Aber
welche Geschwindigkeit, welche Kraft! Wo sein Eichenstock, der sich wie
ein Windrad drehte, gesurrt kam, gerieten die dreißig Räuber
unter die Hufe seines Rosses oder wurden davon gewirbelt
wie Laub im Wind. Im Handumdrehn waren alle erledigt. Der Knabe sprang
vom Ross und warf sich vor Yoshizane zu Boden, das Hinterteil hoch in
die Luft gereckt.
"Ich
erlaube mir erstmals, vor Eure Hoheit zu treten, und entbiete Euch
meinen freudigen, untertänigsten Respekt. Mir ward noch nicht die
Ehre zuteil, in Euren Diensten zu stehen. Meine Wenigkeit nennt sich Inue
Shinbei. Da ich mir gestattet habe, wie gezeigt alle Banditen aus dem
Weg zu räumen, geruht, fürstliche Hoheit, Euch ohne Sorge
fortzubewegen!"
Yoshizane, der diese Grußworte völlig sprachlos vernommen hatte, fragte endlich zurück:
"Inue Shinbei?"
Den Mönch Chudai
hatte Yoshizane schon mehr als zwanzig Jahre lang nicht mehr gesehen,
aber durch Amasaki Jûichirô, der an dessen Stelle bisweilen
gekommen war und Bericht erstattet hatte, waren ihm die Namen der acht
Hundekrieger wie auch ihre Aufenthaltsorte und Bewegungen im
Großen und Ganzen geläufig.
"Das bedeutet... du bist derjenige, der vor vielen Jahren... von meinem Ross Seigaiha entführt worden ist..."
"Jawohl, zu Diensten!"
Yoshizane war noch nicht danach zumute, über diese übertrieben altmodische Ausdrucksweise
aus kindlichem Mund zu lachen. Er erhob seine verwundert aufgerissenen
Augen zu dem Ross, das plötzlich hinter ihm stand, und rief
stöhnend:
"Seigaiha!"
Ja,
es war das Ross Seigaiha, das vor fünfundzwanzig Jahren Fusehime
auf diesen Berg Toyama getragen und dann in den Fluten des Flusses
Tanikawa verschwunden war! Danach war es einmal, wie man ihm berichtet
hatte, plötzlich im Lande Shimotsuke aufgetaucht und hatte den
vierjährigen Knaben und Hundekrieger, diesen Inue Shibei,
entführt! Und nun war es wie ein unsterbliches Götterross
hier vor ihm erschienen, mit Inue Shinbei auf seinem
Rücken.
Der jüngste und letzte der Hundekrieger, Inue Shibei im Manga
"Wie alt bist du eigentlich?", fragte Yoshizane jedenfalls.
"Gestatten, neun Jahre, zu Diensten!"
Als
er spurlos verschwand, war er in der Tat ein vier Jahre altes Kleinkind
gewesen. Klar, dass er jetzt zu diesem Alter herangewachsen war. Er war
zu großer, kräftiger Statur gediehen, und sah aus wie ein
Zwölf- oder gar Dreizehnjähriger. Aber trotzdem war er noch
immer gerade mal einen Meter groß, und sein Gesicht mit den roten Bäckchen war noch ganz das eines Knaben.
"Hast du auch eine Kristallkugel?"
"Jawohl, zu Diensten!"
Der kleine Hundekrieger streckte, noch immer vor Yoshizane kniend, die
Hand aus. In der Kristallkugel auf seinem kindlichen Handteller schimmerte das
Schriftzeichen NIN.
Inue Shinbei hat das Schriftzeichen NIN in seiner Kristallkugel, das "Humanität" bedeutet.
Er kämpft mit dem Stock anstelle des Schwertes, um seine Feinde nicht zu töten.
"Shinbei, sag an, auf welche Art bist du herangewachsen, auf welche Weise bist du hier hergelangt?"
Yoshizane war offenbar von Shinbeis Ausdrucksweise angesteckt worden.
"Geruht, Eure Frage an diejenigen zu richten, die gerade vom Fuß des Berges heraufgestiegen kommen. Oh....!"
Urplötzlich sprang Shinbei auf, sauste zwanzig Meter hinüber
und schlug ein Schwert weg. Einer der überlebenden Samurai des
Fürsten hatte einen der Angreifer, der sich auf dem Boden
wälzte, hochgezogen und wollte ihn gerade köpfen.
"Geruht, vom Töten Abstand zu nehmen!", rief Shinbei. "Habt die
Güte, die Leute, ohne auch nur einen zu töten, zu fesseln und
zur Burg abzuführen!"
Er stellte seinen Stab, der doppelt
so groß war wie er selbst, aufrecht hin und wachte
darüber, dass die Ritter des Hauses Satomi die bewusstlosen
Räuber fesselten. Wenn einer zu sich kam und zu fliehen versuchte,
flog er wie ein Vogel dorthin und schlug ihn aufs Neue mit dem Stock zu
Boden.
Währenddessen kamen vier Leute, nein, genauer gesagt sechs Personen, Männer und Frauen, herangeschritten.
Der Grund, dass wir die Zahl korrigiert haben, ist, dass es sich um
einen alten Mann, eine alte Frau und zwei junge Frauen handelte, die aber noch
zwei etwa fünfjährige Knaben mit sich führten. Sie
traten vor Yoshizane und knieten ehrerbietig vor ihm nieder.
"Ich bin Obayuki Yoshirô und betreibe am Fuß des Berges ein
Teehaus. Dies ist meine Ehefrau Otone", sagte der alte Mann.
"Und hier sind meine Töchter Hikute und Hitoyo mit ihren
Söhnen Rikijirô und Shakuhachi."
"Was, ihr seid doch seinerzeit vom Berg Arameyama in Kôzuke zu Ross geflohen....!", staunte Yoshizane schon wieder.
"Ihr wisst davon?"
"Ich habe die Nachricht durch meinen Gefolgsmann Amasaki
Jûichirô erhalten, der es wiederum von den Hundekriegern
erfahren hat."
Mit bewegter Miene schilderte Obayuki Yoshirô, dass er und Otone
auf der Flucht vom Berge Arameyama auf zwei Pferden, gemeinsam mit
Hikute und Hitoyo, unterwegs in Ohnmacht gefallen seien. Als sie wieder
zu sich kamen, befanden sie sich in einer rauen Bergwildnis ---
nämlich hier. Es ist wirklich nicht zu glauben, aber auch Hikute
und Hitoyo seien unterwegs auf dem Sattel ihres Rosses bewusstlos
geworden und hätten nicht gewusst, wie sie hierher gelangt sind.
Neben ihnen lagen die zwei Pferde tot am Boden.
An Leib und Beinen hatten sie schreckliche Verletzungen davongetragen,
und weil ihnen aus den Nüstern Blut troff, konnte es nur so sein,
dass sie mit äußerster Kraft und ohne Unterbrechung bis hierher
galoppiert waren, wo sie Blut spien, als sie tot umfielen. Die
Schädel von Obayukis Söhnen Rikijirô und Shakuhachi,
die noch am Bauch der Pferde festgebunden waren, lagen nahebei und
trugen noch immer auf ihren Zügen das Todeslächeln, obwohl
sie schon nach Verwesung stanken.
Erst später erfuhren die Flüchtlinge, dass dies der
Berg Toyama in Awa sei, der Ort, an dem Fräulein Fusehime sich das
Leben genommen hatte. Eigentlich hatten ihnen die Hundekrieger Inuyama Dôsetsu und Inuta Kobungo,
die sie auf die Pferde gesetzt hatten, als Ziel
ihrer Flucht das Gasthaus Konaya in Gyôtoku im Land
Shimôsa genannt, aber ohnmächtig waren sie unterwegs daran
vorbei und gleich bis nach Awa gelangt. Wie war es nur
möglich, dass sie auf dem Wege von niemandem gesehen wurden und
dass sie, trotz der Bewusstlosigkeit von Hikute und Hitoyo, die die
Zügel führten, bis hierher gekommen waren? Es konnte
nicht
anders sein, als dass diese beiden Totenschädel sie beschützt
und hierher geleitet hatten.
Als sie nun zu viert, er selbst, Otone, Hikute und Hitoyo,
dasaßen und sich verwundert anschauten, hörten sie von
irgendwoher ein Kind weinen. Sie standen auf und sahen sich um. Hinter
einem Felszinken weidete ein riesiges Ross im Gras, und zu seinen
Füßen saß ein etwa vierjähriger Knabe und weinte.
In seiner Tasche fanden sie eine Kristallkugel, die das Schrifztzeichen
NIN enthielt, und an seiner Hüfte fand sich auch richtig das
Päonienmal. Sie dachten sich gleich, dass es sich um den
kleinen Hundekrieger Inue Shinbei
handeln müsse, von dem Inuta Kobungo in der einzigen Nacht, die
sie am Berg Arameyama mit Erzählungen verbracht hatten,
gesprochen hatte. Dass das Kind, das seinerzeit im Gasthaus Konaya
verblieben war, hier aufgetaucht war, kam ihnen vor wie der Streich
eines Fuchskobolds.
Später hatte Obayuki Yoshirô seine Schwiegertöchter Hikute und Hitoyo heimlich nach
Gyôtoku entsandt, wo sie erfuhren, dass dieser Knabe sich
zusammen mit seiner Großmutter Myôshin auf die Reise nach
Awa begeben habe, unterwegs aber spurlos verschwunden sei. Dies musste
sich, wie sie hörten, just zu derselben Zeit zugetragen haben, als
sie vom Arameyama geflohen waren.
Sie stiegen also zu Tal und wollten das Kind dem Hause Satomi
übergeben, aber mit vier Jahren wäre es zu nichts nütze
gewesen. Dass sie ausgerechnet hier auf den Knaben gestoßen
waren, sahen sie als Auftrag des verstorbenen Fräuleins
Fusehime an, dieses Kind aufzunehmen und großzuziehen. Und weil
es den Leuten verdächtig vorkommen könnte, wenn sie das Kind
und das Pferd zu Gesicht bekämen, ließen sie Ross und Knaben
auf dem Berg in Fusehimes Höhle wohnen, eröffneten am
Fuß des Berges ein Teehaus und stiegen abwechselnd den Berg
hinauf, um Kind und Ross zu versorgen.
Als der Junge sechs bis sieben Jahre alt war, hatte Yoshirô ihn
die Geschichte der Hundekrieger, Japans Samurailiteratur und den Inhalt
des Shuihuzhuan, und Otone die Märchen aus alter Zeit gelehrt. Shinbeis altertümliche Ausdrucksweise rührte zweifellos von
diesen literarischen Vorbildern her.
Shuihuzhuan
ist der Titel des ältesten in der damaligen Umgangssprache
verfassten chinesischen Abenteuerromans aus dem 14.Jh. von Shi Naian
und Luo Ganzhong. Es gilt als eines der vier großen Romanwerke
der klassischen Literatur Chinas. In japanischer Übersetzung war
und ist das Werk unter dem Titel Suikoden auch in Japan sehr
populär und gilt in mancher Hinsicht als Vorlage,
die Takizawa Bakin zu seiner Hundekrieger-Legende inspiriert
hat. In der deutschen Übersetzung lautet der Titel Die
Räuber vom Liangshan Moor. Die anderen drei klassischen
Romane Chinas sind Hongloumeng (jap. Kôrômu, dt. Traum der
roten Kammer), Sanguozhi (jap. Sankokushi, dt. Geschichte der drei
Reiche) und Xiyouji (jap. Saiyûki, dt. Reise in den Westen).
|
"Auch
in der Schwertkunst habe ich ihn unterwiesen, aber Shinbei
erklärte, dass ein Besitzer der Kristallkugel mit dem
Schriftzeichen NIN keine Menschen umbringen dürfe, und legte sich
vor etwa einem Jahr diesen Stock zu. In den Bergen ritt er auf dem Ross
Seigaiha umher und übte täglich das Herumwirbeln des Stocks.
In diesem einen Jahr entwickelte er seine übermenschliche
Körperkraft.
Dass er jetzt wie Momotarô aussieht, war ein Scherz von Hikute
und Hitoyo. Beide Frauen, die ehemaligen Bräute meiner Söhne,
entdeckten hier gleich nach ihrer Ankunft, dass sie schwanger waren. Diese Schwangerschaft, obwohl sie jungfräulich waren, weil ihre Bräutigame noch vor
der Hochzeitsfeier erschlagen worden waren, erschien uns zunächst verdächtig, aber beide beteuerten, dass
sie vollkommen rein geblieben seien. Als die beiden Knaben zur Welt
kamen, war es für jedermann offenkundig: Sie glichen ihrem
jeweiligen Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich habe lange
nachgedacht, was es bedeuten könnte, dass damals am Arameyama die
Totengeister von Rikijirô und Shakuhachi erschienen waren, aber
nun war mir endlich alles klar. Die Totengeister hatten zweifellos, um
ihre Bräute zu schwängern, am Berge Arameyama mit ihnen die
Hochzeit vollzogen. Und das Ergebnis waren diese beiden Jungen. Sie
erhielten die Namen ihrer Väter, Rikijirô und Shakuhachi.
Wohlan, vorhin sahen wir in unserem Teehaus, dass unser alter
Fürst mit seinen Getreuen den Berg Toyama bestieg und ihm kurze
Zeit später eine Bande verdächtiger Jäger nachfolgte.
Das sieht
nach Unheil aus, dachten wir und stiegen ebenfalls hinauf. Unterwegs
riefen wir Shinbei, der mit seinem Ross Seigaiha spielte, und
hießen ihn voranreiten....", berichtete Obayuki Yoshirô und
fügte hinzu:
"Wir haben schon von dem großen Unheil vernommen, das über
das Haus Satomi hereingebrochen ist. Wir hatten vor, diesen Knaben erst
dann in den Dienst Eures Hauses zu geben, wenn er zumindest seine
Volljährigkeitsfeier hinter sich hätte, aber dafür ist
jetzt keine Zeit mehr... Er ist zwar erst neun Jahre alt, aber wie Ihr
soeben gesehen habt, steht eigentlich nichts mehr im Wege, Euch zu
dienen. --- Shinbei, komm her!", rief er den Knaben, der in
einiger Entfernung mit seinem Stock dastand.
"Shinbei, würdest du dir zutrauen, den Erbfolger unseres
Fürstenhauses, der in Burg Tateyama in Gefangenschaft ist,
zu retten?", fragte er.
"Sehr wohl, allzeit untertänigst zu Diensten!", antwortete der
jüngste Hundekrieger, sein lenzhaft zartes, reizendes Gesicht zu
Yoshizane emporhebend. Mit gerührter Miene murmelte der alte
Fürst Yoshizane:
"Was ich von dir erzählt bekommen habe, ist recht erstaunlich. Von
den Berichten des Amasaki wusste ich, dass es noch einen spurlos
verschwundenen Hundekrieger gebe, aber dass er ausgerechnet jetzt und
hier bei mir aufgetaucht ist...."
Sie kehrten erst einmal zu Burg Takita zurück.
Dass dieser merkwürdige Zug des alten Fürsten, bestehend aus
toten und verwundeten Gefolgsleuten, einer großen Anzahl von
Gefangenen und weiteren Männern, Frauen und sogar Kindern,
für die Ritter der Burg wunderlich aussah, ist klar, aber sie
machten erst recht große Augen angesichts des Knaben, der wie der
kleine Momotarô aussah, auf dem riesigen Ross Seigaiha
ritt und einen langen Stock in der Hand hielt.
Japans Märchenheld Momotarô mit Affe, Hund und Fasan bei seiner Ankunft auf der Teufelsinsel
Eine ältere Frau stieß einen Schrei aus: "Shinbei....! Das ist.... dieser Shinbei?"
Sie starrte den Jungen lang an und rief dann: "Oh, Daihachi! Du bist doch mein Daihachi!"
Sie klammerte sich an den Jungen und fing an, laut zu weinen. Shinbei
stand steif da; dass er sich dabei unwohl fühlte, stand ihm ins
Gesicht geschrieben.
Die ältere Dame war seine Großmutter Myôshin. Vor
fünf Jahren, nachdem Shinbei entführt worden war, hatte
Amasaki Jûichirô sie, halbtot vor Trauer und Kummer, nach
Awa gebracht. Sie lebte jetzt auf Burg Takita als Betreuerin von
Fräulein Hamaji.
Shinbei hatte kaum noch Erinnerung an die Zeit, als er weniger als vier
Jahre alt war. Und davon erzählte nun Myôshin unter
Freudentränen, und alle, die dabeistanden und die beiden sahen,
mussten mitweinen.
Ihnen blieb jedoch nicht viel Zeit zum Lachen, Weinen und Erzählen
über das glückliche Wiedersehen von Großmutter und
Enkel. Auch Myôshin selbst konnte sich nicht endlos ihrer
Freude über den wiedergefundenen Jungen hingeben. Sie setzte sich
gleich daran, für Shinbei, der am nächsten Tag als Bote zur
feindlichen Burg reiten sollte, passende Gewandung zu schneidern.
④
Die
Leute auf Burg Tateyama trauten ihren Augen nicht angesichts des
seltsamen Wesens, das sie anderntags auf die Burg zureiten sahen. Die
Gestalt, die auf dem Ross von einer nie geschauten Größe
ritt, angetan mit langen Beinkleidern, förmlichem Gewand mit
Wappen und hohem Amtshut, war augenscheinlich ein Knabe. Neben dem Ross
schritt nur ein einziger Gefolgsritter mit weißem Haarknoten, der
einen zwei Meter langen
Stock mit sich führte. Vor der Brücke, die den Burggraben
überspannte, hörten sie eine Kinderstimme rufen:
"Ich erlaube mir, Euch kundzutun, dass mir die Ehre zuteil wurde, als
Bote mit Namen Inue Shinbei vom Fürstenhaus Satomi entsandt zu
sein. Nur meine Wenigkeit und ein einziger Gefolgsritter ersuchen Euch,
ohne Erschrecken und ohne Furcht das hölzerne Tor zu öffnen
und uns eine Audienz bei Herrn Hikita Motofuji zu gestatten!"
Die verblüfften Räuberritter meldeten es Motofuji.
"Hat er Fräulein Hamaji dabei? Wenn nicht, weist ihn ab!"
Aber auch Motofuji, der erst einmal ablehnend reagiert hatte, wunderte sich und meinte dann:
"Wartet! Was sagt ihr? Der Bote ist ein zehnjähriger Bubi? Und
sein Begleiter ein alter Mann?" Nach kurzem Überlegen befahl er:
"Na gut, dann kann es keinen Schaden bringen, sie reinzulassen. Ich will mir mal anhören, was sie wollen. Holt sie her!"
Im Burghof ließ Shinbei Ross und Begleiter am Eingang warten und dann schlurfte
der kindliche Gesandte, seine überlangen Beinkleider
nachschleifend, hinein. Überall standen schwerbewaffnete
Kriegsleute dicht beisammen und machten große Augen.
Für sie sah das Kind nur aus wie ein mit formeller Gewandung und
Hut als Gesandter verkleideter Momotarô.
Er betrat den Burgsaal, lief direkt vor den Sitz des Burgherrn, zog
die nachschleifenden Beinkleider heran und befahl in stolzem Ton:
"Hikita Motofuji, her zu mir!"
Schon bevor er auch nur ein Wort aus dem Mund des Gesandten vernahm, schoss Motofuji die Zornesröte ins Gesicht.
"Grrrr, du magst ein noch so junger Bote sein, dein Benehmen ist eine
Frechheit! Satomi hat anscheinend schon den Verstand verloren, uns so
einen Knirps als Boten zu schicken. Schafft mir den Kerl vor meiner
Nase weg!" rief er, sich nach rechts und links umblickend.
"Du bist also der Hikita Motofuji", sagte Shinbei und trat mit
schleifenden Beinkleidern noch näher heran. Motofuji blieb nicht
ruhig sitzen, als Shinbei auf ihn zukam, sondern witterte wohl
instinktiv eine Gefahr und zog sein Schwert. Sofort packte Shinbei
seinen Arm.
"Oooh!", tönte es aus allen Kehlen der ringsumher sitzenden
Räuberritter, denn hoch über dem Kopf des kleinen Gesandten
flogen die Beine des groß gewachsenen Motofuji in die Luft, bis
er wie ein Wasserrad herumgewirbelt auf den Boden knallte. Der Knabe
setzte Motofuji, der sich wieder aufrappeln wollte, den Fuß auf
die Brust und rief:
"Das untertänigste Anliegen dieser Gesandtschaft betrifft die
allfällige Zurückgabe des Herrn Tarô. Geruht, uns Herrn
Tarô hierher zu holen!"
Die Räuberritter sprangen durcheinander auf und wollten sich wie eine Lawine auf Shinbei stürzen.
"Gestatten, meine Wenigkeit liebt es nicht, Lebewesen zu töten."
Shinbei blickte sie reihum an. Motofuji ächzte unter dem kleinen
Füßchen, als laste ein zentnerschwerer Felsen auf ihm,
und verkrampfte Arme und Beine. Die Kriegsleute standen wie
gelähmt.
"Ich ersuche darum, Herrn Tarô herbeizuholen", sagte Shinbei und lockerte leicht seinen Fuß.
"Holt den Herrn Tarô her!", brüllte Motofuji, dem ein
dünnes Rinnsal von Blut aus den Mundwinkeln aufs Kinn niederrann.
Der Erbfolger des Hauses Satomi wurde herbeigeführt. Den blassen,
abgezehrten Herrn Tarô lächelte Shinbei freundlich an.
"Meine Wenigkeit Inue Shinbei hat sich erlaubt, zu Eurer Rettung gekommen zu sein. Geruht also, Euch nach Hause zu begeben!"
Mit Leichtigkeit zog er den unter seinen Füßen liegenden
Motofuji hoch und schritt voran, ohne dessen Handgelenk loszulassen.
"Mein Herr...! Mein Herr...!", riefen die Räuberritter und wollten
näherkommen, aber Motofuji, der am Handgelenk gezogen hinter
Shinbei dreinstolperte, stieß fürchterliche
Schmerzensschreie aus und wies sie zurück. So gelangten alle drei
zum Ausgang. Der alte Gefolgsmann, der dort wartete, übergab
Shinbei den Stock, holte ein Seil hervor und machte sich daran,
Motofuji zu fesseln.
Wie irre stürmten die Räuberkrieger auf sie zu, aber kaum
begann Shinbeis Stock zu wirbeln, überschlugen sich bei jeder
Drehung gleich sieben oder acht Räuber in der Luft und krachten
auf den Boden.
Wie einen Strohsack legte Shinbei den Motofuji auf den Rücken des
Rosses, lud sich den Herrn Tarô auf den Arm ---dabei war er ein
ganzes Jahr jünger als Herr Tarô--- und bestieg mit ihm sein
Pferd.
"Zu Diensten, hiermit ist alles ordnungsgemäß erledigt und
zu einem glücklichen Ende gelangt", rief er und ließ das
Pferd zum Ausgang des Burghofs trotten. Der alte Gefolgsmann schritt
nebenher. Es handelte sich um Obayuki Yoshirô.

lm Film sieht Inue Shinbei ein wenig älter aus als zehn Jahre
Das Ross begann schneller zu traben. Etliche Kämpfer stellten sich
ihm in den Weg, aber das riesige Ross trat sie mit den erhobenen
Vorderhufen zur Seite. Den Burgkämpfern blieb nichts anderes
übrig, als tatenlos zuzuschauen.
In
dieser Lage, in der tausend wackere Ritter mit ihrer Belagerung nichts
ausrichten konnten, war das ausgesandte Bübchen ganz allein in die
feindliche Burg hineingeritten und hatte im Handumdrehn nicht allein
die Geisel, sondern auch noch den feindlichen Burgherrn herausgeholt.
Ihres Tyrannen beraubt, fiel Burg Tateyama den Belagerern in die
Hände.
In der Tat war alles glatt erledigt worden. So sah es zumindest aus, aber so einfach ging die Rechnung leider nicht auf.
Yoshinari wollte den Motofuji, den Shinbei gefangen genommen hatte, auf der Stelle hinrichten lassen. Aber Shinbei war dagegen.
"Es ist verständlich, dass einem Missetäter, der das Haus
Satomi dermaßen gequält hat, der Kopf abgeschlagen werden soll,
aber meine Wenigkeit gestattet sich die untertänigste Ansicht, dass es dem Hause
Satomi zum Ruhm gereichen dürfte, diesem Bösewicht
stattdessen eine Lektion in Sachen Menschlichkeit zu erteilen und
sein Leben zu verschonen."
Der kleine Hundekrieger hatte vor Yoshinari respektvoll Platz genommen
und diese Worte mit kirschrosa glänzenden Bäckchen
gesprochen. Yoshinari zeigte sich überrascht, und die vor ihm
aufgereihten Samurai gerieten vor Unverständnis beinahe
außer Fassung, aber am Ende nickte Yoshinari.
"Aus unserer Notlage hat uns Shinbei ganz allein herausgeholfen. Es
geht nicht an, seinen Wunsch zu missachten. Motofuji und seine
Banditen sollen ein jeder hundert Peitschenhiebe und eine
Tätowierung erhalten, verbannt und dann freigelassen werden."
Einige Tage später bekamen Motofuji und seine Leute, die
ehemaligen Räuber vom Berge Ibukiyama, ihre hundert Peitschenhiebe
und, damit sie sich nicht erneut hier herumtrieben, auf die Stirn eine
schwarze Mondsichel als Kennzeichen tätowiert. Dann wurden sie auf
Schiffe verladen, bis zum Sumidafluss in Edo verschifft und auf sein
Westufer abgeschoben. Die Burg Tateyama fiel an das Haus Satomi. Was
allerdings seltsam war: Bei Motofuji sollen sich zwei Geliebte mit
Namen Asagao und Yûgao aufgehalten haben. Nach der Eroberung
seiner Burg blieben sie unauffindbar, so sehr man sie auch suchte.
Wohin mochten sie verschwunden sein? Auch keiner der Räuberritter
konnte dazu eine Auskunft geben.
Nach Awa kehrte jedenfalls der paradiesische Frühling zurück,
und wie vom Lenzwind hergeweht kehrte auch Amasaki Jûichirô
in seiner Tracht als Wandermönch gut gelaunt zurück und
brachte gute Nachricht mit. Er war ja der Mittelsmann zwischen dem
Mönch Chudai, der durch
die Lande schweifte, und dem Hause Satomi; von Chudai brachte er Kunde,
und vom Hause Satomi die finanziellen Mittel zu den Hundekriegern, das war
seine Aufgabe.
Wie er mitteilte, waren alle sieben Hundekrieger beisammen; am 16.Tag
des kommenden 4.Monats würden sie in Yûki eine große
Gedenkfeier zu Ehren des in der Schlacht von Burg Yûki gefallenen
Herrn Vaters des Fürsten Yoshizane, Satomi Suemoto, veranstalten.
Bis dahin hielten sie sich derzeit nördlich von Edo im Hause des
Verwalters des Lehens Hokita auf.
"Der achte Hundekrieger ist hier bei uns, Jûichirô!", sprach Yoshizane und wies auf den
bei ihm sitzenden Shinbei. "Daihachi, der Sohn
des Yamabayashi Fusahachi von jener Tragödie im Gasthaus Konaya in
Gyôtoku, von der du uns berichtet hast, ist dieser Inue Shinbei!"
"Was, das kleine Kindchen von damals....?"
Amasaki Jûichirô nahm Shinbei genau in Augenschein - ihm
kullerten vor Rührung die Tränen von den Wangen.
Schließlich war er mit dabei gewesen, als der kleine Daihachi
nach jenen Vorgängen von einem Geisterpferd entführt worden
war.
"Ich wünsche mir, dass alle Hundekrieger nach Awa kommen",
begann Yoshizane. "Aber wie wäre es, wenn auch du, Shinbei,
vorher zu dieser großen Feier in Yûki gingest? Alle anderen
Hundekrieger sollen sich dort befinden, und unter ihnen auch Inuta Kobungo,
der dein Onkel ist. Du willst ihn sicher so schnell wie möglich
kennen lernen. Du solltest dort hingehen und dann alle Hundekrieger
hierher mitbringen."
Shinbei verbeugte sich ehrerbietig.
"Zu Diensten! Dies sind für meine Wenigkeit höchst dankenswerte Worte!"
"Aber bis zum 16.Tag des 4.Monats bleibt noch ein wenig Zeit..."
"Nein, mein Herr", erwiderte Shinbei, der sich wie ein neunjähriger
Junge mit den Fäusten auf die Schenkel schlug. "Meine Wenigkeit
hat sich, seit ich die Dinge zu begreifen begann, nirgendwo anders aufgehalten als
im Bergwald von Toyama; ich gestatte mir, den Wunsch zu
äußern, eine Besichtigungsreise unternehmen zu dürfen.
Und falls es sich ergeben sollte, dass ich frühzeitig in Edo
eintreffe, so würde ich mich glücklich schätzen, falls
es genehm sei, die Wartezeit bis zum Tag der Feier gemeinsam mit meinen
älteren Brüdern, den Hundekriegern, zu verbringen."
So brach Inue Shinbei schon wenige Tage später aus Awa auf. Und
zwar nicht in der Momotarô-Aufmachung, sondern, obwohl er noch
ein Knirps war, mit Binsenhut, Reisemantel und ordentlichen
Beinkleidern zum Wandern, die seine Großmutter Myôshin mit
großer Sorgfalt für ihn vorbereitet hatte.
Darüberhinaus schulterte er nur noch seinen zwei Meter langen Stock,
der doppelt so groß war wie er selbst.
⑤
Unter
dem Schleierwolkenhimmel der Gefilde von Musashi, an dem eine
rötliche Mondsichel stand, irrte Hikita Motofuji durch das
Brachland. Wie viele Tage waren vergangen, seit er mit einem Schiff des
Hauses Satomi hierher gebracht und irgendwo am Ufer des Flusses
Sumidagawa ausgesetzt worden war? Schon bevor er auf das Schiff
gebracht wurde, waren sein Rücken durch die Peitschenhiebe, und
seine Stirn durch die Tätowierung vereitert. Er litt an hohem
Fieber. Und das war nicht alles; seine Rippen, auf denen der Fuß
jenes wunderlichen Knaben gelastet hatte, und sein Handgelenk schmerzten ihn
so sehr, als würden seine Knochen knarren. Motofuji, der ganz
allein an einer anderen Stelle ausgesetzt worden war als seine
Kumpanen, hatte zwei Tage und zwei Nächte im Gestrüpp gelegen
und gestöhnt.
Als er endlich aufstehen und humpeln konnte, verübte er in den zwei oder
drei Tagen danach erneut zwei Raubüberfälle. Die
Opfer waren ein alter Mann auf Reisen und eine Frau. Er nahm
an, dass die Säcke, die beide auf den Schultern
trugen, etwas Essbares enthielten, und brüllte nur vom Wegrand her: "Her mit
was zu essen!"
Jedesmal ließen die Angerufenen, kaum
dass sie sein tätowiertes Gesicht sahen, entsetzt ihre Beutel
fallen und rannten davon.