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Legende der acht Hundekrieger


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Wir befinden uns im 2.Jahr Chôroku (1458) zur Zeit der Herrschaft von Yoshimasa, dem 8. Shôgun aus dem Hause Ashikaga. Ein Jahr zuvor hatte Fürst Ôta Dôkan in der Kantô-Region auf einem Landstrich namens Edo erstmals eine Burg errichtet.
Im 8.Monat stand im Lande Awa die Burg Takita dicht vor dem Fall.


Im 15.Jahrhundert, in dem dieses fiktive Werk von Takizawa Kyokutei Bakin (1767-1848) spielt, beherrschte die Ashikaga-Dynastie Japan als Shôgune, war aber zu schwach, um Frieden und Sicherheit im Reich zu gewährleisten. Lokale Fürsten und Lehnsherren hielten sich eigene Armeen, errichteten Burgen und suchten Einfluss und Domänen nach Möglichkeit zu erweitern, was zu einer endlosen Abfolge von blutigen Machtkämpfen in allen Regionen Japans führte, die dem 30jährigen Krieg in Deutschland nicht unähnlich waren. Die Straßen und Provinzen wurden von Räubern und Wegelagerern verunsichert, Entführungen, Morde und Raubzüge blieben im nahezu rechtsfreien Reich oft ungeahndet. Selbst das Kaiserhaus in Kyôto wurde durch die Schwertträger terrorisiert und der Kaiserpalast eingeäschert, weshalb die kaiserliche Familie samt Hofstaat in provisorischen Unterkünften in Kyôtos Stadtteil Muromachi hauste; von daher rührt der Name Muromachi-Zeit für die Zeitspanne von 1336 bis 1573.
Die Kantô-Region bezeichnet hauptsächlich die von Bergen umgebene Ebene um das heutige Tôkyô, das früher Edo hieß. Die genannte Burg von Edo wurde mehrfach zerstört und neu errichtet. Auf dem Gelände der einstigen Burg, geschützt von den erhaltenen Mauern und Gräben, residiert heute Japans Tennô im Kaiserpalast zu Tôkyô.
Japan war bis 1870 in "Länder" genannte Provinzen unterteilt, und das Land Awa liegt am südlichen Ende der Bôsô-Halbinsel. Das Geschehen des Werks spielt fast ausschließlich in der Kantô-Region in und um das heutige Tôkyô.
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An einem Abend schritt Burgherr Satomi Yoshizane mit seinem 16jährigen Sohn und Erben Yoshinari sowie zwei Vögten aus seinem Gefolge über den Burghof. Obwohl Yoshizane noch nicht einmal vierzig war, stützte er sich auf einen Stock. Nicht weil er verwundet wäre, sondern vor Hunger. Auch seine drei Begleiter wankten wie Leute, die durch tiefes Wasser waten.
Vor zehn Tagen hatte die Belagerung durch den Feind begonnen. In der Burg lagerten nur Essvorräte für drei Tage, die folgenden sieben Tage hatten die Kriegsleute in der Burg so gut wie nichts gegessen. Es grenzte an ein Wunder, dass die Verteidiger bis jetzt durchgehalten hatten. Soeben war ein heftiger Sturm aufgekommen, der Regen mit sich brachte; der Burghof schien zu schwanken wie der Boden der See. Im spärlichen Licht lagen hier und da die Leiber verhungerter Kriegsleute, und die Umrisse derjenigen, die noch aufrecht standen, bewegten sich allesamt nur kraftlos.  
"In dieser Lage hat es keinen Sinn, einen Ausbruch zu wagen", äußerte Yoshizane endlich stöhnend und wandte sich zu seinen Vögten um. Er war gekommen, um seine noch kampffähigen Kriegsleute zu einem letzten Entlastungsangriff zu sammeln, musste aber letztlich einsehen, dass dies vollkommen unmöglich war.
"Es ist unendlich schmerzlich, aber befehlt den Kriegern, die noch laufen können, die Burg zu verlassen und sich zu ergeben. Ich werde vorher mit den Meinen Seppuku begehen."

Seppuku bezeichnet die ehrenvolle Selbstentleibung eines Samurai. Er setzt sich dabei auf seine Knie, entblößt den Nabel, stößt sich das Kurzschwert links in den Unterleib und zieht es bis zur rechten Hüfte durchs Gedärm. Im Idealfall assistiert ihm ein Gefolgsmann und schlägt ihm danach den Kopf ab, um ihm schmerzhaftes Leiden bis zum Exitus zu ersparen. Frauen von Stand entleiben sich mit dem Dolch, mit dem sie sich die Halsschlagader durchtrennen.


In diesem Augenblick hörte man aus dem Schatten eines Wehrturms vor ihnen eine scheltende Frauenstimme.
"Hör auf, Yatsufusa!"
Von dort tauchten ein Hund auf und eine junge Frau, die ihm hinterdrein lief. Der Hund sah aus wie eine lebendig gewordene Löwenfigur am Tor eines Schreins. Das lag allerdings nur an seiner Größe und an der Form des Kopfes; sein Leib war dermaßen abgemagert, dass sich jede Rippe einzeln abzeichnete. Die junge Frau war so blass und schmal, dass sie nahezu durchsichtig wirkte. Es war Yoshizanes Tochter Fusehime, die in diesem Jahr 17 geworden war. Fusehime trug eine Gebetskette mit weißen Perlen um den Hals.


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Furchterregende Löwenfiguren (Fabelwesen) schützen die Schreingottheit vor bösen Geistern



Yoshizane rief ihr zu:  "Mädel, was ist denn los?"

Atemlos antwortete Fusehime:
"Ich habe Yatsufusa ausgeschimpft, weil er das Fleisch eines gestorbenen Samurai fressen wollte."   
Yoshizane verschlug es einen Augenblick die Sprache. Er setzte sich auf einen Kasten zur Verwahrung von Pfeilen, der nahebei auf dem Boden stand, und starrte finster auf den Hund.
"Das kann ich verstehen. Tiere ertragen Hunger noch schwerer als wir."
Yatsufusa kauerte sich vor ihm zu Boden und hechelte mit heraushängender Zunge.
"In dieser Nacht werden wir sterben. Fusehime wird auch sterben. Und bevor du verhungern musst, ist es womöglich barmherziger, auch dich totzustechen."

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Burgherr Satomi Yoshizane und sein Hund Yatsufusa im Burghof


Von fern, von außerhalb der Burgmauern, erscholl der Schlachtruf des feindlichen Heeres.

"Wie dem auch sei, dieser Anzai Kagetsura ist ein widerwärtiger Schuft!", knurrte Yoshizane mit knirschenden Zähnen, die Augen zum Himmel gerichtet.
In der Erinnerung daran, wie es zu dieser aussichtlosen Situation kam, bebte er erneut vor Entrüstung.

Das Gebiet, das Yoshizane beherrschte, waren die zwei Distrikte Heguri und Nagasa von den vier Distrikten im Lande Awa. Aus unbekannter Ursache befiel eine Krankheit die Reisfelder nur dieser beiden Distrikte, was zu einer schlimmen Missernte führte. Als gütiger Fürst erließ Yoshizane daraufhin den Bauern die Tributpflicht, und deswegen waren in diesem Sommer die Vorräte in der Burg auf Verpflegung für wenige Tage geschrumpft. Yoshizane ersuchte also den Herrn der benachbarten Distrikte von Awa, Anzai Kagetsura, um Unterstützung. Vor wenigen Jahren hatte nämlich eine Insektenplage die Ernte der beiden Distrikte Awa und Asahina, die Anzai beherrschte, weitgehend vernichtet, und auf dessen Hilfeersuchen hatte Yoshizane ihm unentgeltlich 5000 Gebinde Reis geschickt. Nun hatte Yoshizane einen jungen Vogt namens Kanamari Daisuke als Boten zu der Burg Tateyama gesandt, in der Anzai residierte, und der war in Tateyama zwar eingetroffen, aber nie zurückgekommen. Was an seiner Statt kam, war die Streitmacht von mehr als 2000 Kriegleuten des Anzai.


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Anzai Kagetsura haftete schon seit Langem der Ruf eines ruchlosen Charakters an. Als er durch den Boten erfuhr, dass die Vorräte auf Burg Takita nur für wenige Tage ausreichten, hatte er vermutlich umgehend Angriffspläne geschmiedet. Es kann kaum Zweifel daran geben, dass Kanamari Daisuke getötet worden war, um zu verhindern, dass er Fürst Satomi vorzeitig warnen könnte.

Als man die böse Absicht des Anzai erkannte, gelang es zwar noch, ausreichend Kriegsleute zur Verteidigung zusammenzuziehen, aber der plötzliche Überfall bewirkte die Hungersnot auf der Burg.

"Wie gern würde ich seinen abgetrennten Kopf sehen!", rief Yoshizane laut aus und starrte mit fiebrigen Augen auf den Hund. "Yatsufusa, kannst du nicht den Anzai totbeißen?"
Der Hund schloss das Maul und blickte seinen Herrn fest an.
"Wenn du mir den Kopf des Kerls bringst, kriegst du für dein ganzes Leben so viel Fisch und Fleisch zu fressen, wie du willst - ach was, du bekommst ein Lehen wie ein Samurai!" 
Es sah aus, als schüttelte der Hund den Kopf wie ein Mensch.
"Wie, genügt dir das nicht? Ich soll dir wohl gar Fusehime zur Braut geben?"
"Herr Vater, das bitte nicht!", rief Fusehime flehentlich. "Yatsufusa ist kein gewöhnlicher Hund!"
Mit einem Mal erstarrte Yoshizane.
"Wa-wa-wau", tönte es vom Boden her wie ein Knurren aus Yatsufusas Maul.
Auch Yoshizane wusste, dass Yatsufusa kein gewöhnlicher Hund war. Nicht nur, weil er riesig groß und seltsam gebaut war, sondern auch, weil er augenscheinlich menschliche Worte weit besser verstehen konnte als andere Hunde. Und deshalb hatte Yoshizane unbewusst und ungewollt so mit ihm geredet wie oben geschildert. Aber letzendlich war er, was es auch mit ihm auf sich haben mochte, doch nur ein Hund.
Yoshizane kam wieder zu sich und befand, dass dies eines Burgherrn unwürdig sei. Dass ihn derlei herausgerutscht war, schrieb er seinem schmerzlichen Leid und Zorn zu.
"Hahaha, sogar jemand wie ich redet Unsinn mit solch einem Tier", sprach Yoshizane, sich verlegen zu seinen Begleitern umblickend, und stand im Begriff, sich zu erheben. Aber Yatsufusa verharrte mit gesenktem Kopf vor ihm, als wollte er ihm den Weg verstellen, blickte Yoshizane an und knurrte weiter. Allmählich nahm er den Kopf hoch, sein Blick wandte sich empor zu den tuscheschwarzen Wolken, und das Knurren ging über in ein lautes Heulen.
Yoshizane war zumute, als hätte man ihn mit Wasser übergossen; er hob seinen Stock und brüllte:
"Verschwinde, Yatsufusa!"


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Yatsufusa stand auf und rannte davon. Seine Gestalt war kurz davor, auf dem Weg in Richtung Burgtor im Dunkel zu verschwinden - da fiel irgendetwas von einem Zweig des großen Zelkovienbaums herunter direkt auf den Rücken des Hundes, der, ohne sich um den Reiter zu scheren, stracks weiterlief.

"Was war denn das?" -  "Es sah aus wie ein Tier", sagten die beiden Vögte Sugikura Kisonosuke und Horiuchi Kurando, einander anblickend.
Nach kurzem Zögern fragte Yoshizane:
"Könnte es sein, dass es ein Marderhund gewesen ist?" 
"Wie, ein Marderhund?", rief sein Sohn Yoshinari verblüfft.
"Ich hatte dir doch erzählt, dass Yatsuhashi mit der Milch einer Marderhündin aufgewachsen ist", murmelte Yoshizane in die nächtliche Finsternis hinein. "Und jetzt fällt es mir wieder ein, Kurando, Kisonosuke....  Als Tamazusa tot war, ist es doch ein Marderhund gewesen, der ihr Blut geschlürft hat!"
"Tamazusa?", fragte Yoshinari mit verwundertem Gesicht. "Wer ist Tamazusa?"
Nicht nur Yoshinari, sondern auch Sugikura und Horiuchi blickten Yoshizane fragend an.
"Nein, es hat nichts zu bedeuten."  Yoshizane schüttelte den Kopf.  "Ich erinnerte mich nur an alte Begebenheiten."
Auf dem Weg zum Palas murmelte Yoshizane aber, als würde er sich selbst verhöhnen: "Kurando, Kisonosuke, falls der Geist dieser Tamazusa noch in der Burg weilen sollte, dann wird sie unser Untergang heute Nacht gewiss sehr freuen."
Yoshinari mit seinen sechzehn Jahren konnte davon nichts wissen, aber Sugikura Kisonosuke und Horiuchi Kurando müssten sich daran noch erinnern können. Dass sie beide vorhin bei der Nennung des Namens Tamazusa betretene Gesichter gemacht hatten, bewies, dass er ihnen bekannt war, aber sie begriffen nicht, weshalb ihr Herr diesen unheilvollen Namen eben jetzt genannt hatte.


tanuki

Japanischer Marderhund (Tanuki, Nyctereutes viverrinus)
In Märchen und Legenden verwandelt er sich, ebenso wie der Fuchs, gern in menschliche Gestalt und bringt Menschen Unheil



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Siebzehn Jahre ist es her, dass der junge Satomi Yoshizane, nichts weiter als ein geschlagener Kriegsmann, nur mit seinen beiden Gefolgsleuten Sugikura Kisonosuke und Horiuchi Kurando nach Awa geflohen war.
Der Kriegszustand im Reich, in dem der Freund von gestern zum Feind von heute wird, dauerte zwar bis zur Gegenwart an, aber schon damals erschütterten Aufstände, Verrat und Machtkämpfe zwischen dem Shogunat in Kyôto und seinem Statthalter von Kantô, zwischen dem Statthalter und den Shogunats
fürsten, zwischen den Shogunatsfürsten und den regionalen Fürstenhäusern die acht Länder der Kantô-Region, was vor siebzehn Jahren zur gewaltsamen Auseinandersetzung um die Burg Yûki führte. Yûki Ujitomo erhob sich zur Unterstützung des Sohns des Kantô-Shogunatsfürsten Ashikaga Mochiuji, der durch den Shogunatsvogt Uesugi Norizane vernichtet worden war. Es kam daraufhin zu Krieg und Schlachten zwischen den Truppen des Shogunats und den angreifenden Verbündeten des Shogunatsvogts Uesugi Norizane, und nach dreijähriger Belagerung fiel die Burg Yûki im 4.Monat des 1.Jahres Kakitsu (1441).


Der Shôgun der Dynastie Ashikaga, also der oberste Feldherr des Reichs, residierte in Kyôto. Um seine Macht reichsweit durchzusetzen, verteilte er an seine nächsten Verwandten große Domänen im ganzen Reich. Sein für die Kantô-Region zuständiger Statthalter, ein enger Verwandter, residierte in Kamakura. Etwas fernere Verwandte und treue Gefolgsleute, die nicht den Namen Ashikaga trugen, dem Haus aber dennoch eng verbunden waren, erhielten weitere Lehen und wurden Shogunatsfürsten genannt.
Nach der Ermordung des 6.Shôguns Ashikaga Yoshinori im Jahr 1441 war die Autorität des Shogunats jedoch erheblich geschwächt und die Loyalität des Statthalters und der Shogunatsfürsten nicht länger gewährleistet; alle mischten im anhaltenden Machtkampf mit, in dem jeder die Oberhand zu gewinnen suchte.



Das Haus Satomi stand in Treuepflicht auf Seiten des Ashikaga Mochiuji, und der junge Yoshizane hatte gemeinsam mit seinem Vater Suemoto als Verteidiger der belagerten Burg an dem Krieg teilgenommen; beim Fall der Burg fiel Suemoto im Kampf, und Yoshizane
samt seinen beiden Vasallen gelang mit knapper Not die Flucht nach Awa.
In diesem Land trafen die Fliehenden auf einen Bettler. Er hieß Kanamari Hachirô und war ein Gefolgsmann des Herrn der Burg Takita gewesen. Nachdem sie einander Namen und Herkunft offenbart hatten, klagte Hachirô dem Satomi Yoshizane sein Geschick.
"Habt Ihr gesehen, wie in diesem Land Volk und Bauern darben? Der Herr über die beiden Distrikte hier ist Yamashita Sadakane, unter dessen Knute seit etlichen Jahren alle leiden. Dieses Haus Yamashita war allerdings nicht schon seit immer Fürst; bis vor einigen Jahren war Jinyo Mitsuhiro der rechtmäßige Burgherr. Ich selbst entstamme einem Geschlecht, das mit dem Hause Jinyo entfernt verwandt ist, während Yamashita ein Gefolgsmann niederster Herkunft, der Sohn eines Hirten ist. Herr Mitsuhiro aber verliebte sich eines Tages Hals über Kopf in eine schöne Frau namens Tamazusa. Tamazusa betrog ihn jedoch durch eine heimliche Liebschaft mit dem hübschen Yamashita und hielt den Fürsten zum Narren, indem sie ihn zu üppigen Festen und Gelagen verleitete. Ich ermahnte meinen Herrn unzählige Male und zog mir damit zuletzt seinen Zorn zu, wurde aus seinen Diensten entlassen und streife seitdem bettelnd durch die Lande.
Tamazusa ist eine betörende Schönheit mit der seltsamen Vorliebe, sich als liebsten Gefährten
einen Marderhund zu halten. Womöglich ist auch Yamashita ein Marderhund in menschlicher Gestalt. Es gelang ihm mit teuflischer List, die Herrschaft über dieses Gebiet an sich zu reißen. Und zwar gab es unter den hiesigen Bauern zweie, Somaki Bokuhei und Sunozaki Mukuzô, die trotz ihres Bauernstandes Mut besaßen und mit dem Schwert umzugehen verstanden. Sie waren der Ansicht, dass die schlimmste Plage dieser Lande Yamashita Sadakane sei, und trachteten ihm insgeheim nach dem Leben.
Ein Landstrich in Awa mit Namen Aomiko ist seit alters für die Zucht ausgezeichneter Pferde
bekannt. Yamashita stammte von ebendort und pflegte deshalb auf einem Schimmel aus seiner Heimat durch die Lande zu reiten. Eines Tages, als Yamashita im Gefolge seines Herrn Jinyo Mitsuhiro zur Jagd ritt, schossen Somaki und Sunozaki mit dem Bogen tödliche Pfeile auf den Reiter des Schimmels, aber der Tote war  -o weh, wie war das möglich?-  nicht Yamashita Sadakane, sondern ihr Herr Jinyo Mitsuhiro. Yamashita hatte schon vorher durchschaut, dass ein Anschlag auf ihn bevorstehe, und daher Herrn Mitsuhiro listig seinen eigenen Schimmel zum Reiten angeboten. Die beiden Attentäter wurden gestellt, der eine auf der Stelle geköpft, der andere gefangen genommen und später hingerichtet. Auf diese Weise hatte Yamashita diejenigen, die eigentlich ihn umbringen wollten, dazu benutzt, um sich seines Herrn zu entledigen. Er selbst wurde Burgherr, Tamazusa machte er öffentlich zu seiner Mätresse und frönt seitdem nach Herzenslust dem Laster und der Tyrannei."
Das erzählte
Kanamari Hachirô. Und dass er all das auf seinen Wanderungen als Verstoßener erfahren habe.
"Vor Kurzem bin ich heimlich nach Awa zurückgekehrt mit der Absicht, Yamashita zu vernichten, aber dieser wird streng bewacht. Außerdem ist mein Gesicht, obwohl ich als Bettler abgemagert bin, noch vielen Leuten bekannt. Mir ist bewusst, dass es kein leichtes Unterfangen ist, dem Yamashita nachzustellen. Nun seid Ihr mir kürzlich aufgefallen. Ihr seht nicht aus wie gewöhnliche Leute, sondern unerwartet vornehm wie Herren von Stand. Ich bin Euch nachgegangen und dachte mir schon, dass Ihr Ritter seid, die nach dem Fall der Burg Yûki hierher gelangt sind. Ich wende mich daher mit der Bitte an Euch, zu geruhen, mir aus Ritterlichkeit zu helfen, den Yamashita Sadakane, der sich dieser Domäne bemächtigt hat, zu erschlagen und das Volk aus höchster Qual zu erretten."
Satomi Yoshizane und seine Gefolgsleute entschlossen sich, diesem Wunsch zu entsprechen. Sie riefen die Bauern auf, sich zusammenzutun und einen Aufstand zu wagen. Unter den bedrängten Feinden fanden sie Helfer, und mithilfe dieser Verräter zwangen sie Yamashita Sadakane im schwarzen Rauch seiner brennenden Burg, 
sich selbst den Tod zu geben.
Diese Vorfälle von damals standen Satomi Yoshizane jetzt lebhaft vor Augen.

Im Hof der eroberten Burg Takita wurde im Abendschein die gefangen genommene Tamazusa vorgeführt.
"Tamazusa, schau mich an!", schimpfte Kanamari Hachirô. "Du hast durch deine Verführungskünste nicht nur dieses Land zugrunde gerichtet, sondern dich zur Mätresse des ungetreuen Gefolgsmannes hergegeben, der seinen Herrn mit einer List ums Leben gebracht hat. Ist dir das bekannt, du widerliche Hure, die unter zwei Burgherren um ihrer eigenen Wollust willen dem Volk Jammer und Leid bescherte?"
Die gefesselte Tamazusa erhob ihren Kopf und erwiderte:
"Was redet Ihr denn da? Wer sich der Lust ergeben hatte, das war nicht ich. Es war der eigene Wunsch Eures einstigen Herrn und des Herrn Sadakane. Und diejenigen, die ihren früheren Herrn umgebracht haben, waren das nicht Eure eigenen Schüler?"
Kanamari Hachirô fehlten die Worte zu einer Antwort. Somaki Bokuhei und Sunozaki Mukuzô, die auf Jinyo Mitsuhiro die tödlichen Pfeile abgeschossen hatten, waren in der Tat Männer, die Hachirô im Waffenhandwerk geschult hatte.
"Ihr sagtet, ich hätte unter zwei Burgherren das Land zugrunde gerichtet, aber waren das nicht all die männlichen Ritter, die allen beiden Burgherren gedient und sich nicht nicht geschämt haben, dafür ihren Vasallenlohn anzunehmen? Und seid nicht Ihr, wiewohl von Eurem Herrn verstoßen, gerade eben mit Männern aus fremdem Land, von denen niemand weiß, wer sie sind, zu Felde gezogen und habt diese Burg zu Fall gebracht? Welche Schuld sollte ausgerechnet ich daran haben, ich, eine Frau? Freude und Leid einer Frau, so sagt man, werden ihr durch fremde Menschen zuteil. Selbst wenn Ihr meint, es sei eine Schande, von Herrn Mitsuhiro und Herrn Sadakane innig geliebt zu werden, welche andere Wahl hätte ich als schwache Frau
denn gehabt?"
Tamazusa, die mit wirrem schwarzen Haar und unter Tränen diese Worte erwiderte, war so schön anzusehen wie eine Blume im heftigen Regen. Für Yoshizane sah sie ganz und gar nicht aus wie die von Hach
irô beschriebene Hexe, die das Land ins Verderben gestürzt haben soll.
"Mit dem, was diese Frau sagt, hat sie durchaus nicht unrecht", sprach er, an Hachirô gewandt. Er gewahrte, dass Kanamari Hachirô mit bebenden Lippen schwieg, und erteilte
Sugikura Kisonosuke, der im Burghof stand, den Befehl:
"
Kisonosuke, lös ihr die Fesseln!"


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Tamazusa (Image)


"Ich bin Euch für die Gnade zu Dank verpflichtet!", rief Tamazusa in irrer Freude, während Hachirô knurrte:
"Bloß das nicht, das darf nicht sein! Ich habe alles mit angesehen und weiß, dass du keineswegs eine armselige Frau bist, sondern vielmehr eine ebensolche Verbrecherin wie Sadakane, das ist hier doch jedermann vollkommen klar!"
Mit wütendem Gesicht blickte er Yoshizane an.
"Herr Yoshizane, nun sind Sadakane und alle treulosen Ritter tot. Was soll das Volk des ganzen Landes, das sich gegen die Tyrannei erhoben hat, davon halten, wenn Ihr hernach einzig dieses Weib verschont? Das ergibt doch keinen Sinn!"
"Meint Ihr?"
Yoshizane gab sich widerwillig geschlagen. Er nickte finster.
"Also gut, schlagt ihr den Kopf ab!"
Kanamari Hachirô selbst zog sein Schwert und stieg nieder in den Burggarten.
Tamazusa aber achtete nicht auf ihn, sondern blickte zu Yoshizane auf.
"Herr Satomi, Ihr wollt mich töten lassen?"
Yoshizane schwieg.
Da verwandelte sich Tamazusas schönes Gesicht in die Fratze einer Teufelin. Sie schrie:
"Verflucht! Kanamari Hachirô, wenn du dem Gebot des Herrn Satomi, mich zu verschonen, zuwiderhandelst und mich tötest, ist der Tag, an dem auch du durch das Schwert umkommst, nicht mehr fern. Und erst recht Herr Satomi, ein Mann, dessen Wort nichts gilt, der erst befiehlt, mich zu verschonen, sich dann aber von Hachirô einwickeln lässt und nach Belieben über fremde Leben befindet!"
Yoshizane war zwar ein furchtloser Mann, aber dabei fröstelte es ihn unversehens am Rücken. Diese Frau ist wahrhaftig eine Hexe, schauderte es ihn.
"Alle Menschen erhalten den Lohn für ihre Worte. Wenn ihr mich töten wollt, so tötet mich! Durch meinen Fluch sollen die Kinder und Kindeskinder des Hauses Satomi in die Existenzform von Tieren stürzen, ich mache sie zu elenden Hunden!"
Die Schwertklinge des Hachirô blitzte auf, und das Haupt
der schönen Hexe fiel abgeschlagen zu Boden. Tamazusas Leib brach neben dem abgetrennten Haupt mitten in dem Meer von Blut zusammen, das ihm entquoll. Die Luft des dunkelnden Abends stand auf einmal still, und Yoshizane vernahm im Innern seiner Ohren einen Laut wie von finsteren Wolken entzündet.
Auch Kanamari Hachirô, der niederen Kämpfern befahl, den Leichnam in dem Gefilde außerhalb der Burg zu verscharren, war ein wenig blass geworden.


Im Buddhismus glaubt man daran, dass es für Lebewesen sechs Existenzformen gebe, deren höchste die menschliche ist. Allein aus der Existenzform des Menschen ist es durch den Glauben an die Barmherzigkeit des Buddha und die Befolgung seiner Lehren möglich, dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten zu entrinnen und selbst ein Buddha zu werden.
Die Wiedergeburt in eine der Existenzformen wird
ebenso wie das Lebensschicksal der Menschen
durch das Karma bestimmt, eine Bilanz aus guten und schlechten Taten der vorigen Existenz. Die Existenzform als Tier ist die drittniederste Stufe:  Mensch, Himmelsgeist, Dämon, Tier, Hungerteufel, Höllenteufel.


Satomi Yoshizane, der mit seltsam bedrückten Gefühlen den Kriegsleuten nachblickte, die Tamazusas toten Leib auf einer hölzernen Trage fortschafften, hörte sie plötzlich vor Schreck aufschreien. Er sah es auch: Gerade als die Bahre unter dem großen Zelkovienbaum entlang kam, war ein Schatten zu sehen, der von den Ästen herabgesprungen kam. 
"Ein Marderhund!" - "So ein Biest!" - "Kusch, schschsch!"
Die Kämpfer, die die Bahre hinten trugen, lärmten laut, und zwei oder drei Samurai zogen ihre Schwerter und kamen gelaufen, woraufhin die Gestalt des schwarzen Tiers sich wieder emporschwang und im dichten Laub der hohen Zelkovie verschwand. Da endlich fiel Yoshizane wieder ein, dass dieses Weib mit Namen Tamazusa stets einen Marderhund gehalten und geliebt hatte. Die Kämpfer berichteten, dass dieser Marderhund aus dem Leib Tamazusas, dort, wo ihr Kopf abgetrennt worden war, laut schlürfend ihr Blut gesaugt habe, bevor er wieder auf den Baum gesprungen sei.

Siebzehn Jahre war das nun her. Mit Ausnahme eines einzigen unerwarteten Ereignisses ging es seitdem trotz der Kriege allerorts im Reich hier seltsamerweise friedlich zu.
Das unerwartete Ereignis war der Selbstmord des Kanamari Hachirô.

Satomi Yoshizane
, der geschlagene Samurai auf der Flucht, dem unverhofft die Herrschaft über einen Teil des Landes Awa in den Schoß gefallen war, war Kanamari Hachirô für diese Gabe des Himmels mehr als sonst jemandem verpflichtet. Als Ausdruck seiner Dankbarkeit wollte er ihm am Tanabata-Fest jenes Jahres die Zweigburg von Tôjô in dieser Domäne schenken. Ohne ersichtliche Ursache schlitzte sich Hachirô bei diesem Fest jedoch urplötzlich den Leib auf. Dem erschrockenen Yoshizane, der hinzueilte und ihn nach dem Grund befragte, antwortete Hachirô mit seinen letzten Atemzügen:
"Mein Handeln galt nicht dem Erringen solch hoher Ehren, sondern hatte einzig das Ziel, die untreuen Ritter und Yamashita Sadakane, die diese Domäne an sich gerissen hatten, ihrer Strafe zuzuführen. Aber bedenke ich es recht, so war die direkte Ursache dafür, dass ich meinen Herrn verlor, die Waffenausbildung meiner Schüler. Es ist genau so, wie Tamazusa gesagt hatte. Wenn ausgerechnet ich dafür mit einer eigenen Burg belohnt würde, dürfte der Totengeist der Tamazusa darüber lachen. Als Abbitte an meinen Herrn und um vor der Seele der Tamazusa nicht lachhaft zu wirken, und auf dass die Gerechtigkeit in dieser Welt ihren Lauf nehme, habe ich mir den Leib aufgeschnitten...."
Dem verdattert vor ihm stehenden Yoshizane hallten im Ohr die Worte "...
ist der Tag, an dem auch du durch das Schwert umkommst, nicht mehr fern" nach, die Tamazusa an ihrem Ende gesprochen hatte, und es war ihm, als hörte er in der Tat ihr höhnisches Lachen.
"Herr Yoshizane, macht bitte dieses Land Awa zu dem blühendsten, friedlichsten Land im ganzen Reich! Die Seele des Hachirô wird darüber wachen. Und du, mein Sohn Daisuke, du bist zwar noch im zarten Kindesalter, aber es ist der Wunsch deines Vaters, dass du der allertreueste Gefolgsmann des Hauses Satomi wirst, merk dir das gut!"
Nach diesen Worten fiel Hachirô vornüber und schloss für immer die Augen.
Sein Sohn Daisuke war während der Zeit, als Hachirô durch die Lande streifte, zur Welt gekommen und damals ein Knabe von 5 Jahren.

Abgesehen von diesem Vorfall waren die Jahre in Frieden vergangen. In dem Jahr, in dem Satomi Yoshizane zum Herrn über die Burg Takita geworden war, erhielt er vom Adelshaus Mariyatsu in Kazusa eine Braut mit Namen Isarago, die ein Jahr später Fusehime, und wieder ein Jahr später Yoshinari zur Welt brachte.


Das Adelshaus Mariyatsu im benachbarten Land Kazusa war mit dem Fürstenhaus Takeda, das Kazusa beherrschte, eng verwandt. Wie in Europa suchten viele Landesfürsten durch Heiratspolitik unter den Fürsten der Nachbarschaft Verbündete zu gewinnen.


Bei seiner Herrschaft trachtete Yoshizane danach, durch humanes Handeln Kanamari Hachirôs letzten Wunsch, Awa zu dem blühendsten, friedlichsten Land im ganzen Reich zu machen, möglichst zu erfüllen. Das Volk seiner Domäne war ihm zugetan, und sein Land allein wurde von allen Wogen und Stürmen der Kriegszeit verschont.
Trotz alledem war heute der Tag gekommen, an dem der Burg Takita und Yoshizanes Familie wie aus heiterem Himmel der Untergang drohte. 


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Der Hund Yatsufusa war jetzt, mit dem Marderhund auf dem Rücken, irgendwohin fortgelaufen. Bedenkt man es recht, war Yatsufusa ein eigenartiger Hund, von einer Marderhündin gesäugt herangewachsen. Deswegen war das Wesen, das plötzlich aufgetaucht war und sich dem Yatsufusa hinzugesellt hatte, womöglich ebendiese Marderhündin gewesen, aber dass Satomi Yoshizane dabei gleichzeitig die Erinnerung an jenen Marderhund nicht losließ, den die betörende Dame Tamazusa seinerzeit als Lieblingstier hielt, lag sicherlich daran, dass in dieser Nacht der Fall seiner Burg bevorstand.
'Dumme Gedanken....!' Yoshizane schüttelte den Kopf. 'Wo kommen die bloß her? Selbst wenn der frühere Marderhund der Tamazusa wieder hier erschienen wäre und sich mit Yatsufusa zusammengetan hätte, was sollte das schon bedeuten?'
Regentropfen begannen, ihm das Gesicht zu netzen. Unter tuscheschwarzem Wolkenhimmel brach die Nacht endgültig herein, sogar der Sturm begann zu heulen. Das passende Wetter für den Untergang einer Burg.


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Satomi Yoshizane (im Film)



In einem Saal in der Burg setzte sich Yoshizane mit seiner Gemahlin Isarago, seinen Kindern Fusehime und Yoshinari sowie seinen Vögten Sugikura und Horiuchi im Kreis um eine Öllampe. Sake gab es nicht, in den Trinkschalen war Wasser; Zuspeisen gab es auch nicht, auf dem Teller lagen Eicheln von den Bäumen.
"Fusehime, Yoshinari... Dass ich euch in eurem jungen Alter den Tod geben muss, tut mir leid. Aber vor siebzehn Jahren, als euer Vater in dieses Land gelangte, war er ein herrenloser Samurai auf der Flucht nach verlorenem Kampf. Seid dankbar für die siebzehn Jahre, in denen ihr ein glückliches Leben führen konntet", sprach Yoshizane zwar gefasst, aber die Entrüstung über seine eigene Dummheit, 
in der Hungersnot schmählich um Hilfe ersucht zu haben, und die brodelnde Wut gegen den Feind, der ihn daraufhin angegriffen hatte, konnte er nur schwer unterdrücken.
Die Wasserschalen machten die Runde. Nun würde der Burgherr den Seinen und sich selbst den Tod geben, die beiden Vögte würden Feuer legen und sich dann entleiben. Den Rittern war freigestellt worden, sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen, aber
ohne Ausnahme gelobten alle, mit ihrem Herrn zu sterben.
Yoshizane raffte sich auf.
"Yoshinari, du bist als erster dran...."

In diesem Augenblick waren von außen seltsame Geräusche zu hören, es klang, als kämen eilige Schritte über den Bohlengang getrappelt.
"Was gibt's?"
Horiuchi Kurando neigte verwundert den Kopf zur Seite, stand auf und öffnete die Schiebetür.
Im strömenden Regen legte Yatsufusa beide Vorderpfoten
wie zur Verbeugung auf den Holzboden. Im Maul trug er einen frisch abgetrennten menschlichen Kopf.
"Yatsufusa, was hast du getan?", schrie Yoshizane und sprang auf. In diesem Moment löste sich der Kopf aus Yatsufusas Maul, rollte heran und blieb genau so auf dem Boden liegen, dass er hierher zu blicken schien. Vor Entsetzen standen allen, die das sahen, die Haare zu Berge. Im nächsten Augenblick stieß Sugikura Kisonosuke einen unbeschreiblich fürchterlichen Schrei aus und rief:
"Das ist Anzai Kagetsura!" 
Danach stellten sie fest, dass dieses Haupt nicht mit dem Schwert abgetrennt, sondern abgebissen worden war. Dieses blutverschmierte Haupt mit verklebtem, wirrem Haar und vor Angst aus den Höhlen hervorgetretenen Augäpfeln schien kein menschlicher Kopf zu sein, aber es konnte keinen Zweifel geben, dass es die hochmütigen, machtgierigen Züge des feindlichen Feldherrn Anzai Kagetsura trug.
Die Männer standen da wie festgenagelt. Hinter sich hörten sie Fusehime sagen:
"Herr Vater, Yatsufusa hat den Befehl, den Ihr ihm vorhin erteilt habt, getreulich ausgeführt."
Auf dem Boden des von schwarzem Wind und schwarzem Regen gepeitschten Landes hob Yatsufusa den Kopf und bellte laut. Der Marderhund musste irgendwo geblieben sein, er war nicht zu sehen.


getreulich

Yatsufusa bringt das Haupt des Anzai Kagetsura



Gleichzeitig war in der Ferne, von außerhalb der Burg, ein gewaltiges Getöse unter den Feinden bis hierher zu vernehmen. Es war ganz offenkundig kein Kriegsruf, um Stärke zu zeigen, sondern das Geschrei der Aufregung über ein unerwartetes, schlimmes Ereignis.
Mit diesem überraschenden Vorfall nahm die Lage eine Wende. Angesichts der kopflosen Leiche ihres Feldherrn waren die Feinde verwirrt, lösten den Belagerungsring und begannen, sich zurückzuziehen. Als Yoshizane dies erfuhr, befahl er einen Gegenangriff, und die Streitmacht des Hauses Satomi, die ihre letzten Kräfte mobilisierend die Verfolgung aufnahm, trieb die Feinde nicht nur in die Flucht, sondern unterwarf sie vollends.
Satomi Yoshizane herrschte fortan auch über die beiden Distrikte des Anzai.

Es muss nicht eigens betont werden, dass sich in dieser Notlage der Hund Yatsufusa den allergrößten Verdienst erworben hatte. Die vorzüglichsten Köstlichkeiten, die Land und Meer zu bieten haben, wurden ihm vorgesetzt, aber Yatsufusa rührte nichts davon an. Satomi Yoshizane selbst wollte ihn füttern, aber Yatsufusa verweigerte alles. Schließlich lag er am Boden, jappte mit gefletschten Zähnen und heraushängender Zunge so sehr, dass sich sein Leib mit den hervorstehenden Rippen krümmte, und knurrte furchterregend. Er drohte jeden, der sich mit Fressen näherte, anzuspringen. Zuletzt musste Yatsufusa an die Kette gelegt werden, und niemand wagte, sich ihm zu nähern. Aber eines Abends im Herbst....
"Herr Vater, etwas Seltsames ist passiert!", rief Fusehime, die mit besorgtem Gesicht in das Gemach ihrer Eltern geschlüpft kam.
"Was ist denn geschehen?"
"Die Perlen mit den Schriftzeichen von meiner Gebetskette....", sagte Fusehime, die sich niedergesetzt hatte und ihre Kette vorzeigte, "....das Schriftzeichen SHIN ist auf einmal spurlos verschwunden!"
Yoshizane hielt die Kette vor die Öllampe und durchleuchtete sie. Er sah es und stöhnte.
Diese Gebetskette trug Fusehime immer wie eine
doppelte Halskette als Schmuck. Ihre Kette war auch ein wundersamer Gegenstand. Es war Yatsufusa gewesen, der sie ihr einmal gebracht hatte. Damit hat es die folgende Bewandtnis: Bis zu ihrem siebten Lebensjahr sprach Fusehime kein Wort und lachte auch niemals. Dabei war Yoshizanes Tochter ein so wunderschönes Kind, dass sie anmutete wie nicht von dieser Welt. Umso mehr schmerzte es ihre Eltern, dass sie stumm blieb. Seit sie drei Jahre alt war, führten die Vögte Sugikura Kisonosuke und Horiuchi Kurando sie abwechselnd jeden Monat einmal zum Gebet zu der Gottheit des Schreins von Sunosaki innerhalb der Domäne, und als das Mädchen sieben Jahre alt war, hörte Kisonosuke eine seltsame Geschichte. In einem Bauernhaus in der Nähe des Schreins gebe es einen Hund, der von einer Marderhündin gesäugt worden sei.
Er begab sich dorthin und erkannte die Wahrheit dieser Geschichte. Der Bauer berichtete, dass die Mutter des Hundes kurz nach seiner Geburt eines Nachts von Wölfen totgebissen worden sei. Der Welpe aber, dessen
Augen noch nicht einmal geöffnet waren, wuchs ganz normal heran. Das kam dem Bauern so wunderlich vor, dass er ihn näher beobachtete und herausfand, dass Nacht für Nacht eine Marderhündin herbeikam und den Welpen säugte. Der junge Hund war bald groß genug, um sich selbst Futter zu suchen, und wuchs zu einer Größe und Gestalt heran, die einer Schreinlöwenstatue glich.


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Yatsufusa (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)



Mochte die Sache mit der Marderhündin wahr sein oder nicht, Größe und Figur des Hundes beeindruckten Kisonosuke jedenfalls so sehr, dass er sich das Tier geben ließ und zur Burg mitbrachte. Weil der Hund auf seinem weißen Fell acht schwarze Flecken hatte, deren Form Päonienblüten glichen, nannte man ihn Yatsufusa (= acht Flecken), wobei das Wort "fusa" auch den Kelch einer Blume bezeichnet.
Damals fiel niemandem die betörende Dame Tamazusa ein, die einst einen Marderhund als Liebslingstier gehalten hatte.
Erstaunlicherweise liebte Fusehime diesen Hund über alles. Und der Hund hing ebenfalls zahm an Fusehime. Und nur wenig später öffnete Fusehime, damals 7 Jahre alt, erstmals den Mund und rief "Yatsufusa!"  
Fortan begann sie normal zu sprechen und auch zu lachen.


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Yatsufusa und Fusehime (Filmposter)



Und wieder einige Zeit danach begab sich Kanamari Daisuke mit dem Mädchen auf Wallfahrt zu dem Schrein der Gottheit von Sunosaki, um ihr zu danken. Auch Yatsufusa nahm er mit.
Daisuke war damals erst zwölf Jahre alt, aber
Yoshizane hatte ihn als edlen Sohn des getreuen Hachirô bereits in diesem Alter zum Burgvogt gemacht.
Bei dieser Wallfahrt war Yatsufusa in eine Höhle in den Bergen hinter dem Sunosaki-Schrein gelaufen, in der eine Steinfigur des En no Gyôja verehrt wird, und kam mit dieser Gebetskette im Maul zurück. Die Perlen schienen aus Kristall zu sein, aber acht der 108 Perlen besaßen einen besonderen Glanz, und im Innern schwebten mysteriöse Schriftzeichen. Sie waren weder mit Lack aufgetragen noch in den Kristall eingraviert - aus dem Innern der durchsichtigen Perlen leuchteten sie, je ein Schriftzeichen in jeder dieser acht Perlen:


NIN Menschlichkeit 8tugenden
GI Pflichtbewusstsein
REI Anstand
CHI Bildung
CHÛ Treue
SHIN Vertrauen
Gehorsam
TEI Brüderlichkeit

 
Der Eremit En no Gyôja (634-706) wird als wundertätiger Heilkundiger des Altertums verehrt.
Die buddhistische Gebetskette ähnelt unserem Rosenkranz. Sie besteht traditionell aus 108 Perlen aus Holz oder Schildpatt sowie eine größere Abschlussperle, die den Buddha und die 108 Schriftrollen seiner Lehre versinnbildlichen. Die acht hier genannten Schriftzeichen entsprechen den "Acht konfuzianischen Tugenden", die zur Zeit des Verfassers in Japan als das Ideal eines Samurai galten. Die
Menschlichkeit umfasst Humanität und Empathie, das Pflichtbewusstsein enthält Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit, der Anstand umfasst auch die Wahrung der standesgemäßen Etikette und Verehrung von Höherstehenden und Gottheiten. Die Bildung geht einher mit Wissensdurst, Gelehrsamkeit und der Klugheit, das Erlernte auch anzuwenden. 
Treue galt dem Herrn und dem Tennô, der Gehorsam galt den Eltern und Ahnen. Das Vertrauen galt den Mitmenschen und gebot, sich ebenfalls vertrauenswürdig zu verhalten. Die Brüderlichkeit bedeutet unverbrüchlichen Zusammenhalt zwischen Verwandten.


Seitdem trug Fusehime diese Gebetskette als Schmuck um ihren Hals.
Aber das war nicht alles. Die Kristallperlen besaßen auch wundersame Kräfte. Wenn sich Fusehime unwohl oder krank fühlte, brauchte sie nur eine davon in den Mund zu nehmen, um auf der Stelle wieder gesund zu werden. Aber diese Wirkung zeigte sich nur bei Fusehime.


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Fusehimes Gebetskette mit den wundertätigen Kristallkugeln



Also, Yoshizane besah sich auf Fusehimes Worte hin die acht auf ihrer Gebetskette aufgereihten Kristallperlen; in der Tat war das SHIN gänzlich verschwunden und nirgends sonst zu sehen.
"Das ist....", rief er, aber in diesem Moment erhob sich in der Ferne ein ganz und gar ungewöhnliches Geschrei.
"He?"
Der Lärm kam sehr schnell näher, und dann fiel die Schiebetür des Gemachs der drei beieinander sitzenden Personen um. Es erschien Yatsufusa. Die durchgerissene Kette nachschleifend, lief er schnurstracks zu Fusehime und schnappte sich ihren Ärmel.
"Was machst du, Yatsufusa?"
Der entsetzte Yoshizane lief zum Deckenbalken, ergriff den dort verwahrten Speer und löste seine Hülle. Vor der umgeworfenen Tür drängten sich Gefolgsleute und Mägde, die dem Hund nachgelaufen waren. Mit dem langen Ärmel von Fusehimes Gewand im Maul gab Yatsufusa ein furchterregendes Knurren von sich. Allein seine blutunterlaufenen, funkelnden Augen genügten schon, um die Leute auf Abstand zu halten.


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Im Film sitzt Fusehime im Burggarten



Fusehime, vor Angst beinahe von Sinnen, beugte sich aus dem Sitzen zu Yatsufusa nieder.
"Yatsufusa, geh fort. Du willst nicht? Wenn du nicht weggehst, wirst du bestraft, auch wenn du nur ein Tier bist."
Ihrem Vater, der den Speer zum Zustechen bereit hielt,
rief sie aufblickend zu:
"Halt, Herr Vater, wartet bitte! Ich verstehe genau, was Yatsufusa auf dem Herzen hat."
"Was denn?"
"Ich habe schon lange darüber nachgedacht. Herr Vater, Ihr habt Yatsufusa doch versprochen, mich ihm zur Braut zu geben, wenn er Euch den Kopf des Feindes bringt. Weil Ihr Euer Versprechen nicht haltet, ist Yatsufusa zornig. Mir ist vollkommen klar, warum er jetzt wütend ist."
"Red nicht solchen Unsinn!"
"Das ist kein Unsinn. Habt Ihr nicht gesehen, dass das Schriftzeichen SHIN
(Vertrauen) aus der Gebetskette, die Yatsufusa mir gebracht hatte, verschwunden ist?"
"......"
"Eigentlich verbietet mir der Respekt, Euch solche Worte zu sagen, aber ein Mann von Stand, der nun einmal der Herr eines Landes ist, darf sein einmal gegebenes Wort keinesfalls wieder zurücknehmen. Was man versprochen hat, muss man halten."
"Mädchen, was denkst du dir eigentlich?"
"Ich denke, dass ich Yatsufusas Braut werden muss."
Ihre Mutter Isarago schrie auf.
"Was sagst du denn da! Im Herbst soll doch deine Hochzeit mit Kanamari Daisuke stattfinden!"
Fusehime schüttelte den Kopf.
"Seit Herr Daisuke als Bote zur Burg Tateyama gesandt wurde, fehlt von ihm jede Spur. Er wird gewiss tot sein."
"Aber trotzdem, als Braut eines Tiers.....!"
"Yatsufusa ist kein gewöhnliches Tier", gab Fusehime zurück. "Aber seht doch, weshalb ist dann das Schriftzeichen SHIN von der Gebetskette verschwunden? Ich sehe darin einen Wink des Himmels."
Yoshizane rann der Schweiß aus allen Poren. Und zwar, weil Fusehime '
ein Mann von Stand, der nun einmal der Herr eines Landes ist, darf sein einmal gegebenes Wort keinesfalls wieder zurücknehmen' gesagt hatte. Ihm fiel nämlich ein, dass Tamazusa ihm kurz vor ihrem Ende vor siebzehn Jahren genau denselben Vorwurf gemacht hatte. Und damals hatte sie weiter gesagt, durch ihren Fluch sollen die Kinder und Kindeskinder des Hauses Satomi in die Existenzform von Tieren stürzen, sie mache sie zu elenden Hunden.
Das darf nicht sein, das darf einfach nicht sein! 'Ein Wink des Himmels...' Ist das nicht eher ein Wink der Hölle?, wollte Yoshizane schreien, aber seine Zunge versteinerte gleichsam, er brachte kein Wort heraus.
"Also, was hast du vor?", fragte ihre Mutter.
"Geruht herzusehen. Yatsufusa hält mich am Ärmel fest. Wohin Yatsufusa geht, werde ich mit ihm gehen", antwortete Fusehime. "Herr Vater, Frau Mutter, betrachtet mich bitte nicht länger als Lebende. Ohne Yatsufusas Hilfe wäre unsere Burg zerstört, und wir alle wären tot. Überdies verdanke ich es Yatsufusa, dass ich meine Sprache gefunden habe. Ich bin es ihm schuldig, mich seinem Willen zu fügen."
Endlich gewann Yoshizane seine Sprache wieder.  
"Fusehime, dieser Hund ist von teuflischen Geistern besessen."
"Wenn er von teuflischen Geistern bessen ist, werde ich ihn davon erlösen."
Mit glitzernden Tränen in den Augen wandte sich das Mädchen an den Hund.
"Hör, Yatsufusa, wohin du auch gehst, ich werde dich begleiten."
Sie wollte sich ihre Kette wieder um den Hals hängen und blickte sie dabei kurz an.
"Oh!!!", rief sie, "das Schriftzeichen SHIN ist wieder da!"
Yoshizane besah sich die Perlen und stellte fest, dass seine Tochter recht hatte. Erneut entfuhr ihm ein Seufzer.
"Herr Vater, der Himmel sieht alles. Es ist eindeutig, dass Ihr Euer Versprechen halten müsst."
Fusehime stand auf und folgte Yatsufusa, der sie hinter sich herzog. Einmal noch sah sie sich um.
"Sobald Yatsufusa erlöst ist, kehre ich zu Euch zurück. Bitte sucht bis dahin nicht nach mir."
Sie sah nicht mehr aus wie ein irdisches Wesen. Gerade eben hatte Fusehime gesagt, dass Yatsufusa kein gewöhnlicher Hund sei, aber Yoshizane spürte, dass auch Fusehime kein gewöhnliches Mädchen war. Sie war zwar seine Tochter, aber von überirdischer Schönheit und im Herzen vollkommen keusch und rein.
 
"Herr Gemahl, wollt Ihr Euch das tatenlos mit ansehen?", jammerte Isarago, sich unter Tränen zu Boden werfend.
"Ich will eine Weile sehen, worauf es hinausläuft", presste Yoshizane hervor.
Als er unter seinen Gefolgsleuten, die ihren Augen kaum trauen mochten, die Blicke von
Sugikura Kisonosuke und Horiuchi Kurando gewahrte, befahl er ihnen:
"Ich weiß nicht, wohin Fusehime geht. Gebt ihr das Ross Seigaiha zu reiten. Und holt ihr Kleidung
aus ihrem Gemach!"
Seigaiha war sein allerbestes Ross, ein Prachtpferd aus Aomiko.
"Ach ja, und bitte noch das Lotos-Sûtra, Pinsel, Tusche, Reibstein und ein wenig Schreibpapier!", rief Fusehime im Fortgehen.
Vorneweg lief der Hund Yatsufusa, dem vor Freude der Geifer von den Lefzen troff. Danach bestieg Fusehime, ganz in Weiß gekleidet, zu ihrem Schutz nur einen kurzen Dolch im Gürtel, das Ross Seigaiha, das ein kleines Bündel Reisegepäck trug, und ritt seitlich aufsitzend schaukelnd von dannen. Yatsufusa war bereits ein Hund von stattlicher Größe, aber Seigaiha war auch mehr als doppelt so groß wie gewöhnliche Pferde.
Es war eine helle Mondnacht im Herbst, als diese seltsame Gruppe aus Mensch und Tieren die Burg Takita verließ.


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Fusehime (Filmposter)



Yoshizane wandte sich um zu seinem Gefolge.
"Einer von euch. Ihr nach! Aber nicht mit vielen Leuten. Damit wir sie nicht aus den Augen verlieren."
"Ich gehe...!", sagte der Ritter Amasaki Jûrô und trat hervor. Er war zwar ein
aus dem Land Awa gebürtiger Samurai, hatte aber wagemutig auf Yoshizanes Seite gekämpft, als der den Yamashita entmachtete. Jetzt war er um die Mitte Vierzig. Er war auch derjenige, der Yoshizane das Ross Seigaiha verehrt hatte.
Nachdem sich Amasaki Jûrô gemeldet hatte, folgten etwa zehn weitere Samurai seinem Beispiel, darunter Amasakis eigener Sohn Jûichirô.

Nach geraumer Zeit erreichten der Hund und Fusehime den Bergwald von Toyama, der sich nördlich der Burg Takita erhebt. Abgesehen von seiner Höhe sind die Hänge des Toyama steil, und riesige alte Bäume bilden einen dichten Wald, weshalb sich selbst Jäger nur selten dort hintrauen. Yatsufusa stieg in dem Wald, den nicht einmal das Mondlicht aufhellte, einen Pfad hinauf, den man kaum einen Pfad nennen konnte, und Seigaiha stieg hinterher. Den Rittern, die sie verfolgten, brach der Schweiß aus allen Poren; so wilde Kämpfer sie auch sein mochten, vor Furcht waren sie am ganzen Leib nassgeschwitzt. Wo der Wald endete, konnte man das machtvolle Rauschen eines wilden Gewässers hören. Es war der Fluss Tanikawa, der den Wald begrenzte. Als Amasaki mit seinen Leuten dort ankam, waren Fusehime und die Tiere schon auf dem anderen Ufer angelangt; im Mondlicht sahen die Ritter, wie Fusehime drüben vom Pferd stieg. Das Ross hatte offenbar samt Fusehime auf dem Rücken den Fluss passiert.
Die Samurai blieben stehen. Der Tanikawa war zwar allenfalls 3 ken (ca 33 m) breit, aber seine reißende Strömung gischtete schäumend an zahllose Felsen. Amasaki hatte es schon geahnt, dass ein Ross wie Seigaiha dort hinüberkäme.
Fusehime blickte herüber, schickte sich dann aber wortlos an, mitsamt Hund und Pferd in den Wald auf der Gegenseite weiterzugehen.
"Heda, heedaa, Seigaiha!", schrie Amasaki, der das nicht mit ansehen konnte. "Kehr um und bring mich auch ans andere Ufer!"
Daraufhin schnappte sich der Hund die Zügel des Rosses, die am Boden schleiften, und zog es zurück ans Ufer. Seigaiha kam herüber, ohne sich das Geringste aus Fluten und Felsen zu machen.
"Gut, und jetzt reite ich auch auf die andere Seite!", verkündete Amasaki, schwang sich auf das Ross und preschte in den Tanikawa hinein. Als er aber etwa die Mitte erreicht hatte, erhob sich plötzlich eine riesige, gleichsam zornige Woge, in deren silbriger Gischt Seigaiha stürzte.
"Oh! Mein Vater....!", schrie Jûichirô entsetzt auf, aber es war vergeblich. Amasaki Jûrô wurde samt seinem Ross von der Strömung fortgerissen.
Yatsufusa wandte sich empor zum Mond und stimmte ein lautes Geheul an.


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Amasaki Jûrô versucht, den Fluss zu überqueren (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)



Anlässlich der Nachricht vom Tod des Amasaki Jûrô erfuhr Satomi Yoshizane, dass die Bauern aus der Gegend am Fuß des Berges Toyama zu sagen pflegten, seit alter Zeit ertrinke jeder, der den Fluss Tanikawa überqueren wolle, und niemand sei jemals in den Wald auf der anderen Seite hineingelangt; dieser Fluss sei die Grenze zwischen dieser und einer fremden Welt.

Zwar machte ihn das keineswegs bange, aber Yoshizane stellte fortan alle Versuche ein, Fusehime nachzuspüren. Die Art und Weise, wie Fusehime ihr Elternhaus verlassen hatte, enthielt Zeichen, die ihn bewogen, davon abzusehen. Ihre Mutter Isarago jedoch weinte weiterhin um ihr Kind und erkrankte schließlich. Als Yoshizane gewahrte, wie ernst es um seine kranke Gemahlin stand, scharte er aber seine beiden Vögte und etwa dreißig Ritter um sich und brach auf in Richtung Toyama. Es war im Herbst des Jahres, nachdem Fusehime fortgegangen war.



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Wie hatten Fusehime und Yatsufusa dieses Jahr verlebt?
Vom Berg Toyama aus kann man an seltenen klaren Tagen bis zur Bucht von Tateyama, ja sogar das Kap von Sunosaki sehen, aber meistens verwehren Wolken und Nebel die Sicht. Dort strömt auch der genannte Fluss Tanikawa mit seinen felsengespickten Schluchten in steilen Sprüngen zu Tal. Etwas entfernt davon tut sich in der Felswand eine Höhle auf und nahe deren Zugang liegt ein Felsplateau, flach wie ein Schreibtisch. In der Höhle wohnte Fusehime auf einem Lager aus Heu, und Yatsufusa schlief draußen vor dem Eingang. Fusehime hatte zu ihm gesagt:
"Yatsufusa, wie versprochen bin ich deine Braut geworden. Aber nur im Herzen. Ansonsten rühr mich bitte nicht an!"
Yatsufusa betrat niemals die Höhle der Fusehime. Er brachte ihr alle Tage aus dem umliegenden Wald mit Früchten beladene Zweige. Aus dem Fluss holte er ihr Fische. Alles legte er vor dem Eingang zur Höhle nieder. Davon ernährten sich das Mädchen und der Hund, so dass sie keinen Hunger litten. Wurde Fusehime krank, nahm sie eine der Wunderperlen ihrer Kette in den Mund und war sogleich wieder gesund. An Tagen mit Sturm und Regen setzte sich Yatsufusa wie die Löwenfigur eines Schreintors vor dem Eingang aufrecht hin und schützte Fusehime vor Wind und Unwetter. Yatsufusa hatte seine Freude an diesem Leben auf dem Berg mit Fusehime und sah vollkommen zufrieden aus. Manchmal aber, wenn Fusehime Langeweile hatte, aus ihrer Höhle kam und mit ihm spielte, begann beim Umhertollen von Yatsufusas Lefzen der Geifer zu tropfen, und seine Augen blitzten auf unerwartete Art. Er ließ ein Knurren vernehmen, richtete sich drohend auf seinen Vorderpfoten auf und schien Fusehime anspringen zu wollen. Das war schon mehrfach vorgekommen. In solchen Fällen zog Fusehime ihren Dolch hervor und und schrie:
"Yatsufusa, benimm dich anständig! Wenn du nicht aufhörst, stoße ich mir diesen Dolch durch die Kehle!"
Dann legte sich Yatsufusa zu Boden und beugte seinen Kopf tief vor ihr nieder.
Häufig setzte sich Fusehime an ihren Felsentisch, schrieb Sûtras ab und rezitierte aus dem Lotos-Sûtra, und Yatsufusa saß vor dem Höhleneingang und hörte ihr aufmerksam zu.


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Fusehime und Yatsufusa (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)


All dies mutete an wie Szenen aus einer anderen Welt, aber nach etwa einem Jahr trug sich etwas zu, das wahrhaftig von einer anderen Welt war. Fusehime bemerkte nämlich, dass ihre Monatsblutung ausblieb. Sie war zwar eine keusche Jungfrau, aber eben doch eine richtige Frau und wusste sehr wohl, dass das Ausbleiben der Menstruation eines der Anzeichen für eine Schwangerschaft war. Sie neigte verwundert ihren Kopf, schüttelte ihn dann aber.
"Ich? Schwanger? Das ist völlig ausgeschlossen."
Aber bald spürte sie, dass sich in ihrem Leib tatsächlich etwas zu regen begann; sie zitterte vor Schrecken. Ihr ging durch den Kopf, dass Yatsufusa kein gewöhnlicher Hund war. Seit dieser Yatsufusa das Haupt des feindlichen Feldherrn Anzai Kagetsura abgebissen und die Burg gerettet hatte, war ihr klar geworden, dass dieser Hund durch irgendeinen Zauber verhext sein musste. Deswegen hatte ihr Vater sein Versprechen an Yatsufusa gehalten, und sie hatte sich ihm als Braut anverlobt, mit Yatsufusa zusammengelebt und gehofft, dass sie ihn mit dem emsigen Vortragen des Lotos-Sûtras von seinem Bann erlösen könnte. Es hatte tatsächlich so ausgesehen, als lauschte Yatsufusa, seit sie hierher gekommen waren, 
stets sehr aufmerksam ihren Rezitationen des Sûtras.
"Und trotzdem bin ich schwanger? Das kann doch einfach nicht sein!"
Fusehime litt beträchtlich und fand nachts keinen Schlaf.

Es war ein Abend im Herbst. Fusehime, die eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, war unversehens an ihrem Felsentisch eingeschlummert, als sie im Schlaf von fern Yatsufusas Gebell vernahm. Und dicht an ihrem Ohr hörte sie eine Stimme.
"Fusehime, ich sage dir, dass du schwanger bist. Du weißt es sicher schon selber. Und wessen Kinder, glaubst du, trägst du im Leib? Yatsufusas Kinder! Hunde sind zwei Monate trächtig, und heute oder morgen wirst du acht Hundewelpen gebären!"
Es war die Stimme einer Frau. Ihr warmer Atem strich über Fusehimes Kopf, und im Traum ergriff Fusehime die Gebetskette, die sie um den Hals trug.
"Du hast Yatsufusa das Lotos-Sûtra vorgelesen. Yatsufusa hat die buddhistische Lehre erkannt. Alles genau, wie ich es geahnt habe. Durch die seelische Verbindung zwischen Mensch und Hund bist du trächtig geworden. Diesen Hund habe ich gesäugt, und nachdem Yamashita Sadakane von deinem Vater vernichtet worden war, habe ich
Yatsufusa den Kopf des Anzai Kagetsura abbeißen lassen, denn der war, wiewohl Herr der benachbarten Domäne, ein dummer, fühlloser Kerl. Und Satomis Kind, nämlich dich, habe ich genau, wie ich es mir gewünscht hatte, in die Existenzform der Tiere hinabgestoßen!"
In hellem Entsetzen griff sich Fusehime an ihre Brust und zerriss dabei versehentlich die Schnur ihrer Gebetskette. In diesem Augenblick traf ein Schmerzensschrei ihr Ohr, so laut, dass es ihr schier das Trommelfell zerriss. Diesmal war es kein Traum. Das Wesen, das nah am Ohr zu ihr gesprochen hatte, war von etlichen der Kristallperlen heftig getroffen worden. Fusehime blickte auf und sah ein Tier, das im Abendrot der sinkenden Sonne davonlief. Von dorther kam Yatsufusa gelaufen. Auch dessen Gebell war kein Traum. Er war am Flussufer gewesen und hatte etwas angebellt, und jetzt kam er von dort zurückgerannt. Er hatte offenbar das fremde Tier entdeckt. Dieses blieb stehen, ohne vor Yatsufusa Furcht zu zeigen. Da fiel Yatsufusa wütend über das Tier her, aber das wich ihm mit einem Luftsprung flink aus und floh, sich mehr überschlagend als rennend, zum Fluss hinab, und Yatsufusa lief ihm hinterdrein.
Bei diesem Anblick war Fusehime starr wie festgebannt. Das Tier war eine Marderhündin und hatte gemeint, der Hund sei sein Verbündeter, aber als er wider Erwarten seine Zähne gebleckt und sie angegriffen hatte, war sie erschreckt geflohen. Anders war das alles nicht erklärbar.
Fusehime verspürte einen ungewöhnlichen Schmerz im Leib.
Die Marderhündin floh über die Felsen des reißenden Flusses, Yatsufusa rannte ihr nach, und als er ans Ufer sprang, fiel ein Schuss aus dem Dickicht am anderen Ufer. Wie ein Kobold sprang Yatsufusa hoch in die Luft, stürzte danach ins Wasser und war nicht mehr zu sehen.


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Fusehime krallte ihre Finger auf die Felsplatte. Diese Schmerzen im Leib, das mussten die Wehen sein! Schwankend sah sie sich um. Um ihren Felstisch verstreut lagen Kristallperlen, es waren genau acht. Sie las sie auf und sah, dass sie alle ihre Schriftzeichen enthielten. 
'
Du wirst acht Hundewelpen gebären. Ich habe dich in die Existenzform der Tiere hinabgestoßen!', hallte jene furchterregende Stimme in ihren Ohren nach.
Fusehime erinnerte sich daran, dass diese Kristallperlen stets ihre Leiden geheilt hatten.
"Ihr Perlen, erlöst mich von den verhexten Wesen in meinem Leib!", ächzte Fusehime und verschluckte eine dieser Perlen nach der anderen. Aber ihre Schmerzen hörten nicht auf.
Sie sah einen jungen Samurai, der jenseits des Flusses mit der Muskete in der Hand aus dem Wald gelaufen kam. Und aus einer anderen Richtung näherten sich dem Fluss Stimmen und Schritte eines Trupps von Leuten.

Der Autor Takizawa Kyokutei Bakin lebte im 19.Jh., als in Japan Feuerwaffen längst verbreitet waren. Er irrt aber, wenn er Jägern und Kriegsleuten im 15.Jahrhundert schon Musketen andichtet. Die ersten Europäer, die nach Japan gelangten, waren portugiesische Seefahrer, die 1543 in einem Sturm Schiffbruch erlitten und an japanische Gestade verschlagen wurden. Erst gegen Ende des 16.Jhs. wurden in Japan Feuerwaffen nachgebaut und eingesetzt. Wir gönnen ihm aber diese dichterische Freiheit. 


Der junge Samurai stand gerade im Begriff, die reißende Stömung des Tanikawa zu durchqueren, als er hinter sich den Lärm des nahenden Trupps von Leuten vernahm. Er drehte sich verwundert um.
Eine Schar von mehr als dreißig Rittern kam aus dem Wald.
"Oooh! Mein Herr!", rief der junge Sumurai und beugte das Knie.
"Bist du nicht Kanamari Daisuke?", rief aus der Mitte der Schar mit verwundert aufgerissenen Augen
Satomi Yoshizane. Es war tatsächlich Kanamari Daisuke, den er im vergangenen Sommer in die benachbarte Domäne zu Anzai Kagetsura mit der Bitte um Lebensmittel entsandt hatte. Anstelle von Reis war damals die Streitmacht des Anzai gekommen und die Schlacht war ausgetragen worden. Nur Daisuke, der Bote, war nicht zurückgekommen. Alle glaubten felsenfest, dass er von den Leuten des Anzai umgebracht worden wäre, aber er war noch am Leben und wurde ausgerechnet hier gefunden!
Er war der Sohn des Kanamari Hachirô, der Yoshizane zur Herrschaft über ein ganzes Land verholfen hatte, und Yoshizane hatte ihn deswegen trotz seiner Jugend nicht allein zu einem seiner Burgvögte ernannt, sondern wollte ihm im vergangenen Herbst auch seine Tochter Fusehime zur Ehefrau geben.
"Mir fehlen wahrhaftig die Worte, mich zu rechtfertigen!", sprach Daisuke, der sich untertänigst zu Boden geworfen hatte, und berichtete in Kürze, was ihm widerfahren war.
Nachdem er als Bote zu Anzai gekommen war, hieß ihn dieser, einen Tag auf die Antwort zu warten. Als sich die Wartezeit immer weiter verzögerte und vier oder fünf Tage verstrichen waren, erfolgte ein Überfall. Seine Gefährten wurden alle getötet, aber Daisuke setzte sich kraftvoll zur Wehr und entkam mit knapper Not. Als er in größter Eile zur Burg Takita zurückkehrte, war die Burg schon durch Anzai von einem eisengleichen Belagerungsring umzingelt. Er wusste nicht, was er tun sollte und entschloss sich zuletzt, nach Kamakura zu reiten, um bei dem Statthalter des Shogunats wegen des Überfalls des Anzai Klage zu erheben und die Belagerung aufheben zu lassen, aber noch auf dem Weg nach Kamakura erfuhr er, dass Anzai geschlagen und die Schlacht entschieden sei.
Beschämt darüber, dass er feige, mut- und ehrlos die Burg im Stich gelassen hatte, war er seither ziellos durch die Kantô-Region gestreift und hatte sich erst jetzt dazu entschlossen, nach Awa zurückzukehren; dort habe er die Gerüchte gehört, dass Fusehime von Yatsufusa entführt worden sei und sich am Berg Toyama aufhalte.
"Näheres ist mir nicht bekannt, aber allein diese Nachricht ließ mir das Blut in den Adern stocken. Ich borgte mir von einem Jäger die Muskete und bestieg diesen Berg. Als ich vorhin aus dem Dickicht des Waldes spähte, witterte Yatsufusa mich offenbar sofort und verbellte mich vom andern Ufer her lauthals. Um ihn zu erledigen, legte ich Feuer an die Lunte, aber Yatsufusa lief erst einmal wieder fort. Weil er indes ein zweites Mal zu wildem Angriff auf mich losstürmte, habe ich ihn soeben am Ufer des Flusses erschossen. Und was hat Euch hierher geführt, mein Herr?"
"Meine Gemahlin Isarago liegt todkrank darnieder. Ich wollte deshalb Fusehime zurückholen."
Noch während er sprach, erschollen aufgeregte Rufe unter den Rittern. Jenseits des Flusses zeigte sich Fusehime und schritt auf sie zu.
Nur war die Welt auf der anderen Seite ganz rot gefärbt. Das Flussufer drüben, die Felsen, der Boden, die Bäume und Büsche waren ins Licht der untergehenden Sonne getaucht und brannten in flammendroter Farbe, als wäre es eine andere Welt. Nur das Gewand der Fusehime war seltsamerweise vollkommen weiß.
"Oh, Fusehime!", rief Yoshizane, der bis an den Rand des Gewässers geritten war. "Wie schön, dass du wohlbehalten am Leben bist!"
Er wollte ins Wasser hineinreiten.
"Wartet bitte, Herr Vater!", rief Fusehime. "Ihr dürft den Fluss nicht überschreiten. Hier ist eine andere Welt."
"Fusehime, deine Mutter ist todsterbenskrank. Deswegen ist dein Vater gekommen, um dich heimzuholen."
Nach einem Augenblick des Schweigens antwortete Fusehime:
"Ich sterbe jetzt auch."
"Was?"
"Herr Vater, ich bin mit acht Hundewelpen schwanger."
Yoshizane und sein Gefolge standen wie vom Donner gerührt und starrten über den Fluss.
Fusehime hatte schon seit jeher halb durchsichtig gewirkt, nun aber glich sie vollends einem Totengeist aus dem Jenseits.


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"Yatsufusa war die Verkörperung eines bösen Geistes, der das Haus Satomi verflucht hat. Aber hört gut her. Yatsufusa ist durch meine Gebete erlöst worden. Aber eben um seiner Erlösung willen trage ich, obwohl ich ihn niemals an mich herangelassen habe, seine Nachkommen im Leib. Auch das war der üble Wille des bösen Geistes. Wenn ich am Leben bliebe, würde ich acht Hundekinder zur Welt bringen."
Fusehime ließ sich in aufrechter Haltung auf ihre Knie nieder. 
"Ich habe aber soeben eine Stimme des Himmels vernommen. Falls ich den Beweis dafür erbringe, dass ich keusch geblieben bin und mich niemals mit einem Hund eingelassen habe, wird dieser Beweis zum Zeichen des Himmels auf irdischem Boden dafür werden, dass in dieser Welt die Unschuld über das Böse siegen wird. Ich bin dazu geboren, dieses Zeichen zu setzen!"
Was
sollte das heißen? Niemand verstand die Bedeutung des Gesagten. Aber Herr Satomi und seine Ritter standen, als wären sie erstarrt, und sahen mit Entsetzen, wie Fusehime aus ihrem Gürtel den blitzenden Dolch hervorzog.
"Seht her, Herr Vater! Fusehime legt Zeugnis für ihre Reinheit ab!"
Fusehime stellte nur ein Knie hoch, ließ aber Gewand und Gürtel, wie sie waren, stieß sich den Dolch in die linke Seite und zog ihn mit einem Ruck nach rechts. In diesem Augenblick verfärbte sich die einzige Gestalt, die in jener roten Welt weiß geblieben war, in flammendes Blutrot. Es sah in aller Augen so aus, als habe sich eine große Päonienblüte entfaltet.
Ein blutschwerer Wind wehte von drüben herüber.
"Ooooohhh!"
Ein unbeschreiblicher Laut ertönte aus aller Kehlen. Durch den blutroten Wind schossen nämlich Blitze über ihre Köpfe hinweg. Als sich der rote Nebel lichtete, war Fusehimes am Boden liegende Gestalt zu sehen. Endlich wollte Yoshizane in wahnwitziger Entschlossenheit erneut in den Fluss hineinreiten, als viele seiner Ritter riefen:
"Seht doch, schaut!" - "Was ist das denn?"
Alle schauten zum Himmel auf, wohin etliche Finger wiesen, und trauten ihren Augen nicht.
Vor dem blutroten Himmel im Westen kreisten glänzend leuchtende Objekte, genau acht an der Zahl. Sie zogen eine Zeitlang wirr über den Himmel hin, ordneten sich dann aber fächerartig an und verwanden wie Kometen in Richtung Norden.


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Satomi Yoshizane und seine Leute, die den Lichtern eine Weile verblüfft nachgeblickt hatten, kamen endlich zu sich und überquerten den Fluss, denn sie durften Fusehime sich nicht selbst überlassen. Ihr Vater galoppierte zu Fusehime und schloss sie in seine Arme. Schon zu Lebzeiten hatte sie feenhaft gewirkt, aber jetzt trug ihr Ausdruck nicht nur ein gewöhnliches Totenlächeln, sondern strahlte, man kann es nicht anders sagen, geradezu himmlische Seligkeit aus.


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Im Film stirbt Fusehime in den Armen ihres Vaters



Auch die Höhle, in der Fusehime gelebt hatte, nahmen sie in Augenschein und fanden nahe der Felsplatte, die ihr als Schreibtisch gedient hatte, ihre zerrissen zu Boden gefallene Gebetskette. Yoshizane, der sie aufgehoben und näher betrachtet hatte, rief:
"Alle acht Kristallperlen sind fort! Die Perlen, in denen die Schriftzeichen NIN, GI, REI, CHI, CHÛ, SHIN, KÔ, TEI geleuchtet haben, fehlen!"
Kanamari Daisuke blickte zum Himmel, als sei ihm etwas eingefallen.
"Waren das nicht die acht Leuchtzeichen, die vorhin am Himmel schwebten und dann irgendwohin fortgeflogen sind?"

Später begruben sie Fusehime unter einer Zypresse nahe ihrer Höhle, aber ihren Tod und die mit eigenen Augen soeben geschauten Wunderzeichen konnten sie weder glauben noch recht begreifen. Ihnen war, als bewegten sie sich selbst wie Wesen in einer Zauberwelt.
Yoshizane war wohl ebenso zumute. Mit Blick auf Fusehimes Grabhügel murmelte er fassungslos wie im Selbstgespräch:
"Wie konnte das nur geschehen....?"
Da bemerkte er, dass Kanamari Daisuke wie kraftlos in die Knie sank. In seiner Hand sah er ein Kurzschwert blinken. Mit dem Stock, den er in der Hand hielt, schlug er ihm das Schwert aus der Hand.
"Daisuke, was hast du vor?"
"Mein Herr, gestattet mir, Fräulein Fusehime in den Tod zu folgen!" Er warf sich zu Boden. "Wäre ich als Fusehimes Anverlobter ohne mein törichtes Zaudern zur Burg Takita zurückgekehrt, hätte Fusehime niemals gesagt, sie würde die Braut eines Hundes. Selbst durch meinen Tod kann ich eine solche Schuld nicht sühnen. Bedenke ich, dass meine Nachlässigkeit zu solchem Jammer geführt hat, quält mich das bis in die Seele. Als Sühne dafür.... nein, vor allem, weil Fusehime nun nicht mehr am Leben ist, ist es für mich sinnlos, weiterzuleben...."
"Dummkopf!", schalt ihn Yoshizane. "Du willst wohl nach deinem ersten Fehler gleich einen zweiten begehen, Daisuke? Schon dein Vater hat sich selbst entleibt. Wenn sich zwei Generationen, Vater und Sohn, sinnlos den Tod geben, werden die bösen Geister lauthals darüber lachen."
"Jawohl."
"Wenn dir zum Sterben zumute ist, lass dir lieber die Mönchsglatze scheren und bete für Fusehime um Frieden im Jenseits. Hier, dazu übergebe ich dir ihre Gebetskette." Mit diesen Worten hängte er ihm Fusehimes Kette um den Hals. "Die acht Wunderperlen fehlen aber..."
Daisuke sah Yoshizane wie betäubt an. Dann aber rief er auf einmal:
"Oh, mein Herr! Ja, ich werde Mönch!" Seine Augen leuchteten geradezu. "Ich werde durch das Reich wandern und die acht verschwundenen Kristallperlen suchen!"
"Was meinst du damit?"
Kanamari Daisuke richtete seine inneren Blicke auf die bleiche Welt des Jenseits, in der die Sonne nicht leuchtet.
"Ich betrachte es als meine wahre Aufgabe, künftig das Rätsel um diese Wunderzeichen zu lösen. Vorhin hatte Fusehime gesagt, ihr Tod solle zum Zeichen des Himmels auf irdischem Boden dafür werden, dass in dieser Welt die Unschuld über das Böse siegen wird. Um die Bedeutung dieser Worte zu begreifen, muss ich die acht magischen Kristallperlen wiederfinden. Das halte ich für die Pflicht eines Mannes, der dazu ausersehen war, Fusehimes Ehegemahl zu werden. Wohlan, mag es auch viele Jahre dauern, ich gehe und kehre nicht eher nach Awa zurück, bis alle 108 Perlen dieser Gebetskette wieder vollständig sind."
Ein junger Samurai aus dem Kreis der Ritter ringsumher erhob den Kopf und sprach:
"Wenn es mir gestattet sein sollte, möchte ich als Gefährte des Herrn Kanamari mit ihm ziehen."
Es war Jûichirô, Sohn jenes Amasaki Jûrô, der im Vorjahr auf dem Weg hierher im Fluss Tanikawa ums Leben gekommen war.

8perlen


 
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