①
Wenige
Tage später wurde Burg Tateyama überrumpelt. Es war noch gar
nicht lange her, dass die Burg an das Haus Satomi gefallen war, und in
der Nacht waren durchaus Samurai auf Patrouille, die jedoch das
Eindringen der Feinde überhaupt nicht bemerkten. Sie hatten nicht
einmal irgendwelche Geräusche von außen heranstürmender
Truppen vernommen.
In der Burg lagen um die 300 Burgritter im Schlaf; gegen 2 Uhr erwachten
sie durch ungewöhnliche Laute gleich bei ihren jeweiligen
Räumen und erblickten unbekannte Kriegsleute, die mit Fackeln in
der Hand eindrangen. Sie wollten aufspringen und fielen gleich wieder auf
ihr Lager zurück. Vorher waren ihnen nämlich schon irgendwann
Bande um die Fußgelenke geschlungen und jeweils mehrere Ritter
zusammengebunden worden, und beim Aufspringen zogen sich die
Schlingen zu. Weit mehr als einhundert bewaffnete Feinde waren wie
durch Zauberei urplötzlich im Innern der Burg aufgetaucht. Wer
sich trotzdem zur Wehr setzte, wurde auf der Stelle erschlagen. So gut
wie alle Burgritter gerieten in Gefangenschaft.
Auf die Streitmacht des Hauses Satomi, die am Morgen auf diese Nachricht hin mit wehenden Fahnen und gezückten Klingen von Burg Takita her
anrückte, prasselte ein Regen von Pfeilen nieder. Und
über der Burgmauer wurden drei Banner aufgesteckt, auf denen in
großen Schriftzeichen zu lesen war:
"Bis Fräulein Hamaji hergeschickt wird, enthaupten wir jeden Tag drei Ritter des Hauses Satomi."
"Im Fall eines Angriffs werden zehn Samurai enthauptet."
"Das Haus Satomi, das sich seiner Güte rühmt, sollte nicht
unnötigerweise das Blut seiner Getreuen vergießen."
Und wie angedroht, begann Hikita Motofuji sogleich, hoch auf den Zinnen
der Burg täglich drei der gefangenen Vasallen des Hauses Satomi
hinzurichten.
Hikita Motofuji ist wieder Burgherr
Hierdurch
war Satomi Yoshinari erneut in eine ausweglose Situation geraten. Sollte er
Hamaji ausliefern? Ausgeschlossen. Aber zulassen, dass Tag für Tag
drei seiner Ritter enthauptet werden? Ausgeschlossen. Diese
schmerzliche, grauenvolle Lage war nicht weniger schlimm, nein, eher
noch schlimmer als zuvor, als sein Sohn Tarô als Geisel
festgehalten worden war.
Angesichts ihres sich vor Qualen verzehrenden
Herrn entstand unter seinen Vasallen Unruhe. Mitleid, Ungeduld, Zorn...
das Durcheinander der Gefühle war erheblich.
"Holt den Inue Shinbei her!", murrten einige. Aber nicht, weil sie
meinten, niemand als dieser Momotarô mit seinem langen Stock sei
in der Lage, sie aus dieser Gefahr zu erretten, sondern weil diese
große Notlage der Forderung dieses Knirpses zu verdanken war, den
Motofuji zu verschonen und laufen zu lassen. Er müsse
zurückgeholt werden, die Verantwortung übernehmen und den
Motofuji totschlagen. Andere verlangten sogar, ihn zu bestrafen.
Kein Wunder, dass nicht nur Shinbeis Großmutter
Myôshin, sondern auch Obayuki Yoshirô vor Gram litten. Nach
einigen Tagen machte sich jedenfalls Yoshirô auf die Suche nach
Shinbei. Er war sich aber selber nicht in Klaren, ob er ihn holen oder lieber
von der Rückkehr abhalten sollte. Er hielt es einfach nicht
einfach länger zuhause aus, wusste jedoch nicht
einmal, wo Shinbei überhaupt steckte. Sein Ziel war klar; das Lehen
Hokita. Aber er hatte ja erzählt, er wolle vorher eine
Besichtigungsreise durch die Bôsô-Halbinsel und nach Edo
unternehmen; Yoshirô zählte also die verstrichenen Tage seit seiner
Abreise und meinte, dass Shinbei nun in Edo
eingetroffen sein müsste. Dorthin wandte er sich.
Der alt gewordene Obayuki Yoshirô
Und wo befand sich Inue Shinbei wirklich?
Wenige Tage nach Obayuki Yoshirôs
Aufbruch aus Awa machte Shinbei an einem Frühlingsabend Rast in
einem reetgedeckten Teehaus am Rand des Shinobazu Weihers im Dorf Ueno
bei Edo. Draußen fiel der typische
Frühlingsnieselregen. Und selbstverständlich sah es dort ganz
anders aus als im heutigen Ueno. Mehr als ein Weiher war das
Gewässer Shinobazu vielmehr ein von Schilf und Lotos nahezu
zugewachsener See, an dessen Rand sich nur eine Ansammlung von
Schilfhütten samt diesem Teehaus befand. Von dem bewaldeten
Hügel jenseits des Weihers schimmerte das Ziegeldach einer kleinen
Burg, eine wirklich hübsche Aussicht.
Der Shinobazu Weiher existiert noch heute und sieht auch weitgehend so aus wie hier beschrieben.
Der bewaldete Hügel jenseits des Weihers ist der heutige Ueno
Park. Diese Orte liegen nur wenige hundert Meter von dem in Kapitel 9
genannten Heiligtum Yushima Tenjin Schrein entfernt, wo sich die
Episode um den entlaufenen Makaken abspielte.
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Überall, wo er hinkam, wurde dieser kleine Wandersmann zum Ziel von
Neugier und Gelächter, und auf seinem Weg hierher waren ihm schon
etliche Wegelagerer begegnet, die sich, mehr um ihn zu hänseln,
mit ihm anlegen wollten, aber umgehend von seinem wirbelnden Stock
ins Koma gehauen wurden.
An diesem Tag saßen, wohl wegen des Regens, nur zwei oder drei
Gäste in dem Teehaus. Neugierig schwatzte die alte Frau vom
Teehaus mit dem Jungen und kam dann mit einem Teller voller
Klößchen, den sie vor Shinbei hinstellte.
"Mit Verlaub, was hat es damit auf sich?"
Auch seine Ausdrucksweise war komisch. Die Alte hielt die Hand vor den Mund, um nicht loszukichern.
"Das sind Reismehlklößchen."
"Ich gestattete mir nicht, derartiges zu bestellen."
"Es sind Klößchen, die ich dem Herrn Momotarô spendiere."
Die
Süßspeise Kibidango (Klößchen aus
süßem Reismehl) gilt bis heute als die Lieblingsspeise des
Momotarô
Sogar als fahrender Jungkrieger ausstaffiert sah Shinbei für die Leute offensichtlich noch immer aus wie Momotarô.
"Zu Diensten, aber ich bin weder Affe noch Hund noch Fasan,
die Reismehl mögen. Wer bist du, die
Momotarô Klößchen vorzusetzen geruht?"
"Ich bin eine Füchsin."
"He?" Shinbei machte große Augen. "Kommt in dem Märchen von Momotarô eine Füchsin vor?"
"Nein, eine Füchsin kommt darin nicht vor", lachte die alte Frau.
Für eine Teehauswirtin machte sie einen vornehmen Eindruck, und
Shinbei fand sie nicht unsympathisch. Während er ein Klößchen
nach dem andern vertilgte, fragte er:
"Mit Verlaub, was ist das dort?" Shinbei wies auf einen Bambusverhau auf der anderen Seite des Weihers.
"Das ist... Ich habe auch erst seit Kurzem hier in dem Teehaus
angefangen und weiß es nicht so genau... Ich habe gehört, es
sei der seit alter Zeit benutzte Richtplatz von Burg Mukaigaoka."
"Gestatten, wer ist der Burgherr jener Burg?"
"Herr Shogunatsfürst Ôgiyatsu Sadamasa", sagte die alte
Frau. "Bislang weilte er auf Burg Isarago, aber dort gab es im 1.Monat
dieses Jahrs eine heftige Auseinandersetzung, bei der jene Burg
niederbrannte. Seitdem ist er hierher gezogen."
Shinbei schwieg eine Weile und stopfte sich weitere Klößchen in den Mund.
Bevor er zu dieser Reise aufgebrochen war, hatte Shinbei den Bericht
des Amasaki Jûichirô an Herrn Yoshizane mit angehört.
Darin war davon die Rede gewesen, dass die anderen sieben Hundekrieger
den Ôgiyatsu Sadamasa angegriffen hatten. Davon wird
die Frau eben gesprochen haben.
Da stieß Shinbei auf einmal einen Schrei aus und sprang von seinem Tisch auf.
"Onkeeel!!!"
Der alte Mann, der durch den Nieselregen in das Teehaus gelaufen kam, blieb wie angenagelt stehen.
"Shinbei, hier bist du also! ... Ich habe dich überall gesucht.
Endlich habe ich dich gefunden!", rief Obayuki Yoshirô, dankbar
die Hände über seiner Brust zusammenschlagend.
"Shinbei, etwas Fürchterliches ist geschehen."
"Zu Diensten, worum handelt es sich?"
"Der Hikita Motofuji, dem auf deine Fürsprache das Leben geschenkt
worden war, hat sich der Burg Tateyama erneut bemächtigt!"
"Heee..."
Da riss sogar Shinbei vor Staunen die Augen auf.
Obayuki Yoshirô berichtete, wie ihnen die Burg wieder
entrissen worden war.
"Nur eines verstehe ich nicht. Es war zwar
nachts, aber es waren Patrouillen auf Wache, und die haben auch gut
aufgepasst --- wie ist es möglich, dass die Feinde so einfach in
der Burg auftauchen konnten? Wie die drei Samurai berichteten, die mit
knapper Not entronnen sind, tauchten mehr als einhundert Bewaffnete
urplötzlich mitten in der Burg auf..."
Während Inue Shinbei zuhörte, färbten sich seine runden Kinderbäckchen knallrot.
"Zu Diensten! Ich gestatte mir, unverzüglich heimzukehren!"
Er griff nach seinem an die Wand gelehnten Stock, aber Yoshirô rief schnell:
"Halt, warte! Ich weiß nicht recht, ob es gut ist oder nicht,
wenn du jetzt heimkehrst. In Burg Takita bestehen viele mit Nachdruck
darauf, dass all das Unheil diesem Jungen, also dir, zu verdanken sei, und
verlangen, ihn zurückzuholen und vor Gericht zu stellen", sagte
er, um Shinbei zurückzuhalten, da ertönte ein lauter Schrei neben
ihm.
Sie wandten sich um und sahen, wie die Frau vom Teehaus starr wie ein
Stock dastand und zum Shinobazu Weiher blickte. Yoshirô und Shinbei hatten
gar nicht bemerkt, dass die alte Frau hinter ihnen stand, und folgten ihrem Blick.

Auch heute noch mit Lotos fast zugewachsen: Der Shinobazu Weiher in Ueno im Nieselregen
Dort war zu sehen, wie ein Mann in weißem Gewand auf einem Pferd
auf jenen Bambusverhau zuritt, eskortiert von einem Dutzend Rittern zu
Fuß, die Speere in den Händen hielten.
"Ach, das ist Herr Satarô!", rief die alte Frau mit erstickter
Stimme. "Ich hatte es schon längst befürchtet und
täglich vor Angst Ausschau gehalten. Und jetzt ist es wirklich so
weit!"
Sie sprach mit zitternder Stimme, drehte sich plötzlich herum und flehte Obayuki Yoshirô inbrünstig an:
"Helft doch bitte, Herr Samurai!"
"Worum geht es überhaupt?", fragte Yoshirô verblüfft.
"Der Mann dort ist mein Herr, oder vielmehr, er ist ein Herr mit Namen
Kawagoi Satarô, und ich war früher seine Ziehmutter!"
"Der gefesselte Mann auf dem Pferd?"
"Ja. Im 1.Monat dieses Jahres geriet der Herr Shogunatsfürst in
eine große Gefahr. Herr Satarô und sein Herr Vater Kawagoi
Gonnosuke wurden verdächtigt, mit den Angreifern gemeinsame Sache
gemacht zu haben. Herr Gonnosuke hat an dem Tag des Angriffs Seppuku
begangen. Dadurch erhärtete sich der Verdacht noch, und ich
habe gerüchtweise vernommen, dass sein Sohn, Herr Satarô,
in den Kerker geworfen wurde. Und jetzt wird er zum Richtplatz
geführt....!"
Die alte Frau war außer sich vor Schmerz. "Ich
flehe Euch an, bitte rettet diesen Herrn, ...bitte! ...Bitte!"
"Aha", sagte Yoshirô mit einer Miene, die besagte, dass es ihm unangenehm war, in diese Sache hineingezogen zu werden.
"Gute Frau, du tust mir zwar leid,
aber in meinem Alter reichen die Kräfte dazu nicht mehr aus.
Außerdem habe ich jetzt keine Zeit, mich darauf einzulassen...."
"Onkel, geruht bitte zu warten!", rief Shinbei. "Wenn er mit den
Angreifern gemeinsame Sache gemacht haben soll, dann steht er doch auf
der Seite der Hundekrieger, nicht wahr?"
Yoshirô machte ein verdutztes Gesicht. "Das mag schon sein... Ich kenne den Zusammenhang nicht."
"Zu Diensten, meine Wenigkeit mag es nicht, Menschen umzubringen", sagte
Shinbei. "Und auch nicht, es tatenlos hinzunehmen, wenn Menschen
umgebracht werden. Ich gestatte mir, mal kurz hinzugehen und den Mann
zu retten. Und danach erlaube ich mir, die Flucht zu ergreifen und
sofort schnellstens nach Awa zu eilen! Onkel, geruht bitte, in aller Ruhe
nachzukommen!"
Es blieb keine Zeit für Widerworte, so geschwind schnappte sich
Shinbei seinen Stock und sauste aus dem Teehaus fort. Von da aus
umrundete er so blitzschnell wie Idaten,
die Gottheit des Siegs der Gerechtigkeit, den Weiher und flitzte dann mit
erhobenem Stock geradewegs in den Bambusverhau hinein. Es war genau der
Augenblick, in dem die Klinge erhoben wurde, um das Haupt des
niederkauernden Delinquenten abzuschlagen. Als die Amtsleute merkten,
dass der wie vom Himmel hereingeschneite Eindringling ein kleiner Junge
war, blickten alle zu ihm her und kamen gelaufen. Shinbei schlug sie
allesamt mit seinem Stock zu Boden.
"Was ist.....", stammelte der Delinquent mit fassungslosem Gesicht.
"Zu Diensten! Ich habe zwar keine rechte Kenntnis, worum es hier geht,
aber geruht, die Güte zu haben, Euch bei der alten Frau aus dem
Teehaus zu erkundigen."
Er zeigte auf den alten Mann und die alte Frau, die ihm nachgelaufen kamen, schulterte seinen Stock und rannte davon.
②
Eine Stunde lang war Shinbei über die noch immer vom Nieselregen trüben Gefilde von Musashi nach Süden dahingesaust,
da erblickte er eine Person, die mitten auf dem Weg in seiner Richtung
saß. Vor Staunen blieb sein Mund sperrangelweit offen stehen. Es
war nämlich die alte Frau aus dem Teehaus. Sich verwundert die Augen reibend
trat Shinbei näher.
"Ich spreche Euch meinen allerherzlichsten Dank für vorhin aus",
sagte die Alte, sich bis zum Boden verbeugend. "Dank Eurer Hilfe ist
Herr Satarô mit dem Leben davongekommen. Er wird nicht mehr zum
Shogunatsfürsten zurückkehren, sondern in Kürze
zusammen mit dem alten Herrn nach Awa aufbrechen."
"Zu Diensten, freut mich. Aber mit welcher Abkürzung hast du es geschafft, vor mir hierher...."
"Ich schäme mich zwar, aber ich bin kein menschliches Wesen."
"Was?"
"Ich bin eine Füchsin", sagte die alte Frau leise.
"Eine Füchsin?" Shinbeis Mund stand schon wieder offen. "Du? Eine Füchsin?"
Shinbei fiel ein, dass diese Frau vorhin, in dem Teehaus, schon gesagt
hatte, dass sie eine Füchsin sei. Er hatte es für einen
Scherz gehalten.
In vielen Märchen und Legenden Ostasiens nehmen Füchse menschliche Gestalt an
Nun begann die Alte zu erzählen.
"Ich bin eine Füchsin,
die einst in Awa zur Welt kam. Vor
über zwanzig Jahren kam ich mit meinem Fuchsgemahl nach Edo und
wohnte auf dem Gelände der Burg Mukaigaoka. Der damalige Burgvogt
war Kawagoi Gonnosuke, ein enger Gefolgsmann des Hauses Ôgiyatsu.
Aber eines Tages kam mein Fuchsgemahl durch eine Falle, die ein Knecht
des Herrn Kawagoi aufgestellt hatte, ums Leben, und ich wurde auch
gefangen. Ich sollte eigentlich auch totgeschlagen werden, aber Herr
Gonnosuke und seine Gemahlin retteten mir das Leben. Die beiden hatten
Mitleid mit mir, dass ich nun ganz allein war, und stellten mir alle
Tage Bohnenreis und frittiertes Tôfu hin, damit ich
nicht verhungere.
Bald kam ihr Sohn Satarô zur Welt, aber nach dem Gebären
erholte sich die Gemahlin nicht recht und verstarb zu meinem Bedauern
einige Zeit später. Zum Glück befand sich unter den
Bediensteten eine Amme namens Masaki, die mit ihrer Milch den kleinen
Satarô ernährte, aber eines Tages nahm besagter Knecht die
Amme Masaki mit zum Shinobazu Weiher und forderte sie auf, gemeinsam
mit ihm davonzulaufen. Masaki weigerte sich, es kam zu einem
Handgemenge, in dessen Verlauf alle beide in den Weiher fielen und
ertranken. Ich schnürte gerade dort durch das Schilf und wurde zu
meinem Schrecken Augenzeugin des Geschehens. Als erstes kam mir
daraufhin der arme Säugling Satarô in den Sinn. Für ihn
müsste eine neue Ziehmutter gesucht werden. Aber besser wäre
es.... Ich wünschte mir, dem Ehepaar meine Dankesschuld
abzutragen... Füchse können das: Mein Wunsch erfüllte
sich auf der Stelle, und ich nahm die Gestalt der Masaki an.
Fortan zog ich als 'Masaki' den jungen Herrn Satarô groß, und
als er keine Milch mehr brauchte, blieb ich weiterhin in Diensten des
Hauses Kawagoi. Satarô hing sehr an mir, und sein Vater Gonnosuke
behandelte mich stets freundlich, weshalb ich nicht mehr in die Welt
der Füchse zurückkehren wollte. Aber als Herr Satarô
sieben Jahre alt war, wurde ich einmal krank und musste mich
niederlegen. Während ich mit hohem Fieber vor mich
hindämmerte, hörte ich Satarô rufen:
"Was ist denn mit dir los! Masaki, du hast ja ein Gesicht wie ein Fuchs!"
Trotz meines hohen Fiebers stand ich schwankend auf und verließ
auf der Stelle das Haus Kawagoi. Ich hatte zwar mein menschliches
Gesicht wieder, war mir aber nicht sicher, ob mein Fuchsgesicht nicht noch einmal
zum Vorschein käme; aus Furcht und Scham verließ mich der
Mut, im Hause Kawagoi zu bleiben.
Danach lebte ich lange Zeit im Wald des Tsumagoi Schreins in
Hongô, sehnte mich dabei aber in die Welt der Menschen
zurück und ließ mich vor einigen Jahren bei dem Teehaus vor
dem Yushima Tenjin Schrein anstellen. Im 1.Monat dieses Jahres
erblickte ich im Gefolge der Frau
Gemahlin des Shogunatsfürsten bei ihrem Schreinbesuch die Herren
Kawagoi, Vater und Sohn, die ich mehr als zehn Jahre nicht mehr gesehen
hatte. Herr Satarô rief: 'Ist das nicht Frau Masaki?', und ich
vergaß alle Vorsicht und lief auf ihn zu, aber daraufhin geschah
jener Zwischenfall, dass das Äffchen, das die Dame als Haustier
hielt, wild wurde und davonsprang. Als der Makake mich erblickte,
stieß er ein furchterregendes Gebrüll aus und starrte mich
böse an.
Wegen dieses Vorfalls verließ Satarô vorübergehend den
Schauplatz; hinterher würde er zweifellos zurückkommen und
nach mir suchen, dachte ich und flüchtete aus dem Teehaus. Nein,
nicht vor Satarô, sondern ich zitterte noch immer vor Furcht vor
dem wild gewordenen Affen. Er hatte bestimmt gewittert, dass ich eine
Füchsin bin.
Der Shogunatsfürst wurde später von sechs unbekannten
Kriegern angegriffen und geriet daraufhin bald in
allergrößte Lebensgefahr. Diese Auseinandersetzung trug sich
kurz darauf zu, am
21.Tag des 1.Monats. Unter den sechs Angreifern soll sich auch
ein Schausteller befunden haben. Es stellte sich heraus, dass Herr
Kawagoi Gonnosuke anlässlich des Vorfalls mit dem Makaken offenbar
eine geheime Unterredung mit diesem Schausteller geführt hatte.
Und als der Shogunatsfürst ins Gefecht ziehen wollte, hatte Herr
Gonnosuke ihn überaus hastig davon abzuhalten versucht, und als
sich der Fürst in höchster Gefahr befand, fiel der Verdacht
auf Herrn Satarô, in Einvernehmen mit den Angreifern diese von
der Verfolgung abgehalten zu haben.
Obwohl ich aus Yushima geflüchtet war, streifte ich aus Sorge um
das Ergehen von Vater und Sohn Kawagoi um Burg Isarago umher und
half Herrn Satarô, der die Angreifer zum Stehen gebracht hatte,
mit Fuchszauber, mit blauen Flammen, denn seinen Vater konnte ich nicht
mehr retten. Was ich jedoch mit Sicherheit weiß, ist, dass die
Herren Kawagoi keinesfalls Menschen sind, die wider ihren Herrn den
Bogen erheben oder Ränke schmieden. Sie sind makellos treue
Gefolgsleute.
Trotz alledem wurde Herr Satarô auf Burg Mukaigaoka in den Kerker
geworfen. Als ich dieses Gerücht hörte, ließ ich mich
vor lauter Angst um ihn bei dem Teehaus am Ufer des Shinobazu Weihers
anstellen, um zu sehen, was danach mit ihm geschähe.
Eine der Ursachen für die große Not der Herren Kawagoi, nämlich die
Aufregung um den entlaufenen Makaken, habe ich zu verantworten.
Deswegen war ich in allergrößter Angst um Herrn
Satarô, den ich mit meiner eigenen Milch ernährt hatte.
Alles Weitere wisst Ihr ja selbst. Ich weiß nicht, wie ich Euch danken kann, dass Ihr, vollkommen
Fremde auf der Durchreise, auf mein kopflos verwirrtes Flehen um Hilfe
hin meine Bitten erhört und Herrn Satarô zur Flucht
verholfen habt. Allerdings habe ich vorhin in dem Teehaus ein wenig von
Eurem Gespräch über Burg Tateyama mitgehört. Ich
weiß zwar nicht genau, worum es Euch dabei geht, aber ich
weiß Bescheid über die Besonderheit dieser Burg, und diese
Kenntnisse könnten Euch von Nutzen sein, dachte ich und bin Euch
deswegen nachgelaufen, habe Euch durch Fuchszauber überholt
und hier auf Euch gewartet.
Also, mit Burg Tateyama hat es das Folgende auf sich:
Auf dem Gelände des Suwa Schreins nahe der Burg Tateyama steht ein
großer Kampferbaum, der innen hohl ist.
Hohler alter Kampferbaum auf einem Schreingelände
Und in einer Ecke des
Burghofs steht gleichfalls ein großer Kampferbaum, der ebenso hohl
ist. Wenn man hineinschlüpft und an das Holz klopft, ist es überall fest, weshalb jedermann glaubt, es seien nur hohle
Bäume. Aber klopft man mit einem Hammer oder einem anderen Werkzeug auf
den Boden, den die festgewordene Laubschicht und Erde bedecken, tut sich in beiden Bäumen ein großes Loch auf. Es
mündet in einen Gang, der die beiden gut zweihundert Meter
voneinander entfernten Bäume miteinander verbindet, hoch genug,
dass
darin Menschen aufrecht gehen können."
"Waaas?!"
Shinbei fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Endlich begriff er das
Rätsel, wie die Streitmacht des Hikita Motofuji unversehens, wie
Obayuki Yoshirô berichtet hatte, mitten in der Burg Tateyama
aufgetaucht war, und wie es gelungen war, den Erbfolger des Hauses
Satomi am Suwa Schrein zur Geisel zu nehmen.
Obwohl es auf dem Gefilde von Musashi noch immer regnete, brach wundersamerweise auf einmal die Sonne hervor.
"Du warst so gütig, die Wahrheit zu sprechen?"
"Ja."
"Woher weißt du das alles?"
"Ich entstamme einer Sippe von Füchsen, die seit mehreren hundert
Jahren in den Höhlen im Boden um Burg Tateyama lebt. Alle diese
Fuchshöhlen haben wir selbst gegraben. Aber vor mehr als zwanzig
Jahren hat eine Marderhündin sie an sich gerissen. Diese
Marderhündin ist von fürchterlicher
Bosheit und besitzt teuflische Zauberkräfte. Alle Angehörigen unserer
Fuchssippe sind getötet worden, nur mein Fuchsgemahl und ich, wir
sind nach Edo entkommen...."
Die alte Frau erhob ihr Gesicht.
"Ach, wenn ich von meiner Sippe spreche, werde ich
es allmählich leid, in meinem Alter in der Welt der Menschen
zu leben. Ich würde am liebsten wieder zu der Füchsin werden,
als die ich zur Welt kam, und wenn möglich aufs Neue in den
Fuchshöhlen bei Burg Tateyama wohnen, aber da haust jene
schreckliche Marderhündin....!"
Marderhund und Fuchs
Die Stimme der alten Frau wurde dabei langsam heiser und immer
schwächer, und sie verwandelte sich zusehends von einer alten Frau zu einer
Füchsin, einer weißen Füchsin. Aber es war deutlich zu
sehen, dass sich die weiße Füchsin vor Shinbei verbeugte.
Dann tat sie einen großen Sprung nach hinten und verschwand, im
nassen Gras einen silberfuchsartigen Sprühregen aufwirbelnd, im
dichten, wogenden Grün.
Shinbei stand noch einen Augenblick mit offenem Mund da; dann schulterte er wieder seinen Stock und machte sich schnell wie Idaten,
die Gottheit des Siegs der Gerechtigkeit, auf den Weg in Richtung Awa.
③
In Windeseile war der Wunderknabe Shinbei am Ziel; als er in Burg
Tateyama auftauchte, war es tiefe Nacht des folgenden Tages. Ohne
sich mit den Satomi-Streitkräften, die die Burg umzingelt hatten,
abzusprechen, war er durch den unterirdischen Gang, den ihn die
Füchsin gewiesen hatte, ins Innere der Burg gelangt. Auch
über der feindlichen Räuberburg leuchtete der
Frühlingsmond.
Zwei Burgritter, die am Erdbunker für die Vorräte im Burghof
um die Ecke bogen, erblickten vor sich eine seltsame Erscheinung. Dort
stand ein kleines Bürschlein, das einen langen Stock waagerecht
vor sich hielt. Schon wollten sie bei dessen Anblick losschreien:
"Aaah!" --- "Der ist das!"
Aber bevor sie den Mund aufbekamen, rief das Bürschlein mit Kinderstimme:
"Keinen Ton! Wenn ihr einen Mucks tut, ergeht es euch genauso!"
Dabei
schlug er mit dem Stock auf den Erdbunker. Dessen steinerne Wand
zerbröselte, als wäre sie aus Sand, denn der Stock
hatte sich einen halben Meter tief in die Bunkerwand gegraben. Kein
Wunder, dass die Ritter sprachlos waren. Außerdem
hatten beide damals mit angesehen, wie dieser wunderliche Knabe den
Burgherrn Hikita Motofuji wie einen Spielball zur Geisel gemacht hatte.
"Dreht euch um und geht nebeneinander los, zu Motofuji!"
Beide Ritter schritten voran, getrieben von dem Stock, der ihnen, tock,
tock, auf Genick und Hinterteil tippte. So gelangten sie zum
dreistöckigen Hauptgebäude. Das hatte Motofuji errichten
lassen und Bôrirô (Aussichtsturm)
genannt. Von da aus sollte man die unter der Burg liegenden Dörfer
sehen, aber in Wirklichkeit war er natürlich darauf aus, die
Bewegungen der Streitmacht des Hauses Satomi im Blick zu behalten.
Kaum waren sie eingetreten, schrien die beiden Ritter, zum erstenmal ihre Stimmbänder geradezu explodieren lassend:
"Alarm, ein feindlicher Eindringling!" --- "Jener Teufelsknirps
ist wieder da!", und flohen nach vorn. Shinbei ließ sie
absichtlich laufen.
An den Wänden im Saal waren hier und da mit
Netzen Öllämpchen aufgehängt, und darunter hatte
ein gutes Dutzend Kämpfer geschlafen, die jetzt alle aufsprangen.
Weil die Burg von den Satomi-Kriegern eingekesselt war, lagen sie alle
voll gerüstet da, und überdies handelte es sich bei diesen
Leuten ausschließlich um Räuber vom Berg Ibukiyama. Sie
hatten nicht im Traum damit gerechnet, dass irgendjemand
plötzlich eindringen könnte; obwohl sie aufsprangen,
tappten sie doch benommen wie Schlafwandler einher. Ohne sich darum zu
scheren, lief Shinbei im schwachen Lichtschein auf eine Treppe zu, die er in der Ecke des Saals ausgemacht hatte.
Er stieg ein Stockwerk höher. Hier bot sich das gleiche Bild, aber
in dem Durcheinander rannten doch einige Räuber mit gezückten
Schwertern auf Shinbei zu, und im Nu entspann sich ein wildes
Handgemenge.
Inue Shinbei in Burg Tateyama
Der gerade einmal einen Meter große Knabe wirbelte
seinen zwei Meter langen Stock, und vor ihm, hinter ihm, rechts
wie links polterten die riesengroßen Burgkrieger, allesamt
vormalige Räuber, ringsumher ohnmächtig zu Boden. In dem
Dämmerlicht sah es aus, als ob ein Jongleur mit einem einzigen
Schläger eine Anzahl von Bällen durch die Luft hiebe. Mutete
schon dieser Anblick unwirklich an, so war noch weit erstaunlicher,
dass überall, wo sein Stock hintraf, die Gegner zwar umgehend ins
Koma fielen, aber, wie man hinterher feststellte, nicht einer von ihnen
ums Leben kam. Anscheinend hatte dieses Wunderkind mit rechtem Augenmaß sogar dafür gesorgt.
Während Shinbei diesen Wirbelsturm entfachte, stieg er zum dritten
Stockwerk hinauf. Alle zwei bis drei Stufen ließ er seinen Stock
nach hinten kreisen, und gleich stürzten jedesmal eine Handvoll Gegner
übereinander und polterten krachend die Stiege hinab.
In diesem dritten Geschoss stand Hikita Motofuji, gleichfalls
aufgesprungen, im Schlafgewand mit gezücktem Schwert da, sich
schützend vor drei Frauen stellend. Während er einerseits Tag
für Tag weiterhin drei Samurai des Hauses Satomi grausam köpfen ließ, ergab er sich andrerseits des Nachts mit diesen drei Damen seinen lustvollen Vergnügungen.
An den beiden Schönheiten Asagao und Yûgao, die Yaobikuni
aus dem Totenreich zurückgeholt hatte, verging er sich ohnedies,
und während er zunächst zögerte, sich auch an den Reizen
der nicht mehr ganz so jungen Nonne Yaobikuni zu vergreifen, verlangte
sie selbst danach, so dass er auch über sie herfiel.
Motofuji, der schon zu Zeiten als Räuber am Berg Ibukiyama nach
Herzenslust seinen Gelüsten gefrönt hatte, verlebte auch hier
seine Tage in höchster Wollust, denn Yaobikunis übermenschlich
betörenden Reizen war er mit Herz und Seele verfallen. Jetzt, da
seine Welt voller leichtfertiger Wonnen mit Füßen
zertrampelt wurde und er, viel schlimmer noch, erkannte, dass der
Eindringling wieder jener Knabe war, ergriff ihn Entsetzen, Zorn und,
mehr als alles andere, Furcht. Schließlich hatte er die unheimliche Kraft dieses Wunderknaben zuvor selbst zu spüren
bekommen.
Von dem Geschrei von unten wusste er schon, wer der Angreifer war, und
hatte das Fenster aufgeschoben, aber aus dem dritten Obergeschoss war
eine Flucht auf diesem Weg ausgeschlossen.
"He, Nonne, was soll ich jetzt tun?", rief er und wandte sich um, aber selbst diese durchtriebene Yaobikuni trug angstverzerrte Züge in ihrem schönen Gesicht.
"Wie konnte dieser Teufelskerl hier hereinkommen?", sagte sie nur mit zitternder Stimme.
Und jetzt tauchte dieser Teufelskerl leibhaftig vor ihren Augen auf.
"Ha, ich hatte mir neulich erlaubt, dich zu verschonen; wie kommt es,
dass du dir schon wieder Missetaten herausnimmst?", schalt ihn
diese silberne Kinderstimme.
"Dreister Bursche, du Knirps!", brüllte Motofuji und warf sich
ungestüm mit seinem Schwert auf Shinbei. Mit einem heftigen
Krachen zerbrach das Schwert in zwei Stücke und flog davon, und
von dem wirbelnden Stock getroffen, lag Motofuji bewusstlos auf dem
Boden.
"Seid ihr die bösen Frauen, die, wie mir vor meiner Ankunft
außerhalb der Burg zu Gehör kam, sich erdreisteten, Motofuji dazu anzustiften?"
Mit dem Stock in der Hand trat Shinbei auf sie zu. Daraufhin sprangen
die drei Frauen, die neben dem offenen Fenster gestanden hatten,
auf und flogen rücklings durch das Fenster ins Freie hinaus, in
der
Mitte die Nonne, die die beiden anderen Frauen rechts und links unter
ihre Arme klemmte. Und, o Wunder, sie stürzten nicht
hinab auf die Erde, sondern schwebten gespenstisch über den
dunstigen Nachthimmel auf den verschleierten Frühlingsmond
zu!
Nein, zum Mond wollten sie natürlich nicht --- offenbar war ihr Ziel der Wipfel einer großen
Zelkovie, die in etwa 50 Metern Entfernung stand, aber bevor sie den
Baum erreichten, erhob Shinbei seinen rechten Arm und rief "hooi!"
Eine
weiße Sternschnuppe flog aus seiner Hand und traf die Fluggeister; wie ein großer Schattenvogel
mit zwei Schwingen stürzten sie vom Himmel herab zu Boden. Shinbei
sah vom Fenster aus auf den Burghof hinab, und als er die reglosen
Gestalten auf dem Boden entdeckte, schnürte er
dem ächzenden Hikita Motofuji mit dessen Schwertgürtel
Hände und Füße zusammen wie ein Gepäckstück,
hängte ihn so an seinen Stock und lief mit diesem Stock auf der
Schulter die Stiegen hinab. Unter den durcheinander
darniederliegenden Räuberrittern standen einige wankend im
Begriff, wieder auf die Beine zu kommen, aber keiner versuchte,
Widerstand zu leisten.
Shinbei erreichte den Burghof. Die drei Frauen lagen zerschmettert im
Burggarten. Aber es waren keine Frauen, sondern ungewöhnliche
Gestalten.
"Hmmm?", brummte Shinbei, setzte aber den Motofuji auf den Boden
nieder, blickte sich suchend um und hob dann etwas vom Boden auf. Es
war die Kristallkugel, die er vorher auf die durch die Luft
flüchtenden Hexen geschleudert, sie damit getroffen und zum Absturz
gebracht hatte. Sicherheitshalber hielt er die Kugel gegen das Mondlicht und
sah, dass darin das Schriftzeichen NIN schwebte.
Derweil begann Motofuji, der zusammengeschnürt auf der Erde lag, zu zappeln.
"Siehst du es? Wenn nicht, schau es dir an! Zu Diensten, das sind die Weiber, mit denen du dich die ganze Zeit abgegeben hast!"
Er zeigte mit der Spitze seines Stocks auf die Toten. Motofuji sah hin,
und vor Entsetzen fielen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf. Die Gewänder der
Leichen waren zweifellos diejenigen von Yaobikuni, Asagao und
Yûgao, aber an den Köpfen, Armen und Beinen, die daraus
hervorragten, erkannte man deutlich --- es waren Marderhunde! Der
größte Marderhund, der etwas älter aussah, trug die
Gewandung von Yaobikuni, und in den Gewändern von Asagao und Yûgao steckten kleinere, junge Marderhunde.
Hikita Motofuji stieß einen Schrei aus und fing an, sich zu erbrechen. Er begriff, dass er sich bis heute lustvoll an
Marderhündinnen vergangen hatte.
"Hast du es jetzt verstanden?", fragte Shinbei, lud sich Motofuji
wieder mit seinem Stock auf die Schulter und schritt freiweg davon. In
der Zwischenzeit waren die Räuberritter, die nicht im
Bôrirô waren, wie schwarze Wolken zusammengekommen, standen
aber starr vor Staunen über die seltsamen Geschehnisse und
über das Wunder, dass dieser sonderbare kleine Knirps den
mindestens fünfmal so großen Burgherrn so leicht davontrug, und sahen nur aus sicherer Entfernung zu.
Satomi Yoshinari, der denselben Gefangenen nun zum zweiten Mal
ausgeliefert bekam, kippte vor Verblüffung beinahe um und jubelte
natürlich, als er hörte, wie es dazu gekommen war. Auch der
alte Fürst Yoshizane kam von Burg Takita geeilt, lief in den
Garten der Burg Tateyama und nahm die Leichen der drei Tiere in
Augenschein. Besonders den großen, alten Marderhund sah er sich
genau an und rief:
"Oh, ist das nicht jener Marderhund, den Tamazusa einst als Haustier gehalten hatte?"
Der alte Fürst Satomi Yoshizane
Auch seine beiden weißhaarigen einstigen Vögte Sugikura
Kisonosuke und Horiuchi Kurando, die an seiner Seite knieten,
erschauerten, als seien sie mit kaltem Wasser begossen worden. Sie
erinnerten sich daran, dass Tamazusa, die Geliebte des vorigen
Fürsten von Awa, Yamashita Sadakane, als letzte Worte vor ihrer
Hinrichtung geschrien hatte: 'Wenn ihr mich
töten wollt, so tötet mich! Durch meinen Fluch sollen
die
Kinder und Kindeskinder des Hauses Satomi in die Existenzform von
Tieren
stürzen, ich mache sie zu elenden Hunden!',
und dass es ein Marderhund war, der Blut aus ihrem Hals geschlürft
hatte und dann fortgelaufen war. Sie riefen sich auch ins
Gedächtnis zurück, dass der Zauberhund Yatsufusa, der
Fräulein Fusehime ins Verderben gestürzt hatte, von einer
Marderhündin gesäugt aufgewachsen war, und dass Kanamari
Daisuke, der jetzige Mönch Chudai, der Yatsufusa erschossen hatte,
erzählt hatte, dass sich auch in der Nähe von
Fräulein Fusehime ein Marderhund herumgetrieben habe.
Wie dem auch sei, der Totengeist des Teufelsweibs Tamazusa, der mehr
als vierzig Jahre mit seinem Fluch das Haus Satomi verfolgt hatte, war
nun endlich und für immer vernichtet. Zugleich brachte das
Schicksal auch den bösen Geistern von Burg Tateyama das Ende.
Auch jetzt begann Shinbei unbelehrt tatsächlich wieder darum zu
bitten, dass das Leben des Hikita Motofuji verschont werden möge,
aber diesmal lachte Yoshinari nur darüber, erwiderte: "Shinbei,
wir verdanken alles nur deinem Einsatz, aber diesen Wunsch kann
ich dir leider nicht erfüllen", und ließ Motofuji
hinrichten.
Inue Shinbei brach bald darauf erneut zu der Teilnahme an der Totengedenkfeier in Yûki auf, um die anderen sieben Hundekrieger zu treffen und sie alle nach Awa zu holen.
④
Am 16.Tag des 4.Monats im 15.Jahre Bunmei (1483) fand am Ort der einstigen Schlacht um Burg Yûki die durch den Mönch Chudai
veranstaltete große Totengedenkfeier für Satomi Suemoto
statt, der vor genau vierzig Jahren beim Fall dieser Burg erschlagen
worden war. Alle acht Hundekrieger nahmen vollzählig daran teil,
nachdem Inue Shinbei und Inuta Kobungo, Neffe und Onkel, ihr Wiedersehen unter vielen Freudentränen begangen hatten.
Die meisten Hundekrieger standen ihrer Herkunft nach, auf den
ersten Blick, mit dem Fürstenhaus Satomi in keiner Beziehung.
Deshalb wurde diese Feier zum Anlass genommen, sie an das Haus Satomi
anzubinden. Schließlich lautet der vollständige Titel dieser
Erzählung "Die Legende von den acht Hundekriegern des Hauses
Satomi von Nansô" (Süden der Bôsô-Halbinsel). Die Feier war
somit für den Fortgang dieser Erzählung ein einschneidendes
Ereignis.
Eine kurze Störung der Feier entstand dadurch, dass alle Bonzen
der Tempel aus der Umgebung zur Teilnahme an der großen Feier
gebeten waren, mit Ausnahme eines übel beleumundeten
Räubermönchs von einem dieser Tempel, den man
nicht eingeladen hatte; dieser stachelte ergrimmt die
Geistlichen und Tempeldiener seiner Zweigtempel sowie Vasallen des
damaligen Burgherrn von Yûki zu einem Überfall samt
Prügelei auf die Feiernden auf, aber die acht Hundekrieger
erteilten den Rüpeln eine deutliche Lektion und zerstreuten sie in alle Winde.
Schließlich reisten alle Hundekrieger vollzählig nach Awa, stellten sich Satomi Yoshizane
und seinem Sohn, dem gegenwärtigen Fürsten Yoshinari, vor und
gelobten treue Gefolgschaft. Den Mönch Chudai ernannten sie zu
ihrem 'Vater' und gelobten, gehorsame Söhne zu sein.
Dôsetsu, Keno, Daikaku, Kobungo, Genpachi, Shinbei, Shino - der
achte, Sôsuke, machte vermutlich dieses Foto
Davon abgesehen, gab es noch ein freudiges Wiedersehen. Fräulein
Hamaji sah der einstigen Hamaji nämlich immer ähnlicher, und
wenn immer Inuzuka Shino ihr hübsches Gesicht sah, flammten in seinem Herzen erneut zahllose zärtliche Gefühle auf.
Der Shogunatsfürst Ôgiyatsu Sdamasa, der bei Suzugamori von
den Hundekriegern attackiert worden und mit knapper Not lebend
davongekommen war, ließ seitdem nach allen Richtungen
Nachforschungen über die unbekannten Angreifer anstellen. Diese
führten dazu, dass das Lehen von Hokita in seinen Verdacht
rückte. Er ließ einen Überraschungsangriff auf
Hokita vorbereiten. Die Samurai in Hokita bekamen aber vorher davon Wind,
brannten ihren Weiler ab und verschwanden spurlos.
Bald darauf
hörte Sadamasa von der großen Gedenkfeier von Yûki und
bekam heraus, dass die Leute, die ihn angegriffen hatten, als
"Hundekrieger" im Fürstenhause Satomi von Awa Unterschlupf
gefunden hatten. Dies führte dazu, dass er schließlich mit
der Planung für einen Kriegszug gegen das Haus Satomi begann. Ihm
ging es nicht allein um Vergeltung gegen die acht Hundekrieger, sondern
er hatte vor, das Haus Satomi, dessen Ruf als "Fürstentum Satomi,
Hort der Güte" allenthalben hoch geachtet war, bei dieser
Gelegenheit zu vernichten. Für seinen groß angelegten
Feldzug stellte er eine riesige Armee von hunderttausend Kämpfern
aus allen acht Ländern der Kantô-Region auf die Beine. Alle
Vasallen, die Ôgiyatsu untertan waren, im Land Musashi
die Burgherren Ôishi von Burg Ôtsuka und Chiba von Burg
Ishihama, und im Land Kôzuke das Haus Nagao von Burg Shiroi,
trommelte Sadamasa zusammen, appellierte aber auch an solche, mit denen
er bisher in Unfrieden gelebt hatte, sich seinem Feldzug anzuschließen, zum Beispiel Ashikaga Shigeuji von Koga oder Yamanouchi Akisada, sein ärgster Rivale im Kampf um die Vorherrschaft, und andere.
Burg Isarago, die von den Hundekriegern im
1.Monat des Jahres niedergebrannt worden war, hatte er hernach
instand setzen lassen; sie war nun noch trutziger als je zuvor.
All dies blieb dem Hause Satomi nicht verborgen. In Awa rüstete
man sich, den Angriff entschlossen zu parieren. Dabei schlug Satomi
Yoshizane vor, im Sommer einen der Hundekrieger nach Kyôto reisen
zu lassen. Die Absicht war einerseits, allen Hundekriegern, die nun
Adoptivsöhne des Mönchs Chudai, also des früheren
Kanamari Daisuke, geworden waren, vom Kaiserhaus offiziell den Namen
Kanamari verleihen zu lassen; zugleich aber sollte die Reise nach
Kyôto auch der Erkundung dienen, auf wessen Seite der Kaiserhof
in Muromachi stehe, falls es zum großen Kampf zwischen Satomi und
Ôgiyatsu käme und, wenn irgend möglich, den Kaiserhof
dem Hause Satomi gegenüber gewogen zu stimmen.
Als Yoshizane dies vorschlug, meldete sich sofort der neunjährige
Shinbei und bat darum, ihm diese Aufgabe anzuvertrauen. Er
begründete es so, indem er mit seinem unschuldigen Kindergesicht
sagte:
"Meine anderen Hundekriegerbrüder haben schon viele
Länder bereist; einige sind auch schon in Kyôto gewesen.
Meine Wenigkeit ist bisher nur zwei, dreimal zwischen Awa und Edo
herumgelaufen. Falls es genehm sein sollte, möchte ich mir
erlauben, diese Gelegenheit zu nutzen, um Kyôto zu besichtigen.
Zu Diensten!"
Alle sahen einander an, aber schnell fasste sich Yoshizane, klatschte in die Hände und sprach strahlend:
"Ja klar, wenn Shinbei geht,
ist es womöglich leichter, eine Audienz bei seiner kaiserlichen
Hoheit und ein Treffen mit den Hofleuten gewährt zu bekommen. Und
seinen Auftrag wird er, bedenken wir, wie er dem Hikita Motofuji das
Handwerk gelegt hat, durchaus auch bewältigen können."
So stach bald darauf Shinbei, von Obayuki Yoshirô und Amasaki
Jûichirô begleitet, auf einem Schiff voller
großzügiger Geschenke für das Kaiserhaus, von Awa aus
in Richtung Hafen von Naniwa in See.
Nach einer langen Seefahrt, trotz Überfällen durch
Seeräuber wohlbehalten nach Kyôto gelangt, wurde Shinbei
zunächst von Waffenkünstlern, die der Kaiserhof
ausgewählt hatte, der Gattungen Schwert, Lanze, Bogen,
Muskete und Eisenstange zum Zweikampf herausgefordert. Shinbei besiegte
sie nicht nur allesamt, sondern bändigte auch noch einen Tiger auf
dem Berg Hieizan.
Dieser Tiger war auf einem Gemälde des berühmten
mittelalterlichen Malers Kose no Kanaoka ohne Augen dargestellt
gewesen; als ein Künstler nun die auf diesem Bild
vermeintlich vergessenen Augen ergänzte, erwachte dieser Tiger zum
Leben und versetzte die Menschen in der Welt in Schrecken...
⑤
Im
11.Monat des 15.Jahres Bunmei (1483) hatte Shogunatsfürst
Ôgiyatsu Sadamasa seine Streitmacht von hunderttausend
Kämpfern beisammen. Dass
auch langjährige Widersacher des Sadamasa wie Yamanouchi
Akisada, Ashikaga Shigeuchi von Koga und Nagao Kageharu seinem Aufruf
gefolgt waren, lag daran, dass sie alle darauf brannten, den neuen
Konkurrenten Satomi zu vernichten, und zugleich darauf hofften, in der
kommenden Schlacht ihre eigene Stärke ausspielen und sich
für zukünftige Machtkämpfe gut aufstellen zu können. Sie meinten
alle, das kleine Land des Fürsten Satomi am südlichsten
Zipfel der Bôsô-Halbinsel wäre ohne große
Mühe im Handstreich zu erledigen.
Nur der Sohn des alten Ôgiyatsu-Vasallen Ôta Dôkan,
Shinrokurô Suketomo, zog sich den Unmut des Sadamasa zu. Er riet
nämlich von dem Feldzug ab und übermittelte die Ansicht
seines Vaters, der grundlose Feldzug gegen Satomi sei
ungerechtfertigt. Sadamasa hörte nicht auf ihn, sondern
tüftelte weiter an seiner Strategie, Awa von der Land- und
Seeseite her gleichzeitig anzugreifen. Fünfzigtausend Krieger
sollten aus zwei Richtungen her, und zwar über Kônodai und via Gyôtoku, von Shimôsa aus eindringen und
nach Süden vorstoßen, während von der See her ebenfalls
fünfzigtausend Kämpfer die Bucht von Edo überqueren und
bei Sunosaki an Land gehen sollten.
Auf diese Nachricht ihrer Spione hin bereiteten sich die Hundekrieger
guten Mutes auf den Abwehrkampf vor. Für sie war es ihr 'heiliger
Krieg' für den Erhalt des Fürstentums Satomi, das
für seine gütige Herrschaft weithin bekannt war.
Auf der Landseite bezogen bei Kônodai Inuzuka Shino und Inukai Genpachi Stellung. Nach Gyôtoku zogen Inukawa Sôsuke und Inuta Kobungo.

Shino und Genpachi
Zur Abwehr des Angriffs vom Meer her errichtete Satomi Yoshinari bei Sunosaki sein Hauptquartier, beschützt von Inuzaka Keno und Inuyama Dôsetsu.
Allerdings durfte die große Streitmacht des Feindes gar nicht
erst an Land gelassen werden, sondern die Flotte musste noch auf dem
Meer zerstört werden. Bei einer Seeschlacht ist allerdings die
Anzahl der Schiffe entscheidend, und in dieser Beziehung war die
Satomi-Seite den Angreifern unterlegen. Hier musste eine List her.
Keno, der Besitzer der Kristallkugel mit dem Schriftzeichen CHI (=Wissen), ersann
die Strategie, den Mönch Chudai und Inumura Daikaku,
als Schamane und Schüler verkleidet, in der Gegend um Burg Isarago
auftreten zu lassen. Dort begannen sie mit ihren Aktionen.
Überdies sandten Satomis Leute einen vorgeblichen
Feldherrn aus Kazusa, der von Satomi unterworfen worden war, aber nun
als Verräter ins Lager des Ôgiyatsu wechseln wolle, als
Überläufer zu Sadamasa. Als Unterpfand dafür, dass er
die Wahrheit sage, brachte er vier Frauen aus seiner Familie mit zur
Burg Isarago. Falls sich sein Seitenwechsel später als Lüge
erweisen sollte, würden die Geiseln dort alle getötet. Die
Frauen waren zwei vornehme alte Damen und zwei anmutige, junge
Schönheiten; solche Damen würde wahrhaftig niemand opfern
wollen, und auch die Frauen selbst würden sich nicht für eine
solch grausame, widerwärtige Rolle hergeben. Davon
überzeugt, ließ Sadamasa alle in seine Burg ein. Bei den
Frauen handelte es sich um Myôshin, Otone, Hikute und Hitoyo.
Die Nachricht, dass eine große Schlacht zwischen einer
Streitmacht aus allen acht Ländern der Kantô-Region gegen
das Land Awa bevorstehe, verbreitete sich rasch. An die Seite von
Satomi eilte Kawagoi Satarô mit seinen Leuten, ja, sogar aus
Echigo kam Jidanda, der Wirt des Gasthauses Ishikameya, mit einer Handvoll mutiger Recken zu Hilfe geeilt.
Am 6.Tag des 12.Monats begann die große Schlacht von
Shimôsa aus, wo ein eisiger Wintersturm wehte. Bei Gyôtoku,
das am Ufer des einstigen Tonegawa (s.Anm. Beginn Kap.4!) liegt,
setzten die dort lauernden Inuta Kobungo und Inukawa Sôsuke eine
Anzahl als Krieger verkleidete Strohpuppen in kleine Boote und
ließen die Feinde ihre Pfeile darauf vergeuden. Als nächstes
überfielen sie auf dem Gegenufer die Feldlager der
Ôgiyatsu-Verbündeten Chiba Yoritane und Ôishi Norikata
und nahmen die Feldherren Chiba und Ôishi gefangen. Chiba
Yoritane war der Herr des Makuwari Daiki, der einst Inuta Kobungo
gefangen gehalten hatte, und Ôishi war jener Herr, der einst
Inukawa Sôsuke am Richtplatz Kôshinzuka am Kreuz hinrichten
lassen wollte.
Shogunatsfürst Ôgiyatsu Sadamasa
Ashikaga Shigeuji von Koga, der in Kônodai angriff, hatte je drei
Wagen und sechs Pferde zusammenbinden lassen und mit diesen
dreispannigen Kriegswagen die Satomi-Verteidiger umzingelt, aber
dagegen ließen Inuzuka Shino und Inukai Genpachi eine Horde
Wildschweine los, an deren Hauer Fackeln gebunden waren, die
sämtliche Kriegswagen über den Haufen rannten.
Anfangs dachten Shino und seine Leute daran, es Kiso Yoshinaka am
Kurikara-Pass gleichzutun und Stiere mit Brandfackeln an den
Hörnern auf die Feinde zu jagen, verzichteten aber darauf, den
Bauern ihre Rinder fortzunehmen. Da im vergangenen Herbst das Haus
Satomi eine große Jagd auf die Wildschweine veranstaltet hatte,
die die Felder verwüsteten, und sie, anstatt sie zu erlegen, in einen
Stachelverhau gesperrt hatten, griffen die Krieger jetzt auf diese
Tiere zurück.
Bei Kiso Yoshinaka
handelt es sich um den Feldherrn Minamoto no Yoshinaka (1154-1184), der
im 12.Jh. entscheidend zur Entmachtung des diktatorischen Hauses Taira
beigetragen hatte, das Kaiserhof und Reich nach Gutdünken
drangsalierte. Yoshinaka entschied 1183 die Schlacht von Kurikara zu seinen Gunsten, wo
er die weit überlegene feindliche Streitmacht mit einer List nachts an
einen Abgrund trieb, von dem die Kämpfer in eine Schlucht
stürzten. Takizawa Bakin bezieht
sich hier auf den historischen Roman "Heike Monogatari" (Deutsch:
Heike Monogatari, Der Sturz des Hauses Taira, Manesse 2023).
Dass Yoshinaka dazu
Ochsen mit Fackeln an den Hörnern verwendet haben soll,
ist Legendenbildung aus späterer Zeit.
Fleischgerichte waren in Japan seinerzeit nicht allgemein üblich,
weshalb Wildschweine nicht geschlachtet wurden. Auch die mehrfach
erwähnten Jäger waren bei Wild und Hasen auf die Felle aus,
nicht auf Wildpret. Rinder wurden als Zugtiere und zum Pflügen der Reisfelder
verwendet.
|
Shino erschoss die Vögte des Burgherrn von Koga,
Yokobori Arimura und Niiori Hodayû, und nahm Fürst Shigeuji
gefangen. Sie waren diejenigen, die Shino am Hôryûkaku, dem
Hauptgebäude von Burg Koga, und danach in Gyôtoku nach dem
Leben getrachtet hatten (vgl. Kapitel 3 und 4).
Während dieser Kämpfe reckte auf einmal das berühmte
Ross Seigaiha, das als Schlachtross nach Kônodai mitgeführt
worden war, seinen Kopf hoch, wieherte laut, übersprang den Zaun
und entlief aus der Pferdekoppel. Einige Stunden später kam es
windschnell zurück, und auf seinem Rücken saß der
kleine Hundekrieger Shinbei, der eigentlich noch in Kyôto sein sollte.
Bei ihnen waren auch Obayuki Yoshirô und Amasaki
Jûichirô. Sie hatten in der Kaiserstadt ihre Aufgaben
erfüllt und hörten, als sie über die Landstraße
Nakasendô das Land Musashi erreichten, vom Beginn der
Entscheidungsschlacht. Während sie sofort im Eilmarsch in Richtung
Shimôsa losliefen, das, wie sie hörten, der Schauplatz der
Gefechte war, trafen sie in der Gegend von Senzoku auf Seigaiha, das
sie wie ein Geisterross aufnahm und mit Shinbei auf dem Rücken
davonstürmte.
Hier angekommen, preschte Shinbei auf seinem Ross Seigaiha mitten unter
die Feinde hinein, warf sie allerorts mit seinem wirbelnden Stock
nieder und schrie dabei immerzu: "Bringt sie nicht um, bringt keinen
um! Die Feinde zu töten, würde den Ruhm des Hauses Satomi
als Hort der Milde beflecken!"
Er nahm einen feindlichen Feldherrn, und zwar Tamekage, den Sohn des
Nagao Kageharu, gefangen. So gerieten fast alle Heerführer der
Streitmacht des Shogunatsfürsten in den Bergen und Auen von
Shimôsa, wo der eisige Wintersturm wehte, in Gefangenschaft.
Hinzu kam eine riesige Anzahl von gefangenen Kämpfern der
feindlichen Streitmacht. Die einfachen Kriegsleute bekamen nur ihren
Haarknoten abgeschnitten, wurden gefesselt und auf Schiffe ohne Ruder
gesetzt, die den Fluss Tonegawa hinuntertrieben.
⑥
Am 6.Tag im 12.Monat des 15.Jahres Bunmei (1483) hatte die
große Schlacht in Shimôsa begonnen. Am 7.Tag legte die
Seestreitmacht des Shogunatsfürsten mit fünfzigtausend
Kriegsleuten am Bord von anderthalbtausend Schiffen von der
Miura-Halbinsel aus in Richtung Awa ab. Sie führten auch zwei Dutzend Branderschiffe mit sich. Shogunatsfürst Ôgiyatsu Sadamasa höchstselbst befand sich an Bord des Flaggschiffs.
Auf dem Meer im Winter waren für die kommenden ein, zwei Tage
Windrichtung und Windstärke von immenser Wichtigkeit. Deshalb
hatte Sadamasa genau nach den divinierten Vorgaben des
Schamanen Fûgai Dôjin, der sich seit dem Sommer in den
Dörfern nahe der Burg Isarago einen Namen gemacht hatte, und
seines Schülers, der sich Akaiwa Hyakuchû nannte, die Taue seiner Flotte lösen und in See stechen
lassen. Es gab mancherlei Gründe dafür, dass Sadamasa diesem
Schamanen vollkommen vertraute, aber in Wirklichkeit handelte es sich
um Mönch Chudai und Inumura Daikaku vom
Hause Satomi. Satomi erhielt seine Nachrichten aus dem Innern von
Burg Isarago durch Myôshin, Hikute, Hitoyo und Otone, die dort als Angehörige des
vorgeblichen Überläufers als Geiseln festgehalten
wurden. Otone
ließ sich selbst der Seestreitmacht des Ôgiyatsu zuteilen,
sagte, sie werde als Verräterin am Hause Satomi die Flotte auf dem
Seeweg leiten, und bestieg eines der Branderschiffe.
So segelte die Kriegsflotte des Ôgiyatsu vom Kap der
Miura-Halbinsel mit gutem Reisewind, den Fûgai Dôjin
diviniert hatte, über die Bucht von Edo voran und zeigte ihre
gewaltige Stärke im Morgengrauen des 8.Tags vor Sunosaki, aber
dort legte sich der Wind so vollkommen, dass die gesamte Flotte nicht
weiter vorankam.
Da explodierten plötzlich alle Branderschiffe. Otone hatte
Feuer an die Lunte gelegt, sie auf den Haufen von Sprengmitteln
geworfen und war ins Meer gesprungen. Danach waren die Schiffe explodiert.
Otone hatte ihren Namen nach dem Fluss Tonegawa erhalten, an dem sie geboren
und aufgewachsen war, und konnte seit ihrer Kindheit hervorragend
schwimmen.
Wie Fûgai Dôjin vorhergesehen hatte, drehte der Wind um
diese Zeit und blies nun aus der Gegenrichtung. Daraufhin kam eine
Flotte von dreihundert wendigen Schiffen von Seiten Satomis
herangefahren, die Ôgiyatsus Streitmacht angriffen. Den Angriff
leiteten Inuzaka Keno und Inuyama Dôsetsu.
Nach einer großen Seeschlacht mit Feuer und Wasser war
Ôgiyatsus Flotte vollständig vernichtet. Der große
Feldherr Sadamasa wurde mit Hilfe seiner Getreuen vom sinkenden
Flaggschiff auf ein kleines Lastschiff gerettet und entkam mit knapper
Not, aber sein Sohn sowie der Sohn des Yamanouchi Akisada gerieten in Gefangenschaft.
Sadamasa, der mit dem nackten Leben davongekommen und nach Kawasaki
entronnen war, wollte mit einer kleinen Schar von Vasallen zu Burg
Isarago zurückfliehen, wurde aber an der Yaguchi-Furt des Flusses
Tamagawa von Inuyama Dôsetsu eingeholt, der ihm über das
Meer nachgesetzt war. Daraufhin kam der Sohn des Ôta Dôkan,
Ôta Shinrokurô Suketomo, gelaufen und stellte sich
Dôsetsu zum Zweikampf. In der Zwischenzeit
flüchtete Sadamasa, traf aber auf die Verfolgertruppe um Inuyama Keno.
In dieser aussichtslosen Situation schnitt sich Sadamasa, von seinem
Gefolgsmann Ôishi Norikata unter Tränen darum angefleht,
eigenhändig den Haarknoten ab und bettelte um sein Leben.
Keno besetzte daraufhin Burg Isarago und befreite Myôshin und die
anderen Frauen. Als der geschlagen überlebende Shogunatsfürst
Sadamasa mit seinem Stoppelhaar dies erfuhr, zog er sich auf Burg
Kawagoe im weit entfernten Iruma zurück.
Nach dem Ende des Kriegs veranstaltete das Haus Satomi eine große
Gedenkfeier für den Seelenfrieden der Gefallenen beider Seiten.
Dass Shinbei nach Kyôto gereist war, dem Kaiserhof im
Muromachi-Viertel viele Geschenke überreicht und geschickt
verhandelt hatte, zeitigte das erfreuliche Ergebnis, dass das Haus
Satomi nach seinem Sieg über die Armee des Shogunatsfürsten ein offizielles Lob erhielt, während der
unterlegene Ôgiyatsu Sadamasa einen strengen kaiserlichen Verweis
kassierte.
Inuyama Dôsetsu, der schon ewig hinter Sadamasa her war, ohne ihn
als Himmelsgeschenk in seine Hand zu bekommen, verzichtete angesichts
des Kriegsendes, das für Sadamasa Demütigung und
Schande bedeutete, auf die Vollendung seiner Rache, und Inuzuka Shino wiederum
überreichte dem gefangenen Ashikaga Shigeuji von Koga,
der sein voriges Handeln bereute, schließlich doch noch das von seinem Vater Bansaku
anvertraute Schwert Murasame.