④
In der Dunkelheit jener Sommernacht tat sich in der Ferne eine rote
Welt auf. Sie erschien am
Hügel Maruzukayama bei Hongô. Dort
leuchtete der
Widerschein eines Scheiterhaufens in einer tiefen Grube. Darüber
wussten die beiden Sänftenträger Bescheid. Vorhin,
auf dem
Weg nach Ôtsuka, war der Gast ihrer Sänfte
angesichts des zu
dieser Zeit noch stärker lodernden Feuers eigens
ausgestiegen, hatte das am Wegrand aufgestellte Schild gelesen und den
Grund des Feuers von den Leuten erfahren,
die als Zuschauer dort standen. Er hatte es dann den beiden
Sänftenträgern weitererzählt. Auf dem Schild
war zu
lesen:
"Hier
gibt sich der Anhänger der Shugen-Sekte mit Namen
Kenryû,
Mönchsname Jakumaku, von eigener Hand den Feuertod, um
Buddhaschaft zu erlangen. Jeder, der buddhistischen Glaubens ist,
spende ein Almosen für sein Heil im jenseitigen Dasein".
Tatsächlich hatte dieser Wanderheilige unter den Augen von
etlichen hundert gutgläubigen Männern und Frauen
das in
eine Grube von beträchtlichen Ausmaßen
geworfene Brennholz entzündet und war dann, mit lauter Stimme ein
Sûtra rezitierend, in das lodernde Feuer gesprungen, und die
Leute hatten ihm wie um die Wette eine Menge Münzgeld hinterhergeworfen.
Der wundersame rote Schein jenseits des Brachfelds entstammte jenem
Scheiterhaufen, es war die restliche Glut. Kein Mensch war mehr zu
sehen.
Die bis hierher gelangte Sänfte machte Halt.
"Was ist los, warum haltet ihr an?", fragte Samojirô.
"Herr Samurai", sagte der hintere Träger. "Ihr hattet gesagt,
wir kriegen ein gutes Trinkgeld. Wie viel bekommen wir?"
"Nun gut,.... 300 Mon."
Der vordere Sänftenträger lachte höhnisch
auf.
"Da ist was faul an der Sache. Ihr habt von einer Irren geredet. Hier
ist ein wenig Licht, ich möchte mal sehen, ob das wahr ist.
Holt
die Frau aus der Sänfte und zeigt sie uns her!"
"Ihr Kerle, ihr wollt mich wohl erpressen?"
Samojirô bekam Lust, sie totzuschlagen.
"Wenn wir eine Entführte tragen sollen, wird ein ganz
anderer Preis fällig." - "Wir wollen das erstmal
überprüfen."
Der Träger beugte sich nieder und wollte den Bambusvorhang der
Sänfte öffnen. In demselben Augenblick zog
Samojirô
blank und hieb das Schwert nacheinander in den Rücken beider
von
ihm abgewandten Sänftenknechte. Nur Samojirô
gewahrte, dass
dabei ein Wasserstrahl aus der Spitze der Klinge sprühte.
Der Schönling Samojirô war alles andere als ein
großartiger Schwertkämpfer; dass die beiden
Träger auf
der Stelle tot waren, zeigt vielmehr die unheimliche Schärfe
des
Schwertes Murasame.
"Aaah!", rief es von dem Weg her, auf dem Aboshi eben gekommen war. "Du
hast zwei Leute totgeschlagen!"
Es war der franselhaarige Dorfspitzbube Totarô aus
Ôtsuka, der da gerufen hatte.
Samojirô hatte schon gesehen, dass dieser Kerl ihnen
hinterherlief, und die beiden Sänftenträger, die ihm
im Weg
waren, deshalb vorbeugend erschlagen. Jetzt rollte er die aus
ihrer halben Ohnmacht erwachte, vom Blut ihrer
Sänftenträger
besudelte Hamaji aus der Sänfte heraus.
Totarô heulte auf. "Du bist also tatsächlich der
Schurke,
der das Fräulein geraubt hat! Du heißt für
mich nicht
mehr Herr Aboshi, du bist ein Lump von elendem
Straßengaukler, du
Miststück! Ich bin gekommen, jetzt gib's auf und reg dich
nicht!"
"Wer wider mich das Schwert erhebt, dem ergeht es ebenso wie diesen
beiden!", gab Samojirô kühl zurück. "Du
Taugenichts, du
willst wohl auch meine Klinge kosten?"
"Was denn, du Schürzenjäger!"
Totarô zog das Schwert, das er von Hikiroku erhalten hatte,
und
stürmte so wild auf Samojirô los, dass der Boden knirschte.
Als er auf fünf Armlängen herangekommen war, schwang
Samojirô sein Schwert. Sogleich entfloss ihm ein
Wasserstrahl,
und Totarô stieß einen Schrei aus. Er
hatte Wasser in
die Augen bekommen und blieb stehen. Es folgte Samojirôs
zweiter
Hieb. Das war wieder ein fürchterlicher Treffer, und
Totarô,
der mit wildem Ingrimm losgestürmt war, stürzte in
einer
Lache von Blut zu Boden. Noch strampelte er und versuchte, wieder auf
die Beine zu kommen, aber Samojirô stellte sich mit
gespreizten
Beinen über ihn und nagelte ihn mit einem weiteren
Schwertstich am
Boden fest. So stehend, sah er an sich herab. Er rückte seinen
verrutschten Haarknoten zurecht und zog sein schwarzes Gewand mit dem
Wappen gerade. Er, dieser so schöne Mann, glich einer in
erschreckende Höhe gewachsenen Blüte des
Bösen.
"Drei Leute habe ich erledigt", griente Samojirô.
Aboshi Samojirô
"Hamaji, auch das habe ich
alles dir zuliebe getan."
Hamaji,
die aus der Sänfte herausgerollt war, hatte zwar ihren Knebel
verloren, brachte aber keinen Laut heraus. Sie versuchte auch nicht
zu fliehen. Ihre Kehle und ihr ganzer Leib waren wohl vor Schreck
wie
gelähmt, das mag durchaus sein. Aber ihre Augen waren weit
aufgerissen und starrten auf Samojirôs Schwert.
"Dieses
Schwert....", stieß sie hervor. Sie hatte eben
gesehen, wie
aus dem Schwert, als Samojirô den Totarô erschlug,
ein
Wasserstrahl gesprüht kam.
"Murasame",
sagte Samojirô und stieß ein lautes
Gelächter aus. "Im
Auftrag von Hikiroku in Ôtsuka habe ich mein Schwert mit dem
von
Shino vertauscht. Natürlich wollte Hikiroku, dass ich sein
Schwert
gegen Shinos austausche, aber ich habe eigene Wünsche und es
mit
meinem vertauscht. Mein eigener Wunsch ist, mit diesem Wunderschwert
als Präsent wieder in den Dienst des Fürsten
aufgenommen zu
werden."
"Und Herr Shino?"
"Ach, der Dummkopf... Der hält sein falsches Schwert
für Murasame
und ist damit nach Koga unterwegs. Wenn er es dem Fürsten
überreicht, wird es sich sofort als falsch herausstellen. Es
kommt ja
kein Wasser raus. Und was sie dann mit Shino machen..., hahahahaaa!"
Hamaji, die Samojirô fest angeblickt hatte, sagte leise:
"Zeigt es mir, zeigt mir das Schwert. Zeigt mir, ob es wirklich Murasame ist."
Samojirô schritt auf sie zu. Er wusste um die gegenseitige
Zuneigung zwischen Hamaji und Shino und glaubte, dass Hamaji das echte
Schwert Murasame
schon einmal gesehen haben könnte.
"Griff und Stichblatt sind anders; ich habe die Niete gelöst
und nur die Klinge vertauscht. Hier, schau sie dir an."
Hochnäsig hielt er die Klinge schräg vor
Hamajis
Gesicht. Hamaji schlug unvermittelt auf seine rechte Hand, die den
Schwertgriff hielt. In der Hand hielt sie einen Stein, den sie
irgendwie aufgehoben hatte, und versuchte, ihm das
Schwert zu
entreißen.
"Au!", rief Samojirô. Es gelang ihm gerade eben, das Schwert
festzuhalten. Mit einem Fußtritt schleuderte er Hamaji weg
und
versetzte der Niederstürzenden einen Schwerthieb.
Ach, wie
mitleidlos, auch diesmal entsprühte der Mordwaffe ein
wunderschöner Wasserstrahl!
Es war wohl nur eine reflexartige Handlung gewesen, aber
Samojirôs kaltblütige Grausamkeit wurde dadurch
stimuliert.
Er stieß das Schwert in die Erde, setzte sich nieder und zog
die
sich nach dem Schwertstreich am Boden windende Hamaji an ihren Haaren
auf seinen
Schoß.
"Schau mal, Hamaji, warum hörst du nicht auf das, was ich
sage? Du
bist so hübsch, aber hundertmal widerspenstiger. Wenn du mir
so kommst
- ich habe schon seit langem einen weiteren Wunsch. Ich
möchte einmal ein schönes Mädchen zu Tode
quälen.
Diesen Wunsch wirst du mir jetzt nach Herzenslust erfüllen.
Bis
zum Morgen will ich bei dir mein Glück versuchen, dir erst die
Zunge herausreißen, dann die Brüste abschneiden, den Bauch
aufschlitzen.... Schrei nur, heul nur, das wird mir die ganze Nacht
hindurch Vergnügen bereiten."
Samojirô richtete sich auf und griff nach dem Schwert, das im
Boden steckte.
In demselben Augenblick erstarrte sein ganzer
Körper wie ein Stock. Ein schmales Messer durchbohrte seinen
Hals
von der einen bis zur anderen Seite. Die wenigen Sekunden, die er
noch lebte, müssen für ihn die reinste Hölle
gewesen sein.
Einen Augenblick später kippte Samojirô auf den
Rücken,
verkrampfte Arme und Beine und starb.
Derjenige,
der das Wurfmesser geschleudert hatte, stand vor dem roten Hintergrund
des Feuerscheins, der ihn aus der Flammengrube vom Rücken her
beleuchtete. Er trug ein an der Brust mit Ketten verstärktes Gewand
und
darüber ein weitärmeliges Übergewand mit
Zickzackmuster
am Handende, an seinem Gürtelband ein Langschwert in einer
zinnoberrroten Scheide, und über seinen Strohsandalen lederne
Gamaschen. Unter seinem langen Haarknoten schaute das
kühne, aber anmutige Gesicht eines gut
Zwanzigjährigen hervor. Es war das Gesicht des Mannes, der am
Abend
als 'Anhänger
der Shugen-Sekte mit Namen Kenryû den Flammentod erlitten'
hatte.
Vorhin hatte er sich allerdings ein weißes Tuch um dem Kopf
gebunden und über weißer Gewandung eine
Mönchsschärpe getragen.
Er schritt herbei. Er war ein schöner Mann, hatte aber auf
seiner
linken Schulter eine kugelförmige Verdickung wie ein
Geschwulst.
Zuerst nahm er sich das Schwert, das der tote Samojirô noch
festhielt, prüfte es, ohne mit der Wimper zu zucken, vom Griff bis
zur
Klingenspitze, und schwang es einmal kräftig durch die Luft.
Ein
Wasserstrahl sprühte heraus.
"Vorhin sah es aus, als entsprühte dem Schwert ein
Wasserstrahl...
Jetzt bin ich sicher, dass es sich um das alte Wunderschwert handelt",
murmelte er. Dies bedeutete, dass er ab irgendeinem Zeitpunkt
die
Tragödie mit angesehen hatte, die sich hier abgespielt hatte.
Dann beugte er sich zu Hamaji nieder.
"Bist du noch am Leben? Wenn noch ein Atemhauch in dir ist, will ich
dich etwas fragen. Ich habe soeben die Namen Hamaji, Hikiroku und
Ôtsuka gehört. Womöglich bist du Hamaji,
die Stieftochter des Dorfvorstehers von Ôtsuka?", fragte er.
Hamaji öffnete die Augen einen kleinen Spalt.
"Falls du es bist, dann bist du meine Schwester. Mein Name ist Inuyama
Dôsetsu vom Hause Nerima."
"Haaa....!" Hamaji stieß einen kleinen Schrei aus.
"Herr Bruder!"
Sie reckte einen Arm nach ihm aus und umklammerte seine Hand.
"Nur Euren Namen kannte ich bisher. Ich bin Hamaji...."
"Also stimmt es."
Inuyama Dôsetsu vor der Feuergrube
"Ach, Herr Bruder, dass ich Euch in einer solchen Lage begegnen muss...
Mir bleibt keine Zeit mehr, die lange Trennung zu beklagen. Aber ich
habe
eine Bitte. Das Schwert, das Ihr in der Hand haltet, heißt Murasame und
gehört meinem Bräutigam Inuzuka Shino. Gestern ist Shino nach Koga aufgebrochen, um dem
Shogunatsfürsten dieses Schwert zu
überreichen. Aber Murasame
ist
hier.... Der Bösewicht Aboshi Samojirô, der dort am
Boden
liegt, hat die Schwerter vertauscht..... Herr Shino ahnt nichts davon.
Wenn er mit
dem falschen Schwert die Burg von Koga aufsucht, wird es ihm
übel
ergehen. Ich bitte Euch..... Eilt nach Koga und gebt Inuzuka Shino
dieses Schwert!...."
Unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte presste Hamaji die Hand
ihres Bruders, dem sie erst kurz vor dem Erlöschen ihres
Lebens
begegnet war.
"Bitte, Herr Bruder!"
"Das geht nicht."
"Was? Warum?"
"Ich bin hinter Ôgiyatsu Sadamasa her, der meinen Herrn und
meinen Vater getötet hat. Ich lebe einzig, um mich an diesem
Feind
zu rächen. Der heutige 'Flammentod' war ein Schaustellertrick,
mit
dem ich Geld für mein Ziel sammle, den Sadamasa zu erschlagen.
Dass mir jetzt dieses Zauberschwert in die Hand fiel, ist ein
glücklicher Zufall. Ich werde es für meine Rache
verwenden",
sagte Dôsetsu mit kühler Bestimmtheit.
"Ach", ächzte Hamaji, "wie grausam, wie grausam, Herr Bruder!"
"Ich weiß sehr wohl, dass es unbarmherzig ist, Hamaji, aber
ich
habe noch einen triftigen Grund, deiner Bitte nicht zu willfahren. Du
bist zwar die Tochter meines Vaters Inuyama Dôsaku, aber wir
haben verschiedene Mütter. Du bist das Kind einer
Mätresse.
Darüberhinaus hat deine Mutter aus Neid meine Mutter, Vaters
rechtmäßige Gemahlin, vergiftet und ist
dafür vom Vater getötet worden. Das ist der Grund dafür, dass du im Alter von
zwei Jahren dem Dorfvorsteher von Ôtsuka als Stiefkind
übergeben worden bist."
"......"
"Wir sind zwar Geschwister, das ist richtig, aber von einer
Verwandtschaft, die von Unheil geprägt ist. Ich habe vorhin,
aus
der Feuergrube heraus, euren Wortwechsel mit angehört und war
darüber empört, aber meine Beine haben gezögert, dir zu
Hilfe zu eilen. Das ist der Grund, Hamaji."
Zum ersten Mal nahm Dôsetsu seine Schwester Hamaji in die
Arme,
als er sie vom Boden aufhob. Ihre kristallenen Augen weit
geöffnet, hauchte sie ihr Leben aus.
Wie
weit hatte sie die Worte ihres Bruders noch gehört? Falls sie
die
Rede
von "...hat deine Mutter aus Neid...." nicht mehr mitbekommen haben
sollte, dann dürfte dieses unter einem Unglücksstern
geborene
Mädchen zumindest ein klein wenig glücklich
in den Armen ihres Bruders gestorben
sein.
Gleichwohl zeigte Inuyama Dôsetsu, allem Anschein nach ein
Mann von
ungestümem Wesen, Mitgefühl, das ihm
als Tränen übers Gesicht rann, als er auf den leblosen
Leib seiner Schwester
niederblickte.
"Es
war dein Unglück, dass du Dôsetsu, der in der Welt
der
Racheteufel heimisch zu werden sucht, zum Bruder hattest", murmelte
Dôsetsu, klemmte sich das Schwert
Murasame
zwischen die Zähne, lud sich die tote Hamaji auf beide Arme und
schritt davon.
Dôsetsu hält seine tote Schwester Hamaji in den
Armen (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
An der Feuergrube blieb er
stehen, stieß das Schwert in den Boden und rief:
"Erbarme dich ihrer, Amida Buddha!"
Die
japanische Formel 'Namu Amida Butsu' bedeutet eigentlich "Ich suche
Zuflucht bei Buddha Amitâbha". Amida, auf Sanskrit
Amitâbha, ist eine Emanation des Buddhas ("der Erwachte, der
Erleuchtete"), wie man den historischen Prinzen Gautama
Siddhârtha nach seiner durch Meditation erlangten Erleuchtung
nannte. Im buddhistischen Glauben besitzt der Buddha die
Fähigkeit, unterschiedliche Facetten ("Emanationen") seines Wesens zu zeigen,
um
die Menschen zur Erkenntnis anzuleiten. Die Emanation "Amida" ist der
Buddha des unermesslichen Lichtglanzes und des Reinen Landes, der
für die Errettung der Menschheit zuständig ist. Bei
Todesfällen spricht man diese Formel aus, die im Deutschen
meist
verkürzt mit "erbarme dich, Amida Buddha" wiedergegeben wird.
Durch diese Anrufung, so glaubt man, erreichen auch die Verstorbenen
Buddhaschaft und gehen ins Reine Land ein. |
⑤
Dôsetsu wollte den Leichnam seiner Schwester gerade in die
Feuerglut hinabwerfen, als jemand von der Straße her rief:
"Halt, warte!"
Ein Mann kam herbeigelaufen. Zehn Schritte vor Dôsetsu blieb
er stehen.
"Das kommt mir verdächtig vor. Was machst du da?"
Während er herblickte, loderte vom Grund der Grube, vielleicht durch einen
Windstoß, das schon niedergebrannte Feuer wieder kurz auf.
"Wie? Ist das nicht Fräulein Hamaji?"
Er hatte das Gesicht der leblos in Dôsetsus Armen liegenden
Frau gesehen und diesen entsetzten Ausruf getan.
"Wer bist du denn?", fragte Dôsetsu.
"Ich bin ein niederer Bediensteter im Hause dieses Fräuleins
Hamaji und werde dort Gakuzô genannt."
Der
Mann war Inukawa Sôsuke, der
am Morgen von Kurihashi, kurz vor Koga, aufgebrochen und auf
dem Rückweg hier entlang gekommen war. Und nun erblickte er
vor sich einen Mann in ungewöhnlicher Gewandung, und was jener
auf den
Armen trug, sah ihm ganz nach dem Leichnam von Hamaji aus. Konnte das
Wirklichkeit sein? Er mochte seinen Augen kaum trauen.
"Langsam, warte einen Augenblick", sagte Dôsetsu.
"Weißt du als Bediensteter des Dorfvorstehers nicht, was sich
in Ôtsuka zugetragen hat?"
"Was in Ôtsuka passiert ist? Ich war heute in Kurihashi und
bin auf dem Heimweg. Was ist denn geschehen?"
"Ich weiß es auch nicht genau. Nur, dass ein Kerl mit Namen
Aboshi Samojirô Hamaji entführt, und sie, weil sie ihm
nicht gefügig war, ermordet hat. Das habe ich mitbekommen
und den Kerl totgeschlagen. Seine Leiche liegt da hinten."
Nach diesen Worten warf Dôsetsu den Leichnam Hamajis in die
Feuergrube.
"Hamaji, erlange wenigstens dadurch Buddhaschaft, dass deine
Feuerbestattung durch die Hand deines Bruders erfolgt!"
"He, was tust du?"
Sôsuke sprang auf, zog sein Schwert und stürzte
herbei.
"Kapierst du nicht, dass nicht ich es war, der sie umgebracht hat?"
Dôsetsu ergriff das Schwert, das neben ihm im Boden steckte,
und parierte Sôsukes Angriff. Drei, vier Schlagwechsel, und
weitere sieben..... Vor dem Hintergrund der aufflammenden Feuerglut
fochten die beiden miteinander. Der eine mit dem Wunderschwert aus der
Zauberwelt, der andere mit dem wilden Kampfesmut, den er sich im Wald
antrainiert hatte.
Dôsetsu und Sôsuke beim Schwertkampf
Dabei entsprühte Dôsetsus
Klingenspitze ein kräftiger Wasserstrahl.
"Oh, dieses Schwert....?", schrie Sôsuke
zurückspringend.
Dôsetsu bleckte die Zähne.
"Murasame
heißt es. Der Kerl, der Aboshi Sowieso hieß, soll,
wie ich hörte, sein Schwert mit demjenigen des Inuzuka Shino
vertauscht haben. Hamaji wollte es für Shino dem Aboshi entreißen und ist deshalb getötet worden."
Sôsuke war, als ob ihm alle Haare zu Berge ständen.
Und was wird nun aus Shino...?
"Gib mir das Schwert zurück!"
"Du bist wohl wahnsinnig?"
Beide hieben wieder wild aufeinander ein, als ein Wasserstrahl Sôsukes Auge traf.
"Aaah!"
Auf den Kopf des zurücktaumelnden Sôsuke krachte
Dôsetsus Schlag. Dabei hatte sich aber eine Schnur aus Sôsukes Gewand an der Schwertklinge verfangen und sie
umwickelt. Die Klinge war dadurch stumpf geworden, und nun war es Dôsetsu, der
verblüfft zurücksprang. Sôsuke schlug zu,
damit ihm der Gegner nicht entkäme, und seine Klinge
schnitt genau in Dôsetsus linke Schulter. Sie traf auf
etwas Hartes, eine Blutfontäne schoss aus der Wunde, und
aus dem Blut heraus kam etwas auf Sôsuke zugeflogen und prallte genau auf seine Stirn.
Einen Augenblick stand Sôsuke da wie gelähmt, aber
dann fiel ihm die Gestalt seines Gegners ins Auge, der wie erstarrt am
Rand der Grube stand und auf sein Schwert blickte. Um dessen Klinge
hatte sich die Schnur eines Beutels geschlungen. Es war der
Amulettbeutel, den Sôsuke stets um seinen Hals trug. Er war
in der Hitze des Gefechts von selbst herausgerutscht, und
die Schnur hatte sich um das Schwert gewickelt.
Ehe Sôsuke es sich versah, drehte sich Dôsetsu um und
sprang wie ein schillernder Wundervogel hinunter in die Grube.
"Halt!", schrie Sôsuke und lief an den Rand der Grube, aber
mochte das Feuer auch heruntergebrannt sein, der Grund glich noch immer
einem See aus Glut. Als er dies sah, stampfte er zornig mit dem Fuß
auf und blieb stehen. Hamaji war ohnehin darin verschwunden, und jetzt
war auch der fremde Mann hineingesprungen und nicht mehr zu sehen.
Dass er dieses Glut-Inferno überlebt haben könnte,
stand nicht zu erwarten.
Sôsuke hielt inne und suchte dann nach dem Ding, das ihn
zuvor getroffen hatte. Am Boden erblickte er eine im Feuerschein rot
leuchtende Kristallkugel. Er hob sie hoch und stöhnte
auf:
"CHÛ!"

Dôsetsus Tugend ist CHU - er bleibt seinem Herrn auch nach dessen
Niederlage treu und lebt nur dafür, dessen Tod zu rächen
Es war zwar ein anderes Schriftzeichen, aber ansonsten glich die
Kristallkugel vollkommen seiner eigenen. Er hatte seine Kugel mit dem
Zeichen GI in seinem Amulettbeutel verwahrt, aber der hatte sich samt der Schnur um
die Schwertklinge des Gegners gewickelt und war jetzt fort.
'Womöglich....?', dachte Sôsuke und lief erneut zum
Rand der Grube, '...war dieser Mann von eben nicht auch einer unserer
Brüder aus einer früheren Existenz?'
In seinem Kopf drehte sich alles.
Hamajis Bruder Inuyama Dôsetsu im Manga
Jedenfalls stand fest, dass dieser Mensch das Schwert Murasame hatte.
Das bedeutete folgerichtig, dass sein 'Bruder' Inuzuka Shino ein falsches
Schwert nach Koga brachte. Von Hikiroku war ihm, Sôsuke, jedoch aufgetragen worden,
Shino das Schwert abzunehmen. Also konnte Hikiroku keinerlei Zweifel
gehegt haben, dass Shino das richtige Schwert besaß. Das war
es, was Sôsuke verwirrte.
Abgesehen davon, wie würde es Shino ergehen? Sôsuke
rannte in Richtung des Wegs los, den er gekommen war, blieb aber nach
zehn Schritten stehen. Ihm ging auf, dass er zu spät kommen
würde. Shino musste Koga längst erreicht haben.
Selbst wenn Sôsuke von hier aus die ganze Nacht hindurch
zurückrannte, um Shino zu warnen, träfe er auf gar keinen Fall rechtzeitig ein. Sôsuke war zwar
einerseits ein furchtloser, andererseits aber auch ein
besonnener junger Mann. Ihm blieb nur, darum zu beten, dass Shino es
von selbst rechtzeitig bemerken und die Übergabe unterlassen würde.
Aber was war eigentlich in Ôtsuka geschehen? Sôsuke
rief sich die Worte des Mannes von vorhin ins Gedächtnis
zurück.
'Ein
Kerl mit Namen Aboshi Samojirô hat Hamaji entführt und sie ermordet, weil sie ihm nicht
gefügig war. Das habe ich mitbekommen und
den Kerl
totgeschlagen. Seine Leiche liegt da hinten.'
'Der
Kerl, der Aboshi Sowieso hieß, soll, wie ich hörte,
sein Schwert mit
demjenigen des Inuzuka Shino vertauscht haben. Hamaji wollte es
für
Shino dem Aboshi entreißen und ist deshalb getötet
worden.'
Sôsuke ging hinüber, um zu sehen, ob das stimmte,
und fand in der Tat die Leichen des Aboshi Samojirô,
des Dorfspitzbuben Totarô und der beiden
Sänftenträger.
Hieraus und aus den Worten des fremden Mannes fügten sich die
Fakten zu einem vagen Bild dieser
Tragödie zusammen, aber natürlich blieben
noch einige Fragen offen. Sôsuke trat den Weg zurück
nach Ôtsuka an. Die Grube, in der zuvor noch die letzte
Flammenglut aufgeflackert war, war nunmehr dunkel.
⑥
Dass es im Hause Ôtsuka nach Hamajis Verschwinden eine
heillose Panik gab, kann man sich vorstellen. Hikiroku und Kamezasa
liefen abwechselnd zum Tor des Anwesens und befragten ungeduldig die
Bediensteten:
"Was ist mit
Totarô?" - "Ist Totarô noch
nicht zurück?"
Es verging jedoch eine Stunde
und noch eine weitere, aber Totarô, der hinter Aboshi
Samojirô und Hamaji her war, kam noch
immer nicht zurück. Als es unumgänglich wurde, ihm noch weitere
Verfolger hinterherzujagen, eilte Kamezasa zu Hikiroku, der vor dem Tor stand.
"Der Herr Kommandant ruft nach
Euch!" Kamazasa senkte die Stimme. "Er scheint mitgekriegt zu haben, dass
Hamaji nicht da ist."
Sie
hatten den Kommandanten und
sein Gefolge die ganze Zeit über höchst beflissen mit
einem Sake-Bankett bei Laune gehalten, damit niemand etwas bemerke,
aber jetzt konnte man ihn nicht länger hinters Licht
führen. Tatsächlich
hatte er schon gemahnt, wo denn die Braut bleibe, wie lange es noch
dauere, und Kamezasa war vor ihn getreten und hatte ihm
bittersüßlich geschmeichelt:
"Leider klagt die Braut gerade eben über Kopfschmerzen und ersucht Euch um einen Augenblick der Geduld."
Jetzt aber war ihm wohl die Ursache der Aufregung zu Ohren gebracht
worden. Beide Eheleute begaben sich aschfahl zum Gästesaal, aber
als sie die Gesichter des an der Stirnseite sitzenden Kommandanten Higami
Kyûroku und seines Offiziers Nurude Gobaiji erblickten, zu
deren beider Seiten ein halbes Dutzend Amtsleute Platz genommen hatten,
überkam sie das große Zittern - das war eine unangenehme
Situation!
Die
Kehrseite der eifrigen Bewirtung zeigte sich jetzt: Beide Offiziere
waren sturzbetrunken. Aber trotz ihrer Trunkenheit hatten sie
selbstverständlich nicht vergessen, zu welchem Zweck sie heute
Abend hier hergekommen waren. Nun, da sie vor Ungeduld geradezu
kochten, war ihnen die Wahrheit hinterbracht worden, dass die Braut die
Flucht ergriffen habe.
"Hör mal, Hikiroku, die Braut soll weggelaufen sein", sprach Gobaiji.
"Oh, es ist ein wahrhaft peinlicher Sachverhalt, der meine Ehre
beschmutzt....", stammelte Hikiroku in seinem aus Hanf gewirkten
Festgewand, sich wie eine Kröte
vor dem Herrn zu Boden beugend. "Es verhält sich leider so, dass ein
Schaustellerkünstler mit Namen Aboshi Samojirô, der im
ganzen Dorf als Schürzenjäger verrufen ist, gerade eben
vor der Feier Hamaji entführt hat und mit ihr durchgebrannt ist..."
Der Vergleich zwischen der korrekten unterwürfigen Haltung eines Samurai und einer Kröte ist nicht abwegig
"Du lügst!"
"Das ist keineswegs der Fall. Ich hatte vorhin sogleich Häscher
entsandt, die uns die beiden Flüchtigen einfangen und
zurückbringen sollen, und erwarte mit Ungeduld jeden Augenblick
ihre Rückkehr."
"Hieß es nicht gerade eben, die Braut habe Kopfschmerzen?"
"Ja...., nein...., also, das ist...."
"Ihr beide wollt wohl den Herrn Higami zum Narren halten?", sprach Gobaiji.
Seine Alkoholfahne streifte das Ehepaar. Er war dafür bekannt, im Rausch gewalttätig zu werden.
"Zum Narren...? Das würde ich mir niemals gestatten.... Zum Beweis...."
Hikiroku rief nach der obersten Dienstmagd und befahl ihr, das Schwert,
das an einer bestimmten Stelle im Vorratsspeicher liege, herbeizuholen.
"Im Hause Ôtsuka wird als geheimer Schatz das berühmte Schwert Murasame
verwahrt. Es verfügt über den Zauber, dass aus seiner Klinge,
wenn man es zieht und schwingt, ein Wasserstrahl wie Dorfregen
hervorsprüht. Ich hatte vor, es eines Tages dem Herrn
Shogunatsfürsten zu verehren, aber gestatte mir nunmehr, es dem
Herrn Kommandanten als Entschädigung für das Missgeschick dieses
heutigen Abends untertänigst zu offerieren. Wie wäre es
möglich, dass ich, der dem Herrn Kommandanten mit aufrichtigem Sinn
solch einen Schatz überreicht, den hohen Herrn zum Narren halten
könnte....!"
Er wiegelte mit der Hand beschwichtigend ab.
Nun brachte die oberste Magd das befohlene Schwert.
"Das..., das ist es!"
Kyûroku ergriff es, entnahm es der Scheide, hielt es an den Lampenständer und besah sich die Klinge.
"Da soll Wasser herausspritzen?"
Er schwang es durch die Luft. Wasser kam nicht heraus.
Er versuchte es ein weiteres und ein drittes Mal, aber nichts Ungewöhnliches geschah.
Hikiroku und Kamezasa waren bestürzt. Gestern Abend hatten sie doch mit eigenen Augen gesehen, wie das Wasser sprühte!
"Das kann nicht sein. Schwingt es stärker!"
Kyûroku wirbelte es noch einmal kräftig, so kräftig,
dass die Klinge den Pfeiler hinter ihm traf, sich aber nur verbog,
anstatt ins Holz einzuschneiden.
"Das soll ein berühmtes Schwert sein?", brüllte Kyûroku
zornentbrannt. "Da fällt mir gerade ein, dass ihr mir schon von
Anfang an mit lauter Ausreden wie 'die hat schon einen Verlobten'
gekommen seid. Wie man's auch dreht, die Verbindung mit mir hat euch
wohl nicht gepasst. Hättet ihr nur einfach abgelehnt, na gut. Aber
dass ihr euch einen Spaß mit dem neuen Truppenkommandeur machen
wollt...!"
"Ga...ga...gar nicht! Es muss irgendein Missgeschick geschehen sein!"
"Meint ihr vielleicht, dass der so veralberte Kommandant Higami von den Bauern dieses Distrikts noch respektiert wird?"
Hikiroku sah, wie die Hand des Kommandanten nach seinem neben ihm
liegenden Schwert griff, schrie laut um Hilfe und drehte sich um.
"Du Strolch!", rief Kyûroku und erschlug ihn über den Tisch hinweg.

Betrunken neigte Nurude Gobaiji zu Gewalttätigkeit
Kamezasa, durch diese hemmungslose Mordtat vom Blut ihres
Gatten besudelt, stieß einen Laut wie eine Geisterkatze
aus und versuchte, auf allen Vieren davonzukriechen. Gobaiji, der das
sah, bekam einen ebensolchen Wutanfall wie sein Herr und rief:
"Du niederträchtige Alte, du hast mich gehörig blamiert!"
Er stieß mit dem Fuß den Tisch um und schlug Kamezasa tot.
Da lagen sie nun, Hikiroku und Kamezasa, verkrümmt zwischen Sake
und Blut, über den Boden verstreuten Essschalen und Speiseresten.
Sämtliche Knechte und Mägde des Hauses Ôtsuka nahmen
die Beine in die Hand und rannten davon.
Jetzt erst kamen Kyûroku und Gobaiji ein wenig zur Besinnung. Auf
das reglos darniederliegende Ehepaar Ôtsuka blickten sie wie
verwundert nieder. Schließlich sagte Kyûroku:
"Gehen wir!"
Gobaiji brummte drohend, als wollte er sich vor jemandem
rechtfertigen: "Totschlag wegen Unbotmäßigkeit wider die
Armeeführung."
Den hinwegschreitenden Offizieren folgten die Amtsleute nach, die
dieser Tragödie mit ausdruckslosen Gesichtern zugeschaut hatten.
Aus dem Anwesen, das nun eigentlich menschenleer sein sollte,
hörte man aber jemanden rufen.
"Wartet noch!"
Es war Sôsuke, der von dem Hügel
Maruzukayama bei Hongô zurückgeeilt war. Schon als er zum
Tor hereinkam, erkannte er sofort, dass etwas
Ungewöhnliches im Gange war. Von den anderen Bediensteten erfuhr
er, dass am späten Nachmittag der Herr Kommandant mit einer
Sänfte als Bräutigam hergekommen und nach Einbruch der
Dunkelheit Hamaji verschwunden sei; offenbar sei sie von Aboshi
Samojirô entführt worden. Wegen des Verschwindens seiner
Braut sei der Herr Kommandant in Wut geraten, habe den Hausherrn und die
Gnädige gerade zu sich zitiert und ausgescholten.
Zu diesem Zeitpunkt war aus dem Gästesaal ein lauter Schrei und
anschließend der Lärm eines wilden Durcheinanders zu
hören. Sôsuke rannte quer durch den Garten, sprang, ohne
die Strohsandalen abzulegen, in den Saal und erblickte dort die
übel zugerichteten Leichen seines Herrn und dessen
Gattin.
Sôsuke wusste nun alles. Nun ja, nicht alle Einzelheiten,
aber die Zusammenhänge der Geschehnisse fügten sich in
seinem Kopf zu einem stimmigen Bild zusammen.
Seine Herrschaften waren gewiss keine unschuldigen Opfer. Hamajis
grausamer Tod war ihre Schuld. Und nicht nur das; er kannte ihre
Bosheit und Gier schon seit langer Zeit sehr gut. Ihr Ende war der Lohn
für ihre Untaten. Auch ihm gegenüber waren sie unmenschliche
Dienstherren gewesen. Aber ganz
gleich wie unmenschlich, der Herr ist der Herr, und hatte er
Sôsuke auch wie einen Fronknecht behandelt, schuldete dieser
seinem
Herrn dennoch Dank dafür, dass er ihn jahrelang großgezogen
hatte.
Stillschweigend mitanzusehen, wie er umgebracht
wurde, verstieße gegen sein Pflichtbewusstsein. Und obendrein
war der direkte Anlass für Hamajis Tod die Wolllust dieses
ruchlosen Kommandanten gewesen. Selbst wenn es sich um einen Kommandanten handelte,
die Strafe für seine Missetat musste er bekommen. Wenn Sôsuke
dem Fürsten, Herrn Ôishi, hinterher diese Schandtaten berichtete, würde er sicher Verständnis
aufbringen.
Dies ging Sôsuke alles blitzschnell durch den Sinn. Obwohl er wie
ein furchtloser Schlagetot aussah, war er doch ein junger Mann mit
ungemein starkem Pflichtbewusstsein und geradezu rationalem Denken.
Deshalb hatte er dem davonschreitenden Kommandanten und seinen Leuten soeben
zugerufen, sie sollten warten.
"Ich bin ein niedriger Bediensteter dieses Hauses mit Rufnamen
Gakuzô. Soll ich etwa den Kommandanten, der meinen Herrn
erschlagen hat, einfach laufen lassen? Wartet, ich will den Mörder
meines Herrn zur Rechenschaft ziehen!"
Er zog das Kurzschwert, das er an der Seite trug, und trat frech auf
den Bohlengang zum Innenhof. Außer sich vor Zorn kamen
Kyûroku und Gobaiji mit blank gezogenen Waffen auf ihn
zugestürmt. Nach einem heftigen Kampf schlug Sôsuke den
Kyûroku über die Balustrade in den Hof hinunter. Die Amtsleute in seinem
Gefolge schulterten Gobaiji, der verletzt worden war, und rannten
davon, als ginge es um ihr Leben.
Inukawa Sôsuke und die Kristallkugel mit dem Schriftzeichen GI
Angesichts der dramatischen Geschehnisse waren alle Bediensteten des
Hauses ängstlich fortgelaufen. Nur ein alter Mann heftete sich an Sôsukes Fersen und sagte mit gepresster Stimme:
"Wie willst du eigentlich mit den Folgen fertig werden, Gakuzô?
Wir Leute aus diesem Anwesen sowieso, aber auch alle im Dorf werden
für diese Vorfälle verantwortlich gemacht und zur Hinrichtung
verurteilt werden."
Mit ruhiger Miene erwiderte Sôsuke:
"Nein, euch im Dorf wird kein Haar gekrümmt werden. Ich nehme alle Schuld auf mich."
Selbst wenn jemand ein Kommandant ist, kann es nicht angehen, dass er sich
wider alle Vernunft einfach zum Bräutigam erklärt, und mag ihm auch
die Braut fortgelaufen sein, darf es nicht geschehen, dass er deshalb
seine Schwiegereltern ungestraft umbringt. Um sich selbst machte Sôsuke sich keine Sorgen.
Am folgenden Tag kam kurz vor Mittag ein Offizier mit Namen Isagawa
Anpachi aus dem Armeehauptquartier mit einer Hundertschaft Leichtbewaffneter.
Ohne Furcht erläuterte Sôsuke alle Geschehnisse, die zu dem
Vorfall des Vorabends geführt hatten. Da schnitt ihm ein Mann, der
bei Isagawa Anpachi stand, offenbar ein Kollege war
und Sôsuke mit boshaftem Grinsen angestarrt hatte, das Wort
ab:
"Still, halt den Mund, was faselst du da? Meinst du, wir wüssten
nicht Bescheid? Du glaubst doch wohl selber nicht, dass ein Herr vom
Stand eines Truppenkommandanten die Tochter eines Dorfschulzen zur Frau nehmen würde. Mir hat
Herr Nurude Gobaiji, der gestern Abend mit knapper Not deinem
Mordanschlag entgangen ist, berichtet, dass mein Bruder auf Dienstreise
in das Anwesen getreten sei, um sich ein warmes Bad zu erbitten."
Dieser Mann war also Shahei, der Bruder des Higami Kyûroku.
"Ich gehe davon aus, die Sache mit der verschwundenen Tochter des
Hauses bedeutet, dass deren Verlobter oder Geliebter mit Namen
Inuzuka Shino schon vorher
mit ihr ausgerissen ist. Er wird sich
mit ihr abgesprochen und sie herausgelockt haben. Und du hast ihm
dabei mitgeholfen!", brüllte Higami Shahei. "Der Beweis dafür
ist, dass Aboshi Samojirô, dem du die Schuld zur Entführung
in die Schuhe schiebst, zusammen mit drei weiteren Männern heute
früh an den
Hügeln bei Hongô tot aufgefunden worden ist. Und wo ist der
Mörder? Das bringt kein Einzelner zustande. Es ist so gut wie
sicher, dass Inuzuka Shino und du diese Morde gemeinsam begangen habt!"
Isagawa Anpachi schob sein Kinn vor.
"Festnehmen, den Kerl!"
Der verdattert dastehende Sôsuke wurde gefesselt und abgeführt.
⑦
An demselben Tag, nämlich dem 21.Tag des 6.Monats, hatte der
bedauernswerte Inuzuka Shino noch immer nicht bemerkt, das sein Schwert
vertauscht worden war.
Nein, das stimmt nicht. Shino wusste es inzwischen. Aber als er es erfuhr, war es
schon zu spät.
Am Vortag hatte er die drei Meilen von Kurihashi
bis zum Ziel Koga zurückgelegt und noch am selben Tag bei dem
Anwesen von Yokobori
Arimura, dem Vogt des Shogunatsfürsten der Burg Koga, vorgesprochen.
"Ich bin Inuzuka Shino, ansässig im Lehen Ôtsuka im Lande Musashi, und Sohn eines getreuen und Euch wohl längst bekannten Vasallen des verstorbenen Fürsten Ashikaga Mochiuji. Ich bin gekommen, um das wertvolle Schatzschwert Murasame
seinem Besitzer zurückzuerstatten, das der einstige Fürst
meinem verstorbenen Vater zur Verwahrung anvertraut hatte. Ich ersuche
daher untertänigst, mir eine Audienz bei Eurem Herrn, dem
Fürsten, zu ermöglichen."
Es dauerte eine Weile, dann kam der Adjutant wieder heraus und richtete aus:
"Man wird morgen früh einen Boten zu Eurer Herberge schicken, der
Euch abholen wird. Begebt Euch unter dessen Führung zur Audienz
bei dem Fürsten."
Shino kehrte in seine Unterkunft zurück. Und jetzt fiel ihm
endlich ein, vor der Übergabe das Schwert doch noch einmal zu
überprüfen. Tief in der Nacht entnahm er Murasame der
Hülle und zog es aus der Scheide. Die Klinge, die er vor die Lampe
hielt.... Er brauchte nur einen Blick darauf zu werfen, um zu
erkennen, wie miserabel sie geschmiedet, gekörnt und geschliffen war.
Schlagartig entwich ihm das Blut aus dem Gesicht. Er brauchte gar nicht
erst zu versuchen, das Schwert zu schwingen; das war nicht Murasame. Es war ein stumpfes Ding, das dem echten Schwert nur ein wenig ähnlich sah.
Ähnlich sah? Shino war verwirrt und besah sich Griff, Stichblatt und Scheide - das alles sah aus wie bei Murasame. Nein, es waren tatsächlich die Originale von Murasame. Es konnte nicht anders sein, als dass jemand die Niete gelöst und die Klinge vertauscht hatte.
Shino riss die Augen auf.
Jetzt fiel es ihm ein.
"Da muss das passiert sein!"
Das einzige Mal, dass ihm Murasame, das er immer
mit sich trug, kurz aus den Augen kam, war auf dem Fluss
Kaniwagawa gewesen, als er in den Fluss gesprungen war, um seinen ertrinkenden
Onkel zu retten. Dabei war Aboshi Samojirô allein im Boot
geblieben. Sein Onkel Hikiroku hätte ihn dort beinahe
ertränkt, und als das schief gegangen war, musste er versucht
haben, ihn durch die Übergabe eines gefälschten
Schwertes an den Fürsten in
eine Lage zu bringen, die für ihn tödlich enden würde.
Das war eine Arglist von solcher Gehässigkeit, dass Shino das Blut
in den Adern gerinnen wollte. Aber jetzt war nicht der rechte
Zeitpunkt, sich zu ereifern. Gut, dass er es im
allerletzten Augenblick, gerade noch vor der Überreichung,
entdeckt hatte! Shino erschauderte.
Was er jetzt zu tun hatte, war klar. Auf der Stelle zurück nach Ôtsuka und das echte Schwert holen.
Aber das tat Shino nicht. Es wäre eine eigenmächtige Flucht
gewesen. Wenn er jetzt, nachdem er nun einmal seinen Namen und sein
Anliegen dem Burgvogt Yokobori Arimura von Koga kundgetan hatte, bei
Nacht und Nebel davonliefe, würde man ihn, falls er erneut um
eine Audienz zur Schwertübergabe ersuchte, kein zweites Mal
vorlassen. Und außerdem gestattete seine Ehre ihm ein derartiges
Verhalten nicht. Morgen würde er erst einmal bei Herrn Yokobori,
dem
Vogt, um Entschuldigung bitten und anschließend nach Ôtsuka
zurückkehren. So beschloss es Shino, der nicht nur aufrichtig,
sondern mehr noch von jugendlich arglosem Wesen war.
Nach einer Nacht, in der Shino kaum ein Auge zutat, kam der Morgen. Von
Seiten des Burgvogts Yokobori erschienen zwei Samurai, um Shino
abzuholen. Er äußerte seine Bitte um ein Gespräch mit
Herrn Yokobori, bevor er die Burg aufsuchen würde. Die Samurai
erwiderten, der Herr Burgvogt habe sich bereits zur Burg begeben, dort
würde er ihn antreffen. Shino blieb nichts übrig, als mit zur
Burg zu gehen.
Die Burgen waren zu jener Zeit nicht
allzu riesig und prachtvoll, aber immerhin war dies die Burg, in der der
Shogunatsfürst der Kantô-Region residierte. Das Hauptgebäude war
dreistöckig, und sein Anblick, hoch zu den Wolken am Sommerhimmel
aufragend, wirkte auf Shino, der bis dahin kaum jemals über
Ôtsuka hinausgelangt war, erdrückend imposant. Er wusste
zwar, dass das Hauptgebäude der Burg den Namen
Hôryûkaku trug, aber solche riesigen Ausmaße, die sein
Herz klopfen ließen, und diese trutzige Gestalt machten Shino
jetzt doch etwas beklommen.
Japanische Burg (in Nagoya, fünfstöckig - die von Koga steht nicht mehr)
Nach dem Eintrtt in die Burg bat Shino erneut um ein Gespräch
mit dem Vogt Yokobori, aber seine Begleiter ließen sich nicht darauf ein, sondern erwiderten ein ums andere Mal:
"Der Herr Burgvogt weilt an der Seite des Fürsten; falls Ihr ein
Gesuch an ihn richten wollt, steht es Euch frei, dies beim offiziellen
Empfang zu tun."
Wie er reagieren müsste, falls es zum Äußersten
käme, darauf war Shino schon gefasst. Man hatte ihm auf dem Weg
sein eigenes Schwert vom Gürtel abgenommen, und auch das
Schwert Murasame
müsse
bis zum Zeitpunkt der Überreichung verwahrt werden, hatte der eine
der beiden Samurai gesagt, die ihn rechts und links flankierten,
kräftig gebaut wie Sumô-Ringer, und es sich samt Beutel
aushändigen lassen. So wurde Shino in den Empfangssaal
geführt.
Zu beiden Seiten des Saales saß eine gewaltige Anzahl von
Gefolgsleuten des Fürsten aufgereiht; am Kopfende gab es ein
Podest,
vor dem sich ein Ständer mit einem Vorhang befand, und davor
hatte Burgvogt Yokobori Arimura Platz genommen. Er stellte die
hochmütige, ausdruckslose Miene eines Machtmenschen zur Schau, der hier offenbar viel zu sagen hatte.
"Du bist das also", sprach Arimura.
Shino neigte sein Haupt formell zum Boden. Der Vorhang ging hoch, und
das junge, ungeduldig wirkende Gesicht des Fürsten Shigeuji wurde
sichtbar. Arimura stellte Shino mit Namen und Herkunft vor und
erläuterte, was es mit dem berühmten Schwert Murasame auf sich habe, das von dem alten Adelsgeschlecht der Genji her bis zum Haus Ashikaga überliefert worden war.
"Deine Absicht ist wahrhaft edel. Auf, zeig es her!"
Auf diesen Befehl hin rutschte der Samurai, der das Schwert hielt, auf den Knien hervor.
Samurai in korrekter Haltung vor ihrem Herrn
"Wartet einen Augenblick!", presste Shino mit einer Stimme hervor, als
müsste er Blut spucken. "Es tut mir wahrhaft unendlich
leid, aber dieses Schwert ist nicht Murasame."
"Was soll das heißen?"
"Mir fehlen die Worte, mich für das Missgeschick zu rechtfertigen,
aber gestern Abend bemerkte ich, dass die Klinge des Schwertes, das ich
mitzubringen beabsichtigte, vorher durch irgendjemanden vertauscht
worden ist," sprach Shino ächzend. "Seit dem Morgen versuchte ich
fieberhaft, diesen beklagenswerten Sachverhalt kundzutun, aber mir
wurde keine Gelegenheit dazu geboten. Ich ersuche
untertänigst, mir einige Tage zu gestatten, um das echte Murasame zu holen und Euch erneut darzureichen. Gewährt mir bitte einen kleinen Aufschub."
Yokobori Arimura, der die ganze Zeit über Shinos Gesicht angestarrt hatte, brüllte:
"Du bist ein Spion! Dass du ausgerechnet jetzt erst bemerkt haben
willst, dass das Schwert, das du seiner Hoheit, dem Fürsten,
überrechen willst, vertauscht wurde, ist ein falsches Spiel, eine
Kinder-Ausrede! Mit dieser Finte bist du gekommen, um die Anlage dieser
Burg auszukundschaften. Für wen spionierst du?"
"Ganz und gar nicht! Ich schwöre bei allen Gottheiten des Himmels und der Erde....", wand sich Shino.
"Packt ihn und holt aus ihm die Wahrheit heraus!"
Auf diesen Wutausbruch Arimuras hin stürzten sich die zwei Samurai, die ihn
rechts und links flankierten, auf Shino. Erst ging er einmal zu Boden,
im nächsten Augenblick war er aber wieder auf den Beinen und warf
die beiden Samurai so hart nieder, dass der Boden bebte. Der
groß gewachsene, aber blütenzart anmutende Shino besaß
Bärenkräfte, die ihm niemand ansah.
"Ha, der Kerl ist tatsächlich ein Eindringling!", brüllte Arimura. "Auf ihn, der muss bestraft werden!"
Die Schiebetüren hinter den aufgereihten Vasallen wurden mit einem
Ruck aufgerissen, und die dort bereit stehenden Gardisten
stürmten, die einen mit gezogenen Schwertern, andere mit
Spießen, wie eine Lawine in den Saal herein.
Dass Gardisten vorsichtshalber zum Kampf bereit standen, war in jenen Kriegszeiten auf den Burgen üblich.
Shino wich ihnen aus, flink wie
ein fliegender Vogel, packte den Arm des ersten, der ihn mit
geschwungenem Schwert totschlagen wollte, und während er ihn zu
Boden trat, entwand er ihm zugleich das Schwert. Wegen eines solchen
dämlichen Verdachts lasse ich mich doch nicht gleich umbringen,
mochte sich Shino gedacht haben, aber mehr noch war es eine
Reflexhandlung seines jugendlichen Temperaments.
Wohin sein Schwert reichte, spritzte das Blut; er selbst wurde auch an
etlichen Stellen verwundet, aber das war unvermeidlich, weil er so
aufgeregt war. In jungen Jahren war er zwar in der dörflichen
Schwertkampfschule durch Akaiwa Ikkaku ausgebildet worden, und dann
hatte er mit seinem Partner Sôsuke heimlich im Wald von Musashino
weitergeübt; aber das alleine war es nicht, sondern es kamen noch
Shinos Kraft und vielleicht eine Naturbegabung hinzu - nach wenigen
Minuten des Kampfes lagen sieben oder acht tote Gardisten am Boden,
und die Samurai von Koga gaben ihm unwillkürlich den Weg frei.
Shino entkam in den Burggarten. Dieser war auf drei Seiten von einer
Lehmmauer umgeben. Shino nahm das Schwert zwischen die Zähne,
kletterte den Stamm einer Kiefer hinauf und schwang sich von da aus auf
das erste Dach des Gebäudes, und von diesem auf das nächste
Dach. Dort tauchte über ihm das oberste Stockwerk des
Hôryûkaku auf. Wenn er da
hinaufkäme, könnte er von oben einen Fluchtweg sehen, dachte
Shino, und schickte sich an, auf das dritte der übereinander
gebauten Dächer zu steigen. Es war vielleicht eine Art von
Aufbäumen eines Menschen, der in einer ausweglosen Notlage nicht mehr weiter weiß.
Von hier aus, vom Dach des Hauptgebäudes Hôryûkaku
aus, war die gesamte Anlage unter Shino mit einem Blick zu
erfassen, aber unten am Boden, der zwischen den Dachziegeln von Burg,
Vorratshäusern und Mauern sichtbar war, liefen überall Leute
umher. Vor allem unter dem Hôryûkaku wimmelte es
dermaßen von schwertschwingenden Kämpfern, dass der Erdboden
kaum zu sehen war. Nur auf einer Seite war eine weite, freie
Fäche; das war der große Fluss Tonegawa, der dort breit an
der Burg Koga entlangströmte.
Burg Koga (durch AI erstellte Szene im Film, Shino rechts oben auf dem Dach)
Shino verzog sein Gesicht zu einem verzweifeltem Lächeln. Hier gab
es keinen Fluchtweg mehr. In diesem Bewusstsein strich sich Shino sein
wirres Haar zurecht, riss sich seinen zerfetzten linken Ärmel an
der Schulter ab und wischte das Blut von seinem Schwert und aus seinen
Wunden überall am Leib ab.
Von unten her sah Shino bei dieser Tätigkeit aus wie eine
Krähe, die vor dem Hintergrund des blauen Himmels in aller Ruhe
ihr Gefieder putzt.
"Holt den runter!", schrie Shigeuji, der in den Burggarten getreten war
und nach oben hinaufblickte. "Der ist auch von außerhalb der Burg
zu sehen. Wenn dem niemand Einhalt gebietet, ist das Ansehen der Burg
dahin!"
Keiner der Samurai trat freiwillig vor. Bis der Eindringling dorthin
gelangt war, hatten ihn schon etliche Kämpfer verfolgt, waren aber
alle von ihm vom Dach hinuntergetreten oder -gehauen worden, und
aller Augen hatten den entsetzlichen Tod der aus solcher
Höhe Abstürzenden miterlebt. So traute sich erst recht
niemand auf das
schräg geschwungene dritte Ziegeldach, wo die Füße
kaum Halt finden. "Traut sich denn keiner? Ist kein Mann mit Mumm
unter den Vasallen des Shigeuji?", brüllte Shigeuji mehrmals.
Da schlug sich Yokobori Arimura, der mit gedankenschwer gesenktem Kopf an seiner Seite kniete, auf die Schenkel.
"Mein Herr, ich weiß jemanden, der dazu taugt. Ja, nur der kann das schaffen!"
"Wen meinst du?"
"Den Inukai Genpachi."
"Inukai Genpachi?"
"Ja, der Mann, den man den besten Schüler des vor drei Jahren
verstorbenen großen Schwertkampfmeisters Nikaimatsu Yamashironosuke nennt. Er ist ein Sohn unseres früheren
Kommandeurs der Fußtruppen, Inukai Genbei, aber nicht sein leiblicher, sondern ein Adoptivsohn unbekannter Abstammung. Im
Frühling wurde er zum Dienst als Kerkermeister
befohlen, aber er war so unverschämt, um seinen Abschied aus Eurem
Dienst zu ersuchen, weil ihm diese Aufgabe nicht gut genug war, und
wurde daraufhin auf der Stelle wegen anmaßenden Betragens eingekerkert."
"Aha."
"Er ist zwar ein junger Querkopf, taugt aber wie kein anderer dazu, diesen
Eindringling zu erledigen. Und selbst wenn auch er heruntergehauen
werden sollte, kann uns das im Grunde egal sein."
"Gut, ruft ihn her!"
Der Mann wurde umgehend aus dem Kerker herbeigeholt. Inukai Genpachi war
etwas über zwanzig; seinem Gesicht und Auftreten nach war er ein
bespiellos furchtloser, gewaltiger Kämpfer und besaß einen
Körper, der aus Eisen geschmiedet zu sein schien. Auf seiner
rechten Wange trug er ein schwarzes Muttermal. Dieser Mann, der es
abgelehnt hatte, sich als Kerkermeister herzugeben, nahm
nun den Befehl, jenen Spion von irgendwoher, der die Burg
ausgekundschaftet, eine große Zahl von Burgrittern
totgeschlagen und auf dem Dach des Hôryûkaku Zuflucht
gesucht hatte, schnellstmöglich abzustechen, freudig an.
"Es ist mir eine Ehre!"
Er verlangte nur nach einem Kurzschwert.
"Einen solchen Eindringling will ich dazu bringen, dass er zugibt, wer
er ist und wo er herkommt. Ich bringe ihn nicht um, sondern fange ihn
ein und nehme ihn ins Verhör."
Genpachi bekam nicht nur ein Kurzschwert, sondern auch Kettenhemd,
Kürass, Fechthandschuhe, Beinschützer und, für alle
Fälle, ein Langschwert ausgehändigt. So ausstaffiert lief er
sofort in das Hauptgebäude Hôryûkaku hinein
und erschien an einem Fenster im dritten Stockwerk mit einer langen
Leiter, über die er schnell wie der Wind auf das Dach geklettert
kam, auf dem sich Shino befand. Er rief:
"Ich bin Inukai Genpachi im Dienste des Hauses Ashikaga. Du Narr,
der als Spion in die Burg eindrang, sich wie ein Wilder
aufführte und, obwohl entlarvt, nach Herzenslust unsere Leute
tötete und verwundete, du steckst in einer ausweglosen Falle.
Ergib dich folgsam der Gefangenschaft!"
Shino, der auf dem Dachfirst stand, lachte auf, dass seine starken weißen Zähne sichtbar wurden.
"Mach dich auf Übles gefasst, wenn du mir nahekommst.
Ich werde dich als guten Kameraden mit in den Tod nehmen. Komm nur her!"
Genpachi stürmte los. Auf dem Dach des Hôryûkaku begann der unvergleichlich heftige Kampf der beiden jungen Männer, die weder die
glühend heißen Ziegel noch die gefährliche Schräge
des geschwungenen Dachs fürchteten. Die Klingen blitzten, die
Schwerter wirbelten.
Unter den blendendweißen Kumuluswolken hatte es den Anschein, als
kämpften dort oben zwei wilde Vögel; dem von unten am Boden
heraufblickenden Shigeuji und seinen Leuten liefen Schauder über
den Rücken; atemlos verfolgten sie den Kampf. Wenn der eine sah,
wie der andere auf den Ziegeln den Halt verlor, stürmte er auf den
anderen los, ha, jetzt hab ich dich, verlor aber selbst den Halt - so
wogte der Kampf etliche Minuten hin und her, und am Ende balancierten
sie, die Klingen von Schwert und Kurzschwert fest gegeneinander
gepresst, auf dem Dachfirst wie zwei Puppen, die jemand dort
tanzen ließ. Nun waren sie einander so nahe, dass sie ihre
Gesichter und Oberkörper genau sehen konnten, da....
"Ha....!?" --- "Ho....?!", riefen sie beide. Das war kein
Kampfgebrüll, sondern ein Schrei der Überraschung.
Inuzuka Shino hatte das Muttermal auf Genpachis rechter Wange erblickt.
Er sah es genau und erkannte es sofort. Es hatte unverkennbar deutlich
die Form einer Päonienblüte. Und gleichzeitig erblickte
Genpachi auf Shinos rechtem Oberarm, von dem dieser sich zuvor den
Ärmel abgerissen hatte, dessen Mal, das ebenso klar die Form einer
Päonienblüte aufwies.
"Ihr seid....!", riefen beide aus und ließen die Arme sinken. Das
hatte zur Folge, dass sie die Balance verloren. Sie taumelten und
rutschten, sich aneinander festhaltend, die Dachziegel hinab und
stürzten dann im freien Fall durch die Luft....
....in die Welt des Bandô Tarô, weit unter sich. Dort war
ein kleiner Kahn festgebunden. Die beiden krachten
wie Kanonenkugeln auf das Schifflein, dass das Wasser hoch
aufspritzte, und das Seil, mit dem der Kahn angebunden war, riss. Mit
den beiden jungen Kampfgegnern, die sich nicht mehr rührten, trieb
das Schiff auf die Wellen des breiten Flusses Tonegawa hinaus und glitt
im Nu
flussabwärts davon.