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Legende der acht Hundekrieger


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Am Abend des 2.Tags des 7.Monats im 10.Jahre Bunmei (1478) wurde
Inukawa Sôsuke alias Gakuzô, ein niedriger Bediensteter des Dorfschulzen von Ôtsuka, als Mörder des Truppenkommandanten Higami Kyûroku zum lokalen Richtplatz Kôshinzuka geführt. Zuerst wurde er mit den Armen nach hinten an einen Kreuzigungspfahl gefesselt, danach wurde der Pfahl aufgerichtet. Dies vollzog sich unter drohend schwarzen Wolken, aus denen jeden Augenblick ein starker Regenguss hervorzubrechen drohte. 
Obwohl es sich nur um einen unbedeutenden Mann handelte, waren vom Fürsten Ôishi Norishige an jenem Tag über hundert Bewaffnete aller Gattungen entsandt worden, darunter nicht wenige sogar mit Feuerwaffen ausgerüstet. Es waren nämlich Gerüchte im Umlauf, dass es unter den Bauern der Umgegend eine ganze Menge Leute geben solle, die mit ihrem Helden
Sôsuke, der den hochmütigen Kommandanten erschlagen hatte, sympathisierten. Der Offizier Nurude Gobaiji, der an dem Tag, als Kommandant Higami Kyûroku erschlagen wurde, am Arm verwundet worden und mit knapper Not entkommen war, baute sich mit seinem verbundenen Arm in einer Schlinge, die er um den Hals trug, vor dem Kreuzigungspfahl auf und brüllte:
"Du Halunke, der es als einfacher Bauernlümmel gewagt hat, sich der Obrigkeit zu widersetzen und die Hand wider den Herrn Kommandanten zu erheben, dir werden wir jetzt die Brust zerfetzen, den Unterleib aufreißen und dich nach Strich und Faden lehren, wie fürchterlich dein Vergehen war. Stecht zu!"


Bei der japanischen Kreuzigung wird der Delinquent an ein x-förmig zusammengenageltes Holzkreuz gebunden und dann mit Spießen abgestochen. Je nach Zeit und Ort konnte es auch wie hier beschrieben ein einfacher Pfahl sein. 


Als zwei Speerkämpfer ihre Spieße zur Hand nahmen, bohrten sich drei weißgefiederte Pfeile, die mit pfeifendem Ton windschnell geflogen kamen, durch die Hälse des Gobaiji und der beiden Krieger mit den Speeren. Gleichzeitig durchbrachen drei Samurai die Bambussichtblenden von drei Richtungen her und hieben mit ihren Schwertern auf die Kriegsknechte ein. Es handelte es sich selbstverständlich um Inuzuka Shino, Inukai Genpachi und Inuta Kobungo.
Obwohl sie überrascht worden waren, zogen die Überfallenen ihre Schwerter, griffen nach ihren Speeren und stellten sich zum Kampf. Ihr Blut spritzte zu den schwarzen Wolken empor und färbte das Gras rot. Welch ein Kampfesmut der drei Angreifer! Sie stießen vor, liefen im Kreis herum und schlugen überall Kämpfer, die in ihre Reichweite kamen, nieder. Unter den Toten lag auch der in zwei Teile gehauene Leichnam des Higami Shahei, es war wahrhaftig ein Berg von Toten, ein Meer von Blut.
Besonders auffällig tat sich Inuta Kobungo hervor. Er war so kräftig wie kein anderer. Er riss den Kreuzigungspfahl samt dem daran gefesselten Sôsuke aus dem Boden, legte ihn auf die Erde, durchschnitt Sôsukes Seile, ergriff dann den Pfahl und schlug damit wie ein Wirbelsturm um sich. Das sah so fürchterlich aus, dass die Kämpfer des Fürsten Ôishi schreiend die Flucht ergriffen. Mit den Seilen band Kobungo sich den durch die Folter geschwächten Sôsuke auf den Rücken und lief los, noch immer den Pfahl um sich wirbelnd.
Shino und Genpachi schlugen die Verfolger nieder, so dass alle vier 'Brüder' aus dem Richtplatz ins Freie gelangten. 
In diesem Augenblick entlud sich ein wahrer Wolkenbruch; diese Fluten brachten den Hundekriegern sowohl Glück als auch Unglück. Sie flohen wie geplant vom Richtplatz aus in Richtung des gut einen Kilometer entfernten Flusses Todagawa. In der Zwischenzeit war den von
Ôishi entsandten Kriegsleuten eingefallen, ihre besten Waffen einzusetzen.
"Die Musketen! Legt die Schusswaffen an!"
Etwa dreißig Gewehrschützen standen bereit, aber der Platzregen löschte ihnen die Lunten aus. Das war das Glück für die Hundekrieger.
Ihr Unglück war, dass das Boot, das sie zuvor im Schilfdickicht des Todagawa vertäut hatten, durch diesen gewaltigen Wolkenbruch fast bis zum Rand mit Wasser gefüllt war; dass vier Männer darin rasch entkommen könnten, war völlig ausgeschlossen.
Der Regen war zu Ende, aber die vier am Fluss in die Enge getriebenen Hundekrieger wurden von
noch immer beinahe hundert Kämpfern bedrängt. Da tauchte von flussabwärts her ein Kahn auf, der von zwei starken Ruderern voranbewegt wurde. Die Ruder führten zwei junge Männer von wahrhaft beachtlicher Statur, die nur Lendenschurz und Langschwerter sowie nach vorn gebundene Stirnbänder trugen. Im Heck des Kahns saß der grauhaarige alte Fährmann Yasuhei. Wie ein Pfeil kam das Schifflein herangeschossen.


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Stirnbänder verhindern, dass Haare oder Schweiß ins Gesicht fallen. V.l.n.r.: Vorn gebunden, gedreht, hinten gebunden



"Herr Shino, schnell!", rief Yasuhei.
Die Feinde waren schon so nahe, dass man ihre brüllend aufgerissenen Münder bis zum Schlund sehen konnte. Mit knapper Not sprangen und purzelten Shino und seine Gefährten in den Kahn, der sogleich drehte und davonfuhr. Um ihn herum zischten drei, vier von den Feinden geschleuderte Speere ins aufspritzende Wasser.  
Auf einmal ließen die beiden jungen Männer ihre Ruder sausen und sprangen, eh man sich's versah, freiwillig ins Wasser. Auf nur einen Blick war zu erkennen, dass sie einander vollkommen glichen und genau dasselbe wilde Dämonengesicht besaßen. Dort war das Wasser noch seicht, und beide zogen ihre Schwerter und riefen:
"Los, kommt nur her...!" - "Auf geht's, ins Gefecht!"
Sie griffen diejenigen Verfolger an, die bis ins Flusswasser gelaufen kamen. Das aufspritzende Wasser färbte sich hellrot, und die Landkämpfer gingen erschlagen im Fluss unter. Sie hatten keine Speere mehr zu werfen, und der Kahn trieb immer weiter zur Flussmitte hin. Zum Ruder griff nun Yasuhei.
"Ich kenne Euch und ahnte schon, dass Ihr eine solche Lage geraten würdet", lachte Yasuhei. "Ich wusste nur nicht, wo Ihr auf Eurer Flucht zum Ufer kommen würdet. Es war ziemlich knapp...!"
"Wer sind diese zwei jungen Männer?", fragte Shino, der über den Bootsrand schaute. Nahe dem Ufer ging der wilde Kampf noch immer weiter.
"Lasst den Kahn nicht entkommen!" - "Weiter unten ist eine Furt!" - "Lauft dorthin, und rüber auf die andere Seite!", hörte man die Feinde brüllen.
"Die beiden? Das sind meine Söhne Rikijirô und Shakuhachi. Sie sind Zwillingsbrüder", antwortete Yasuhei.
"Was, du hast Söhne?"
Yasuhei war zwar seit langer Zeit der Fährmann des Dorfs, aber über sein Privatleben war wenig bekannt. Vor allem, dass er Söhne hatte, und obendrein noch solche Prachtkerle, davon hatte Shino noch nie etwas gehört.
"Sie standen in Diensten des Herrn Inuyama, einem Vasall des Hauses Nerima, das letztes Jahr vernichtet wurde. Ich gestehe, dass ich auch bis vor zwanzig Jahren ein Samurai im Dienst des Herrn Inuyama war, hatte aber Gründe, meinen Abschied zu nehmen. Seither lebte ich ohne Kontakt zu meinen Söhnen, aber wie gesagt, die Häuser Nerima und Inuyama wurden vernichtet, weshalb meine Söhne zu mir zurückkamen. Unten am Kaniwagawa braucht man keine drei Fährleute, weshalb wir hier am Todagawa einen weiteren Fährbetrieb aufgemacht haben."
Todagawa ist der Name des Oberlaufs des Flusses Kaniwagawa; Shino war
seit mindestens einem Jahr nicht mehr am Todagawa gewesen und hatte daher von dieser Entwicklung keinerlei Kenntnis.
War das wie geahnt? Oder eine Überraschung? Jedenfalls war dieser Yasuhei ursprünglich in der Tat ein Samurai gewesen. Aber noch etwas hätte Shino gern gewusst. Yasuhei hatte gesagt, dass sein Herr Inuyama hieß! Etwas war blitzartig durch Shinos Gehirn gezuckt, aber jetzt war nicht die rechte Zeit, um weiter nachzufragen.


Erinnern wir uns daran, dass Shinos Liebste Hamaji die Tochter eines engen Gefolgsmannes des Hauses Nerima war, und ihr Halbbruder Dôsetsu, den Shino allerdings noch nicht persönlich kannte, den Familiennamen Inuyama trägt  (s.Abschnitt 2).  


"Wenn wir deine Söhne hier im Stich lassen, werden sie mit Sicherheit ums Leben kommen", sagte Shino verzweifelt. "Wende den Kahn!"
"Aufrechte Männer bekämpfen das Unrecht. Als ich meine Söhne fragte, ob wir Euch zu Hilfe eilen sollen, willigten sie sofort entschlossen ein."
"Ich bin euch allen sehr verbunden. Aber ich kann nicht akzeptieren, dass jemand, der mit uns nicht einmal verwandt ist, sein Leben um unsretwillen aufs Spiel setzt. Wende den Kahn!"
Yasuhei stellte sich taub und ruderte weiter.
"Überlassen wir es dem Schicksal. Aber ich habe auch eine Bitte."
"Und zwar?"
"Eure Liebste, Fräulein Hamaji, die einen solch schrecklichen Tod erlitten hat, war eine Tochter unseres Dienstherrn Inuyama."
"Ah!"
Es war nicht Shino, der eben aufgeschrien hatte. Der Schrei kam aus dem Mund Sôsukes, der allmählich wieder zu Kräften kam und sich aufrichtete.
"Und worum ich Euch bitten möchte, ist, mir mit Euren Kräften beizustehen, um den Ôgiyatsu Sadamasa zu erschlagen, der das Haus Inuyama zu Fall gebracht hat."
In der Zwischenzeit waren zu den Feinden noch Berittene hinzugestoßen, die weiter unten die Furt zu überqueren trachteten. Am anderen Ufer waren die kämpfenden Zwillinge nicht mehr zu sehen; möglicherweise hatten sie zu zweit der Übermacht nicht standhalten können und waren erschlagen worden.
"Herr Shino, wenn Ihr entkommt, wohin werdet Ihr Euch danach begeben?"
"Tja...."
Eigentlich hatten sie erst einmal nach Gyôtoku zum Gasthaus Konaya oder nach Ichikawa zum Hause Inue zurückkehren wollen.
"Nachdem Ihr die Hinrichtung auf dem Richtplatz des Fürsten Ôishi vereitelt habt, düftet Ihr eine Zeitlang in Edo und Shimôsa zur Fahndung ausgeschrieben werden. Eure Gesichter sind inzwischen wohlbekannt. Natürlich gilt all das auch für mich...."
Der Kahn hatte das andere Ufer erreicht.


ukiyoe

Fährmann Yasuhei und die vier Hundekrieger (v.l.n.r. Sôsuke, Kobungo, Genpachi, Shino) am Fluss Todagawa (Ukiyoe von Utagawa Toyokuni III)



"Falls Ihr nicht wissen solltet, wohin Ihr Euch wenden könnt, so geht zu dem Berg Arameyama nahe der Landstraße Nakasendô im Distrikt Kamura im Lande Kôzuke. Am Fuß dieses Berges steht unter einer Zypresse namens Senbonsugi ein Haus, in dem drei Frauen wohnen. Dort könnt Ihr Euch eine Weile verborgen halten."
"Wer sind denn diese drei Frauen?"
"Meine Frau Otone und die Bräute meiner Söhne. Falls die Gebrüder den heutigen Kampf überleben, sagten sie, gingen sie dorthin."
Die vier Hundekrieger stiegen an Land. Sôsuke konnte sich gerade eben auf den Beinen halten.
"Ich wünsche Euch viel Glück", rief Yasuhei, verneigte sich und ruderte seinen Kahn davon. Die Gefährten, die geglaubt hatten, dass Yasuhei mit ihnen käme, waren erstaunt.
"Und was willst du denn tun?"
"Schaut Euch um!", rief Yasuhei und wies mit der Hand flussabwärts.
Dort war zu erkennen, dass die feindliche Reiterschar, die soeben die Furt überschreiten wollte und bis zur Flussmitte gelangt war, plötzlich in Unordnung geriet, ihre Pferde strauchelten und viele Kämpfer in den Fluss stürzten. Und die Schatten, die aus dem Wasser auf- und untertauchten und die Feinde attackierten, das waren jene beiden nackten Zwillingsbrüder.
"Ich hatte zwar versprochen, auch nach Kôzuke mitzugehen, aber in der jetzigen Lage ist daran nicht zu denken. Als Vater will ich mir auch ein paar Feindesköpfe holen. Das Werk meiner Söhne darf nicht umsonst getan sein. Falls ich am Leben bleiben sollte, sehen wir uns am Berg Arameyama wieder!"
Lachend ruderte Yasuhei eilends seinen Kahn in die Richtung, wo die Wasserkämpfe an der Furt stattfanden.
"Ich bitte dich, nutz dein Boot und rette um jeden Preis deine Söhne!", rief Shino ihm besorgt nach.

"Gehen wir!", sagte Shino entschlossen, während er Yasuheis Kahn nachblickte.
"Wohin?",  fragte Genpachi.
"Bis jetzt hatte ich vor, nach Gyôtoku zurückzukehren, aber wie Yasuhei sagte, ist Gyôtoku für uns vorerst brandgefährlich. Es ist gut möglich, dass wir auch noch das Haus Konaya in Schwierigkeiten brächten. Kobungo mag zurückgehen, aber wir anderen drei sollten zum Berg Arameyama in Kôzuke gehen, den uns Yasuhei gewiesen hat. Dann ist seine großmütige Hilfe nicht umsonst gewesen."
"Oh, dann gehe ich auch mit euch", rief Kobungo.

Alle vier verbeugten sich dankbar in Richtung Todagawa, von wo noch immer Kampfgeschrei zu hören und aufgischtendes Wasser zu sehen war.
 

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Dass ihre Helfer am Fluss zu dritt für immer die feindliche Reitertruppe aufhalten könnten, stand kaum zu erwarten. Aus Sorge vor den Verfolgern eilten die Gefährten auf der nächtlichen Landstraße Nakasendô in Richtung Norden. Eine Pause legten sie nur einmal ein, als Shino an der Speisegaststätte Ichizen zehn große Onigiri bestellte und sie warten mussten, bis die Reisbällchen fertig waren.


onigiri

Onigiri sind Japans Entsprechung zu unseren Sandwiches: Mit getrocknetem Blattseetang umwickelte Bällchen aus gekochtem Reis,
meist in handlicher Dreicksform, ohne und mit unterschiedlicher Füllung, als Wegzehrung auch heute noch beliebt



Auch Sôsuke, der anfangs von Kobungo und Genpachi gestützt gelaufen war, kam zusehends wieder zu Kräften; ob das die Onigiri bewirkt hatten?
Nach etwa acht Meilen Wegs, hinter den Herbergen von Okegawa, schaute Shino seine Gefährten an. Der Weg lag noch im Dunkel, aber am östlichen Himmel zeigte sich ein erster Streif der Morgendämmerung.
"Jetzt sind wir wohl halbwegs sicher. Lasst uns dort drüben mal ein wenig miteinander reden", sagte er.
Er wies auf ein altes Schreintor, das am Wegrand sichtbar war. An dem Schreintor hing eine Holztafel mit der Inschrift "Schrein der Gewittergottheit". Auf dem Bohlengang des Heiligtums ließen sie sich nieder und sprachen erstmals über die Zeit, seit Shino mit Genpachi Burg Koga verlassen hatte, bis zur Rettung ihres Gefährten Sôsuke. Sôsuke hörte es mit Erstaunen und begann dann zu berichten, wie er nach der Trennung von Shino auf seinem Rückweg am Hügel Maruzukayama bei Hongô Zeuge von Hamajis Tod geworden war.
"...der Mann, der mir dann mit dem Schwert Murasame im Kampf entgegengetreten ist, hatte gerufen: 'Hamaji,
erlange wenigstens dadurch Buddhaschaft, dass deine Feuerbestattung durch die Hand deines Bruders erfolgt!'"
"Bruder?", rief Shino aus. "Dann muss der Mann ja Inuyama Dôsetsu gewesen sein!"
"Und dann muss er dem Haus angehören, dem der Fährmann von gestern früher gedient hat", warf Genpachi ein.
"Als ich dessen Erzählung hörte, habe ich auch gleich daran gedacht", ergänzte Sôsuke. "Bevor dieser Inuyama Dôsetsu in die Feuergrube sprang und darin verschwand, hatte er mit mir gekämpft. Dabei verfing sich die Schnur des Amulettbeutels mit meiner Kristallkugel, den ich um den Hals trug, an seinem Schwert, während mein Hieb in seine Schulter schnitt. Dort stieß die Klinge auf etwas seltsam Hartes, das auf mich zugeschossen kam. Das hier war es!"
Sôsuke holte aus seiner Tasche eine Kristallkugel hervor. Kobungo, der sie zuerst in die Hand nahm, hielt sie gegen das Licht der Morgenröte und brummte: "CHÛ! Dann muss auch dieser Inuyana Dôsetsu einer unserer Brüder aus einer früheren Existenz sein!"
"Das bedeutet, dass von den Hundekriegern, von denen der Mönch Chudai gesprochen hatte, jetzt sechs erkannt sind!", rief Shino aus.
Sie atmeten alle tief durch und blickten einander mit leuchtenden Augen an.
"Aber Dôsetsu ist doch in die Feuergrube gesprungen?", wandte Genpachi ein. Sôsuke schüttelte den Kopf.
"Ein normaler Mensch würde das nicht überleben. Aber wenn ich daran denke, was sich dort zutrug, bin ich mir fast sicher, dass dieser Mann einen Trick angewandt hat und wohl noch am Leben sein dürfte."
Nach dieser Unterredung am Schrein der Gewittergottheit legten sie sich im Schatten der Bäume im Grün rund um das Schreingebäude nieder und schliefen sich aus, bis die Sonne hoch am Himmel stand.

Drei Tage später befanden sich die vier Hundekrieger am Berg Myôgi im Lande Kôzuke. Dort hatten sie zwar nichts zu tun, denn ihr Ziel war der Berg Arameyama, aber sie mussten dort nicht zu einer bestimmten Zeit eintreffen, und als sie auf dem Weg dorthin den seltsam geformten Berg Myôgi erblickten, bekamen sie Lust, sich diese sonderbare Sehenswürdigkeit, von der oft die Rede ist, einmal anzuschauen. Die Befreiung von der Sorge um die Verfolger mag wohl auch dazu beigetragen haben, aber mehr noch war es die Unbekümmertheit junger Leute um die zwanzig, die sich auf ihren Gesichtern abzeichnete, trotz der Notlagen und Kämpfe auf Leben und Tod, die sie bis vor vier Tagen noch bestehen mussten. Und überdies waren die vier Hundekrieger froh, dass sie die Identität eines weiteren der drei für sie noch unbekannten Gefährten herausgefunden hatten.
Vom Myôgi-Schrein wanderten sie zum
Kôjin-Wasserfall, zum Heiligtum Oku no In, auf den Tengu-Gipfel und kamen an allen grotesk geformten Felsen und Steinformationen jener Landschaft vorbei. An einer Aussichtsplattform liehen sie sich in einem Teehaus ein Fernrohr und schauten ins Tal hinab.


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Mt. Myôgi ist bis heute eine touristische Attraktion, reich an Felsnadeln, Steintoren, Teufelstischen


"Oooh, was ist das!?", rief auf einmal Sôsuke, der durch das Fernrohr schaute. "Das ist zweifellos Inuyama Dôsetsu!"
"Was? Wo?", rief Genpachi und riss ihm das Fernrohr aus der Hand.
"Unten am Myôgi-Schrein, nahe am Schreintor."
"Lass mich auch mal sehen!", rief Shino und nahm Genpachi das Fernrohr ab. "Der Mann da, der ist Inuyama Dôsetsu?"
Zuletzt blickte auch Kobungo durch das Gerät.
Unterhalb des Schreintors war ein Mann sichtbar, der seinen Sonnenhut mit der Hand hochschob und mit seinem beeindruckenden Gesicht zum Gipfel heraufblickte.


Transportable Fernrohre existierten in Japan zur Zeit des Autors Takizawa Bakin, aber nicht im 15.Jahrhundert, in dem die Geschichte spielt. Zu dieser Zeit gab es in Japan noch nicht einmal Glas. Das scherte aber weder Autor noch Leserschaft des 19.Jahrhunderts, die sich an den Abenteuern der Hundekrieger erfreuten. Auch das Sightseeing in der heutigen Präfektur Gunma war für die Leser seinerzeit ein interessanter Abstecher in ihre eigene Realität. 


"Den müssen wir treffen!" - "Und ihm mitteilen, dass wir alle durch das Schicksal miteinander verbundene Brüder sind!"
Alle vier rannten zugleich los. Aber die Entfernung von der Aussichtsplattform bis zum Schreintor betrug anderthalb Meilen....
Inuyama Dôsetsu ahnte natürlich nichts von alledem. Er war nicht zur Besichtigung zum Berg Myôgi gekommen, sondern hatte sich nur kurz am Myôgi-Schrein aufgehalten und war dann irgendwohin weitergezogen, und als die vier Hundekrieger angerannt kamen, trafen sie dort nur die Waldvögel an, die in den hohen Zypressen um die Wette zwitscherten.


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Von Kôzuke aus bis in die Länder Echigo und Shinano hinein erstreckte sich das Herrschaftsgebiet des Shogunatsfürsten Ôgiyatsu Sadamasa. Natürlich weilte Sadamasa zumeist in Kamakura, aber vor etwa zehn Tagen war er nach Kôzuke in seine Burg Shirai gekommen und vergnügte sich auf der Jagd. Gegen Abend des 6.Tages im 7.Monat befand er sich in Begleitung von gut einhundert Getreuen und Gardisten auf dem Rückweg vom Bergland Tozawa zu seiner Burg. Die erlegten Wildschweine und Rehe trugen seine Gardisten.
Als die Schar in einen Kiefernwald nahe der Burg gelangte, erblickten sie etwa in der Mitte des Wäldchens einen Mann, der nach Art der Samurai ein schwarzes Gewand mit Wappen und einen weit ins Gesicht reichenden Strohhut trug und auf einer Kiefernwurzel saß. Einige Gardisten liefen hinzu, schalten und wollten ihn aus dem Weg vertreiben. Daraufhin holte der Mann mit seiner Rechten ein großes Schwert samt Scheide hervor und sprach.
"Ich habe Euch erwartet. Ich bin kein Brigant. Ich möchte dem Herrn Fürsten ein seltenes, hochberühmtes Schwert verehren, und habe hier seit einiger Zeit auf ihn gewartet. Da es nicht gestattet ist, ihm persönlich unter die Augen zu treten, bitte ich darum, zunächst einen seiner Vertrauten rufen zu lassen."
Weil der Mann in aller Ruhe gesprochen hatte, waren die Gardisten überrascht und liefen zurück. Nach einer Weile zeigten sich drei Männer, augenscheinlich vertraute Gefolgsleute des Fürsten.
Der fremde Samurai setzte seinen Strohhut ab und nahm eine untertänige Haltung an.
"Ich bin ein herrenloser Samurai mit Namen Ôide Tarô aus dem Dorf Fukusa bei Chiba im Lande Shimôsa." Er neigte ein wenig sein Haupt. "
Nachdem vor einiger Zeit mein Vater, ebenfalls herrenloser Samurai, verstorben ist, fand sich in seinem Nachlass ein altes Schwert, und als ich es untersuchte, erwies es sich in der Tat als ein Wunderschwert. Ich fragte mich zwar, wie ein solcher Gegenstand in den Besitz meines Hauses gelangt sein konnte, weiß aber lediglich, dass ein solches Schwert jemandem wie mir nicht zusteht. Ich wünschte mir daher, es in die Hand eines würdigen und ehrenwerten Herrn zu übergeben, und eilte nach Kamakura. Dort wurde mir jedoch mitgeteilt, der Herr Shogunatsfürst Ôgiyatsu habe sich nach Kôzuke begeben. Ich bin ihm eigens hierher nachgereist." 
Seine Sprache klang kernig und klar. Die ausrasierte Fläche seiner Samuraifrisur war zwar nachgewachsen, aber er besaß eine gerade Nase und bläulich rasierte Wangen - alles in allem ein ungemein hübscher Mann.


samurai

Samurai, die bei einem Herrn in Dienst standen, rasierten ihr Haupthaar aus und banden das restliche, ungekürzte Haar
zu einem
Haarknoten zusammen, der mithilfe von Öl und Bändern in die gewünschte Position auf dem Kopf gebracht wurde.
Herrenlose Samurai wie die Hundekrieger pflegten sich das Haupthaar nicht auszurasieren.


"Weshalb sprecht Ihr von einem Wunderschwert?", fragte einer der fürstlichen Gefolgsleute, ein äußerst kräftig aussehender Mann mittleren Alters.
"Wohlan, seht es Euch selbst an."
Ôide Tarô zog das Schwert heraus und schwang es durch die Luft. Dabei entströmte dem Schwert ein Wasserstrahl, der die Gefolgsleute ins Gesicht traf. Alle drei blickten verwundert drein. Schließlich nickte der Samurai, der die Frage gestellt hatte, mit Nachdruck.
"In der Tat, das ist ein wundersames Schwert. Ihre fürstliche Hoheit wird den Wert Eurer edlen Gabe anerkennen. Der hohe Herr soll es sogleich in Augenschein nehmen. Kommt mit!"
Er winkte mit der Hand, und
Ôide Tarô steckte das Schwert in die Scheide zurück.
"Ich bitte untertänigst um eine baldige Audienz bei seiner fürstlichen Hoheit."
"Dummkopf! Ihr meint wohl, ein herrenloser Samurai
unbekannter Herkunft werde sogleich zu dem Herrn Fürsten persönlich vorgelassen? Ich bin sein Vogt Kamado Sabohei und werde Euer Schwert vorerst an mich nehmen."
"Holla, Herr
Vogt Kamado Sabohei, Ihr seid offenbar schwer von Begriff", gab der fremde Samurai mit strengem Blick zurück und lachte kalt. "Das Überreichen des Schwertes ist nur ein Angebot. Wer würde denn solch ein wertvolles Wunderschwert ohne Entgelt aus der Hand geben? Wenn ich es fortgebe, dann entweder, um dafür in den Dienst des hohen Herrn gestellt zu werden, oder um es mir für einen bedeutenden Betrag abkaufen zu lassen. Aber solch ein Narr, es mir ohne irgendeine Garantie abnehmen zu lassen, bin ich wahrhaftig nicht."
Kamado musterte sein Gegenüber und sein Schwert und nickte dann.
"Gut, kommt mit zum Fürsten."

Er war der Ansicht, dass man ein Schwert, das solche Wunder wie soeben erschaut vollbringt, keinesfalls außer Acht lassen dürfe.
Ôgiyatsu Sadamasa, der die Herrschaft über die nahezu gesamte Kantô-Region ausübte, stieg von seinem Ross herab, ließ sich einen Klappsitz bringen und empfing den Fremden. Zu Jagdgewandung und Kriegerhelm trug er hervorragend gearbeitete Beinkleider und Reithosen aus Leopardenfell. 
"Bis dahin!"
In sicherer Entfernung hielt Kamado den fremden Samurai an.
"Führt hier Euer Schwertwunder vor!"
Ôide Tarô nickte, zog das Schwert aus der Scheide und schwang es durch die Luft. Wiederum entsprühte der Klinge ein Wasserstrahl und spritzte bis an die Knie des Sadamasa.
"Oooh!", tönte es aus der Menge der Zuschauer, und Sadamasa machte große Augen.
"Das ist wahrhaftig ein Wunderschwert, her damit, her zu mir!"
"Jawohl."
Mit blank gezogenem Schwert rutschte 
Ôide Tarô auf den Knien näher.
Kamado Sabohei, der jede Bewegung genau beobachtete, schrie auf einmal "Ha, du Lump!" und stürzte sich auf 
Ôide, der ihn mit einem Schwertstreich in zwei Teile hieb. Dann sprang der Fremde rittlings auf den Leib des im Aufspringen nach hinten gestürzten Ôgiyatsu Sadamasa. Er brüllte:
"Shogunatsfürst Sadamasa, hör mir gut zu! Ich bin Dôsetsu, überlebender Sohn des
Inuyama Dôsaku, altgedienter Vasall des Nerima Heizaemon, der im 4.Monat des vergangenen Jahrs im Feldlager von Ikebukuro in Musashi durch einen Überfall deiner Streitmacht niedergemacht wurde. Gerade eben habe ich den Kamado Sabohei erschlagen, der meinen Vater getötet hat!"
Mit gewaltiger Kraft zog Dôsetsu den Sadamasa hoch und fuhr fort:
"Sadamasa, ich habe dir noch mehr zu sagen und werde dich eine Weile mitnehmen. Ihr Vasallen, rührt Euch nicht! Bei jeder Bewegung ist Euer Herr ein toter Mann!"
Er lief zu dem Ross des Sadamasa. Inuyama Dôsetsu wollte, wie es unter ehrenhaften Samurai im Kampf üblich war, den Fürsten als Geisel nehmen, seine Gefolgsleute am Eingreifen hindern, mitsamt der Geisel auf dem Pferd davonreiten und Sadamasa an einem geeigneten Ort köpfen. Aber einer der Vasallen, die in einem Abstand von wenigen Dutzend Pferdelängen noch immer zu Ross saßen und zusahen, brüllte:
"Dieser Halunke, lasst ihn nicht entkommen, ganz gleich, was geschieht, schlagt ihn tot!"
Dôsetsu schrak angesichts der Kriegsleute, die alle zugleich blank zogen, kurz auf. Sein ganzes Gesicht lief zornrot an.
"Ist euch das Leben eures Herrn gleichgültig? Nun gut, schaut her!"
Mit diesen Worten ließ er Sadamasa los, und dem Zurückweichenden schlug er mit einem Hieb das Haupt ab.
"Uwaah!"
Die Krieger stürmten wild auf Dôsetsu zu, und sogleich begann ein Wirbelwind aus Blut zu sprühen.


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Inuyama Dôsetsu und seine Kristallkugel mit dem Schriftzeichen CHÛ



Im Gefechtsgetümmel hörte Inuyama Dôsetsu das laute Lachen eines der hohen Gefolgsleute des Fürsten.
"Du nennst dich Inuyama Dôsetsu, du Tölpel? Wir haben gehört, dass ein gewisser Inuyama Dôsetsu
schon seit längerer Zeit heimlich unserem Fürsten nach dem Leben trachtet, und um ihn bei dieser Gelegenheit zu erledigen, haben wir einen Doppelgänger des Fürsten auf Burg Shirai geholt und gewartet, dass du in das ausgespannte Netz unsrer Falle tappst. Ahahahaaa!"
Während er mit wilder Klinge weiterfocht, blieb Dôsetsu vor Verblüffung die Spucke weg.
"Was meinst du, wer ich bin?", rief die Stimme weiter. "Ich bin Ôta Shinrokurô Suketomo, Sohn des im Gefecht wie im Gesang gleichermaßen gerühmten, in den Mönchsstand getretenen Ôta Dôkan!"
Ôta Dôkan, der Stratege und oberste Feldherr des Hauses Ôgiyatsu, war also noch immer am Leben.
"Heheheee, da staunst du, das hast du dir nicht träumen lassen!"
Inuyama Dôsetsu war außer sich vor Zorn. Wo immer sein Zauberschwert Murasame hinreichte, jeder, der von ihm berührt wurde, fiel mit nur einem Streich tot nieder. Überdies nahm das Wasser, das ihm entströmte, kein Ende. Die Hitze der Hand, die es führte, übertrug sich wie Feuer auf das Wasser und ließ es kochen. Bis hin zu weit entfernten Kämpfern hielten sich alle, die es abbekamen, die Hände aufs verbrühte Gesicht und schrien vor Schmerzen.
Der Wirbelsturm von Blut und Wasserdampf zog immer weitere Kreise, und nun war Ôta Suketomo, der dem Attentäter diese Falle gestellt hatte, an der Reihe, sich Sorgen zu machen, aber auf Seiten der Fürstlichen fochten noch immer nahezu hundert Kämpfer.
Sogar die Beine eines
Recken wie Dôsetsu begannen zu wanken, sein Schwert wirbelte nicht mehr so schwungvoll wie zu Anfang...
Auf der Straße, die schon in abendlichem Dämmerlicht lag, tauchten vier Männer auf, hielten an und blickten herüber.
"Da ist er!" - "Hauen wir unseren 'Bruder' raus!", schrien sie, zogen alle auf einmal ihre Schwerter und kamen gerannt, dass der Staub aufwirbelte.
Die Straße in Kôzuke, auf der nun blitzende Klingen, sprühendes Blut und Kampfgetöse ein höllisches Bild boten, wurde bald vom Tuscheschwarz der nächtlichen Finsternis verschluckt.

  
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Als am Osthimmel
die Mondsichel aufstieg, erblickten die vier Hundekrieger, die im Schutz der Finsternis die Truppen des Shogunatsfürsten niedergeschlagen und in die Flucht getrieben hatten, direkt vor ihren Augen den Berg Arameyama. Aus der Aufregung der Feinde schlossen sie, dass Inuyama Dôsetsu ihnen mit Sicherheit entkommen sein musste, wussten aber nicht, wohin er verschwunden war.
Auf ihrem Weg hatten sie an der Tür eines Bauernhauses angeklopft und gefragt, in welcher Richtung der Arameyama liege; nun zogen sie auf dem einzigen Weg auf den Berg zu, den ihnen der eigens aus dem Haus gekommene Bauer mit der Hand gewiesen hatte. Je näher sie kamen, desto tiefere Nacht wurde es, und sie wussten nicht recht, wo sie das Haus finden könnten, das sie suchten. Da erblickten sie am Wegrand den Schein einer einsamen Laterne. Als sie näher kamen, sahen sie eine ältere Frau etwa um die fünfzig, die die Laterne trug und seltsamerweise keine Anstalten machte, davonzulaufen, als vier kräftige Männer direkt auf sie zukamen.
"Wir haben eine Frage", sprach Genpachi sie an. "In dieser Gegend soll es ein Haus unter einer Zypresse mit Namen Senbonsugi geben, in dem drei Frauen leben. Kennst du das vielleicht?"
"Das ist mein Haus", antwortete die ältere Frau in aller Ruhe. Sie strahlte eine Würde aus, wie man sie bei Bauern kaum findet. "Wer seid Ihr?"
"Ah, du bist es also!", rief Inuzuka Shino aus. "Du bist gewiss die Gattin Otone des Fährmanns Yasuhei vom Fluss Kaniwagawa!"
"Ihr kennt Yasuhei?"
"Gewiss doch. Wir sind hierher gekommen, weil uns Herr Yasuhei dieses Haus gewiesen hatte."
"Er hat gesagt, Ihr solltet hierher kommen?"
"Dafür gibt es eine Anzahl von Gründen, die du wohl nicht einsiehst, bis wir sie dir erläutert haben."
"Es ist schon zwanzig Jahre her, dass ich Yasuheis Frau war. Jetzt habe ich mit ihm nichts mehr zu schaffen."
Die vier schauten einander verwirrt an. Was sollte das bedeuten? Vorsichtig meinte Kobungo:
"Aber wir haben gehört, dass Rikijirô und Shakuhachi die Söhne von dir und Yasuhei seien. Hast du auch mit ihnen nichts zu schaffen?"
"Wie, Ihr kennt auch
Rikijirô und Shakuhachi?"
Zum ersten Mal zeigte Frau Otone eine stärkere Reaktion. Sie nickte.
"Es sieht merkwürdig aus, wenn wir hier nachts auf der Landstraße miteinander reden. Darum bitte ich Euch erst einmal zu mir ins Haus."
Sie ging voraus. Der Schein der Laterne beleuchtete einen Bergpfad durch hohes Gras. Otone schien es kaum erwarten zu können, nach Hause zu gelangen, und fragte noch unterwegs:
"Wie geht es
Rikijirô und Shakuhachi derzeit?"
"Nun ja, das lässt sich nicht mit einem Satz erklären", erwiderte Shino verlegen und stellte die Gegenfrage:
"Es ist doch schon dunkle Nacht. Warum standest du dort an der Landstraße?"
"Ich habe zwei Töchter, die als Pferdeführerinnen arbeiten. Obwohl es schon so spät ist, sind sie heute Abend noch nicht zurückgekommen. Ich machte mir Sorgen und hielt nach ihnen Ausschau. Ich sprach zwar von Töchtern, aber es sind die Verlobten von
Rikijirô und Shakuhachi."
"Ach ja?"

Wer gute Reitpferde besaß, konnte seinerzeit als Pferdeführer seine Tiere an müde Reisende vermieten. Diese konnten nicht davonreiten, denn der Vermieter behielt die Zügel in der Hand und lief nebenher. Auch zum Transportieren von Gepäck waren die Pferde zu mieten. Dass Frauen in solch kriegerischen Zeiten diesen Beruf ausübten, kam so gut wie niemals vor, ist hier aber aus romantechnischen Gründen erforderlich, wie man später sehen wird.  
Das weiter oben erwähnte Leopardenfell ist ein Anachronismus. Solche Importwaren aus Übersee gelangten erst im 16.Jh. nach Japan.


Das hatten die Gefährten freilich schon von Yasuhei gehört.
"Oh, was ist das?"
Otone blieb vor dem kleinen Haus mit schilfbedecktem Dach stehen. "Ich hatte die Laterne im Haus angelassen, als ich fortging, aber jetzt ist alles dunkel. Oder....ist da gar jemand?"
"Deine 'Töchter' werden vielleicht zurückgekommen sein?"
"Nein, im Pferdestall stehen keine Pferde."
"Sollen wir mal nachschauen?", fragte Kobungo, und als Otone nickte, stieß Kobungo schnell die Eingangstür auf. Die vier Hundekrieger legten die Hände an ihre Schwerter und stürmten ins Haus hinein. Durch den Luftzug der geöffneten Tür loderte in der Feuerstelle etwas auf, und dahinter war die Gestalt eines Mannes zu sehen, der aufsprang und zu seinem Schwert griff. Als
Inukawa Sôsuke sah, dass der Mann die Feuerstelle übersprang und wie ein Wundervogel auf sie zugeschossen kam, rief er:
"Halt, wartet! Haltet einen Augenblick an, Herr Inuyama Dôsetsu!"


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Uber der in den Boden eingelassenen Feuerstelle, die Sand und Asche enthält,
hängt meist vom Deckenbalken ein Wasserkessel herab, um jederzeit Tee aufgießen zu können


Ihr Gegenüber blieb auf der Stelle stehen.
"Wie? Ihr kennt mich? Wer seid Ihr?"
"Wir haben Euch vorhin nahe der Burg Shirai geholfen."
"Ho?"
Nun mischte sich auch die inzwischen beruhigte Otone ein.
"Herr Dôsetsu, wann seid Ihr hierher gekommen?"
"Gerade eben. Ich bin quer durch den Bergwald gegangen", antwortete Dôsetsu. "Als ich kam, war kein Mensch, weder ein Verfolger noch du, hier anwesend. Während ich wartete, haben mich Schnaken belästigt, und ich wollte die Kräuter zur Abwehr der Mücken anbrennen. Dabei hat ein Windstoß die Laterne gelöscht. Und im nächsten Moment habt ihr die Tür aufgestoßen, und dadurch wurden die Kräuter in der Feuerstelle angefacht."
Inuyama Dôsetsu wartete, bis Otone das Licht im Raum entzündet hatte, und musterte dann die vier Hundekrieger.
"Wichtiger ist aber, dass vorhin Krieger herbeikamen, um mir im Kampf gegen die Streitmacht des Fürsten beizustehen. Wart Ihr das? Sagt, wie kommt Ihr dazu?"
Sôsuke antwortete: "Am Berg Myôgi haben wir durch ein Fernrohr gesehen, dass Ihr nach Kôzuke gekommen seid."
Dôsetsu schaute noch immer fragend drein, weshalb Sôsuke hinzufügte: "Wir haben Gründe dafür. Ich bin derjenige, der vor einiger Zeit am Hügel Maruzukayama bei Hongô in Musashi
mit Euch gefochten hat."
"Waaas?"
Dôsetsu blickte Sôsuke an. Dieser fuhr fort.
"Dort wurde mir von Euch meine Kristallkugel mit dem GI entführt, und mir ist die aus Eurer Schulter gesprungene Kugel in die Hand gefallen. Ich habe sie hier. CHÛ steht darin."
Im Anschluss daran berichteten die vier Hundekrieger, was es mit den Kristallkugeln, die jeder von ihnen besaß, auf sich hatte. Dass Inuyama Dôsetsu, der das hörte, einige Male tief durchatmete, versteht sich von allein. Er selbst hatte an jenem Abend in dem Amulettbeutel, der sich an seinem Schwert verfangen hatte, die Kristallkugel mit dem Schriftzeichen GI entdeckt und sich nur gewundert, welch seltsame Dinge es doch gebe, und sie seitdem für sich behalten. Davon abgesehen, berichtete er, habe er an seiner Schulter, in die das Schwert eingeschnitten hatte, keinen Schmerz verspürt und nur festgestellt, dass das Geschwulst, das er seit seiner Geburt auf der linken Schulter hatte, fort war und sich an seiner Stelle eine dunkle Narbe in Form einer Päonienblüte gebildet hatte. Bis jetzt hatte er keinen Schimmer davon gehabt, dass der Knubbel auf seiner Schulter eine Kristallkugel mit dem Schriftzeichen CHÛ enthielt.
Dôsetsu und Sôsuke tauschten ihre Kugeln wieder aus; Dôsetsu bat Shino um Verzeihung und händigte ihm das Schwert Murasame aus, das er an seiner Hüfte trug.


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Genpachi zeigt seine Kristallkugel mit dem Schriftzeichen SHIN



"Jene 'Flammentod'-Geschichte war nichts weiter als ein Schaustellertrick, durch den ich, so schäbig das auch ist, Geld sammelte, um meinen Todfeind Ôgiyatsu Sadamasa zu erschlagen. Ich wusste es zwar nicht, hatte aber dreist Euer Wunderschwert für mich behalten, weil ich es für eine Waffe ohnegleichen hielt, um den Sadamasa zu fällen. Ich weiß nicht, wie ich nicht nur Euch, sondern viel mehr noch meiner Schwester Hamaji je dafür Abbitte leisten kann!"
Nicht allein ihrem 'Bruder' Dôsetsu, sondern vor allem auch Shino und Sôsuke wollte es bei dem Gedanken an den elenden Tod der schönen Hamaji vor Trauer schier das Herz zerreißen.

"Schön und gut, aber weshalb seid Ihr zu diesem Haus gekommen?", fragte Inukai Genpachi.
"Weil es das Haus der Gemahlin des einstigen Vasallen Obayuki Yoshirô des Hauses Inuyama ist", antwortete Dôsetsu, auf Otone blickend. Diese ergänzte: "
Bei Obayuki Yoshirô handelt es sich um den jetzigen Fährmann Yasuhei."
Dôsetsu berichtete, dass er im 4.Monat des vergangenen Jahres, als das Fürstenhaus Nerima, dem das Haus Inuyama Gefolgschaft leistete, durch die Streitmacht des Shogunatsfürsten Ôgiyatsu vernichtet worden war, die Söhne Otones, die Zwillinge Rikijirô und Shakuhachi
, angehalten habe, die sich auf die besten Pferde des Hauses Inuyama geschwungen hatten, um den Feind anzugreifen, und absteigen ließ. Auf das eine Ross habe er Rikijirôs Verlobte Hikute und dessen Mutter Otone, auf das andere Shakuhachis Verlobte Hitoyo aufsitzen lassen und ihnen durch das Schlachtgetümmel die Flucht ermöglicht. Seither lebten die drei Frauen im Verborgenen in diesem Haus am Berg Arameyama in Kôzuke, und Dôsetsu habe auf seinen Irrfahrten schon zweimal hier Obdach gefunden. Auch für den Vorfall am Vorabend sei es der trefflichste Ort, um unterzutauchen, und deshalb sei er, die direkte Straße vermeidend, hier hergekommen.
"Ja, und der plötzliche Angriff letztes Jahr fand genau an dem Tag statt, an dessen Abend die Doppelhochzeit von Rikijirô und Shakuhachi mit ihren Bräuten stattfinden sollte", warf Otone ein. "Auch Herr Dôsetsu, ein Spross des Vasallenhauses Inuyama, gab uns die Ehre seiner Anwesenheit. Die vom Vater ausgesuchten zwei Bräute waren, noch mit ihren Brokathauben über dem Kopf, soeben mit ihrer Sänfte eingetroffen. Die Verlobten hatten einander noch nicht zu Gesicht bekommen, vom Austausch der Sakeschälchen zur Feier ganz zu schweigen, als das Getöse des nächtlichen Angriffs losbrach. Die Bräute sind Schwestern, Töchter des Pferdedressurmeisters des Hauses Nerima, und verstehen sich auf den Umgang mit Pferden weit besser als sonst irgendwer. Dadurch ist ihnen die Flucht zu Pferd u
nd meine Rettung gelungen."
Otone wandte sich an die vier Hundekrieger.
"Ihr hattet erst gesagt, dass Ihr Yasuhei, und später, dass Ihr auch Rikijirô und Shakuhachi kennt. Wie steht es um die beiden?"
Shino ergriff das Wort und berichtete, dass der Fährmann Yasuhei und seine Söhne
Rikijirô und Shakuhachi sie unverhofft aus großer Gefahr errettet und es am Fluss Todagawa mit einer Überzahl von Dutzenden Kriegsleuten aufgenommen hatten. Bei der Gelegenheit habe Yasuhei sie angewiesen, hierher zu fliehen und beim Abschied darum gebeten, ihm zu helfen, den Ôgiyatsu Sadamasa zu erschlagen, der das Haus Inuyama zu Fall gebracht hatte.  
"Oooh!", schluchzte Otone auf. "Herr Yoshirô ist also doch ein prächtiger Ehrenmann!"
"Als wir vorhin hier eintrafen, hast du abwehrend gesagt, es sei schon zwanzig Jahre her, dass du die Frau des Herrn Yasuhei warst, aber jetzt mit ihm nichts mehr zu schaffen hast. Was hat es damit auf sich?", warf Genpachi ein.
"Darf ich die Geschichte von früher erzählen?", fragte Otone mit Blick auf Dôsetsu. Dieser nickte, und Otone fuhr fort.
"Vor mehr als zwanzig Jahren war ich eine Dienstmagd im Hause Inuyama, und Obayuki Yoshirô war ein Samurai in Diensten desselben Herrn. Und ja... ohne die Erlaubnis meines Herrn wurde ich guter Hoffnung und brachte das Zwillingsbrüderpaar zur Welt."
Ganz unpassend zu ihrem Alter errötete Otone dabei.
"Üblicherweise werden beide Partner einer Affäre ohne Einwilligung des Dienstherrn mit dem Tode bestraft, aber genau zur gleichen Zeit wurde dessen Sohn Dôsetsu geboren und außerdem verstarb seine Gemahlin, weshalb uns dank der ungewöhnlichen Milde des Herrn Dôsaku das Leben geschenkt wurde, damit ich mit meiner Muttermilch den kleinen Dôsetsu nährte; Herr Yoshirô musste allerdings den Dienst bei Herrn Inuyama quittieren. Der Dienstherr war sogar so gütig, meinen Söhnen
Rikijirô und Shakuhachi dieselbe schulische und kriegerische Ausbildung zu gewähren wie seinem eigenen Sohn Dôsetsu. Überdies äußerte der Herr einige Zeit später, er würde Herrn Yoshirô wieder in seine Dienste aufnehmen, falls dieser um Verzeihung bäte, aber Herr Yoshirô schien der Welt zu grollen. Ganz in der Nähe, im Dorf Ôtsuka, war er als Fährmann tätig und antwortete nicht einmal auf Briefe, die ich ihm sandte. So sind zwanzig Jahre vergangen...
Letztes Jahr, nach dem Tod des Dienstherrn, sollen unsere Söhne 
Rikijirô und Shakuhachi ihren Vater aufgesucht haben, hörte ich von Herrn Dôsetsu, aber wie die Söhne und ihr Vater, den ich seitdem nie wieder zu Gesicht bekommen hatte, nun lebten, darüber hatte ich mir mancherlei Gedanken gemacht. Dass sie nun solche Arbeiten verrichten...."
"Das habe ich ihnen befohlen", sagte Dôsetsu. "Nachdem ich euch zur Flucht verholfen hatte, sagte ich im Schlachtgetümmel zu
Rikijirô und Shakuhachi: 'Heute Nacht gehen die Häuser Nerima und Inuyama bedauerlicherweise unter. Aber ich komme nicht ums Leben, denn ich will uns um jeden Preis rächen. Bleibt auch ihr am Leben, bringt euch in Sicherheit und wartet auf den rechten Augenblick. Unser Feind ist der hochmächtige Shogunatsfürst, und zwei oder drei Männer werden nicht ausreichen, um ihn zu erschlagen. Schart furchtlose Kämpfer in Mengen um euch, die sich einer gerechten Sache verpflichtet fühlen!' Um solche Männer zu finden, wurden die beiden wie ihr Vater Fährleute und suchten unter den Fahrgästen und Reisenden zweifellos nach solchen Männern."


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Inuyama Dôsetsu



Er wandte sich um zu den vier Hundekriegern.
"Dass Ihr vier Gefährten dafür wie niemand sonst taugt, hat Yoshirô mit seinem scharfen Blick richtig erkannt. Aber dass es sich bei Euch wie bei mir um 'Brüder' und Hundekrieger handelt, das dürfte er nicht geahnt haben. Dass er Euch trotzdem aus der Gefahr gerettet hat, kann nur eine Fügung des Himmels genannt werden." Dôsetsu erhob seinen Blick nach oben. "Da es so steht, dürften 
Rikijirô und Shakuhachi, aber auch Yoshirô, sofern sie nur überlebt haben, gewiss auch hierher kommen."  
"Jedenfalls sind Hikute und Hitoyo heute Abend spät dran. Was mag ihnen zugestoßen sein?" Otone blickte sorgenvoll zur Tür. "Wie ich vorhin gesagt hatte, nutzen die beiden Bräute die Pferde, die ihnen ihr Herr überlassen hatte, weiterhin und arbeiten auf der Landstraße als Rossführerinnen; ich arbeite am Spinnrad und am Webstuhl, womit wir unseren Lebensunterhalt bestreiten. Für drei Frauen ist das Leben im Bergwald mühsam. Die beiden sind zwar die Verlobten meiner Söhne, aber sie sind hierhergekommen, ohne ihre künftigen Ehegatten auch nur einmal zu Gesicht bekommen zu haben. Für mich sind Hikute und Hitoyo Töchter, die mich noch nie im Stich gelassen haben und fleißig arbeiten...."
Otone vergoss bei ihren Worten Tränen, aber gleich stand sie auf und öffnete die Tür.
"Ah, die Pferde sind zurückgekommen!"
Da stieß Otone einen heftigen Schrei aus und blieb wie angenagelt stehen. Alle fünf Hundekrieger liefen zum Eingang und erblickten im schwachen Licht der schmalen Mondsichel die zwei Pferde, die dort standen, die beiden jungen Frauen, die ihnen das Zaumzeug abnahmen, und auf den Sätteln zwei kraftlos schlaffe Männer.


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Die beiden Rossführerinnen trugen schwarzblaue Hosen, einen Gürtel um ihre Obergewandung mit engen Ärmeln und auf dem Kopf Strohhüte. Zwei junge Frauen, die selbst in der nächtlichen Dunkelheit Anstand und Liebreiz ausstrahlten. Hikute, die Ältere, berichtete:
"Gegen Abend gab es in der Gegend des Kiefernwaldes nahe der Burg Shirai einen riesigen Auflauf wegen eines Attentäters, der dem Herrn Shogunatsfürsten aufgelauert hatte. Unmengen von Leuten waren dort versammelt, weshalb wir nicht vorankamen, und auch, als es dunkelte, steckten wir in der Menschenmasse fest und konnten uns mit unseren Pferden nicht fortbewegen. Die hatten diese beiden Reisenden gemietet. Sie sagten, wir sollten ihnen einfach folgen, und waren so gütig, voranzureiten...."
Wo die zwei Männer mit ihren weißen Gewändern und großen Sonnenhüten ritten, habe die wogende Menschenmenge den Weg freigegeben, als ob ein unsichtbarer Wind die Menschen auseinandertriebe, was Hikute seltsam vorgekommen sei.
Ihre Schwester Hitoyo setzte den Bericht fort:
"In der Umgebung des Kiefernwaldes lagen noch immer viele Leichen getöteter Samurai. Und viele andere Samurai liefen aufgeregt umher, es war ein furchtbarer Anblick. Aber weshalb auch immer, von uns schien niemand Notiz zu nehmen. Als die Kriegsleute nicht mehr zu sehen waren, sagten die beiden Reisenden, ihnen sei plötzlich übel geworden, und sanken auf ihren Sätteln nieder..."
Die Rossführerinnen hatten besorgt zu ihren Pferden aufgeblickt und erst dadurch bemerkt
, dass beide Männer von Wunden bedeckt waren.
"Und deswegen haben wir sie hierher gebracht. Hallo, ihr Gäste, wir sind da. Steigt bitte ab von den Pferden!"
Die zwei Männer
reagierten, als ob sie aus einer Ohnmacht zu sich gekommen wären.
"Ach ja? Wir fallen euch zur Last. Es tut uns sehr leid."
Sie nickten und stiegen von den Pferden. Beide trugen große Hüte und weiße Gewänder wie Pilger auf Wallfahrt.


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Ohne und mit Hut: Japans weiße Pilgertracht



Otone, die bis dahin wie festgefroren am Eingang gestanden hatte, rief auf einmal:
"Seid ihr nicht etwa 
Rikijirô und Shakuhachi?"
Die beiden schoben ihre Hüte hoch und schauten auf sie.
"Oh, Frau Mutter! So lang haben wir uns nicht gesehen! Wir hatten uns in Musashi auf den Weg gemacht, um zu Euch zu gelangen... Welch ein Glück, dass wir hierher gebracht wurden, als uns die Kräfte verließen!", riefen sie.
Die Verlobten dieser beiden Männer, aber auch die anwesenden fünf Hundekrieger waren eine geraume Weile sprachlos. Inuyama Dôsetsu, aber auch die anderen vier Gefährten kannten zwar diese beiden Kämpfer, die sie am Fluss Todagawa aus großer Not errettet hatten, schon vom Sehen, aber wegen ihrer großen Pilgerhüte hatten sie sie nicht erkannt. Aber noch weit verwunderter waren die zwei Verlobten der Zwillinge.
"Oh, welch ein glückliches Zusammentreffen! Schaut, Rikijirô, Shakuhachi, die Frauen, die euch hierher gebracht haben, sind eure Bräute!", rief Otone. "Ihr habt einander noch niemals gesehen. Vor der Hochzeitsfeier sind die Kämpfe ausgebrochen, und deswegen habt ihr euch heute auch nicht erkannt. Schaut, Hikute, Hitoyo, das sind eure künftigen Ehegatten!"
Jetzt sahen die zwei Paare
einander zum erstenmal an, und Röte stieg in ihre Gesichter.


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Hikute und ihr Verlobter Rikijirô


Angesichts dieses wundersamen Zusammentreffens brachten die vier Gefährten, die eigentlich darauf brannten, sich bei 
Rikijirô und Shakuhachi für ihren Beistand zu bedanken, kein Wort heraus.
"Alles andere Gerede hat Zeit bis später.
Rikijirô, Shakuhachi, kommt erst mal herein!", drängte Otone. "Auch Herr Dôsetsu ist anwesend. Und ebenso die vier Samurai, denen ihr zu Hilfe geeilt seid."
Die Zwillinge richteten zum erstenmal ihre Blicke auf Dôsetsu und die anderen vier Gefährten.
Dôsetsu rief: "
Rikijirô, Shakuhachi, ihr habt Großartiges geleistet. Und fabelhaft, dass ihr lebend zurückgekommen seid!"
Shino ergriff das Wort: "
Unseren Dank sprechen wir Euch später in aller Form aus. Durch Eure Hilfe am Fluss Todagawa ist es uns gelungen, uns hier in Sicherheit zu bringen. Wir danken Euch sehr."
Auch die anderen drei Gefährten senkten wie Shino in Dankbarkeit ihre Häupter.
Auch die Zwillinge verneigten sich, betraten den Raum und sahen sich um.
"Frau Mutter, ist Herr Vater noch nicht hier?", fragte Rikijirô.
"Wie? Herr Vater? Nein, er ist noch nicht hier."
"Umso besser", sagte Shakuhachi.
"Umso besser, dass er nicht hier ist? Was soll das bedeuten? Aber jedenfalls lebt er wohl? Wollte er hierher kommen?"
"Darüber....sprechen wir später."
Die Zwillinge nahmen nach dieser seltsamen Antwort an der Feuerstelle Platz, in der die Kräuter zur Abwehr der Schnaken qualmten. Die Bewegungen schienen ihnen Schmerzen zu bereiten.
Die vier Hundekrieger, die sich nun vorstellen und ihren formellen Dank aussprechen wollten, wurden durch Otones Worte daran gehindert.
"
Rikijirô, Shakuhachi, ihr seid verwundet. Soll ich nicht erst mal eure Wunden versorgen? Wie schwer sind die Verletzungen?"
"Wenn Ihr sie seht, werdet Ihr Euch wundern", antwortete
Rikijirô. Beide Brüder zogen ihre Gewandkragen enger zu. Die fünf Hundekrieger erschauderten dabei, wer weiß, weshalb.
"Verletzungen, über deren Anblick ich mich wundere? Die muss ich sehen, zeigt sie vor!"
Schreckensbleich rutschte Otone auf ihren Knien näher.
"Nein, nein, schon gut. Da wir hier schon einmal leiblich anwesend sind, möchten wir zwei Wünsche an Euch richten, Frau Mutter. Die sind uns wichtiger", wehrte Shakuhachi ab.
"Zwei Wünsche? Worum handelt es sich?"
"Der erste ist, dass Ihr Herrn Vater verzeiht."
"Das ist schon geschehen."
"Aufgrund der Umstände seinerzeit seid Ihr mit Herrn Vater niemals richtig vermählt gewesen. Wenn Herr Vater zurückkehrt, bitten wir als Söhne darum, dass sich unsere Eltern nachträglich in aller Form verheiraten, das würde uns freuen."
"Mit dem Herrn Vater vermählen? In meinem Alter? Das ist doch nicht mehr nötig...", wandte Otone verlegen ein, verbesserte sich aber sogleich: "Wenn ihr darauf besteht, werde ich mich natürlich fügen."
Rikijirô ergriff das Wort.
"Und das zweite. Wir mussten uns leider noch vor unserer eigenen Hochzeitsfeier von Hikute und Hitoyo trennen. Das bedrückte uns stets. Deshalb wollen wir jetzt die Hochzeitszeremonie durchführen."
"Jetzt? Hier? Die Hochzeitszeremonie?"
Otone blickte entgeistert auf die beiden Bräute. Hikute und Hitoyo schoss die Röte ins Gesicht.
"Da war.... damals..., ein bedauerliches Unglück sondergleichen....dazwischengekommen. Ihr meint, ihr wollt jetzt gleich die Hochzeit nachholen?"
"Ja, vor allem andern, jetzt sofort", bestätigte Shakuhachi.
Dieses Begehr war zwar durchaus nicht unverständlich, aber es hätte noch viel zu besprechen gegeben. Auch waren beide verwundet. Was sollte man also von dieser Eile halten?
An Otone, die noch immer fassungslos dasaß, richtete Dôsetsu das Wort. 
"Otone, triff die Vorbereitungen für die Feier. Alles andere kann später erfolgen."
Natürlich hatte Otone nicht gedacht, dass es so plötzlich geschehen könnte, aber für den Tag, an dem ihre Söhne zurückkehrten, hatte sie zur erneuten Feier der Hochzeit mit ihren Verlobten längst Vorbereitungen getroffen, Festtagskimonos und allerlei Zubehör, wenngleich schlichter Art, gekauft oder selbst gewoben. Nun holte sie in aller Eile alles hervor und ließ ihre Söhne und deren Bräute die Hochzeitsgewänder anlegen.
Rikijirô und Shakuhachi wollten sich aber nicht entkleiden; sie legten die Festgewandung über ihre weiße Pilgertracht.
So fand in dieser armseligen, reetgedeckten Holzhütte im tiefen Bergwald eine ungewöhnliche Hochzeitsfeier statt. Bräutigame und Bräute tauschten die Sakeschälchen aus....

sansanku sansankudo
Bei der japanischen Hochzeitsfeier leeren Bräutigam und Braut mit der brokatnen Brauthaube abwechselnd nach festen Regeln drei Sakeschälchen unterschiedlicher Größe


Da hörte man auf einmal jemanden an die Tür klopfen.
"Otone, Otone!", rief eine gedämpfte Stimme.
"Bist du zuhause? Ich bin's! Mach mir auf!"
"Ah!", rief Otone, sprang auf und lief zur Tür. Die Tür ging auf, und die fünf Hundekrieger erblickten den Fährmann Yasuhei, der davor stand. Yasuhei trug einen Gepäcksack über der Schulter.
Da erscholl ein markerschütternder Schrei. Er kam aus der Kehle der beiden Bräute. Alle drehten sich zu ihnen um. Sie sahen so erschrocken aus, als wären sie mit kaltem Wasser übergossen worden. 
Rikijirô und Shakuhachi, die eben noch dort gesessen hatten, waren spurlos verschwunden. Nur die beiden Festgewänder lagen auf ihren Sitzen.
"Ich kann verstehen, dass ihr erschrocken seid", sagte Yasuhei. Es war offenkundig, dass er nichts bemerkt
hatte und nur sein eigenes plötzliches Erscheinen entschuldigen wollte.
"Otone, ich wage kaum, zu dir aufzublicken. Oh, du bist auch älter geworden. Ich bin ebenfalls ein alter Mann geworden, wie du siehst. Aber es gibt einen Grund, dass ich hier herkam. Ich muss dir etwas zeigen."
Er stellte seinen Beutel auf den Boden und zog daraus zwei Bündel hervor, schnürte sie auf und blickte die Anwesenden an. 
"Oh, Herr Dôsetsu! Und Herr Shino, Ihr seid auch gekommen! Schaut her, was aus meinen Söhnen geworden ist!" 
Aus den beiden Bündeln kamen die blutleeren Häupter von
Rikijirô und Shakuhachi zum Vorschein.
"Oooooh!"
Den Kehlen von Dôsetsu und den Hundekriegern entfuhr ein unbeschreiblicher Laut.
"Herr Shino,
Rikijirô und Shakuhachi haben Euch am Fluss Todagawa die Feinde vom Hals gehalten und sind dabei zu Tode gekommen. Ihre angeschwemmten Leichen habe ich herausgefischt, eigenhändig ihre Häupter abgetrennt und hierher gebracht."
Mit leiser Stimme warf Otone ein: "Herr Yoshirô,
Rikijirô und Shakuhachi waren gerade persönlich hier anwesend. Die Totengeister von Rikijirô und Shakuhachi haben sich soeben in aller Form mit Hikute und Hitoyo vermählt und sind dann verschwunden."
"Was sagst du da?"
"Und sie haben auch an Euch einen Wunsch geäußert...."
Die beiden jungen Bräute legten die Hände auf ihre Gesichter unter der brokatnen Brauthaube und begannen heftig zu schluchzen.


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Dem letzten Wunsch der Totengeister von Rikijirô und Shakuhachi entsprechend vollzogen ihr Vater Obayuki Yoshirô und ihre Mutter Otone am Abend des darauffolgenden Tages in aller Form ihre Vermählung. Es ist schon erstaunlich, welch ungewöhnliche Hochzeiten hier im Wald des Berges Arameyama im Lande Kôzuke an zwei aufeinanderfolgenden Tagen gefeiert wurden. Gestern die Heirat der Totengeister zweier Söhne mit den beiden Schwestern, ihren jungfräulichen Gattinnen, und heute die Heirat der Eltern, in deren Haar schon das Silbergrau glitzerte. Überdies nahmen an dieser Hochzeit außer den fünf Hundekriegern und den schon verwitweten Bräuten des Vortags nur noch die schon angefaulten Köpfe der Gebrüder teil, die mit ihrem Totenlächeln reglos zuschauten.
Hierbei erklärte Yoshirô, dass er auf Otones Aufforderung zur Rückkehr nicht allein deshalb nicht reagiert hatte, weil die Abbitte für den heimlichen Fehltritt, um dessentwillen er verstoßen worden war, seinen Stolz verletzt hätte, sondern dass er noch einen anderen Grund dafür hatte.
Das Ziehkind des Dorfvorstehers in Ôtsuka, Hamaji, die Tochter einer Mätresse seines Herrn, war nämlich wegen eines Vergehens ihrer Mutter als Kleinkind vom Hause Inuyama fortgegeben worden. Das unglückliche Mädchen war dennoch immerhin eine Tochter des Hauses Inuyama. Deshalb wollte er, selbst ebenso vom Hause Inuyama verstoßen, aus der Ferne über den Werdegang von Fräulein Hamaji wachen und damit zumindest ein wenig seine Schuld gegenüber seinem Herrn abtragen, und hatte sich deswegen nahe Ôtsuka als Fährmann niedergelassen.  
"Weil ich trotzdem den elenden Tod des bedauernswerten Fräuleins Hamaji nicht verhindern konnte, machte ich mir ständig Vorwürfe, welch nutzloser Mensch ohne Daseinszweck ich geworden bin. Da erfuhr ich, dass Fräulein Hamajis Verlobter, Herr Inuzuka Shino, freiwillig zu einer gefahrvollen Aufgabe aufbrechen wollte. Ich erzählte alles meinen Söhnen, und sie waren es, die mich aufforderten, dies sei die rechte Gelegenheit, sich mutig zu erweisen, weshalb wir schließlich zur Tat schritten..."
Es versagte Yoshirô die Stimme, denn das Ergebnis war, dass seine Söhne dabei beide ums Leben kamen.
"Nein, nein, dafür bin ich selbst verantwortlich. Ich hatte
Rikijirô und Shakuhachi von Anfang an aufgetragen, für meine Rache mutige Kämpfer um sich zu scharen, und das war die eigentliche Ursache ihres Todes."


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Yasuhei / Obayuki Yoshirô und Ehefrau Otone



Auch Inuyama Dôsetsu, der dieser Erzählung mit bekümmerter Miene zuhörte, konnte sich tiefer Seufzer nicht erwehren. Aber schnell zog er entschlossen die Augenbrauen hoch und rief:
"Aber dafür haben wir vier hervorragende Helden gefunden. Mit der Hilfe ihrer Kräfte können wir den Shogunatsfürsten Ôgiyatsu Sadamasa erschlagen. Ich schulde
Rikijirô und Shakuhachi aufs Neue meinen allergrößten Dank!"
Er faltete die Hände und verneigte sich vor den beiden Totenschädeln. Er ging einfach davon aus, dass die vier Hundekrieger ihm selbstverständlich zur Seite stehen würden, aber auch diese hatten nicht vor, ihm zu widersprechen. Es waren 
Rikijirô und Shakuhachi gewesen, die sie errettet hatten, und überdies waren sie durch das Schicksal mit Dôsetsu brüderlich verbunden.
"Yoshirô, hör auf, dich zu grämen. Sieh zu, dass deine Trauer mit dem gestrigen Tag zu Ende ging. Ab heute, seit deiner glücklichen Hochzeitsfeier, bist du nicht mehr nur Fährmann Yasuhei und Ehefrau, sondern wir alle beginnen ein neues Leben. Auf, stoßt alle kräftig darauf an!"
Alle Hundekrieger schlugen ein in Dôsetsus Hand. Der für die Feier bereitgehaltene Sake war bald restlos geleert. Hikute bestieg ihr Pferd, um beim Sakehändler Nachschub zu kaufen.
Die Gespräche steigerten sich zu großer Heiterkeit. Dôsetsu und die vier anderen Hundekrieger hatten Vieles zu erzählen, was die anderen noch nicht wussten. Dabei kam die Rede auch auf den sechsten Hundekrieger Shinbei.
"Er trägt den wahrhaft männlichen Namen Shinbei, ist aber noch ein Kleinkind von vier Jahren", lachte Kobungo.
"...von vier Jahren?", echote Dôsetsu entgeistert. "Und der soll einer unsrer 'Brüder' sein? Mit seinen vier Jahren taugt er doch zu gar nichts! Was kann man denn mit einem vierjährigen Kind anfangen? Sollen wir es etwa beim Kampf auf dem Arm tragen? Die Ratschlüsse des Himmels sind unbegreiflich...."
Alle lachten laut. Shino sagte: "Aber es dürfte noch zwei weitere Brüder in der Welt geben. Den Worten des Wandermönchs Chudai zufolge müssen noch 
Perlen der Gebetskette mit den Schriftzeichen CHI und REI existieren."
"Diese Brüder möchte ich so bald wie möglich treffen und mir anschauen", antwortete Kobungo.
"Ja, erst sollten wir die beiden finden!", pflichtete Genpachi ihm mit leuchtenden Augen bei.
Darufhin fragte Inukawa Sôsuke: "Herr Dôsetsu, der größte Feind von uns allen ist der Shogunatsfürst Ôgiyatsu Sadamasa, das ist klar. Aber sollten wir nicht erst die beiden anderen Hundekrieger finden und danach gegen ihn zu Felde ziehen, wenn wir vollzählig sind?"
"Gut, Ihr habt recht. So machen wir's", nickte Dôsetsu zustimmend.
Von draußend war Hufgeklapper zu hören.
"Etwas Schlimmes....", schrie Hikute, die zuvor fortgeritten war, um Sake zu kaufen. "Eine riesige Streitmacht ist dabei, uns zu umzingeln!"
"Waaas?"
Die fünf Hundekrieger sprangen auf und liefen zu den Türen und Fenstern.
Nicht nur über die Wiesenfläche vor dem Haus, sondern aus dem Wald auf allen drei anderen Seiten rückten sicherlich Hunderte bewaffnete Kriegsleute, die meisten noch gar nicht zu sehen, in dichten Scharen auf das Haus zu, im nächtlichen Dunkel mehr spür- als sichtbar. Seit der Aufregung um das gestrige Attentat mussten die Leute von Burg Shirai eine groß angelegte Suche nach dem Täter durchgeführt und ihn schließlich hier aufgespürt haben.
Dôsetsu rief, während er in Hektik die Kampfvorbereitungen traf, sein Stirnband anlegte, die Schwertniete befeuchtete und sogar seine Strohsandalen zuband:
"Yoshirô, Otone, und auch Hikute, Hitoyo, hört zu! Während wir uns in den Kampf werfen, seht bitte zu, dass ihr heil entkommt! Und zwar am besten nach Gyôtoku im Lande Shimôsa, zum Gasthaus Konaya!"  
"Nein, wir alten Eheleute brauchen nicht zu fliehen." Yoshirô schüttelte den Kopf. "Unsere Hochtzeitsfeier heute Abend, das war das letzte Abendmahl vor der Reise ins Jenseits."
"Was redet Ihr da?", gab Dôsetsu schulterzuckend zurück, während er seine Bändel schnürte. "Ihr würdet uns hier nur behindern!"
"Nein, hindern wollen wir Euch nicht. Bringt nur die beiden jungen Frauen in Sicherheit!" Yoshirô wandte sich um. "Kommt, ihr beiden, reitet auf euren Pferden davon!"
"Ja, richtig", fügte Otone hinzu. "Ihr seid zwar Frauen, aber kennt euch bestens mit Pferden aus. So wie ihr manchmal hierher gestürmt kamt, so reitet auch jetzt mit euren Pferden davon, das ist das Beste!"
Hikute und Hitoyo schrien: "Nein, wir lassen Euch doch nicht im Stich!"
"Nein, nicht nötig, wir brauchen keine Hilfe!"
"Dann sterben wir hier mit Euch!"
Dôsetsu fuhr drein: "Hört auf mit dem dummen Geschwätz! Niemand von uns hat vor zu sterben. Auch wir wollen die Flucht ergreifen. Wozu sind denn Rikijirô und Shakuhachi eigens hier hergekommen? Dass ihre Totengeister euch gestern aufgesucht haben, war doch sicher nicht, um euch heute den Tod zu bringen!"
"Genau, das stimmt!", riefen die anderen vier Hundekrieger.
Dôsetsu fuhr mit grimmigem Blick fort:
"Ich bin als Erbe des Hauses Inuyama Euer Herr. Ich gestatte niemandem, sich meinen Befehlen zu widersetzen!"
Er drehte sich um zu den Köpfen von
Rikijirô und Shakuhachi, die noch im Wohnraum lagen, hob sie mit beiden Händen empor, sah sie fest an und beschwor sie:
"
Rikijirô, Shakuhachi, ich bitte euch inständig: Rettet mithilfe der Macht der Totenwelt heute noch einmal eure Eltern und eure Ehegattinnen! Erbarme dich ihrer, Amida Buddha!"
Dann rief Dôsetsu: "Kommt!", winkte das Ehepaar Obayuki, Hikute und Hitoyo zu sich und verließ mit gesenktem Kopf das Haus. Starker Wind war aufgekommen, Bäume und Gräser wurden durchgeschüttelt. Den Schwestern befahl er, auch das andere Pferd aus dem Stall zu holen. An jedem Sattel band er einen der Totenschädel fest und ließ dann Yoshirô und Hikute das eine, Otone und Hitoyo das andere Ross besteigen. Beide Pferde lenkten die Schwestern und hielten die Alten gut fest. Von Dôsetsus Strenge beeindruckt, folgten alle vier den Befehlen des Kriegers so gehorsam wie Marionetten ihren Fäden.
"Fertig? Begrabt die Schädel in Shimôsa und betet für ihr Seelenheil! In Shimôsa sehen wir uns wieder!"
Er sah sich um und wandte sich an die vier Gefährten.
"Los geht's!"
Ein fester Klatsch mit beiden Händen auf die Kruppen der Rösser, und dann geleiteten die fünf Hundekrieger die beiden Pferde mit geschwungenen Schwertern in Richtung Landstraße. Die feindlichen Krieger, die sich im Buschwerk versteckt hielten, sprangen auf wie eine aufgescheuchte Schar Spatzen im Dorf. Trotz ihrer Überzahl gelang es ihnen nicht, die Pferde und die Krieger zum Stehen zu bringen, ja, nicht einmal zu verlangsamen. Die Landstraße war erreicht. Hier wimmelte es erst recht von feindlichen Kämpfern.
"Sie kommen!" - "Lasst sie nicht durch!"
Zahllose Schwerter und Lanzen wurden geschwungen, von allen Seiten kamen Feinde herangestürmt. Dôsetsu ließ sich nicht beeindrucken, sondern klatschte den Pferden erneut aufs Hinterteil.
"
Rikijirô und Shakuhachi, tut, worum ich euch gebeten habe!"
Die beiden Rösser mit ihren je zwei Reitern preschten los. Die Feinde, die sie mit ihrer Menge aufzuhalten suchten, sahen, wie auf einmal bläuliche Blitze die Rösser umzuckten. Die vordersten Feinde schrien vor Entsetzen auf. Sie sahen genau, dass diese Blitze aus den Mündern von Totenschädeln am Pferdesattel hervorzuckten.


blitzross


Die Menschenmassen, die zurückschreckten, und diejenigen, die von hinten herzustürmten, ergaben ein riesiges Durcheinander, durch dessen Mitte die Mähnen der galoppierenden Rösser wehten. Dennoch wurden Speere geschleudert und Pfeile abgeschossen, von denen etliche trafen und im Leib der Pferde stecken blieben, aber diese preschten wie unsterbliche Götterrösser ohne jegliches Zögern weiter voran und entkamen in Richtung Süden. Auch durch die Staubfahne, die sie hinter sich aufwirbelten, zuckten bläuliche Blitze - es sah aus wie Geisterlichter!  
Die fünf Hundekrieger kehrten um. Sie hatten vor, in den Bergwald hinter der Hütte zu entkommen und
sich dort zu verbergen. Im Grasland, das sie bis zur Hütte durchschritten, blieben überall Leichen erschlagener Feinde zurück. Die feindlichen Kämpfer meinten, die Hundekrieger wollten sich ins Haus hineinretten, und blieben ihnen dicht auf den Fersen. Ein schwarzer Wald von Feinden drang in die Hütte ein. Da züngelten hier und da Flammen aus der Hütte. Die Hundekrieger hatten das Haus angesteckt. Sie waren nämlich am Haus vorbeigelaufen, von wo ein Pfad direkt in den Bergwald hineinführte. Alle fünf Gefährten stiegen eilig diesen Bergpfad hinan. Niemand kam ihnen nach, denn das Feuer verhinderte die Verfolgung.


feuerkampf


Als sich die Fünf umwandten und nach unten
zurückblickten, ertönte von oben her unerwartet eine Stimme:
"Ihr Verbrecher, stehen bleiben! Wir haben uns schon gedacht, dass ihr hier heraufkommt, und haben auch hier Krieger bereitgestellt. Hier steht Ôta Suketomo, und hier erfüllt sich euer Schicksal. Werft die Schwerter fort und ergebt euch!"  
Gleichzeitig tauchten aus Wald
und Gebüsch zahllose Feinde auf, die den Weg nach oben versperrten.
Selbst die Hundekrieger erschraken und wollten unwillkürlich kehrt machen, aber die Flammen der von ihnen in Brand gesetzten Hütte waren, vom starken Wind angefacht, auf das trockene Sommergras und Gestrüpp übergegangen und kamen nun als Wandbrand rasend auf sie zugeflogen. Einen Augenblick wussten die Gefährten weder ein noch aus. Da rief Shino:
"Wovor fürchtet ihr euch? Mag das Feuer doch kommen!"
Er schwang sein Schwert, und prompt sprühte aus der Klingenspitze ein mächtiger Wasserstrahl. Schon sah es so aus, als würden sie vom Feuer verschlungen, und die entsetzten Feinde über ihren Köpfen ergriffen verzweifelt die Flucht vor den Flammen, die nun auf sie zugeschossen kamen.  
Die fünf Hundekrieger befanden sich aber in einem Halbtunnel aus Wasser, den das von Shino geschwungene Schwert schuf.
"Oh, Murasame, es lebe Murasame!", jubelten die Gefährten. Mitten durch den fürchterlichen Waldbrand bewegte sich ein wunderliches halbrundes Tunneldach aus einem Wasserschleier langsam den Hang des Berges Arameyama hinauf.



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