Ach so, ich sollte noch erzählen, was man als
Autofahrer hier so für seinen Sprit bezahlen muss, das
interessiert dich als deutschen Verbraucher sicherlich. Benzin
gibt es nämlich auch in OPEC-Ländern nicht umsonst, und die
wenigen Autobahnen in Venezuela sind mautpflichtig. Da siehst du
mal, wie gut es die Deutschen (noch) haben, die immer so gern
jammern. Also, fangen wir bei der Autobahn an, da kostet die Maut
per PKW 50 Bolívares, das sind 2½ Eurocents, und um einen
Allrad-Toyota vollzutanken, musst du gar umgerechnet 2,50 Euro
aufwenden. Für den Preis, den du in Deutschland beim Tanken
berappst, kannste im ölhaltigen Venezuela die ganze Tankstelle
kaufen. Na schön, es gibt zweierlei Trost: 1.
ist die Lüneburger Heide noch nicht exploriert worden, wer
weiß, wie viel Petroleum da unter dem Sand gluckert, und 2. sind auch Venezuelas Vorräte in 50 Jahren erschöpft,
da müssen die Venezolaner dann wieder ihre handgeschnitzten
Boote rudern und auf hohem Ross wie weiland Simón Bolívar über
die Autobahn reiten, oder, volkstümlicher, auf dem Billigmodell
Esel.
Manche Leute üben schon mal |
Noch fließt aber der Sprit zum Glück, denn
ich hätte wenig Lust gehabt, auf einem Esel von Canaima nach
Santa Elena zu gelangen. Wie du weißt, ist in Canaima wenigstens
der Flugplatz zu Fuß zu erreichen, und es ist gut, dass wir
zeitig da waren, denn um 10 vor 10 landete eine Cessna, und ein
Typ in Jeans und Buschhemd kletterte raus, kam übers Flugfeld
geschlendert, rauchte eine Zigarette und rief dann, ob jemand mit
nach Santa Elena wolle. Pünktlich wie unser guter José warf er
den Rotor an, und wer auch nur zwei Minuten zu spät zum Airport
kommt, sieht von dem Lufttaxi nur noch die Schwanzflosse.
Santa Elena ist eine staubige Kleinstadt an der
brasilianischen Grenze. Die Landstraße nach Manaus ist älter
als die Landstraße nach Caracas, und um ehrlich zu sein, die
Chaussee von Caracas nach Sta. Elena, einer alten
Goldgräbersiedlung im hintersten Südost-Winkel von Venezuela,
die gabs früher gar nicht. Die ist nämlich erst vor Kurzem
fertig geworden. Beim Stichwort "brasilianische Grenze"
denkst du jetzt sicher an Urwald und Amazonen, aber rings um Sta.
Elena erstreckt sich die Sabana Grande, die weite Savanne, aus
der wie die Pilze allenthalben die Tepuyes ragen, die schon
erwähnten Tafelberge. Und auf einen von diesen Tafelbergen
wollen wir raufklettern.
Savanne und Tafelberg von oben |
Deshalb hocken wir jetzt bei Eric auf der
Couch. Nein, nein, nicht dass du jetzt denkst, wegen der
Schnapsidee, im Urlaub auf Tafelberge raufzukraxeln, hätte man
uns zum Psychiater gebracht. Der Eric ist kein Dokter, sondern
die Nummer 3 oder 4 der Germanen-Stafette, die uns durch
Venezuela spediert, urdeutsch trotz des schicken "c" in
seinem skandinavischen Vornamen.
"Du willst doch nicht etwa in Jeans auf den Roraima steigen!?", begrüßt er mich. "Geh auf den Markt und kauf dir ne Trekking-Hose, du wirst unterwegs und auf dem Berg ziemlich nass."
Ach, lieber Eric, was sind wir hier schon nass geworden, und die Jeans habens überlebt. Aber gegen einen Preußen kommste nicht an. Der ist imstande und lässt dich in Sta. Elena versauern, wenn du ihm nicht den Gefallen tust und eine Trekking-Hose kaufst. Und außerdem.......könnte er ja auch Recht haben. Da oben auf dem Roraima soll es ziemlich kühl sein, und wenn man da im Zelt übernachtet und in nassen Jeans in den Schlafsack kriecht, kann das ziemlich ungemütlich werden.
Zelt, Trekking-Moden und Schlafsack, so eine
himalayische Expeditionsausrüstung haben wir natürlich nicht in
die Tropen mitgeschleppt. Deshalb haben wir ja auch den Eric
auserwählt, der stellt nämlich derlei Zubehör, mit Ausnahme
der Wanderhosen, allen Mitläufern zur Verfügung; Miete und
Trägerlohn sind im Preis der Tour enthalten. Wir sind deshalb
auch vollkommen verwöhnt und lassen uns wie Neckermann-Urlauber
in eine Herberge Erics Wahl chauffieren, anstatt uns wie früher
selbst um Unterkunft zu kümmern, und ich sag dir, das ist echt
bequem, die Planerei und das Management anderen zu überlassen
und sich nur in einen Savannen-4-WD-Toyota mit Rallye-Lampen und
zünftigen Schlammspritzern zu hocken und dann abzuwarten, wo man
dann eigentlich hingekarrt wird.
Hussa, ein Ritt durch die Savanne |
Also, die venezolanischen Frauen sind echt attraktiv. Nichts gegen die deutschen Mädels, die sollen hier auch mal gepriesen werden, wie sie mit ihren labberigen Sackhosen über den klobigen Siebenmeilenstiefeln, den Nutella-Röllchen um Po und Hüfte und shampoofreien Wuselfrisuren um das käsige Gesicht auf Mitbürger aus Albanien und Sri Lanka so unwiderstehlich wirken. Aber kein Land hat halt mehr Miss Worlds produziert als Venezuela, und wenn du mal gesehen hast, wie elegant diese schlanken Girls ihre dezent geschminkten schwarzen Glutaugen rollen, unterm knappen Top ihre vollen Brüste schwenken, ihre gepflegten langen Haare flattern und ihre runden Popos in hautengen Jeans wackeln lassen, dann kapierst du schnell, warum nicht nur Volker und Eric, sondern noch unzählige andere deutsche Männer hier an venezolanischen Ehefrauen hängen geblieben sind und mit der gesamten Verwandtschaft der Gattin als zuverlässige Helfer einen Bisness aufziehen. Für die Globetrotter sind solche Partner unentbehrlich, denn was einige wenige Venezolaner an touristischen Aktivitäten offerieren, erfordert oft viel Geduld und Nerven. Natürlich will man seinen Zaster dem darbenden Volk und nicht den eingeheirateten Ausländern zugute kommen lassen. Der direkteste Weg deines Geldes zum darbenden Volk ist, es dir von Taschendieben aus dem Säckel zupfen zu lassen, aber diese Methode ist bei Weltreisenden eigentlich weniger beliebt. Also tröstet man sich damit, dass die eingeplackten Gringos mit unseren Dollars einen Rattenschwanz von Einheimischen miternähren, Arbeitsplätze schaffen und die lokale Konjunktur am Brümmeln halten.
Während dieser philosophischen Kopfarbeit
rumpelt der hoch bepackte Allradwagen auf dem staubigen Dorfanger
von Paraitepuy aus und bleibt schnaufend stehen. Dass die Straße
hier zu Ende ist, wird auch dem Laien klar, denn ringsumher ist
nur wellige Wiese. Den Rest des Weges muss man zu Fuß gehen.
Tja, und das tun wir, was bleibt uns denn anderes übrig?
In PARAITEPUY beginnt der Trail |
In weiter, weiter Ferne stößt der höchste
aller Tepuyes an die Wolken. Warum haben wir uns keinen kleineren
ausgesucht? Leider verfügt nur der Roraima mit seinen 2600 m
Durchschnittshöhe über einen Aufstieg, den auch ein Frank
Eschersheimer ohne Lebensversicherung und alpinistisches Gerät
besteigen kann. Und wenn der Frank das kann, dann kannst du das
auch. Dabei haben sich an diesem Tafelberg schon etliche Leute
die Zähne ausgebissen und die Knochen ruiniert. 1838 stand der
erste deutsche Tourist am Fuß des Berges und rätselte
vergebens, wie er da raufkommen könnte. Erst 1884 fand jemand
den Aufstieg, über den heute täglich etwa 20 Abenteurer das
Plateau erkraxeln. Bis dahin hatte die unbekannte Bergwelt nur
die Fantasie der Leute bewegt, und Conan Doyle, der Erfinder des
Dr. Watson aus der Detektei S. Holmes, bevölkerte in seinem
Roman "The lost world" den Roraima à la Loch Ness mit
andernorts ausgestorbenen Sauriern und sonstigen wasserdichten
Ungeheuern.
Von hier aus ist's noch ziemlich weit |
Bei den Indígenos vom Stamme der Pemón, die
diese Gegend bewohnen, heißt "Roraima" so viel wie
"der Ursprung des Wassers", und da sind wir wieder bei
meiner Trekking-Hose, die alles andere als billig war. Heute
wurde sie aber nicht nass, denn wenn du bei deinem Savannenmarsch
mal wirklich einer Dusche bedarfst, dann streikt die himmlische
Brause. Wir hätten mit dem Boot fahren sollen, aber Kunststück,
in der Savanne. Das einzige, was uns unterwegs begegnete, war
eine Klapperschlange, die aber noch gut in Schuss war, weshalb
sie auch nicht klapperte, sondern nur verwundert guckte, was all
die Gringos an ihr so interessant finden mochten. Als ich ihr
sagte "Es klapperten
die Klapperschlangen, bis ihre Klappern schlapper klangen", war sie so vergrätzt, dass sie sich in die Büsche
schlug und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Ich konnte ja nicht
ahnen, dass so ein venezolanisches Reptil Deutsch kapiert. Bei
meinen Studenten sind solche Talente jedenfalls äußerst rar.
Ach, lass deine blöden Witze, von wegen "liegt allein am
Lehrer"! Hör lieber auf den Ratschlag eines alten Harung
mit Erfahrung: Wenn dich mal ein Krokodil oder ein Hai
verschlingt, musst du blitzschnell einen Schüttelreim aufsagen,
dann lässt das Biest verschüttelt von dir ab.
Notfalls packt er auch deinen Rucksack noch oben drauf |
Nach zehn Kilometern Gepäckmarsch versank die
Nachmittagssonne hinter den sieben Hügeln, und die Rucksäcke
plumpsten auf den lehmigen Platz des ersten Camps, wo unsere
braven Sherpas, die riesige Kiepen voller Campingrödel,
Konserven und Kohlköpfen geschultert hatten, für uns die Zelte
aufbauten und das Abendessen vorbereiteten, und wir fraßen wie
die Scheunendrescher, damit die Jungs täglich weniger schleppen
müssen.
"WIR", das sind elf Gringos aus der
ganzen Welt, zwei Polen, drei Briten, je ein Israeli, Spanier und
Franzose, zwei Germanen inclusive Frank Eschersheimer und eine
taffe Japanerin, aber zum Glück keine deutschen Frauen, denn die
hätten mich nach dem obigen galanten Diskurs über die Reize
deutscher Beauties garantiert als Frauenfeind gelyncht. Dabei
hatte ich, als ich das schrieb, nicht dich oder deine Freundin,
sondern jemand ganz anders im Sinn, eine junge Dame, deren
Vorzüge ich leichtsinnigerweise verallgemeinert habe.
Hoffentlich regnet's in der Nacht nicht ! |
Im Gegenteil, der Kukenan Tepuy sonnt sich vor makellosem Himmel |
Es ist echt Klasse, dass gleich neben dem Camp
ein munterer Fluss durch die Savanne gluckert, denn eine
Badewanne gibt's nicht in der weiten Prärie. Und das Gewässer
ist breit, sauber und tief genug zum Baden, nur musste dich gut
festhalten, denn es hat eine starke Strömung. Das Johlen am
Abend, als alle müden Wandersleut sich prustend nass spritzten,
wiederholte sich am andern Morgen, als wir marschbereit mit
Rucksäcken und Trekking-Tretern vor demselben Gewässer standen
und erst jetzt merkten, dass der Weg am andern Ufer weitergeht.
Wer eine Brücke oder Fähre benötigt, muss sie selber
mitbringen. Es hilft nichts, wir müssen nochmal baden und
zusehen, dass wir unseren Rödel trocken auf die andere Seite
schaffen. So viel Solidarität, dass die Männer eine Stafette
bilden und alles Gepäck und die Ka rüberreichen, hatte
unser bunt zusammengewürfelter Haufen nicht, oder es kam einfach
niemand auf die Idee. Jeder sah zu, wie er rüberkam, und
darüber verging eine gute Stunde. Und wenn du den Rio Tek
glücklich überwunden hast, dauert es nur eine halbe Stunde, bis
du vor dem Rio Kukenan stehst, eine Nummer größer, tiefer und
breiter als der vorige Rio, und glaub bloß nicht, dass es da
einen Steg oder Fährmann gegeben hätte. Nur ein Haus, vor dem
eine India Fladen aus Kassavamehl backt. Aber da trat Moses in
Aktion. Nicht der alte Moses, der damals das Rote Meer
trockengelegt hatte, bis seine Trekking-Kameraden auf die
Halbinsel Sinai gelangten, sondern unser Mitläufer aus Israel
mit seinem flotten Cowboy-Hut. Während ich noch wartete, ob er
uns wie sein Urahn den Kukenan austrocknet, schnappte er sich
Kazukos Rucksack und durchschritt damit die Fluten wie weiland
Sankt Christophorus. Es gibt doch noch Gentlemen auf der Welt.
Es hilft nichts, da muss man durch |
Und jetzt erzähl ich dir, was Jejenes oder
Puripuri sind, damit du mir nach deiner Venezuela-Reise nicht
sagst, ich hätte dich nur vor Klapperschlangen gewarnt, die
eigentlichen Fährnisse des Gepäckmarschs durch die Savanne aber
verschwiegen. Auf Deutsch nennt man diese blutrünstigen
Flugvampire wohl Sandfliegen, aber das verharmlost die Realität. Die Biester sind
weder aus Sand noch fliegen sie fort, wenn man sie höflich dazu auffordert,
sondern sie schlürfen unersättlich nur Gringo-Blut. Es ist
ungerecht, dass sie sich in pirañagleichen Rudeln auf alle deine
entblößten Stellen stürzen, auf Hände, Ohren, Hals und
Nacken, die Indígenos aber verschonen. Vermutlich ist weiße
oder sonnenbrandrote Haut leichter zu zernagen. Beim Marschieren
bist du in Bewegung und hast obendrein all deine Blößen mit
Insekten-Repellent und Sonnencreme versiegelt, aber beim
Striptease zur zweimaligen Flussüberquerung stürzen sich diese
Kamikaze-Monster auf jeden Fetzen Haut, und du hast die Wahl,
dich entweder aufs Fliegenklatschen oder aufs Flussüberqueren zu
konzentrieren. Und ein Schüttelreim auf "Puripuri"
fiel mir auf die Schnelle auch nicht ein. Dass solche Biester auf
Deutsch Sandfliegen heißen, habe ich leider erst nach der Reise erfahren.
Aber da war es schon zu spät, denn "über die lästigen Sandfliegen, da muss man auf
See und au fLand siegen". Dabei sind
diese Teufel so winzig, dass du ihnen die Grausamkeit, dir einen
Fetzen Haut abzuzupfen und einen Biss zu verpassen, der eine
Woche später noch juckt und erst nach zwei oder drei Wochen als
schorfiger Pickel endet, kaum zutraust geschweige denn heimzahlen
kannst. Wovon die in solchen Myriaden in ihrer Savanne leben,
wenn mal keine Gringos unterwegs sind, ist mir ein Rätsel. Und
warum lassen sie die Indígenos in Ruhe?
"Uns kennen die schon", antwortet einer von unseren ansonsten eher wortkargen Begleitern, und der zweite fügt grinsend hinzu: "Schließlich bringen wir ihnen täglich frische Gringos."
Teuflisch, sag ich dir.
Die Puripuri sind zur Mittagspause ebenfalls hungrig |
Die zweite Flussdurchquerung war vorerst die
letzte Abkühlung. Nachdem es bisher getreulich jeden Nachmittag
eine kostenlose Dusche gegeben hatte, zweifele ich inzwischen an
Erics Prophezeiungen. Keine Wolke verschafft uns Kühlung, und
nur da, wo es unerwünscht ist, wird man nass, dank zahlreicher
Sümpfe und Moraste. Schuhe braunschwarz, Socken klitschnass,
während die Savanne sich immer stärker aufwärts wölbt und von
erodierten Felsbrocken aller denkbaren Formen und Dimensionen übersät ist.
Auf dem Roraima oder dem benachbarten Kukenan, da haust wohl ein
Polyphem und schmeißt ab und zu mit Murmeln nach den Gringos?
An diesem zweiten Wandertag knacken allmählich die Waden, und
wer kein gutes Schuhwerk hat, muss seine Blasen zupflastern. Und
dann kannst du dich zum Mittagessen aus Krautsalat und
Hühnersuppe nur auf kantige Klötzer hocken, auf dass dir auch
noch das Hinterteil wehtut, während die frechen Puripuri dir ins
Hemde kriechen und sogar an sicher geglaubten Stellen
blutrünstig zu rüsseln und zu stochern beginnen... Ach,
ungezählt sind des Trekkers Freuden....
Bisher waren wir immer mit dem Tross an den Zielpunkten angelangt, aber allmählich lässt Kazukos Energie nach. So hatte sie sich ihren Urlaub ja nicht vorgestellt. Und außerdem hatte es gestern Abend dermaßen lange gedauert, bis die Zelte aufgebaut waren und das Nachtmahl aufgetischt wurde, dass sie sich zu Recht sagte, es sei kein Nachteil, unsere dauerbafelnden Mitläufer außer Hörweite ziehen zu lassen und erst lange nach den weit ausschreitenden, langbeinigen Polen und Briten am Ziel einzutreffen. Verlaufen kann man sich nicht, denn erstens kann man den Roraima inzwischen nicht mehr übersehen, und zweitens ist kein andrer Weg vorhanden.
Gleich hinter dem Basecamp II ragt der Roraima auf |
Kurzum, am Abend waren wir erstmals -und fortan
immer- die Allerletzten, die im Camp eintrafen und im eiskalten
Bach den Schweiß der Tagesmüh abwuschen, eine knappe Stunde
hinter den andern, und kamen trotzdem noch viel zu früh zum
Dinner an. Gut, dass die Zelte wasserdicht sind, denn in der
Nacht war der nahe Roraima damit beschäftigt, Wolken
auszuwringen.
Vom Camp aus kann man am Morgen gut erkennen,
dass es nur noch steiler werden kann. In ihrer japanischen
Naivität fragte Ka nach dem Sessellift, aber der ist noch
nicht einmal in Planung. Mann, in Japan hätte man schon einen
Aufzug in den Felsen gebohrt. Wirklich erstaunlich, dass die
Ausländer sich alles so schwer machen, wenn es doch auch
leichter ginge. Fahren in Autos mit Gangschaltung, wie sie in
Japan zuletzt vor 70 Jahren gesichtet wurden, obwohl sie doch
selber die Automatik erfunden haben, und frieren sich im Winter
auf unbeheizten Klobrillen den Unterleib ab.... Aber brechen wir
auf, zu Fuß auf den Roraima, heute ist der Tag, vor dem es Ka
schon lange gegraut hat.
Hier geht's hoch |
Der Weg lässt keine Wünsche offen. Alle
Grausamkeiten, von denen Trekker schwärmen, werden bereit
gehalten. Steil ist kein Ausdruck, glitschig ist ein Euphemismus,
und wenn du denkst, du müsstest nun bald dem Gipfel nahe sein,
geht es wieder fast bis ins Tal hinunter. Ob du im Schlick
ausrutschst oder von einem zurückfedernden Zweig eine Ohrfeige
bekommst, ob du dir an einem kantigen Felsen das Knie blutig
haust oder auf einem bemoosten Stein den Knöchel verstauchst, es
gibt Hunderte von Möglichkeiten, deine Krankenkasse zu
behelligen oder einen Rettungshubschrauber anzufordern. Ist
übrigens als Option vorgesehen, der Guide hat die Notrufnummer
auf seinem Handy, nur die Kosten musst du selber tragen. Uns
reicht schon der Rucksack, die Kosten können wir nicht auch noch
tragen. Also schleichen wir schneckenlangsam voran, und nach zwei
ewig langen Stunden stehen wir endlich vor der Wand des Roraima.
Ein Blick nach oben, den senkrechten Felsen hinauf, und wir
wissen, dass der Tag noch lang und der Weg noch weit wird.
Vorsicht Steinschlag! |
Endlich regnet es doch noch.... denkst du, aber
dann wirst du gewahr, dass der heftige Regen erstaunlich ortsfest
ist. Ein Blick nach oben zeigt, dass dir ein Wasserfall aufs
Haupt träuft, ja, was denn sonst! Und 48720 Tonnen Geröll weiter
schüttet sich der nächste Bach über dir aus, aber da sind die
letzten achthundert Meter bis zum Gipfel schon abzusehen. Sicher
bist du schon mal über den Schotter auf alten Bahngleisen
getappst. Stell dir vor, du wärst nur so groß wie eine
Weinbergschnecke. Und dann stell dir vor, der ganze Bahndamm
bestände aus aufgeschüttetem Schotter und du müsstest da
raufkriechen. Dann kriegst du einen Eindruck von dem, was uns das
letzte Wegstück abverlangte. Die Erosion....
Von beiden Wasserfällen wirste berieselt |
Der dritte Wasserfall, murmele ich, als es
wieder losdrippelte, aber diesmal war es richtiger Regen.
Wolkenfetzen hüllten uns ein, es wurde kalt, ich lugte zwischen
Kapuze und beschlagener Brille auf Kas Hacken vor meiner Nase,
und als wir irgendwann am Nachmittag oben anlangten, umwaberten
uns die Nebel von Baskerville und ließen allerlei Hounds,
Gespenster, Drachen und Saurier vor unseren verwunderten Augen
auftauchen. Conan Doyle hatte anscheinend Recht, obwohl er nie
hier gewesen ist....
Urgetier im Roraima-Nebel |
Andere Schimären hockten dicht
aneinandergedrängt wie Fledermäuse unter Felsvorsprüngen, in
gelbe, blaue und rote Plastikcapes gehüllt, winkten uns
triefenden Nachzüglern freundlich zu und bedauerten, dass keine
trockenen Plätze mehr frei seien für uns. Na schön, umso
besser. Suchen wir uns unsere eigene Nische! Allzu lange darf
die Pause aber nicht dauern, denn in den klammen Klamotten spürt
man schnell, dass die Dusche in 2600 m Höhe durchaus nicht
tropisch lau ist. Wo ist das nächste Hotel?
Oben auf dem Roraima ist es im Prinzip mehr
oder weniger eben. Schließlich heißen die Tepuyes nicht ohne
Grund "Tafelberge". Nur hat die Erosion in die
Felsfläche jede Menge Dellen, Spalten, Schlünde und Höhlungen
genagt, so dass es nirgends langweilig aussieht. Moderne Kunst...
Irgendein Steinmetz hat hier Skulpturen geschliffen, mal im
klassischen Akropolis-Stil, mal wie Rodin, mal wie Brancusi oder
Gaudi, hier stehen alle Meisterwerke kunterbunt durcheinander im
kühlen Nieselnebel. Auf irgendeinem Planeten mag es so aussehen
wie hier, und wenn der Fels nicht schwarz, sondern rot wäre,
würde ich meine neue, aber triefnasse Trekkinghose darauf
verwetten, dass wir auf dem Mars spazieren gehen.
Die Nebel von Roravalon | Akropolis von Roraima | UFO nach der Landung |
Schildkröte und Bär |
Als die Sonne den Zweikampf mit den Regenwolken
gewinnt, erreichen wir das "Hotel". So nennt man einen
Felsvorsprung, unter dem es so geräumig ist, dass bis zu 12
Zelte in der Nische Platz finden, regengeschützt, auf sandigem
Untergrund. Und während die guten Pemón-Sherpas die Kohlköpfe
zerschnippeln und unsere Hotelsuiten errichten, hocken wir
geschlauchten Gringos mit nassen Klamotten und klammem Rödel
zwischen riesigen Pfützen auf den Felsen ringsumher im schrägen
Abendlicht und sind dankbar dafür, dass es noch ein wenig
wärmt, denn hier oben weht ein arg kühles Lüftchen. Ich staune
nicht schlecht, dass meine tofte Trekking-Hose in nur 20 Minuten
praktisch trocken ist. Also Eric, ich gebe es zu, die Jeans
wären nur mit einem Wäschetrockner so gut hinzukriegen, und den
haben wir vergessen mitzunehmen...
Roraima-Höhlenmenschen |
Vom "Hotel" aus sind es nur knapp 100
Meter bis zum Rand des Plateaus, und ich sag dir, der
Abendspaziergang zum Rand, bei böigem Wind, das war eine echte
Mutprobe. Es ist sicher nicht ehrenrührig zu berichten, dass die
Gringos sich nur auf allen Vieren kriechend dem Abgrund
näherten, von dem es im freien Fall gut anderthalb Kilometer abwärts
geht. Wer diese Direttissima für den Abstieg wählt, mag
ruhmvoll ins Guinness-Buch der Rekorde für den schnellsten
Roraima-Abstieg gelangen, dürfte jedoch anschließend kaum noch
in der Lage sein, seinen Namen in selbigem Buch zu lesen.
...... und unter uns nur noch die Wolken |
Wenn nach dem
Abendessen im
Taschenlampenfunzelschein die Lampen zweck Batterieschonung
erlöschen, funkeln über uns und unter uns die Sterne. Unter
uns? Muss ja wohl ein Druckfehler sein. Oder es funkelt was anderes.
Mach mal die Funzel an, was blinkert denn da? Ja, wenn du den
Halogenstrahler auf den Boden richtest, blinkert nichts mehr,
aber es krabbeln winzige Würmchen über die Felswände:
Phosphorwürmchen, und wenn das Licht wieder aus ist, leuchten
sie wieder. Und dann eine SEHR kühle Nacht, kurz
zusammengefasst: Zeltplatz perfekt, Wetter fetzig, im Tal rumpelt
ein Gewitter, hier jagt der Sturm Wolkenfetzen übers Plateau,
Wuthering heights. Um halb 9 schon haben sich alle in die warmen
Schlafsäcke verkrochen.
Ja gibt's das denn? Klarer Himmel, Windstille
und Sonnenschein am Morgen! Ein kurzer Gang zum nahen Abgrund
zeigt, dass die Wolken zwar alle da sind, aber unterhalb der
Bergwand festhängen. Ein Tag wie geschaffen zum Erkunden des
Plateaus.
Vorsicht, der Abgrund (links) ist nah! |
Auch bei Tageslicht und Sonnenschein ist der
"Weg" nicht gerade einfach. Von Wegen kann ohnedies
keine Rede sein, und so watscheln wir notgezwungen hinter dem
Guide drein wie die Entenküken hinter ihrer Mama, du weißt ja,
Mondlandschaft, Fallgruben, keine Wegweiser, keine
Bushaltestellen oder Fußgängerampeln, die Orientierung ist
schwiehihierig. Als erstes besuchen wir das Bergkristall, das an
manchen Stellen aus dem Boden wächst. Die erste Begegnung mit
Bergkristall seit dem Gymnasium, haben sie dich auch mit Adalbert
Stifter geplagt? Dann findet sich ein Ikebana-Tal, in dem so
eine Art Miniatur Angkor Wat als Insel aus einem Tümpel ragt, da
war wohl wieder der anonyme, humorige Tepuy-Steinmetz am Werk.
"Bergkristall" von Tepuy Roraima, bei Amazon bestellen! | Angkor Wat en miniature |
Wer sich nicht für Steinerlei interessiert und
auch an Skulpturen wenig Gefallen findet, der kann sich ja mal in
der Flora und Fauna umsehen. Alle die Biester und Gespenster vom
gestrigen Nachmittag sind verschwunden, keine Saurier und keine
Drachen, aber ein paar liebliche Blümelein und ein Kohlkopf sind
zu entdecken. Der Kohl ist freilich ungenießbar, es ist ein
Steinkohl, aus dem Präkambrium vielleicht, aber pass auf und
lass dich nicht vom Frank versteinkohlen. Dafür präsentiert er
dir das riesigste Landtier, das auf dem Tepuy heimisch ist, eine
2 cm große schwarze Unke, nein wirklich, ich will dich nicht
verunken! Irgendwer hat herausgefunden, dass alle Lurche und
Unken hier oben schwarz sind, wollen wir da wieder mal ein Quiz draus machen? Okay, also, die Preisfrage: Warum gibt
es hier nur schwarze Reptilien?
Vor der Auflösung steht, wie immer, was zum
Angucken.
Fleischfressende Pflanze | Steinkohl | Schwarzunke |
In Wirklichkeit ist Schwarz bei den
Tepuy-Bewohnern in dieser Saison gerade in Mode :-).
Also, Ernst beiseite, ich will dich nicht länger zum Narren halten, b) ist die richtige Antwort. Wie alle Reptilien brauchen die Unken ausreichend Wärme, aber hier ist es ganzjährig bei Sonnenschein höchstens 18, nachts und bei Wolkennebelregen aber nur um die 7 Grad warm. Das ist nichts für die Puripuri, die warten unten alle ungeduldig auf unsere Rückkehr.
Bevor die deutlich aufquellenden Wolken dem
Plateau erneut seine übliche geisterhafte Nachmittag-Atmosphäre
bescheren, finden wir ein hübsches Swimming-Pool, und wer
heißgelaufen und abgehärtet ist, darf dem Beispiel Moses'
folgen und sich hineinstürzen. Er sollte aber darauf achten,
dass der Abfluss eng genug ist, damit er nicht durchgesaugt und
als Wasserfall-Einlage zu Tal gespült wird.
El foso | Bad Roraima |
Die ganz Unentwegten wollen noch den höchsten
Punkt des Roraima, einen etwa weitere 250 Meter aufragenden
Felsenknubbel, besteigen und das Dreiländereck Brasilien,
Venezuela und Guyana erwandern, das von hier aus etwa 4 km
entfernt auf dem Plateau markiert ist. Der Guide bringt uns, die
müderen Teilnehmer, in die Nähe des "Hotels", auf
dass sich niemand verirre, und zischt dann mit den wackeren
Wanderern ab, während wir, kühner geworden, vom Felsrand die
Beine ins Weltall baumeln lassen und nach der kalten
Nachmittagsdusche die letzten Abendsonnenstrahlen genießen,
bevor auch diese von wabernden Wolken verschlungen werden.
Ende der Expedition |
O Täler weit, o Höhen.... |