③
Der Hund Yatsufusa war jetzt, mit dem Marderhund auf dem
Rücken,
irgendwohin fortgelaufen. Bedenkt man es recht, war Yatsufusa ein
eigenartiger Hund, von einer Marderhündin gesäugt
herangewachsen. Deswegen war das Wesen, das plötzlich
aufgetaucht
war und sich dem Yatsufusa hinzugesellt hatte, womöglich
ebendiese
Marderhündin gewesen, aber dass Satomi Yoshizane
dabei gleichzeitig die Erinnerung an jenen Marderhund nicht
losließ, den die betörende Dame Tamazusa seinerzeit
als
Lieblingstier hielt, lag sicherlich daran, dass in dieser Nacht der
Fall seiner Burg bevorstand.
'Dumme Gedanken....!' Yoshizane schüttelte den Kopf. 'Wo
kommen
die bloß her? Selbst wenn der frühere Marderhund der
Tamazusa wieder hier erschienen wäre und sich mit Yatsufusa
zusammengetan hätte, was sollte das schon bedeuten?'
Regentropfen begannen, ihm das Gesicht zu netzen. Unter tuscheschwarzem
Wolkenhimmel brach die Nacht endgültig herein, sogar der Sturm
begann zu heulen. Das passende Wetter für den Untergang einer
Burg.

Satomi Yoshizane (im Film)
In einem Saal in der Burg setzte sich Yoshizane mit seiner Gemahlin
Isarago, seinen Kindern Fusehime und Yoshinari sowie seinen
Vögten
Sugikura und Horiuchi im Kreis um eine Öllampe. Sake gab es
nicht,
in den Trinkschalen war Wasser; Zuspeisen gab es auch nicht, auf dem
Teller lagen Eicheln von den Bäumen.
"Fusehime, Yoshinari... Dass ich euch in eurem jungen Alter den Tod
geben muss, tut mir leid. Aber vor siebzehn Jahren, als euer Vater in
dieses Land gelangte, war er ein herrenloser Samurai auf der Flucht
nach verlorenem Kampf. Seid dankbar für die siebzehn Jahre, in
denen ihr ein glückliches Leben führen konntet",
sprach
Yoshizane zwar gefasst, aber die Entrüstung über
seine eigene
Dummheit, in
der Hungersnot
schmählich um Hilfe ersucht zu haben, und die brodelnde Wut
gegen
den Feind, der ihn daraufhin angegriffen hatte, konnte er nur schwer
unterdrücken.
Die Wasserschalen machten die Runde. Nun würde der Burgherr
den
Seinen und sich selbst den Tod geben, die beiden Vögte
würden
Feuer legen und sich dann entleiben. Den Rittern war freigestellt
worden, sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen, aber
ohne Ausnahme
gelobten
alle,
mit ihrem Herrn zu sterben.
Yoshizane raffte sich auf.
"Yoshinari, du bist als erster dran...."
In diesem Augenblick waren von außen seltsame
Geräusche
zu hören, es klang, als kämen eilige Schritte
über den
Bohlengang getrappelt.
"Was gibt's?"
Horiuchi Kurando neigte verwundert den Kopf zur Seite, stand auf und
öffnete die Schiebetür.
Im strömenden Regen legte Yatsufusa beide
Vorderpfoten wie
zur Verbeugung auf den Holzboden.
Im Maul trug er einen frisch abgetrennten menschlichen Kopf.
"Yatsufusa, was hast du getan?", schrie Yoshizane und sprang auf. In
diesem Moment löste sich der Kopf aus Yatsufusas Maul, rollte
heran und blieb genau so auf dem Boden liegen, dass er hierher zu
blicken schien. Vor Entsetzen standen allen, die das sahen, die Haare
zu Berge. Im nächsten Augenblick stieß Sugikura
Kisonosuke
einen unbeschreiblich fürchterlichen Schrei aus und rief:
"Das ist Anzai Kagetsura!"
Danach stellten sie fest, dass dieses Haupt nicht mit dem Schwert
abgetrennt, sondern abgebissen worden war. Dieses blutverschmierte
Haupt mit verklebtem, wirrem Haar und vor Angst aus den Höhlen
hervorgetretenen Augäpfeln schien kein menschlicher Kopf zu
sein,
aber es konnte keinen Zweifel geben, dass es die hochmütigen,
machtgierigen Züge des feindlichen Feldherrn Anzai Kagetsura
trug.
Die Männer standen da wie festgenagelt. Hinter sich
hörten sie Fusehime sagen:
"Herr Vater, Yatsufusa hat den Befehl, den Ihr ihm vorhin erteilt habt,
getreulich ausgeführt."
Auf dem Boden des von schwarzem Wind und schwarzem Regen gepeitschten
Landes hob Yatsufusa den Kopf und bellte laut. Der Marderhund musste
irgendwo geblieben sein, er war nicht zu sehen.

Yatsufusa bringt das Haupt des Anzai Kagetsura
Gleichzeitig war in der Ferne, von außerhalb der
Burg, ein
gewaltiges Getöse unter den Feinden bis hierher zu vernehmen.
Es
war ganz offenkundig kein Kriegsruf, um Stärke zu
zeigen,
sondern das Geschrei der Aufregung über ein unerwartetes,
schlimmes Ereignis.
Mit diesem überraschenden Vorfall nahm die Lage eine Wende.
Angesichts der kopflosen Leiche ihres Feldherrn waren die Feinde
verwirrt, lösten den Belagerungsring und begannen,
sich
zurückzuziehen. Als Yoshizane dies erfuhr, befahl er einen
Gegenangriff, und die Streitmacht des Hauses Satomi, die ihre letzten
Kräfte mobilisierend die Verfolgung aufnahm, trieb die Feinde
nicht nur in die Flucht, sondern unterwarf sie vollends.
Satomi Yoshizane herrschte fortan auch über die beiden
Distrikte des Anzai.
Es muss nicht eigens betont werden, dass sich in dieser Notlage der
Hund Yatsufusa den allergrößten Verdienst
erworben hatte. Die vorzüglichsten Köstlichkeiten,
die Land
und Meer zu bieten haben, wurden ihm vorgesetzt, aber
Yatsufusa
rührte nichts davon an. Satomi
Yoshizane selbst wollte ihn füttern,
aber Yatsufusa
verweigerte alles. Schließlich lag er am Boden, jappte mit
gefletschten Zähnen und heraushängender Zunge so
sehr, dass
sich sein Leib mit den hervorstehenden Rippen krümmte, und
knurrte
furchterregend. Er drohte jeden, der sich mit Fressen näherte,
anzuspringen. Zuletzt musste Yatsufusa an die Kette gelegt werden, und
niemand wagte, sich ihm zu nähern. Aber eines Abends im
Herbst....
"Herr Vater, etwas Seltsames ist passiert!", rief Fusehime, die mit
besorgtem Gesicht in das Gemach ihrer
Eltern geschlüpft kam.
"Was ist denn geschehen?"
"Die Perlen mit den Schriftzeichen von meiner
Gebetskette....",
sagte
Fusehime, die sich niedergesetzt hatte und ihre Kette vorzeigte,
"....das Schriftzeichen SHIN ist auf einmal spurlos verschwunden!"
Yoshizane hielt die Kette vor die Öllampe und durchleuchtete
sie. Er sah es und stöhnte.
Diese Gebetskette trug Fusehime immer wie eine doppelte
Halskette
als Schmuck. Ihre
Kette war auch ein wundersamer Gegenstand. Es war Yatsufusa gewesen,
der sie
ihr einmal gebracht hatte. Damit hat es die folgende Bewandtnis: Bis
zu ihrem siebten Lebensjahr sprach Fusehime kein Wort und lachte auch
niemals. Dabei war Yoshizanes Tochter ein so wunderschönes
Kind,
dass sie anmutete
wie nicht von dieser Welt. Umso mehr
schmerzte es ihre Eltern, dass sie stumm blieb. Seit sie drei Jahre alt
war, führten die Vögte Sugikura Kisonosuke und
Horiuchi Kurando sie
abwechselnd jeden Monat einmal zum Gebet zu der Gottheit des Schreins
von Sunosaki innerhalb
der Domäne, und als das Mädchen sieben Jahre alt war,
hörte Kisonosuke eine seltsame Geschichte. In einem Bauernhaus
in
der Nähe des Schreins gebe es einen Hund, der von einer
Marderhündin gesäugt worden sei.
Er begab sich dorthin und erkannte die Wahrheit dieser Geschichte. Der
Bauer
berichtete, dass die Mutter des Hundes kurz nach seiner Geburt eines
Nachts von Wölfen totgebissen worden sei. Der Welpe aber,
dessen Augen
noch
nicht einmal geöffnet waren, wuchs ganz normal
heran. Das kam dem Bauern so wunderlich vor, dass er ihn näher
beobachtete und herausfand, dass Nacht für Nacht eine
Marderhündin herbeikam und den Welpen säugte. Der
junge Hund
war bald groß genug, um sich selbst Futter zu suchen, und
wuchs
zu einer Größe und Gestalt heran, die einer
Schreinlöwenstatue glich.

Yatsufusa (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
Mochte die Sache mit der Marderhündin wahr sein oder nicht,
Größe und Figur des Hundes beeindruckten Kisonosuke
jedenfalls so sehr,
dass er sich das Tier geben ließ und zur Burg mitbrachte.
Weil der
Hund auf seinem weißen Fell acht schwarze Flecken hatte,
deren Form
Päonienblüten glichen, nannte man ihn Yatsufusa (=
acht
Flecken), wobei das Wort "fusa" auch den Kelch einer Blume bezeichnet.
Damals fiel niemandem die betörende Dame
Tamazusa ein, die einst einen Marderhund als Liebslingstier gehalten
hatte.
Erstaunlicherweise liebte Fusehime diesen Hund über alles. Und
der
Hund hing ebenfalls zahm an Fusehime. Und nur wenig später
öffnete Fusehime, damals 7 Jahre alt, erstmals den Mund und
rief
"Yatsufusa!"
Fortan begann sie normal zu sprechen und auch zu
lachen.

Yatsufusa und Fusehime (Filmposter)
Und wieder einige Zeit danach begab sich Kanamari Daisuke
mit dem Mädchen auf Wallfahrt zu dem Schrein der Gottheit von
Sunosaki, um ihr zu danken. Auch Yatsufusa nahm er mit.
Daisuke war damals erst zwölf Jahre alt, aber Yoshizane
hatte ihn
als edlen Sohn des getreuen Hachirô bereits in diesem Alter
zum Burgvogt gemacht.
Bei dieser Wallfahrt war Yatsufusa in eine Höhle in den Bergen
hinter dem Sunosaki-Schrein gelaufen, in der eine Steinfigur
des En no Gyôja verehrt wird, und kam mit dieser
Gebetskette
im Maul zurück. Die Perlen schienen aus Kristall zu sein, aber
acht der 108 Perlen besaßen einen besonderen Glanz, und im
Innern
schwebten mysteriöse Schriftzeichen. Sie waren weder mit Lack
aufgetragen noch
in den Kristall eingraviert - aus dem Innern der durchsichtigen Perlen
leuchteten sie, je ein Schriftzeichen in jeder dieser acht Perlen:
NIN |
仁 |
Menschlichkeit |
 |
GI |
義 |
Pflichtbewusstsein |
REI |
礼 |
Anstand |
CHI |
智 |
Bildung |
CHÛ |
忠 |
Treue |
SHIN |
信 |
Vertrauen |
KÔ |
孝 |
Gehorsam |
TEI |
悌 |
Brüderlichkeit |
Der Eremit En no Gyôja
(634-706) wird als wundertätiger Heilkundiger des Altertums
verehrt.
Die
buddhistische Gebetskette
ähnelt unserem Rosenkranz.
Sie besteht traditionell aus 108 Perlen aus Holz oder Schildpatt sowie
eine größere Abschlussperle, die den Buddha und die
108
Schriftrollen
seiner Lehre versinnbildlichen. Die acht hier
genannten Schriftzeichen entsprechen den "Acht konfuzianischen
Tugenden",
die zur Zeit des Verfassers in Japan als das Ideal eines Samurai
galten. Die Menschlichkeit
umfasst Humanität und Empathie, das Pflichtbewusstsein
enthält Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit, der
Anstand umfasst auch die Wahrung der standesgemäßen
Etikette
und Verehrung von Höherstehenden und Gottheiten. Die Bildung geht einher
mit Wissensdurst, Gelehrsamkeit und der Klugheit, das Erlernte auch
anzuwenden. Treue
galt dem Herrn und dem Tennô, der Gehorsam galt den Eltern
und
Ahnen. Das Vertrauen galt den Mitmenschen und gebot, sich ebenfalls
vertrauenswürdig zu verhalten. Die Brüderlichkeit
bedeutet
unverbrüchlichen Zusammenhalt zwischen Verwandten.
|
Seitdem trug Fusehime diese Gebetskette als Schmuck um ihren Hals.
Aber das war nicht alles. Die Kristallperlen besaßen
auch wundersame Kräfte. Wenn sich Fusehime unwohl
oder krank
fühlte, brauchte sie nur eine davon in den Mund zu nehmen, um
auf
der Stelle wieder gesund zu werden. Aber diese Wirkung zeigte sich nur
bei Fusehime.
Fusehimes Gebetskette mit den wundertätigen Kristallkugeln
Also,
Yoshizane besah sich auf Fusehimes Worte hin die acht auf
ihrer
Gebetskette aufgereihten Kristallperlen; in der Tat war das SHIN
gänzlich verschwunden und nirgends sonst zu sehen.
"Das ist....", rief er, aber in diesem Moment erhob sich in der Ferne
ein ganz und gar ungewöhnliches Geschrei.
"He?"
Der Lärm kam sehr schnell näher, und dann fiel die
Schiebetür des Gemachs der drei beieinander sitzenden Personen
um.
Es erschien Yatsufusa. Die durchgerissene Kette nachschleifend, lief er
schnurstracks zu Fusehime und schnappte sich ihren Ärmel.
"Was machst du, Yatsufusa?"
Der entsetzte Yoshizane lief zum Deckenbalken, ergriff den
dort
verwahrten Speer und löste seine Hülle. Vor der
umgeworfenen
Tür drängten sich Gefolgsleute und Mägde,
die dem Hund
nachgelaufen waren. Mit dem langen Ärmel von Fusehimes Gewand
im
Maul gab Yatsufusa ein furchterregendes Knurren von sich. Allein seine
blutunterlaufenen, funkelnden Augen genügten schon, um die
Leute auf
Abstand zu halten.

Im Film sitzt Fusehime im Burggarten
Fusehime, vor Angst beinahe von Sinnen, beugte sich aus dem Sitzen zu
Yatsufusa nieder.
"Yatsufusa, geh fort. Du willst nicht? Wenn du nicht weggehst, wirst du
bestraft, auch wenn du nur ein Tier bist."
Ihrem Vater, der den Speer zum Zustechen bereit hielt,
rief sie
aufblickend zu:
"Halt, Herr Vater, wartet bitte! Ich verstehe genau, was Yatsufusa auf
dem Herzen hat."
"Was denn?"
"Ich habe schon lange darüber nachgedacht. Herr Vater, Ihr
habt
Yatsufusa doch versprochen, mich ihm zur Braut zu geben, wenn er Euch
den Kopf des Feindes bringt. Weil Ihr Euer Versprechen nicht haltet,
ist Yatsufusa zornig. Mir ist vollkommen klar, warum er jetzt
wütend ist."
"Red nicht solchen Unsinn!"
"Das ist kein Unsinn. Habt Ihr nicht gesehen, dass das Schriftzeichen
SHIN (Vertrauen)
aus der Gebetskette, die Yatsufusa mir gebracht hatte, verschwunden
ist?"
"......"
"Eigentlich verbietet mir der Respekt, Euch solche Worte zu sagen, aber
ein Mann von Stand, der nun einmal der Herr eines Landes ist, darf sein
einmal gegebenes Wort keinesfalls wieder
zurücknehmen. Was man versprochen hat, muss
man halten."
"Mädchen, was denkst du dir eigentlich?"
"Ich denke, dass ich Yatsufusas Braut werden muss."
Ihre Mutter Isarago schrie auf.
"Was sagst du denn da! Im Herbst soll doch deine Hochzeit mit Kanamari
Daisuke stattfinden!"
Fusehime schüttelte den Kopf.
"Seit Herr Daisuke als Bote zur Burg Tateyama gesandt wurde, fehlt von
ihm jede Spur. Er wird gewiss tot sein."
"Aber trotzdem, als Braut eines Tiers.....!"
"Yatsufusa ist kein gewöhnliches Tier", gab Fusehime
zurück.
"Aber seht doch, weshalb ist dann das Schriftzeichen SHIN von der
Gebetskette verschwunden? Ich sehe darin einen Wink des Himmels."
Yoshizane rann der Schweiß aus allen Poren. Und zwar, weil
Fusehime 'ein
Mann
von Stand, der nun einmal der Herr eines Landes ist, darf sein einmal
gegebenes Wort keinesfalls wieder zurücknehmen' gesagt hatte.
Ihm fiel nämlich ein, dass Tamazusa
ihm kurz
vor ihrem Ende vor
siebzehn Jahren genau denselben Vorwurf gemacht
hatte.
Und damals hatte sie weiter gesagt, durch
ihren Fluch sollen die
Kinder und Kindeskinder des Hauses Satomi in die Existenzform von
Tieren
stürzen, sie mache sie zu elenden Hunden.
Das darf nicht sein, das darf einfach nicht sein! 'Ein Wink des
Himmels...' Ist das nicht eher ein Wink der
Hölle?, wollte
Yoshizane schreien, aber seine Zunge versteinerte gleichsam, er brachte
kein Wort heraus.
"Also, was hast du vor?", fragte ihre Mutter.
"Geruht herzusehen. Yatsufusa hält mich am Ärmel
fest. Wohin
Yatsufusa geht, werde ich mit ihm gehen", antwortete Fusehime. "Herr
Vater, Frau Mutter, betrachtet mich bitte nicht länger als
Lebende. Ohne Yatsufusas Hilfe wäre unsere Burg
zerstört, und
wir alle wären tot. Überdies verdanke ich es
Yatsufusa, dass
ich meine Sprache gefunden habe. Ich bin es ihm schuldig, mich seinem
Willen zu fügen."
Endlich gewann Yoshizane seine Sprache wieder.
"Fusehime, dieser Hund ist von teuflischen Geistern besessen."
"Wenn er von teuflischen Geistern bessen ist, werde ich ihn davon
erlösen."
Mit glitzernden Tränen in den Augen wandte sich das
Mädchen an den Hund.
"Hör, Yatsufusa, wohin du auch gehst, ich werde dich
begleiten."
Sie wollte sich ihre Kette wieder um den Hals hängen und
blickte sie dabei kurz an.
"Oh!!!", rief sie, "das Schriftzeichen SHIN ist wieder da!"
Yoshizane besah sich die Perlen und stellte fest, dass seine Tochter
recht hatte. Erneut entfuhr ihm ein Seufzer.
"Herr Vater, der Himmel sieht alles. Es ist eindeutig, dass Ihr Euer
Versprechen halten müsst."
Fusehime stand auf und folgte Yatsufusa, der sie hinter sich
herzog. Einmal noch sah sie sich um.
"Sobald Yatsufusa erlöst ist, kehre ich zu Euch
zurück. Bitte sucht bis dahin nicht nach mir."
Sie sah nicht mehr aus wie ein irdisches Wesen. Gerade eben hatte
Fusehime gesagt, dass Yatsufusa kein gewöhnlicher Hund sei,
aber
Yoshizane spürte, dass auch Fusehime kein
gewöhnliches
Mädchen war. Sie war zwar seine Tochter, aber von
überirdischer Schönheit und im Herzen vollkommen
keusch und
rein.
"Herr Gemahl, wollt Ihr Euch das tatenlos mit ansehen?", jammerte
Isarago, sich unter Tränen zu Boden werfend.
"Ich will eine Weile sehen, worauf es hinausläuft", presste
Yoshizane hervor.
Als er unter seinen Gefolgsleuten, die ihren Augen kaum trauen mochten,
die Blicke von Sugikura
Kisonosuke und Horiuchi Kurando gewahrte, befahl er ihnen:
"Ich weiß nicht, wohin Fusehime geht. Gebt ihr das Ross
Seigaiha zu reiten. Und holt ihr Kleidung
aus ihrem Gemach!"
Seigaiha war sein allerbestes Ross, ein Prachtpferd aus Aomiko.
"Ach ja, und bitte noch das Lotos-Sûtra, Pinsel, Tusche,
Reibstein und ein wenig Schreibpapier!", rief Fusehime im Fortgehen.
Vorneweg lief der Hund Yatsufusa, dem vor Freude der Geifer von den
Lefzen troff. Danach bestieg Fusehime, ganz in Weiß
gekleidet, zu
ihrem Schutz nur einen kurzen Dolch im Gürtel, das Ross
Seigaiha,
das ein kleines Bündel Reisegepäck trug, und ritt
seitlich
aufsitzend schaukelnd von dannen. Yatsufusa war bereits ein Hund von
stattlicher Größe, aber Seigaiha war auch mehr als
doppelt
so groß wie gewöhnliche Pferde.
Es war eine helle Mondnacht im Herbst, als diese seltsame Gruppe aus
Mensch und Tieren die Burg Takita verließ.

Fusehime (Filmposter)
Yoshizane wandte sich um zu seinem Gefolge.
"Einer von euch. Ihr nach! Aber nicht mit vielen Leuten. Damit
wir sie nicht aus den Augen verlieren."
"Ich gehe...!", sagte der Ritter Amasaki Jûrô und
trat hervor. Er war zwar ein aus
dem Land Awa
gebürtiger Samurai, hatte aber wagemutig auf Yoshizanes Seite
gekämpft, als der den Yamashita entmachtete. Jetzt war er um
die
Mitte Vierzig. Er war auch derjenige, der Yoshizane das Ross Seigaiha
verehrt hatte.
Nachdem sich Amasaki Jûrô gemeldet hatte, folgten
etwa zehn
weitere Samurai seinem Beispiel, darunter Amasakis eigener Sohn
Jûichirô.
Nach geraumer Zeit erreichten der Hund und Fusehime den Bergwald von
Toyama, der sich nördlich der Burg Takita erhebt. Abgesehen
von
seiner Höhe sind die Hänge des Toyama steil, und
riesige
alte Bäume bilden einen dichten Wald, weshalb sich selbst
Jäger nur selten dort hintrauen. Yatsufusa stieg in dem Wald,
den
nicht einmal das Mondlicht aufhellte, einen Pfad hinauf, den man kaum
einen Pfad nennen konnte, und Seigaiha stieg hinterher. Den Rittern,
die sie verfolgten, brach der Schweiß aus allen Poren; so
wilde
Kämpfer sie auch sein mochten, vor Furcht waren sie am ganzen
Leib
nassgeschwitzt. Wo der Wald endete, konnte man das machtvolle Rauschen
eines wilden Gewässers hören. Es war der Fluss
Tanikawa, der
den Wald begrenzte. Als Amasaki mit seinen Leuten dort ankam, waren
Fusehime und die Tiere schon auf dem anderen Ufer angelangt; im
Mondlicht sahen die Ritter, wie Fusehime drüben vom Pferd
stieg. Das Ross
hatte offenbar samt Fusehime auf dem Rücken den Fluss
passiert.
Die Samurai blieben stehen. Der Tanikawa war zwar allenfalls 3 ken
(ca 33 m)
breit, aber seine reißende Strömung gischtete
schäumend
an zahllose Felsen. Amasaki hatte es schon geahnt, dass ein Ross wie
Seigaiha dort hinüberkäme.
Fusehime blickte herüber, schickte sich dann aber wortlos an,
mitsamt
Hund und Pferd in den Wald auf der Gegenseite weiterzugehen.
"Heda, heedaa, Seigaiha!", schrie Amasaki, der das nicht mit ansehen
konnte. "Kehr um und bring mich auch ans andere Ufer!"
Daraufhin schnappte sich der Hund die Zügel des Rosses, die am
Boden schleiften, und zog es zurück ans Ufer. Seigaiha kam
herüber, ohne sich das Geringste aus Fluten und
Felsen zu
machen.
"Gut, und jetzt reite ich auch auf die andere Seite!",
verkündete
Amasaki, schwang sich auf das Ross und preschte in den Tanikawa hinein.
Als er aber etwa die Mitte erreicht hatte, erhob sich
plötzlich
eine riesige, gleichsam zornige Woge, in deren silbriger Gischt
Seigaiha stürzte.
"Oh! Mein Vater....!", schrie Jûichirô entsetzt
auf, aber
es war vergeblich. Amasaki Jûrô wurde samt seinem
Ross von
der Strömung fortgerissen.
Yatsufusa wandte sich empor zum Mond und stimmte ein lautes Geheul an.

Amasaki Jûrô versucht, den Fluss zu
überqueren (Scherenschnitt von Miyata Masayuki)
Anlässlich der Nachricht vom Tod des Amasaki
Jûrô erfuhr Satomi
Yoshizane,
dass die Bauern aus der Gegend am Fuß des Berges
Toyama zu
sagen pflegten, seit alter Zeit ertrinke jeder, der den Fluss Tanikawa
überqueren wolle, und niemand sei jemals in den Wald auf der
anderen Seite hineingelangt; dieser Fluss sei die Grenze zwischen
dieser und einer fremden Welt.
Zwar machte ihn das keineswegs bange, aber Yoshizane stellte
fortan alle Versuche ein, Fusehime nachzuspüren. Die Art und
Weise, wie Fusehime ihr Elternhaus verlassen hatte, enthielt Zeichen,
die ihn bewogen, davon abzusehen. Ihre Mutter Isarago jedoch weinte
weiterhin um ihr Kind und erkrankte schließlich. Als
Yoshizane
gewahrte, wie ernst es um seine kranke Gemahlin stand, scharte er
aber seine beiden Vögte und etwa dreißig Ritter um
sich und brach
auf in Richtung Toyama. Es war im Herbst des Jahres, nachdem Fusehime
fortgegangen war.
④
Wie hatten Fusehime und Yatsufusa dieses Jahr verlebt?
Vom Berg Toyama aus kann man an seltenen klaren Tagen bis zur Bucht von
Tateyama, ja sogar das Kap von Sunosaki sehen, aber meistens verwehren
Wolken und Nebel die Sicht. Dort strömt auch der genannte
Fluss
Tanikawa mit seinen felsengespickten Schluchten in steilen
Sprüngen zu Tal. Etwas entfernt davon tut sich in der Felswand
eine Höhle auf und nahe deren Zugang liegt
ein Felsplateau,
flach wie ein Schreibtisch. In der Höhle wohnte Fusehime auf
einem
Lager aus Heu, und Yatsufusa schlief draußen vor dem Eingang.
Fusehime hatte zu ihm gesagt:
"Yatsufusa, wie versprochen bin ich deine Braut geworden. Aber nur im
Herzen. Ansonsten rühr mich bitte nicht an!"
Yatsufusa
betrat niemals die
Höhle der
Fusehime. Er brachte ihr alle
Tage aus dem umliegenden Wald mit Früchten beladene Zweige.
Aus
dem Fluss holte er ihr Fische. Alles legte er vor dem Eingang zur
Höhle nieder. Davon ernährten sich das
Mädchen und der
Hund, so dass sie keinen Hunger litten. Wurde Fusehime krank, nahm sie
eine der Wunderperlen ihrer Kette in den Mund und war sogleich wieder
gesund. An Tagen mit Sturm und Regen setzte sich Yatsufusa wie die
Löwenfigur eines Schreintors vor dem Eingang aufrecht hin und
schützte Fusehime vor Wind und Unwetter. Yatsufusa hatte seine
Freude an diesem Leben auf dem Berg mit Fusehime und sah vollkommen
zufrieden aus. Manchmal aber, wenn Fusehime Langeweile hatte, aus ihrer
Höhle kam und mit ihm spielte, begann beim Umhertollen von
Yatsufusas Lefzen der Geifer zu tropfen, und seine Augen blitzten auf
unerwartete Art. Er ließ ein Knurren vernehmen, richtete sich
drohend auf seinen Vorderpfoten auf und schien Fusehime anspringen zu
wollen. Das war schon mehrfach vorgekommen. In solchen Fällen
zog
Fusehime ihren Dolch hervor und und schrie:
"Yatsufusa, benimm dich anständig! Wenn du nicht
aufhörst, stoße ich mir diesen Dolch durch die
Kehle!"
Dann legte sich Yatsufusa zu Boden und beugte seinen Kopf tief vor ihr
nieder.
Häufig setzte sich Fusehime an ihren Felsentisch, schrieb
Sûtras ab und rezitierte aus dem Lotos-Sûtra, und
Yatsufusa
saß vor dem Höhleneingang und hörte ihr
aufmerksam zu.

Fusehime und Yatsufusa (Scherenschnitt von Miyata
Masayuki)
All dies mutete an wie Szenen aus einer anderen Welt, aber nach etwa
einem Jahr trug sich etwas zu, das wahrhaftig von einer anderen Welt
war. Fusehime bemerkte nämlich, dass ihre Monatsblutung
ausblieb.
Sie war zwar eine keusche Jungfrau, aber eben doch eine richtige Frau
und
wusste sehr wohl, dass das Ausbleiben der Menstruation eines der Anzeichen
für eine Schwangerschaft war. Sie neigte verwundert ihren
Kopf,
schüttelte ihn dann aber.
"Ich? Schwanger? Das ist völlig ausgeschlossen."
Aber bald spürte sie, dass sich in ihrem Leib
tatsächlich
etwas zu regen begann; sie zitterte vor Schrecken. Ihr ging durch den
Kopf, dass Yatsufusa kein gewöhnlicher Hund war. Seit dieser
Yatsufusa das Haupt des feindlichen Feldherrn Anzai Kagetsura
abgebissen und die Burg gerettet hatte, war ihr klar geworden, dass
dieser Hund durch irgendeinen Zauber verhext sein musste. Deswegen
hatte
ihr Vater sein Versprechen an Yatsufusa gehalten, und sie hatte sich
ihm als Braut anverlobt, mit Yatsufusa zusammengelebt und gehofft,
dass sie ihn mit dem emsigen Vortragen des Lotos-Sûtras von seinem Bann erlösen könnte. Es hatte
tatsächlich so
ausgesehen, als lauschte Yatsufusa, seit sie hierher gekommen waren, stets sehr aufmerksam ihren Rezitationen des Sûtras.
"Und trotzdem bin ich schwanger? Das kann doch einfach nicht sein!"
Fusehime litt beträchtlich und fand nachts keinen Schlaf.
Es war ein Abend im Herbst. Fusehime, die eine schlaflose Nacht hinter
sich hatte, war unversehens an ihrem Felsentisch eingeschlummert, als
sie im Schlaf von fern Yatsufusas Gebell vernahm. Und dicht an ihrem
Ohr hörte sie eine Stimme.
"Fusehime, ich sage dir, dass du schwanger bist. Du weißt es
sicher schon selber. Und wessen Kinder, glaubst
du, trägst du
im Leib? Yatsufusas Kinder! Hunde sind zwei Monate trächtig,
und
heute oder morgen wirst du acht Hundewelpen gebären!"
Es war die Stimme einer Frau. Ihr warmer Atem strich über
Fusehimes Kopf, und im Traum ergriff Fusehime die Gebetskette, die sie
um den Hals trug.
"Du hast Yatsufusa das Lotos-Sûtra vorgelesen. Yatsufusa hat
die
buddhistische Lehre erkannt. Alles genau, wie ich es geahnt habe. Durch
die seelische Verbindung zwischen Mensch und Hund bist du
trächtig
geworden. Diesen Hund habe ich gesäugt, und nachdem Yamashita
Sadakane von deinem Vater vernichtet worden war, habe ich Yatsufusa
den
Kopf des Anzai Kagetsura
abbeißen lassen,
denn der war, wiewohl Herr der benachbarten Domäne,
ein
dummer, fühlloser Kerl. Und Satomis Kind, nämlich
dich, habe
ich genau, wie ich es mir gewünscht hatte, in die Existenzform
der
Tiere hinabgestoßen!"
In hellem Entsetzen griff sich Fusehime an ihre Brust und zerriss
dabei versehentlich die Schnur ihrer Gebetskette. In diesem
Augenblick traf ein
Schmerzensschrei ihr Ohr, so laut, dass es ihr schier das Trommelfell
zerriss. Diesmal war es kein Traum. Das Wesen, das nah am Ohr zu ihr
gesprochen hatte, war von etlichen der Kristallperlen heftig getroffen
worden. Fusehime blickte auf und sah ein Tier, das im Abendrot der
sinkenden Sonne davonlief. Von dorther kam Yatsufusa gelaufen. Auch
dessen Gebell war kein Traum. Er war am Flussufer gewesen und hatte
etwas angebellt, und jetzt kam er von dort zurückgerannt. Er
hatte
offenbar das fremde Tier entdeckt. Dieses blieb stehen, ohne vor
Yatsufusa Furcht zu zeigen. Da fiel Yatsufusa wütend
über das
Tier her, aber das wich ihm mit einem Luftsprung flink aus und floh,
sich mehr überschlagend als rennend, zum Fluss hinab,
und
Yatsufusa lief ihm hinterdrein.
Bei diesem Anblick war Fusehime starr wie festgebannt. Das Tier war
eine Marderhündin und hatte gemeint, der Hund sei sein
Verbündeter, aber als er wider Erwarten seine Zähne
gebleckt
und sie angegriffen hatte, war sie erschreckt geflohen. Anders war das
alles nicht erklärbar.
Fusehime verspürte einen ungewöhnlichen Schmerz im
Leib.
Die Marderhündin floh über die Felsen des
reißenden
Flusses, Yatsufusa rannte ihr nach, und als er ans Ufer sprang, fiel
ein Schuss aus dem Dickicht am anderen Ufer. Wie ein Kobold sprang
Yatsufusa hoch in die Luft, stürzte danach ins Wasser und war
nicht mehr zu sehen.

Fusehime krallte ihre Finger auf die Felsplatte. Diese Schmerzen im
Leib, das mussten die Wehen sein! Schwankend sah sie sich um. Um ihren
Felstisch verstreut lagen Kristallperlen, es waren genau acht.
Sie
las sie auf und sah, dass sie alle ihre Schriftzeichen
enthielten.
'Du
wirst acht Hundewelpen gebären. Ich
habe dich in die Existenzform der Tiere hinabgestoßen!',
hallte jene furchterregende Stimme in ihren Ohren nach.
Fusehime erinnerte sich daran, dass diese Kristallperlen stets ihre
Leiden geheilt hatten.
"Ihr Perlen, erlöst mich von den verhexten Wesen in meinem
Leib!",
ächzte Fusehime und verschluckte eine dieser Perlen nach der
anderen. Aber ihre Schmerzen hörten nicht auf.
Sie sah einen jungen Samurai, der jenseits des Flusses mit der Muskete in der Hand aus dem
Wald gelaufen kam. Und aus einer anderen Richtung näherten
sich
dem Fluss Stimmen und Schritte eines Trupps von Leuten.
Der Autor Takizawa
Kyokutei Bakin
lebte im 19.Jh., als in Japan Feuerwaffen längst verbreitet
waren.
Er irrt aber, wenn er Jägern und Kriegsleuten im
15.Jahrhundert
schon Musketen andichtet. Die ersten Europäer, die nach Japan
gelangten, waren portugiesische Seefahrer, die 1543 in
einem Sturm
Schiffbruch erlitten und an japanische Gestade verschlagen wurden. Erst
gegen Ende des 16.Jhs. wurden in Japan Feuerwaffen nachgebaut und
eingesetzt.
Wir gönnen ihm aber diese dichterische Freiheit.
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Der junge Samurai stand gerade im Begriff, die reißende
Stömung des Tanikawa zu durchqueren, als er hinter sich den
Lärm des nahenden Trupps von Leuten vernahm. Er drehte sich
verwundert um.
Eine Schar von mehr als dreißig Rittern kam aus dem Wald.
"Oooh! Mein Herr!", rief der junge Sumurai und beugte das Knie.
"Bist du nicht Kanamari Daisuke?", rief aus der Mitte der Schar mit
verwundert aufgerissenen Augen Satomi Yoshizane.
Es war tatsächlich Kanamari Daisuke, den er im vergangenen
Sommer
in die benachbarte Domäne zu Anzai Kagetsura mit der Bitte um
Lebensmittel entsandt hatte. Anstelle von Reis war damals die
Streitmacht des Anzai gekommen und die Schlacht war ausgetragen worden.
Nur Daisuke, der Bote, war nicht zurückgekommen. Alle glaubten
felsenfest, dass er von den Leuten des Anzai umgebracht worden wäre,
aber er war noch am Leben und wurde ausgerechnet hier gefunden!
Er
war der Sohn des Kanamari Hachirô, der Yoshizane zur
Herrschaft
über ein ganzes Land verholfen hatte, und Yoshizane hatte ihn
deswegen trotz
seiner Jugend
nicht allein zu einem seiner Burgvögte ernannt, sondern wollte
ihm
im vergangenen Herbst auch seine Tochter Fusehime zur Ehefrau geben.
"Mir
fehlen
wahrhaftig die Worte, mich zu rechtfertigen!", sprach Daisuke, der sich
untertänigst zu Boden geworfen hatte, und berichtete in
Kürze, was ihm widerfahren war.
Nachdem er als Bote zu Anzai gekommen war, hieß ihn dieser,
einen
Tag auf die Antwort zu warten. Als sich die Wartezeit immer weiter
verzögerte und vier oder fünf Tage verstrichen waren,
erfolgte ein Überfall. Seine Gefährten wurden alle
getötet, aber Daisuke setzte sich kraftvoll zur Wehr und
entkam
mit knapper Not. Als er in größter Eile zur Burg
Takita
zurückkehrte, war die Burg schon durch Anzai von einem
eisengleichen Belagerungsring umzingelt. Er wusste nicht, was er tun
sollte und entschloss sich zuletzt, nach Kamakura zu reiten, um bei dem
Statthalter des Shogunats wegen des Überfalls des Anzai Klage
zu
erheben und die Belagerung aufheben zu lassen, aber noch auf dem Weg
nach Kamakura erfuhr er, dass Anzai geschlagen und die Schlacht
entschieden sei.
Beschämt darüber, dass er feige, mut- und ehrlos die
Burg im Stich gelassen hatte, war er seither ziellos
durch
die Kantô-Region gestreift und hatte sich erst jetzt dazu
entschlossen, nach Awa zurückzukehren; dort habe er
die Gerüchte gehört, dass Fusehime von Yatsufusa
entführt worden sei und sich am Berg Toyama aufhalte.
"Näheres ist mir nicht bekannt, aber allein diese Nachricht
ließ
mir das Blut in den Adern stocken. Ich borgte mir von
einem Jäger die Muskete und bestieg diesen Berg. Als ich
vorhin aus dem Dickicht des Waldes spähte, witterte Yatsufusa
mich
offenbar sofort und verbellte mich vom andern Ufer her lauthals. Um ihn
zu erledigen, legte ich Feuer an die Lunte, aber Yatsufusa
lief erst einmal wieder fort. Weil er indes ein zweites Mal zu
wildem
Angriff auf mich losstürmte, habe ich ihn soeben am Ufer des
Flusses erschossen. Und was hat Euch hierher geführt, mein
Herr?"
"Meine Gemahlin Isarago liegt todkrank darnieder. Ich wollte deshalb
Fusehime zurückholen."
Noch während er sprach, erschollen aufgeregte Rufe unter den
Rittern. Jenseits des Flusses zeigte sich Fusehime und schritt auf sie
zu.
Nur
war die Welt auf der anderen Seite ganz rot gefärbt. Das
Flussufer
drüben, die Felsen, der Boden, die Bäume und
Büsche
waren ins Licht der untergehenden Sonne getaucht und brannten in
flammendroter Farbe, als wäre es eine andere Welt. Nur das
Gewand
der Fusehime war seltsamerweise vollkommen weiß.
"Oh, Fusehime!", rief Yoshizane, der bis an den Rand des
Gewässers
geritten war. "Wie schön, dass du wohlbehalten am Leben bist!"
Er wollte ins Wasser hineinreiten.
"Wartet bitte, Herr Vater!", rief Fusehime. "Ihr dürft den
Fluss nicht überschreiten. Hier ist eine andere Welt."
"Fusehime, deine Mutter ist todsterbenskrank. Deswegen ist dein Vater
gekommen, um dich heimzuholen."
Nach einem Augenblick des Schweigens antwortete Fusehime:
"Ich sterbe jetzt auch."
"Was?"
"Herr Vater, ich bin mit acht Hundewelpen schwanger."
Yoshizane und sein Gefolge standen wie vom Donner gerührt und
starrten über den Fluss.
Fusehime hatte schon seit jeher halb durchsichtig gewirkt, nun aber
glich sie vollends einem Totengeist aus dem Jenseits.

"Yatsufusa war die Verkörperung eines bösen Geistes,
der das
Haus Satomi verflucht hat. Aber hört gut her. Yatsufusa ist
durch
meine Gebete erlöst worden. Aber eben um seiner
Erlösung
willen trage ich, obwohl ich ihn niemals an mich herangelassen habe,
seine Nachkommen im Leib. Auch das war der üble Wille
des
bösen Geistes. Wenn ich am Leben bliebe, würde ich
acht
Hundekinder zur Welt bringen."
Fusehime ließ sich in aufrechter Haltung auf ihre Knie
nieder.
"Ich habe aber soeben eine Stimme des Himmels vernommen. Falls ich den
Beweis dafür erbringe, dass ich keusch geblieben bin und mich
niemals mit einem Hund eingelassen habe, wird dieser Beweis zum Zeichen
des Himmels auf irdischem Boden dafür werden, dass in dieser
Welt
die Unschuld über das Böse siegen wird. Ich bin dazu
geboren,
dieses Zeichen zu setzen!"
Was
sollte
das heißen? Niemand verstand die Bedeutung des Gesagten. Aber
Herr Satomi und seine Ritter standen, als wären sie erstarrt,
und
sahen mit Entsetzen, wie Fusehime aus ihrem Gürtel den
blitzenden Dolch hervorzog.
"Seht her, Herr Vater! Fusehime legt Zeugnis für ihre Reinheit
ab!"
Fusehime stellte nur ein Knie hoch, ließ aber Gewand und
Gürtel, wie sie waren, stieß sich den Dolch in die
linke
Seite und zog ihn mit einem Ruck nach rechts. In diesem Augenblick
verfärbte sich die einzige Gestalt, die in jener roten Welt
weiß geblieben war, in flammendes Blutrot. Es sah in aller
Augen
so aus, als habe sich eine große
Päonienblüte
entfaltet.
Ein blutschwerer Wind wehte von drüben herüber.
"Ooooohhh!"
Ein unbeschreiblicher Laut ertönte aus
aller
Kehlen. Durch den blutroten Wind schossen nämlich Blitze
über
ihre
Köpfe hinweg. Als sich der rote Nebel lichtete, war Fusehimes
am
Boden liegende Gestalt zu sehen. Endlich wollte Yoshizane in
wahnwitziger Entschlossenheit erneut in den Fluss hineinreiten, als
viele seiner Ritter riefen:
"Seht doch, schaut!" - "Was ist das denn?"
Alle schauten zum Himmel auf, wohin etliche Finger wiesen, und trauten
ihren Augen nicht.
Vor dem blutroten Himmel im Westen kreisten glänzend
leuchtende Objekte, genau acht an der Zahl. Sie zogen eine Zeitlang
wirr über den
Himmel hin, ordneten sich dann aber fächerartig an
und verwanden
wie Kometen in Richtung Norden.

⑤
Satomi Yoshizane
und seine
Leute, die den Lichtern eine Weile verblüfft nachgeblickt
hatten,
kamen endlich zu sich und überquerten den Fluss, denn sie
durften
Fusehime sich nicht selbst überlassen. Ihr Vater galoppierte
zu
Fusehime und schloss sie in seine Arme. Schon zu Lebzeiten
hatte
sie feenhaft gewirkt, aber jetzt trug ihr Ausdruck nicht nur ein
gewöhnliches Totenlächeln, sondern strahlte, man kann
es
nicht anders sagen, geradezu himmlische Seligkeit aus.
Im Film stirbt Fusehime in den Armen ihres Vaters
Auch die Höhle, in der Fusehime gelebt hatte, nahmen sie in
Augenschein und fanden nahe der Felsplatte, die ihr als Schreibtisch
gedient hatte, ihre zerrissen zu Boden gefallene Gebetskette.
Yoshizane, der sie aufgehoben und näher betrachtet hatte, rief:
"Alle acht Kristallperlen sind fort! Die Perlen, in denen die
Schriftzeichen NIN, GI, REI, CHI, CHÛ, SHIN, KÔ,
TEI
geleuchtet haben, fehlen!"
Kanamari Daisuke blickte zum Himmel, als sei ihm etwas eingefallen.
"Waren das nicht die acht Leuchtzeichen, die vorhin am Himmel schwebten
und dann irgendwohin fortgeflogen sind?"
Später begruben sie Fusehime unter einer Zypresse
nahe ihrer
Höhle, aber ihren Tod und die mit eigenen Augen soeben
geschauten
Wunderzeichen konnten sie weder glauben noch recht begreifen. Ihnen
war, als bewegten sie sich selbst wie Wesen in einer Zauberwelt.
Yoshizane war wohl ebenso zumute. Mit Blick auf Fusehimes
Grabhügel murmelte er fassungslos wie im
Selbstgespräch:
"Wie konnte das nur geschehen....?"
Da bemerkte er, dass Kanamari Daisuke wie kraftlos in die Knie sank. In
seiner Hand sah er ein Kurzschwert blinken. Mit dem Stock, den er in
der Hand hielt, schlug er ihm das Schwert aus der Hand.
"Daisuke, was hast du vor?"
"Mein Herr, gestattet mir, Fräulein Fusehime in den Tod zu
folgen!" Er warf sich zu Boden. "Wäre ich als
Fusehimes
Anverlobter ohne mein törichtes Zaudern zur Burg Takita
zurückgekehrt, hätte Fusehime niemals gesagt, sie
würde
die Braut eines Hundes. Selbst durch meinen Tod kann ich eine solche
Schuld nicht sühnen. Bedenke ich, dass meine
Nachlässigkeit
zu solchem Jammer geführt hat, quält mich
das bis in die
Seele. Als Sühne dafür.... nein, vor allem, weil
Fusehime nun
nicht mehr am Leben ist, ist es für mich sinnlos,
weiterzuleben...."
"Dummkopf!", schalt ihn Yoshizane. "Du willst wohl nach deinem ersten Fehler
gleich einen zweiten begehen, Daisuke? Schon dein Vater hat sich
selbst entleibt. Wenn sich zwei Generationen, Vater und Sohn, sinnlos
den Tod geben, werden die bösen Geister lauthals
darüber
lachen."
"Jawohl."
"Wenn dir zum Sterben zumute ist, lass dir lieber die
Mönchsglatze scheren und bete
für Fusehime
um Frieden im Jenseits. Hier, dazu übergebe ich dir ihre
Gebetskette." Mit diesen Worten hängte er ihm Fusehimes Kette um den Hals.
"Die acht Wunderperlen fehlen aber..."
Daisuke sah Yoshizane wie betäubt an. Dann aber rief er auf
einmal:
"Oh, mein Herr! Ja, ich werde Mönch!" Seine Augen
leuchteten geradezu. "Ich werde durch das Reich wandern und die acht verschwundenen
Kristallperlen suchen!"
"Was meinst du damit?"
Kanamari
Daisuke richtete seine inneren Blicke auf die bleiche Welt des Jenseits, in der
die Sonne nicht leuchtet.
"Ich betrachte es als meine wahre Aufgabe, künftig das
Rätsel
um diese Wunderzeichen zu lösen. Vorhin hatte Fusehime gesagt,
ihr
Tod solle zum Zeichen
des Himmels auf irdischem Boden dafür werden, dass in dieser
Welt
die
Unschuld über das Böse siegen wird. Um die Bedeutung
dieser
Worte zu begreifen, muss ich die acht magischen Kristallperlen
wiederfinden. Das halte ich für die Pflicht eines Mannes, der
dazu
ausersehen war, Fusehimes Ehegemahl zu werden. Wohlan, mag es auch viele
Jahre dauern, ich gehe und kehre nicht eher nach Awa zurück,
bis
alle 108 Perlen dieser Gebetskette wieder vollständig sind."
Ein junger Samurai aus dem Kreis der Ritter ringsumher erhob den Kopf
und sprach:
"Wenn es mir gestattet sein sollte, möchte ich als
Gefährte des Herrn Kanamari mit ihm ziehen."
Es war Jûichirô, Sohn jenes Amasaki
Jûrô, der im
Vorjahr auf dem Weg hierher im Fluss Tanikawa ums Leben gekommen war.
