②
An
einem Abend im Frühling desselben 2.Jahres Bunmei fochten zwei
Männer in einer Kampfschule des Dorfs Ôtsuka im Distrikt
Toshima des Landes Musashi mit Holzschwertern. Nun ja, Kampfschule - es
war einfach ein großes Bauernhaus, das innen ganz mit Holzlatten
verkleidet war. Der eine Kontrahent mochte Mitte dreißig sein und sah
kräftig gebaut aus; er war der Leiter der Kampfschule und
hieß Akaiwa Ikkaku. Sein Widerpart war um die Mitte vierzig und
wirkte etwas kränklich; es war der Dorfschullehrer namens Inuzuka
Bansaku. In einer Ecke der Kampfschule hockten vier oder fünf
Jungen beieinander, es mochten Schüler aus dem Dorf sein, die mit
erschrockenen Blicken dem Kampf zusahen, und außerdem noch
ein Junge und ein Mädchen, die um die elf oder zwölf Jahre
alt waren und alle beide Gesichter machten, als müssten sie
gleich weinen.
Im Land Musashi,
von Awa aus knapp 100 km in nordwestlicher Richtung, lag seinerzeit die
Domäne von Edo, die aus verstreut liegenden Festungen und darum
herum gebauten Dörfern bestand. Es handelt sich um das heutige
Tôkyô. Toshima ist
heutzutage eines seiner Arrondissements, Ôtsuka ein Stadtviertel
in dessen Zentrum.
Eine Kampfschule,
auf Japanisch Dôjô, bildet junge Männer (heute auch
Frauen) in Kampfsportarten aus. Auch Jûdô, Aikidô,
Karate und andere bei uns populäre japanische Sportarten werden in
einem Dôjô trainiert. Der noch heute praktizierte Kampfsport mit Holzschwertern heißt Kendô.
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Beim üblichen Training mit Holzschwertern geht es nur darum,
blitzschnell einen formellen Angriff zu parieren, aber dieser Zweikampf
sah nicht so aus. Man konnte meinen, es ginge um Leben und Tod. Nein,
das nicht, aber vor dem Kampf hatte Inuzuka Bansaku seinem Gegner
zugerufen und ihn gewarnt:
"Herr Akaiwa, wenn es ans Fechten geht, kann es sein, dass mich ein echter Kampfgeist übermannt...!"
Dem Augenschein nach sollte man meinen, der
kränkliche Bansaku sei hoffnungslos unterlegen, aber nach den
ersten Hieben sah man, dass er den Ikkaku in die Defensive
zwang.
"Hep!"
Bansaku tänzelte zum Angriffshieb vor. Ikkaku parierte mit
Mühe. Bansaku schien auf dem linken Bein zu hinken. Der
zunächst ins Hintertreffen geratene Ikkaku ging aber nach sieben
oder acht heftigen Schlagwechseln zu einem wilden Gegenangriff
über.
"Herr Vater!", schrie das Mädchen.
Inuzuka Bansaku flog durch dem gewaltigen Hieb nach hinten, und
weil eines seiner Beine lahmte, verlor er das Gleichgewicht und knallte
mit dem Rücken gegen die Lattenwand. Akaiwa Ikkaku, der im Begriff stand,
ihm nachzusetzen und weiter anzugreifen, stand jedoch auf einmal starr wie ein
Stock, die Augen vor Angst weit aufgerissen.
"Herr Vater!", rief diesmal der Junge.
Bansaku, der mit dem Rücken an die Wand gekracht war, federte
zurück und setzte zu einem wahnwitzigen Gegenhieb an, und Ikkaku bekam
das Holzschwert voll auf die Schulter, als ob er völlig vergessen
hätte, sich zu wehren.
"Vorbei!", rief er. Inuzuka Bansaku warf sofort das Holzschwert fort und
sank wie gefällt im Schneidersitz auf den Boden. Sich mit
beiden Händen abstützend, schnappte er nach Luft. Akaiwa
Ikkaku starrte zur Eingangstür und rief wütend:
"Gakuzô, wieso hast du eine Katze mit in die Kampfschule gebracht?"
Einige Jungen waren offenbar der Katze, die durch den Eingang
geschlüpft war, nachgelaufen. Jetzt endlich konnte der etwa
Zehnjährige das Tier eilig einfangen und auf den Arm nehmen.
"Äh, ja, ....", antwortete der Junge mit stockender Stimme.
"Der Yoshirô von Herrn Inuzuka hat den Kater gejagt!"
"Das ist mir schnurz, bring das Biest bloß schnell fort!"
"Jawohl!"
Der Junge mit seinem Seil als Gürtel um die Latzhose machte sich mit der Katze auf dem Arm schleunigst davon.
"Herr Vater!" Das Mädchen kam gelaufen und schmiegte sich an Bansaku.
Kabuki-Schauspieler Morita Kanya XI in der Rolle des Inuzuka Bansaku (Holzschnitt des Ukiyoe-Meisters Utagawa Kunisada II)
"Herr Inuzuka, seid Ihr unversehrt?", fragte auch Ikkaku, der sich nun zurückwandte und besorgt auf Bansaku niedersah.
"Ja, ich bin heil." Bansaku hob endlich den Kopf. "Es ist lange
her, dass ich einen derartigen Zweikampf ausfocht. Ich schäme
mich, dass ich eine Schwäche gezeigt habe. An Euch, Herr Akaiwa, reicht so jemand wie ich nicht heran!"
"Nein, verloren habe ich. Trotz Eurer Behinderung. Mein Respekt!"
"Was denn, Ihr habt doch soeben plötzlich die Gegenwehr eingestellt!"
"Nein, nein. Wenn wir mit scharfen Klingen wie auf dem Schlachtfeld
gekämpft hätten, wäre ich vorher zweifellos schon
erschlagen worden."
Ikkaku ergriff Bansakus Hand und zog ihn hoch. Die Schüler, die
zuvor in dieser Kampfschule miteinander geübt hatten, waren
erschrocken, als ihr Lehrmeister Akaiwa und der mit ihm eng befreundete
Dorflehrer Inuzuka, die bis dahin in einer Ecke miteinander Sake
getrunken hatten, auf einmal hervorkamen und verkündeten, sie wollten
einen Kampf austragen. Sie waren wirklich erleichtert, dass es jetzt so
glimpflich ausgegangen war.
Hierzu gibt es zu berichten, dass Akaiwa Ikkaku vor drei Jahren in
dieses Dorf gekommen war. Er war ein Schwertkämpfer aus
Shimotsuke, bewunderte aber den berühmten Schwertkampfmeister
Nikaimatsu Yamashironosuke aus Koga im Land Shimôsa und hatte
samt Weib und Tochter seine Heimat verlassen, um dessen Schüler zu
werden. Unglücklicherweise traf er erst, kurz nachdem
Yamashironosuke zu einer Tour durch die Provinzen abgereist war, dort ein. So
ging sein Wunsch nicht in Erfüllung; er beschloss, sich vorerst hier in Ôtsuka niederzulassen und auf die
Rückkehr des Meisters zu warten. Um seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten, eröffnete er die Schwertkampfschule, und in diesen
kriegerischen Zeiten, in denen es im Reich drunter und drüber ging,
waren auch viele einfache Leute in den Dörfern erpicht, sich in
der Kampfkunst ausbilden zu lassen oder doch wenigstens den Umgang mit
dem Schwert zu lernen, um sich im Notfall wehren zu können,
weshalb die Schule durchaus florierte.
Mit dem Dorflehrer Inuzuka Bansaku, der hier in Ôtsuka lebte und
ebenso wie Akaiwa Ikkaku dem Samuraistand angehörte, verstand er
sich prächtig. Bansaku ließ sein einziges Kind in die
Kampfschule eintreten, und Ikkaku schickte seinen einzigen Sohn in die
Privatschule, in der Bansaku Lesen und Schreiben lehrte. So eng waren
sie
miteinander befreundet.
Im vergangenen Winter aber war Ikkakus Gattin an einer Krankheit
gestorben und Yamashironosuke noch immer nicht zurückgekommen.
Infolgedessen gab Ikkaku schließlich auf und beschloss, in seine
Heimat Shimotsuke zurückzukehren. Die Abreise war für den
morgigen Tag geplant. Deswegen war vorhin Bansaku gekommen, um mit
seinem Freund zum Abschied einen Schluck Sake zu trinken. Dabei war das
Gespräch auf die Unterschiede zwischen Schwertübungen und
richtigem Schwertkampf im Gefecht gekommen, und Ikkaku, der noch
niemals tatsächlich einen Menschen mit dem Schwert getötet
hatte, hatte Bansaku, der schon an wirklichen Gefechten
teilgenommen hatte, zu dem geschilderten Zweikampf herausgefordert.
"Morgen komme ich noch einmal und verabschiede Euch", sagte Bansaku mit
herzlichem Lächeln und verließ mit seinem Kind, das noch in
der Kampfschule geblieben war, das Haus.
Draußen äußerte er:
"Herr Akaiwa scheint sich vor Katzen zu fürchten, Shino."
Shino blickte den Vater verwundert an.
"Er hat verloren, weil die Katze hereinkam. So etwas kommt zwar schon mal
vor, aber so ein starker Mann, der vor Katzen Angst hat! Finde ich ulkig, hahahahaa!"
Das Kind, das wie ein Mädchen ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit ein Knabe mit Namen
Shino, in diesem Jahr elf Jahre alt. Kaum jemand betrachtete allerdings Shino tatsächlich
als Mädchen. Er band sich zwar die
Haare wie ein Mädchen hoch, trug darin Steckkämme und
kleidete sich in Mädchengewänder, war
aber so hoch aufgeschossen, dass er zwei bis drei Jahre älter
wirkte
als gleichaltrige Kinder. Gewiss besaß er ein hübsches
Gesicht, aber seine muntere Jugendfrische war unstreitig die eines
Jungen. Er war das einzige Kind, das Bansakus Frau ihm geboren hatte, als er
Mitte dreißig war, und deshalb überschüttete er
den Knaben mit großer Liebe. Er befolgte den Spruch aus dem
Volksmund, dass Knaben, die als Mädchen heranwachsen,
gesünder groß werden, gab ihm den Namen Shino und kleidete
ihn wie ein Mädchen.
Wohlan, am nächsten Morgen reisten Akaiwa Ikkaku und sein Sohn ab.
Weil Ikkaku sich für alle Fälle noch einmal in Koga nach
Yamashironosuke erkundigen wollte, begleiteten Inuzuka Bansaku und sein
Sohn die beiden bis zum Fluss Kaniwagawa, der im Osten an Ôtsuka
vorbeifließt. Das Gepäck trug Nukasuke, ein Knecht mittleren
Alters, der in beiden Häusern zur Hand zu gehen pflegte.
Beim Gehen unterhielt sich Shino mit Ikkakus Sohn Kakutarô. Der Weg war besprenkelt mit verwehten Pfirsichblüten.
Kakutarô war ein gut aussehender Knabe und sah viel
natürlicher aus als Shino in seinen Mädchenkleidern. Auch er
war ein recht netter Junge, weshalb er sich nicht weniger gut mit Shino
verstand als ihre Väter. In der Kampfsportschule hatten sie oft
gemeinsam geübt und waren ausgezeichnete Zweikampfpartner.
"Ach, mit wem soll ich künftig den Schwertkampf trainieren?", klagte Shino.
Das hörte Akaiwa Ikkaku und wandte sich lachend um:
"Üb es mit deinem Vater!"
Shino blickte Bansaku kurz an. Kurz bevor die Familie Akaiwa nach
Ôtsuka kam, war Shinos Mutter gestorben. Bis
gestern hatte er seither niemals seinen kränkelnden Vater bei einem Schwertkampf
gesehen. Aber der war ihm anscheinend nicht gut bekommen. Er begleitete
Ikkaku zwar zum Abschied, sah aber aus, als ginge es ihm nicht
sonderlich gut.
Ikkaku fügte hinzu:
"Die grundlegenden Schwertgriffe habe ich dir alle beigebracht. Jetzt
musst du sie nur noch einüben. Das kannst du auch allein machen, mit
einem Baumstamm als Partner."
"Ganz richtig, Shino", nickte auch sein Vater Bansaku.
Bald erreichten sie den Fluss Kaniwagawa.
"Ob wir uns irgendwann einmal wiedersehen, Kakutarô?" - "Ganz bestimmt, Shino."
Unter Tränen umarmten sich die Jungen, den Abschied bedauernd.
Akaiwa Ikkaku und sein Sohn bestiegen das Boot des Fährmanns Yasuhei und fuhren in Richtung Osten davon.
③
Als Inuzuka Bansaku und sein Sohn bald darauf mit Nukasuke zum Dorf
Ôtsuka zurückkamen, erwartete sie am Dorfeingang schon der
Knabe Gakuzô mit schreckensbleichem Gesicht.
"Herr Shino, etwas Schlimmes ist passiert. Yoshirô hat Kijirô totgebissen!"
Yoshirô war der Name von Shinos Hund, und Kijirô war der
Name des Katers, der dem Dorfvorsteher von Ôtsuka gehörte. Es
war der Kater, der gestern Akaiwa Ikkaku vor Schrecken erstarren
ließ. Und Gakuzô war ein Junge, der zwar ebenso alt war wie
Shino, aber im Haushalt des Dorfvorstehers angestellt war.
"Wie denn, ich hatte Yoshirô doch fest an die Leine gelegt!"
"Ja, und deshalb ist Kijirô auch sorglos an dem Hund
vorbeigegangen, aber Yoshirô hat das Seil zerrissen und den
Kater totgebissen. Jetzt suchen die Leute meines Herrn mit großem
Gezeter im ganzen Dorf nach dem Hund."
Shino wollte gleich losrennen, aber sein Vater ermahnte ihn streng:
"Bleib hier, lass dich mit den Leuten nicht ein."
Sie traten ins Dorf. In der Tat schwärmten vom
Dorfvorsteher beauftragte Burschen mit Knüppeln in den Händen durch den Ort.
Offensichtlich hatten sie Yoshirô noch nicht erwischt.
Shino warf einen Seitenblick auf die Miene seines Vaters. Er durfte ihn
nicht verärgern. Schließlich konnte er sich nicht
länger beherrschen und stieß einen scharfen Pfiff aus.
Daraufhin erschien von irgendwoher ein großer Hund, dessen Fell
am Rücken schwarz, am Bauch weiß war, und kam
blitzschnell herbeigelaufen. Er scharwenzelte um Shino und wedelte
heftig mit dem Schwanz. Bansaku sah es wohl, sagte aber nichts.
"Ha, da ist er!" - "Da ist Yoshirô!"
Die Männer mit den Knüppeln kamen alle zusammengelaufen.
Inuzuka Bansaku schritt unbeirrt weiter. Shino und sein Hund gingen ihm
mit ebenso gleichmütiger Miene nach. Nur der Knecht Nukasuke und
Gakuzô, der Junge, waren konsterniert.
Keiner der Burschen tat ihnen etwas an. Bansaku mit seinem hinkenden
Bein und Gewandung in ausgebleichter Farbe, ganz die Gestalt eines
herrenlosen Samurai, strahlte eine Art von unantastbarer Würde
aus, und außerdem wussten alle, wer er war. Seine Schwester
Kamezasa war nämlich die Ehegattin des derzeitigen Dorfvorstehers.
Und nicht allein das Anwesen dieses Vorstehers Ôtsuka Hikiroku,
sondern auch etliche Hektar urbaren Lands in Ôtsuka standen
eigentlich Inuzuka Bansaku als Erbschaft zu.
Bansakus Vater Ôtsuka Shôsaku war ein Gefolgsmann in
Diensten des Shogunatsfürsten Ashikaga Mochiuji gewesen und hatte
sich nach seiner Entlassung hier als
herrenloser Samurai niedergelassen. Vor nunmehr über dreißig
Jahren hatte er sich aus Dankbarkeit gegenüber dem
Fürstenhaus seines einstigen Herrn bei der Schlacht um die Burg
Yûki mitsamt seinem damals 16jährigen Sohn Bansaku der
Streitmacht angeschlossen, die Mochiujis unmündigen Sohn
unterstützte. Vergessen wir nicht, dass auch Satomi Yoshizane in derselben Schlacht mitgekämpft hatte.
Nach dreijähriger Belagerung war, wie zuvor schon
geschildert, die Burg Yûki gefallen. Dabei wurden Haruô und
Yasuô, zwei der drei Söhne des Mochiuji, gefangen genommen.
Auf dem Weg zur Überstellung nach Kyôto wurden sie
jedoch auf Befehl des Shôguns in dem Herbergsort Tarui im Lande
Mino hingerichtet. Dort versuchte eine Schar von Schwertkämpfern,
den Richtplatz zu erstürmen; das waren Vater Ôtsuka und sein
Sohn Bansaku samt einigen Mitstreitern. Der Versuch scheiterte, sie konnten die beiden Söhne ihres
Herrn nicht befreien. Bansaku rettete zwar seinen schwer verwundeten
Vater und entkam mit knapper Not, aber der Vater erlag bald darauf
seinen Verletzungen. Und nicht nur das, sondern Bansaku selbst wurde
bei diesem Überfall verwundet und hinkte seitdem; reichsweit wurde
nach ihm gefahndet.
Bansaku konnte daher nicht gleich in seine Heimat Ôtsuka im Land
Musashi zurückkehren und verbarg sich im Land Shinano. Dort traf
er seine spätere Gattin Tazuka. Erst drei Jahre später
kehrte Bansaku mit seiner Ehefrau Tazuka nach Ôtsuka zurück.
Dort hatten sich inzwischen seine Schwester und ihr Gatte des
väterlichen Anwesens bemächtigt. Diese Schwester Kamezasa war
die Tochter einer vorigen Gattin von Bansakus Vater, also nur seine
Halbschwester, und hatte sich mit einem umherstreunenden Mann
unbekannter Herkunft namens Hikiroku zusammengetan. Dieser Hikiroku war
ein gerissener Mensch, der sofort den Familiennamen Ôtsuka
annahm, und Kamezasa stand ihm an Verschlagenheit kaum
nach. Sie stellten sich stur und drohten:
"Jemandem, nach dem reichsweit gefahndet wird, können wir doch das Anwesen des Hauses Ôtsuka nicht überlassen!"
Der Aufruhr um die Schlacht bei Burg Yûki hatte sich längst
gelegt, und nach Bansaku fahndete niemand mehr, aber mit seinem
genügsamen Sinn überließ er ihnen mit bitterem
Lächeln sein Elternhaus, errichtete sich ein kleines Holzhaus in
einer Ecke des Dorfes und hielt darin seinen Unterricht. Nur dass seine
Schwester und dieser Hikiroku den Namen Ôtsuka führten, wurmte ihn dermaßen, dass er sich nun Inuzuka nannte.
Längst stand das Ehepaar Ôtsuka, das seine Bediensteten
anschrie und seine Knechte schikanierte, in einem sehr schlechten Ruf,
und auch Bansaku war mit der Zeit etwas launisch geworden. Die Leute im
Dorf fürchteten die Macht des Dorfvorstehers und bemitleideten
Bansaku. Sie schickten ihre Kinder in seine Schule und
schenkten ihm gelegentlich Lebensmittel. Das wiederum ärgerte
das Ehepaar des Vorstehers Hikiroku. Sie verhielten sich in jeder
Hinsicht gehässig zu ihm, aber das ließ Bansaku vollkommen
kalt. Bansaku lebte mit seiner Gattin in Armut, aber in Frieden
zusammen, und beider Freude war offenkundig nur das
Heranwachsen ihres Sohnes Shino, der kurz nach der Rückkehr des Bansaku nach Ôtsuka zur Welt kam.
Am Nachmittag kamen zwei vom Dorfvorsteher gesandte Bauern und richteten von ihm aus:
"Weshalb haltet Ihr einen mordlustigen Hund, der anderer Leute Katzen
totbeißt? Meine Gattin, die ihren Kater so innig liebte wie ein
eigenes Kind, musste sich angesichts des Kadavers ihres Kijirô
mit hohem Fieber niederlegen! Wir können uns nicht zufrieden
geben, bis der Köter zur Strafe umgebracht wird. Entweder
schlagt Ihr ihn selber tot oder Ihr liefert ihn uns aus!"
Bansaku lachte laut auf.
"Die Todesstrafe als Sühne gilt nur für Menschen. Solche
Gesetze auch auf Hunde und Katzen anzuwenden ist Unsinn. Wer so etwas
verlangt, sollte besser seine Katze nicht außer Haus frei
herumrennen lassen. Richtet das dem Dorfschulzen aus. Ich danke euch
für den Botendienst."
In dieser Nacht aber erkrankte Bansaku. Natürlich nicht wegen der
Aufregung um Hund und Kater, sondern ihm hatte wohl eher der
Schwertkampf mit Akaiwa Ikkaku arg zugesetzt. Das glaubte zunächst
auch der elfjährige Shino, aber einige Tage später bekam er
von der Tochter seines Onkels Hikiroku, die heimlich in die Nähe
von Bansakus Haus gekommen war, das Folgende gesagt:
"Bruder Shino, trennt Euch von Yoshirô!"
Was hier als Tochter des Hikiroku bezeichnet wird, war genauer gesagt
ein Waisenkind, das der Dorfvorsteher von irgendwoher an Kindes statt aufgenommen hatte. Sie
war drei Jahre jünger als Shino, also acht Jahre alt, und
hieß Hamaji.
Shino hielt sich angesichts des Zerwürfnisses zwischen seinem
Vater und der Familie Ôtsuka von dort meist fern, aber das drei
Jahre jüngere Mädchen Hamaji kam in seiner kindlichen
Unschuld öfter beim Ballspiel her, obwohl das in ihrem Haus sehr
ungern gesehen wurde. Sie nannte Shino ihren "Bruder".
"Zuhause haben sie einen Bergmönch kommen und Gebete
sprechen lassen. Ich habe die Mutter gefragt, warum, und sie
hat gesagt, sie ließe ihn darum beten, dass der verhasste Bansaku
und Yoshirô ums Leben kommen. Ich habe solche Angst!"
Shino blieb die Luft weg.
"Yoshirô ist an allem schuld. Er tut mir zwar leid, aber trennt Euch bitte von dem Hund!"
Shino und Hamaji im Manga
Shino entschloss sich, den Hund fortzuschaffen. Yoshirô war schon
immer bei ihm gewesen, seit Shino zur Welt gekommen war. Genauer
gesagt, schon vor Shinos Geburt. Von seiner inzwischen verstorbenen
Mutter hatte er erfahren, dass sie Tag für Tag im Morgengrauen zur
Gottheit Benzaiten in Takinogawa gelaufen sei, damit ihr bislang
unerfüllter Kinderwunsch erhört werde. Eines Tages im
Herbst sei ein kleiner Hund aufgetaucht und ihr anschließend
nicht mehr von der Seite gewichen. Im Glauben, er sei gewiss ein Bote
der Gottheit, nahm sie ihn zu sich. Kurz darauf ging sie mit Shino
schwanger. Und der Hund, das war ebendieser Yoshirô.
Am Abend des Tages, an dem Hamaji ihn darum gebeten hatte, nahm Shino
Yoshirô mit in den Wald von Sugamo, band ihn an einem Baum fest
und kehrte unter Tränen nach Hause zurück. Aber am andern Tag
saß der Hund wie immer unter dem Vordach des Hauses.
Also nahm er ihn am folgenden Tag wieder mit und ließ ihn diesmal
jenseits des Flusses Kaniwagawa laufen. Und wieder hockte der Hund am
andern Morgen unter dem Vordach und wedelte mit dem Schwanz.
Benzaiten
ist die einzige der Sieben Glücksgottheiten, die in weiblicher
Gestalt dargestellt wird. Sie gilt als Beschützerin der musischen
Künste, vor allem als Schirmgottheit der Musik, aber auch als
Gottheit der Liebe. Sie wird auch bei Kinderlosigkeit und Partnersuche
um Hilfe ersucht.
Die Ortsnamen Takinogawa und Sugamo sind auch im heutigen Tokyo als Namen von Stadtteilen erhalten. Sie liegen nicht
weit von Ôtsuka entfernt. Dass Bansaku denselben Namen wie seine
Heimat Ôtsuka führte, zeigt, dass seine Vorfahren die
Gründer des Dorfes waren. Auch die Heimat des Schwertkampfmeisters
Akaiwa Ikkaku war das Dorf Akaiwa; dass sich jemand nach seinem
Heimatdorf nennt oder dass das Dorf den Namen seines Gründers
trägt, war seinerzeit häufiger Brauch.
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Shino staunte nicht schlecht. Nach zehn Tagen der Ratlosigkeit beriet er sich endlich mit dem Knecht Nukasuke.
"..... So ist das nämlich. Yoshirô kommt jedesmal einfach
zurück. Aber wenn ich ihn hier lasse, wird mein Vater durch die
Gebete umgebracht."
Nukasuke
stand zwar beim Dorfvorsteher in Diensten, war aber ein wirklich
gutmütiger Mann und kümmerte sich auch oft um das Haus
Inuzuka, so, dass es seinem Herrn nicht auffiel. Als Shinos Mutter im
Winter vor drei Jahren im Sterben lag, war der siebenjährige Knabe
zu dem Fudô
Bodhisattva am Wasserfall in Takinogawa gelaufen und hatte darin
rituelle Gebete vollzogen, um seiner Mutter das Leben zu retten.
Wegen der starken Kälte verlor er dabei das Bewusstsein, und es
war Nukasuke gewesen, der ihn im letzten Augenblick dort entdeckt und vor
dem Tod bewahrt hatte.
"Also habe ich mir etwas ausgedacht. Wir könnten doch Yoshirô
vor dem Haus meines Onkels schlagen und verprügeln. Ich glaube,
dann hören die da auch auf mit diesen Fluchgebeten. Was meinst du
dazu?"
Das war der Plan, den der Elfjährige in seiner Verzweiflung geschmiedet hatte.
Nukasuke nickte. Er wusste auch von den Todesgebeten im Hause Ôtsuka und verabscheute so etwas. Und obendrein schmerzte es ihn, dass er nichts dagegen tun konnte.
"Ja, das könnte angehen. Wenn wir das machen, werden die Leute da drüben vielleicht ihren Hass ein bisschen abmildern."
Am Nachmittag desselben Tages zerrten Shino und Nukasuke
Yoshirô vor den Hintereingang des Hauses des Dorfvorstehers.
Shino stimmte ein lautes Geschrei an:
"Du Yoshirô, weil du Kijirô totgebissen hast, ist das
geschwisterliche Verhältnis zwischen uns Menschen in die
Brüche gegangen! Du bist dran schuld! Zur Strafe wirst du
verprügelt!"
Dabei schlug er mit einem Stock auf den Hund ein, den Nukasuke mit
einem Netz festhielt. Darüber erschrak Yoshirô offenbar. Mit
gewaltiger Kraft riss er Nukasuke das Netz aus den Händen,
warf es ab und flüchtete wie der Blitz geradewegs in das Haus des Vorstehers.
"Oh, das ist Yoshirô!" - "Yoshirô ist bei uns eingedrungen!"
Mit solchen Rufen eilten einige der Bediensteten herbei und
verriegelten eilig das Tor. Hier und dort in Haus und Garten erschollen
schrille Schreie, als wäre ein Feuer ausgebrochen.
"Lasst ihn nicht entkommen!" - "Schlagt ihn tot!" - "Hat denn niemand ein Schwert oder einen Spieß?"
Von außen waren Yoshirôs wildes Gebell und Schmerzensschreie zu hören.
Von dieser unerwarteten Entwicklung überrascht, stand Shino da wie erstarrt. Dann sprang er los.
"Nukasuke! Die schlagen Yoshirô tot! Hilf ihm, beschwichtige die Leute!"
Fassungslos und zögernd stemmte sich Nukasuke gegen das Tor und
lief dann an der Außenmauer entlang, um einen anderen Eingang zu
finden. Von Yoshirô war noch ein Aufjaulen zu hören, danach kam
nichts mehr.

Außenmauer und Tor eines traditionellen Anwesens
Shino hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu und lief wie benommen zurück nach Hause.
"Was ist los mit dir, Shino?", fragte Bansaku auf seinem Krankenlager, das Gesicht zu Shino aufhebend.
Schreckensbleich berichtete Shino, was geschehen war.
"Da hast du eine Dummheit begangen", murmelte sein Vater. Aber
über sein abgezehrtes Gesicht huschte ein bitteres Lächeln.
Sein Blick wandte sich nach hinten, und er sagte:
"Siehst du, Yoshirô ist wieder da."
Shino sauste hinter das Haus. Da kauerte tatsächlich Yoshirô.
Aber er war nur noch ein Klumpen aus Fleisch und geronnenem Blut und sah nicht
mehr aus wie ein Hund. Und trotzdem war Yoshirô nach Hause
zurückgekommen!
"Yoshirô, Yoshirô! Es ist alles meine Schuld!"
Shino warf sich über das Tier und schloss es in die Arme. Dabei
hörte er, wie im Brustkorb des jappenden Hundes weitere Knochen
brachen.
④
Nur
wenig später kam der Knecht Nukasuke, der vorhin in das Haus des
Dorfvorstehers gegangen sein musste, um Yoshirô zu helfen,
mit niedergeschlagener Miene herbei.
"Herr Inuzuka, etwas Schlimmes ist passiert."
"Was denn nun?"
"Ihr habt von Eurem jungen Herrn Sohn sicher gehört, dass Yoshirô in das Anwesen des Dorfvorstehers eingedrungen ist."
"Ja, das habe ich gehört."
"Yoshirô ist von allen Bediensteten verfolgt durch das gesamte
Anwesen gerannt, durch den Garten wie durch die Wohnräume; gerade
zu diesem Zeitpunkt war der Herr Vorsteher, wie er sagte, in die Lektüre der schriftlichen
Anweisungen des Herrn Statthalters des Shogunats an unser Dorf
zur Bereitstellung von Proviant für die Streitkräfte und
eines an ihn gerichteten Amtsschreibens von dem für diesen
Landstrich zuständigen Militärkommandanten vertieft. Da sei
plötzlich Yoshirô hereingerannt gekommen, und der Herr Vorsteher habe sich eilig
in Sicherheit gebracht. Als er zurückkam, mussten die Dokumente der
Anweisungen und das Amtsschreiben unter die Pfoten des Hundes
geraten sein - sie waren zerknittert und zerfetzt. Auf diese
Schriftstücke müsse er sein Siegel setzen und sie an die Obrigkeit
zurücksenden. Das sei eine Katastophe, jammerten der
schreckensbleiche Herr Dorfvorsteher und seine Frau Gemahlin."
Nukasuke war ebenfalls schreckensbleich.
"'Dafür bekommen Herr Shino, der den Hund züchtigen wollte,
ihn aber nicht festhielt, sondern in das Anwesen hineinrennen
ließ, und ich, Nukasuke, sicherlich den Kopf abgeschlagen!',
sagte ich mit zitternden Lippen. 'Nein, wir
sind es, die in Gefahr schweben', antwortete der Vorsteher bebend, 'aber bis eben
habe ich mir die Sache reiflich durch den Kopf gehen lassen. Was ich
sagen möchte, ist, dass im Haus des Bansaku das
hochberühmte Schwert Murasame, das schon immer im Hause
Ôtsuka verwahrt wird, liegen müsste. Wenn man dies dem Herrn
Statthalter in Kamakura untertänigst verehren würde,
könnte er uns vielleicht die Strafe erlassen. Unterbreite dem
Bansaku diesen Vorschlag!', sprach er, und deswegen bin ich jetzt
hergekommen."
"Hahahahahaaaa...", lachte Inuzuka Bansaku, der mit wirrem Bart auf
seinem Lager ruhte. "Nukasuke, hast du die zerrissenen Dokumente mit
eigenen Augen gesehen?"
"Nein, das nicht."
"Wenn es auf die eine Art nicht klappt, versucht man es auf die andere
Weise, das Sprichwort trifft es genau. Die haben den Zwischenfall zum
Vorwand genommen, um bei dieser Gelegenheit das Schwert an sich zu
bringen, diese Schlitzohren!"
"Was? Das kann doch nicht..."
"Du trägst keine Schuld. Du bist einfach zu gutgläubig. Meine
Wenigkeit Inuzuka Bansaku, ein Samurai, der schon in richtigen
Schlachten gefochten hat, lässt sich mit solchen Finten, die vielleicht bei Kindern wirken, nicht für dumm verkaufen. Sag das dem Hikiroku!"
Nachdem Nukasuke Hals über Kopf davongelaufen war, legte sich
Bansuke aber ermattet auf sein Lager nieder und starrte zur Decke.
Seine Blicke machten Shino Angst.
Gegen Abend rief Bansaku:
"Shino, komm mal her!"
Shino, der noch mit der Betreuung seines sterbenden Hundes
beschäftigt war, kam und ließ sich ehrerbietig vor seinem
Vater nieder. Sein Vater hockte im Schneidersitz auf seinem
zerschlissenen Bettzeug.
"Du hast sicher gehört, was Nukasuke vorhin gesagt hat."
"Ja."
"Von dem Schwert Murasame habe ich dir noch nichts erzählt?"
"Ich weiß nichts davon."
"Da oben hängt es."
Mit dem Gesicht wies er auf einen großen Bambusbehälter, der
am Deckenbalken aufgehängt war. Bansaku nahm aus dem Kasten
für den Tuschereibstein, der auf dem niedrigen Tisch neben seinem
Lager stand, ein Messer heraus und schleuderte es nach oben. Eine der beiden
Halteschnüre wurde glatt durchschnitten, der Behälter
hing nun schief herab, und ein länglicher Gegenstand, der in einer
Brokathülle steckte, fiel herab.
Deckengebälk diente früher oft als Speicher
"Bring's her."
Shino brachte es her, und Bansaku löste das Band der
Hülle. Sie enthielt ein Schwert, dessen Griff, Stichblatt und
Scheide altehrwürdig aussahen. Den alten, verstaubten
Bambuskasten hatte Shino schon seit früher gesehen, aber nicht die
geringste Ahnung gehabt, dass er so etwas enthielt. Er machte
große Augen.
"Es ist ein wertvolles Schwert, das in dem alten Adelsgeschlecht der Genji überliefert wurde und das Ashikaga Mochiuji, der Shogunatsfürst der Kantô-Region, besaß. Sein Name ist Murasame.
Als Mochiuji mit dem Haus des Shôguns in Konflikt geriet, ahnte
er, dass ihm ein schlimmes Schicksal beschieden sei. Er
übergab es heimlich seinem treuen Gefolgsmann Shôsaku, meinem Vater,
und bat ihn, falls einer seiner Söhne am Leben bliebe, es diesem
zurückzugeben. Dass mein Vater den Dienst im Hause Ashikaga
quittierte und sich herrenlos in dieses Dorf Ôtsuka
zurückzog, geschah in Wirklichkeit aus diesem Grund. Du
weißt ja, dass mein Vater und ich an den Kämpfen um die Burg
Yûki teilnahmen, aber das Glück war uns nicht hold, die Burg
fiel, und zwei der Söhne des Mochiuji wurden getötet. Auch
mein Vater kam ums Leben. Bevor er starb, vertraute er mir dieses
Schwert Murasame an und bat
mich, falls der letzte Sohn Shigeuji einmal wieder auftauchen sollte,
es ihm zu überreichen. Und ich übergebe es dir jetzt mit
derselben Bitte. Ich werde hier und heute sterben, ohne die
glückliche Gelegenheit der Pflichterfüllung erlebt zu
haben..."
Shino schaute erschreckt seinen Vater an.
"Herr Vater! Heute sterben? Das kann doch nicht...."
Er hatte mit angesehen, wie sein Vater Tag für Tag schwächer
wurde und darunter gelitten, aber... heute... sterben...!
"Wenn ich einfach so liegen bliebe, wäre mir vielleicht noch eine
Lebensfrist von fünf oder sieben Tagen vergönnt, aber ich
habe an die Zeit danach gedacht. Was danach aus dir wird. Obwohl du ein
gescheiter Junge bist, bist du erst elf. Wenn ich dich verlasse, bleibt
dir nur der Hungertod...."
"Nein, ich komme sicher klar. Nukasuke hilft mir, und die Leute im Dorf helfen mir auch."
"Klar, es kann schon sein, dass dich die Leute durchfüttern. Aber dann bist du nichts weiter als ein Bettelkind."
Shinos Mundwinkel zuckten.
"Niemand anders als das Ehepaar Ôtsuka kann dich
großziehen. Dein Onkel ist, auch wenn seine Frau nur meine
Halbschwester ist, doch immerhin dein Onkel. Überdies ist deren
Anwesen eigentlich mein Erbe; folglich wirst du es
später einmal übernehmen. Dich dort versorgen zu lassen ist
keine Schande."
"Bei denen? Mich versorgen lassen?"
Shino riss erstaunt die Augen auf. Er wusste nur zu gut, dass jenes
Ehepaar und sein Vater einander verabscheuten. Und obendrein hatte es
gestern und heute solche heftigen Auseinandersetzungen gegeben!
"Du wirst sagen, dass dir das nicht gefällt. Aber auch daran habe
ich gedacht", fuhr Bansaku fort. "Als ich vorhin die List erfuhr, mit der
sie mich für dumm verkaufen wollten, waren sie für mich
endgültig erledigt. Dieses Ehepaar zittert doch die ganze Zeit
vor Angst, dass ich mir meinen Besitz wieder holen komme; deshalb
trachten sie schon lange danach, egal auf welche Weise, dieses Schwert Murasame
in ihren Besitz zu bringen und es persönlich dem
Shogunatsfürsten auszuhändigen, um sich bei ihm lieb Kind zu
machen und ihre Stellung als Dorfvorsteher gegen mich abzusichern. Deswegen wollten
sie vorhin die Gelegenheit nutzen, um an das Schwert zu kommen."
"........"
"Ihren Boten habe ich zwar zurückgeschickt, aber wenn ich
gründlich darüber nachdenke, werde ich bald tot sein. Und
weil es Leute sind, die sogar solch üble Ränke schmieden,
werden sie nicht wählerisch sein hinsichtlich der Art und Weise, wie sie dir Elfjährigem
nach meinem Tod das Schwert abnehmen."
"........"
"Deshalb werde ich jetzt sterben. Wenn ich tot bin, werden sie da
drüben behaupten, seht her, der Bansaku hat sich das Leben
genommen, weil er es letztlich bereut hat, seiner Schwester zu
trotzen. Aber die Leute im Dorf wissen alle Bescheid. Wer sich im Dorf
unbeliebt macht, kann nicht auf Dauer Dorfschulze bleiben. Dieses
katzenvernarrte Ehepaar wird sich deshalb deiner annehmen und vor allen
Leuten im Dorf deutlich zeigen wollen, wie es sich des armen Kindes
erbarmt."
"........"
"Wenn das Schwert Murasame
hier ist, wollen sie es auf jede erdenkliche Weise unbedingt an sich
bringen, aber wenn es zusammen mit dir in ihrem eigenen Haus liegt,
werden sie vielmehr beruhigt sein und es dir nicht gleich heute oder
morgen fortnehmen. Selbst
ein Jäger tötet das verletzte Vöglein in seiner Tasche
nicht, sagt das Sprichwort. Das Ehepaar Ôtsuka ist zwar nicht
sonderlich mitfühlend, aber um sie in eine Lage zu
drängen, in der sie sich umso barmherziger zeigen müssen, je
unbarmherziger sie in Wirklichkeit sind, werde ich jetzt Seppuku
begehen."
Shino begriff nicht so recht, was sein Vater gesagt hatte, aber in dem
Augenblick, als er das Wort Seppuku hörte, erstarrte er am
ganzen Leib.
Bansaku zog das Schwert heraus.
"Schau her, Shino!", rief Bansaku, und das Schwert Murasame
blitzte auf. Dabei spritzte aus der Schwertspitze
wundersamerweise ein Wasserstrahl heraus und hinterließ auf der
gegenüberliegenden Papierwand eine Punktlinie von Tropfen.
"Wegen dieser Wunderwirkung hat das Schwert den Namen Murasame (Dorfregen) erhalten!"
Das wassersprühende Wunderschwert Murasame
Shino gewahrte, wie Bansaku, wiewohl sein Vater, ein unheimliches
Lächeln aufsetzte, den Gürtel seines Beinkleids löste,
seinen Bauch freimachte und die Schwertklinge mit dem Ärmel
umwickelt fasste.
"Hör zu, Shino. Wenn ich tot bin, kleide dich als Mann. Und wenn
du ein rechter Samurai geworden bist, dann melde dich mit dem Schwert bei
Fürst Shigeuji. Und bis zu jenem Tag hüte es mit all
deinen Kräften!"
Als er sah, wie sein Vater das Schwert hob, warf sich Shino, der bis
dahin wie gebannt dagesessen hatte, wie von Sinnen an seinen Vater und
umklammerte dessen Arm.
"Herr Vater, Ihr dürft nicht sterben, Ihr dürft nicht sterben!"
Shinos schmächtigen Körper fasste Bansaku mit der Linken mit
solcher Kraft, dass man kaum glauben mochte, dass er krank war, und
drückte ihn zu seinen Knien nieder.
"An einer Krankheit sterben ist nichts weiter als ein Verrecken. Durch
meinen Tod jetzt schenke ich dir ein richtiges Leben. Im eigenen Tod
anderes Leben zu fördern, das ist die letzte Kriegslist des Samurai
Inuzuka Bansaku!"
Über den ganzen Leib des schluchzenden Shino, dem Bansaku das
Mädchenhaar abgeschnitten hatte, ergoss sich ein Schwall von
heißem Blut. Eine Weile später sank das Schwert langsam
herab, während Shino wie ein Schwächling auf den am Boden
liegenden reglosen Leichnam seines Vaters starrte.
"Ich will auch sterben....", murmelte er. Nicht einmal Tränen kamen ihm.
In diesem Augenblick hörte er die tiefe Stimme seines jaulenden
Hundes. Mit zitternden Beinen lief Shino hinter das Haus. Der einem
blutigen Lumpen gleichende Hund lag im Abendrot auf dem
Erdboden, seine traurigen Augen geöffnet, und winselte vor
Schmerzen.
"Yoshirô, tut es dir weh?", fragte Shino mit belegter Stimme. Dann aber fasste er sich.
"Aber wegen dir musste mein Vater sterben. Ja, und jetzt sterbe ich
auch. Und du stirbst sowieso. Ich helfe dir besser, indem
ich dir gleich den Kopf abschlage, anstatt dich länger
leiden zu lassen."
Er fasste nach dem Schwert. Da stemmte sich Yoshirô zum ersten
Mal auf seine Vorderpfoten und reckte seinen Hals vor, als bäte er
darum, den Hieb zu empfangen. Shino schlug ihm den Kopf ab.
Der Wasserstrahl des Schwertes sprühte zu Boden, das Hundeblut spritzte empor. In diesem
Augenblick kam aus dem Blutstrahl etwas geflogen und schlug hart auf
Shinos linken Oberarm.
"Au!", schrie Shino auf, schaute hinab und erblickte eine helle
Kugel, die über den Boden kullerte. Er hob sie auf und traute
seinen Augen kaum. Es war eine etwa walnussgroße Kristallkugel
mit einem Loch, um eine Schnur hindurchzufädeln, aber im Innern
schwebte ein Schriftzeichen. Er hielt die Kugel gegen das Licht der
Abendsonne. In der Kugel erblickte er das Schriftzeichen KÔ!

Shinos Tugend ist KÔ, gehorsam die Bitte der Vorfahren um Rückgabe des Schwertes zu erfüllen
Der erste Hundekrieger, hier war er: Inuzuka Shino.
Der elfjährige Shino ahnte jedoch noch nichts von seinem künftigen Geschick.

Inuzuka Shino im Manga
"Was ist das?"
Es war nicht anders möglich, als dass diese Kristallkugel aus der
Wunde des abgeschlagenen Kopfs von Yoshirô geflogen kam, aber ist
so eine wunderliche Sache denn möglich?
Die Stelle an seinem linken Arm schmerzte wieder. Shino krempelte
seinen Ärmel hoch und fand auf seinem linken Oberarm einen Flecken
in der Form einer Päonienblüte. Er musste durch den Aufschlag
der Kristallkugel entstanden sein.
Shino hatte nicht lange Zeit, sich über diese Wunderzeichen den
Kopf zu zerbrechen. Er steckte sich die Kugel in die Tasche und ging
ins Haus zurück. Dort setzte er sich neben den Leichnam seines
Vaters, entblößte den Bauch, wie es sein Vater getan hatte,
und wollte sich gerade das Schwert in den Leib stoßen, als zwei
Männer so eilig hereingestürmt kamen, als wollten sie die
Haustür eintreten.
"Halt, halt, Herr Shino, bitte nichts übereilen!"
Es waren Nukasuke und der junge Laufbursche Gakuzô aus dem Haus
des Dorfvorstehers. Von Nukasuke, der von dem Ehepaar Ôtsuka
gewaltig ausgescholten worden war, hatte Gakuzô gehört,
was im Haus des Bansaku vorgefallen war. Ihm schwane Schlimmes, hatte
Gakuzô ausgerufen, und beide waren herbeigeeilt. Durch die offene
Tür hatten sie nur Bansaku tot liegen gesehen und waren deshalb
erschrocken hereingestürmt.

⑤
Als sie die Nachricht von Bansakus Tod erhielten, erschraken natürlich selbst der
machtgierige Dorfvorsteher Hikiroku und seine Frau Kamezasa. Aber danach lief es
genau so ab, wie "die letzte Kriegslist" des Bansaku es vorgesehen hatte.
Nicht allein der Selbstmord des Bansaku kam ihnen ungelegen, sondern sie
sorgten sich auch um ihren Ruf, nachdem sie sich Anwesen und
Ländereien des Hauses Ôtsuka vor aller Augen unter den Nagel
gerissen hatten, weshalb sie sich freiwillig bereit erklärten,
Shino bei sich aufzunehmen.
Shino hatte es sich überlegt und beschlossen, am Leben zu bleiben.
Er musste ja des Vaters letzten Willen erfüllen und das Schwert Murasame
seinem Besitzer zurückbringen. So akzeptierte er das Anerbieten von Onkel und
Tante und zog in deren Anwesen um. Am meisten freute sich darüber
wohl das Adoptivkind Hamaji in seiner kindlichen Unschuld. Sie lief
freudig durchs Haus und verkündete allen lauthals:
"Mein Bruder ist gekommen, mein Bruder ist da! Ich will
später die Braut meines Bruders werden!"
Shino trat inzwischen in Männerkleidung auf.
Als Hikiroku hörte, was Hamaji rief, meinte er zu Shino:
"Na, vielleicht ist es ja ganz gut, wenn es in einigen Jahren so kommt, wie Hamaji es sich wünscht...."
Er lachte und säuselte katzengleich schnurrend: "Dann gehört
alles hier im Haus auch dir, Shino. Alles hier gehört dir."
Und leiser fügte seine Frau Kamezasa hinzu: "Und wir dürfen
auch alles, was du hast, Shino, als unser Eigentum betrachten."
Shino, der sich bis dahin alle Schmeicheleien errötend angehört hatte, sagte nun klipp und klar:
"Schön. Nur das Schwert Murasame, das mein Vater mir als Vermächtnis anvertraut hat, kann ich nicht fortgeben."
Nicht nur das Ehepaar, sondern auch die in ihrem Dienst stehenden Knechte schauten einander betreten an.
Shino erhielt einen Anbau des Ôtsuka-Anwesens zur Wohnung,
aber den Elfjährigen konnte man da nicht allein wohnen lassen. Jetzt im
Frühjahr gab es bei der Feldarbeit viel zu tun, weshalb es die
Arbeitskraft minderte, würde man einen Erwachsenen damit betrauen,
sich um ihn zu kümmern. Das Ehepaar beriet und einigte sich
darauf, dem ebenfalls in ihren Diensten stehenden gleichaltrigen Jungen
Gakuzô diese Aufgabe zu übertragen.
Anfangs gingen die beiden Jungen unerwartet distanziert miteinander um.
Früher war Shino mit Gakuzô wesentlich vertrauter gewesen.
Sein Vater Bansaku hatte Mitleid gehabt mit dem Jungen, der trotz
seines jungen Alters im Haushalt der missliebigen Ôtsukas
schikaniert wurde, und ihn in seiner Schule unentgeltlich unterrichtet.
"Der Junge ist ziemlich gescheit", hatte Shino ihn bewundernd
sagen hören, und in der Schwertkampfschule des Akaiwa Ikkaku
hatte Gakuzô auch immer mal zur Eingangstür hereingeblickt und sich
das Training angeschaut.
"Komm, mach doch mit!", hatte Shino ihn seinerzeit aufgefordert.
Aber seit er in dieses Anwesen gekommen war, verschloss sich Shino auch vor Gakuzô in
dem Bewusstsein, dass ihm hier alle feindlich gesonnen seien.
Demgegenüber war sich Gakuzô, der ohnedies eher wortkarg
veranlagt war, darüber im Klaren, dass Shino zur Herrschaft, er
selbst aber zu den Bediensteten zählte, weshalb er ihm mit
größerer Distanz gegenübertrat als früher.
An einem Sommertag rief Gakuzô aus dem Garten: "Herr Shino, das Badewasser ist bereit!"
"Danke!"
Shino kam samt dem Brokatbeutel heraus, in dem das Wunderschwert
steckte. Das ließ er weder beim Schlafen noch tagsüber
jemals von sich fort. Unter einem Dach aus Kürbisblättern
dampfte es aus einem großen Bottich, und daneben standen zwei
Eimer mit kaltem und warmem Wasser. Gakuzô wusste, dass Jungen in
ihrem Alter von anderen Leuten nicht
nackt gesehen werden wollen, und wollte sich
zurückziehen, als Shino begann, sich zu entkleiden, aber da
erblickte er etwas, das zu seinen Füßen gerollt kam. Er
blieb stehen, hob es auf und rief dann mit erstauntem Gesicht:
"Herr Shino, was ist das denn?"
Shino, der sich bis auf die Leibwäsche ausgezogen hatte, schaute
verlegen drein. Seine Kristallkugel, die er immer bei sich
trug, war ihm beim Entkleiden aus der Tasche gefallen. Gakuzô
hielt die Kugel gegen das Licht, kam daraufhin zu Shino zurück und
starrte auf dessen Päonienmal auf dem Oberarm.
"Herr Shino, Ihr habt genau dasselbe Mal wie ich!", rief er so laut,
wie man es von einem so stillen Elfjährigen niemals erwartet
hätte.
Diese Reaktion von Gakuzô verblüffte nunmehr Shino.
"Was meinst du damit?"
"Ich trage auch genau dasselbe Päonienmal. Bei mir ist es auf dem Rücken."
"Waaas?"
Gakuzô machte seinen Oberkörper frei und drehte seinen
Rücken Shino zu. Etwas unterhalb der rechten Schulter war, ein
wenig größer als bei Shino, genau dasselbe Mal in Form einer
Päonienblüte deutlich sichtbar.
Shino und Gakuzô zeigen einander ihre Päonienmale
"Und ich habe auch eine ebensolche Kristallkugel. Hier!"
Aus dem Amulettbeutel, den Gakuzô um den Hals trug, holte er die
Kugel hervor. Shino nahm sie in die Hand, schaute sie an und schrie:
"GI!"
Gakuzôs Tugend ist GI, er wird selbst gegenüber seinen unmenschlichen Schwiegereltern seine Pflicht erfüllen
Er blickte den Jungen fest an und fragte.
"Wer seid Ihr eigentlich?"
Bisher hatte er Gakuzô immer mit "du" angeredet; die veränderte Anredeform bemerkte er selber nicht.
"Herr Shino, steigt ins Bad. Ich will es Euch berichten, während ich Euch den Rücken abreibe."
Dies tat er und erzählte dabei das Folgende:
"Das Päonienmal habe ich schon seit meiner Geburt. Die Kugel hat
ein Knecht meines Hauses, als er ein Loch im Boden schaufelte, um den
Mutterkuchen zu vergraben, in der Erde gefunden. Was
'Mutterkuchen' ist, habe ich später von meiner Mutter erfahren. Es
ist das, was bei einer Geburt zusammen mit dem Säugling zum Vorschein kommt."
Gakuzôs Familienname lautete Inukawa; er war der Sohn eines
Landvogts im Lande Izu. Vor vier Jahren, als Gakuzô sieben war,
hatte sich sein Vater zugunsten der Bauern in seinem Ort dem
Fürsten widersetzt und war in Ungnade gefallen. Ihm wurde der
Seppuku befohlen, und seine Familie wurde aus Izu verbannt.
Ein Vetter seiner Mutter namens Amasaki stand in Diensten des
Fürsten Satomi in Awa, weshalb die Mutter Gakuzô an der Hand
nahm und dorthin reisen wollte, aber wegen der Kriegsunruhen fanden sie
kein geeignetes Schiff. Sie erfuhren, dass man vom Hafen von
Gyôtoku in Shimôsa aus Schiffe nach Awa nehmen könne,
aber auf dem Weg dorthin wurden sie hier in Ôtsuka von starken
Schneefällen überrascht. Seine Mutter, die ohnehin
kränklich war, stürzte nieder und tat ihren letzten
Atemzug. Als er im dichten Schneetreiben an den Leichnam seiner
Mutter geklammert weinte, habe ihn der alte Nukasuke zufällig
gefunden und zum Dorfvorsteher gebracht. Eigentlich heiße er
Sôsuke, aber hier wurde er Gakuzô gerufen und seither
gezwungen, für den Vorsteher hart zu arbeiten.
"Haaaaa....",
seufzte Shino, der sich zu Sôsuke, dem früheren Gakuzô, umgewandt hatte. Er hatte, wie
er sich nun entsann, tatsächlich einmal davon reden gehört,
dass jener halb
von Schnee verschüttet gefunden worden sei. Zwar hatte er Mitleid
mit diesem gleichaltrigen Jungen empfunden, der in Diensten dieses
raffgierigen Ehepaars wie ein Haustier gehalten und zu harter Arbeit
gezwungen wurde, aber dass er aus dem Schnee ausgegraben worden war,
das geschah, als auch Shino erst sieben Jahre alt war, weshalb er nie
besonders auf den Jungen geachtet hatte.
"Dann seid Ihr also der Spross eines aufrechten, wackeren Samurai, nicht wahr?"
Jetzt fiel ihm auch ein, wie emsig Sôsuke Lesen und Schreiben gelernt und bei der Schwertkampfschule
durch die Tür geschaut hatte. Auch hatte er fein geschnittene
Gesichtszüge, wie man sie bei einem gewöhnlichen Knecht eines
Dorfschulzen nicht findet.
Nun erzählte Shino, wie er zu seinem Päonienmal und zu der
Kristallkugel gekommen war. Sôsuke konnte mit seiner Begeisterung kaum an sich halten.
"Und was hat das alles zu bedeuten?"
"Das weiß ich auch nicht."
Sie schauten einander aufs Neue an.
"Auf jeden Fall verbindet uns ein besonderes Schicksal."
"Wir haben auch beide keinen Vater und keine Mutter mehr."
"Dann müssen wir zwei künftig fest zusammenhalten."
"Ja, und uns als Brüder betrachten."
Die beiden Elfjährigen drückten einander fest die Hand.
Inukawa Sôsuke im Manga
"Jetzt lebt Ihr zwar in diesem Hause, Herr Shino, aber ich weiß
gut Bescheid über das Verhältnis zwischen Euch und dem
Ehepaar, dem ich diene. Ich fürchte, es ist ungünstig, wenn
sie bemerken, dass wir zusammenhalten. Bis sich eine andere Situation
ergibt, sollten wir auch weiterhin wie bisher möglichst
distanziert miteinander umgehen. Und für die Zunkunft möchte
ich mich im Schwertkampf üben, aber Lehrmeister Akaiwa ist nicht
mehr da. Aber Ihr habt ja die Grundlagen erlernt, Herr Shino, und ich
habe mir beim Zuschauen manches gut gemerkt. Ich brauche nur noch
viel Übung. Nukasuke hat mir berichtet, dass Herr Akaiwa neulich
beim Abschied am Fluss Kaniwagawa gesagt habe, üben könne man
auch allein, mit einem Baumstamm als Partner. Lasst uns von jetzt an
heimlich nachts in den nahen Wald gehen und den Schwertkampf
üben", sagte Sôsuke.
Mit bewunderndem Blick sah Shino auf den Jungen.
"Einverstanden. Ihr seid viel willensstärker als ich. Ihr seid mein älterer Bruder!", rief er.
So war nun unverhoffterweise auch der zweite Hundekrieger, der Inukawa Sôsuke heißt, aufgetaucht, ohne Lehrmeister und ohne Eltern.
Inuzuka Shino, Inukawa Sôsuke....
Inuzuka
und Inukawa sind in Japan zwar keine häufigen, aber auch keine
ungewöhnlichen Familiennamen. Das Wort "inu" bedeutet
"Hund", Inuzuka bedeutet "Hundehügel", Inukawa bedeutet "Hundefluss". Alle
Hundekrieger gehören per Herkunft dem Samuraistand an und haben früher oder später keine
Eltern mehr, da ihre eigentlichen Eltern laut Legende die verstorbene
Fusehime und ihr Hund Yatsufusa waren.
Bei Brüdern ist in Japan der ältere Bruder für die jüngeren eine Respektsperson.
|
Die
beiden Jungen bildeten sich, wenn niemand es gewahrte, durch die
Lektüre von
Büchern fort, und übten tief im Wald, wo kein Zeuge es sehen
konnte,
wie zwei junge Panther den Schwertkampf. Das war schon
kein Verhalten gewöhnlicher Jungen mehr. Sie kannten noch
nicht ihr
Ziel, aber irgendwelche Geister hatten womöglich von den beiden
Besitz ergriffen und peitschten sie voran.
⑥
Im
Dorf Ôtsuka wechselten mehrmals Frühling und Herbst.
Man schrieb nun das 9.Jahr Bunmei (1477). Auch in der
Kantô-Region hatte sich das Kriegsgeschehen wie ein
Flächenbrand hierhin und dorthin ausgebreitet, aber
wundersamerweise zogen die Kriege das Dorf Ôtsuka nicht in
Mitleidenschaft. Im 4.Monat dieses Jahres aber erhob sich
ganz in der Nähe ein Schlachtgetöse, das die Bewohner des Dorfes in Schrecken
versetzte. Der Adelsherr Nerima Heizaemon, der
sein Feldlager im Nachbarort Ikebukuro aufgeschlagen hatte, wurde
durch die Streitmacht des Shogunatsfürsten Ôgiyatsu Sadamasa
angegriffen und vernichtend geschlagen. Am Ende entging Ôtsuka
zwar dem Krieg, aber bis in den folgenden Sommer hinein wurde das Dorf
von Kriegsleuten heimgesucht, die nach entkommenen Angehörigen des
Hauses Nerima suchten.
Eines Abends gegen Ende des 4.Monats, als Shino mit dem Schwert im Brokatbeutel an der Seite durch den Garten des Anwesens ging, rief jemand von hinten: "Herr Shino!"
Zwischen den Bäumen erschien das Mädchen Hamaji, das im Hause
Ôtsuka lebte. Shino war inzwischen achtzehn, Hamaji fünfzehn
Jahre alt. Shino war zu einem kräftigen und stattlichen jungen
Mann herangewachsen, aber Hamaji hatte sich noch weit mehr
verändert. Vor sieben Jahren, als Shino im Hause Ôtsuka
einzog, war sie ein kleines, argloses Mädchen gewesen, das freudig durchs Haus gerannt war und allen lauthals verkündet hatte: "Mein Bruder
ist gekommen, mein Bruder ist da! Ich will später die Braut meines
Bruders werden!"
Jetzt war sie zu einer so wunderschönen jungen Dame geworden, dass jeder, der sie erblickte, entzückt von ihr war.
Hamaji sprach nicht oft mit Shino. Es war, als trennte sie ein
unsichtbarer Vorhang. Shino war davon überzeugt,
dass sein Onkel und dessen Frau absichtlich Hamaji von ihm fernhielten.
Er wusste, dass das Ehepaar zu ihm nicht aufrichtig war, und Shino
zeigte dem Ehepaar Ôtsuka auch seinerseits nicht
seine wahren Gefühle.
Es kam also nur selten vor, dass Hamaji ihn ansprach.
"Herr Shino, helft mir bitte!", rief sie mit weit aufgerissenen Augen.
"Worum geht's denn?"
"Lehrmeister Aboshi sagte, er wolle mit mir zusammen fortlaufen."
"Der Lehrer Aboshi? Warum das denn?", fragte Shino mit verwundertem Gesicht.
Der
Schullehrer Aboshi Samojirô war vor etwa zwei Jahren ins Dorf
gekommen und hatte eine Privatschule eröffnet. Er war vermutlich
ein herrenloser Samurai des Hauses Ôgiyatsu. Seit
Inuzuka Bansakus Tod war niemand mehr da, der den Kindern Lesen
und Schreiben beibrachte, weshalb die neue Schule recht erfolgreich
war, aber schon bald jagte Samojirô die Kinder davon und scharte
Frauen und Mädchen aus dem Dorf um sich, denen er
Flötenspiel, Handtrommel und modische Lieder beibrachte. Er war
etwa 25 Jahre alt und ein geschniegelter Stutzer. Und ein arger
Schürzenjäger, so munkelte man im Dorf über Aboshi
Samojirô.
"Wohin will er denn fortlaufen?"
"Das weiß ich auch nicht. Er sagt nur, wenn wir nicht schnell zusammen fliehen, würde etwas Schlimmes geschehen."
"Etwas Schlimmes?"
"Ich könnte bei der Suche nach Angehörigen des Hauses Nerima gefasst werden."
"Was? Du, Hamaji? Als Angehörige des Hauses Nerima?"
Shino
starrte Hamaji an, aber dann fiel ihm gleich ein, dass er irgendwann
einmal hatte sagen hören, die hier adoptierte Hamaji sei die Tochter eines engen Gefolgsmannes des Hauses Nerima.
Deshalb hatte Hamaji auch nicht die geringste Ähnlichkeit mit
ihren Stiefeltern, dem Ehepaar Ôtsuka. Das war bei einem
Adoptivkind zwar nur folgerichtig, aber Shino konnte nicht begreifen,
woher ihre noblen Gesichtszüge kamen, und noch
weniger, warum ein so hochstehender Samurai sein Kind ausgerechnet Leuten
wie diesem Ehepaar zur Adoption anvertraut haben sollte.
"Du bist doch schon im Alter von zwei Jahren hier hergekommen. Ganz
gleich, von wo du abstammst, niemand wird sein Augenmerk auf dich als
'entkommene Angehörige' richten."
"Ja, aber als Herr Nerima besiegt wurde, sollen mein Herr Vater als Feldherr und mein älterer
Bruder mit den Kriegsleuten des Shogunatsfürsten gekämpft und
viele getötet haben. Mein Vater soll erschlagen, aber mein
Bruder entkommen sein, und ihn suchen sie jetzt mit größtem
Aufwand."
"Waaas?" Shino machte große Augen. "Wie heißen dein Herr Vater und dein Herr Bruder?"
"So viel ich weiß, heißt mein Vater Inuyama Dôsaku, und mein Bruder Inuyama Dôsetsu."
"Hast du sie jemals kennen gelernt?"
"Nein, kein einziges Mal."
Während Hamaji antwortete, füllten sich ihre Augen mit Tränen.
Hamaji mit Shino im Manga
Wenn ein Kind zur Adoption
fortgegeben wurde, war es üblich, dass die Familien der Eltern und der Adoptiveltern,
um späteres Leid und Reue zu verhindern, fortan auf Lebenszeit den Kontakt zueinander abbrachen. Shino kannte diesen Brauch. Nun fiel ihm auf, dass ihm Hamaji,
wenngleich nur aus der Ferne, in letzter Zeit niedergeschlagen erschienen
war. Voller Mitleid meinte er, dass sie wohl wegen der Aufregung um die
Vernichtung des Hauses Nerima in ihrem jungen Herzen Kummer leiden
musste.
"Nun ja, jedenfalls droht dir sicherlich kein Unheil, du brauchst keine Angst zu haben."
"Aber meine Stiefeltern..." - sie sprach von
Hikiroku und Kamezasa - "....fürchten sich davor, was ihnen der
Shogunatsfürst antun könnte, weil sie die Schwester
eines Samurai, nach dem gefahndet wird, hier großziehen...."
"Hat dir das der Lehrer Aboshi gesagt?"
"Ja, und deswegen sei es besser, rechtzeitig dieses Haus zu verlassen. Er wolle mich auf der Flucht begleiten...."
"Befürchten Onkel und Tante so etwas tatsächlich?"
"Ja, es sieht so aus", nickte Hamaji. "Unter diesen Umständen,
will mir scheinen, kann ich nicht länger hier bleiben. Aber mit
dem Herrn Aboshi fortlaufen - davor würde mir grauen."
Sie blickte Shino fest an.
"Herr Shino, bitte nehmt mich mit, mit Euch würde ich gehen!"
Shino fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Der
Abendwind hatte sich gelegt. Zwischen ihnen beiden wehte jedoch ein
anderer, ein süß duftender Windhauch. In diesem kurzen
Augenblick erkannte Shino, dass Hamaji ihn, und dass er Hamaji
liebte. Aber schließlich schüttelte er den Kopf.
"Das geht nicht."
"........"
"Jetzt fortzulaufen wäre ein Makel meiner Ehre. Ich schulde Onkel
und Tante dafür Dank, mich sieben oder acht Jahre lang betreut zu
haben. Jetzt mit dir wegzulaufen wäre eine
pflichtwidrige, undankbare Flucht."
"........"
"Ich würde es hassen, mir denselben Ruf einzuhandeln wie dieser Weiberheld Aboshi Samojirô."
Hamaji ließ enttäuscht den Kopf sinken.
Hamaji
In diesem Augenblick sah Shino einen Mann, der aus der
entgegengesetzten Richtung zwischen den Bäumen
auftauchte. Ihn durchfuhr ein leichter Schrecken.
"Junger Mann, Ihr redet altkluge Worte!"
Es war Aboshi Samojirô, in einen zweilagigen Morgenmantel mit
schwarzem Federmuster gekleidet. Er hatte sich mit Shinos Tante
Kamezasa angefreundet und ging in diesem Haus häufig ein und aus.
"Behaltet das, was Ihr soeben gesagt habt, gut im Gedächtnis. Ich werde es mir auch merken."
Mit einem kalten Grinsen im Gesicht schritt er im Abendrot davon.
Shino war weder zornig noch fürchtete er sich; er war vielmehr
verblüfft. Er hatte Aboshi Samojirô als einen Kerl
betrachtet, der
zwar in allerlei musischen Künsten bewandert, ansonsten aber
bloß ein liederlicher Herzensbrecher war. Nun hatte er
erstmals dessen andere, unheimlichere Seite kennen gelernt. Es war das
erste Anzeichen für das Verhängnis, das diese beiden jungen
Leute bedrohte, die bisher in unbeschwertem Frieden gelebt hatten.
Tatsächlich ließen die Häscher des
Shogunatsfürsten Ôgiyatsu Hamaji unbehelligt, und Aboshi
Samojirô setzte, aus welchem Grund auch immer, eine unbeteiligte
Miene auf, als hätte er glatt sein Gedächtnis verloren. Nach
dem Jahreswechsel begann jedoch der Sturm aufzuziehen, durch den die
sechzehnjährige Hamaji dem unbarmherzigen Todesgott zum Opfer
fallen
und der neunzehnjährige Inuzuka Shino in eine Welt
tragischer Kämpfe auf Leben und Tod geworfen werden sollte.
⑦
Es war das 10.Jahr Bunmei (1478).
Dieses Gebiet lag unter der Herrschaft des militärischen
Oberbefehlshabers, des Fürsten Ôishi Norikata, einem engen Vertrauten des
Shogunatsfürsten
Ôgiyatsu, aber im 5.Monat unternahm sein neuer Truppenkommandant Higami
Kyûroku in Begleitung seines Offiziers Nurude Gobaiji und anderer
eine Inspektionsreise. Als er nach Ôtsuka kam, beherbergte ihn
das Anwesen des Dorfvorstehers für eine Nacht. Zu seiner
Unterhaltung während des Banketts am Abend wurde Hamaji zum
Musizieren auf der Koto herbeigerufen, und als Higami dieses
bildschöne Mädchen erblickte, lief ihm augenblicklich das
Wasser im Mund zusammen.
Einige Tage später erschien Nurude Gobaiji als Bote seines Herrn.
Er verkündete, dass er Fräulein Hamaji als Gemahlin für
Herrn Kommandanten Higami Kyûroku mitnehmen wolle. Der war in diesem Frühjahr nämlich gerade Witwer geworden.
Selbst das abgebrühte Ehepaar Ôtsuka lehnte in Erinnerung an
jenen einem brünstigen Affen gleichenden 40jährigen
Higami das Ansinnen ab; Hamaji sei leider bereits mit einem
anderen Mann verlobt. Gobaiji setzte ein etwas hämisches Gesicht
auf und sagte, er wolle den Herrn Dorfvorsteher nur diskret darauf
hinweisen, dass in diesen unruhigen Zeiten, in denen man nicht
vorhersehen könne, wohin sich das Kriegsgeschehen wenden
würde, ohne die schützende Hand des Herrn Truppenkommandanten, wie er sicher wisse, die Zukunft des Dorfes schwer abzuschätzen sei.
Wie ein brünstiger Affe: Kommandant Higami
Dieses Ansinnen wurde hernach noch mehrmals insgeheim wiederholt, und
als der 6.Monat kam, erschien Gobaiji aufs Neue und sagte, dass er die
Angelegenheit schnell zu Ende bringen wolle, denn in Kürze solle
Kommandant Higami zum Herrn Oberbefehlshaber Ôishi nach Kamakura reisen und sich
voraussichtlich eine längere Zeit dort aufhalten. Wenn
möglich, solle in den nächsten Tagen die Ehe geschlossen
werden. Herr Higami lasse mitteilen, er könne, falls erforderlich,
auch persönlich erscheinen und im Hause Ôtsuka die
Hochzeit
feiern.
In großer Panik bat das Ehepaar Herrn Gobaiji, sich einen Augenblick
zu gedulden, zog sich zurück und steckte in einem anderen Raum die
Köpfe zur Beratung zusammen.
"Da es schon so weit gediehen ist, können wir ihn nicht länger zurückweisen."
"Bedenke ich, wie die Leute im Dorf hinter unserem Rücken noch
immer darüber tratschen, dass wir uns dieses Anwesen angeeignet
haben, meine ich, das Gerede wird schnell ein Ende nehmen, wenn wir den
Herrn Kommandanten zum Schwiegersohn bekommen."
Das war das Ergebnis der Beratung der Eheleute. Hikiroku war ohnehin
ein machtgieriger Mensch, und Kamezasa eine Frau, die sich ohne
Bedenken mit einem solchen Mann zusammengetan hatte.
Sie riefen Hamaji herbei und eröffneten ihr die Sache.
"Nie im Leben!", schrie Hamaji, ohne bis zum Ende zuzuhören,
sprang auf und wollte hinauslaufen. Hikiroku hielt sie schnell von
hinten fest.
"Wo willst du denn hinrennen?"
"Zu Herrn Shino."
"Was, zu Shino?"
Hamaji wand sich heftig und schrie:
"Ich habe schon vor langer Zeit beschlossen, dass ich die Braut des Herrn Shino werde!"
Mit einer Kraft, die man einer Sechzehnjährigen kaum zutrauen
würde, stand Hamaji im Begriff, sich von Hikiroku
loszureißen, weshalb er laut nach seinen Bediensteten rief.
"Hamaji, was redest du da für einen Unsinn, 'Braut von diesem Shino'? Wer hat dir das denn erlaubt?"
"Als Herr Shino hier herkam, habt Ihr, Herr Vater, es mir etwa nicht bestätigt?"
"Als Shino hier herkam?"
Hikiroku staunte. Er hatte vollkommen vergessen, dass er jemals so etwas gesagt hatte, aber selbst wenn es stimmte, war Hamaji damals erst acht Jahre alt.
Auf den Ruf von Hikiroku erschienen jetzt ein halbes Dutzend Bedienstete.
"Haltet mir das Mädchen eine Zeit lang irgendwo fest. Und achtet
darauf, dass keine Nachricht von ihr zu dem Anbau gelangt."
"Herr Shino ist heute Abend ohnehin nicht zuhause", antwortete einer der Knechte.
"Ja, wo ist er denn?"
"Nukasuke ist schwer erkrankt, und am Abend stand es so schlimm um ihn, dass Herr Shino an sein Krankenlager geeilt ist."
"Ach so."
Nachdem sie Hamaji fortgeführt hatten, nickte Hikiroku zufrieden.
"Umso besser, damit ist die Sache bestens gelaufen. Hamaji kann
sich doch nicht schon mit acht Jahren in solche Gedanken verbohrt
haben. Die beiden werden sich aber in letzter Zeit in einander verknallt und sich heimlich, damit wir es nicht merken, abgesprochen haben. Das ist, als würde man von dem Hund, den man ernährt, in die Hand gebissen!"
"Ja, ich habe wirklich einen Schrecken bekommen", antwortete Kamezasa erleichtert.
"Das kommt davon, dass du Shino so süß fandest. Na ja, mit dem bist du ja auch blutsverwandt."
"Das schon, aber obwohl wir ihn bisher großgezogen haben, neigte
er kein einziges Mal dankbar seinen Kopf vor uns. Vielmehr trägt
er allezeit das Schwert Murasame bei sich, ohne es je wegzugeben. Das finde ich nicht gerade süß."
"Genau, Murasame. Wenn wir
Shino fortließen, wäre auch das Schwert weg. Das darf nicht
passieren. Ich habe mir schon lange immer wieder überlegt, wie wir
da herankämen, aber es bot sich bis zum heutigen Tag einfach keine
Gelegenheit. Wenn wir Hamaji den Kerl heiraten ließen,
hätten wir im Alter keinerlei Sicherheit."
"Bevor du dir darum Sorgen machst, überleg dir lieber, was du dem Boten des Herrn Kommandanten mitteilen willst."
"Ach, das... Dem kann ich keine Absage erteilen. Die Sache kommt
vielmehr auch uns zugute. Wir sollten dankend einwilligen", sagte
Hikiroku. "Ich habe gerade eine Idee, wie wir alle lästigen Dinge
auf einmal erledigen könnten. Ich werde mir später
anhören, was du dazu sagst. Jetzt geben wir aber erst dem
Gesandten die Antwort, dass wir den Wunsch nach der Hochzeit annehmen. Alles weitere überlass mir mal."
Hikiroku und Kamezasa schmieden Ränke
Die beiden kehrten zu Nurude Gobaiji zurück und gaben ihm den
gewünschten Bescheid. Der hatte in der Zwischenzeit Sake trinkend
gewartet und sagte:
"Ich habe gerade eine weibliche Stimme 'ich gehe zu Herrn Shino, ich
werde Herrn Shinos Braut' rufen hören. War das Hamaji? Und wer ist
Shino?"
Hikiroku wurde verlegen.
"Ach ja, das ist der Verlobte von Hamaji, den ich neulich erwähnte."
"Hm. Das wird am Ende Ärger geben, wenn man sie als Braut hergibt, obwohl sie einen Verlobten hat."
Gobaiji wiegte sein Haupt, dachte eine Weile nach und meinte dann:
"Dann machen wir es so. Wie ich vorhin gesagt habe, lassen wir in vier
Tagen den Herrn Kommandanten persönlich herkommen...."
"Wie? Den Herrn Kommandanten?"
".....und feiern hier die Hochzeit. Dann sorgen wir schon dafür,
dass sich auch das Fräulein trotz allem damit abfinden wird. Ich
bitte nur darum, es bis dahin vor ihr geheim zu halten."
⑧
Zu derselben Zeit war Shino auf Krankenbesuch bei dem im Sterben
liegenden Knecht Nukasuke. Obwohl er wusste, dass die Beziehung
zwischen Bansaku und dem Dorfvorsteher-Ehepaar unerquicklich war, hatte
Nukasuke, ein herzensguter alter Mann, sich zu Lebzeiten Bansakus immer
auch um diesen und den Sohn gekümmert. Am heutigen Tag, an dem er
wegen der schweren Krankheit sein Ende nahen fühlte,
eröffnete er dem herbeigeeilten Shino einen ungewöhnlichen
Wunsch.
"Herr Shino, werdet Ihr nicht einmal nach Koga reisen?", begann Nukasuke.
"Nach Koga? Weshalb?"
"Ich habe gehört, dass sich Ashikaga Shigeuji als Shogunatsfürst der Kantô-Region
dort niedergelassen habe. Von Herrn Bansaku erfuhr ich, dass das Haus
Inuzuka ursprünglich zu den Vasallen des Shogunatsfürsten der
Kantô-Region zählte und dass er Euch, Herrn Shino, wieder in
dessen Dienste geben möchte, falls Shigeuji eine bedeutende
Stellung im Reich innehaben sollte."
"Ja, dieser Wunsch meines Herrn Vaters ist mir bekannt." Shino wandte seinen Blick auf das Schwert Murasame,
das er wie immer mit sich führte. "Aber es bot sich noch keine
Gelegenheit dazu, und ich habe nicht vor, heute oder morgen dorthin
abzureisen. Aber es ist gut möglich, dass ich bald nach Koga gehen
werde. Weshalb fragst du?"
"Es kann sein, dass mein Sohn sich dort befindet."
"Was, du hast einen Sohn?"
Nukasuke war ein allein lebender Knecht gewesen.
"Falls er am Leben sein sollte, dürfte er etwa ein Jahr älter sein als Ihr."
Dann fing Nukasuke an zu erzählen.
Bis vor etwa zwanzig Jahren war Nukasuke ein Fischer in Sunosaki im
Lande Awa gewesen. Er hatte eine Ehefrau und auch einen Sohn. Nachdem
sie das Kind geboren hatte, genas die
Gattin aber nicht recht und lag lange kränklich darnieder. Deshalb
konnte Nukasuke kaum noch zum Fischen hinausfahren und musste sich Geld
borgen. Um für seine Frau Arznei kaufen zu können, fuhr
er in einer Sommernacht zum Fischen in ein Gebiet, in dem das
Fischen strengstens verboten war, und wurde erwischt. Zu seinem
Glück erließ der Landesfürst, Herr Satomi, im Herbst
anlässlich des 3.Todestags seiner Tochter, Fräulein Fusehime,
eine Amnestie, und Nukasuke kam aus dem Kerker frei, aber in
der Zwischenzeit war seine Frau gestorben.
Sein zweijähriger Sohn befand sich in der Obut des Dorfvorstehers,
aber Nukasuke konnte nicht länger in Sunosaki leben und lief ohne
Ziel mit dem Kleinkind auf dem Arm in Richtung Shimôsa. Als
er das Städtchen Gyôtoku erreichte, war er kurz vorm
Verhungern und wollte sich samt seinem Sohn in den Fluss
stürzen. Davon hielt ihn ein stattlicher Samurai ab, der just samt
Gefolge des Weges geritten kam. Nach einem
Augenblick des Überlegens sprach der Samurai zu ihm:
"Dein Kind ist ohne jede Schuld. Es wäre allzu grausam,
wenn ein Vater sein Kind mit in den Tod nähme. Ich selbst bin
kinderlos; ich werde es an mich nehmen. Ich bin jedoch gerade als Bote
auf dem Weg zum Fürstenhaus Satomi in Awa und werde es daher einem
Bekannten hier in Gyôtoku übergeben und auf dem Rückweg
wieder abholen. Wie dünkt dich das?"
Ohne zu zögern willigte Nukasuke ein. Der Samurai gab ihm etwas Geld und sagte:
"Es ist bei einer Adoption üblich, dass sich Eltern und
Adoptiveltern ihr ganzes Leben lang von einander fernhalten. Ich frage
nicht nach deinem Namen und nenne auch meinen nicht. Aber mach dir
keine Sorgen um dein Kind, ich stehe in Diensten eines Herrn, der mit
dem Shogunatsfürsten der Kantô-Region verwandt ist. Mehr
brauchst du nicht zu wissen."
Der Samurai reichte das Kind einem Gefolgsmann und ritt davon. Das war alles.
Nukasuke verschlug es zufällig in das Dorf Ôtsuka, wo er als Knecht bei einem Bauern arbeitete.
"Aber ich habe keinen Tag lang meinen Sohn vergessen. Ich hatte jedoch
einst versucht, ihn umzubringen und ihn danach einem Fremden gegeben; ich brachte daher nicht den Mut auf, nach ihm zu suchen.
Jener Samurai hatte gesagt, er stehe
in Diensten eines Herrn, der mit dem Shogunatsfürsten der
Kantô-Region verwandt ist; ich hörte mich um und fand
heraus, dass es sich um niemand anderen als den Herrn Ashikaga Shigeuji
handeln kann, der jetzt in Koga residiert. Jetzt liege ich hier im
Sterben. Falls Ihr also nach Koga reisen und zufällig meinem Sohn
begegnen solltet, möchte ich Euch darum bitten, ihm zu berichten,
dass sein Taugenichts von Vater, sich immerfort in Sehnsucht nach seinem Sohn verzehrend, hier verstorben sei."
"Und wie heißt dein Sohn?"
"Ich habe ihm den Namen Genkichi gegeben, aber er wird den
Familiennamen des Samuraihauses seines Adoptivvaters angenommen haben.
Seinen jetzigen Rufnamen kenne ich nicht."
Bei diesen Reden war Nukasukes Atem ins Röcheln übergegangen, und sein Gesicht hatte sich grau verfärbt.

Der alte Nukasuke
"Nur ein Erkennungszeichen gibt es; der Junge hat auf seiner rechten
Wange ein Muttermal, dessen Form einer Päonienblüte
ähnelt, und sieben Tage nach seiner Geburt wollte ich eine Brasse,
die ich gefischt hatte, als Mahlzeit zubereiten; da kam aus dem Bauch
des Fischs eine wunderliche Kristallkugel zum Vorschein, in der ein
Schriftzeichen zu erkennen war. Die habe ich dem Samurai zusammen mit
dem Kind überlassen."
"Waaaas? Ein päonienförmiges Mal und eine Kristallkugel mit
einem Schriftzeichen darin?", rief Shino aus. Er hatte mit niemandem
außer Sôsuke je über sein eigenes Päonienmal und
seine Kristallkugel gesprochen, weil solche Wunderzeichen doch allzu
seltsam waren.
"Welches Schriftzeichen war in der Kugel sichtbar?"
"Das Zeichen SHIN."
Das waren Nukasukes letzte Worte, bevor er entschlief.