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serengeti


Mit zunehmender Entfernung vom vulkanreichen Ngorongoro-Bergland wird die staubigheiße Piste allmählich etwas flacher und weniger kurvenreich. Die Vegetation ist Trockensavanne, sehr karg, ein wenig hartes, vertrocknet aussehendes Gras, vereinzelte Büsche und noch vereinzelter hier und da ein Baum. Man fragt sich, wie hier Rinderherden überleben können, aber auch das strohige Gras ist für die genügsamen Tiere als Nahrung willkommen. Wo sich in einer Senke ein Brunnen bohren lässt, sind Maasai-Frauen mit Eseln zur Stelle, und die geduldigen Grautiere tragen mit brackigem Wasser gefüllte, schwere Plastikkanister meilenweit unter der prallen Mittagssonne ins nächste Dorf.


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Die Lehmhütten der Dörfer sind in einem Kreis angeordnet, in dessen Mitte ein Verhau aus stacheligen Zweigen errichtet ist. Dort verbringen die Ziegen und Schafe die Nacht, einigermaßen sicher vor Leoparden, Löwen und Dämonen. Eine Hütte ist etwas größer als die andere, und fröhlicher Kinderlärm quillt durch die Binsenwände. Es ist die Schule, die in jedem Dorf obligatorisch ist, und ein(e) staatlich lizensierte(r) Lehrer(in) bringt den Kleinen Lesen, Schreiben, Rechnen, Swahili und Englisch bei. Wenn Besucher wie Frank sich im Dorf zeigen, versammeln sich alle anwesenden Bewohner, um das Anliegen des Gastes zu erfahren, wie es die Tradition vorschreibt, und um herauszufinden, wie man ihm ein paar Dollars abluchsen kann, wie es ihnen der Geschäftssinn eingibt.


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So bieten sie alle ihre handgefertigten Kettchen und Bänder und Ohrclips feil, und wer für das kostenlose Knipsen im Maasai-Dorf nichts von dem Tand kauft, sondern sich einfach aus dem Staub macht, den jede Windböe nebelgleich über das Dorf schüttet, gilt zu Recht als Geizkragen. Für Frank war das größte Rätsel, wie die Bewohner in diesem Staub, der in der Regenzeit zu tiefem Schlamm wird, stets in leuchtend bunte Gewänder gekleidet und mit allerlei Schmuck behängt, es schaffen, stets so proper und fotogen auszusehen. Guck dir das Foto nur genau an, der Graustich im Hintergrund, das ist der afrikanische Feinstaub.


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Nicht weit vor dem Beginn des NPs Serengeti liegt die Stelle, an der die ältesten je erblickten menschlichen Fußspuren gefunden worden sind. Auch heute noch wird dort gebuddelt, gepolkt und prähistorischer Elefantenkot analysiert, und von dem kleinen Museum auf der Anhöhe hat man einen schönen Blick auf die Wiege der Menschheit, die Olduvai-Senke, durch die vor 1,8 Millionen Jahren die ersten zotteligen hominiden Zweibeiner auf der vergeblichen Suche nach einem Supermarkt getrottet kamen.

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Es wird immer flacher, die Savanne geht in Steppe über, kein Baum, kein Strauch, und wenn man meint, das Ende der Welt sei nicht mehr fern, steht am Straßenrand ein Schild "Welcome to the SERENGETI NATIONAL PARK". Keine Schranke, kein Tor weit und breit, nur trockenes Gras bis zum Horizont. Und mittendurch führt die verkehrs- und staubreiche Piste, denn es ist die Hauptverkehrsader in Richtung Victoria-See. Und natürlich sind von und zum Serengeti-NP auch Massen von Safari-Vehikeln unterwegs. Irgendwann zeichnet sich am Horizont ein Hüppel ab, den die Piste erstaunlicherweise nicht zu umgehen sucht, sondern geradewegs ansteuert, und da ist es, das Tor, die Schranke und das Office, wo man den Eintrittspreis zu entrichten hat. Und mindestens 100 Landcruiser mit Safaritouristen, die ringsumher auf den Felsen hocken, in allen erdenklichen Idiomen brabbeln und den Inhalt ihrer Lunchboxes vertilgen. Wir halten's ebenso, denn Lesikar sagte, es könne über eine Stunde dauern, bis wir hier abgefertigt werden. Wie beim Einwohnermeldeamt.


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Wer noch nie das Wort Serengeti gehört hat, muss nach 1975 geboren sein. Davor, im guten alten deutschen Dampffernsehen, bestand Afrika eigentlich nur aus Serengeti, und es war der zuvor erwähnte Wildtier-Freak Dr. Grzimek, der, lange vor den Grünen, lautstark die Trommel für Artenschutz und Elfenbeinimportverbote rührte und auch nicht davor zurückschreckte, mit einem Bonobo aus dem Frankfurter Zoo auf dem Schoß im TV-Studio zu erscheinen. Das ist zwar längst Historie, aber in Franks Erinnerung klingt das Wort Serengeti nach Akazienwälder voller Leoparden, Baobab-Dschungel voller Elefanten und Savannen voller Giraffen. Aber was von diesem Felsenhügel aus ringsumher zu sehen ist, enttäuscht die Erwartungen: Endlose Steppe, platt wie ein Pfannkuchen, so weit das Auge reicht, mit einem staubigen Band mittendrin, der Landstraße zum Victoria-See und nach Nairobi.


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Es dauerte tatsächlich eine gute Stunde, bis wir wieder rollten. Zum Glück zogen einige Wolken auf, wodurch die Mittagshitze in dieser baumlosen Steppe erträglicher wurde, und dann bog Lesikar einfach ab von der Chaussee in die Botanik und steuerte auf einige Felsen zu, die im Westen sichtbar waren. Diese Dinger, die sich hier und da unmotiviert aus der flachen Landschaft erheben, werden aus irgendeinem Grund mit dem niederländischen Wort "koopjes" bezeichnet, es sind Basaltbrocken, die vor Jahrmillionen wie Köpfchen von Pilzen aus dem Boden gequollen und an der Oberfläche erstarrt sind. Hier finden wir einige größere Pfützen mit Wasservögeln und einen etwas sumpfigen Bach, der aber Wasser führte und große Mengen von Wasservögeln anzog.


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So eine schöne Wiese, meinst du jetzt, da möchte man nach Herzenslust drauflos spazieren. Aber lass dich von deinem Westerwald-Wanderinstinkt nicht einlullen, hier sind zwar keine Landminen vergraben, aber in der Prärie leben nicht nur bunte Vögel. 100 m weiter, an einer Furt, die wir gerade mit dem Toyota durchqueren wollten, kauerte eine Löwin und schlürfte lauwarmes, braunes Wasser, das sie vielleicht versehentlich für caffè latte hielt, während sich die Wolken verdichteten und in der Ferne als Regenschauer am Boden schleiften.
Im Norden ist ein lockeres Akazienwäldchen zu sehen, denn die Steppe ist doch noch in eine Art Gras-Savanne übergegangen, und es mehren sich wieder die Tiere, denen wir begegnen, Gazellen, Elefanten, Büffel, Straußen und Paviane.


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Unser Lager, so ähnlich wie das in Ngorongoro -und Ka ist ähnlich sauer- duckt sich unter die Bäume, die eine andere Gruppe von Koopjes säumten, und die Zelte stehen wie immer frei in der Steppe, die bald wieder in eine Art Grassavanne übergeht. Nur ein Mosquitonetz trennt uns von der Giraffenfamilie, die in etwa hundert Metern Entfernung am Laub der wenigen Bäume knabberte. Es fielen ein paar Tropfen, so dass nach dem Abendessen die allabendliche Bewunderung des einzigartigen, von keinem Streulicht behelligten Sternenhimmels heute ausfallen musste. Dafür brüllte in der Nacht ganz in der Nähe ein verärgerter Löwe, weil die Schöne von der Kaffee-Furt nicht zum Rendezvous erschien, und es war wesentlich wärmer als am nebligen Kraterrand in den vergangenen Nächten.


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Am Morgen steuern wir Seronera an, die Gegend im Zentrum des NPs, wo es endlich ein wenig nach NP aussieht. Hügelig wird es, mehr Bäume, höheres Gras, Bäche und Tümpel, sehr schön, aber du glaubst gar nicht, wie viele Safarimobile hier durch den Staub pflügen, und immer, wo es etwas zu sehen gibt, kumulieren sie zu wahren Staus, und wo immer sich zweie begegnen, tauschen die Fahrer Informationen aus, wo welche Viecher gesichtet worden sind. Schließlich wollen alle Touristen bittesehr Löwen, Leoparden und Säbelzahntiger im Kampf mit Brontosauriern und Drachen geliefert bekommen.
"Nahe an einem Tümpel soll ein fotogener Gepard sitzen", sagte Lesikar nach dem Gespräch mit einem Kollegen, der aus der Gegenrichtung kam. Raubtiere haben es nicht eilig, die hocken gerne mal eine Stunde auf dem selben Termitenhügel. Wir fahren hin, zehn Minuten, und tatsächlich, da hockte er noch. Das heißt, es war eigentlich eine SIE.


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Wir sahen gleich, dass es hier dramatisch werden könnte. Oben im Gras auf der Uferböschung die Gepardin, und unten am Wasser trank seelenruhig eine einsame kleine Gazelle.
"Wie kann ein Herdentier nur so doof sein, sich mutterseelenallein da herumzutreiben? Hat das Vieh denn keinen normalen Instinkt?", fragte Ka entgeistert, während die Gazelle hier und da am grünen Ufergras naschend Anstalten machte, die Böschung zu erklimmen, ausgerechnet da, wo die Gepardin lauerte. Als die Gazelle das Unheil bemerkte und in Panik die Flucht ergriff, hatte sie noch 20 Sekunden zu leben. Eine Gazelle schafft zwar 100 Stundenkilometer, Geparden aber 120. Der Unterschied ist nur die Ausdauer. Die Gazelle hält ihr Tempo 20 Minuten lang durch, Geparden sind nach einer knappen Minute schlapp. Aber die reicht, um mit den katzenhaft ausfahrbaren Krallen die Gazelle an den Hinterläufen zu erwischen und ihr die Sehnen zu durchtrennen. Das lahme Tier wird dann durch einen schnellen Biss in den Hals zur Mahlzeit der Großkatze.


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Die Gepardin zog ihre Beute die Böschung hoch und schleifte sie, nach einer langen Verschnaufpause, auf den Termitenhügel. Dann legte sie sich daneben und döste, rührte das tote Tier aber nicht an. Auf den Bäumen ringsumher ließen sich Geier nieder.
"Wenn sie jetzt nicht gleich zu fressen beginnt, kriegen die Geier und Hyänen das Fleisch. Sie vertreiben die Gepardin, und Geparden fressen kein Fleisch, das länger als eine Stunde tot ist."
"Wieso hat sie dann die Gazelle erlegt, wenn sie gar nicht hungrig ist?"
"Das ist der Jagdtrieb. Wie die Katzen, die sich im Garten Mäuse und Vögel auch bloß aus Daffke krallen. Wenn es eine Chance auf Beute gibt, nehmen Geparden sie wahr, ob sie hungrig sind oder nicht. Damit halten sie sich fit und in Übung, und außerdem besorgen sie auch noch den Hyänen, die nicht selbst jagen, die Nahrung."


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Eine halbe Stunde später wieder ein Rudel Safari-Jeeps. Was gibt's zu sehen? Oho, ein anderer Gepard, nah am Straßenrand. Jetzt überquert er seelenruhig die Straße und schnürt durchs hohe Gras auf einen Hügel zu. Und dort, kannst du es denn fassen, weidet schon wieder eine einzelne Gazelle. Also, ich habe Gazellen auf der gesamten Reise nur zweimal von der Herde entfernt gesehen, sonst stehen sie immer zusammen und schützen sich gegenseitig. Aber es gibt anscheinend auch bei den Gazellen Individuen, die eines Tages auf die Idee kommen, einfach mal auf eigene Faust durch die Savanne zu streifen. Ihr Leben ist dann allerdings keinen Pfifferling mehr wert, weshalb ich auch dir davon abrate, in afrikanischen Nationalparks spazieren zu gehen. Diesmal brauchte der sehr hungrige Gepard, durch das hohe Gras gedeckt und gegen die Windrichtung heranschleichend, nur 8 Sekunden, um aus der Gazelle Hackfleisch zu machen, und unter einem schattigen Baum verspeiste er sein Mittagsmahl.
"Da habt ihr aber Glück heute", sagte Lesikar. "Innerhalb einer Stunde zwei Jagdszenen live, das erlebt kaum je ein Tourist. Ich habe das selbst erst vier- oder fünfmal gesehen."


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"Hast du denn gar kein Mitleid mit der armen Gazelle?", fragt mich soeben einer der Leser. Ehrlich gesagt: Eher nein. Klar, es ist für einen der Empathie fähigen Menschen kein erhebendes Bild, mit anzusehen, wie eine anmutige, zierliche Gazelle mit ihren großen Steifftier-Augen und weichem Kraulefell überfallen und totgebissen wird. Aber erstens laufen im Serengeti Millionen von Gazellen rum, zweitens waren die beiden Opfer wirklich unfassbar dämlich und selbst an ihrem Schicksal schuld; sie benahmen sich so, als wollten sie sagen "bitte schön, friss mich", und drittens ist das eben die Natur. Auch die Gazelle hat ihre Chance, steinalt zu werden, sofern sie sich klug genug verhält. Falls man alle Gazellen schützen wollte, würden die Geparden verhungern, die vertragen nun mal kein vertrocknetes Gras. Und schließlich ernähren die Geparden, die den Rest liegen lassen, wenn sie satt sind, alle Geier, Schakale und Hyänen noch mit, die ebenfalls unabdingbar zur originären Fauna Ostafrikas gehören. Es gibt in unsrer Welt sogar Lebewesen, die ihre Beutetiere eigens mästen und nudeln, Steaks, Pastete und Wurst draus machen, ihnen die Muttermilch wegsaufen und ihre Eier stehlen und zu Omeletts und Sachertorte verarbeiten, und die wenigsten haben Mitleid mit den armen Opfertieren. 


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Auf einem Baum in der Nähe pennten einige Leoparden. Die sind tagsüber selten aktiv, sie jagen in der Dämmerung, morgens oder abends. Tagsüber lauern andere Jäger auf ihre Opfer, wir wurden schon wieder Zeugen eines Beutezuges. Als Lesikar an dem Pulk der Safarimobile bei dem Leopardenbaum vorbeizog, winkte ihm ein schwarzer Arm aus einem entgegenkommenden Vehikel heftig zu. Das war aber kein Kollege, der was zu vermelden hatte, sondern ein Wagen der Park-Ranger.
"Zeingse mal Ihrn Park-Schein", sagten sie, natürlich auf Swahili, aber das kapierst du ja nicht, weshalb ich es dir auf Ruhrpott wiedergebe. Lesikar zog seine Serengeti-Lizenz heraus. Die Ranger behielten sie einfach ein.
"Morng könnSese am Airstrip wieder krieng. Geng Bußgeld weng Valassens der Fahrbahn."


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Anderntags am Airstrip hält der Wachmann seine dunkelbraune Pfote auf und nennt eine stattliche Summe, gegen die er das wertvolle Dokument herausrücken würde. Lesikar schäumt.
"Diese Ganoven! Das 'Bußgeld' wandert bei denen zu 100% in die eigene Tasche. Das lass ich mir doch nicht bieten!"
Er rauschte zum nahen Office der Parkverwaltung, um den Fall zu melden, denn seiner Ansicht nach ist das Überholen einer Reihe von Vehikeln, die mitten auf der Piste Leoparden beäugen, kein verbotenes "Verlassen der Fahrbahn".
"Lieber bezahl ich im Office das Doppelte an Bußgeld als den Rangern Schmiergeld in die Tasche zu stopfen. Das ist auch im Sinne meiner Firma", sprühte er kampfeslustig, und nach einer endlosen Verhandlung im Office bekam er sein Dokument zurück, das ein offizieller Bote wohl vermutlich erst dem Airstrip-Wachmann, der mit der Ranger-Mafia zusammenarbeitet, entwinden musste.
Wir haben inzwischen Wildlife satt gesehen (aber noch nicht sattgesehen!) und noch mehr vor uns. So gönnen wir unserem kleinwüchsigen, aber kampflustigen Maasai-Krieger den Fight mit der Nationalpark-Mafia.


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