Ein großer Schreck in der Morgenstunde: Die Sonne scheint ins Zimmer herein! Es kann eigentlich nur unserer gestrigen Pilgerreise zuzuschreiben sein, dass der Buddha dieses Wunder bewirkt hat. Misstrauisch äugend verlassen wir die Herberge, aber der Himmel, es lässt sich nicht verheimlichen, bleibt weitgehend blau. Am Morgen des 7. Aufenthaltstages können wir uns davon überzeugen, dass in Taiwan die Sonne nicht nur auf der Staatsflagge sichtbar ist. Es hat sich also gelohnt, ein wenig länger als die sonstigen japanischen Dreiübernachtungstouristen dageblieben zu sein. Tainan, das ist das Kyoto von Taiwan, das Florenz von Formosa, da gibt es nämlich sechs Sehenswürdigkeiten. Beginnen wir also mit Fort Chikanlou. Wahrscheinlich weißt du nicht, dass Taiwan bis 1661 von Niederländern kontrolliert wurde, 37 Jahre lang. Das Chikanlou war eine trutzige Festung, die von den Holländern errichtet wurde, wie die Bücher vermelden. In Wirklichkeit wurde sie natürlich von den Einheimischen errichtet, denen angesichts der Musketen der bleichen Mijnheers keine andere Wahl blieb. Damals gab es noch keinen Beton, weshalb das Ding in Ziegelstein gemauert und mit einem geschwungenen chinesischen Dach versehen wurde. Heute liegt es in einem anmutigen Gärtlein und hat seinen niederländischen Trutz gegen chinesischen Swing eingetauscht, so dass es eher wie ein Sommerpalast wirkt. Im Innern befindet sich nichts als ein Modell der ursprünglichen Gesamtanlage, weshalb wir schon zur nächsten Sehenswürdigkeit gelangen.
Der ältesten Konfuzius-Gedenkstätte auf Taiwan sieht man ihr Alter deutlich an. Eine Renovierung würde die schmucklose Anmut des schlichten Baus in seinem lauschigen Park mit alten Bäumen sicher besser zur Geltung kommen lassen. Allerdings ist bei Rekonstruktionen Vorsicht geboten, denn sie arten leicht in eine Orgie aus Beton, Gold und Bunt aus wie bei dem frisch aufzementierten Palast Datianhougong. Da lobe ich mir doch das unscheinbare Wufeimiao in einem kleinen Park, auf dessen Türen nicht wie sonst überall bärtige Wächter mit grimmigem Blick und rauschenden Bärten, sondern sanfte, junge Damen dargestellt sind. Diese Stätte ehrt, wie der verdeutscht "Mausoleum der fünf Adelsfräulein" lautende Name besagt, fünf tugendsame Konkubinen eines Hofadligen, der nach verlorener Schlacht beim Untergang der Ming-Dynastie den ehrenvollen Selbstmord wählte. Dass seine Lieblingsdamen ihm mutig in den Tod folgten, trug ihnen bis heute die Bewunderung und Verehrung in diesem weihrauchigen Tempelchen ein.
Also, der Koxi, der war freilich Chinese, und über Taiwan hatten sich gerade die Niederländer hergemacht und waren dabei, das Inselchen genüßlich zu verzehren. Für sein Handwerk schien das felsige Eiland freilich ideal als Unterschlupf und Piratennest geeignet. Da die Niederländer die Koxi-Armada nicht ganz ernst nahmen und außerdem von Heimat und Nachschub 15 000 km entfernt waren, fiel Taiwan nach kurzem Kampf an die Piraten-Bande, und ihr Räuberhauptmann war vermutlich ziemlich überrascht, dass er von den Einwohnern der Insel als Befreier gefeiert wurde.
Taiwan hat seinen
Räuberhelden jedoch nicht vergessen und ihm in Tainan
das Yanpingjunwangci gewidmet, in einem hübschen Park
mit Teich und Steinbrücke gelegen. Die meisten
sonstigen, in den Reiseführern angepriesenen
Sehenswürdigkeiten der Stadt Tainan sind entweder die
üblichen Touristenfallen oder unübersehbare
Großstadt-Attraktionen, denen man als Besucher
zwangsläufig ausgeliefert ist.
Während es wieder
sonnig wird, verlassen wir Tainan und erblicken gleich im
nächsten größeren Ort solch ein weithin sichtbares
architektonisches Wunderwerk. Wir kurven gleich in das
Städtchen rein, wo sich inmitten des soeben beendeten
Marktes zwischen Abfällen, leeren Kisten und
Gemüseresten ein märchenhafter Bau in den blauen Himmel
reckt, in dem wir, abgesehen von den Schwärmen von
Fliegen, die sich marktsattgefressen mit voller Wampe auf
den Steinstufen sonnen, die einzigen Besucher sind und
nach Herzenslust durch sämtliche Stockwerke des
Prachtpalastes irren, über Wendeltreppen auf Türmchen
und Dächer klettern und bei dem heutigen Ausnahmewetter
die filigrane Kunst der Keramikfigüren auf den Dächern
voll auskosten.
Leider hat mir der
Schöpfer zu wenig Sinn für das in aller Welt so
beliebte und verehrte militärische Olivgrün zugeteilt,
so dass wir den Herrn General nicht aus der
Nachmittagsruhe aufstören lassen, um ihn um eine
Sondergenehmigung samt Passierschein anzuflehen, sondern
machen nach einer Stärkung im Nudelimbiss einen Satz
runter nach Gaoxiong, zur Metropole des Südens.
Der See interessiert
uns mehr. Kostet eine Kleinigkeit Eintritt, dafür darf
aber das Auto mit rein, und stell dir vor, das ist eine
klassische chinesische Parkanlage ohne jeden Anflug von
Lunapark. Die Rundfahrt um den See ist ca. 4 km lang, der
See ist voller Buchten und Inselchen, die Natur
ringsumher sehr schlicht und ungekünstelt, nur sauber
gepflegt. Hier und da ragen Pagoden und Pavillons aus dem
Grün von Inseln und Landzungen, einige Rasenflächen,
Blumenbeete, Promenaden, Bambus- und Palmenhaine.
Vorbei an den roten
Pfeilern des Chengqing-Tempels gelangt man zu dem in
Oktagon-Form errichteten Deyue-Palast, der zum See hin
offen und ins Wasser hineingebaut ist. Von seiner
Terrasse aus sollte man im Idealfall in warmen
Herbstnächten den Mond bewundern, der über dem See
aufgeht und zum Greifen nahe ("deyue") scheint.
Dies hätte ich, wäre es nicht gerade März, zweifellos
auch getan. So suchen wir uns eine kommerzielle Bleibe
für die Nacht und einen Ort, an dem man alles
daransetzte, uns tüchtig zu restaurieren.
Also wenn so ein blonder Langnas auf dem Revier erscheint, der nicht mal richtig Chinesisch kann, da wird er sofort zur Visums-Abteilung dirigiert. Ich brauche zwar kein Visum, hoffe aber, dass da jemand Englisch oder sonstwas kann. In der Tat, da ist ein cleverer Mensch, der unser Anliegen kapiert und uns von Abteilung zu Abteilung an Englisch oder Japanisch sprechendes Personal weiterleitet, und am Ende werden wir unsere Anzeige bei einem netten Halbjapaner (Mutter ist Japanerin) in Langfingfang-Uniform los. Das Mittagessen
bestätigte eindrucksvoll Gaoxiongs Ruf als kulinarische
Kapitale Taiwans. Die auf gut Glück gewählte Fischsuppe
erwies sich als chinesische Bouillabaisse, in der ein
kompletter Karpfen schwamm und uns dumm anglotzte, bevor
er auf sein Grätengerüst reduziert wurde.
Am Rande des Gaoxiong-Vorortes Zuoying gibt's wieder eine echte Attraktion zu erspähen. Zwei nahe beieinander liegende Tempelanlagen am Westufer des Sees, die "Frühlings- und Herbst-Hallen" (Chunqiuge), blicken, aufs ansteigende Ufer gebaut, auf den See hinab, in dem sich jeweils ein Gegenstück befindet. Das Gegenstück des nördlichen Tempels sind zwei im See verankerte zierliche Türmchen, von denen eine zierliche Brücke auf den See hinausführt und in einem achteckigen, luftigen, vom Seewasser umplätscherten Pavillon endet. Vom südlichen Tempel aus führt ein verspielt zickzackförmiger, breiter Steinsteg mit bunt bemalten Seitenwänden zu einer künstlichen Insel, die aus einer von zwei hübschen, siebenstöckigen Pagoden flankierten Plattform besteht.
Am Abend, den wir durch
Gaoxiong schlendernd und als Zuschauer der vielen
ambulanten Samstagabend-Puppentheater verbringen, treibt
uns schließlich ein plötzlich einsetzender, heftiger
Platzregen in die überdachten Betriebe der Gastronomie
und Hotellerie zurück.
Zu unserer Verwunderung
ist er dennoch nicht halbwegs so attraktiv wie die
meisten der "namenlosen" lokalen Tempel in den
Dörfern am Wegesrand, und als wir gewahren, dass sich
hinter dem Großtempel gar wieder ein gigantischer
Beton-Lindwurm nach uns reckt und seine Betonklauen,
größer als alle bisher geschauten, zur Warnung vor dem
kostenpflichtigen Nähertreten erhebt, ergreifen wir die
Flucht, zumal ringsumher offenkundig zahlreiche weitere
"historische" Kulturdenkmäler im Rohbau
stehen, um der Souvenir- und Fotoindustrie zu steigenden
Umsätzen zu verhelfen.
Da lobe ich mir die
wahre Natur, an der kann der Mensch nicht so viel
herumbetonieren, und deshalb steuern wir als nächstes
den 2200 m hohen Gipfel des Alishan an. Dass sich die
Nationalstraße Nr. 3 noch in ihrem Urzustand befand, war
der Straßenkarte allerdings nicht zu entnehmen gewesen.
Wir haben ja in Südamerika, im Kosovo und im Innern der
Türkei schon manche abenteuerliche Piste erlebt, aber
diese kurvig in den Urfels und über blanke Wurzeln
gedrillte schlammig-kraterpfützige
Hauptverkehrsverbindungsstrecke der Republik China war
eine Sonderklasse, allenfalls interessant für
Extremsportler oder Geologen. Ich werde mal einen
schriftlichen Vorschlag einreichen zur sinnvollen
Verwendung von Beton im Straßenbau, da es zementierte
Tiger und Drachen nun doch allmählich in wahrhaft
ausreichender Anzahl gibt.
Bei Nacht und dichtem
Nebel trafen wir am kalten Gipfel ein und hüllten uns
gleich in die wärmenden Laken des Hotelbettes, weil
auch hier, wie bei den Nonnen, um 5 Uhr morgens Wecken
ist. Am Alishan gibt es nämlich praktisch nur ein
Touristenritual: Den Sonnenaufgang über dem Wolkenmeer
zu Füßen zu genießen.
Aber klar doch, das hat
alles seinen Sinn, jetzt kommt nämlich die Stunde der
Budiker, die auf Gasflammen heiße Getränke brauen und
sie zusammen mit pappigen Sandwiches zu einträchtigen
Wucherpreisen an die hungrigen, nachtfrostigen
Zittertouristen verscherbeln.
Keine magische Hand
zerteilte indes die Nebelfelder und gab einen Blick auf
das Highlight des Alishan-Gipfels frei. Nach dem
allgemeinen Seufzerchor dauerte es kaum 5 Minuten nach
Sonnenaufgang, bis der Aussichtsplatz bis auf die
zufrieden mit dem Abräumen beschäftigten Händler
menschenleer war. Nur eine Hundefamilie stöberte in den
Abfalleimern nach Überresten der entsorgten Snacks.
Wieder durch linde Landschaft rollend, auf kleinen Dorfstraßen in grünen Tälern, möchte man einen gemütlichen Ausflug machen. Also, eigentlich machen wir ja tagtäglich Ausflüge, bei jedem Regenwetter und nicht immer gemütlich. Leider wurde es heute beinahe sehr ungemütlich, denn als der lange Sattelschlepper vor uns stehen blieb und wir auch anhielten, ahnten wir nicht, dass der jetzt anfängt zurückzustoßen. Also normalerweise guckt man ja in den Rückspiegel, bevor man den Rückwärtsgang einlegt, aber vielleicht war unser PKW hinter dem Riesenfuhrwerk in Selbigem gar nicht zu erblicken. Ka am Steuer hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem rettenden Rückwärtsgang, und jetzt, als sich meterhohe Pneus unserem Kühler und das Ende der Ladefläche unserer Windschutzscheibe näherte, war sie vollends in Panik... Wie ein wilder Watz
malträtiere ich die Hupe, denn vom Beifahrersitz aus den
Rückwärtsgang reinzuwürgen, dazu reicht die Zeit schon
nicht mehr. Gottseidank hatte der Mietwagen eine heftig
orgelnde Tröte, und nur wenige Zentimeter vor dem
großen Knirsch latschte der Chinese in dem metallenen
Dieseldrachen vor uns auf die Bremse, keinen Augenblick
zu früh...!
Natürlich hat die
verwandte Schrift ihre Tücken, schließlich sind bald 2000 Jahre vergangen, seit Japan die Schrift aus China
importiert und versucht hat, damit Japanisch zu
schreiben. Aber wenn du im Hotel wissen willst, ob aus
dem Wasserhahn auch heißes Wasser rauskommt, und du
malst das in japanischer Schrift auf einen Zettel, dann
liest der erstaunte Chinese die Frage, ob noch Suppe da
sei. Und wenn ein hungriger Japaner auf den Eingang mit
dem Schild "Großes Reishaus" zumarschiert,
landet er nicht im erhofften Restaurant, sondern in der
Lobby eines Hotels, in dem es außer leichten Mädchen
nichts zu konsumieren gibt. Will er mit der Bahn
weiterreisen und malt wie in Japan die Schriftzeichen
"Dampfwagen" aufs Papier, wird er zum Taxistand
oder zu einem Autovermieter geführt, denn in China ist
die Eisenbahn noch immer ein "Feuerwagen". Und
weil die japanische Version dieser Schrift Möglichkeiten
bietet, auch Fremdwörter in Japanisch zu schreiben,
macht der Mensch in Nippon aus dem Bier ein Biiru, aus
dem Taxi ein Takushi, und aus dem Bus einen Basu,
während der Chinese in solchen Fällen eher an
"Hopfenwein" oder "Gast-Transporter"
denken würde. Nur ein Fremdwort hat den Chinesen so gut
gefallen, dass sie es übernommen und dafür eigene
Schriftzeichen erfunden haben, und wenn ich dir verrate,
welches, wirst du staunen:
......Pingpong! Und du hast gedacht, das sei aus China zu uns gekommen! Aber falsch geraten, das ist Englisch und in China in der amerikanischen Aussprache Pingpang naturalisiert worden. Früher nannte man das in China "Tischball".
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