Venezuela 3

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Ach so, ich sollte noch erzählen, was man als Autofahrer hier so für seinen Sprit bezahlen muss, das interessiert dich als deutschen Verbraucher sicherlich. Benzin gibt es nämlich auch in OPEC-Ländern nicht umsonst, und die wenigen Autobahnen in Venezuela sind mautpflichtig. Da siehst du mal, wie gut es die Deutschen (noch) haben, die immer so gern jammern. Also, fangen wir bei der Autobahn an, da kostet die Maut per PKW 50 Bolívares, das sind 2½ Eurocents, und um einen Allrad-Toyota vollzutanken, musst du gar umgerechnet 2,50 Euro aufwenden. Für den Preis, den du in Deutschland beim Tanken berappst, kannste im ölhaltigen Venezuela die ganze Tankstelle kaufen. Na schön, es gibt zweierlei Trost:
1. ist die Lüneburger Heide noch nicht exploriert worden, wer weiß, wie viel Petroleum da unter dem Sand gluckert, und 2. sind auch Venezuelas Vorräte in 50 Jahren erschöpft, da müssen die Venezolaner dann wieder ihre handgeschnitzten Boote rudern und auf hohem Ross wie weiland Simón Bolívar über die Autobahn reiten, oder, volkstümlicher, auf dem Billigmodell Esel.

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Manche Leute üben schon mal


Noch fließt aber der Sprit zum Glück, denn ich hätte wenig Lust gehabt, auf einem Esel von Canaima nach Santa Elena zu gelangen. Wie du weißt, ist in Canaima wenigstens der Flugplatz zu Fuß zu erreichen, und es ist gut, dass wir zeitig da waren, denn um 10 vor 10 landete eine Cessna, und ein Typ in Jeans und Buschhemd kletterte raus, kam übers Flugfeld geschlendert, rauchte eine Zigarette und rief dann, ob jemand mit nach Santa Elena wolle. Pünktlich wie unser guter José warf er den Rotor an, und wer auch nur zwei Minuten zu spät zum Airport kommt, sieht von dem Lufttaxi nur noch die Schwanzflosse.

Santa Elena ist eine staubige Kleinstadt an der brasilianischen Grenze. Die Landstraße nach Manaus ist älter als die Landstraße nach Caracas, und um ehrlich zu sein, die Chaussee von Caracas nach Sta. Elena, einer alten Goldgräbersiedlung im hintersten Südost-Winkel von Venezuela, die gabs früher gar nicht. Die ist nämlich erst vor Kurzem fertig geworden. Beim Stichwort "brasilianische Grenze" denkst du jetzt sicher an Urwald und Amazonen, aber rings um Sta. Elena erstreckt sich die Sabana Grande, die weite Savanne, aus der wie die Pilze allenthalben die Tepuyes ragen, die schon erwähnten Tafelberge. Und auf einen von diesen Tafelbergen wollen wir raufklettern.

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Savanne und Tafelberg von oben


Deshalb hocken wir jetzt bei Eric auf der Couch. Nein, nein, nicht dass du jetzt denkst, wegen der Schnapsidee, im Urlaub auf Tafelberge raufzukraxeln, hätte man uns zum Psychiater gebracht. Der Eric ist kein Dokter, sondern die Nummer 3 oder 4 der Germanen-Stafette, die uns durch Venezuela spediert, urdeutsch trotz des schicken "c" in seinem skandinavischen Vornamen.

"Du willst doch nicht etwa in Jeans auf den Roraima steigen!?", begrüßt er mich. "Geh auf den Markt und kauf dir ne Trekking-Hose, du wirst unterwegs und auf dem Berg ziemlich nass."

Ach, lieber Eric, was sind wir hier schon nass geworden, und die Jeans habens überlebt. Aber gegen einen Preußen kommste nicht an. Der ist imstande und lässt dich in Sta. Elena versauern, wenn du ihm nicht den Gefallen tust und eine Trekking-Hose kaufst. Und außerdem.......könnte er ja auch Recht haben. Da oben auf dem Roraima soll es ziemlich kühl sein, und wenn man da im Zelt übernachtet und in nassen Jeans in den Schlafsack kriecht, kann das ziemlich ungemütlich werden.

Zelt, Trekking-Moden und Schlafsack, so eine himalayische Expeditionsausrüstung haben wir natürlich nicht in die Tropen mitgeschleppt. Deshalb haben wir ja auch den Eric auserwählt, der stellt nämlich derlei Zubehör, mit Ausnahme der Wanderhosen, allen Mitläufern zur Verfügung; Miete und Trägerlohn sind im Preis der Tour enthalten. Wir sind deshalb auch vollkommen verwöhnt und lassen uns wie Neckermann-Urlauber in eine Herberge Erics Wahl chauffieren, anstatt uns wie früher selbst um Unterkunft zu kümmern, und ich sag dir, das ist echt bequem, die Planerei und das Management anderen zu überlassen und sich nur in einen Savannen-4-WD-Toyota mit Rallye-Lampen und zünftigen Schlammspritzern zu hocken und dann abzuwarten, wo man dann eigentlich hingekarrt wird.

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Hussa, ein Ritt durch die Savanne


Wir trafen es gut mit einer - selbstverständlich von einem Deutschen - in die Prärie gestellten ökologischen Posada, bevor anderntags der Roraima-Trip begann. Aber erlaub mir noch einen kleinen Diskurs, während die Rucksäcke auf das Vehikel geladen werden.

Also, die venezolanischen Frauen sind echt attraktiv. Nichts gegen die deutschen Mädels, die sollen hier auch mal gepriesen werden, wie sie mit ihren labberigen Sackhosen über den klobigen Siebenmeilenstiefeln, den Nutella-Röllchen um Po und Hüfte und shampoofreien Wuselfrisuren um das käsige Gesicht auf Mitbürger aus Albanien und Sri Lanka so unwiderstehlich wirken. Aber kein Land hat halt mehr Miss Worlds produziert als Venezuela, und wenn du mal gesehen hast, wie elegant diese schlanken Girls ihre dezent geschminkten schwarzen Glutaugen rollen, unterm knappen Top ihre vollen Brüste schwenken, ihre gepflegten langen Haare flattern und ihre runden Popos in hautengen Jeans wackeln lassen, dann kapierst du schnell, warum nicht nur Volker und Eric, sondern noch unzählige andere deutsche Männer hier an venezolanischen Ehefrauen hängen geblieben sind und mit der gesamten Verwandtschaft der Gattin als zuverlässige Helfer einen Bisness aufziehen. Für die Globetrotter sind solche Partner unentbehrlich, denn was einige wenige Venezolaner an touristischen Aktivitäten offerieren, erfordert oft viel Geduld und Nerven. Natürlich will man seinen Zaster dem darbenden Volk und nicht den eingeheirateten Ausländern zugute kommen lassen. Der direkteste Weg deines Geldes zum darbenden Volk ist, es dir von Taschendieben aus dem Säckel zupfen zu lassen, aber diese Methode ist bei Weltreisenden eigentlich weniger beliebt. Also tröstet man sich damit, dass die eingeplackten Gringos mit unseren Dollars einen Rattenschwanz von Einheimischen miternähren, Arbeitsplätze schaffen und die lokale Konjunktur am Brümmeln halten.

Während dieser philosophischen Kopfarbeit rumpelt der hoch bepackte Allradwagen auf dem staubigen Dorfanger von Paraitepuy aus und bleibt schnaufend stehen. Dass die Straße hier zu Ende ist, wird auch dem Laien klar, denn ringsumher ist nur wellige Wiese. Den Rest des Weges muss man zu Fuß gehen. Tja, und das tun wir, was bleibt uns denn anderes übrig?

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In PARAITEPUY beginnt der Trail


In weiter, weiter Ferne stößt der höchste aller Tepuyes an die Wolken. Warum haben wir uns keinen kleineren ausgesucht? Leider verfügt nur der Roraima mit seinen 2600 m Durchschnittshöhe über einen Aufstieg, den auch ein Frank Eschersheimer ohne Lebensversicherung und alpinistisches Gerät besteigen kann. Und wenn der Frank das kann, dann kannst du das auch. Dabei haben sich an diesem Tafelberg schon etliche Leute die Zähne ausgebissen und die Knochen ruiniert. 1838 stand der erste deutsche Tourist am Fuß des Berges und rätselte vergebens, wie er da raufkommen könnte. Erst 1884 fand jemand den Aufstieg, über den heute täglich etwa 20 Abenteurer das Plateau erkraxeln. Bis dahin hatte die unbekannte Bergwelt nur die Fantasie der Leute bewegt, und Conan Doyle, der Erfinder des Dr. Watson aus der Detektei S. Holmes, bevölkerte in seinem Roman "The lost world" den Roraima à la Loch Ness mit andernorts ausgestorbenen Sauriern und sonstigen wasserdichten Ungeheuern.

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Von hier aus ist's noch ziemlich weit


Bei den Indígenos vom Stamme der Pemón, die diese Gegend bewohnen, heißt "Roraima" so viel wie "der Ursprung des Wassers", und da sind wir wieder bei meiner Trekking-Hose, die alles andere als billig war. Heute wurde sie aber nicht nass, denn wenn du bei deinem Savannenmarsch mal wirklich einer Dusche bedarfst, dann streikt die himmlische Brause. Wir hätten mit dem Boot fahren sollen, aber Kunststück, in der Savanne. Das einzige, was uns unterwegs begegnete, war eine Klapperschlange, die aber noch gut in Schuss war, weshalb sie auch nicht klapperte, sondern nur verwundert guckte, was all die Gringos an ihr so interessant finden mochten. Als ich ihr sagte
"Es klapperten die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen", war sie so vergrätzt, dass sie sich in die Büsche schlug und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ich konnte ja nicht ahnen, dass so ein venezolanisches Reptil Deutsch kapiert. Bei meinen Studenten sind solche Talente jedenfalls äußerst rar. Ach, lass deine blöden Witze, von wegen "liegt allein am Lehrer"! Hör lieber auf den Ratschlag eines alten Harung mit Erfahrung: Wenn dich mal ein Krokodil oder ein Hai verschlingt, musst du blitzschnell einen Schüttelreim aufsagen, dann lässt das Biest verschüttelt von dir ab.

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Notfalls packt er auch deinen Rucksack noch oben drauf


Nach zehn Kilometern Gepäckmarsch versank die Nachmittagssonne hinter den sieben Hügeln, und die Rucksäcke plumpsten auf den lehmigen Platz des ersten Camps, wo unsere braven Sherpas, die riesige Kiepen voller Campingrödel, Konserven und Kohlköpfen geschultert hatten, für uns die Zelte aufbauten und das Abendessen vorbereiteten, und wir fraßen wie die Scheunendrescher, damit die Jungs täglich weniger schleppen müssen.

"WIR", das sind elf Gringos aus der ganzen Welt, zwei Polen, drei Briten, je ein Israeli, Spanier und Franzose, zwei Germanen inclusive Frank Eschersheimer und eine taffe Japanerin, aber zum Glück keine deutschen Frauen, denn die hätten mich nach dem obigen galanten Diskurs über die Reize deutscher Beauties garantiert als Frauenfeind gelyncht. Dabei hatte ich, als ich das schrieb, nicht dich oder deine Freundin, sondern jemand ganz anders im Sinn, eine junge Dame, deren Vorzüge ich leichtsinnigerweise verallgemeinert habe.

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Hoffentlich regnet's in der Nacht nicht !

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Im Gegenteil, der Kukenan Tepuy sonnt sich vor makellosem Himmel


Es ist echt Klasse, dass gleich neben dem Camp ein munterer Fluss durch die Savanne gluckert, denn eine Badewanne gibt's nicht in der weiten Prärie. Und das Gewässer ist breit, sauber und tief genug zum Baden, nur musste dich gut festhalten, denn es hat eine starke Strömung. Das Johlen am Abend, als alle müden Wandersleut sich prustend nass spritzten, wiederholte sich am andern Morgen, als wir marschbereit mit Rucksäcken und Trekking-Tretern vor demselben Gewässer standen und erst jetzt merkten, dass der Weg am andern Ufer weitergeht. Wer eine Brücke oder Fähre benötigt, muss sie selber mitbringen. Es hilft nichts, wir müssen nochmal baden und zusehen, dass wir unseren Rödel trocken auf die andere Seite schaffen. So viel Solidarität, dass die Männer eine Stafette bilden und alles Gepäck und die Ka rüberreichen, hatte unser bunt zusammengewürfelter Haufen nicht, oder es kam einfach niemand auf die Idee. Jeder sah zu, wie er rüberkam, und darüber verging eine gute Stunde. Und wenn du den Rio Tek glücklich überwunden hast, dauert es nur eine halbe Stunde, bis du vor dem Rio Kukenan stehst, eine Nummer größer, tiefer und breiter als der vorige Rio, und glaub bloß nicht, dass es da einen Steg oder Fährmann gegeben hätte. Nur ein Haus, vor dem eine India Fladen aus Kassavamehl backt. Aber da trat Moses in Aktion. Nicht der alte Moses, der damals das Rote Meer trockengelegt hatte, bis seine Trekking-Kameraden auf die Halbinsel Sinai gelangten, sondern unser Mitläufer aus Israel mit seinem flotten Cowboy-Hut. Während ich noch wartete, ob er uns wie sein Urahn den Kukenan austrocknet, schnappte er sich Kazukos Rucksack und durchschritt damit die Fluten wie weiland Sankt Christophorus. Es gibt doch noch Gentlemen auf der Welt.

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Es hilft nichts, da muss man durch


Und jetzt erzähl ich dir, was Jejenes oder Puripuri sind, damit du mir nach deiner Venezuela-Reise nicht sagst, ich hätte dich nur vor Klapperschlangen gewarnt, die eigentlichen Fährnisse des Gepäckmarschs durch die Savanne aber verschwiegen. Auf Deutsch nennt man diese blutrünstigen Flugvampire wohl
Sandfliegen, aber das verharmlost die Realität. Die Biester sind weder aus Sand noch fliegen sie fort, wenn man sie höflich dazu auffordert, sondern sie schlürfen unersättlich nur Gringo-Blut. Es ist ungerecht, dass sie sich in pirañagleichen Rudeln auf alle deine entblößten Stellen stürzen, auf Hände, Ohren, Hals und Nacken, die Indígenos aber verschonen. Vermutlich ist weiße oder sonnenbrandrote Haut leichter zu zernagen. Beim Marschieren bist du in Bewegung und hast obendrein all deine Blößen mit Insekten-Repellent und Sonnencreme versiegelt, aber beim Striptease zur zweimaligen Flussüberquerung stürzen sich diese Kamikaze-Monster auf jeden Fetzen Haut, und du hast die Wahl, dich entweder aufs Fliegenklatschen oder aufs Flussüberqueren zu konzentrieren. Und ein Schüttelreim auf "Puripuri" fiel mir auf die Schnelle auch nicht ein. Dass solche Biester auf Deutsch Sandfliegen heißen, habe ich leider erst nach der Reise erfahren. Aber da war es schon zu spät, denn "über die lästigen Sandfliegen, da muss man auf See und au fLand siegen". Dabei sind diese Teufel so winzig, dass du ihnen die Grausamkeit, dir einen Fetzen Haut abzuzupfen und einen Biss zu verpassen, der eine Woche später noch juckt und erst nach zwei oder drei Wochen als schorfiger Pickel endet, kaum zutraust geschweige denn heimzahlen kannst. Wovon die in solchen Myriaden in ihrer Savanne leben, wenn mal keine Gringos unterwegs sind, ist mir ein Rätsel. Und warum lassen sie die Indígenos in Ruhe?

"Uns kennen die schon", antwortet einer von unseren ansonsten eher wortkargen Begleitern, und der zweite fügt grinsend hinzu: "Schließlich bringen wir ihnen täglich frische Gringos."

Teuflisch, sag ich dir.

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Die Puripuri sind zur Mittagspause ebenfalls hungrig


Die zweite Flussdurchquerung war vorerst die letzte Abkühlung. Nachdem es bisher getreulich jeden Nachmittag eine kostenlose Dusche gegeben hatte, zweifele ich inzwischen an Erics Prophezeiungen. Keine Wolke verschafft uns Kühlung, und nur da, wo es unerwünscht ist, wird man nass, dank zahlreicher Sümpfe und Moraste. Schuhe braunschwarz, Socken klitschnass, während die Savanne sich immer stärker aufwärts wölbt und von erodierten Felsbrocken aller denkbaren Formen und Dimensionen übersät ist. Auf dem Roraima oder dem benachbarten Kukenan, da haust wohl ein Polyphem und schmeißt ab und zu mit Murmeln nach den Gringos? An diesem zweiten Wandertag knacken allmählich die Waden, und wer kein gutes Schuhwerk hat, muss seine Blasen zupflastern. Und dann kannst du dich zum Mittagessen aus Krautsalat und Hühnersuppe nur auf kantige Klötzer hocken, auf dass dir auch noch das Hinterteil wehtut, während die frechen Puripuri dir ins Hemde kriechen und sogar an sicher geglaubten Stellen blutrünstig zu rüsseln und zu stochern beginnen... Ach, ungezählt sind des Trekkers Freuden....

Bisher waren wir immer mit dem Tross an den Zielpunkten angelangt, aber allmählich lässt Kazukos Energie nach. So hatte sie sich ihren Urlaub ja nicht vorgestellt. Und außerdem hatte es gestern Abend dermaßen lange gedauert, bis die Zelte aufgebaut waren und das Nachtmahl aufgetischt wurde, dass sie sich zu Recht sagte, es sei kein Nachteil, unsere dauerbafelnden Mitläufer außer Hörweite ziehen zu lassen und erst lange nach den weit ausschreitenden, langbeinigen Polen und Briten am Ziel einzutreffen. Verlaufen kann man sich nicht, denn erstens kann man den Roraima inzwischen nicht mehr übersehen, und zweitens ist kein andrer Weg vorhanden.

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Gleich hinter dem Basecamp II ragt der Roraima auf


Kurzum, am Abend waren wir erstmals -und fortan immer- die Allerletzten, die im Camp eintrafen und im eiskalten Bach den Schweiß der Tagesmüh abwuschen, eine knappe Stunde hinter den andern, und kamen trotzdem noch viel zu früh zum Dinner an. Gut, dass die Zelte wasserdicht sind, denn in der Nacht war der nahe Roraima damit beschäftigt, Wolken auszuwringen.

Vom Camp aus kann man am Morgen gut erkennen, dass es nur noch steiler werden kann. In ihrer japanischen Naivität fragte Ka nach dem Sessellift, aber der ist noch nicht einmal in Planung. Mann, in Japan hätte man schon einen Aufzug in den Felsen gebohrt. Wirklich erstaunlich, dass die Ausländer sich alles so schwer machen, wenn es doch auch leichter ginge. Fahren in Autos mit Gangschaltung, wie sie in Japan zuletzt vor 70 Jahren gesichtet wurden, obwohl sie doch selber die Automatik erfunden haben, und frieren sich im Winter auf unbeheizten Klobrillen den Unterleib ab.... Aber brechen wir auf, zu Fuß auf den Roraima, heute ist der Tag, vor dem es Ka schon lange gegraut hat.

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Hier geht's hoch


Der Weg lässt keine Wünsche offen. Alle Grausamkeiten, von denen Trekker schwärmen, werden bereit gehalten. Steil ist kein Ausdruck, glitschig ist ein Euphemismus, und wenn du denkst, du müsstest nun bald dem Gipfel nahe sein, geht es wieder fast bis ins Tal hinunter. Ob du im Schlick ausrutschst oder von einem zurückfedernden Zweig eine Ohrfeige bekommst, ob du dir an einem kantigen Felsen das Knie blutig haust oder auf einem bemoosten Stein den Knöchel verstauchst, es gibt Hunderte von Möglichkeiten, deine Krankenkasse zu behelligen oder einen Rettungshubschrauber anzufordern. Ist übrigens als Option vorgesehen, der Guide hat die Notrufnummer auf seinem Handy, nur die Kosten musst du selber tragen. Uns reicht schon der Rucksack, die Kosten können wir nicht auch noch tragen. Also schleichen wir schneckenlangsam voran, und nach zwei ewig langen Stunden stehen wir endlich vor der Wand des Roraima. Ein Blick nach oben, den senkrechten Felsen hinauf, und wir wissen, dass der Tag noch lang und der Weg noch weit wird.

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Vorsicht Steinschlag!


Endlich regnet es doch noch.... denkst du, aber dann wirst du gewahr, dass der heftige Regen erstaunlich ortsfest ist. Ein Blick nach oben zeigt, dass dir ein Wasserfall aufs Haupt träuft, ja, was denn sonst! Und 48720 Tonnen Geröll weiter schüttet sich der nächste Bach über dir aus, aber da sind die letzten achthundert Meter bis zum Gipfel schon abzusehen. Sicher bist du schon mal über den Schotter auf alten Bahngleisen getappst. Stell dir vor, du wärst nur so groß wie eine Weinbergschnecke. Und dann stell dir vor, der ganze Bahndamm bestände aus aufgeschüttetem Schotter und du müsstest da raufkriechen. Dann kriegst du einen Eindruck von dem, was uns das letzte Wegstück abverlangte. Die Erosion....

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Von beiden Wasserfällen wirste berieselt


Der dritte Wasserfall, murmele ich, als es wieder losdrippelte, aber diesmal war es richtiger Regen. Wolkenfetzen hüllten uns ein, es wurde kalt, ich lugte zwischen Kapuze und beschlagener Brille auf Kas Hacken vor meiner Nase, und als wir irgendwann am Nachmittag oben anlangten, umwaberten uns die Nebel von Baskerville und ließen allerlei Hounds, Gespenster, Drachen und Saurier vor unseren verwunderten Augen auftauchen. Conan Doyle hatte anscheinend Recht, obwohl er nie hier gewesen ist....

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Urgetier im Roraima-Nebel


Andere Schimären hockten dicht aneinandergedrängt wie Fledermäuse unter Felsvorsprüngen, in gelbe, blaue und rote Plastikcapes gehüllt, winkten uns triefenden Nachzüglern freundlich zu und bedauerten, dass keine trockenen Plätze mehr frei seien für uns. Na schön, umso besser. Suchen wir uns unsere eigene Nische! Allzu lange darf die Pause aber nicht dauern, denn in den klammen Klamotten spürt man schnell, dass die Dusche in 2600 m Höhe durchaus nicht tropisch lau ist. Wo ist das nächste Hotel?

Oben auf dem Roraima ist es im Prinzip mehr oder weniger eben. Schließlich heißen die Tepuyes nicht ohne Grund "Tafelberge". Nur hat die Erosion in die Felsfläche jede Menge Dellen, Spalten, Schlünde und Höhlungen genagt, so dass es nirgends langweilig aussieht. Moderne Kunst... Irgendein Steinmetz hat hier Skulpturen geschliffen, mal im klassischen Akropolis-Stil, mal wie Rodin, mal wie Brancusi oder Gaudi, hier stehen alle Meisterwerke kunterbunt durcheinander im kühlen Nieselnebel. Auf irgendeinem Planeten mag es so aussehen wie hier, und wenn der Fels nicht schwarz, sondern rot wäre, würde ich meine neue, aber triefnasse Trekkinghose darauf verwetten, dass wir auf dem Mars spazieren gehen.

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Die Nebel von Roravalon Akropolis von Roraima UFO nach der Landung

Nach Erreichen des Plateaus ist es noch eine Stunde bis zum "Hotel", aber Vorsicht, bleib auf Sichtweite deiner Leute, denn in dieser Felswüste verlierst du sofort die Orientierung. Erstens hast du den Blick nach unten gesenkt, um nicht in Wasserlachen zu ersaufen, in Felsklüften zu verschwinden oder über halbfertige Skulpturen des unbekannten Künstlers zu stolpern, zweitens mag es zwar kurz mal aufklaren und die Nachmittagssonne zwischen den Wolkenfetzen hervorlugen, aber keine zehn Minuten später tappst du schon wieder durch milchigen Wolkennebel oder bekommst eine kalte Dusche aufs Haupt, und dein Weg mutiert in Minutenschnelle zu einem Wasserlauf, und drittens musst du, um halbwegs bequem voranzukommen, immer wieder um felsige Hindernisse herummäandern, kurzum, nach den ersten 300 Metern weißt du schon nicht mehr, wo der Nordpol und wo der Äquator ist. Aber die wenigen Blicke, die man für die Landschaft erübrigen kann, fallen auf eine gespenstisch-absurde Szenerie, man traut echt seinen Augen kaum. Was da so alles im Zwielicht herumsteht.... Ein gigantischer Polarbär? Eine Riesenschildkröte?

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Schildkröte und Bär


Als die Sonne den Zweikampf mit den Regenwolken gewinnt, erreichen wir das "Hotel". So nennt man einen Felsvorsprung, unter dem es so geräumig ist, dass bis zu 12 Zelte in der Nische Platz finden, regengeschützt, auf sandigem Untergrund. Und während die guten Pemón-Sherpas die Kohlköpfe zerschnippeln und unsere Hotelsuiten errichten, hocken wir geschlauchten Gringos mit nassen Klamotten und klammem Rödel zwischen riesigen Pfützen auf den Felsen ringsumher im schrägen Abendlicht und sind dankbar dafür, dass es noch ein wenig wärmt, denn hier oben weht ein arg kühles Lüftchen. Ich staune nicht schlecht, dass meine tofte Trekking-Hose in nur 20 Minuten praktisch trocken ist. Also Eric, ich gebe es zu, die Jeans wären nur mit einem Wäschetrockner so gut hinzukriegen, und den haben wir vergessen mitzunehmen...

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Roraima-Höhlenmenschen


Vom "Hotel" aus sind es nur knapp 100 Meter bis zum Rand des Plateaus, und ich sag dir, der Abendspaziergang zum Rand, bei böigem Wind, das war eine echte Mutprobe. Es ist sicher nicht ehrenrührig zu berichten, dass die Gringos sich nur auf allen Vieren kriechend dem Abgrund näherten, von dem es im freien Fall gut anderthalb Kilometer abwärts geht. Wer diese Direttissima für den Abstieg wählt, mag ruhmvoll ins Guinness-Buch der Rekorde für den schnellsten Roraima-Abstieg gelangen, dürfte jedoch anschließend kaum noch in der Lage sein, seinen Namen in selbigem Buch zu lesen.

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...... und unter uns nur noch die Wolken


Wenn nach dem Abendessen im Taschenlampenfunzelschein die Lampen zweck Batterieschonung erlöschen, funkeln über uns und unter uns die Sterne. Unter uns? Muss ja wohl ein Druckfehler sein. Oder es funkelt was anderes. Mach mal die Funzel an, was blinkert denn da? Ja, wenn du den Halogenstrahler auf den Boden richtest, blinkert nichts mehr, aber es krabbeln winzige Würmchen über die Felswände: Phosphorwürmchen, und wenn das Licht wieder aus ist, leuchten sie wieder. Und dann eine SEHR kühle Nacht, kurz zusammengefasst: Zeltplatz perfekt, Wetter fetzig, im Tal rumpelt ein Gewitter, hier jagt der Sturm Wolkenfetzen übers Plateau, Wuthering heights. Um halb 9 schon haben sich alle in die warmen Schlafsäcke verkrochen.

Ja gibt's das denn? Klarer Himmel, Windstille und Sonnenschein am Morgen! Ein kurzer Gang zum nahen Abgrund zeigt, dass die Wolken zwar alle da sind, aber unterhalb der Bergwand festhängen. Ein Tag wie geschaffen zum Erkunden des Plateaus.

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Vorsicht, der Abgrund (links) ist nah!


Auch bei Tageslicht und Sonnenschein ist der "Weg" nicht gerade einfach. Von Wegen kann ohnedies keine Rede sein, und so watscheln wir notgezwungen hinter dem Guide drein wie die Entenküken hinter ihrer Mama, du weißt ja, Mondlandschaft, Fallgruben, keine Wegweiser, keine Bushaltestellen oder Fußgängerampeln, die Orientierung ist schwiehihierig. Als erstes besuchen wir das Bergkristall, das an manchen Stellen aus dem Boden wächst. Die erste Begegnung mit Bergkristall seit dem Gymnasium, haben sie dich auch mit Adalbert Stifter geplagt? Dann findet sich ein Ikebana-Tal, in dem so eine Art Miniatur Angkor Wat als Insel aus einem Tümpel ragt, da war wohl wieder der anonyme, humorige Tepuy-Steinmetz am Werk.

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Wer sich nicht für Steinerlei interessiert und auch an Skulpturen wenig Gefallen findet, der kann sich ja mal in der Flora und Fauna umsehen. Alle die Biester und Gespenster vom gestrigen Nachmittag sind verschwunden, keine Saurier und keine Drachen, aber ein paar liebliche Blümelein und ein Kohlkopf sind zu entdecken. Der Kohl ist freilich ungenießbar, es ist ein Steinkohl, aus dem Präkambrium vielleicht, aber pass auf und lass dich nicht vom Frank versteinkohlen. Dafür präsentiert er dir das riesigste Landtier, das auf dem Tepuy heimisch ist, eine 2 cm große schwarze Unke, nein wirklich, ich will dich nicht verunken! Irgendwer hat herausgefunden, dass alle Lurche und Unken hier oben schwarz sind, wollen wir da wieder mal ein
Quiz draus machen? Okay, also, die Preisfrage: Warum gibt es hier nur schwarze Reptilien?

Vor der Auflösung steht, wie immer, was zum Angucken.

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Fleischfressende Pflanze Steinkohl Schwarzunke


In Wirklichkeit ist Schwarz bei den Tepuy-Bewohnern in dieser Saison gerade in Mode :-).

Also, Ernst beiseite, ich will dich nicht länger zum Narren halten, b) ist die richtige Antwort. Wie alle Reptilien brauchen die Unken ausreichend Wärme, aber hier ist es ganzjährig bei Sonnenschein höchstens 18, nachts und bei Wolkennebelregen aber nur um die 7 Grad warm. Das ist nichts für die Puripuri, die warten unten alle ungeduldig auf unsere Rückkehr.

Bevor die deutlich aufquellenden Wolken dem Plateau erneut seine übliche geisterhafte Nachmittag-Atmosphäre bescheren, finden wir ein hübsches Swimming-Pool, und wer heißgelaufen und abgehärtet ist, darf dem Beispiel Moses' folgen und sich hineinstürzen. Er sollte aber darauf achten, dass der Abfluss eng genug ist, damit er nicht durchgesaugt und als Wasserfall-Einlage zu Tal gespült wird.

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El foso Bad Roraima


Die ganz Unentwegten wollen noch den höchsten Punkt des Roraima, einen etwa weitere 250 Meter aufragenden Felsenknubbel, besteigen und das Dreiländereck Brasilien, Venezuela und Guyana erwandern, das von hier aus etwa 4 km entfernt auf dem Plateau markiert ist. Der Guide bringt uns, die müderen Teilnehmer, in die Nähe des "Hotels", auf dass sich niemand verirre, und zischt dann mit den wackeren Wanderern ab, während wir, kühner geworden, vom Felsrand die Beine ins Weltall baumeln lassen und nach der kalten Nachmittagsdusche die letzten Abendsonnenstrahlen genießen, bevor auch diese von wabernden Wolken verschlungen werden.

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Ende der Expedition

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O Täler weit, o Höhen....

 

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