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mangoro


Und jetzt erzähle ich dir mal die Geschichte von einem kleinen Maasai-Jungen.
Es war einmal ein armes Maasai-Dorf, lauter Viehhirten, und da kam einmal im Jahr der Tierarzt, um die  Herden zu verarzten, Gesundheits-TÜV, kennst du ja. Und viele naseweise Buben gucken sich genau an, was der Onkel Doktor alles macht, und wer geschickt und intelligent ist, darf ihm seine Geräte tragen und ein bisschen mithelfen. Einer der Jungs war besonders helle, der Doktor meinte, es sei zu schade um ihn, wenn er Viehhirte würde. "Willst du später auch mal Arzt werden?", fragte er ihn. Der Steppke wollte, aber sein Papa nicht. Der kann sich nicht vorstellen, dass ein Maasai was anderes tut als Ziegen hüten. Außerdem hatte er kein Geld für die kostenpflichtige Hauptschule. Ein Jahr später, als der Junge in der Grundschule war, kam der Doktor wieder und bot dem Papa an, das Schulgeld für die Hauptschule aus eigener Tasche zu bezahlen und ihn bei sich in der Stadt wohnen zu lassen. Mama war Feuer und Flamme, der Bub sowieso, und weil er genug Brüder hatte, die alle noch Viehhirten werden konnten, willigte auch der Vater ein. Unser Junge büffelte eifrig Swahili, denn auf Maasai gibt es keinen Unterricht, war gut in der Hauptschule, aber noch vor dem Abschluss starb der Tierarzt, der Mäzen. Dem Jungen blieb nichts anderes übrig, als wieder ins Dorf zu gehen und Vieh zu hüten.


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Eines Tages lud ihn aber ein Freund, ein früherer Klassenkamerad von der Grundschule, in sein Elternhaus in der Stadt ein. Dessen wohlhabende Eltern rieten dem jungen Maasai, unbedingt den Hauptschulabschluss zu machen. Er könne bei ihnen wohnen und in der Firma des Gastvaters jobben, um sich sein Schulgeld zu verdienen. Diese Firma war im Tourismusgewerbe tätig, und zwei Jahre lang jobbte der Junge, lernte im Umgang mit den Touristen Englisch, und dann hatte er das Geld für weitere anderthalb Jahre Hauptschule zusammen. Für das letzte Halbjahr bekam er ein Begabtenstipendium der Schule und machte einen guten Abschluss. In Tanzania lernen die Jungen in der Hauptschule auch, wie man Autos repariert, Reifen wechselt, mit Windows umgeht und e-mails schreibt, wie elektrische Leitungen gelegt und Geräte angeschlossen werden. Mama war mächtig stolz auf ihren Teenager mit Hauptschulabschluss, die Verwandtschaft legte Geld zusammen, damit er den Führerschein machen konnte, und heute hat der einstige Maasai-Bengel Lesikar ein Fremdenführerdiplom und arbeitet an verantwortlicher Stelle bei einer der großen Safari-Firmen in Arusha. Das Geld, das er verdient, reicht, um die ganze Familie zu alimentieren, und obwohl er auf Messer und Spieß verzichtet, keine löcherigen Hängeohren hat und T-Shirt und Jeans trägt anstelle der Maasai-Tracht, nennt Papa seinen Filius jetzt "mein König", ein König, dessen Brüder bis heute Viehhirten sind. Und dass Schulbildung sich mitunter auszahlt, hat der Viehhirtenpapa mittlerweile auch gerafft.


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Das erzählte uns Lesikar, unser Chauffeur und Guide, auf der Fahrt zum nächsten Ziel, dem NP Manyara. Inzwischen hat er geheiratet, ein Mädchen aus einem anderen Stamm, das er in der Firma kennen gelernt hat, und sein Papa nimmt es hin angesichts des Dollarsegens, der aus Lesikars Tasche über seine Sippe rieselt.
Der Manyara-See erstreckt sich am Fuß des Great Rift Gebirges, das sich von Äthiopien her in Nordsüdrichtung durch ganz Ostafrika zieht. Es ist der Rand der Kontinentalplatte, die nach Osten driftet, während Westafrika nach Westen driftet, und eines Tages wird Ostafrika aufreißen wie ein Reißverschluss, und die Senke am Fuß des Gebirgszugs wird sich mit Meerwasser füllen --- in einigen Äonen. Vom Great Rift sprudelt ganzjährig viel Wasser, das sich zum Teil im Manyara-See sammelt, zum Teil aber auch als Fluss südwärts plätschert, und dieser Fluss befruchtet das Tal um die Stadt Mtowambu ("Mosquitofluss") und ernährt ihre Bewohner, die halb Tanzania mit Obst und Gemüse versorgen.


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Der See selbst ist salzig. Gelöste, stark mineralhaltige Sedimente haben den abflusslosen See dermaßen versalzen, dass in der Trockenzeit ein breiter Gürtel weißer Salzkristalle seinen Rand säumt, und nur Flamingos, die ohnehin Brackwasser mögen, picken in dem flachen Gewässer nach Krebsen und Schnecken, die sich von Salzen nicht beeindrucken lassen. Die Tiere des NPs laben sich an den Bächen und in den Tümpeln, die vom Berg herabgluckern und die Landschaft zu üppiger Dschungelvegetation bewässern, denn das ist natürlich bestes Süßwasser. Und in diesem Dschungel fühlen sich die Affen am wohlsten, hier gibt es drei Spezies, die Savannen-Äffchen, die allgegenwärtigen Paviane und die seltenen Blue Monkeys mit ihrem blauschwarzen Fell.


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Natürlich finden hier auch die anderen Tiere einen reich gedeckten Tisch vor. Aus dem Dickicht kommt eine Elefantenfamilie hervorgetrampelt und überquert seelenruhig die Piste, auf der zahlreiche Safarimobile anhalten, denn die Tiere haben im Park Vorfahrt, oder heißt das VorGANG? Mungos und Klippschliefer (schon mal gehört? Aber du hast ja grad den PC an, googel dich mal zu procavia capensis) wieseln durchs Gehölz, im Tümpel suhlt sich eine vielköpfige Herde Flusspferde, eine Affenhorde turnt durch ein Akazienwäldchen, dessen Bäume sich zum Schutz vor Elefantenbiss über und über mit langen, spitzen Stacheln bewehrt haben, es nutzt nur leider nichts. Die Affen springen so munter über die Äste, als seien die Dornen stumpf, und die Elefanten kauen das stachlichte Zeugs, als sei es besonders schmackhaft.
Eine sehr junge Impala-Antilope verirrt sich zwischen die Landcruiser und findet die Herde nicht mehr. Da ertönt ein eigenartiger Laut aus dem dunklen Tann: Das Muttertier ruft nach dem Kind! Sofort hüpft das kleine Tier in die Richtung des Blökens und findet gleich wieder seine Mama, die dort ungeachtet möglicher Gefahren besorgt wartete.


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Die Unterkunft, ein Lodge wie gestern, wahrscheinlich vom selben Architekten, liegt auf dem Great Rift, mit atemberaubender Sicht über Tal und See. Obwohl hier das Land des Iraqw-Stammes ist, sind auch in diesem Lodge wieder Maasai als Gardisten und Gepäckträger zugange, und die Touristen logieren in ihren Zelthütten in einem Luxus, von dem die Bauern in den Dörfern der Umgebung nur träumen können. Die holprigen Pisten auf dem Boden aus roter Erde sind staubtrocken, und die Iraqw, die hier oben auf dem Great Rift Landwirtschaft betreiben, können nur auf den Regen warten. Ohne Regen keine Landwirtschaft, so einfach ist das. In der Trockenzeit dürfen sie im Lodge kellnern und die Gäste aus aller Welt bedienen. Zum Dinner versammelt sich die gesamte Dienerschaft, verstärkt durch Leute aus den umliegenden Dörfern, und singt uns was Afrikanisches vor, nachdem sie unübersehbar einen großen Strohhut auf ein Tischlein in der Mitte gestellt haben, und alle Gäste leisten ihren privaten Beitrag zur Entwicklungshilfe.


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Am Morgen kommt nach dem Frühstück ein Maasai, wieder so ein Zweimetermann wie alle Maasai außer Lesikar, und fragt, ob wir Lust auf einen Spaziergang hätten. Das haben wir in der Tat, denn im Lodge bist du in der Hütte gefangen, und im NP im Safari-Karren, du darfst ja nirgends frei herumlaufen, denn hinter jedem Felsen könnte eine Löwensippe lauern. Wir treffen auf dem Morgengang keinen Löwen, aber allerhand wüstentaugliche Pflanzen, und der Maasai erzählt uns, dass die Jungs in ihrem Monat Initiierungs-Einsamkeit nicht nur essbare Wurzeln und Termiten finden, sondern sich auch selbst verarzten müssen, wenn sie sich verletzt haben, gestochen worden sind oder Durchfall kriegen. Alle Maasai wissen daher, welche Pflanzen blutstillend, desinfizierend oder stopfend wirken, wie man die Medizin daraus gewinnt und welche Rinde man kauen muss, wenn man von einer Speikobra bespien oder gar gebissen wird.


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In einiger Entfernung steht eine Hütte aus Stecken und Schilf, und der Bewohner, ein Mensch mit einem Ureinwohner-Gesicht stürzt auf uns zu, sobald er uns gewahrt. In den Händen hält er ein seltsames Gerät, das sich aus der Nähe gesehen als ein selbst konstruiertes Saiteninstrument entpuppt, und mit einem ebenso in Heimarbeit geschaffenen Bogen fiedelt er uns einen Afro-Sound vor und singt sogar was dazu. Für das Trinkgeld zeigt er uns bereitwillig seine Fiedel, und als er wieder in seiner Hütte verschwunden ist, sagt unser Maasai-Begleiter: "Der hat ein Lied gesungen, das vom Kampf gegen uns Maasai erzählt. Die Leute in dieser Gegend haben nämlich auch ein paar Milchkühe, aber wir Maasai denken natürlich, dass alle Rinder uns gehören, wem denn sonst? Also haben wir den Iraqw die Rinder entführt, und das mündete in eine heftige kriegerische Auseinandersetzung, von der das Lied handelte. Aber das ist lange her. Inzwischen vertragen wir uns wieder."


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Die Fahrt von Manyara zum nächsten Ziel, dem NP Ngorongoro, führt über die Höhen des Great Rift, die sich vormittags meist in Wolken hüllen. Für uns sieht es aus wie dichter Nebel, der uns mit seiner Feuchtigkeit auf der unasphaltierten Landstraße die übliche Staubwolke raubt, sehr wohltuend. Allerdings können wir bei diesem Nebel auch nicht den Bus aus Moçambique überholen, der wie eine Schildkröte vor uns herkriecht, und haben Zeit, die neblige Vegetation zu bewundern. Wie chinesische Tuschegemälde.
Als sich die Nebel lichten, stehen wir vor der Schranke, die den Beginn des nächsten NPs markiert. Diese Ecke war einst stark vulkanischer Natur, und Ngorongoro ist eine Ebene von 80 km Durchmesser, die sich in der kreisrunden Kaldera eines erloschenen Vulkans befindet. Hier sammelt sich viel Wasser, aber die Savanne im Krater ist nahezu baumlos, nur hüfthohes, braunes Gras. Es ist zwar ein Nationalpark, aber die Maasai haben die Erlaubnis, ihre Herden hier zur Tränke zu führen. Nur siedeln dürfen sie im Nationalpark nicht.


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Außer Giraffen sehen wir lauter Bekannte, die üblichen Zebras, Strauße, Elefanten und Gnus.
Die Erklärung dafür, dass es hier keine Giraffen gibt, ist einfach: Nicht genug Bäume, und Giraffen können nun einmal kein Gras fressen, weil sie dann wegen ihrer seltsamen Anatomie überhöhten Blutdruck im Kopf bekommen. Schon das Trinken im Fluss ist für diese ulkigen Geschöpfe eine echte Herausforderung. Nur mit extrem gespreizten Beinen schaffen sie es, mit dem Kopf das Wasser zu erreichen, Rumpfbeugen, denk an den Gymnastikunterricht in der Schule! Aber wir finden auch Neues, in der Ferne drei Nashörner, auf einem Termitenhügel ein Gepard, Schakale, Hyänen und die fotogenen Kronenkraniche.


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Aussteigen kann man auch hier nur am Picknickplatz, nahe an einem See. Lesikar holt einen Klapptisch heraus, der hinter den Reserverädern klemmte, breitet sogar eine Tischdecke drüber und baut Obst und Lunchboxen auf. Die Elefantenfamilie, die gerade am See ihren Durst löschte, sah, dass es hier was zu knuspern gab, und kam neugierig herbeigestampft.
"Sofort in den Wagen!", schrie Lesikar, "bei wilden Tieren weißt du nie, wie sie auf Menschen reagieren. Nur im Wagen sind wir sicher."
Die Panik war unnötig. Tee und belegte Brote interessierten die Dickhäuter nicht, frisches Schilf am Seeufer und ein paar Akazienzweige schmecken wesentlich besser. Sie guckten sich zwar unser Menü an, stapften aber gemächlich weiter, ohne den Tisch plattzutreten. An ihrer Stelle kam eine Schar Perlhühner angewackelt, aber alles Füttern ist im NP verboten, wir fraßen unser Zeug selbst. Aus dem See ertönten Laute, es klang, als würden Fagott und Bassklarinette gestimmt, aber es waren nur die Flusspferde, die sich, wonnig badend, dort was erzählten.



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Nach dem Essen trafen wir auf ein Rudel Hyänen mit Nachwuchs, der sich im Gras balgte, ein dunkelmähniger Löwe hielt direkt am Straßenrand Mittagsschlaf. In sicherer Entfernung schubberten sich Zebras an einem Baum, eine Herde Gnus wirbelte bei temporeicher Kavalkade viel Staub auf, und Vögel in allen Größen und Farben bevölkern ohnehin ganz Tanzania. Ein Wasserbock stand da, starr wie ein Denkmal, aber als wir näher kamen, sahen wir, dass es eine Böckin war, die ihr Baby säugte.


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Das Camp liegt auf dem Kraterrand in 1800 m Höhe. Da spürst du am Abend, dass jetzt Winter ist. Ka ist unzufrieden mit den Zelten, denn es fehlt die malerische Hütte drumherum. Wenn du duschen willst, musst du den Bediensteten Bescheid geben, dann bringen sie dir zwei Eimer heißes Wasser, und die Toilette sieht zwar wie eine Toilette aus, der Abfluss ist aber, gelinde gesagt, nur sehr träge. Das liegt daran, dass hier, mitten im NP, keine festen Lodges und Hotels gebaut werden dürfen. Nach Ende der Trockenperiode ist auch die Safari-Zeit vorbei, und dann wird alles komplett abgebaut. Immerhin steht ein Öfchen vor den Himmelbetten, und vor dem Schlafengehen bekommen wir Wärmflaschen, die uns nach der automatischen Abschaltung der Heizung, exakt 40 Minuten nach dem Anfahren, bis zum Morgen wärmen.


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Vorher hockt aber alles am Lagerfeuer unterm Wolkenhimmel, Gäste aus Taiwan, Spanien, Israel und New Zealand, aber keine Deutschen, denn die fahren nur in den Serengeti NP, was anderes ist in Deutschland unbekannt. A propos Serengeti: Kurz vor der Einfahrt zum Ngorongoro-Krater tauchte am Straßenrand ein Gedenkstein aus der Nebelsuppe auf. Lesikar hielt an, und ich konnte lesen, dass Tanzania hier des Frankfurter Zoodirektors Bernhard Grzimek und seines bei einem Flugzeug-Crash umgekommenen Sohnes Michael gedachte. Die beiden stecken nämlich hinter den NPs von Tanzania, und die Regierung weiß, was sie an den unvergessenen Grzimeks hat: Seit man gemerkt hat, dass Safaris Touristen und viel Geld ins Land schaufeln, werden die Wildtierbestände in Tanzania gehegt und gepflegt wie nirgendwo sonst in Afrika, neue Nationalparks werden eingerichtet, alte erweitert --- zum Leidwesen der Maasai, die mit ihren Hütten und Herden von den besten Wasserplätzen verschwinden müssen. Die Tiere haben Vorfahrt - äh, VorGANG.


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Aber zurück ins Camp. Obwohl die Zelte deutlich weniger luxuriös sind als bisher, ist hier das beste Team am Werk. Der Koch ist eine Kanone, der Manager sitzt beim Dinner mit am langen Tisch, um den sämtliche Gäste hocken. Irgendwer hat Geburtstag, und kaum ist der Nachtisch serviert, geht das Deckenlicht aus und alles hockt im Flackerschein der Tischkerzen da. Von draußen ertönt Gesang, und dann tänzeln der Koch und das gesamte Küchenpersonal herein, einen Birthday-Cake eskortierend, und drehen unter lautem Singen von "Hakuna matata" einige Runden um die lange Tafel. Schließlich placieren sie das Kunstwerk vor dem Geburtstagskind und stimmen dann das weltweit bekannte "Happy birthday to you..." an. Und am zweiten Abend hat das spanische Ehepaar Silberhochzeit, und das lustige Team inszeniert eine neue Tanzschau. Und noch eins, was ich nicht zu erwähnen vergessen sollte: In diesem Camp sind alle Getränke kostenlos!



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Ka ist durch die lustige Bande, die das Camp hier managt, mit dem mangelnden Luxus versöhnt, zumal anlässlich der Silberhochzeit gar eine Flasche Schampus gratis geköpft wurde. Außerdem haben wir dank Wärmflasche nachts nicht nur nicht gefroren, sondern so gut wie kaum je zuvor geschlafen.
Wir müssen aber weiter. In aller Frühe Abfahrt, denn es steht eine längere Fahrt bevor. Quer durch die Kaldera, das wäre die ideale Abkürzung, aber dann müsste Lesikar noch einen Tag NP-Gebühr entrichten. Also holpern wir im Halbkreis immer oben auf dem Kraterrand bis auf die andere Seite, wo die Straße zum Serengeti NP beginnt. Und kaum haben wir das ewige Wolkenhäubchen des Kraterrands hinter uns gelassen, wird es sehr heiß und staubig...


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