachis Kopf.
Ikkaku erhob sein Schwert, aber in diesem Augenblick rief Genpachi laut: "Oh, Kôshinyama!"
Ihn durchfuhr die Erinnerung an die goldglühenden Augen des
Mannes, dem er am Berg Kôshinyama begegnet war. Auf der Stelle
erstarrte nun Ikkakus Bewegung wie festgebannt.
Genpachi drehte sich um und ergriff die Flucht. In der Kampfschule sprangen alle auf.
Komiyama Ittôta brüllte: "Lasst ihn nicht entkommen, ihm nach!"
Kaum ins Freie gelangt, sprang Genpachi seitlich auf die Mauer und schwang sich gleich weiter aufs Dach hinauf.
Die Schüler, die aus der Halle geströmt kamen, teilten sich
vor dem Tor und liefen nach links und rechts suchend davon. Genpachi
stieg unentdeckt über das Dach zur Rückseite des Anwesens,
sprang hinunter und wanderte dann geradewegs nach Tamagaeshi.
④
"Dumm gelaufen ist das...."
Genpachi berichtete, nachdem er in der Grashütte angekommen war, kurz das bis jetzt Geschehene.
"Die Verletzung Eures Herrn Vaters am Berg Kôshinyama war also
doch kein schlimmer Traum. Er hat tatsächlich eine Wunde am linken
Auge erlitten. Das habe ich gesehen, aber was ich jetzt tun soll,
weiß ich auch nicht. Ich wollte Euch nur diese Nachricht
überbringen und gehe jetzt besser fort."
Er wollte eilig aufstehen, aber Kakutarô sagte:
"Wartet. Es ist schon zu spät. Die Verfolger sind da."
In der Tat waren die Schritte vieler nahender Menschen zu vernehmen, durchsetzt von Hufgetrappel.
"Ihr habt keine Chance zu entkommen. Was die Schüler angeht, die
schicke ich zurück. Wenn mein Vater mit dabei ist, rede ich mit
ihm. Oder vielmehr, ich muss diese Gelegenheit nutzen, um mit ihm zu
sprechen."
Draußen vor der Hecke machten die Schritte Halt, und aus den
Geräuschen heraus ertönte der Ruf "Kakutarô!"
Kakutarô schob die Türe auf und trat auf den Bohlenrand. Er
erblickte seinen Vater Ikkaku, der dort stand, die Zügel seines
Pferdes in der Hand haltend. Genpachi, der im Innern saß, war
voll sichtbar.
"Schick mir diesen Mann heraus!", sagte Ikkaku. Hinter Ikkaku waren
natürlich auch der noch aufsitzende Komiyama Ittôta, die
hinterdrein drängenden Schüler und eine große Schar
Katzen zu sehen.
Kakutarô setzte sich in aller Ruhe nieder und schüttelte den Kopf.
"Was soll dieser Mann getan haben? Er hat nur die Gegner in der Kampfschule besiegt. Was soll dieser Aufwand?"
"Darum geht es nicht", sagte Akaiwa Ikkaku düster. "Er ist derjenige, der mir mit seinem Pfeil das Auge ausgeschossen hat."
"Er hat seinen Pfeil auf die Katze abgeschossen, von der mein Vater
besessen ist", erwiderte Kakutarô. "Wie lange wollt Ihr Euch
noch von einem solchen furchterregenden Dämon verhexen
lassen? Ich bitte Euch inständig, wieder mein Herr Vater von
früher zu werden. Erinnert Ihr Euch noch an Herrn Inuzuka
Bansaku und seinen Sohn, mit denen wir vor gut zehn Jahren, als wir im
Dorf Ôtsuka in Musashi lebten, eng befreundet waren? Dieser Sohn
Shino war mein bester Freund. Und dieser Herr Inukai ist ein enger
Freund jenes Inuzuka Shino. Ich lehne es strikt ab, Euch diesen
Mann auszuliefern."
"Was?", knurrte Ikkaku. "Kakutarô, willst du dich gegen mich auflehnen?"
"Das habe ich nicht vor. Aber wenn Ihr Herrn Genpachi erschlagen wollt, so bringt zuerst mich um!"
Kakutarô ergriff das Schwert an seiner Seite und warf es samt Scheide unter die Hecke.
"Ich bitte Euch, Herr Vater, werdet wieder mein Vater wie ehedem!", stieß er mit schmerzerfüllter Stimme hervor.
Über Ikkakus Gesicht lief eine Welle von Verzweiflung. Sie war der
Ausdruck des Kampfs in seiner Seele zwischen einem Menschen, den er
liebte, und einer Bestie. Aus dem Schatten Ikkakus, der zögernd
dastand, trat von hinten her eine Frau hervor und rief:
"Kakutarô, willst du deinem Herrn Vater etwa Lehren erteilen?"
Sie trug eine schwarze Katze auf dem Arm und hielt an der Hand noch
eine junge Frau. Diese Frau, die etwas später eingetroffen war,
war Ikkakus Ehefrau Funamushi, aber als er die andere Frau erblickte, musste Kakutarô doch ziemlich blinzeln. Es war nämlich seine Frau Hinaginu.
"Auf dem Weg hierher sah ich diese Hinaginu hier herumlaufen und habe
sie mitgebracht. Diese Frau, die wegen ihres Fehltritts samt
Schwangerschaft aus dem Hause Akaiwa entfernt wurde, soll, wie ich
hörte, auch jetzt noch weiterhin um dein Haus herumlungern. Ich
weiß nicht, was dir einfällt, das zuzulassen. Weißt du
nicht, dass du damit zur Schande des Hauses Akaiwa beiträgst? Du
hast keinerlei Recht, Herrn Ikkaku irgendwelche Lehren zu erteilen!"
Hinaginu warf mit weinerlicher Stimme ein: "Ich bin doch gar nicht schwanger! Glaubt es mir! Ich bin wirklich nicht schwanger!"
"Und dein dicker Bauch, wo kommt der her?"
Funamushi stierte Hinaginus Bauch an. In der Tat war seine Wölbung alles andere als natürlich.
"Es ist alles ein Irrtum. Ach, ich möchte mir den Bauch
aufreißen und es allen zeigen...!", rief Hinaginu gequält.
"Den Bauch aufreißen.....", murmelte Funamushi mit unheimlicher
Stimme. "Wenn du das tust, wird das Auge des Herrn Ikkaku heilen."
"Was soll das denn heißen?", warf Kakutarô ein.
"Ich habe gehört, dass es zur Heilung einer durch einen Pfeil
verursachten Augenverletzung nötig sei, die Augen eines ungeborenen Kindes
aus dem Leib seiner Mutter zu essen. Wenn dies geschähe, wäre
das die beste Sühne gegenüber ihrem Schwiegervater", sagte
Funamushi.
Welch fürchterliche Worte aus dem Mund dieses Weibes! Nur der
Teufel weiß es. Es war diese Funamushi, die vor zwei Jahren dem
Inuta Kobungo eine Falle stellen wollte, sich aber selbst darin
verfing. Dann konnte sie durch die Hand der Leute des Makuwari Daiki entkommen
und verschwinden. Wo war sie in der Zwischenzeit gewesen, und was hatte
sie getrieben? Es war ihr jedenfalls gelungen, ganz offen die dritte
Ehefrau des Akaiwa Ikkaku zu werden. Das ihr eigene teuflische
Wesen passte wohl vorzüglich zu Ikkakus Verwandlung in einen
Dämon. Und darüberhinaus war Ikkaku jetzt vollgesogen von
ihrem Gift.
Die teuflische Funamushi als Ehegattin des Akaiwa Ikkaku
Das Elternhaus der neuen Gemahlin von Ikkakus einzigem Sohn
Kakutarô, das Haus Inumura, zählte zwar zum lokalen
Samuraistand, besaß aber reichlich urbares Ackerland. Die Familie
bestand nur aus Vater und Tochter, und in diesem Frühjahr war auch
Hinaginus Vater verstorben. Nun war aller Besitz des Hauses Inumura in
die Hand der Braut Hinaginu gelangt. Und wenn man Hinaginu vertreiben
und Kakutarô aus dem Haus werfen könnte, würde das
alles Akaiwas, und mithin auch Funamushis Eigentum. Dass sie Ikkaku
dazu drängte, Hinaginu von seinem Sohn zu trennen und
Kakutarô zum Waldeinsiedler zu machen, beruhte zwar auf dieser
Gier, aber vielmehr war sie von Natur aus eine solche Gifthexe, dass sie ein junges, hübsches Paar, das im selben Haus in inniger Liebe zusammenlebte,
einfach nicht ertragen und ihrem Trieb, diese Eintracht zu
zerstören, nicht widerstehen konnte. Dennoch war das, was
Funamushi soeben gesagt hatte, haarsträubend entsetzlich.
"Lasst solche albernen Reden!", rief Kakutarô errötend, denn
es war immerhin seine Stiefmutter, die ihm gegenüber stand. "Hat
Hinaginu denn nicht gesagt, dass sie nicht schwanger ist?"
"Oh weh, und das glaubst du ihr so einfach? Warum hast du dich dann von ihr getrennt?"
Kakutarô war sprachlos, gab aber nach einem Atemzug kläglich zurück:
"Selbst wenn sie schwanger sein sollte, wäre es unerhört, ihr Ungeborenes zu essen...."
"Ach, das Ungeborene... Dann liefer uns halt diesen Kerl da aus!"
Sonderlich logisch war diese Forderung Funamushis nicht, aber auf einmal stöhnte Ikkaku:
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Sein Auge, das auf
Hinaginus gerundeten Bauch starrte, glühte goldgrün auf.
Kakutarô hielt vor Entsetzen den Atem an. Da bückte Hinaginu
sich plötzlich nieder und griff nach etwas auf dem Boden
Liegendem. Es war das Schwert, das Kakutarô vorher von sich
geworfen hatte. Hinaginu zog es aus der Scheide und umfasste die Klinge
mit ihrem Ärmel.
"Mein Herr Gemahl..., seht her...., dass ich nicht schwanger bin!"
Sie stellte ein Knie auf, und dann stieß sich diese
liebreiche, bedauernswerte, schöne Frau die Klinge durch das
Gewand in den Leib.
"Oooh!"
Nicht nur Kakutarô, sondern auch Genpachi im Innern der
Hütte sprangen auf und rannten in den Vorgarten. Vor aller Augen
wandte sich Hinaginu, als wollte sie sagen "seht her, ich bin
unschuldig!", zu Funamushi hin und zog die Klinge quer durch ihren
Unterleib.
In diesem Augenblick schoss ein Blitzstrahl aus der Blutfontäne,
die ihrem Leib entquoll. Ihr Blut spritzte auf Funamushi und Ikkaku,
aber der Blitzstrahl traf direkt auf Ikkakus offenes,
goldglühendes Auge, und ein Gegenstand prallte von dort in den
Garten zurück.
"Waooo!"
Dieser starke Kämpfer Ikkaku stürzte wie vom Blitz getroffen
nieder. Kakutarô hatte dafür kein Auge, sondern schloss
Hinaginu in die Arme.
"Hinaginu, meine Hinaginu, was hast du getan!"
"Mein Herr Gemahl, ....seht her...., es ist kein Kind in meinem Bauch...."
Kakutarô blickte nur kurz auf Hinaginus blutbesudelten Leib; er
starrte mit blutunterlaufenen Augen auf seine Stiefmutter und
brüllte, zum ersten Mal ohne jeden Respekt:
"Funamushi, her mit dir, sieh dir Hinaginus Bauch an!"
Aber Funamushi, Komiyama Ittôta auf seinem Ross und alle
Schüler stierten nur wie benommen auf den am Boden liegenden Akaiwa
Ikkaku. Sein Mund war bis zu den Ohren aufgerissen, spitze
Fangzähne säumten seinen Schlund. Sein Bart wehte wie
vertrocknetes Pampasgras. Das konnte nur die Fratze eines
Katzendämons sein. Es hatte so ausgesehen, als ob Ikkaku sein
Bewusstsein verloren hätte, aber sein Arm bewegte sich, seine
Fingerkrallen gruben sich in den Boden. Mit dämonischer
Geschmeidigkeit erhob er seinen Kopf.
"Ich will ein menschliches Ungeborenes fressen!"
Während er schon wieder diese Worte von sich gab, sprang er so
plötzlich auf, dass er sich beinahe überschlug.
"Waooo!"
Mit blitzschnell gezückter Klinge sprang er, mysteriöse Laute
brüllend, hinüber, wo Kakutarô Hinaginu in den
Armen hielt.
"Du Unwesen!", schrie Genpachi, der neben den beiden kniete, und hieb
den gespenstischen Schatten, der auf sie zugesprungen kam, mit dem
Schwert entzwei. Dessen abgetrennte Beine fielen auf die Erde, und
Akaiwa Ikkaku schlug inmitten seines eigenen Bluts ohne Beine auf dem
Boden auf. Diesmal war er wirklich tot.
Da sah Kakutarô, wie Funamushi auf den Sattel von Komiyama
Ittôtas Pferd steigen wollte und dieser sie zu sich hochzog und
sein Pferd mit den Zügeln wendete.
"Halt!", schrie er. Genpachi wollte zu ihm hinlaufen, da stieß
sein Fuß gegen etwas Hartes. Als er erkannte, dass es eine
Kristallkugel war, hielt er wie angenagelt im Lauf inne.
"Ha, was ist denn das?", rief Genpachi unwillkürlich und hob die Kugel auf.
"REI!", schrie er. Das war das Schriftzeichen, das in der Kristallkugel zu schweben schien.
REI bedeutet Anstand
⑤
Genpachi
dachte nicht mehr daran, den zu Pferde flüchtenden Ittôta
und Funamushi und der hinterherlaufenden Schar der
Schwertkampfschüler auch nur nachzuschauen. Er murmelte nur:
"Was ist das...? Was ist das nur...? Was hat es damit auf sich...., dass hier eine solche Kristallkugel aufgetaucht ist?"
Er reichte sie Kakutarô und fragte: "Ist das nicht das Ding, das gerade eben aus Hinaginus Bauch herausgeflogen kam?"

Kakutarô mit seiner Kristallkugel -
Er wird den Namen seiner schuldlos ums Leben gekommenen Gemahlin annehmen und in ihrem Namen weiterleben
"Aaah!", stöhnte Kakutarô mit weit aufgerissenen Augen.
"Jetzt wird mir alles klar! Das ist es gewesen, was Hinaginu wie
schwanger aussehen ließ! Kurz nach meiner Geburt unternahm meine
Mutter eine Wallfahrt zum Hakusan-Schrein im Lande Kaga. Sie griff sich
ein wenig Kies von jenem Schrein, um ihn in meinen Amulettbeutel zu
füllen, und diese Kugel mit dem Schriftzeichen REI lag zwischen
den Kieseln. Ich habe sie immer sorgsam in meinem Amulettbeutel
verwahrt, aber eines Tages im 6.Monat holte Hinaginu die Kugel heraus,
um sie sich näher anzusehen. Da trat auf einmal diese Funamushi
von hinten her zu ihr und wollte sehen, was Hinaginu da hatte.
Daraufhin verschluckte Hinaginu hastig die Kugel. Jetzt fällt mir
ein, dass Hinaginus Bauch seitdem dicker war... Es darf doch nicht
wahr sein, dass diese Kugel die Ursache dafür war!"
"Herr Kakutarô, habt Ihr nicht an irgendeiner Stelle Eures
Körpers ein Mal, das die Form einer Päonienblüte
aufweist?"
"Ja, das habe ich. Und zwar peinlicherweise auf der linken Backe
meines Hinterteils", antwortete er, fügte aber verwundert hinzu:
"Wie kommt es, dass Ihr davon wisst?"
Mit leuchtenden Augen berichtete Genpachi von den durch ein Schicksal
aus einer früheren Existenz verbundenen Hundekriegern, deren
Kennzeichen diese Kristallkugeln und das Päonienmal sind.
Während er davon hörte, begannen die traurigen Augen des
Kakutarô zu strahlen.
"Ach, so ist das also, das ist die tiefere Bedeutung!", nickte er und
blickte auf seine tote Gemahlin, die auf seine Knie gebettet lag.
"Ach, die Ärmste, sie ist schon leblos.... Aber seht her, Hinaginu
trägt ein Lächeln im Gesicht! Sie, die meine Gattin ist, hat
mir diese Kristallkugel aus ihrem Leib wiedergeschenkt!"
Er umschlang den bluttriefenden Leichnam und rief:
"Ist sie nicht wahrhaftig eine Wiedererscheinung der Fusehime, von der Ihr berichtet habt?"
"Ohne Hilfe dieser Kugel hätte ich Herrn Ikkaku nicht
niederschlagen können. Die Kugel hat genau sein gesundes Auge
getroffen, und dass Herr Ikkaku nun auf beiden Augen blind war, hat es
mir ermöglicht."
Aber es lief Genpachi dabei erneut kalt den
Rücken hinunter.
"Aber ich habe nun doch Euren Herrn Vater umgebracht", sagte er, sein Haupt tief neigend.
"Nein, lasst es gut sein, es gab keine andere Möglichkeit." Kakutarô
schüttelte den Kopf. "Mein Vater war nicht
nur von einer Katze verhext, sondern selbst zu einem dämonischen
Ungeheuer geworden. Aber dieses Weib namens Funamushi wird meinen Vater
umgarnt haben, damit er Hinaginu das Kind aus dem Leib reißt. Sie
spricht kaltblütig dermaßen verwerfliche und
abscheuliche Dinge aus, dass selbst die teuflischsten Dämonen den
Blick von ihr abwenden. Sie hat sich vermutlich schon aus dem Staub
gemacht, aber die Strafe des Himmels wird sie bestimmt ereilen", sagte
er zähneknirschend, das Gesicht zum Himmel gewandt.
"Brechen wir auf, Herr Inukai!", sprach er entschlossen. "Wir sind acht
Hundekrieger; jetzt kennen wir sieben, nur einer ist noch nicht
gefunden. Und wo die anderen fünf stecken, wissen wir auch nicht.
Auf die Reise, um sie zu finden, begleite ich Euch."
Unter Tränen bestattete er Hinaginu. Und mit unangenehmen, schmerzlichen Gefühlen bestattete er seinen Vater Ikkaku.
Sie durchsuchten die Schwertkampfschule Ikkaku; es sah so aus, als habe
Komiyama Ittôta seine "vier Himmelskönige", die von Genpachi
niedergeschlagen worden waren, in Sänften gesetzt, sogar das
verführerische Weib Funamushi mitgenommen und sich hastig
davongemacht.
Den Namen Akaiwa zu führen, sagte Kakutarô, sei ihm fortan
zuwider; fortan wolle er sein Leben auch im Namen seiner Gemahlin
führen und deshalb ihren Familiennamen Inumura annehmen und
seinen Eigennamen in den Kriegernamen Daikaku abändern.
Inumura Daikaku, der siebte Hundekrieger - im Manga, mit 'Scholar'-Image
So brachen sie gemeinsam aus Shimotsuke zu ihrer Reise auf, als die
Herbstwinde die Ähren des Pampasgrases zu zausen begannen. Es
war der 10.Monat des 12.Jahrs Bunmei (1480).
⑥
In demselben 10.Monat des 12.Jahrs Bunmei (1480), als Inukai Genpachi zusammen mit Inumura Daikaku aus dem Lande Shimotsuke zu ihrer Wanderschaft aufbrachen, wurde auf Inuzuka Shino, der durch das Land Kai streifte, plötzlich ein Schuss abgegeben. Shino stürzte zu Boden.
Seit der Trennung von den Gefährten am Berge Arameyama waren
etwa zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit war auch Shino auf der Suche
nach den sieben anderen 'Brüdern' durch die Lande gezogen. An
jenem Abend wanderte er im Lande Kai bei Tomino im Distrikt Koma am
Fuß des Berges Anayama auf der Landstraße dahin, die von
hohen Herbstgräsern fast zugewuchert war. Als der Schuss fiel,
stürzte er in das trockene Gestrüpp. In Wirklichkeit hatte
die Kugel nur seinen Ärmel durchschlagen, aber er warf sich
nieder und stellte sich tot.
Inuzuka Shino
Bald kam durch das Gesträuch ein Samurai um die vierzig mit einem
einzigen Gefolgsmann gelaufen und fand Shino, der mit dem Bauch nach
unten dalag.
"Ho? So ein Mist! Ich dachte, es sei ein Hirsch und habe versehentlich
einen Mann totgeschossen!", hörte Shino ihn verdattert sagen.
Sie wollten hastig fortlaufen, aber nach etwa zehn Schritten rief der Schütze "Warte!", und blieb stehen.
"Der Mann, der da liegt, trägt an seiner Seite ein Schwert, das
mir kein gewöhnliches Schwert zu sein scheint. Dass ich ihn
erschossen habe, lässt sich nicht ändern, aber ein Toter
braucht kein wertvolles Schwert. Ich will die Gelegenheit nutzen und es
an mich nehmen."
Er kam zurück und wollte sich an Shino zu schaffen machen. In
diesem Augenblick sprang Shino auf. Nach einem kurzen Kampf war der
Gefolgsmann ohnmächtig von Schmerzen, und der Samurai lag zu Boden
gerungen im Schwitzkasten.
"Du alberner Narr! Du
hast mich anscheinend für einen Hirsch
gehalten und auf mich geschossen! Abgesehen von diesem Irrtum wolltest
du auch noch das Schwert deines Opfers entwenden! Das ist weder
ritterlich noch eines Samurais würdig. Sag mir, wer du bist,
nenn deinen Namen!", schimpfte Shino, da kam ein Mann auf der von
Herbstgräsern halb zugewachsenen Landstraße herbei, schaute
her und
rannte dann so schnell, dass er beinahe zu Fall kam, herbei.
"Wa...was ist Euch denn zugestoßen, Herr Awayuki?", rief er.
Der Samurai verzog schmerzlich das Gesicht.
"Wer bist du denn?", fragte Shino, und der Mann mittleren Alters antwortete:
"Ich bin der Dorfvorsteher des nahen Ortes Saruishi und heiße Yorogi Mukusaku."
Er merkte nicht, dass ihn der Samurai mit seinen wütenden Blicken zum Schweigen bringen wollte.
"Dieser Herr ist der Herr Forstverwalter des hiesigen Landesherrn vom
Hause Takeda und heißt Awayuki Nashirô, aber... was ist mit
ihm geschehen?", antwortete er.
"Wie, das ist der Forstmeister?"
Shino war bass erstaunt und ließ den Samurai los. Sofort leistete
der Forstverwalter des Fürstenhauses Takeda, Awayuki Nashirô,
wie eine Spinne auf allen Vieren einen Kotau vollführend, vor
Shino Abbitte und flehte ihn an: "Bitte behaltet meinen Fehltritt
für Euch, bitte sagt niemandem etwas darüber!"
Dann lief er
eilig davon und nahm auch seinen wieder zu sich gekommenen Begleiter mit.
Yorogi Mukusaku blickte ihm mit verblüffter Miene hinterdrein.
"Das ist also geschehen! Dieses Missverständnis ist sicher das Werk eines Dämons gewesen. Bitte seht ihm das nach!"
Er bat erneut um Verzeihung, als ob es seine eigene Schuld gewesen
wäre. Und fragte Shino, wohin er des Weges ziehe und ob er schon
ein Obdach für die kommende Nacht habe. Shino antwortete, dass er
auf der Suche nach bestimmten Leuten sei und sich keine Gedanken um ein
Obdach für die hereinbrechende Nacht gemacht habe.
"Das trifft sich gut; es ist zwar eine Anmaßung, aber als Amtmann
dieser Domäne kann ich den leidigen Vorfall wiedergutmachen. Kommt
bitte mit mir und seid mein Gast!", forderte er Shino auf. "Und bei
dieser Kälte sieht es so aus, als würde es in der Nacht
Schneefall geben", fügte er mit einem Blick zum Himmel hinzu.
Shino hatte gesagt, dass er kein Obdach habe, aber überdies hatte
Shino bei Mukusaku den Eindruck eines gutmütigen Mannes von
schlichtem Gemüt gewonnen, weshalb er sich in das Dorf Saruishi zu
dessen Haus mitnehmen ließ.
Die Bewohner begrüßten den Gast.
"Dies ist meine Frau, Nabiki."
Sie war jünger und hübscher als gedacht. Sie mochte Mitte
dreißig sein und war eher sinnlich als schön.
"Und dies ist meine Tochter Hamaji."
"Wie? Hamaji?" Shino blickte das Mädchen mit stockendem Atem an.
So direkt angestarrt, errötete die Tochter. Um die vierzehn Jahre
mochte sie sein, und ihre Züge wirkten vornehm, so gar nicht zu
Mukusaku passend.
Mukusaku fragte erstaunt: "Was ist damit?"
"Nein, nichts Besonderes", schüttelte Shino den Kopf.
"Meine Frau ist, genauer gesagt, meine zweite Gemahlin", sagte
Mukusaku entschuldigend, aber dass Shino der Atem stockte,
hatte damit nichts zu tun. Der Grund war natürlich der Name
Hamaji. Es war ein Name, der für ihn unvergesslich war.
Das Mädchen war zwar ebenso hübsch wie die frühere
Hamaji, sah ihr aber überhaupt nicht ähnlich. Das war nur
logisch, und die Übereinstimmung der Namen war nichts weiter als
ein Zufall.
Aber in der Nacht ereignete sich etwas Seltsames, und danach glaubte
Shino nicht mehr, dass die namentliche Übereinstimmung
reiner Zufall war.
Nach einer herzlichen Bewirtung hatte Shino sich zur Ruhe gelegt und
war fest eingeschlafen. Er erwachte auf einmal, weil er einen starken
Duft wahrnahm. Neben seinem Kissen saß dieses Mädchen. Sie
schaute Shino, der aufgesprungen war, mit geistesabwesendem Blick an
und sagte:
"Herr Shino, lang ist es her, dass wir uns sahen.... Ich bin Hamaji..."
Shino war, als sei er mit Wasser übergossen worden. Er schaute das Kind fragend an.
"Damals habe ich Euch gebeten, mit mir zusammen zu fliehen, aber Ihr
habt es nicht für mich getan. Das hat mir den Tod gebracht...."
"........"
"Aber ich grolle Euch nicht länger. In der Welt, in der ich jetzt
weile, wäre es sinnlos, Euch zu grollen. Aber ich bitte Euch,
an meiner Statt dieses Mädchen Hamaji zur Frau zu nehmen."
Hamaji von Saruishi
In diesem Augenblick waren Tritte auf dem Holzbohlengang zu vernehmen.
"Hamaji!....Hamaji!", rief eine Frauenstimme.
Die Tür flog auf, und Nabiki, die Gattin des Dorfvorstehers, schaute herein.
"Ja, was machst du denn hier in diesem Raum?", rief sie.
Da sah es aus, als ob Hamaji, obwohl ihre Augen offen standen, ihre Augen soeben auftäte.
Wegen der schrillen Stimme seiner Frau Nabiki war auch Mukusaku
aufgewacht und kam herbei. Und Hamaji, wie gerade eben vom Schlaf
erwacht, sagte, dass ihr im Traum ein unbekanntes Mädchen
erschienen und gesagt habe, sie möge mitkommen. Sie habe sie an
der Hand gefasst und hierher geführt - an alles, was danach war,
könne sie sich überhaupt nicht erinnern.
"Mit dreizehn Jahren fängst du schon an zu schlafwandeln!", lachte
Mukusaku, aber Nabiki zog ein schiefes Gesicht.
Shino war nicht zum Lachen zumute. Und nach einem schiefen
Gesicht ebenso wenig. Ihn hatte ein vertrauter Schauder ergriffen.
Am andern Morgen war im Dorf Saruishi Schnee gefallen.
"Das ist kein Wetter zum Weiterwandern!"
Von Mukusaku vom Aufbruch abgehalten, saß Shino mit seinem
Gastgeber am Rand der Feuerstelle und hörte sich wieder eine
seltsame Geschichte an. Dieses Mädchen Hamaji war keine
leibliche Tochter des Mukusaku. Er hatte das Kind gefunden und an sich
genommen. Als er vor etwa zehn Jahren am Berg Kurokomadake auf Jagd
ging, erblickte er einen riesigen Adler, der von einem hohen
Felsengipfel aufflog. Von dort, wo der Adler gesessen hatte, hörte
er ein kleines Kind weinen. Er erklomm den Felsen und fand ein
etwa dreijähriges Mädchen, das in vornehme Gewandung mit
Sasarindô-Wappen gekleidet war und weinte.
Das Sasarindô-Wappen des Fürstenhauses Satomi von Awa
Es sagte nur, dass es Hamaji heiße, wusste aber weder, von wo es
gekommen, noch wie es hierher geraten war. Das Kind war so liebreizend
und hübsch, dass er es mit nach Hause genommen und gemeinsam mit
seiner vorigen Gattin großgezogen hatte.
Er drängte Shino wiederholt, in seinem Haus zu bleiben, zumindest bis zum nächsten Frühjahr.
"Nein, auf keinen Fall bis zum kommenden Frühjahr!", wehrte Shino
ab, aber dann blieb er erst einen, und dann einen weiteren Monat; er
tat dies weniger wegen der Winterkälte, sondern weil er von
unsichtbaren Fäden, die von dem Mädchen mit Namen Hamaji
ausgingen, festgehalten wurde. Mukusaku kannte zwar ihre Abstammung
nicht, liebte Hamaji aber wie eine eigene Tochter und hütete sie
sorgsam wie etwas sehr Wertvolles.
Auch seine zweite Frau Nabiki verhielt sich scheinbar in der gleichen
Weise, aber Shino gewahrte schnell, dass ihre Hingabe nur
äußerlich war. Wenn Mukusaku nicht anwesend war,
änderte sich ihre Haltung sofort, und oft fuhr sie Hamaji grob an.
Hamaji war wortkarg und sah still in sich gekehrt aus, wodurch sie noch
bedauernswerter anmutete. Shino begann, sich zu ihr hingezogen zu
fühlen, und Hamaji sprach zwar nie darüber, aber in ihren
Blicken, die sie auf Shino richtete, lagen ebensolche unausgesprochenen
Gefühle. Ihr Anfall von Schlafwandelkrankheit in der Nacht, als
Shino ins Haus kam, erschien ihm immer mehr als Ausdruck einer
seelischen Sehnsucht, obwohl Hamaji sich selbst an nichts mehr
erinnerte. Immer stärker spürte Shino, dass diese Hamaji eine
Wiedergeburt seiner verstorbenen Hamaji sein musste.
Im Laufe der Zeit begann auch Mukusaku anzudeuten, dass er sich, bei
allem Respekt, durchaus vorstellen könnte, dass Shino bei ihm
bliebe und Hamaji seine Braut würde, aber Shino lehnte es
natürlich ab, da ihm auferlegt sei, seine Wanderung durch die
Lande auf der Suche nach seinen Gefährten fortzusetzen.
Mukusaku hatte allerdings begonnen, etwas in die Wege zu leiten, um
Shino weiter festzuhalten. Er hatte insgeheim nach Wegen gesucht, Shino
in den Dienst des Hauses Takeda treten zu lassen. Und in seinem
gutmütigen Wesen dafür ausgerechnet den Forstmeister
Awayuki Nashirô um dessen Hilfe gebeten.
Yorogi Mukusaku
Zu den Dienstpflichten des Mukusaku gehörte, im Wald Brennholz zu
schlagen, und Awayuki war der Forstverwalter, der in den Wäldern des
Lehens für Ordnung zu sorgen hatte. Weil er deshalb immerzu durch
diese Gegend streifte, kannten sie einander schon lange recht gut.
An einem Tag nach dem Jahreswechsel ganz zu Beginn des Frühlings
erfuhr Mukusaku, dass sich Awayuki Nashirô gerade in dem Amtshaus
ganz in der Nähe aufhalte. Er begab sich dorthin, um sich mit dem
Forstverwalter zu besprechen.
"Um die Wahrheit zu sagen, handelt es sich dabei um jenen Mann, der
Euch, dem Herrn Forstmeister, im Herbst des vergangenen Jahres eine
ungebührliche Schmach bereitet hat..."
Es sprach über Shino und sagte, dass er seit jener Zeit bei ihm
wohne und in Wirklichkeit ein prachtvoller junger Mann sei; er halte es
für einen erheblichen Schaden für diese Domäne, wenn man
ihn nicht in den Dienst des Fürsten berufe. Wegen jenes
Zwischenfalls seinerzeit dürfte der Herr Forstverwalter
möglicherweise einen Groll gegen jenen Herrn hegen, aber dem Wohl
des Landes zuliebe diese Geschichte auf sich beruhen lassen. Um ihn
näher kennen zu lernen und sich mit ihm auszusöhnen,
möge er doch gemeinsam eine Schale Sake mit ihm leeren, bat
Mukusaku den Forstverwalter.
"Aha... Nun ja, das treibt mir den Schweiß der Verlegenheit ins
Gesicht. In möchte den Herrn gern wieder treffen und mich erneut
bei ihm entschuldigen", nickte Awayuki, aber nachdem Mukusaku gegangen
war, begannen Awayukis Augen auf eigentümliche Weise zu funkeln.
Dass ein Mann, der über einen Fehltritt von ihm Bescheid
wusste, in den Dienst des Hauses Takeda einträte, kam überhaupt nicht in Frage.
Das war es, was er befürchtete. Außerdem hatte Forstmeister
Awayuki schon lange ein Auge auf die sinnliche Ehefrau Nabiki dieses
Mukusaku geworfen und, ohne dass dieser gutgläubige Mensch etwas davon ahnte,
immer wenn er auf Rundgang durch diese Gegend kam und Mukusaku
zufällig abwesend war, Nabiki in das Amtshaus rufen lassen und es
dort ausgiebig
mit ihr getrieben. Als hinterhältiger Mensch argwöhnte er
deshalb, dass Mukusaku womöglich die heimliche Affäre
zwischen ihm und seiner Ehefrau Nabiki durchschaut habe und ihm etwas
heimzahlen wolle.
Einige Tage später sandte Awayuki Nashirô also Untergebene,
die bisweilen mit ihm auf Jagd zu gehen pflegten, als Boten zu
Mukusaku. Er möge zum Amtshaus kommen, um die erwähnte Sache zu
beraten, aber niemandem etwas davon sagen. Als Mukusaku eintraf, schlug
er ihn tot.
⑦
Es war zwar Frühlingsbeginn, aber eine Schneenacht in diesem Bergland, in dem die bittere Kälte noch lange vorherrscht.
Am folgenden Tag ließ Awayuki Nashirô Mukusakus Ehefrau Nabiki rufen.
Diesmal hatte er nicht den Mut, sie in den Amtsbau kommen zu lassen,
sondern traf sie in einem Tempel bei dem entlegenen Weiler Isawa. Es
war ein kleiner Zen-Tempel mit Namen Shigetsuin am Rand des
Dörfchens Isawa. Als der alte Tempelbonze vor wenigen Jahren im
Sterben lag, hielten sich zufällig zwei Wandermönche
bei ihm auf. Weil sie sehr liebenswert waren, vermachte er den beiden
seinen Tempel. Die beiden Wanderpriester waren aber oft als Bettelmönche
auf Wanderschaft und ließen sich während ihrer
Abwesenheit durch einen jungen Novizen vertreten. Der Tempelgarten
war wundervoll angelegt und zog nicht wenige Besucher an; es waren
sogar so viele, dass vor dem Tor ein Teehaus eröffnet hatte, aber
der Tempel selbst war fast immer so gut wie menschenleer.
Nashirô, der den Tempelgarten einmal besichtigt hatte, wusste
darüber Bescheid. Er vereinbarte eine bestimmte Zeit, zu der
Nabiki dorthin kommen sollte. Sie trafen sich in dem Teehaus, und dann
betraten sie den Tempel Shigetsuin. Es lag Schnee, weshalb es
sonst keine Besucher gab.
Nur der junge Novize war anwesend, aber er war gerade erst etwas
über zehn Jahre alt. Er hegte keinerlei Verdacht gegen dieses
Paar, das durch den Schnee zum Tempel kam, und wies ihnen einen Raum zu,
von dem man den Schneegarten gut sehen konnte. Aber weil man nie wissen
kann, wann die beiden Wandermönche zurückkommen, sagte
Nashirô dem Novizen, er solle sich an den Eingang setzen und
ihnen Bescheid geben, wenn jemand käme. So schickte er den Novizen
auf den Bohlengang hinaus, schlüpfte dann mit Nabiki in
den zugewiesenen Raum und schloss die Tür.
Dort eröffnete Nashirô ihr, dass er in der vergangenen Nacht
Yorogi Mukusaku umgebracht habe. Mukusaku habe offenbar etwas von dem
Verhältnis zwischen ihnen gewittert, begründete er die Untat.
Nabiki erschrak. Aber dann äußerte sie, dass ihre Tochter
Hamaji das womöglich mitbekommen und sie beim Vater verpetzt habe.
Nabiki wollte nämlich keinesfalls miterleben, dass ihr
Ziehtöchterlein eines Tages die rechtmäßige Gemahlin
eines hohen Gefolgsmannes des Hauses Takeda würde. So nickte sie
schließlich und meinte:
"Unter den gegebenem Umständen blieb wohl keine andere Wahl. Aber
wenn Herr Mukusaku länger ausbleibt, wird es eine große
Aufregung geben. Was habt Ihr mit seinem Leichnam gemacht?"
"Dafür habe ich einen Plan ausgeheckt, einen genialen Plan, der uns alle Probleme auf einmal aus der Welt schaffen wird."
Er zog Nabiki näher zu sich heran und wisperte ihr etwas ins
Ohr. Anschließend kam es in dem vom Schnee erhellten Gemach, ohne
Scham und ohne Furcht, oder vielmehr gerade wegen dieser Spannung,
zu einer sehr viel wilderen intimen Begegnung als sonst.

Nashirô und Nabiki
Langsam erhoben sie sich anschließend, schoben die Tür auf
und traten auf den Bohlengang. Dort saß in einer Ecke der Novize,
der im Sonnenlicht seine Beinkleider ausgebreitet hatte und darin
vertieft war, sie von Flöhen zu befreien. Niemand hatte etwas von
dem Liebesakt des Paars mitbekommen.
Am nächsten Morgen entdeckte Nabiki eine menschliche Hand, die aus
dem Schnee im Garten hinter dem Haus des Dorfvorstehers hervorragte,
und als sie weitergrub, fand sie den erschlagenen Leichnam des Yorogi
Mukusaku. Nabiki fing an zu weinen. Hamaji weinte auch. In Wirklichkeit
war der Leichnam, der bis dahin im Schnee am Amtshaus verscharrt
gewesen war, während der Nacht hierher gebracht worden.
Just während dieser Aufregung streckte rein zufällig der
Forstverwalter Awayuki Nashirô seinen Kopf in das Haus herein und
rief sofort:
"Dieser Fall muss auf der Stelle dem Herrn Landvogt gemeldet werden!
Nein, es handelt sich um den unnatürlichen Tod eines engen
Bekannten. Ich hörte, dass der neue Vogt, Herr Amari
Hyôe, gerade heute in der fürstlichen Amtsresidenz in Tsutsujigasaki
eingetroffen sei. Ich werde ihn persönlich herbeiholen. Nabiki, du
bist zwar in Aufregung, aber bereite bitte den Empfang des Herrn vor!"
Nach diesem Auftrag ritt er eilends auf seinem Ross davon.
Nabiki trat unter Tränen in das Haus ein und sagte im Vorbeigehen zu dem wie erstarrt dastehenden Shino:
"Ah, Herr Inuzuka, helft mir bitte ein wenig! Wenn der Herr Vogt hier
zu erscheinen geruht, muss ich die ganz besonderen Schalen und Teller
verwenden. Ich will sie aus dem unterirdischen Speicher holen, aber
dort ist es dunkel. Seid so gut und nehmt die Handlaterne und leuchtet
mir!"
Shino tat ohne den leisesten Argwohn wie geheißen. Er betrat den
Erdspeicher mit der Laterne in der Hand, aber nachdem er vier oder
fünf Schritte getan hatte, bemerkte er, dass Nabiki ihm
nicht folgte. Er drehte sich um, aber in diesem Augenblick knallte
die Eingangstür zu, und er hörte, wie von außen der
Riegel vorgeschoben wurde. Danach wurde auch die äußere
Lattentür verschlossen.
"Oh, was tut Ihr, Frau Mutter?", schrie Hamaji. Nabiki sah sie mit
einem so offen hasserfülltem Gesicht an, wie Hamaji es noch
niemals gesehen hatte.
"Ich habe den Kerl eingesperrt, der Herrn Mukusaku erschlagen hat.
Misch dich bloß nicht ein!", schalt sie und befahl dem Gesinde:
"Die schreit herum, obwohl der Herr Vogt kommen soll. Stopft dem
Mädchen einen Knebel in den Mund und schließt sie irgendwo
weg!"
Etwa eine Stunde später traf der Vogt samt seinen Leuten ein. Es
waren nur zwei Gefolgsleute, die Soldatenhelm und Kürass trugen,
aber der Vogt mit seinem hohen Amtshut und gepflegtem Bart, seinem mit
Goldfäden durchwirkten Offiziersmantel und einem glitzernden
Amtsschwert erhoben in der Hand, er war das lebende Abbild eines vollendeten
Ritters.
"Dies ist unser neuer Vogt, Herr Amari Hyôe!", verkündete
einer der Gefolgsleute. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund war
Awayuki Nashirô, der ihn herbeigeholt hatte, nicht zu sehen.
Von der Würde des Herrn beeindruckt, kauerten alle Anwesenden ehrerbietig am Boden.
Japanischer Vogt und Gefolgsmann
Nabiki rutschte auf Knien hervor.
"Der Täter, ein in unserem Hause wohnender herrenloser Samurai mit
Namen Inuzuka Shino, der mich schon vorher lange unsittlich
belästigte, hat, wie ich meine, aus Verbitterung, weil er bei mir keinen Erfolg hatte, meinen Gatten getötet. Ich habe ihn vorhin mit einer List in eine unterirdische Vorratskammer gesperrt", sagte sie aus.
"Ein guter Einfall. Als Frau hast du das ausgezeichnet gemacht. Das ist anzuerkennen."
Amari stieg vom Ross herab. Ohne einen Blick auf den Leichnam des
Opfers zu werfen, ging er durch das Haus hindurch in den Garten
dahinter und blieb vor dem Erdbunker stehen.
"Aufmachen!", befahl er.
Angesichts dieser allzu einfachen Direktheit des neuen Vogts war
Nabiki, die dieses Schauspiel sorgfältig inszeniert hatte,
fassungslos und wandte ihm angstvoll ihr Gesicht zu.
"Dieser... Schurke ist ziemlich kräftig und gefährlich", warf
sie ein. Sie hatte gehört, dass Awayuki Nashirô und sein Untergebener von Shino übel zugerichtet worden waren.
"Keine Bange, hier steht Amari Hyôe, der in Hinsicht
Kampfkraft als einer der besten Leute des Hauses Takeda gilt. Macht
auf!", wies er seine beiden Gefolgsleute per Wink mit dem Kinn an.
Beide Flügel der Außentür gingen auf, die
Lattentür wurde geöffnet.
Heraus trat Inuzuka Shino.
Als er Amari Hyôe erblickte, zuckte er
kurz zusammen, wandte sofort aber den Blick auf Nabiki und lachte:
"Haha, das hast du schlau gemacht!"
Seine Gelassenheit führte dazu, dass Nabiki sehr hastig rief:
"Geruht, sein Schwert zu untersuchen. Der Beweis dafür, dass damit
ein Mensch erschlagen wurde, müsste an der Klinge noch zu sehen
sein!"
Am Vorabend hatte sie nämlich Shino zu einem Bad gedrängt und
in der Zwischenzeit die Klinge seines Schwertes mit dem Blut einer
getöteten Katze eingefärbt. Bei allem hatte sie genau den
Plan des Awayuki Nashirô befolgt.
"Ich bin Vogt Amari Hyôe des Fürstenhauses Takeda. Her mit Eurem Schwert!", herrschte Amari Shino streng an.
Wie weit sich Shino das Geschehen außerhalb seiner unterirdischen
Kammer zusammengereimt hatte, ist nicht klar, aber ungerührt
übergab er sein Schwert einem Gefolgsmann, der es an Amari
weiterreichte. Dieser zog es aus der Scheide.
"Was soll es damit auf sich haben?"
"Wie? Das Blut! Klebt denn kein Blut daran?"
Nabiki rutschte noch etwas näher.
"Nein."
Amari schwang das Schwert direkt vor ihrem Gesicht. Nabiki beugte
sich zurück. Was ihr ins Gesicht sprühte, war kein rotes
Blut, sondern ein silbriger Wasserstrahl. Dass es sich bei diesem
Schwert um das berühmte Schwert Murasame
handelte, an dem auch dann, wenn es hundert Leute erschlüge, keine
Blutspur hängen bleibt, das ahnte nicht einmal das böse Weib
Nabiki.
Da rief eine überraschte Stimme von draußen:
"Wie? Der Herr Vogt ist schon zugegen? Mir wurde gesagt, der Herr Vogt
sei nach Kôfu geritten und derzeit leider abwesend. Was hat das
zu bedeuten? Habt Ihr Euch hierher begeben?"
Es war die Stimme des Awayuki, der nach Tsutsujigasaki geritten war. Er
kam hergelaufen und blieb angesichts des Bildes, das sich ihm bot, mit
einem Gesichtsausdruck stehen, als habe er den Verstand verloren. Nach
seinem Plan sollte Shino noch in der Erdkammer eingeschlossen
sein, und selbst wenn der Vogt wahrhaftig gekommen wäre, müsste
Shino jetzt gefesselt vor ihm stehen. Allerdings kannte er das Gesicht
des neuen Vogts noch nicht.
"Ich bin Amari Hyôe", nannte Amari streng aufs Neue seinen
Namen. "Du wirst mich nicht kennen, aber ich kenne dich. Mein Blick erfasst alles."
Er blickte Nashirô durchdringend an.
"Ehebrecher und Kebsweib! Ich durchschaue alle eure Untaten. Du hast im
Amtshaus den Yorogi Mukusaku erschlagen, seine Leiche hierher gebracht
und, um die Schuld diesem Mann mit Namen Inuzuka Shino anzuhängen,
seine Schwertklinge mit Hunde- oder Katzenblut besudeln lassen!"
Nashirô und Nabiki standen wie versteinert.
"Mein Name ist Amari, aber mein Blick ist nicht getrübt, ihr Schufte!"
Es
handelt sich hier um ein Wortspiel mit dem Wortteil 'ama' von Amari.
Das Schriftzeichen bedeutet "süß", was im Japanischen aber
auch "milde", "nachgiebig", "schwach", "sanft" bedeuten kann. Es ist
das Gegenteil von "streng", und, auf den Blick bezogen, von
"scharf".
|
Awayuki, der plötzlich, als habe er den Verstand verloren, mit der
Hand nach seinen Schwert griff, wurde mit einem Hieb von der Schulter
bis zum Nabel gespalten, und das zurückschwingende Schwert Murasame, dem ein Wasserstrahl entströmte, schlug der zur Flucht aufspringenden Nabiki den Kopf ab.
"Oh, es bleibt keine Blutspur an der Klinge! Das ist gewiss das Schwert Murasame!", murmelte Amari Hyôe geheimnisvoll, schwang das Schwert noch einmal und besah es sich.
"Inuzuka Shino, es ist unerlässlich, auch Euch zu verhören.
Mitkommen zur Amtsresidenz des Vogts!", ordnete er an, gab Shino sein
Schwert zurück und ritt voran. Dann befahl er, als wäre es
ihm soeben eingefallen:
"Ho, in diesem Haus soll eine Tochter namens Hamaji leben. Auch sie muss zu der Sache verhört werden. Holt sie her!"
Hamaji II. von Saruishi
Viele Leute wohnten diesen Szenen als Zuschauer bei, aber diese
überaus strenge Handhabung des Falls durch den neuen Vogt raubte
ihnen jeglichen Mut. Sie gaben keinen Ton von sich, als die Gefolgsleute
Hamaji aus dem Haus holten und abführten, und schauten ihr nur stumm hinterher.
Der Zug erreichte die Ecke der Dorfstraße. Dort am Waldrand waren
drei Rösser angebunden. Die beiden Gefolgsleute bestiegen je
eines; auf das letzte ließen sie Hamaji und Shino, der das Mädchen
festhielt, aufsitzen, und dann galoppierten die vier Ritter wie der
Sturmwind davon.
Aber sie wandten sich nicht nach Tsutsujigasaki, sondern schlugen den Weg zu dem Tempel
Shigetsuin in Isawa ein. Als sie durch das Tor des menschenleeren Tempels
ritten, brach Amari Hyôe in schallendes Gelächter aus.
"Schön, dass wir dich getroffen haben, Inuzuka Shino!"
Der angebliche Vogt trug die großherzigen, wagemutigen Gesichtszüge des Inuyama Dôsetsu.
⑧
Als sie im Empfangsraum des Tempels ankamen, trat zu ihnen
der allein zurückgebliebene Novize mit dem Kleiderkasten herein,
auf dem ein schwarzes Gewand mit Wappen und dunkel gefärbte
Mönchskleidung lagen. Dôsetsu legte sein schwarzes Gewand
mit dem Familienwappen an und sah wieder aus wie ein herrenloser
Samurai, und seine beiden Gefolgsleute wurden mit ihren dunklen Kutten
wieder Wandermönche. Es handelte sich um die Mönche Chudai
und Kantoku, also Amasaki Jûichirô. Chudai und
Jûichirô waren nämlich die Priester des Tempels
Shigetsuin. Die geheimen Gespräche zwischen Awayuki Nashirô
und Nabiki, die sich gestern hier zum Stelldichein getroffen hatten,
waren von dem Novizen, während er nach Flöhen suchte,
belauscht worden. Er teilte sie später Chudai und seinem
Gefährten mit. Dass dabei mehrfach der Name Inuzuka Shino fiel, war der Anlass für ihre großartige heutige Aktion gewesen.
Shino, den sie neben Hamaji hatten Platz nehmen lassen, erzählte,
wie er in diese Lage geraten war. Und Chudai berichtete, wie er den
aus Gyôtoku nach Ôtsuka aufgebrochenen Hundekriegern
nachgefolgt sei, aber dann die Leute reden hörte, dass
die Kämpfe am Fluss Todagawa schon vorbei seien. Er wusste nicht,
wohin die Hundekrieger verschwunden waren, und während er auf der
Suche nach ihnen durch die Lande zog, habe er hier im Lande Kai
zufällig Amasaki Jûichirô getroffen und sich in
diesem Tempel, der gerade seinen Priester verloren hatte,
niedergelassen.
Wieder in Mönchsgewandung: Chudai
Amasaki Jûichirô wiederum erzählte, dass er auf dem
Wege nach Awa in Begleitung von Yamabayashi Fusahachis Mutter
Myôshin und ihrem Enkel, dem kleinen Hundekrieger Inue
Shinbei, durch den Bösewicht Akashima Kajikurô
überfallen worden sei. Obwohl sie mit knapper Not entkamen, war
Shinbei von dem Geisterross Seigaiha entführt worden und
verschwunden. Ihm blieb nichts anderes übrig, als nur
Myôshin nach Awa zu geleiten, und danach habe er sich wieder auf
Wanderschaft durch die Lande begeben.
Dann war die Reihe an Inuyama Dôsetsu, der berichtete, dass er von Arameyama aus zusammen mit Inukawa Sôsuke
geflohen sei. Anschließend hatten sie gemeinsam auf Wanderschaft
vor zwei Jahren zufällig in diesem Tempel um Obdach gebeten und
seien dort unerwartet auf Chudai gestoßen. Beide hatten Chudai
noch nie gesehen, aber bei der Nennung ihrer Namen Inuyama und Inukawa
habe Chudai laut aufgeschrien. Aufgrund dieser Reaktion hatten sie
einander ihre Identität preisgegeben.
"Bloß geht es bei diesem Versteckdich-Suchspiel immer so, dass
einer wieder verschwindet, wenn man den nächsten gefunden hat. Ich
habe das Gefühl, dass wir so nie zu einem Ende kommen. Ich habe
deshalb beschlossen, dass wir diesen Tempel als Treffpunkt bestimmen
und immer einer von uns hier bleiben soll", warf Chudai ein. "Derzeit
ist Inukawa Sôsuke wieder auf Wanderschaft. Es ist reiner Zufall,
dass wir gerade zu dritt hier waren."
"Übrigens, ihr beide passt gut zueinander", sagte Dôsetsu
mit Blick auf Shino und Hamaji, die wie Puppen brav nebeneinander
saßen. Shino erläuterte errötend, was es mit Hamaji auf
sich hatte. Beim Zuhören leuchteten die Augen des
Jûichirô auf.
"Oooh, dann... ist dieses Fräulein Hamaji womöglich
eine Tochter unseres Herrn Fürsten Satomi Yoshinari!"
Er erzählte, wie vor elf Jahren, im Frühling des 2.Jahres
Bunmei, dieses Fräulein Hamaji, das im Hause Satomi Gonokimi
hieß, eines Tages im Garten der Burg Takita von einem riesigen
Adler geschnappt und entführt worden und nie mehr aufgetaucht
sei.
Dieser Vorfall hatte sich zwar erst ereignet, nachdem Chudai und
Jûichirô zur Suche nach den acht Kristallkugeln
aufgebrochen waren, aber Jûichirô war danach mehrfach
zurückgekehrt, um Yoshizane und Yoshinari Bericht zu erstatten,
und hatte dabei selbstverständlich auch von diesem Ereignis gehört.
"Wenn das so ist....", meldete sich Shino, "Mukusaku hatte
erzählt, dass das Kind, das er auf dem Berg gefunden hatte,
Gewandung mit dem Sasarindô-Wappen getragen habe. Ist das nicht
das Wappen des Hauses Satomi?"
"Genau, das stimmt. Dann muss dieses Fräulein die Tochter Gonokimi unsres Herrn Fürsten Satomi Yoshinari sein!"
Chudai und Jûichirô neigten sich sofort respektvoll vor ihr zu Boden.
Shino und Dôsetsu standen nicht in Diensten des Fürstenhauses
Satomi, waren aber trotzdem von diesen Eröffnungen bewegt. Aber mehr als
sie beide zeigte Hamaji mit ihrer Miene, wie sehr sie all dies in
Verlegenheit brachte.
"Wie dem auch sei, es ist unsere Pflicht, das Fräulein sicher in
ihre Heimat, zum Fürstenhaus Satomi zu geleiten", sprach
Dôsetsu.
Hamaji wehrte ab, wurde aber schließlich überredet.
Heute war sie zwar dank des falschen Vogts einer Gefahr entronnen,
aber hier zu bleiben, wäre für sie ebenso gefährlich wie
für Shino.
Am nächsten Morgen setzten sie Hamaji in eine Sänfte, Amasaki
Jûichirô, Shino und Dôsetsu gaben ihr das Geleit und
brachen auf zur Reise nach Awa; nur Chudai blieb im Tempel zurück.
Nach vielen Tagen erreichten sie den Fluss Sumidagawa, der die Grenze zwischen Musashi und Shimôsa bildet.
"Wohlan, hier müssen wir von Euch Abschied nehmen", sprach
Shino, sich vor Hamaji tief verbeugend. Sie hatten vereinbart, dass
Shino und Dôsetsu bis hier mitkommen würden, danach aber
allein Jûichirô Hamaji nach Hause bringen sollte.
Hamaji war zwar darauf gefasst gewesen, machte aber ein todtrauriges
Gesicht. Es war schon bitter genug, sich hier trennen zu müssen,
aber Shinos respektvoll gewordene Sprache schmerzte sie noch weit mehr.
"Ihr werdet doch hoffentlich auch irgendwann einmal nach Awa kommen?", fragte sie von der Fähre aus.
"Ja, sobald wir Hundekrieger alle acht zusammen sind, auf jeden Fall!", antwortete Shino vom Ufer her.
Über den sich kräuselnden Wellen des Flusses Sumidagawa schwebte ein erster Hauch von Frühlingsduft.
Mit Tränen in den Augen - Hamajis Abschied von Shino