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taflag

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yume

Auf dem Rückweg hört der Regen auf. Hoffnung für morgen?

Natürlich nicht. Es wird vielmehr immer wilder. Nach einer Irrfahrt mit rumpelnden Bussen durch labyrinthischen Verkehr sprinteten wir durch immer flutigere Pfützen zu dem Autofritzen und holten unsere vorbestellte Karre ab. Immerhin das klappt eins A.

Und los geht's, dampfen wir ab in den Süden, wo einer chinesischen Legende zufolge der sonnige Frühling weilen soll. Vor diesen hat Taiwan allerdings noch verstopfte Straßen, fehlende Beschilderung und die schwarzhässliche Industriezone Sanzhong gesetzt, jene Trabantenstadt von Taibei, die man tunlichst bei Nacht durchfährt.

sanzhong
In Sanzhong ist Taiwan nicht allzu formosa


Sicher, Taibei hat noch ein paar Punkte gutgemacht, trotz des endlosen Sauwetters. Als Perle des Orients wird man es eher nicht bezeichnen wollen, aber das quirlende Leben rund um die Zhonghua-Straße, das quellende Angebot an Waren und Fressalien, die sorgsam wiederaufgebauten alten Stadttore, ja, selbst viele moderne, aber oft mit chinesischen Versatzstücken gezierte Bauten wie das Grand Hotel, das Landesvater- und das protzige Zhongzheng-Memorial sind chinoise Wegmarken in der sonst gesichtslosen, rasch wuchernden Stadt. Auch die zahllosen Lädchen, die abends noch lange auf haben, die Stände voller exotischer Früchte, die rund um die Uhr geöffneten kleinen Mampfbuden am Straßenrand mit ihrem Dach aus Zeltplane und davor wackligen Hockern, aber einer unglaublich langen Speisekarte, all das schafft in vielen Stadtteilen von Taibei eine Art Flohmarkt-Atmosphäre, die der Stadt eine attraktive Aura verleihen. In der Tat, selbst in dieser grauen Jahreszeit latschen hier rucksackbewehrte Weltenbummler mit Tätowierung, Knopf im Ohr oder Nasenring durchs Gewühl und feilschen auf Chinenglisch um den einen oder anderen Tand.

All dies versinkt allmählich im immer heftigeren Regen, während wir die ersten Reisfelder erblicken, wo endlich Staus, Ampeln und Abgase weniger werden und keine Lastzüge mehr das Autofensterpanorama zustellen. Noch eine Stadt, Taoyuan, das als Standort des Airports und als Industriezentrum eine gewisse Bedeutung hat, und dann biegen wir einfach ab von der Landstraße Nr.1, um auf kleineren Straßen idyllische Landschaft zu kosten.

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Im Frühling wird der Reis gepflanzt

Schon am Ortsausgang von Taoyuan erhebt sich ein mächtiger, in keinem Reiseführer vermerkter Tempelbau in der Mitte eines großzügig angelegten Teiches, durch niedrige Steinbrückchen mit dem Ufer verbunden.

In Daxi, auf dem Weg zum Shimen-Stausee, lässt der Regen endlich so weit nach, dass wir das Auto verlassen, um uns in einem Dorfrestaurant zu stärken, aber die Aussicht von dem auf einem Hügel sehr schön gelegenen Lokal auf Terrassenfelder und eine weite Tiefebene wird durch Nieselregen und tief hängende Wolkenfetzen behindert.

Es ist gut, dass unsere Mietkarosse nicht nach gefahrenen Kilometern taxiert wird, denn wer die verkehrsreiche Hauptstraße verlässt, der sollte unbedingt einen Kompass zur Hand haben, um an irgendein Ziel zu gelangen. Im Regen kann man sich schlecht nach Sternen oder der Sonne richten, die in Taiwan offenbar nur auf der Landesflagge sichtbar ist. Und Wegweiser sowie Hinweisschilder sind offenbar in vielen Regionen der Insel noch unbekannt. Die Nummer der Chaussee, die auf bisweilen am Straßenrand auftauchenden Meilensteinen verzeichnet ist, war für die Orientierung am hilfreichsten. Demgegenüber hat die Breite der Chaussee, ihr Zustand oder die Asphaltierung wenig zu besagen. Wenn du eine Zeitlang keinen Meilenstein gesehen hast, dann endet auch die breiteste Piste vor den Toren eines Militärareals oder versickert, immer schmaler werdend, zwischen Reisfeldern, bis du nur noch zu Fuß weiterkommst.

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Tempelimpression


Wie das mit dem Wetter nun einmal so ist, war der Himmel um 16 Uhr am Nachmittag genauso grau und nass wie um 9 Uhr am Morgen. Nur mit dem Unterschied, dass unsere nasse Kalesche nun schwitzend am Fuß des Shitoushan auf einem weiten, leeren Parkplatz Pause machte. Weil sein Gipfel gewisse Ähnlichkeiten mit einem chinesischen Fabeltier haben soll, ist der Berg zu seinem Namen, zu Deutsch "Löwenkopfberg", gekommen, aber statt von menschenfressenden Ungeheuern ist er von buddhistischen Klöstern und Tempeln übersät. Und diese pflegen in Taiwan die buddhistische Tradition, Pilgern und Reisenden, auch Ausländern und Ungläubigen, kostenlos Obdach zu gewähren. Man sollte jedoch hinzufügen, dass eine Spende für die Klosterkasse, die dem Gegenwert einer Übernachtung mit Verpflegung entspricht, nicht abgelehnt wird, damit du das Wort "kostenlos"
nicht auf europäische Art missverstehst.

Mit unverminderter Heftigkeit trommelt der Regen aufs Autodach. Ka ist nicht zum Bergsteigen zu bewegen. Also klettere ich, mit Regenschirm und Guidebook bewehrt, den schmalen, aber festen Gehweg zum nächstgelegenen Tempel rauf, um auszuloten, ob wir da über Nacht bleiben können. Vom Parkplatz aus 200 oder 300 Meter bis zur Pforte, denkt das Greenhorn und hampelt und strampelt den Berg rauf, aber nach jeder Biegung führt der Pfad nur tiefer in den Regenwald hinein. Da auch die Wipfel der Bäume im Regenwolkennebel verschwimmen, wähne ich mich nach einer Viertelstunde dem Gipfel schon recht nahe und turne munter und zuversichtlich durch Brause und Pfützen. Eine verlassene Einsiedlerhütte taucht rechter Hand schemenhaft zwischen dem nassen Laub auf, aber danach bleibe ich mit der Wildnis allein. Noch ist der flotte, erwartungsvolle "Gipfel-ist nahe-Schritt" nicht erlahmt, aber der Weg bleibt unvermindert steil und kurvig und ohne absehbares Ende.


shitoushan
Shitoushan-Panorama


Jetzt bin ich schon eine halbe Stunde unterwegs. Bisweilen eine unbeschilderte Abzweigung, bei der ich als Optimist stets die bergauf führende Alternative wähle, weil Tempel ja immer oben liegen, dann verrammelte Erfrischungsbuden, für die bei diesem Wetter freilich kein Bedarf besteht, die jedoch bezeugen, dass zu bestimmten Zeiten offenkundig Pilgerscharen hier entlang kommen, und Aussichtspunkte, von denen aus man in milchigen Nebel starrt....

Eine Dreiviertelstunde ist mittlerweile verstrichen und ich befürchte, schon bald die Vororte von Taibei zu erreichen, da taucht ein kleiner Schrein aus den Wolken auf und dahinter ein größerer Bau, der jedoch nicht den erhofften Schriftzug Shiliandong trägt. Und der schöne Weg endet vor einem schuppenartigen Anbau des Gebäudes. Seufz. Ich gebe die Hoffnung auf, heute Abend dem Sutra-Gesang von Nonnenchören lauschen zu können. Trotzdem nehme ich das Gebäude ein wenig in Augenschein, man will ja wissen, wo man rausgekommen ist nach dem langen Marsch, aber siehe da, hinter dem Haus führt der bisherige Weg in alter Frische weiter steil bergan in den nebligen Tann...!


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Jetzt kann es nicht mehr weit sein


Also, was ein rechter Optimist ist, der tappst mit knarrenden Waden und frischem Mut noch weiter, und diesmal schaffen wir's! Nur 200 m weiter stehe ich vor der Pforte des Nonnenklosters, vom Schweiß stärker durchnässt als vom träufelnden Niederschlag. Du wirst es kaum glauben, aber aus den hohen Tempelgebäuden, die sich an die steilen Bergwände lehnen, tönt tatsächlich das Klingklang chinesischer Instrumente und ein eintönig heilige Texte rezitierender Nonnenchor.

An einer Nebenpforte stehen die Schriftzeichen "Gäste-Empfang" angeschrieben, und da klopfe ich mal an, um zu sehen, ob ich da eine Zelle und ein Frühstück bongen kann.

Ein über meinen Anblick nicht sonderlich begeistert wirkender Jüngling mit wattierter Jacke und unmönchisch wuchernder Haarfülle macht auf, obwohl es sich doch um ein NONNENkloster handeln sollte. Er spricht natürlich keinen Ton auswärts, aber ich führe es auf ein Wunder oder auf Buddhas Güte zurück, dass es mir gelingt, ihm klarzumachen, dass unten auf dem stundenfernen Parkplatz noch eine Begleiterin harrt. Aus seiner Rede, in der leiser Spott anklingt, entnehme ich, dass das Abendessen um Punkt 18 Uhr serviert wird und für Nachzügler im Kloster keine Extrawurst gebraten wird, zumal Wurst bei den Buddhisten ein Fremdwort ist, denn im Kloster wird nur vegetarisch gespeist.

Jetzt ist es kurz nach 17 Uhr, und um bis 18 Uhr den Berg runter und mit Frau und Gepäck wieder rauf zu kommen, müsste man schon einen Helikopter zur Verfügung haben. Aber mich juckt's, dem spöttischen Mönch-Aspiranten will ich's zeigen! Ich fliege die 4 km mit dampfenden Sohlen runter, rein in die Karre, und dann im 1.Gang mit winselndem Motor über sämtliche Haarnadelkurven den Nebelberg rauf bis zu dem einsamen Haus mit Schuppen-Anbau, wo der Weg eine Beule hat, in der man wenden und parken kann, und von da aus bleiben nur noch die 200 Meter bis zur Einlasspforte.

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Wohnzimmer des Hausherrn


Um 5 vor sechs stehen wir in der dunklen Halle, von der uns die Nonne Putzfegerin ins Refektorium holt, wo an zahlreichen runden Tischen die ganze Bande sitzt und Gemüse löffelt. Wir bekommen formlos Reisschalen in die nassen Pfoten gedrückt, packen uns in Selbstbedienung eine kräftige Ladung aus einer Riesenreisbütte drauf und werden dann an freie Plätze dirigiert, wo wir nach Lust und Laune aus etwa acht verschiedenen Gerichten mit den eigens dafür bereitliegenden Schöpf-Stäbchen zulangen.

Also, mit "vegetarisch" nimmt man es hier offenkundig nicht sonderlich genau. Vor mir liegen in Safranöl gebackene Salamischeibchen, nebenan häufen sich fritierte Stückchen Hühnerfleisch, na, so ein Klostermenü, da könnte ich mich dran gewöhnen! Alles andere ist aber wirklich frisches Gemüse, angebaut und frisch geerntet nahe dem Berggipfel, mit lauter verschiedenen Soßen in allen möglichen Geschmacksrichtungen köstlich angerichtet. Schmeckt ausgezeichnet, aber das Nonplusultra ist der selbst angebaute Tee hinterher, der beste, den wir in Asien je geschluckt haben.

Schnell merken die ringsumher mampfenden Nönnchen, dass Ka trotz ihres asiatischen Gesichts kein Chinesisch kann, so dass sie ihre Kommunikationsversuche schnell wieder aufgeben, aber gleich nach dem Essen rollt eine dicke, gemütliche Klosterfrau, die unentwegt so strahlt, als habe sie gerade Geburtstag, auf uns zu und fängt an, munter auf Japanisch zu quasseln. Sie zeigt uns die beiden, nach Geschlechtern getrennten Zellen, klösterlich spartanisch ausgestattet, die unser Obdach für die Nacht sein werden. Glücklicherweise sind genügend Decken vorhanden, denn in der nasskalten Februarnacht am Gipfel des Löwenkopfbergs wird es in den weiten, ungeheizten Tempelhallen empfindlich fröstelig. Schon der Gang zu den Toiletten, die am andern Ende der weiten Hallen liegen, oder zur warmen Dusche, zu der man durch einen unüberdachten Hof ins Badehaus laufen muss, und nach der man unweigerlich noch eine eiskalte abbekommt, erfordert Courage.

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Im Freien eine kalte Dusche


Außer uns sind noch zwei Gäste im Haus, Studenten, die sich zwecks Examensvorereitung in die Klosterstille zurückgezogen haben und tagsüber in ihren Kämmerlein büffeln --- keine schlechte Idee!

Wie es weltweit in Kliniken, Kasernen und Klöstern Brauch ist, muss man selbst im Urlaub früh um 5 Uhr aus den Federn, es sei denn, man verzichtet freiwillig auf das lukullische Frühstück und den superben Tee. So liegen wir, jeder in seiner Zelle, schon um 8 Uhr abends tief eingegraben in einen Berg von Decken.

Und wenn du abends um 8 schon in der Falle liegst, wirst du morgens um 5 auch ohne Wecker wach. In aller Ruhe konnten wir mit anhören, wie etwa 20 Nonnen den Buddhafiguren ihr Morgenständchen brachten. Zum Essen um 6 Uhr früh erschien freilich gut die doppelte Anzahl hungriger Leute, darunter auch ein Dutzend männlicher Wesen, teils mit, teils ohne Mönchsglatze. Ich wurde diesmal an die Herrentafel dirigiert, während die dralle Oma-Nonne von gestern Ka unter ihre Fittiche nahm.


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Nonnen bringen dem Buddha ein Ständchen


Zu meiner Überraschung sprach mich der asketisch anmutende Nachbar zur Rechten auf Englisch an und fragte, ob mir die vegetarische Kost munde. Da ich gerade auf gekochtem Tintenfisch kaute, konnte ich mir die Bemerkung, dass es mit dem "vegetarisch" hier ja nicht allzu weit her sei, nicht verkneifen. Dies entlockte ihm nur ein nachsichtiges Lächeln.

"Alles ist vegetarisch. Ein Buddhist wird auf keinen Fall Tiere töten und verzehren", sagte er mit Nachdruck und hüllte sich fortan in mönchisches Schweigen. Die pummelige Klosterfrau erzählte hinterher ausführlich, wie man aus Soja-Eiweiß durchaus tintenfischhafte, hühnerfleischartige oder salamiförmige Dinge hervorzaubern könne, deren Geschmack und Konsistenz durch hohe kulinarische Kunst dem Original recht nahe kommt. Da kann die Lebensmittelindustrie noch was davon lernen.

Aber der Tee ist was Währschaftes, davon schwärmen wir der guten Schwester so heftig vor, dass sie uns ein wackeres Pfund Teeblätter in eine Zellophantüte einfüllt und mit Papier zu einem Päckchen zusammenrollt. Dafür kriegen die Nonnen auch eine ordentliche Spende, denn uns kam es weniger aufs billige Übernachten als auf die Erfahrung chinesischen Klosterlebens an.


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Tempelchen auf dem Land


Beim Runterrattern in die nebligen Tiefen ---seltsamerweise regnet es heute nicht--- drehen wir tüchtig die Heizung auf, und kaum haben wir eine ordentliche Landstraße unter den Gummifüßen, steht da ein hageres Männlein am Rand der Chaussee und winkt wie ein Anhalter, früh um halb 8.

Den Bus hat er verpasst, sagt er auf Englisch, und als er Ka sieht, sagt er auf Chinesisch noch viel mehr. Allerdings kann er trotz seines undefinierbaren Alters auch gut Japanisch, und er berichtet, dass seine Schulzeit just in die Ära der japanischen Okkupation gefallen sei. So hat er die ganze Strenge der kaiserlichen Erziehungssystems genossen. Mit wehmütiger Stimme berichtet er von der guten alten Zeit, als die Kids, die mit den Händen in den Hosentaschen erwischt worden waren, mit dem Lineal eins auf die Finger gekloppt und die Hosentaschen zugenäht bekamen.

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Zur Zeit der japanischen Kolonisation


Ka kann sich kaum einkriegen über sein altmodisches Japanisch. Mann, was müssen die Leute früher kriecherisch gewesen sein! Es trieft vor ehrerbietigen, blumigen, schmeichelnden Floskeln. Frank Eschersheimer wird, weil er die Karosse steuert, zum ersten (und letzten?) Mal in seinem Leben als "verehrter Meister" tituliert, der geruht, nebst seiner gnädigen Frau Gemahlin über wahrhaft profunde Kenntnisse der chinesischen Kultur zu verfügen, was allerehrerbietigster Bewunderung würdig sei.

Wenigstens ist es mit so einem Beifahrer unterhaltsam an Bord. Als er jedoch, um die hochgeschätzte Frau Gemahlin zu erfreuen, anfängt, japanische Soldatenlieder anzustimmen, schmeißt ihn die Gnädige fast aus der Kalesche. Immerhin weiß er auch viel über Taiwan zu erzählen und ist von höchstem Nutzen an jeder der zahlreichen, unbeschilderten Weggabelungen und Abzweigungen beim Einholen der nötigen Informationen.


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Ah Q, Romanfigur von Lu Xun


Ich nenne ihn für mich Ah Q, denn seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Aber er ähnelt irgendwie dem Helden aus dem gleichnamigen Roman von Lu Xun, jenem Typ, der demütig Schläge empfängt und seine Wut dann an Schwächeren auslässt, der vor dem mächtigen Herrn einen tiefen Kotau macht und dann, wenn der Mächtige weit genug entfernt ist, ihm aus vollem Hals "du dämlicher Saftkopp!" hinterherbrüllt und dann rennt, was die Beine hergeben.

Sicher tun wir ihm Unrecht, aber bis zu seinem Ziel, der Stadt Fengyuan, komme ich mir vor wie ein Kolonialherr, der einen Lakaien zu einer Ausfahrt durch welliges Land voller Erdbeer- und Mispelplantagen mitgenommen hat. In Fengyuan treffen wir gegen Mittag ein, und fahren Ah Q zur Stadtverwaltung, wo er einen Freund hat. Dankbar lädt er alle zum gemeinsamen Mittagessen ein. Sein rundlicher, bebrillter Freund spricht noch fließender Japanisch, und wie er da mit seinen Ärmelschonern am Tisch sitzt und seine Suppe löffelt, könnte er ebenso gut in jeder japanischen Bürokantine hocken, ohne aufzufallen, aber er versichert, noch nie in seinem ganzen Leben in Japan gewesen zu sein.

Da Ah Q sich nicht lumpen ließ und die Spendierhosen anhatte, stopften wir uns schon wieder mit 5 Gängen von Köstlichkeiten voll, langsam macht mir Taiwan richtig Spaß.


kongcimiao
Konfuzius-Mausoleum


Nicht mehr weit ist es bis Taizhong mit seinem Konfuzius-Mausoleum und dem Baojue-Tempel mit seinem unansehnlichen Riesenbuddha aus Zement. Zur Übernachtung hätte ich mir freilich ein Nonnenkloster gewünscht, denn ab zehn Uhr abends trafen sich in unserem kleinen Hotel die Etagenfrauen just vor unserer Zimmertür zu einem vergnügten Schmaus, bei dem sie ungeniert quasselten, lachten und einen Radau bis weit nach Mitternacht aufführten, als ob es im ganzen Hause keine Gäste gäbe, die um 5 Uhr morgens aufgestanden und todmüde waren. Wenn ich nicht so pazifistischer Natur wäre, hätte ich ohne weiteres einer jeden genüsslich den Hals rumgedreht.

Auch heute wurden wir nicht von blendendem Sonnenschein verwöhnt, aber Abwechslung muss sein: Es regnet in Strömen. So schön kann es im Frühling sein. Da die Stadtverwaltung von Taizhong an Verkehrsschildern ihre Sparsamkeit demonstriert, erreichen wir erst beim dritten Versuch die Piste nach Zhanghua. Alle Reiseführer empfehen dort die Besichtigung des Baguashan, eines Hügels mitten in der Kleinstadt, der mit großzügigen Tempelanlagen vollgestellt ist.

baguashan
Da kichert Leo, der Betonlöwe


An diesem regnerischen Werktagsvormittag waren wir fast die einzigen Besucher, auf die sich die Postkarten- und Souvenirverkäufer stürzen konnten, aber die Sehenswürdigkeit war nicht dazu angetan, davon auch noch Postkarten und Souvenirs mitzunehmen. Ein schwarz angepinselter Betonbuddha, von putzigen Betonlöwen flankiert, blickt von seinem Hügelsitz ins Regental, und dahinter sind die Betonmixer mit der Herstellung weiterer Sehenswürdigkeiten befasst. Zwischen betonierten Drachen und Pagoden kurvt eine Disneyland-Schwebebahn, Schießbuden, Autoskooter, Lunapark und andere Heiligtümer entsetzen den Besucher, der nicht recht weiß, ob das hier nun ein Heiligtum oder seine Karikatur ist.

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Versuchen wir's also in Beigang, viele Hektoliter Regen weiter südlich, nahe der Stadt Jiayi, wo eine berühmte Pilgerstätte Besucher aus ganz Taiwan anlockt. Als jedoch kurz vor der Ortseinfahrt am Wegrand ein kleiner, augenscheinlich alter und reich verzierter Tempel auftaucht, legen wir einen kurzen Halt ein.

Der freundliche Priester scheint geradezu auf uns gewartet zu haben. Er führt uns herein, serviert Tee und hält lange, erläuternde Reden, bis er merkt, dass wir ihn nicht verstehen. Das hält ihn jedoch nur kurz von weiteren Erläuterungen ab. Sogar eine der wunderschön gewandeten, schwarzgesichtigen, weißbärtigen Altarfiguren holt er von ihrem Platz und stellt sie vor uns auf den Boden zum näheren Bestaunen der Kunstfertigkeit. Für so viel Freundlichkeit lassen wir uns nicht lumpen und es beim Fortgehen im Opferkasten hörbar klingeln.


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Schwarzes Gesicht und weißer Bart

So alt die richtige Pilgerstätte im Herzen des verwinkelten Ortes, das Mazumiao, auch sein mag, die Erfindung des Betons muss älter sein. Auch der Ruß der zahllosen Räucherstäbchen, selbst an einem fiesen Regentag wie heute von unzähligen, in dicken Bussen herangekarrten Pilgern dargebracht, hat die Deckenbalken noch nicht so weit eingeschwärzt, dass man die Holzimitation mit echtem Holz verwechseln könnte. Wie alle taiwanesischen Tempel ist auch das Mazumiao im Innern von einer barock überladenen Dekorfülle, in Bunt und Gold schwelgend, überfrachtet. Rote Seidenlampions baumeln an roten Pfeilern, wie du es von dem Chinarestaurant bei euch an der Ecke kennst, und die Gläubigen drängeln sich mit Räucherwerk in den Händen ins Innere, sich vor goldrotbrokat gekleideten Bodhisattvas und blaugesichtigen Vajradharas tief verneigend. Auf billiges Papier gedruckte Sutratexte werden in ebenso barock verzierten Öfen zur Verbrennung dargebracht, damit der Geist des gedruckten Wortes zum Himmel aufsteige und die Regenwolken vertreibe, während vor dem Tor ein donnerndes Geboller losgeht, von einer neu eingetroffenen Pilgergruppe gezündete Knaller und Böller, die ihr Ziel, die Aufmerksamkeit der Gottheiten auf die Seelen der armen Sünder zu leiten und böse Dämonen wie uns in die Flucht zu schlagen, keineswegs verfehlen.

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Pilger beim frommen Kokeln


So geraten wir in eine Marktzeile, die sich unter Zeltplanendächern verbirgt, damit unsere hervorragend gewürzten und inhaltsreichen Suppen nicht vom Dauerregen verwässert werden, und nach Auffüllung unserer Reserven am Obststand spritzen wir weiter durch immer größer werdende Pfützen zum Großtempel Nankunshen Daitianfu nahe dem Ort Beimen, eine andere wichtige Pilgerattraktion in dieser Region.

Im Gegensatz zum Mazumiao, das sich inmitten einer verwinkelten Altstadt befand, liegt dieses taoistische Heiligtum weitläufig auf freiem Feld. Allein der Parkplatz, auf dem sich wieder zig Busse eingefunden haben, hat das Ausmaß eines Fußballfelds. Wie schattenspendend und einladend müssen die weiten, luftigen Säulenhallen im Sommer wirken ! Die Pavillons, die Galerien auf den Obergeschossen, durch die heute bei zunehmendem Wind die himmlische Dusche waagrecht hindurchpeitscht, alles fein geziert mit bunten Figürchen auf jedem Dach, Drachen, Tiger, Ritter und Recken aus Keramik, ein von Wind und Wetter geplagter Lustgarten. Wir sind definitiv zur falschen Jahreszeit gekommen. Allerdings reichte auch hier die Fantasie ---oder das Budget--- der Baumeister bei der Wahl des Werkstoffs nicht über den guten alten Zement hinaus.


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Pilgerattraktion Nankunshen Daitianfu


Sicher, China ist ein armes Land, das zum Leben Wichtigeres braucht als holzgezimmerte Heiligtümer. Auch muss man bedenken, dass Taiwan bis zur Invasion der Guomindang-Flüchtlinge vom Festland ein unbedeutendes Eiland, bewohnt von einigen Sippen Ureinwohner im Inland und besprenkelt mit einigen chinesischen Fischerdörfern an den Küsten war, ohne die vieltausendjährige Kultur des Festlands. All dies haben sich die vor Maos roten Horden geflüchteten Neusiedler hier als Ersatz der alten Heiligtümer neu schaffen müssen, und weil der Chinese des 20. Jahrhunderts, wie die schauderhafte Arts-and-crafts-Produkton der Souvenirbranche zeigt, auch von übelstem Kitsch keine Gänsehaut bekommt, finden die Opas nichts dabei, wenn die alte Kultur bis hin zu den Seidenlampions in graubröseligem, bemaltem Beton imitiert wird, und die Omas freuen sich, wenn zwischen den Buddhas die quäkenden Enkelchen mit ein bisschen tigerdrachigem Disneyland zufriedengestellt werden. Und die junge Leute kennen's schon gar nicht mehr anders als "made in Taiwan".

Am Abend lassen wir uns in Tainan nieder, wo es eigentlich sonnig und warm sein sollte, suchen uns im Nieselregen ein gutes Restaurant und verziehen uns, um der wetterbedingt drohenden Erkältung vorzubeugen, in ein Hotelzimmer, vor dem allerdings auch diese Nacht wieder highlife ist. Wahrscheinlich werden genau vor unserer Tür die Tarife für die Bettgenossinnen ausgehandelt.

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29. Februar
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1.März

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.2.März

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