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zanzib


Also, bis du dein Fährenticket hast, machst du enge Bekanntschaft mit der Ticketmafia. Jeder, der irgendwo eine alte Badewanne hat, will damit dollarschwangere Bleichgesichter nach Zanzibar schippern. Du musst dir energisch eine Gasse durch die gestikulierenden Leiber bahnen und zielstrebig in das Häuschen einer seriösen Fährgesellschaft stürmen; andernfalls besteht die Gefahr, dass der überladene, morsche Kahn unterwegs irgendwo absäuft. Nur ein paar Dollar mehr, und du bist auf der sicheren Seite, an Bord eines seetüchtigen Schnellboots, das soeben im Begriff steht, die Leinen zu lösen.


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Grad so reingewutscht, und schon tuckert das Schiff durch Regenschleier -ja, Mannomann, es regnet verdammt nochmal schon wieder!- und die ölige Hafenbrühe, und kaum hat es die offene See erreicht, geht vor deiner Nase ein Videoscreen an, und ein Mullah fängt an zu predigen. Aber wie! Er zieht alle Register, spricht, steigert sich, schreit, brüllt, singt, jammert, rudert mit den Armen, rollt mit den Augen, ballt die Fäuste, jedes dritte Wort ist Allah...Allah...Allah... Wahrscheinlich ein Star-Prediger-Video aus Saudi-Arabien. Das öde Geschrei müllt uns zwei geschlagene Stunden lang die Ohren voll, aber was willste machen, heute ist Freitag, und Zanzibar ist voller Allah-Fans. Glücklicherweise sind meine Arabischkenntnisse extrem limitiert. Vermutlich wäre ich andernfalls inzwischen zum wahren Glauben bekehrt. Dereinst wird die Menschheit gewiss auch unser Jahrtausend noch zum Mittelalter hinzurechnen, als Epoche, in der die meisten Leute noch immer irgendwelchen orientalischen Märchenbüchern und -erzählern mehr vertrauten als ihrem eigenen Verstand.



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Also Zanzibar, das ist eigentlich was Anderes als Tanzania. Hier haben sich schon seit Jahrhunderten die Araber niedergelassen, die mit ihren Dhaus von Arabien her die afrikanische Ostküste entlang gesegelt kamen. Hier haben sie die erbeuteten Schwarzen als Sklaven vermarktet und ihren Scheichs geschickt, die restlichen Einheimischen aber zu Propheten-Jüngern gemacht. Das kennst du ja sicher schon aus Westafrika, wo es die Europäer nicht anders taten: Einheimische gemetzelt und versklavt, nach Amerika geschickt und zu Christus-Adepten umgepolt. Den Afrikanern war es vermutlich wurscht, ob sie in Mohammeds oder Jesus' Namen umgebracht oder verkauft wurden, irgendeinen ersichtlichen Nutzen brachte ihnen keine der Heilslehren.
Nachdem Tanganjika 1965 unabhängig geworden war, entmachteten die einheimischen Bewohner Zanzibars in einer kurzen, aber erfolgreichen Revolte ihren arabischen Sultan und schlossen ihr Inselreich an Tanganjika an, das sich seitdem Tanzania nennt, Tan von Tanganjika, und Zan von Zanzibar. Zanzibar hat sich eine gewisse Teilautonomie vorbehalten, weshalb wir bei unserer Ankunft Pässe vorzeigen und Immigration Cards ausfüllen mussten, aber abweisen dürfen und wollen sie uns nicht.


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Im Gegenteil. Einen Ankömmling, der nicht sofort ins Taxi springt oder abgeholt wird, den eskortieren hartnäckige Hotel-Scouts bis in die Altstadt Stone Town, und erst wenn du dich in das nächstbeste Hotel flüchtest und an die Rezeption eilst, als hättest du da längst vorgebucht, wirst du den letzten anhänglichen Kaftan endlich los. Für den Rest deines Aufenthalts hast du allerdings weitgehend Ruhe, das Abwimmeln von fliegenden Postkarten- und TTT-Händlern ist seit Cambodia schon Routine. TTT kennst du nicht? Ach so, das ist ein Frank-Fachausdruck für Tand, Talmi und T-Shirts.


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Aber das ist der einzige Verdruss, abgesehen davon, dass es jeden Morgen regnet, als sei da oben was geborsten. Glücklicherweise kriegt sich das Wetter am späten Vormittag meist wieder ein, und dann wird's heiß.
Zanzibars Altstadt, die Stone Town, ist Weltkulturerbe, und das nicht zu Unrecht. Ein Labyrinth enger Gässchen, steingemauerte Häuser mit prachtvoll geschnitzten Holztüren, die einen mit wundervollen Arabesken, die anderen mit metallenen Stacheln versehen, denn hier haben sich auch viele Zuwanderer aus Indien niedergelassen, und die Stacheln sind indische Tradition. Sie sollen Elefanten davon abhalten, den Bewohnern Besuche abzustatten, aber auf der Insel Zanzibar sind Elefanten bis dato noch nicht gesichtet worden


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Dafür aber Artsncrafts und Souvenirfritzen in Fülle. In ganz Dar Es Salaam gibt es nicht so viele Boutiquen und Kitscherias wie auf Zanzibars Hauptstraße Kenyatta Road, die von Blondinen und Rucksäcken bevölkert ist wie die Via Veneto in Roma. Während der Frank die stellenweise leider marode und stark renovierbedürftige Architektur bewundert, interessiert sich Ka für die vielen Lädchen, in denen auch Brauchbares gefertigt und angeboten wird. Eine Frauen-Kooperative näht Decken und Kleider, und Ka ersteht ein Dutzend Kissenbezüge, die in Handarbeit von den Damen mit wunderschönen Arabesken bestickt sind. Richtig, da landen die Dollars direkt bei denen, für die wir sie mitgebracht haben, und wir dürften daheim inzwischen für jedes einzelne Kissen mindestens zehn Bezüge haben. Man kann ja nie wissen, ob nach dem nächsten Erdbeben in Tokyo womöglich auch Kissenbezüge gehamstert und rar werden.


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Zanzibar ist im August erstaunlich gut mit Touristen gefüllt. Wir haben Mühe, eine Unterkunft zu finden. Uns bleibt nur ein arabisches Haus, der Besitzer heißt Shehrazade Sheikh, wie in Tausendundeiner Nacht. Ich wusste gar nicht, dass auch Männer Shehrazade heißen und glaubte, alle Araber hießen Mohammed, Muhammad, Mahmud, Muhammed oder Mohammad. Oder Ali Baba, womit wir wieder bei der Übernachtungsanstalt für Tausendundeine Nächte angelangt sind. Das Haus ist an eine Moschee geklebt, in der es während des Ramadan allzeit hoch hergeht, zumal der Muezzin noch vor dem ersten Hahnenschrei loskräht, und die Hähne, das musst du wissen, warten keineswegs den Sonnenaufgang ab. Aber dafür gibt's AirCon und Flachbild-TV im Hotelzimmer, wo wir die Nachrichten auf dem Al-Jazeera-Kanal verfolgen, und aus dem Himmelbett mit dem Moskitonetz genießt man durch den Fensterladen, der einen Spalt geöffnet ist, fotogene Aussicht auf eine muslimische Gasse und kann auf Fotomotive lauern. Schließlich sind die Prophetenanhänger bekanntlich sehr leicht beleidigt und mögen es auch nicht, fotografiert zu werden. Vielleicht steht ja im Quran wieder irgendwas über Frank Eschersheimer und andere gottlose Fototouristen.


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Da Ka sich als eher selten verschleierte Frau in dieser moslemischen Männergesellschaft ständig begafft und belauert fühlt, lassen wir es bei nur einer Nacht im Hause von Sheherazades Scheich und verzichten auf die tausend nachfolgenden. Anderntags ziehen wir um in ein anderes Haus, dessen Eingang nachts wunderschön von zanzibarischen Ampeln erleuchtet wird. Hier managt eine junge Inderin, die beim Einchecken sofort aus ihrem Direktionsbüro geschossen kommt und Ka voller Anteilnahme fragt, ob sie und alle Verwandten in Japan denn von Erdbeben und Tsunami verschont geblieben seien, die Fernsehbilder seien so schockierend gewesen. Ka steht starr, stumm staunend. Die meisten Japaner wissen allenfalls, dass Tanzania nicht in Asien liegt, und von Zanzibar haben sie erst recht nichts gehört oder gelesen, aber hier in der historischen Altstadt erkundigt sich eine junge Einheimische nach überfluteten AKWs in Fukushima und dem Wohlergehen von Kas Verwandtschaft... Und hier taugt auch nicht die Ausrede, dass Japans Unwissenheit seiner Insellage zuzuschreiben sei, Zanzibar ist schließlich eine noch viel kleinere Insel....


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Sich in dem Labyrinth der alten Stone Town zu verlaufen, macht wahnsinnig Spaß. Tief verschleierte Frauen und kurzbehoste Touristen, Bazare und TTT-Shops, ein antikes Badehaus und ein historisches Bordell, in dem einst sogar verschleppte Japanerinnen eingepfercht waren, Lädchen und Boutiken, spielende Kinder und strenge Imame, es ist das reinste Völkerkundemuseum. Gut, dass es jetzt digitale Fotografie gibt und keine Filme mehr belichtet werden! Ich halte die Kamera unauffällig in der herabbaumelnden Hand und schieße nach einigem Üben aus der Hüfte serienweise Fotos, jedes zehnte davon gelingt, die andern werden halt wieder gelöscht. Aber anders kannste ja keine arabischen Schönheiten knipsen. Und manchmal gelingt auf diese Weise, man sieht es am Aufnahmewinkel, sogar ein Foto wie das nachstehende....


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Und wenn du dich wirklich mal verlaufen hast, geh immer geradeaus weiter. Dann kommst du entweder auf der Landseite beim großen Markt raus, wo es Muslimkappen ebenso preisgünstig gibt wie klebrige Datteln, die genauso schmecken wie die aus dem Supermarkt in Osnabrück, oder du landest an der Hafenmole oder Strandpromenade, die Stone Town auf den restlichen drei Seiten umschließt.


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Die Hafenpromenade ist herrlich, so etwas gibt es in Dar nicht. Überhaupt sieht Zanzibar so ähnlich aus wie Malta, halb arabisch und halb europäisch, aber sehr, sehr fotogen. Wenn es am frühen Nachmittag heiß wird, setz dich in den Forodhani-Park an der Promenade, da kannst du nämlich im Schatten alter Bäume Pause machen, den Dhaus im Hafen zusehen und die Leute beobachten. Stör dich nicht an den naseweisen Jungs, die hergelaufen kommen, sie WOLLEN FOTOGRAFIERT WERDEN und kein Geld dafür. Es sind einfach nur richtige Kinder, genau wie in Bochum oder Kiel, die an den alten Kanonenrohren an der Kaimauer spielen und stolz sind auf ihre Konterfeis in der Kamera.



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Nach einer Weile lassen sie dich in Ruhe und spielen weiter, und dann guckst du nach den vier oder fünf schwarzverhüllten Kopftuch-Jungfern, die von der Promenade aus die Treppe zum Strand runtersteigen. Nein, auf der Treppe bleiben sie sitzen. Gucken sich vorsichtig um, aber die Kaimauer schützt sie vor fremden Blicken, während sie eine Dose Fanta aufmachen, die sie unter ihren schwarzen Hüllen verborgen hatten, Kartoffelchips auspacken und drauflosnaschen, bis alles leer ist. Am helllichten Tag des heiligen Ramadan! Mich sehen sie zwar, gehen aber zu Recht davon aus, dass von mir keine Prügelstrafe oder Säure-Attacke droht. Keine Viertelstunde ist es her, dass wir Zeugen wurden, wie ein Tourist, der in einer der Labyrinthgassen an seiner Wasserbottel nuckelte, von einem bärtigen Fundi in brüchigem Englisch lautstark zurechtgewiesen wurde, dass man im Ramadan nicht in aller Öffentlichkeit trinken solle, das beleidige die Gefühle aller wehleidigen Gläubigen. Ich grinse den Mädchen amüsiert zu. Recht haben sie, in ihrem Alter müssen Teens und Twens ordentlich futtern, das ist von den Göttern so gewollt, da können die Propheten und Ayatollahs noch so giftig zetern.


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Wieder eine Weile, da geht die Tür des Hauses auf der anderen Straßenseite auf und eine Bande Kinder stürmt heraus, in islamischer Schuluniform, die Buben in ihren Nachthemden, die Mädchen ganzkörperverhüllt wie kleine Nonnen. Eine Madrasa, eine Quranschule.
Neben mir auf der Bank im Park sitzt ein junger Araber mit einem arabischen Buch auf den Knien, in das er mit Bleistift Notizen reinschreibt. Als ich kam, blickte er kurz auf und grüßte freundlich lächelnd, auf Swahili. Ein sehr hübsches Gesicht, sieht sehr gebildet, ja vornehm aus. Als er sich eine halbe Stunde später erhebt, geht er geradewegs auf die Madrasa zu und verschwindet in ihrem Innern. Ein Quranlehrer... Und was er da studierte, war vermutlich kein Business-Lehrbuch, sondern der immergleiche Bestseller Arabiens. Bin Laden sah übrigens auch gebildet und vornehm aus.


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Abends ist die Stone Town hübsch beleuchtet, einige Gebäude sind mit Scheinwerfern angestrahlt. Wenn das ganze Viertel gründlich saniert würde, könnte Zanzibars Stone Town glatt mit Regensburg oder Siena mithalten, ein wahres historisches Juwel. Und nach Sonnenuntergang machen die Restaurants auf, da kannst du arabisch und afrikanisch schlemmen, Dattelkuchen, Kalua-jelly und zimtigen "spice rice", in Gartenlokalen oder auf arabischen Teppichen und Sitzkissen, während eine Band dazu orientalisch schrammelt. Mach dir nichts draus, wenn alle zwanzig Minuten der Strom ausfällt, fünf Minuten später gehen die Lichter und Ventilatoren wieder an, bis zum nächsten Blackout. Die Gäste nehmens gelassen hin, die Kellner haben Taschenlampen. Und auf Bier oder Wein brauchst du in Zanzibar selbst in den arabischsten Lokalen nicht unbedingt zu verzichten.


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Und weil wir gerade beim Essen sind, was ohnehin Franks Lieblingsthema ist, so gestattet er sich, seiner leichten Enttäuschung darüber Ausdruck zu verleihen, dass auf der berühmten Gewürzinsel Zanzibar die meisten Sachen, besonders aber das unvermeidliche englische Frühstück, total fade schmecken. Bedauerlicherweise dauert auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit der britische Einfluss ausgerechnet in der Cuisine hartnäckig an. Na gut, delektieren wir uns an der Fülle von Obst, das überall zum freien Zulangen ausliegt, und an der schönen Aussicht über ganz Stone Town samt Minaretten und Kirchtürmen von der Dachterrasse, auf der Tag für Tag abwechselnd eggs and bacon und bacon and eggs serviert werden, mit Salz, Pfeffer und Ketchup als einziger Würz-Idee.


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Wer wirklich auf Abenteuer aus ist und ordentlich was Einheimisches knuspern will, das nicht auf touristischen Geschmack zugeschnitten ist, der schleicht sich am Abend aus den Gassen der Altstadt runter an die Strandpromenade. Der schattige Forodhani-Park hat sich unversehens in ein Open-Air-Restaurant für halbverhungerte Strenggläubige verwandelt, die am Abend doppelt nachholen, was sie am Tag alles zusammengefastet haben. Hier glimmen an klapprigen Tischen zwar nur dimme Petroleumfunzeln, aber was auf den Tischen zum Verzehr bereit liegt, der frisch gegrillte Fang der gesamten Fischereiflotte von Zanzibar, lässt alle Filialen der Nordsee-Kette vor dottergelbem Neid erbleichen.


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