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6. März

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7.März

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8. März

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9. März

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.10.März

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fuku


Weil wir heute sehr früh aufgestanden sind, ist der Tag noch lang, und gegen Mittag erreichen wir ein weiteres Highlight Taiwans, den Riyuedan ("Sonne-und Mond-See"), zu dem uns die Glücksfee weder Sonne noch Mond gönnt, sondern nur einen bleigrauen Himmel und eine Straßensperre, an der die Gebühr für die Zufahrt zu entrichten ist.

Aus dem Moll der bewölkten Berglandschaft schimmert der See in melancholischem Glanz herauf, eingefasst vom grünen Bergsaum, aus dem geschwungene Dächer und eine anmutige Pagode herausragen. Sie gehören zu dem mächtigen Heiligtum Wenwumiao, von dessen Obergeschossen und Seitentürmchen aus sich herrliche Blicke auf das sonne- und mondlose Seepanorama bieten.

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Wenwumiao


Am Straßenrand winkt ein Mädchen und will ein Stück mitgenommen werden. Nach vergeblichen Plauderversuchen auf Chinesisch packt sie ihre Japanisch-Kenntnisse aus und erzählt, dass sie zu einem Volksstamm der Taiwan-Ureinwohner gehöre und in einem Dorf am Seeufer wohne. Dort betreibt ihre Familie einen Laden, in den wir zum Tee eingeladen werden.

Jetzt darfst du aber nicht glauben, dass die Ureinwohner von Taiwan untereinander Japanisch sprechen. Das ist vielmehr ihre Berufssprache, denn das Teehaus am Seeufer entpuppt sich als Souvenirbude, in der sämtliche vier Schwestern unserer holden Anhalterin schon während des Tees anfangen, uns in dieser sonne- und mondlosen Jahreszeit einzige Besucher zum Kauf von Jade, Korallen, Muscheln, Tee, Gewürzen, Kimonos und Kitsch zu animieren. Jede dieser Animierdamen hat eine andere Technik, auf das eigentliche Ziel zuzusteuern, aber alle fragen uns als erstes, ob wir hier auf Hochzeitsreise seien. Langsam wird mir klar, weshalb diese Gegend, die sich aus einem simplen Stausee zu einer veritablen Touristenattraktion gemausert hat, die teilweise noch im Bau befindlich ist, einen dermaßen romantischen Namen trägt; es soll vermutlich an Honigmond-See erinnern.

Für uns ist diese Reise freilich schon etwa die vierundzwanzigste Hochzeitsreise, und dieser langjährigen Erfahrung verdanken wir das Geschick und die Chuzpe, ohne jeglichen teuer erkauften Kitsch dieser gastfreundlichen Klitsche zu entrinnen, obwohl die vier Damen recht professionell vorgegangen waren und kaum eine Finte ausgelassen haben.


riyuedan
Das Wenwumiao blickt auf den Honeymoon-See


Die sonstigen Tempel und Gärten rings um den See besichtigen wir in der Dämmerung, die wegen der umliegenden hohen Berge und dunklen Wolken recht früh einsetzt, und zischen dann in der Dunkelheit nach Puli, von wo es über Wushe und enge Bergpisten nach Lushan geht, wo die Japaner einst heiße Quellen geortet und einen Thermalbadeort gegründet haben, der heute noch aktiv ist.

Die letzten 9 km zweifele ich, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Es ist stockfinster, die "Straße" unbeschildert und so kurvig, steil und eng, dass Gegenverkehr eine Katastrophe wäre. Aber solche Sorgen sind überflüssig, außer uns ist keine Menschenseele zu erblicken. Als ich schon fest davon überzeugt bin, in Kürze wieder vor dem Tor eines militärischen Sperrgebiets zu stehen, wird zwischen den Bäumen in der Ferne ein rotes Lichtlein sichtbar, das sich als das Rücklicht eines Mopedfahrers entpuppt, der vorsichtig alle Schlaglöcher und Pfützen umkurvt und plötzlich Halt macht. Im Scheinwerferlicht werden Holzbohlen und Stahlseile sichtbar: Ein wacklichter Steg über eine wer weiß wie tiefe Schlucht.

Der Spezi wartet also da, um zuzugucken, wie wir samt Brücke koppheister gehen. Na gut, soll er seinen Spaß haben. Da kein Schild irgendwelche Warnungen angeschrieben hat, wagen wir die Fahrt und schunkeln wie auf Pudding über die klappernden Planken, während der Motor zum Glück die gefährlich sirrende Begleitmusik der gespannten Drahtseile übertönt. 150 m weiter, auf der anderen Seite, verschlingt uns sogleich eine Tunnelröhre und speit uns schließlich am Anus mundi wieder aus. Ein Stück weiter talwärts erstrahlt eine Anzahl von Bauten im Schimmer elektrischen Lichts, und als wir ankommen, erkennen wir, dass es sich ausnahmslos um Andenkerias, Gasthäuser und Touristenhotels des Kurorts handelt. Wir sind also da.

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Im Tal leuchten die Herbergen von Lushan


Fast halb neun, aber noch nicht zu spät zum Abkassieren. Der Motor ist noch nicht aus, da heftet schon so eine Tante einen Zettel unter den Scheibenwischer und will Parkgebühr kassieren. Nein danke, wir fahren die 5 Häuser zum Ortseingang zurück, wo ein kostenfreier Platz ist, und lassen unser Vehikel da verschnaufen, aber die Kur geht noch weiter. Aus allen gastlosen Gasthäusern kommen Lakaien gestürmt, die uns zum Übernachten einladen, aber wir folgen keinem der schleimig dienernden Typen mit Schlips, sondern einer abgehärmten Tante, die sich von den glatten Ellenbogenmenschen ganz nach hinten schubsen ließ. Sie führt uns auch gleich in ihre Gasthausküche, wo ihre Schwester, die Japanisch kann, die Kelle führt und uns was Ordentliches vorsetzt.

Anders als in Japan, wo vom kleinsten Imbiss bis zum Fünfsterne-Gourmetpalast stets Männer am Herd stehen (nur zuhause, da lassen sie sich von der Ehefrau beköcheln), sind in Taiwan die Frauen auch in der Gastronomie für die Küche zuständig, und in kleinen Gasthäusern servieren sie auch eigenhändig die Speisen und versorgen nebenbei die Kinder, füttern den Hund, kaufen ein, spülen und putzen. Die Zutaten zu dieser Hausmacherkost liegen oft sichtbar in einem eisgekühlten Glaskasten aus, andere Gerichte blubbern schon auf kleiner Flamme in großen Kochtöpfen, und dazu kann man dann Reis (fan) oder Nudeln (mian) ordern oder sich die gewählten Speisen als Suppe (tang) zubereiten lassen. Wer mehr verlangt, der hat die Speisekarte, in riesigen Lettern handgepinselt und an die Wand gepinnt, stets vor Augen, wobei es durchaus von Vorteil sein kann, wenn man sie lesen kann.


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In Taiwan kocht die Frau


Nachdem wir uns in den heißen Quellen gesuhlt, neue Kräfte gesammelt haben und auch sonst weitgehend restauriert worden sind, steht heute die Überquerung des Zentralgebirges von Taiwan an. Es gilt, den fast 3000 m hohen Pass am Berge Houhuanshan zu überwinden. Zuerst allerdings müssen wir Lushan auf demselben Weg verlassen, der uns gestern hier herführte, denn in diesem Dorf, hinter dessen Häusern heiße Dämpfe zischend aus Erdspalten schießen, endet die idyllische Piste.

Auch im Morgenlicht hat die urtümliche Hängebrücke nichts von ihrer waghalsigen Gebrechlichkeit eingebüßt. Wir schauen uns erst einmal an, ob und wie der dicke Omnibus vor uns das Abenteuer besteht. Mit so einem Vehikel ist die Grenze der Belastungsfähigkeit des Stegs vermutlich derart nahe, dass der Fahrer vorsichtshalber alle Fahrgäste aussteigen und zu Fuß über die Bohlen wandern lässt, bevor er mit seinem tonnenschweren Bus, zu Buddha und allen Bodhisattvas betend, auf dem schwankenden Konstrukt das Schicksal herausfordert. Die Brücke lässt sich in der Mitte nicht mal durchhängen, es knirscht und sirrt nur ein bisschen, aber der Bus kommt heil rüber. Beruhigt tun wir's ihm nach und erreichen bald die Hauptstraße, die fortan nur noch steil nach oben führt.


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Sachte schaukelt die fragile Brücke


Für die windungsreiche Strecke, die schon nach wenigen Kilometern meint, ohne Asphaltierung auskommen zu können, entschädigt uns ein immer atemberaubenderes alpines Panorama so lange, bis wir in etwa 2200 m Höhe die Wolkengrenze erreichen. Am nebligen Straßenrand blühende Kirschbäume, frisches Grün, einige unscheinbare Bergdörfer, und in einem davon steht ein Typ am Wegesrand und winkt uns heftig zu. Schon wieder ein Ah Q, der mitgenommen werden will?

Nein, der Mensch verklickert uns in vielwortigem Chinesisch, dass es ohne Schneeketten unmöglich sei, den Pass zu überqueren. Also, jetzt sind wir schon eine Stunde den Berg raufgeholpert, und sollen jetzt wieder zurück? Das wäre ein Umweg von 170 km! Also, wenn das ein Amtmann wäre oder einer von der olivgrünen Bande, da würde ich kehrt machen, aber so ein Dorfschulze oder was immer? Frisch gewagt ist halb gewonnen, ich fahre einfach weiter.


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Panorama am Houhuanshan


An einem Parkplatz fragen wir den Fahrer eines Wagens, der von oben runter gekommen ist, und der meint, och, das wird schon gehn, keine größeren Probleme, und frohgemut tuckern wir weiter bergan. Auf den Scheibenwischern entgegenkommender Wagen kleben Schneereste, die Außentemperatur nimmt rapide ab, die Wolken, die sich um den Gipfel des Houhuanshan drängen, werden dichter und am Bordstein taucht die Höhenmarke von 2500 m auf. Der Motor jault angesäuert und lässt sich nur im zweiten oder ersten Gang zu sinnvoller Tätigkeit animieren, obwohl die steinige Chaussee nicht mal sonderlich steil aussieht.

Es beginnt zu nieseln, im Straßengraben werden Schneereste sichtbar, 2800 m und noch kein Pass in Sicht. Bald ziert sich auch der Straßenrand mit einzelnen Schneehäubchen, dann sieht auch die Straße allmählich nach Raureif aus, aber die Fahrspur ist weiterhin schlammigbraun. Es lässt sich aber nicht übersehen, dass der Schneebelag mit jeder Kurve, mit jedem Höhenmeter zunimmt, und mit Ausnahme der ausgefahrenen Reifenspur ist die Schneedecke nun komplett. Hier und da beginnen die Reifen zu mahlen... wie weit ist es noch bis zum Pass?

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Wie weit ist es noch bis zum Pass?

Wir haben es nicht erfahren. Eine Haarnadelkurve, ein steiler Anstieg, surr, sagt es, rutsch sagt es, bssssiiiiiit sagt es, und dann stehn wir da mit unserem Vehikel. Schneeketten hat der Autoverleih nicht mit dazugepackt. Und jetzt die ganze Strecke wieder zurück, wa?

Kreuzkanonenbombenhageldonnerwetterkuckucksmiesepimpelsalat noch mal! Und jetzt soll mir nur einer verraten, wie man hier wendet, auf diesem engen, steilen Feldweg, ohne den ungesicherten Steilhang holterdipolter runterzuschliddern?

Na schön, du hast's ja selber so gewollt, den wohlmeinenden Ratschlag hochnäsig in den Bergwind geschlagen. Und kannst dich nicht rausreden, du hättest den Chinesen nicht verstanden, denn um einer langen Rede kurzen Sinn zu erfassen, dafür reichen die Kenntnisse schließlich doch noch.

Ja, du hast ja Recht, seufz. Aber das nützt nichts, ich muss hier heil wieder rauskommen aus dem schneeigen Schlamassel. Also im Schritttempo rückwärts runter, immer schön in der Fahrspur bleiben, ein paar Meterchen oder Kilometerchen, bis mal eine Verbreiterung kommt und der Schnee weg ist. Aber Buddha hat kein Einsehen. Von hinten kommt ein breiter Kombi und wundert sich über den unverhofften Gegenverkehr, mit dem Hinterteil zuerst bergab rutschend. Wie kommt man in diesem Schneematsch aneinander vorbei?


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Schneesturm nahe dem Gipfel


Dass es zu eng zum Vorbeikommen war, merkten wir erst, als unser geplagtes Gefährt sich seufzend in den bergseitigen Straßengraben legte, sanft hineinrutschend in die weiche, weiße Kuhle. Somit war zwar Platz zum Überholen geschaffen, aber wir hatten eigentlich nicht vor, den Tag in Kälte und Nebel nahe dem Gipfel des Houhuanshan zu beschließen. Glücklicherweise entquollen dem Kombi sieben oder acht kräftige Jünglinge, denn das war ein Arbeiter-Transporter, und mit Elan schubsten sie unseren Blechschlitten zurück auf die Bobbahn, wo er seine Rückwärtsfahrkünste wieder aufnahm.

Zwei Stunden Berg rauf, zwei Stunden Berg runter, um halb 12 sind wir wieder da, wo wir heute morgen gestartet waren, mit sauren 170 km Umweg vor uns. Taiwan erscheint uns eher lieblosa als formosa. Zur Mittagszeit sind wir wieder in Puli, das wir gestern Abend schon hinter uns glaubten, und das Wiedersehen wird mit einem Imbiss begangen. Den Rest des Tages kurvten wir durch die Schluchten und Felsen der Strecke Heping-Lishan, die mit ihren zahllosen Tunnels, Bergrutschen und in den Fels gravierter Landstraße recht spektakulär ist. Dass dieses kleine Inselchen einige der höchsten Gipfel Ostasiens aufweist, wird beim Ausblick auf die schneebedeckten Gipfel des Yushan (Mount Morrison), 3997 m, und des Houhuanshan, 3416 m, deutlich, der uns heute Morgen so schroff abgewiesen hatte.

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Obstblüte bei Lishan


Auch Lishan liegt noch hoch genug, um als Luftkurort Karriere zu machen. Augenblicklich macht es freilich seinem Namen (Birnenberg) alle Ehre, denn es liegt inmitten weiter Obstplantagen, die alle umliegenden Hänge und Hügel bedecken und allesamt in voller, duftender Blüte stehen. Ein blühender Birnenzweig ziert die Lobby des kleinen, teuren Hotels, in dem wir uns von den Abenteuern des Tages erholen. Er erinnert mich und andere Besucher daran, dass Bo Juyi, Chinas Goethe, in seinem weltberühmten Trauergedicht um die gemeuchelte Yang Guifei, Chinas schöne Helena, ihre Schönheit mit einer Birnenblüte verglichen hat. Wir gedenken ihrer bei einem schmackhaften Abendessen in einem typischen chinesischen Restaurant.

Ja, was ist das eigentlich, ein "typisches chinesisches Restaurant"? Allzu vornehm sollte es nicht sein, sonst wird es international und verliert sein "typisch", und allzu bruchbudenartig sollte es auch nicht sein, denn dann ist es kein Restaurant, sondern eine Fresseria. Das untrüglichste Kennzeichen ist eine richtige Eingangstür, die bei den Fresserias fehlt. Ferner gehören dazu die großen runden Tische mit Tischdecke und kreisförmigem Drehaufsatz. Die Speisekarte ist nicht auf Zettel gepinselt und an die Wand gepinnt, sondern gleicht derjenigen der China-Restaurants, die du von daheim kennst, mit ihren Rubriken Schwein, Rind, Fisch, Geflügel, Meergeziefer, Gemüse, Suppen, Nudeln, Reis usw., nur dass hier logischerweise die deutschen Untertitel fehlen.

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Hurtige Kellnerinnen verwöhnen die Gäste ...


Überdies wimmelt es von hurtigen Kellnerinnen, die ständig die Gäste im Auge behalten und wuppdich alle Muschelschalen und Shrimpreste forträumen, neue Teller hinstellen und Bier nachschenken. Aber so weit sind wir ja noch gar nicht. Erst kommt also die Speisekarte und eine oder zwei Kellnerinnen mit waghalsig bis fast zur Hüfte seitlich hochgeschlitzten China-Kleidern. Die bleiben beharrlich neben dem Gast stehen, der sich aber von der fast körperlich spürbaren Ungeduld der flinken Ladies nicht beirren lässt und umständlich an den chinesischen Glyphen herumentziffert, bis er sich das eine oder andere aussucht.

Dass wir zu zweit nur drei bis vier Gerichte nehmen, enttäuscht diese Damen, denn in China pflegt man sich in Restaurants gehörig die Wampe vollzuhauen und weit mehr zu ordern, als man zu essen im Stande ist. Dennoch zischen die Mädels mit der Bestellung ab, und schon taucht die nächste auf mit einem Tablett voller kleiner Tellerchen. Salate, Erdnüsse, Pistazien und andere Appetizer, und man macht gute Miene dazu und wählt sich ein, zwei Sorten davon aus und knuspert dran herum, um das Kauwerkzeug vorzuwärmen, bis die Mahlzeit kommt. Diese lässt indes nirgendwo lange auf sich warten, denn chinesische Köche und Köchinnen haben nicht nur kochen, sondern auch zaubern gelernt. Aus einer Speisekarte von selten weniger als 200 Positionen wählen sich in Stoßzeiten um die 30 Gäste beinahe gleichzeitg mehr als 70 Gerichte aus, aber was es auch sei, schon zehn Minuten später dampft schon die leckere Überraschung vor deiner Nase. Und man kann die Stäbchen kaum so flink bewegen, wie die nächsten Teller mit der Fortsetzung aufgetragen werden.

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... und packen dir hinterher die Reste ein


Die allerwenigsten Gäste kommen allein oder zu zweit wie wir. Der Homo sinensis ist eine sehr gesellige Spezies, der sich im Kreise von acht bis fünfzehn Mitessern am wohlsten fühlt. Familien mit Freunden und Verwandten, Herren-Clubs und Majong-Zirkel umsitzen die runden Tische und ordern, was die Platte fasst. Geschäftig sprinten die Mädchen durch Tabakqualm und Laojiu-(Reiswein-)Dünste, stets wachsam im Auge behalten vom Patron, der in einer Ecke auf einem Podest sitzt, wo er alles überblickt und dirigiert wie ein Maestro sein Sinfonieorchester, und nur dann, wenn ein besonders geschätzter oder prominenter Stammgast sich silhouettenartig an der Glastüre des Eingangs abzeichnet, saust der Patron wie ein geölter Blitz nach vorn, reißt die Pforte auf, macht einen tiefen Bückling und sagt dann vermutlich all das, was ohnehin schon in großen, roten Lettern über der Eingangstüre steht:

"Unsere tiefste Dankesschuld für den von Ihnen vorübergehend diesem schäbigen Lokal verliehenen Glanz!"

Diesen Glanz verleiht der Gast dem Restaurant nicht am Tisch, sondern am Ausgang, wo die Kasse ist. Ebenso hurtig wie das Menü wird die erstaunlich preiswerte Rechnung zusammenaddiert, und weil es die Regel ist, dass der Gast mehr ordert als er essen kann, bekommt er nach Begleichung der Rechnung eine Plastiktüte in die Hand gedrückt, in der die Überreste der Mahlzeit, von den fleißigen Kellnerinnen fein säuberlich in Plastiktöpfchen mit Deckel eingefüllt, zum Mitnehmen nach Hause enthalten sind.

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Landstraße im Inland von Taiwan


Bis zum Ende der Mietfrist bleibt nicht mehr viel Zeit, so dass wir früh starten, um den vermaledeiten Umweg von gestern auszugleichen. Aber wenn du's eilig hast, darfst du nicht vergessen, vorher um himmlischen Beistand zu beten, sonst geht's dir wie uns Ungläubigen. Beim Frühstart merkst du gleich, dass der Wagen sich anders bewegt als sonst: Aha, ein Pneu hat uns die gestrige Tour krumm genommen und pffffchchch schlapp gemacht. Reifenwechsel vor dem Portal des Hotels. Dass ein Hotelboy seine weißen Handschuhe ablegt und tatkräftig mit anpackt, ist ein toller Service, nützt uns jedoch nur wenig. Als wir nämlich mit nur 30 Minuten Verspätung losrollen, erreichen wir wenige Kilometer hinter Lishan eine Straßensperre und ein Schild mit vielen, vielen chinesischen Schriftzeichen, die zu entziffern wir reichlich Muße hatten.

"Straße wegen Bauarbeiten vorübergehend komplett gesperrt. Öffnungszeiten 6:00, 8:00, 10:00, 12:00 usw." Und jetzt ist es 25 Minuten nach 8 Uhr. Wegen der Sabotage des heimtückischen Pneus müssen wir jetzt, anstatt zügig weiterzurauschen, anderthalb Stunden Obstplantagen betrachten. Hinter uns stauten sich allmählich etliche weitere PKWs voller ungeduldiger, fluchender Chinesen, die wütend zu Fuß zu den Arbeitern an der Baustelle pilgerten und sie dermaßen heftig bedrohten, dass es um 9:10 Uhr eine Sonder-Öffnung gab. Gegen 10 Uhr waren wir endlich im Nachbarort Dayüling, den wir ohne den tückischen Schneebelag am Pass des Houhuangshan schon gestern Nachmittag erreicht hätten, und töffelten bei sonnigem Wetter eilig weiter nach Tianxiang, das im Schnittpunkt zweier Täler liegt. Der Ort ist wie geschaffen für gemütliche Spaziergänge, mit Tempelchen am Berghang, einer Fußgänger-Hängebrücke über eine schäumende Bergklamm, und da wir nicht nur zum Autofahren nach Taiwan gekommen sind, vertreten wir uns trotz Zeitdrucks die Beine auf einer kleinen Wanderung zu der im Wald sichtbaren Pagode, dem Wahrzeichen des Ortes.

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Pagode von Tianxiang

Von hier aus windet sich die Straße durch die immer enger werdenden Felswände der Tailuge-Schlucht, die spektakulärste Chaussee von ganz Taiwan, ja, eines der Highlights Ostasiens. Steil ragen zu beiden Seiten Felswände aus Marmorgestein und Granit in die Höhe, die Straße beißt sich in die Klüfte und klammert sich an Felsnischen, während in der Tiefe Wildwasser zwischen mietshausgroßen Felsbrocken gurgelt. Tunnels, Höhlen, Schlünde, und wo die Natur nicht weichen wollte, mussten auch die Granitwände angeknabbert oder gar gebohrhöhlt werden. Ein atemberaubender Blick folgt auf den andern, und auch, wer in der Welt schon Vieles gesehen hat, macht immer wieder Halt, um sich sattzustaunen.

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Wo ist eigentlich die Landstraße?


Kurz vor dem Ende der Schlucht, wo sich die eng zusammengerückten Felswände schon wieder brav in sonnige Schräglage zurücklehnen und von grünem Dickicht bewachsen lassen, trifft sich alles auf einem großen Parkplatz voller Busse, Taxis und Touristen, die sich mit einigen als Ureinwohner verkleideten Student/inn/en gegen Entgelt fotografieren lassen, an zahlreichen Buden Sandwiches und Frühlingsrollen mampfen oder Tailuge-Souvenirs befummeln.

Kaum jemand findet die Zeit zu einem Besuch des Tempels am gegenüber liegenden Hang, der zum Gedenken an die Opfer der Tailuge-Schlucht errichtet worden ist. Die heute so bewunderte kühne Straße ist nämlich unter japanischer Herrschaft aus strategischen Gründen als Ost-West-Verbindung durch chinesische Zwangsarbeiter gebaut worden, und da die japanischen Besatzer nicht zimperlich waren und das Leben der chinesischen Kulis nicht sonderlich achteten, entstanden alle die tollen Tunnels, kühnen Brücken, fotogenen Felsnischen und urigen Granithöhlen in Handarbeit und ohne lästige Sicherheitsmaßnahmen. Herabbrechendes Gestein, zusammenbrechende Tunnels und Stürze in die schäumend strudelnde Tiefe forderten Tausende von Opfern, die von der Mehrzahl der auf das "Werk ihrer Vorväter" stolzen japanischen Touristen gerne vergessen werden.


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In Handarbeit gemeißelt


Kurze Zeit später sehen wir das Meer an der steilen taiwanesischen Ostküste, die beinahe ebenso schroff ist wie die Tailuge-Schlucht und eine ähnlich spektakuläre Küstenstraße zu bieten hat. In Sude, einem Fischernest am Meer, stärken wir uns mit Entenbraten für die abenteuerliche Strecke, aber auf die Ente folgt gleich das Ende, denn am Ortsausgang steht eine rote Ampel mit groß angeschriebenem Zeitplan, dem zufolge die nächste Grünphase um 15:10 Uhr beginnt. Schon wieder anderthalb Stunden Wartepause!

Und diesmal sind keine Bauarbeiten daran schuldig: Die Küstenstraße ist nur einspurig und nur ohne Gegenverkehr passierbar. Um es vorweg zu nehmen: Von der landschaftlichen Schönheit der Strecke bekommen wir nicht viel mit, denn erstens beginnt es sich einzuwölken, und zweitens ist die Mentalität des chinesischen Automobilisten so eine eigene Sache.

Du weißt ja, dass sich auch zwischen Flensburg und Garmisch der liebenswürdigste Zeitgenosse, sobald er am Steuer seines Benz die Autobahn erreicht, in einen kaum domestizierten Neandertaler verwandelt. Da braucht es nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, dass um 15:08 in dem Pulk der wartenden Autos die Motoren angelassen werden, und von hinten trotz roter Ampel schon tonnenschwere, ölig brüsselnde Brummis nach vorne geprescht kommen. Motorradfahrer stehen sowieso alle schon auf Pole Position, Sportwagenfahrer schlängeln sich zwischen den LKWs vor, und um 15:09 ist die Startlinie wie im Nürburgring von lauernden, die Kupplung durchgedrückt, sich langsam voranschiebenden Blechraketen belagert, bis irgendeiner die Nerven verliert und trotz Rotlichts losbrettert, um nur der erste zu sein. Vielleicht hat ja auch nur einer den Motor laut aufheulen lassen und ein anderer hat gemeint, ein Rivale wolle sich vorschieben, und hat selbst Gas gegeben.

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In den steilen Fels gefräste Ostküstenmagistrale


Jedenfalls ist die Bande nicht mehr zu halten, es bricht eine irre Meute zu einer wilden Hatz auf, Formel 7, und ohne Rücksicht auf Verluste dröhnen die LKWs volle Pulle hupend durch das durcheinanderstiebende Autoskootermeer, in dem jeder versucht, die Konkurrenten schneidend einen vorderen Platz zu erwischen und sich dann nie mehr überholen zu lassen, bevor die sich schnell verengende, windungsreiche Straße einspurig wird und die Reihenfolge der Wagen nicht mehr veränderbar ist. Wehe den Einwohnern des kleinen Dorfs an der Straße in der Mitte der kleinen Ebene, in der die Chaussee einige hundert Meter weit schnurgerade verläuft und sich ein wenig verbreitert ! Mütter, haltet eure Kinder, Omas, Opas und alle Haustiere fest ! Wie Wotans wilde Walküren stiebt die Rallye quer durch den Ort, denn hier und nirgends sonst kann sich der Amateur-Rennfahrer um eine oder zwei Positionen verbessern oder einen rußigen Dieselkieslaster hinter sich lassen.

Dabei ist alles vergebens: Schon im folgenden Dorf sammelt sich die ganze Mischpoke vor der nächsten roten Ampel mit Zeitplan, dem zufolge eine weitere Pause von 30 Minuten unumgänglich ist. An noch zwei oder drei Ampeln wiederholt sich in der Folge das gleiche Spiel, bis sich der Irrenpulk am späten Nachmittag auf offener Landstraße hinter dem Flecken Suao endlich auflöst.


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Zurück im Dauerregen von Taibei


Mit der hereinbrechenden Dämmerung setzt auch der Regen ein: Taibei ist nah und bereitet uns mit seinen nassglänzenden Straßen, in denen sich die Leuchtreklamen spiegeln, den gewohnt feuchten Empfang. Vorsichtig tasten wir uns durch die Zweiradschwärme, die uns auch unterwegs stets zuverlässig angezeigt hatten, dass wir uns einer größeren Ortschaft nähern, und erreichen kurz nach 20 Uhr unsere noble Suite im Studentenheim.

Es gibt noch einiges zu besichtigen in Taibei, das Kongcimiao (Konfuzius-Mausoleum) oder die Tempel Lungshan und Baoan, aber das unvergesslichste Erlebnis war der Besuch einer chinesischen Apotheke. Japaner vertrauen nämlich in jeder Hinsicht der traditionellen chinesischen Medizin, und für die ins Alter gekommene Verwandtschaft und deren diverse Zipperlein müssen wir einen Apotheker der besonderen Art aufsuchen.

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Getrocknete Drachen und Alraune ...


Der alte Herr mit der Nickelbrille eines Gelehrten spricht leider kein Japanisch, ist jedoch so gebildet, dass wir, nachdem wir unsere Wünsche schriftlich notiert haben, hervorragend mit ihm klar kommen. In brillanter chinesischer Handschrift malt er seine Vorschläge auf einen Zettel, ausgezeichnet alles, bis auf den Preis von umgerechnet knapp 200 Euro. Aus den Mengenangaben ersehen wir jedoch, dass auch die Hälfte ausreichend sein dürfte, denn sterben müssen wir alle eines Tages, da hilft auch die chinesische Medizin nicht weiter.

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... werden rezeptgemäß abgewogen, portioniert ...


Also gut. Lächelnd macht sich der zierliche Alte mit seinem Assistenten ans Werk. Aus dem Vorratskasten wird ein Bündel getrockneter Drachen (oder vielleicht sind es auch nur Iguanas und sonstige Saurier) auf die Apo-Theke gewuchtet und eines dieser Urviecher mit einem scharfen Taschenbeil verhackstückt. Aus einer anderen Schublade kommt ein anderes Trocken-Reptil zum Vorschein, das zu Lebzeiten offenbar eine Giftviper war, von der ein gutes Viertel abgeknapst wird wie von einem Kringel Fleischwurst. Auch dieses Vieh wird mit dem Hackebeil zerfitzelt und zu den Drachenfetzen gehäuft, und dann folgen die pflanzlichen Ingredienzen, Reizkermorchelpilzschwamm, Kräutchen, Blättchen, Alraun und Hirschhorn, und zuletzt kramte der Alchymist eine Art Kaffeemühle hervor und verarbeitete das gesamte Dracula-Arsenal zu einem graubraunen Pülverlein, das man, wie er in wunderschönen Schriftzeichen auf die Verpackung kalligrafierte, teelöffelweise in heißem Wasser auflösen und täglich dreimal zu sich nehmen soll. Ich vermute mal, dass das Zeugs zumindest nicht toxischer sein dürfte als die Produkte der Pharma-Industrie, mit denen sich die Leute in Europa vergiften.

kanpo3
... klein gehackt und zu Teepulver zermahlen

Weil der Regen heute ein wenig schwächelt, fahren wir am letzten Tag noch in die nahen Berge, wo sich nahe dem Ort Muzha ein hübscher Palazzo in die nebligen Frühlingsberge kuschelt, eingefasst in blühende Azaleen und Bergkirschen, der Zhinangong. Heute ist dieser Sommerpalast ein Tempel, man hört's schon von ferne, denn aus den offenen Hallen tönt kraftvoller Mönchsgesang, von Gong und Zimbeln begleitet. Auch der Nebel fühlt sich offenkundig angezogen und hüllt die ganze Feier in himmlische Schleier, so dass sich der fröstelnde Besucher abwendet und dem Goldenen Buddha aus Thailand einen Besuch abstattet, eine wirklich anmutige Figur, die allerdings schwarzbronze war, mit nur einigen blattgoldbezogenen Stellen.

zhinangong
Zhinangong in Muzha


Am Abend hocken wir uns nochmal in die Militär-Oper in der Zhonghua-Straße, bevor wir mit dem Linienbus nach Taoyuan dieseln, um vom dortigen Airport aus die freie, volkslose Regenrepublik China zu verlassen. Immerhin haben wir, zumindest im Süden des Inselstaats, den Frühling zu fassen bekommen, und wünschen uns, dass er uns bald da oben im Norden, wo Nippon liegt, aufsuchen möge. Nur die Regenwolken, die kann er meinetwegen in Taibei lassen...


(home)

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