Der Wegweiser leitet dich
leider in die Irre wie so viele andere Wegweiser auch. Nach
Caracas kommst du in diesem Kapitel jedenfalls noch lange nicht,
aber leg dich in die Hängematte und stell dir eine Piña Colada
in Reichweite, ist doch auch ganz gut, oder?
Eigentlich ist es genau die falsche Reihenfolge, zuerst am Poolrand zu hocken und Cocktails zu süffeln, und erst ganz zum Schluss durch Dschungel, Savanne und reißende Flüsse, über Felsgeröll und unter Wasserfällen hindurch auf wolkenhohe Berge zu kraxeln und sich von gierigen Stechmücken ausnuckeln zu lassen. Aber so hat es der Terminkalender gewollt, denn wir können unseren zweiten Südamerika-Besuch leider nicht über die geplanten drei Wochen hinausdehnen, nur um die rationalere Reihenfolge einzuhalten.
Von Nippon aus ist Südamerika so weit weg wie Melbourne von Oberhausen. Also, ich hab's heut echt mit Oberhausen, nimm mir's nicht krumm. Nicht dass du jetzt denkst, ich stamme aus Oberhausen. Nichts gegen Oberhausen, aber wie kann man nur aus Oberhausen stammen! Das mit dem Oberhausen erzähl ich dir nur, damit du kapierst, warum wir uns über 16 Stunden lang den Popo wund gesessen haben in den engen Sitzen der Billigklasse von Continental Airlines. Das ist eine der wenigen US-Fluggesellschaften, die noch nicht Pleite gemacht haben, und ich erzähl dir auch, warum. Die Verpflegung ist nämlich noch unter Aeroflot-Niveau, die Pursers gehören eigentlich ins Altersheim, und für jedes Bierchen kassiert die Crew 5 Dollars. Wie der Zufall es wollte, waren die Passagiere dieses Fluges jedoch allesamt Abstinenzler und schlürften 16 Stunden lang nur Cola und Fanta, als wären sie auf der Pilgerfahrt nach Mekka.
Aber untersteh dich, Mekka zu erwähnen, wenn du in Houston aussteigst, und sei es nur zum Umsteigen. Auch alle Transit-Paxe werden erkennungsdienstlich behandelt, seit die USA Ausländer generell als potentielle Terroristen betrachten, und jetzt sammelnse da die Fingerabdrücke der ganzen Menschheit. Wenn ich mal was ausgefressen habe und im demokratischen Europa nicht zu fassen bin, stehen alle biometrischen Daten des Frank Eschersheimer beim CIA zum Download bereit. Man muss das aber positiv sehen. Stell dir vor, ich will mir mal wieder neue Jeans kaufen und hab meine Größe in Inches vergessen. Da genügt ein Anruf beim CIA, die wissen das alles, ist doch ganz praktisch. Wegen dieser Allüren der Schönen Neuen Welt hätten wir beinahe den Anschlussflug verpasst, oder vielleicht lag es auch am Immigration Officer, der uns fragte, wohin wir denn weiterfliegen. Als ehrliche Haut sage ich also "Caracas" und wäre beinahe nach Guantánamo spediert worden, denn der Mensch witterte gleich Al Qaida.
"Karatschi? Moment mal, da müssen wir einen Sicherheitscheck durchführen!"
Mannomann, wo hast du Geographie gelernt? Ich fliege doch nicht von Tokyo aus nach Houston, um von da aus mit Karatscho nach Karatschi weiterzudüsen! So hirnlos sind noch nicht mal die irren Al Qaidianer. Ich hätte vielleicht doch besser "Mekka" gesagt, da wäre dem Burschen vielleicht Mexico eingefallen.
"Caracas, Caracas, Caracas, Venezuela, Venezuela!", machte ich dem Herrn González lautstark klar, bevor er sich anschickte, zur Leibesvisitation zu schreiten. Seinem Namen nach sollte er eigentlich von Caracas mehr verstehen als von Karatschi. Jedenfalls entgingen wir einem strengen Verhör, denn ihm fiel offenbar doch noch ein, dass Venezuela in Westafrika liegt.
Schließlich kamen wir hin, nach Venezuela, aber die Lichter, die uns am späten Abend von den Hügeln rund um den Airport bei der Landung empfingen, gehörten weder zu Karatschi noch zu Westafrika, ja nicht einmal zu den Vororten von Caracas, sondern zu Maiquetía, einem kleinen Hafenstädtchen, das außer dem Airport keine besondere Attraktion aufweist und von Caracas rund 30 km entfernt ist.
In Caracas hab ich noch keinen
Business, denn ich bin zum Ferienmachen hier und will nicht in
den Krieg ziehen. Diese Stadt mit der vierthöchsten
Kriminalitätsrate des Erdenballs heben wir uns für später auf
und übernachten in einem kleinen Hotel in Strandnähe in Macuto,
ca. 15 km östlich von Maiquetía.
Bar des Hotels Santiago in Macuto am Morgen |
Ich hab zwar gesagt, dass
Maiquetía keine besondere Attraktion aufweist, aber am nächsten
Tag waren wir schon wieder da. Aus der ersten Übernachtung haben
wir nämlich gelernt, dass in Venezuela im Hotelpreis generell
kein Frühstück enthalten ist, dass die Sandwiches und Omeletts
in der Hotelbar etwa genauso viel kosten wie auf den
Champs-Elysées, und dass man außer Dollars, Euros, Nuggets und
Erdöl nirgends keine Währung nicht umtauschen kann, es sei denn
im Airport. Dort stopfe ich mir die Taschen voll mit der
inflationären, vielnulligen Landeswährung Bolívares, als wäre
ich auf dem Rückweg von einem Banküberfall, aber ich hab halt
vorwiegend Yens im Säckel und kaum Greenbacks oder Euros. Und
meine Nuggets hab ich auch vergessen mitzubringen. Natürlich
sind wir nicht allein zum Geldwechseln zum Flugplatz
zurückgerauscht, sondern haben dort noch eine andere Kleinigkeit
zu erledigen, nämlich den Flug nach Carúpano, wo das eingangs
erwähnte Pool und die Cocktails auf uns warteten.
Woät is se bick aträckschen of Carúpano?, willste jetzt wissen. Kann ich ja verstehen, denn bis vor vierzehn Tagen habe ich den Namen dieser auspuffrußigen Kleinstadt auch nicht gekannt. Also, Time machine, 14 Tage zurück: Ich hocke vor dem PC und klicke mich durch Südamerika wegen dieser urigen Tafelberge, und da stolpere ich über eine Website, die allerlei Treks und Touren in Venezuela präsentiert. Da gibt's auch einen Link zum Webmaster, einem gewissen Volker, der aber auf Anfragen nur dann reagiert, wenn man in seiner Posada in Carúpano auch Übernachtungen bucht. Da es uns im Prinzip egal war, wo wir die ersten Tage bis zum Beginn unserer Expeditionen verbringen, setzt unser 20-sitziger Lufthüpper (mit nur sechs Reisenden an Bord) nun auf dem Rollfeld von Carúpano auf, wo eine freundliche Lady uns mit einem antiken Chevvy abholt, um uns in Volkers Posada zu spedieren.
Da hocken wir also am Pool,
schaukeln in einer Hängematte, nuckeln Ronpon (Rum Punch, der
erste Drink auf Kosten des Hauses,) und hören dem Rauschen der
Palmwedel und dem Klackern der Billardkugeln zu, als wären wir
zu drei Wochen Mallorca verurteilt worden. Dolce vita, bis nach
dem 30-minütigen Tropenguss am späten Nachmittag die ersten
Mosquitos ihrem Beruf nachzugehen beginnen.
Palmen und Hängematte - Volkers gepflegte, hübsche Posada |
Von wegen Mallorca... Schon am
nächsten Morgen begann der Ernst des Urlaubs. Da hatten nämlich
zwei Gäste José, den Chauffeur der Posada, zu einem Ausflug
angeheuert und waren froh, uns dazu bewegen zu können, auch noch
mitzufahren. Je mehr Leute, desto billiger, das ist bemerkenswert
logisch, im Gegensatz zur deutschen U-Bahn, wo du in der
Hauptverkehrszeit für das Vergnügen, sardinenhaft eingekeilt
transportiert zu werden, erheblich mehr zahlst als für einen
ganzen leeren Waggon gegen Mitternacht. Aber stimmt, das hat mit
Carúpano so viel zu tun wie Oberhausen mit Melbourne, da hast du
ganz Recht, und ich will mich ja als Auslandsdeutscher auch nicht
in die deutsche Kommunalpolitik einmischen.
Also, der José, der fährt heute vier Leute, zwei aus Chemnitz, zwei aus Tokyo -nicht aus Oberhausen!- mit seinem Toyota in den Turúepano-Nationalpark. Tolle Straßen, sag ich dir! Von Südamerika kannte ich bisher nur die Knochenbrecherpisten von Perú, aber hier sind zu meiner angenehmen Überraschung alle größeren Straßen asphaltiert und erstaunlich gut in Schuss. Unterwegs im Auto ist Deutsch und Sächsisch die Umgangssprache, und als dem guten José die Tüte mit den Sandwiches aus der Hand rutschte und auf den öligen Asphalt knallte, merkten wir, dass auch er über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügen musste, die er uns jedoch zumeist verheimlichte. Jedenfalls kommentierte er den Lapsus laut und deutlich mit dem deutschen Standard-Argument "Scheiße", als hätte er im Goethe-Institut Deutsch studiert.
Ziel der Fahrt durch linde Berglandschaft ist der Caño de Ajíes, wo man sich in einem motorisierten Einbaum durch luschige Wasserstraßen tuckern lässt. Mit viel Glück sieht man da unterwegs Flussdelfine, Affen, Krokodile, Drachen und Säbelzahntiger, aber wir hatten zwar gutes Wetter, aber wenig Glück und trafen nur ein paar Reiher, einen roten Ibis und eine Kolonie Fledermäuse zu Hause an. Nicht mal ein Alligator wollte uns verschlingen. Aber eine Bootsfahrt mit kühlem Flusswind ist immer ganz angenehm, bis der Bootsmensch in einen stillen Seitenarm reintuckert und den Yamaha ausknipst, vermutlich auf der Suche nach einer Affenherde. Leider trafen wir dort nur auf eine nicht sonderlich exotische Mosquitoherde, und die Naturstille wurde vom Nahen des täglichen Tropenplatzregens unterbrochen, nun ja, man ist ja nicht aus Zucker. Du musst dich in dieser Jahreszeit (Mitte August) in dieser Region Venezuelas daran gewöhnen, dass der tägliche Regenschauer ebenso zuverlässig kommt wie der tägliche Stromausfall, nur mit dem Unterschied, dass der Regen sich, im Gegensatz zum Blackout, an feste Zeiten hält und dich bis zum frühen Nachmittag nicht behelligt.
Oberlauf des Neckars oder ein Rio in der venezolanischen Provinz Sucre ? |
Bis dahin war's ganz schön,
und nach dem Aussteigen schmeckten uns die Sandwiches und das
venezolanische Nationalgetränk Coca Cola, das dich bis in den
tiefsten Urwald verfolgt und unausweichlicher ist als das gute
Polar-Bier mit dem schnuckeligen Eisbär drauf. Das hatte José
zwar auch in der Kühlbox, aber da ich tagsüber auf Alkohol
verzichte, musste sich der junge Chemnitzer den ganzen Vorrat
alleine einverleiben, was er freilich nicht ungern tat. Das dicke
Ende kam gegen Ende der Tour, als sich das Allrad-Gefährt über
naturnahe Pfade voranmahlte und schließlich in einer schlammigen
Senke stehen blieb.
"Bis zum Wasserfall sind
es nur 20 Minuten zu Fuß", sagte José, und aus dem Gehölz
erschien wie bestellt ein junger Einheimischer -vermutlich war er
wirklich bestellt- als Guide, obwohl es eigentlich nur einen Weg
gab, dem man folgen konnte. Jetzt darfst du dir venezolanische
Fußwege nicht wie die deutschen Wanderwege im Westerwald
vorstellen, blauer Strich auf weißem Grund und so, sonst hätte
ich kein dickes Ende angekündigt. Jedenfalls versickert der
tägliche Regen nur teilweise im Boden, der dort lehmiger Natur
ist. Sehr fruchtbar, aber beim Betreten von quarkhafter
Konsistenz. Oder wie wenn du durch einen noch ungebackenen
Pizzateig marschierst, haste das mal versucht? Ich hab nur
Strandlatschen aus Gummi an, denn dass da ein Schlamm-Trekking
mit auf dem Plan steht, hab ich mir nicht träumen lassen. Ka
ist seit Papua New Guinea gegen die Freuden des Dschungelwanderns
immun, und wenn die Strecke länger als die angekündigten 20
Minuten gedauert hätte, wäre sie im Toyota neben der
Zweiliter-Colabottel sitzen geblieben und hätte der Gefährtin
des Chemnitzer Biervertilgers, die sich auch ohne Bier den Magen
verdorben hatte, Gesellschaft geleistet. Schon aus dem zweiten
schmatzenden Schlammloch konnte ich die Gummisandalen -zugegeben,
sie hatten schon ziemlich viele Jährchen auf den Sohlen-
jedenfalls nur noch als nicht-recycling-fähigen Müll
herausziehen und setzte die Wanderung barfuß fort. Anders als in
den Urwäldern Ozeaniens lauern hier wenigstens keine Blutegel im
Morast. Zweimal wechselten wir die Seite des launig gluckernden
Flüssleins, das wir die ganze Zeit entlang gewatschelt waren,
das heißt, wir mussten an zwei Stellen mittenmang durchtappsen.
Da wurden die Barfüße wieder sauber und die Jeans bis zu den
Knien nass, aber wir sind ja noch nicht am Ende. Am Ende, das ist
noch ein Stück weiter oben, wo das Flüsslein nicht gluckert,
sondern vernehmlich rauscht, denn es fällt fotogen über ein
paar Felsen herab. Weshalb der Wasserfall "El gato"
(der Kater) heißt, weiß ich nicht, denn Kater sind in aller
Regel wasserscheu. Das Tosen verstärkte sich noch, denn just
hier überfiel uns der heutige Tropenschauer, und ich sag dir,
lange platschert es zwar meist nicht, aber was da in einer halben
Stunde so runterkommt, lässt den Wasserfall-Kater beinahe vor
Neid erbleichen und würde sogar in London für den gesamten
August ausreichen. Die Jeans, im Fluss mühsam oberhalb der Knie
trocken gehalten, waren jetzt reif für den Schleudergang, und
die vorsichtshalber am Leib mitgeführten Flugtickets und
Geldscheine waren reif für die Wäscheleine.
Wer im Tropenguss steht, kann sich seinen Kater auch erschwimmen |
Der Guide fand den Regen
einladend, und weil er ohnehin nass wurde und außer seinen
Bermuda-Shorts und Gummistiefeln nichts mit sich führte, schwamm
er den Rest des Weges zu dem Katerfall. Hätte ich auch gemacht,
wenn du mal so lange meinen Reisepass gehalten hättest. Und die
Uhr, die Kamera, das Geld, die Flugtickets.... erstaunlich, was
man als Gringo so alles durch die Pampa schleppt! Aber ohne Pass
zur Hand wirste ja gleich verhaftet. An jeder Chaussee gibt es
Kontrollpunkte, damit die Armee mangels äußerer Feinde was zu
tun hat und nicht auf dumme Gedanken kommt wie anderswo in
Lateinamerika, und wenn die Jungs mal nicht der Siesta pflegen,
können sie jederzeit auf die Idee kommen, deinen Pass zu
kontrollieren. Könnte ja sein, -obwohl die Wahrscheinlichkeit
eher gering ist, aber könnte ja sein,- dass du als Agier von Tokyo via
Herrn González in Houston bis in das Dorf El Rincón tief in der
Provinz Sucre gelangt bist und nun am Checkpoint als subversives
Element oder als Drogenkurier (falls das im Reisepass als
Berufsangabe drinsteht) entlarvt wirst. Da ist ein nasser Pass
immer noch besser als gar keiner.
Übrigens, QUIZ ! : Was ist ein Agier ? Weißt du nicht? Schwer von Begriff! - Das ist ein Passagier ohne Pass.
Pardon, pardon! Ich verspreche es ja, keine öden Kalauer mehr in einem seriösen Reisebericht!
Wir haben den Kater also am
Abend hinter uns, und der biersüchtige Zeitgenosse aus Chemnitz
hat ihn noch vor sich. Uns schmeckte das Bier aber zu den
kreolischen Leckereien, die es in der Posada auf Vorbestellung
und zu annehmbaren Preisen gibt, von einheimischen Damen, die
sich bestens auf den Umgang mit Kochlöffel und Pfanne verstehen,
in einer palmwedelgedeckten Laube auf die Minute pünktlich
serviert.
Langostinos criollos con arroz y ensalada |
Am nächsten Tag wollten uns
andere Mitbewohner schon wieder zu einer Fahrt überreden, als
seien wir professionelle Reisebegleiter. "Eine ganz tolle,
verwegene Dschungeltour". Ka fuhr auf wie von der
Tarantel gebissen. "Dschungeltour - nein danke!"
Na ja, wer kann es ihr nach all den Dschungeltouren verdenken, die sie schon erduldet und überlebt hat! Volker gibt sich alle erdenkliche Mühe.
"So einen Urwaldtrip muss man echt mal erlebt haben, das ist eine Erinnerung fürs ganze Leben!"
Recht hat er, unsere letzten
Dschungeltrips stecken uns noch wie ein Nagel im Gedächtnis, und
genau deswegen tapern wir heute nur im Umkreis von 500 Metern
umher, wo es garantiert keinen Dschungel gibt. Café will
mitkommen, Coco folgt ihm auf den Fersen, und mit etwas Abstand
auch Solera. Wer die drei großen Hunde der Posada auf derlei
katholische Namen getauft hat, ist mir unbekannt, aber nachdem
zwei Mitbewohner gestern am menschenleeren Privatstrand von einem
jungen Strolch, der durch die Büsche geschlichen kam, den
Rucksack samt Kamera und Pässen geklaut bekommen hatten, sind
wir ganz dankbar, von drei stämmigen Bodyguards der Marke
Schäferhund behütet zu werden.
Coco, Café und Kazuko, im Hintergrund die schüchterne Solera |
Da alle Tiere bis hin zu den
Mosquitos der Ka treu ergeben sind, folgen auch die drei Bellos
ihr anhänglich auf allen Wegen entlang des Sandstrandes von El
Copey. Nur in die Stadt am andern Morgen, da nehmen wir sie nicht
mit. In der Posada ist nämlich Schatten und gute Luft, während
Carúpano sich an diesem wolkenlosen Tag von seiner sonnigsten
und smogigsten Seite präsentiert, bis wir uns ausgedörrt und
knusprig braun gegrillt in ein Taxi retten und die vier Kilometer
zur Posada und zum heutigen Daiquirí zurückrattern. In
Carúpano gibt's nicht viel zu sehen, der Markt ist chaotisch und
endlos, die Stadt ist chaotisch, abgasduftig und staubig, und um
nicht ganz umsonst gekommen zu sein, -Ka wollte ja eigentlich
ein gemütliches Restaurant finden, gab die Hoffnung aber schnell
auf- kauften wir uns Schuhe fürs kommende Trekking und andere
nützliche Kleinigkeiten, die hier geringfügig billiger sind als
in Tokyo. Zu unserem Erstaunen fanden wir im Zentrum des Ortes
vor der Kirche aber einen Platz mit schattigen Bäumen, eine der
wenigen Stellen von Carúpano, die zum Verweilen laden.
Die dicksten Fische des Fischmarkts von Carúpano :-) |
Wenn José auftaucht, ist auch
sein Toyota und die nächste Tour nicht weit. Pünktlich wie eine
Kuckucksuhr und zuverlässig wie ein TÜV-geprüftes Kondom,
also, der José ist geeignet, alle Vorurteile über die lässigen
Südamerikaner vergessen zu lassen. Und wenn du miterlebt hast,
wie er auf der schmalen Chaussee, als hinter dem auf der
Gegenfahrbahn haltenden LKW plötzlich eine Limousine
hervorkroch, bei gut 90 Sachen auf dem Tacho mit einem coolen
Schlenker durch die Botanik den eigentlich unvermeidlichen
Frontalzusammenstoß doch noch vermieden hat, bist du bereit, ihm
auch als Pistenpiloten hohe Qualitäten zu attestieren.
Mit von der Partie waren wieder zwei Deutsche, Sebastian und Birgit, die beiden, denen vorgestern der Rucksack gemopst worden war. Nicht dass du jetzt glaubst, in Volkers Posada würden nur Germanen zugelassen. Aber häufen tun sie sich da schon, das lässt sich nicht leugnen. Dass sich das Paar während der Fahrt alle 2 Minuten und 14 Sekunden küsste (wohl weil der 14. 2. der Valentinstag ist), kannste ihnen schlecht verdenken, denn sie befinden sich auf Hochzeitsreise, ¡felicitaciones! Und dann saß noch eine venezolanische Abiturientin mit im Wagen, so gertenschlank, dass manch eine Verkäuferin vom Fischmarkt in Carúpano da fast neidisch werden möchte, die 17jährige Beatriz mit dem typisch südamerikanischen Nachnamen Müller; ihr Papa hatte ihr den Ausflug zum höchsten Wasserfall der Welt zum Abitur geschenkt. Am Morgen hatte er sie in die Posada gebracht und die Mitreisenden gebeten, gut auf sein Töchterlein während ihrer ersten Solo-Reise aufzupassen.
Luftiges Zweizimmer-Appartement im Grünen mit Swimmingpool und Motoryacht |
José macht tüchtig Fahrt,
denn der Weg ist weit. Nach Maturín und einer Pinkelpause
verschnaufte der Toyota im Schatten alter Bäume an einem
Flüsschen, wo wir schon wieder in einen motorisierten Einbaum
gesetzt und drei Kilometer flussauf und drei Kilometer flussab
geschippert wurden. Keine Alligatoren, keine Delfine oder Pirañas.
Dafür leben hier Indígenos, wie man die venezolanischen Indios
nennt, in luftigen Cabañas, die auf Pfähle in ihre
Wasserleitung hineingebaut sind, und da man in diesen Breiten
nahe am Äquator zum Glücklichsein nur ein Palmwedeldach und
eine Hängematte braucht, nehmen wir mal an, dass die Leute vom
Volke der Warao hier damit zufrieden sind, dass die meisten
OPEC-Dollars in den Taschen einiger Clans in Caracas versickern.
Aber ich wollte mich ja aus der Kommunalpolitik raushalten...
Also sprechen wir über die Technik venezolanischer Außenbordmotoren. Oder darüber, dass es dem Einbaumpiloten hinterher lieber gewesen wäre, uns zuerst flussabwärts und danach flussaufwärts verschifft zu haben. Aber da war es schon zu spät. Denn wenn der Motor absäuft und sich weder durch Streicheln noch durch Auf- und Zuklappen, gutes Zureden und Voodoo zu Überstunden bewegen lässt und nur ein sehr kleines Steuerruder als Hilfsgerät für Notfälle vorhanden ist, wäre auch uns ein gemütliches Zurücktreiben mit der Strömung wesentlich willkommener gewesen als ein wildes Anrudern gegen die Strömung, die stärker war als ich dachte. Als dem guten Indígeno, der sich die Seele aus dem Leib ruderte, das Hemd auf der schweißnassen Haut klebte, unterbrach Sebastian seinen Honeymoon-Kussrhythmus und nahm ihm die Kelle aus der Hand, und auch ich versuchte mich später in dieser olympischen Disziplin, aber unsere untrainiert amateurhaften Versuche waren eher kontraproduktiv, 5 Meter in einer Viertelstunde. Ka murmelte halblaut und auf Japanisch, dass sie den Indígenos dringend zu Außenbordern der Marke Yamaha rate, aber dafür benötigen sie wohl doch Petrodollars, womit wir schon wieder bei der Politik angelangt sind, es ist wie verhext.
Als ich während des
Tropengusses, der uns schon wieder wehrlos auf einer Bootsfahrt
erwischte, kopfrechnenderweise zu dem Ergebnis kam, dass wir bei
gleich bleibendem Tempo und nicht erlahmender Kraft des armen
Ruderers gegen 23:48 Uhr zum Ausgangspunkt zurückkehren würden,
kamen fremde Leute, ein älteres Warao-Paar, in der gleichen
Richtung den Fluss heraufgetuckert und nahmen uns bis zum Hafen
in den Schlepptau. Ich sag dir ja, wer das Abenteuer sucht, der
findet's auch. Nur auswählen kannste dir's nicht.
Den Rio säumt ein grüner Vorhang |
Da lob ich mir den guten
Toyota, auf japanische Produkte ist Verlass. Wenn der Fahrer
pinkeln geht und du versuchst, die Tür aufzumachen, jodelt er
los wie Michael Jackson. Es klingt wie eine Daddelhalle, in der
außerdem noch Computerspiele, eine Rettungswagen-Sirene und
"O Tannenbaum" gleichzeitig ertönen, und das ist nur
die Alarmanlage. Die geht auch oft nach eigenem Ermessen los, und
du brauchst nur wenige Tage in Venezuela zu sein, schon kennst du
die Abfolge der überirdischen Töne fast auswendig, denn alle
Vehikel machen das gleiche Spektakel, wenn man sie nur scharf
anguckt. Aber absaufen tut er nicht, Josés ganzer Stolz, made in
Japan. Wenn er seine flotte Fahrt urplötzlich verlangsamt, liegt
wieder ein schlafender Polizist auf der Fahrbahn. Das meine ich
natürlich nicht wörtlich, aber du kennst doch diese
Asphalthüppel in den Wohnvierteln mit Tempo 30, die nennt man
hier "schlafende Polizisten". Und die Leute am
Straßenrand, die mit dem Verkauf ihrer Schnitzereien, Papayas,
Torones (Kokosflocken-Sweets) und Halskettchen an die ihnen
zustehenden Petrodollars kommen wollen, sind nicht faul und bauen
aus aufgeschlitzten Gummipneus, an einem Seil über die Fahrbahn
gezogen, künstliche Hindernisse, damit die motorisierte
potentielle Kundschaft vor den Verkaufsständen schön abbremst
und das Warenangebot nicht übersieht. Und dann solltest du
wissen, dass nicht alle Venezolaner im 4-WD-Toyota durch den
Urwald kreuzen, sondern in ihrer Mehrzahl Vehikel chauffieren,
die noch nie das Wort TÜV vernommen haben und denen ein
mittelgroßes Schlagloch schon zum letalen Verhängnis werden
könnte, und diese Tatsache erhöht die Wirksamkeit der
Bremsschwellen noch erheblich.
Die nächste Inspektion ist nach weiteren 250.000 km fällig |
Die Fähre über den Orinoco
ist zum Glück geringfügig stabiler als die meisten Autos, die
sie über den breiten, trägen Fluss nach San Félix bringt. Wer
weiß, wieviel Petroleum noch aus Venezuela herausgepumpt werden
muss, bis die Einkünfte für eine Brücke reichen, aber die
Kapitäne der Flussfähren, die den gesamten Verkehr der großen
Landstraße über den kaffeebraunen Orinoco schuckeln, sind
dafür dankbar, dass die nächste Brücke erst in Ciudad Bolívar
steht, genauso dankbar wie die Schuhputz-Jungs, die während der
Überfahrt den gelangweilten Besitzern und Insassen der Autos das
Schuhwerk polieren.
Über den Orinoco |
Meine Gummisandalen wollte er auch polieren |
Um San Félix mach mal lieber
einen großen Bogen, es sei denn, du bist ein Liebhaber der hohen
Schlote der Aluminium-Industrie, die anscheinend alle Wolken ganz
Südamerikas produzieren und in den Nachmittaghimmel pusten. Zum
andern ist San Félix das Armenviertel der Stadt Ciudad Guayana,
und in Venezuela liegen die Armen nicht traurig in ihrer
Hängematte und beten zum heiligen Felix um einen Lottogewinn,
sondern sie holen sich ihre Plata persönlich ab, und zwar dort,
wo sie einen Überfluss davon vermuten. Als Tourist mit dem
Säckel voller feuchter Banknoten fährst du daher besser weiter
nach Puerto Ordaz, dem modernen Teil von Ciudad Guayana, wo nicht
nur Räuber und Pistoleros wohnen. Und außerdem verfügt dieser
Ort über etliche Attraktionen wie den Parque Cachamay, und sowas
hast du noch nicht gesehen. Also Parks, die haben wir auch in
Oberhausen, die kennst du ja, Rasen nicht betreten weil
Hundekot-verschissen, Kinder bitte an der Leine führen und nach
Gebrauch bitte in die Abfalleimer mit dem grünen Punkt usw....
Aber angenommen, du leitest die Ruhr so um, dass sie mittenmang
durch den Park fließt, woll, um die Holunderbüsche und die
Birken herum, dann kriegst du eine Ahnung vom Parque Cachamay.
Der Rio Caroní, der ein paar Kilometer weiter in den Orinoco
mündet, hat es sich nämlich in den Kopf gesetzt, über eine Art
Heide zu plätschern, bevor er sich nach ein paar Hopsern eine
Etage tiefer wieder sammelt und gesittet weiterfließt. Und der
Park ist so angelegt, dass du am späten Nachmittag, wenn du in
Josés Toyota da angebrümmelt kommst, Sicht und Licht ideal
finden wirst.
Flussheide im Parque Cachamay |
Noch eine gute Stunde bis
Ciudad Bolívar, wo wir in einer Posada, am Stadtrand im Grünen
versteckt, übernachten, und rate mal, aus welchem Land der
Geschäftsführer namens Peter stammt, der am andern Morgen die
Zeche kassiert.
Nein, falsch geraten. Peter ist ein britischer Gentleman.