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Ein großer Schreck in der Morgenstunde: Die Sonne scheint ins Zimmer herein! Es kann eigentlich nur unserer gestrigen Pilgerreise zuzuschreiben sein, dass der Buddha dieses Wunder bewirkt hat. Misstrauisch äugend verlassen wir die Herberge, aber der Himmel, es lässt sich nicht verheimlichen, bleibt weitgehend blau. Am Morgen des 7. Aufenthaltstages können wir uns davon überzeugen, dass in Taiwan die Sonne nicht nur auf der Staatsflagge sichtbar ist. Es hat sich also gelohnt, ein wenig länger als die sonstigen japanischen Dreiübernachtungstouristen dageblieben zu sein.

Tainan, das ist das Kyoto von Taiwan, das Florenz von Formosa, da gibt es nämlich sechs Sehenswürdigkeiten. Beginnen wir also mit Fort Chikanlou. Wahrscheinlich weißt du nicht, dass Taiwan bis 1661 von Niederländern kontrolliert wurde, 37 Jahre lang. Das Chikanlou war eine trutzige Festung, die von den Holländern errichtet wurde, wie die Bücher vermelden. In Wirklichkeit wurde sie natürlich von den Einheimischen errichtet, denen angesichts der Musketen der bleichen Mijnheers keine andere Wahl blieb. Damals gab es noch keinen Beton, weshalb das Ding in Ziegelstein gemauert und mit einem geschwungenen chinesischen Dach versehen wurde. Heute liegt es in einem anmutigen Gärtlein und hat seinen niederländischen Trutz gegen chinesischen Swing eingetauscht, so dass es eher wie ein Sommerpalast wirkt. Im Innern befindet sich nichts als ein Modell der ursprünglichen Gesamtanlage, weshalb wir schon zur nächsten Sehenswürdigkeit gelangen.


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Nur die Mauern sind noch trutzig


Der Klostertempel Kaiyuansi, schon wieder eine Nonnenanstalt, machte sich die zierlichen Gebäude einer früheren Adelsvilla zu eigen und ist wegen seiner altchinesischen Bauweise bei schönem Wetter einen Besuch wert, wenn man die haarscharf am Kitsch entlangschrappende bunte Torbemalung vornehm übersieht.

Der ältesten Konfuzius-Gedenkstätte auf Taiwan sieht man ihr Alter deutlich an. Eine Renovierung würde die schmucklose Anmut des schlichten Baus in seinem lauschigen Park mit alten Bäumen sicher besser zur Geltung kommen lassen.

Allerdings ist bei Rekonstruktionen Vorsicht geboten, denn sie arten leicht in eine Orgie aus Beton, Gold und Bunt aus wie bei dem frisch aufzementierten Palast Datianhougong. Da lobe ich mir doch das unscheinbare Wufeimiao in einem kleinen Park, auf dessen Türen nicht wie sonst überall bärtige Wächter mit grimmigem Blick und rauschenden Bärten, sondern sanfte, junge Damen dargestellt sind. Diese Stätte ehrt, wie der verdeutscht "Mausoleum der fünf Adelsfräulein" lautende Name besagt, fünf tugendsame Konkubinen eines Hofadligen, der nach verlorener Schlacht beim Untergang der Ming-Dynastie den ehrenvollen Selbstmord wählte. Dass seine Lieblingsdamen ihm mutig in den Tod folgten, trug ihnen bis heute die Bewunderung und Verehrung in diesem weihrauchigen Tempelchen ein.


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Gedenkstätte der fünf tapferen Frauen


Hinter dem einprägsamen Namen Yanpingjunwangci verbirgt sich der Gedenkschrein des Chenggong, der im Westen mit dem Spitznamen "Koxinga" gerufen wird. Frag mich nicht, wie das ausgesprochen wird. Dieser Bursche war ein ehrbarer Seeräuber vom Schlage eines Francis Drake oder Hernando Córtez, die in ihrem Übermut nicht nur fremde Schiffer metzelten und fremde Uferstädte plünderten, sondern sich auch Gegenden, die ihnen gar nicht gehörten, aneigneten, am Strand irgendeinen bunten Wimpel hissten und sich dann vom Papst oder Kaiser zu rechtmäßigen Herren über ganze Kontinente erklären ließen. In der Regel massakrierten sie die lästigen und widerspenstigen Ureinwohner, wofür sie bis heute mit Ruhm und Ehren überhäuft werden.

Also, der Koxi, der war freilich Chinese, und über Taiwan hatten sich gerade die Niederländer hergemacht und waren dabei, das Inselchen genüßlich zu verzehren. Für sein Handwerk schien das felsige Eiland freilich ideal als Unterschlupf und Piratennest geeignet. Da die Niederländer die Koxi-Armada nicht ganz ernst nahmen und außerdem von Heimat und Nachschub 15 000 km entfernt waren, fiel Taiwan nach kurzem Kampf an die Piraten-Bande, und ihr Räuberhauptmann war vermutlich ziemlich überrascht, dass er von den Einwohnern der Insel als Befreier gefeiert wurde.


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Altar des Sankt Koxius


Leider ist irdischer Ruhm vergänglich, was der frisch gebackene taiwanesische Volksheld Koxinga schnell erfahren musste. Die Chinesen vom Festland fanden nämlich, dass das Werk erst halb getan sei, und es gelang ihnen mit ihrer beachtlichen Flotille, zwei Fliegen mit einer Klatsche zu dätschen: Sie legten den Seeräubern das Handwerk und erweiterten das chinesische Kaiserreich um die von den Portugiesen einst Ilha formosa genannte Insel Taiwan.

Taiwan hat seinen Räuberhelden jedoch nicht vergessen und ihm in Tainan das Yanpingjunwangci gewidmet, in einem hübschen Park mit Teich und Steinbrücke gelegen. Die meisten sonstigen, in den Reiseführern angepriesenen Sehenswürdigkeiten der Stadt Tainan sind entweder die üblichen Touristenfallen oder unübersehbare Großstadt-Attraktionen, denen man als Besucher zwangsläufig ausgeliefert ist.

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Gedenkstätte der erstaunlichen Karriere eines Seeräuberhauptmanns


Wer sich aber wie der Frank ein wenig Zeit nimmt und über die Dörfer trödelt, der findet in jeder größeren Ortschaft meist schon von Weitem sichtbare lokale Heiligtümer, oft wirklich alt und ehrwürdig, anmutig gebaut mit spitzigen Dächern, reich geziert an glitzernder Pracht, die keinen Vergleich zu scheuen brauchen mit den in Großstädten als "einzigartig" angepriesenen Betontempeln, mit dem Unterschied, dass in letzteren mehr Touristen rumlaufen und das Wetter da offensichtlich generell schlechter ist
.

Während es wieder sonnig wird, verlassen wir Tainan und erblicken gleich im nächsten größeren Ort solch ein weithin sichtbares architektonisches Wunderwerk. Wir kurven gleich in das Städtchen rein, wo sich inmitten des soeben beendeten Marktes zwischen Abfällen, leeren Kisten und Gemüseresten ein märchenhafter Bau in den blauen Himmel reckt, in dem wir, abgesehen von den Schwärmen von Fliegen, die sich marktsattgefressen mit voller Wampe auf den Steinstufen sonnen, die einzigen Besucher sind und nach Herzenslust durch sämtliche Stockwerke des Prachtpalastes irren, über Wendeltreppen auf Türmchen und Dächer klettern und bei dem heutigen Ausnahmewetter die filigrane Kunst der Keramikfigüren auf den Dächern voll auskosten.
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Gedränge wie zur Hauptverkehrszeit in Taibei


Das schöne Wetter verleitet uns zu dem Leichtsinn, den Bergtempel Chaofeng nahe der Ortschaft Alian anzusteuern, zu dem es jedoch wie üblich keine Wegweiser gibt. Ohne unseren Ah Q im Fond gestaltet sich die Fragerei nach dem Weg als diffizil, weniger, was das Fragen betrifft, sondern was das Verstehen der Antworten anbelangt. Nach gut zweistündiger Irrfahrt über löcherige Straßenfragmente, staubige Feldwege und steinige Bergpfade, die uns in grüne Reisfelder, vor stillgelegte Fabrikanlagen und zu anderen unverhofften Zielen führte, kamen wir dem gesuchten Tempel schließlich doch auf etwa 4 km nahe. Dann endete die Piste vor einer heruntergelassenen Schranke, an der ein grimmig dreinschauender olivgrüner Tagwächter seine Flinte auf uns richtete und irgendetwas Chinesisches brabbelte, in dem von "militärischem Sperrgebiet", "Sondergenehmigung" und "Passierschein" die Rede war.

Leider hat mir der Schöpfer zu wenig Sinn für das in aller Welt so beliebte und verehrte militärische Olivgrün zugeteilt, so dass wir den Herrn General nicht aus der Nachmittagsruhe aufstören lassen, um ihn um eine Sondergenehmigung samt Passierschein anzuflehen, sondern machen nach einer Stärkung im Nudelimbiss einen Satz runter nach Gaoxiong, zur Metropole des Südens.

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Die Speisekarte ist an die Wand gepinselt


Unwillkürlich reibe ich mir die Augen, denn am Chengqing-See vor den Toren der Stadt erhebt sich ein chinesischer Palazzo mit roten Säulen und blauweiß bemalten Balustraden, den wir irgendwo schon einmal gesehen haben. Eine nähere Beäugung ergibt, dass es sich um das Gaoxiong Grand Hotel handelt und somit ein enger Verwandter oder Zwillingsbruder des Taibei Grand Hotel sein muss.

Der See interessiert uns mehr. Kostet eine Kleinigkeit Eintritt, dafür darf aber das Auto mit rein, und stell dir vor, das ist eine klassische chinesische Parkanlage ohne jeden Anflug von Lunapark. Die Rundfahrt um den See ist ca. 4 km lang, der See ist voller Buchten und Inselchen, die Natur ringsumher sehr schlicht und ungekünstelt, nur sauber gepflegt. Hier und da ragen Pagoden und Pavillons aus dem Grün von Inseln und Landzungen, einige Rasenflächen, Blumenbeete, Promenaden, Bambus- und Palmenhaine.

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Einer der acht Traumblicke


Die Gesamtkonzeption ist, dass es acht (chinesische Glückszahl) sogenannte "Traumblicke" gibt, die man sich erwandern sollte. Etwa die Aussicht von der neunstöckigen Pagode, die auf einem artifiziellen Hügel steht. Von hier aus sieht der See mit seinen vielen Inselchen tiefblau wie das Meer aus, beinahe wie aus der Vogelperspektive. Vom gegenüberliegenden Ufer aus lässt das Gegenlicht der Abendsonne den See rotsilbern blinken, während sich die Pagode vor dem roten Himmel zwischen Uferweiden wie ein Scherenschnitt abzeichnet. Von den drei Pavillons in einem Palmenhain fällt der Blick auf einige gegenüberliegende Inselchen, die mit niedrigen Steinbrücken mit dem Ufer und untereinander verbunden sind und von geschwungenen Tempeldächern gekrönt sind.

Vorbei an den roten Pfeilern des Chengqing-Tempels gelangt man zu dem in Oktagon-Form errichteten Deyue-Palast, der zum See hin offen und ins Wasser hineingebaut ist. Von seiner Terrasse aus sollte man im Idealfall in warmen Herbstnächten den Mond bewundern, der über dem See aufgeht und zum Greifen nahe ("deyue") scheint. Dies hätte ich, wäre es nicht gerade März, zweifellos auch getan. So suchen wir uns eine kommerzielle Bleibe für die Nacht und einen Ort, an dem man alles daransetzte, uns tüchtig zu restaurieren.

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Deyue-Pavillon, ein anderer Traumblick


Es war nicht anders zu erwarten. Das gestrige Wetter war ein Irrtum des gealterten Petrus, der heute mit bleiern trübem Himmel sein Versehen auszubügeln suchte. Überdies mussten wir feststellen, dass uns in der Nacht irgendein Sammler (?) das vordere Nummernschild abmoniert hatte, und weil unsere Karre ein Mietwagen ist, müssen wir zuerst einmal das nächste Polizeirevier besichtigen und Anzeige erstatten, denn sonst zahlt die Versicherung nicht.

Also wenn so ein blonder Langnas auf dem Revier erscheint, der nicht mal richtig Chinesisch kann, da wird er sofort zur Visums-Abteilung dirigiert. Ich brauche zwar kein Visum, hoffe aber, dass da jemand Englisch oder sonstwas kann. In der Tat, da ist ein cleverer Mensch, der unser Anliegen kapiert und uns von Abteilung zu Abteilung an Englisch oder Japanisch sprechendes Personal weiterleitet, und am Ende werden wir unsere Anzeige bei einem netten Halbjapaner (Mutter ist Japanerin) in Langfingfang-Uniform los.

Das Mittagessen bestätigte eindrucksvoll Gaoxiongs Ruf als kulinarische Kapitale Taiwans. Die auf gut Glück gewählte Fischsuppe erwies sich als chinesische Bouillabaisse, in der ein kompletter Karpfen schwamm und uns dumm anglotzte, bevor er auf sein Grätengerüst reduziert wurde.

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Glotz net so, du Butt!


Auch am Linhua-See ("Lotosblüten-See") wollte das Wetter nicht heiterer werden. Die großen, flachen Paläste am Nordufer, Staatsbibliothek und Konfuzius-Gedenkstätte, schienen etwas schwermütig ihr Abbild im graubraunen, in dieser Jahreszeit lotoslosen See zu betrachten. Die im lauen Wind sacht schwingenden langen Weidenzweige gaben der Landschaft einen Hauch von Herbstmelancholie.

Am Rande des Gaoxiong-Vorortes Zuoying gibt's wieder eine echte Attraktion zu erspähen. Zwei nahe beieinander liegende Tempelanlagen am Westufer des Sees, die "Frühlings- und Herbst-Hallen" (Chunqiuge), blicken, aufs ansteigende Ufer gebaut, auf den See hinab, in dem sich jeweils ein Gegenstück befindet. Das Gegenstück des nördlichen Tempels sind zwei im See verankerte zierliche Türmchen, von denen eine zierliche Brücke auf den See hinausführt und in einem achteckigen, luftigen, vom Seewasser umplätscherten Pavillon endet. Vom südlichen Tempel aus führt ein verspielt zickzackförmiger, breiter Steinsteg mit bunt bemalten Seitenwänden zu einer künstlichen Insel, die aus einer von zwei hübschen, siebenstöckigen Pagoden flankierten Plattform besteht.

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Pagoden und Kitsch made in Taiwan


Wie ältere Fotos bezeugen, wetteiferten die beiden Anlagen einst miteinander in wohlausgewogener Harmonie und nobler Eleganz. Doch was dem Besucher heute den Magen rumdreht, ist nicht die Tatsache, dass die Anlage wiederum komplett in Beton gegossen ist, sondern, dass man neuerdings die ursprüngliche Komposition um ihre offenbar unabdingbare Krönung ergänzt hat: Um die Türmchen des Nordtempels ringelt sich ein riesiger, zementener Lindwurm mit Blinklicht-Augen, durch dessen Betonschlund man das steinerne Gedärm betreten kann und, den Windungen des Drachenbauchs folgend, an Postkartenhändlern und Souvenirständen vorbei durch den selbst bei Betondrachen vorhandenen Anus wieder ins trübe Freie gelangt. Da wollen die beiden Pagoden des Südtempels natürlich nicht ins Hintertreffen geraten, sondern halten wacker mit im Wettstreit der Geschmacklosigkeit: Sie sind fest im Griff grell bemalten Disneylandgeziefers, nämlich eines wespenfarbigen Zement-Tigers und eines grünschuppigen Drachens, der mit weit aufgerissenen Lefzen unermüdlich begeisterte Pilger verschlingt.

Am Abend, den wir durch Gaoxiong schlendernd und als Zuschauer der vielen ambulanten Samstagabend-Puppentheater verbringen, treibt uns schließlich ein plötzlich einsetzender, heftiger Platzregen in die überdachten Betriebe der Gastronomie und Hotellerie zurück.

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Denk bloß nicht, dass das nur Kinder interessiert !


Sonntag, Sonntagswetter, Sonntagsverkehr... unser Sonntagsausflug kehrt sich wieder in Richtung regnerischen Norden, denn all den Sonnenschein kann man ja kaum noch ertragen. Über Zuoying und Alian, in dessen Umgebung etliche bedeutende Sakralbauten den Ruf des Ortes als "Taiwans Mekka" untermauern, oder, genauer gesagt, betonieren, bis nach Madou, dessen Großtempel Daitianfu in allen Reiseführern verzeichnet ist.

Zu unserer Verwunderung ist er dennoch nicht halbwegs so attraktiv wie die meisten der "namenlosen" lokalen Tempel in den Dörfern am Wegesrand, und als wir gewahren, dass sich hinter dem Großtempel gar wieder ein gigantischer Beton-Lindwurm nach uns reckt und seine Betonklauen, größer als alle bisher geschauten, zur Warnung vor dem kostenpflichtigen Nähertreten erhebt, ergreifen wir die Flucht, zumal ringsumher offenkundig zahlreiche weitere "historische" Kulturdenkmäler im Rohbau stehen, um der Souvenir- und Fotoindustrie zu steigenden Umsätzen zu verhelfen.

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Auf den Dächern geht's hoch her


Ein wegen seiner puzzleförmigen Gestalt Shanhudan (Korallensee) genannter Stausee wird ebenfalls mit Hilfe von Betonmischern gerade in ein Zentrum antiker Kultur aufgepeppt. Bislang steht erst der Himmelstempel aus Beijing mitten im Unkraut, dessen Original man 1948 wohl gerne mitgenommen hätte, wenn es nur in die Guomindang-Tornister gepasst hätte, aber die Gerüste und Verschalungen ringsumher lassen schon ahnen, dass ganz Taiwan in Kürze zu einem gewaltigen Disneyland "made in Taiwan" avancieren wird.

Da lobe ich mir die wahre Natur, an der kann der Mensch nicht so viel herumbetonieren, und deshalb steuern wir als nächstes den 2200 m hohen Gipfel des Alishan an. Dass sich die Nationalstraße Nr. 3 noch in ihrem Urzustand befand, war der Straßenkarte allerdings nicht zu entnehmen gewesen. Wir haben ja in Südamerika, im Kosovo und im Innern der Türkei schon manche abenteuerliche Piste erlebt, aber diese kurvig in den Urfels und über blanke Wurzeln gedrillte schlammig-kraterpfützige Hauptverkehrsverbindungsstrecke der Republik China war eine Sonderklasse, allenfalls interessant für Extremsportler oder Geologen. Ich werde mal einen schriftlichen Vorschlag einreichen zur sinnvollen Verwendung von Beton im Straßenbau, da es zementierte Tiger und Drachen nun doch allmählich in wahrhaft ausreichender Anzahl gibt.

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Aus dem Unkraut sprießt der Himmelstempel


Lange nach 17 Uhr war es, als unser malträtiertes Automobil aufatmend wieder Asphalt unter die Gummifüße bekam, kurz vor Jiayi, und dankbar schnurrte es, nach einem kurzen Halt in der Dämmerung an der schmucklosen Gedenkstätte für Wu Feng, der sein Leben opferte, um den Ureinwohnern die Unsitte der Menschenopfer abzugewöhnen, den langsam im Dunkel verschwindenden Rest des Weges zum Alishan hinauf.

Bei Nacht und dichtem Nebel trafen wir am kalten Gipfel ein und hüllten uns gleich in die wärmenden Laken des Hotelbettes, weil auch hier, wie bei den Nonnen, um 5 Uhr morgens Wecken ist. Am Alishan gibt es nämlich praktisch nur ein Touristenritual: Den Sonnenaufgang über dem Wolkenmeer zu Füßen zu genießen.

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Bettdeckenskultpur im Hotelzimmer


Also wummert irgendso ein Mensch vom Personal um 5 Uhr früh an die Hotelzimmertür, und misslaunig fahren die wenigen Februar-Touristen in Pullis und Wollsocken, mampfen eilig ein paar Kekse zu einem schnell aufgebrühten Tee und stolpern dann noch immer schlaftrunken zur Talstation der legendären Alishan-Bahn, die für 100 NT$ eine Reise zum Aussichtspunkt unternimmt. Die Zockelfahrt dauert allerdings kaum 15 Minuten, und dann stehst du im finsteren Forst und staunst, wie viele Leute da außer dir noch viel zu früh aufgestanden sind, fröstelnd rumstehen und Löcher in die schwarze Luft gucken.

Aber klar doch, das hat alles seinen Sinn, jetzt kommt nämlich die Stunde der Budiker, die auf Gasflammen heiße Getränke brauen und sie zusammen mit pappigen Sandwiches zu einträchtigen Wucherpreisen an die hungrigen, nachtfrostigen Zittertouristen verscherbeln.

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Morgennebel am Alishan


Allmählich beginnen sich dämmergraue Konturen abzuzeichnen, und dem Frank dämmert es ebenfalls angesichts der unaufhörlich um seine Ohren ziehenden Nebelschwaden samt Nieseltröpfchen, dass Sonnenaufgang und Blick von oben aufs Wolkenmeer heute vermutlich ausfallen werden, denn im Wolkenmeer, da steht er mittenmang drin. Bis zum in großen Lettern angeschriebenen Zeitpunkt des Sonnenaufgangs harrte er jedoch wie alle anderen Besucher geduldig auf das große Wunder.

Keine magische Hand zerteilte indes die Nebelfelder und gab einen Blick auf das Highlight des Alishan-Gipfels frei. Nach dem allgemeinen Seufzerchor dauerte es kaum 5 Minuten nach Sonnenaufgang, bis der Aussichtsplatz bis auf die zufrieden mit dem Abräumen beschäftigten Händler menschenleer war. Nur eine Hundefamilie stöberte in den Abfalleimern nach Überresten der entsorgten Snacks.

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Im Idealfall sollte es so aussehen . . . .


Wir nehmen den Fußweg nach unten, der die Kurven der Alishan-Bahn abkürzt und auch nur zwanzig Minuten dauert. Er endet im Alishan-Park, der mächtige Zedern, klare Teiche, kleine Bergklausen, ein Naturkundemuseum und einen zerbröselnden, angeblich 1000jährigen Buddha enth
ält. Damals war der Beton offenbar noch nicht so haltbar wie heute. Und als wir uns dem Parkplatz näherten, wo unser Vehikel übernachtet hatte, traf auch die keuchende Alishan-Bahn ein, zusammen mit den ersten Sonnenstrahlen, die einen Weg durch das Wolkenmeer gefunden hatten.

Wieder durch linde Landschaft rollend, auf kleinen Dorfstraßen in grünen Tälern, möchte man einen gemütlichen Ausflug machen. Also, eigentlich machen wir ja tagtäglich Ausflüge, bei jedem Regenwetter und nicht immer gemütlich. Leider wurde es heute beinahe sehr ungemütlich, denn als der lange Sattelschlepper vor uns stehen blieb und wir auch anhielten, ahnten wir nicht, dass der jetzt anfängt zurückzustoßen. Also normalerweise guckt man ja in den Rückspiegel, bevor man den Rückwärtsgang einlegt, aber vielleicht war unser PKW hinter dem Riesenfuhrwerk in Selbigem gar nicht zu erblicken. Ka am Steuer hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem rettenden Rückwärtsgang, und jetzt, als sich meterhohe Pneus unserem Kühler und das Ende der Ladefläche unserer Windschutzscheibe näherte, war sie vollends in Panik...

Wie ein wilder Watz malträtiere ich die Hupe, denn vom Beifahrersitz aus den Rückwärtsgang reinzuwürgen, dazu reicht die Zeit schon nicht mehr. Gottseidank hatte der Mietwagen eine heftig orgelnde Tröte, und nur wenige Zentimeter vor dem großen Knirsch latschte der Chinese in dem metallenen Dieseldrachen vor uns auf die Bremse, keinen Augenblick zu früh...!

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Die besseren Chausseen haben Asphaltbelag


Zur Erholung fassen wir in Douliu, wo sich der Himmel heftig eintrübt, Atzung und sind überrascht, dass die hutzelige Köchin ihre eigene Speisekarte nicht lesen kann. Wir sind ja in China schon beinahe taubstumm, aber blind sind wir nicht. Also tippen wir üblicherweise auf das verheißungsvoll angepriesene Festmahl auf der Speisekarte, denn die Schrift ist ja mit der japanischen eng verwandt, und überlassen es den Bediensteten, es auf Chinesisch vorzulesen. Aber wenn die Köchin Analphabetin ist, ergibt sich eine Konversation zwischen Blindem und Taubstummem. Ein freundlicher Gast vom Nebentisch machte dankenswerterweise den Sprecher, und wenn's ans Bezahlen und Kassieren geht, verstehen sich gewöhnlich auch blinde Taubstumme.

Natürlich hat die verwandte Schrift ihre Tücken, schließlich sind bald 2000 Jahre vergangen, seit Japan die Schrift aus China importiert und versucht hat, damit Japanisch zu schreiben. Aber wenn du im Hotel wissen willst, ob aus dem Wasserhahn auch heißes Wasser rauskommt, und du malst das in japanischer Schrift auf einen Zettel, dann liest der erstaunte Chinese die Frage, ob noch Suppe da sei. Und wenn ein hungriger Japaner auf den Eingang mit dem Schild "Großes Reishaus" zumarschiert, landet er nicht im erhofften Restaurant, sondern in der Lobby eines Hotels, in dem es außer leichten Mädchen nichts zu konsumieren gibt. Will er mit der Bahn weiterreisen und malt wie in Japan die Schriftzeichen "Dampfwagen" aufs Papier, wird er zum Taxistand oder zu einem Autovermieter geführt, denn in China ist die Eisenbahn noch immer ein "Feuerwagen". Und weil die japanische Version dieser Schrift Möglichkeiten bietet, auch Fremdwörter in Japanisch zu schreiben, macht der Mensch in Nippon aus dem Bier ein Biiru, aus dem Taxi ein Takushi, und aus dem Bus einen Basu, während der Chinese in solchen Fällen eher an "Hopfenwein" oder "Gast-Transporter" denken würde. Nur ein Fremdwort hat den Chinesen so gut gefallen, dass sie es übernommen und dafür eigene Schriftzeichen erfunden haben, und wenn ich dir verrate, welches, wirst du staunen:
......Pingpong! Und du hast gedacht, das sei aus China zu uns gekommen! Aber falsch geraten, das ist Englisch und in China in der amerikanischen Aussprache Pingpang naturalisiert worden. Früher nannte man das in China "Tischball".
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Nein, das heißt nicht "Pingpang"!


Ich sollte aber noch erwähnen, dass mir in Festlandchina mit einem wirklich hochgebildeten Schriftgelehrten während einer nächtlichen Zugfahrt eine mehrstündige schriftliche Kommunikation gelungen ist, woran ich mich bis heute gerne erinnere.

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