Auf dem Rückweg hört
der Regen auf. Hoffnung für morgen?
Natürlich nicht. Es wird vielmehr immer wilder. Nach einer Irrfahrt mit rumpelnden Bussen durch labyrinthischen Verkehr sprinteten wir durch immer flutigere Pfützen zu dem Autofritzen und holten unsere vorbestellte Karre ab. Immerhin das klappt eins A. Und los geht's, dampfen
wir ab in den Süden, wo einer chinesischen Legende
zufolge der sonnige Frühling weilen soll. Vor diesen hat
Taiwan allerdings noch verstopfte Straßen, fehlende
Beschilderung und die schwarzhässliche Industriezone
Sanzhong gesetzt, jene Trabantenstadt von Taibei, die man
tunlichst bei Nacht durchfährt.
All dies versinkt
allmählich im immer heftigeren Regen, während wir die
ersten Reisfelder erblicken, wo endlich Staus, Ampeln und
Abgase weniger werden und keine Lastzüge mehr das
Autofensterpanorama zustellen. Noch eine Stadt, Taoyuan,
das als Standort des Airports und als Industriezentrum
eine gewisse Bedeutung hat, und dann biegen wir einfach
ab von der Landstraße Nr.1, um auf kleineren Straßen
idyllische Landschaft zu kosten.
Schon am
Ortsausgang von Taoyuan erhebt sich ein mächtiger, in
keinem Reiseführer vermerkter Tempelbau in der Mitte
eines großzügig angelegten Teiches, durch niedrige
Steinbrückchen mit dem Ufer verbunden.
In Daxi, auf dem Weg zum Shimen-Stausee, lässt der Regen endlich so weit nach, dass wir das Auto verlassen, um uns in einem Dorfrestaurant zu stärken, aber die Aussicht von dem auf einem Hügel sehr schön gelegenen Lokal auf Terrassenfelder und eine weite Tiefebene wird durch Nieselregen und tief hängende Wolkenfetzen behindert. Es ist gut, dass unsere
Mietkarosse nicht nach gefahrenen Kilometern taxiert
wird, denn wer die verkehrsreiche Hauptstraße verlässt,
der sollte unbedingt einen Kompass zur Hand haben, um an
irgendein Ziel zu gelangen. Im Regen kann man sich
schlecht nach Sternen oder der Sonne richten, die in
Taiwan offenbar nur auf der Landesflagge sichtbar ist.
Und Wegweiser sowie Hinweisschilder sind offenbar in
vielen Regionen der Insel noch unbekannt. Die Nummer der
Chaussee, die auf bisweilen am Straßenrand auftauchenden
Meilensteinen verzeichnet ist, war für die Orientierung
am hilfreichsten. Demgegenüber hat die Breite der
Chaussee, ihr Zustand oder die Asphaltierung wenig zu
besagen. Wenn du eine Zeitlang keinen Meilenstein gesehen
hast, dann endet auch die breiteste Piste vor den Toren
eines Militärareals oder versickert, immer schmaler
werdend, zwischen Reisfeldern, bis du nur noch zu Fuß
weiterkommst.
Mit unverminderter Heftigkeit trommelt der Regen aufs Autodach. Ka ist nicht zum Bergsteigen zu bewegen. Also klettere ich, mit Regenschirm und Guidebook bewehrt, den schmalen, aber festen Gehweg zum nächstgelegenen Tempel rauf, um auszuloten, ob wir da über Nacht bleiben können. Vom Parkplatz aus 200 oder 300 Meter bis zur Pforte, denkt das Greenhorn und hampelt und strampelt den Berg rauf, aber nach jeder Biegung führt der Pfad nur tiefer in den Regenwald hinein. Da auch die Wipfel der Bäume im Regenwolkennebel verschwimmen, wähne ich mich nach einer Viertelstunde dem Gipfel schon recht nahe und turne munter und zuversichtlich durch Brause und Pfützen. Eine verlassene Einsiedlerhütte taucht rechter Hand schemenhaft zwischen dem nassen Laub auf, aber danach bleibe ich mit der Wildnis allein. Noch ist der flotte, erwartungsvolle "Gipfel-ist nahe-Schritt" nicht erlahmt, aber der Weg bleibt unvermindert steil und kurvig und ohne absehbares Ende.
Eine Dreiviertelstunde ist mittlerweile verstrichen und ich befürchte, schon bald die Vororte von Taibei zu erreichen, da taucht ein kleiner Schrein aus den Wolken auf und dahinter ein größerer Bau, der jedoch nicht den erhofften Schriftzug Shiliandong trägt. Und der schöne Weg endet vor einem schuppenartigen Anbau des Gebäudes. Seufz. Ich gebe die Hoffnung auf, heute Abend dem Sutra-Gesang von Nonnenchören lauschen zu können. Trotzdem nehme ich das Gebäude ein wenig in Augenschein, man will ja wissen, wo man rausgekommen ist nach dem langen Marsch, aber siehe da, hinter dem Haus führt der bisherige Weg in alter Frische weiter steil bergan in den nebligen Tann...!
An einer Nebenpforte
stehen die Schriftzeichen "Gäste-Empfang"
angeschrieben, und da klopfe ich mal an, um zu sehen, ob
ich da eine Zelle und ein Frühstück bongen kann.
Ein über meinen Anblick nicht sonderlich begeistert wirkender Jüngling mit wattierter Jacke und unmönchisch wuchernder Haarfülle macht auf, obwohl es sich doch um ein NONNENkloster handeln sollte. Er spricht natürlich keinen Ton auswärts, aber ich führe es auf ein Wunder oder auf Buddhas Güte zurück, dass es mir gelingt, ihm klarzumachen, dass unten auf dem stundenfernen Parkplatz noch eine Begleiterin harrt. Aus seiner Rede, in der leiser Spott anklingt, entnehme ich, dass das Abendessen um Punkt 18 Uhr serviert wird und für Nachzügler im Kloster keine Extrawurst gebraten wird, zumal Wurst bei den Buddhisten ein Fremdwort ist, denn im Kloster wird nur vegetarisch gespeist. Jetzt ist es kurz nach
17 Uhr, und um bis 18 Uhr den Berg runter und mit Frau
und Gepäck wieder rauf zu kommen, müsste man schon
einen Helikopter zur Verfügung haben. Aber mich juckt's,
dem spöttischen Mönch-Aspiranten will ich's zeigen! Ich
fliege die 4 km mit dampfenden Sohlen runter, rein in die
Karre, und dann im 1.Gang mit winselndem Motor über
sämtliche Haarnadelkurven den Nebelberg rauf bis zu dem
einsamen Haus mit Schuppen-Anbau, wo der Weg eine Beule
hat, in der man wenden und parken kann, und von da aus
bleiben nur noch die 200 Meter bis zur Einlasspforte.
Also, mit "vegetarisch" nimmt man es hier offenkundig nicht sonderlich genau. Vor mir liegen in Safranöl gebackene Salamischeibchen, nebenan häufen sich fritierte Stückchen Hühnerfleisch, na, so ein Klostermenü, da könnte ich mich dran gewöhnen! Alles andere ist aber wirklich frisches Gemüse, angebaut und frisch geerntet nahe dem Berggipfel, mit lauter verschiedenen Soßen in allen möglichen Geschmacksrichtungen köstlich angerichtet. Schmeckt ausgezeichnet, aber das Nonplusultra ist der selbst angebaute Tee hinterher, der beste, den wir in Asien je geschluckt haben. Schnell merken die
ringsumher mampfenden Nönnchen, dass Ka trotz ihres
asiatischen Gesichts kein Chinesisch kann, so dass sie
ihre Kommunikationsversuche schnell wieder aufgeben, aber
gleich nach dem Essen rollt eine dicke, gemütliche
Klosterfrau, die unentwegt so strahlt, als habe sie
gerade Geburtstag, auf uns zu und fängt an, munter auf
Japanisch zu quasseln. Sie zeigt uns die beiden, nach
Geschlechtern getrennten Zellen, klösterlich spartanisch
ausgestattet, die unser Obdach für die Nacht sein
werden. Glücklicherweise sind genügend Decken
vorhanden, denn in der nasskalten Februarnacht am Gipfel
des Löwenkopfbergs wird es in den weiten, ungeheizten
Tempelhallen empfindlich fröstelig. Schon der Gang zu den
Toiletten, die am andern Ende der weiten Hallen liegen,
oder zur warmen Dusche, zu der man durch einen
unüberdachten Hof ins Badehaus laufen muss, und nach der
man unweigerlich noch eine eiskalte abbekommt, erfordert
Courage.
Wie es weltweit in Kliniken, Kasernen und Klöstern Brauch ist, muss man selbst im Urlaub früh um 5 Uhr aus den Federn, es sei denn, man verzichtet freiwillig auf das lukullische Frühstück und den superben Tee. So liegen wir, jeder in seiner Zelle, schon um 8 Uhr abends tief eingegraben in einen Berg von Decken. Und wenn du abends um 8 schon in der Falle liegst, wirst du morgens um 5 auch ohne Wecker wach. In aller Ruhe konnten wir mit anhören, wie etwa 20 Nonnen den Buddhafiguren ihr Morgenständchen brachten. Zum Essen um 6 Uhr früh erschien freilich gut die doppelte Anzahl hungriger Leute, darunter auch ein Dutzend männlicher Wesen, teils mit, teils ohne Mönchsglatze. Ich wurde diesmal an die Herrentafel dirigiert, während die dralle Oma-Nonne von gestern Ka unter ihre Fittiche nahm.
"Alles ist vegetarisch. Ein Buddhist wird auf keinen Fall Tiere töten und verzehren", sagte er mit Nachdruck und hüllte sich fortan in mönchisches Schweigen. Die pummelige Klosterfrau erzählte hinterher ausführlich, wie man aus Soja-Eiweiß durchaus tintenfischhafte, hühnerfleischartige oder salamiförmige Dinge hervorzaubern könne, deren Geschmack und Konsistenz durch hohe kulinarische Kunst dem Original recht nahe kommt. Da kann die Lebensmittelindustrie noch was davon lernen. Aber der Tee ist was Währschaftes, davon schwärmen wir der guten Schwester so heftig vor, dass sie uns ein wackeres Pfund Teeblätter in eine Zellophantüte einfüllt und mit Papier zu einem Päckchen zusammenrollt. Dafür kriegen die Nonnen auch eine ordentliche Spende, denn uns kam es weniger aufs billige Übernachten als auf die Erfahrung chinesischen Klosterlebens an.
Den Bus hat er
verpasst, sagt er auf Englisch, und als er Ka sieht,
sagt er auf Chinesisch noch viel mehr. Allerdings kann er
trotz seines undefinierbaren Alters auch gut Japanisch,
und er berichtet, dass seine Schulzeit just in die Ära
der japanischen Okkupation gefallen sei. So hat er die
ganze Strenge der kaiserlichen Erziehungssystems
genossen. Mit wehmütiger Stimme berichtet er von der
guten alten Zeit, als die Kids, die mit den Händen in
den Hosentaschen erwischt worden waren, mit dem Lineal
eins auf die Finger gekloppt und die Hosentaschen
zugenäht bekamen.
Wenigstens ist es mit so einem Beifahrer unterhaltsam an Bord. Als er jedoch, um die hochgeschätzte Frau Gemahlin zu erfreuen, anfängt, japanische Soldatenlieder anzustimmen, schmeißt ihn die Gnädige fast aus der Kalesche. Immerhin weiß er auch viel über Taiwan zu erzählen und ist von höchstem Nutzen an jeder der zahlreichen, unbeschilderten Weggabelungen und Abzweigungen beim Einholen der nötigen Informationen.
Sicher tun wir ihm Unrecht, aber bis zu seinem Ziel, der Stadt Fengyuan, komme ich mir vor wie ein Kolonialherr, der einen Lakaien zu einer Ausfahrt durch welliges Land voller Erdbeer- und Mispelplantagen mitgenommen hat. In Fengyuan treffen wir gegen Mittag ein, und fahren Ah Q zur Stadtverwaltung, wo er einen Freund hat. Dankbar lädt er alle zum gemeinsamen Mittagessen ein. Sein rundlicher, bebrillter Freund spricht noch fließender Japanisch, und wie er da mit seinen Ärmelschonern am Tisch sitzt und seine Suppe löffelt, könnte er ebenso gut in jeder japanischen Bürokantine hocken, ohne aufzufallen, aber er versichert, noch nie in seinem ganzen Leben in Japan gewesen zu sein. Da Ah Q sich nicht lumpen ließ und die Spendierhosen anhatte, stopften wir uns schon wieder mit 5 Gängen von Köstlichkeiten voll, langsam macht mir Taiwan richtig Spaß.
Auch heute wurden wir
nicht von blendendem Sonnenschein verwöhnt, aber
Abwechslung muss sein: Es regnet in Strömen. So schön
kann es im Frühling sein. Da die Stadtverwaltung von
Taizhong an Verkehrsschildern ihre Sparsamkeit
demonstriert, erreichen wir erst beim dritten Versuch die
Piste nach Zhanghua. Alle Reiseführer empfehen dort die
Besichtigung des Baguashan, eines Hügels mitten in der
Kleinstadt, der mit großzügigen Tempelanlagen
vollgestellt ist.
Versuchen wir's also in Beigang, viele Hektoliter Regen weiter südlich, nahe der Stadt Jiayi, wo eine berühmte Pilgerstätte Besucher aus ganz Taiwan anlockt. Als jedoch kurz vor der Ortseinfahrt am Wegrand ein kleiner, augenscheinlich alter und reich verzierter Tempel auftaucht, legen wir einen kurzen Halt ein. Der freundliche Priester scheint geradezu auf uns gewartet zu haben. Er führt uns herein, serviert Tee und hält lange, erläuternde Reden, bis er merkt, dass wir ihn nicht verstehen. Das hält ihn jedoch nur kurz von weiteren Erläuterungen ab. Sogar eine der wunderschön gewandeten, schwarzgesichtigen, weißbärtigen Altarfiguren holt er von ihrem Platz und stellt sie vor uns auf den Boden zum näheren Bestaunen der Kunstfertigkeit. Für so viel Freundlichkeit lassen wir uns nicht lumpen und es beim Fortgehen im Opferkasten hörbar klingeln.
So alt
die richtige Pilgerstätte im Herzen des verwinkelten
Ortes, das Mazumiao, auch sein mag, die Erfindung des
Betons muss älter sein. Auch der Ruß der zahllosen
Räucherstäbchen, selbst an einem fiesen Regentag wie
heute von unzähligen, in dicken Bussen herangekarrten
Pilgern dargebracht, hat die Deckenbalken noch nicht so
weit eingeschwärzt, dass man die Holzimitation mit
echtem Holz verwechseln könnte. Wie alle taiwanesischen
Tempel ist auch das Mazumiao im Innern von einer barock
überladenen Dekorfülle, in Bunt und Gold schwelgend,
überfrachtet. Rote Seidenlampions baumeln an roten
Pfeilern, wie du es von dem Chinarestaurant bei euch an
der Ecke kennst, und die Gläubigen drängeln sich mit
Räucherwerk in den Händen ins Innere, sich vor
goldrotbrokat gekleideten Bodhisattvas und
blaugesichtigen Vajradharas tief verneigend. Auf billiges
Papier gedruckte Sutratexte werden in ebenso barock
verzierten Öfen zur Verbrennung dargebracht, damit der
Geist des gedruckten Wortes zum Himmel aufsteige und die
Regenwolken vertreibe, während vor dem Tor ein
donnerndes Geboller losgeht, von einer neu eingetroffenen
Pilgergruppe gezündete Knaller und Böller, die ihr
Ziel, die Aufmerksamkeit der Gottheiten auf die Seelen
der armen Sünder zu leiten und böse Dämonen wie uns in
die Flucht zu schlagen, keineswegs verfehlen.
Im Gegensatz zum Mazumiao, das sich inmitten einer verwinkelten Altstadt befand, liegt dieses taoistische Heiligtum weitläufig auf freiem Feld. Allein der Parkplatz, auf dem sich wieder zig Busse eingefunden haben, hat das Ausmaß eines Fußballfelds. Wie schattenspendend und einladend müssen die weiten, luftigen Säulenhallen im Sommer wirken ! Die Pavillons, die Galerien auf den Obergeschossen, durch die heute bei zunehmendem Wind die himmlische Dusche waagrecht hindurchpeitscht, alles fein geziert mit bunten Figürchen auf jedem Dach, Drachen, Tiger, Ritter und Recken aus Keramik, ein von Wind und Wetter geplagter Lustgarten. Wir sind definitiv zur falschen Jahreszeit gekommen. Allerdings reichte auch hier die Fantasie ---oder das Budget--- der Baumeister bei der Wahl des Werkstoffs nicht über den guten alten Zement hinaus.
Am Abend lassen wir uns in Tainan nieder, wo es eigentlich sonnig und warm sein sollte, suchen uns im Nieselregen ein gutes Restaurant und verziehen uns, um der wetterbedingt drohenden Erkältung vorzubeugen, in ein Hotelzimmer, vor dem allerdings auch diese Nacht wieder highlife ist. Wahrscheinlich werden genau vor unserer Tür die Tarife für die Bettgenossinnen ausgehandelt.
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. . . 29. Februar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . 1.März . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2.März . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . |