"Ihr seid ja verrückt!"

tönt es soeben laut aus ebendieser Ecke des Aufenthaltsraumes im Haus poroman. Offenbar hatte Ka wieder ihre Lieblingsfrage gestellt.

Das Wetter anderntags war dergestalt, dass die Rutschpartie durch die Schlammpiste nach Mt. Hagen jeder Beschreibung spottete, am Flugplatz das Computersystem zusammengebrochen und sämtliche Vormittagsflüge abgesagt waren. Na schön, wirst du da jetzt sagen, es gehört wahrscheinlich nicht viel dazu, das papuaniugineische Computersystem lahmzulegen, wenn schon die simplen öffentlichen Fernsprecher wetterfühlig sind. Aber denk dran, dass wir uns irgendwie schon mitten in der Zivilisation wähnten. In Pimaga waren wir vom spurlosen Verschollensein gerettet worden, in Mendi aus dem Busch aufgetaucht und in Hagen dann am Tor zur weiten Welt, mindestens. Und dann das. Aber es kommt noch besser. Es besteht ja noch Hoffnung, dass unser Flug, der um 14:45 Uhr starten soll, nicht ausfällt, vielleicht muss der Regengott ja auch mal Atem holen. Immerhin stehen die Maschinen bereit und das Gepäck wurde verladen, da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir heute Abend nicht in Madang sind. Und schon klart es auf, gegen Mittag, und wir huppen durch die riesigen Pfützen zur nahen Kaikai-Bar auf dem Markt, wo es Hähnchen mit Fritten zu knuspern gibt. Um kurz nach eins waren wir wieder zurück am Airport und staunen nicht schlecht, denn alle Flugzeuge waren weg und der Wartesaal menschenleer. What is here loose?

"Die Nachmittagsflüge sind alle gegen halb eins gestartet, um das gute Wetter zu nutzen", lautete die Auskunft. Mann, da stehste und guckst aus der Wäsche wie der Oliver Kahn nach dem 0:5. Melanesisches Zeitverständnis.... Unser Flieger töffelt nach Madang, und wir hängen noch weitere 24 Stunden im Hagener Nieselregen rum? UND UNSER GEPÄCK?! Das reist auf eigene Faust durch Melanesien und sonnt sich in Madang! Also, ich sag dir, lieber richtige Rascals als so ein Scheißladen hier! Das Abendessen schmeckte uns nicht, und die 100 Kina, die man uns im feinen Airport Hotel für die Übernachtung abknöpfte, hätten wir lieber in andere Amüsements investiert. Fröstelkalt ist die Nacht, die himmlische Gießkanne schüttet auf Hochtouren, und da siehst du mal wieder, dass das Sommerwetter in Duisburg sich vor manchem Reiseziel in Äquatornähe nicht zu verstecken braucht. Frank überlegte sich ernsthaft, ob er nicht doch nach Tirol fahren sollte beim nächsten Mal. Da gibt's den kalten Regen nämlich zum halben Preis.

papupapa TOK SAVE

SORI NOGAT WOK steht an vielen Geschäften und Firmentoren angeschrieben. Keine Arbeit zu vergeben, leider. Ja, die Rascals, falls es sie tatsächlich geben sollte, sind vermutlich alles frustrierte Arbeitssuchende, die einem Auto, Kofferradio oder Bräutchen zuliebe ihr Dorf verlassen haben und dann, von Abfuhr zu Abfuhr, die Städte kennen gelernt haben: Sori nogat wok.

An einem Regenwartetag in Hagen mag ich bei einem Gang rund um den Flugplatz, gepäcklos durch den Regen trapsend, von ferne wie ein Expat ausgesehen haben. Ein halbwüchsiger Papua kommt mir vom Waldrand her nachgesprintet und jappt: "Excuse me, Sir, I can speak english. Have you a little job for me?" So einen cleveren Jungen hätte ich gerne eingestellt, wenn ich Herr über Plantagen, Golfplätze und Lear-Jets wäre, bin aber leider selbst nur ein armes Schwein. Sehe ich mit meinen urwaldfleckigen Lumpen etwa aus wie ein Arbeitgeber? Aber in wenigen Jahren wird sich der Junge dann als Rascal selbstbedienen, wenn er überall, trotz guten Wilens, nur immer wieder hört: Sori nogat wok.

Wir kamen noch nach Madang. Am folgenden Tag. Das Wetter in Hagen war herrlich, keine Spur Duisburg. Und der Flieger, der gestern wegen Schlechtwetters zu früh losgeknottert war, startet heute wegen Sonnenscheins mit anderthalb Stunden Verspätung. Eine achtsitzige, urtümliche Knatterbüchse, und mich hatte man auf den Kopilotensitz neben dem pomadig blonden, sommersprossigen Piloten gesetzt, der sich beim Flug dauernd juckte, pickelte, polkte und nasbohrte. Man sollte das als Zeichen gesunden Wohlbefindens deuten und sich lieber die Landschaft angucken, aber ich dachte nur pausenlos, falls der Blondie jetzt einen Anfall kriegt, dann gucken alle Leute auf dich und du musst zusehen, wie du das Ding heil runter bringst. Zum Glück bekam der Wolkenhüpper auch ohne mein Zutun in Madang wieder Asphalt unter seine Gummifüße, und unser Gepäck befand sich in der Obhut einer gewissen Hilda, und das war die wohlgenährte, einzige Dame, die in dem menschenleeren Ankunftshüttlein anzutreffen war. Als wir unsere Beutel hatten, stand vor dem Airport ein Lieferwagen abfahrbereit, als hätte er auf uns gewartet. Hatte er zwar nicht, aber der Besitzer, ein stämmiger Expat in Kniestrümpfen und Shorts, ließ uns großzügig hinten aufsitzen bis in die 7 km entfernte Stadtmitte.

Also, wenn du aus Mount Hagen kommst, sieht Madang aus wie der lieblichste Ort von ganz Melanesien. Du darfst dich nur nicht von dem Schild mit der Aufschrift

 LUKAUT LONG PUKPUK!!

ins Bockshorn jagen lassen, das an dem seerosenbedeckten Stadtteich vor Krokodilen warnt. Eher begegnet man hier dem Ungeheuer von Loch Ness als einem leibhaftigen Pukpuk. Die Lagunen und Teiche allerorts sind, ebenso wie die großen, alten Bäume, angeblich Zeugnisse der Großtaten deutscher Vorväter. Nachdem in Finschhafen die Schnaken obsiegt und die Preußen in die Flucht geschlagen hatten, wurde nämlich Madang von den kaiserlichen Beamten als Gouverneurssitz von Deutsch-Neuguinea ausersehen. Nicht dass es hier weniger Mosquitos gegeben hätte, aber die Germanen begannen damit, Bäume zu pflanzen und alle Tümpel und Sümpfe zuzuschütten, oder, genauer gesagt, pflanzen und zuschütten zu lassen, denn wo es vor Eingeborenen nur so wimmelt, da macht kein Preuße auch nur einen Finger krumm. Vom Zugucken, wie andere arbeiten, kriegt man aber Sonnenbrand, und bis das Werk weitgehend vollendet war, hatten die Kolonisatoren außerdem allesamt die Malaria, denn die Schnaken waren auf sonnenbrandig-rosige Haut besonders erpicht, und als ein Haufe meuternder Papuas von preußischer Artillerie zusammengeschossen worden war, holten die Papuas Pfeil und Bogen raus und beförderten einen Kaiserlichen nach dem andern zu seinen Ahnen. Der letzte Versuch, die Papuas fürs Preußentum zu begeistern, versank in Rabaul unter Vulkanasche und britischer Übermacht gleich zu Beginn des ersten Weltkriegs. In beiden Orten soll auch ein Fähnlein Überlebender weiter deutschtümeln, aber der junge Seelsorger, der uns im idyllischen Lutheran guesthouse mit "Guden Morschen, wo gommt ihr denn här?" ansächselte, war selbst erst ein paar Wochen im Land und wurde, Ka nahm es mit Vergnügen zur Kenntnis, von seinen Dresdner Freunden und Bekannten schon für verrückt erklärt, als er sich zum Englisch-Studium nach Hongkong begab.

Feuchtheiß ist es zwar, aber die Lage der Stadt auf einer Halbinsel im Meer, die schattigen Bäume und der üppige Rasen sorgen für frische Brise und erträgliche Temperaturen. Einheimische Bewohner stellen nur etwa zwei Drittel der Einwohnerschaft, denn dieser schöne Ort mit seinen Blüten und Villen hat viele Expats bewogen, sich hier niederzulassen. Zum Glück ist Madang noch nicht vom Massentourismus entdeckt worden, weshalb die Nobelhotels alle still und dösig aussehen. Das lauschigste ist gewiss das Smuggler's Inn, wo man auf der Terrasse unter Hibiskus und Bougainvillea mit Blick auf das Meer diniert, bei Kerzenlicht und zu überraschend mäßigen Preisen. Da ist sie, die längst überfällige Entspannung nach Urwaldschlick und Missgeschick, nach Regen und Hagen. Das Inn hat nur einen Nachteil: Es ist arg weit entfernt von Luthers Gästehaus. Wenn man den Palmenstrand entlang wandert, ist man zwei Stunden unterwegs, denn die Stadt ist ja als Klein-Berlin weitläufig angelegt worden. Natürlich tut ein abendlicher Verdauungsspaziergang immer gut, aber heute haben wir Faulenzen auf dem Programm, und da wird keine Ausnahme gestattet. Nur - PMVs verkehren nur bei Tageslicht, und jetzt ist es schon fast 10 Uhr abends und rabenfinstere Rascalnacht. Gehörte nicht auch Madang zu den rascal-verseuchten Orten? Wir habens komplett vergessen.

Wir winkten einfach mal vor dem Hotel, als ein Fahrzeug nahte. Hielt sofort, aber nur um uns mitzuteilen, dass kein Platz mehr frei sei. In der Tat, acht oder mehr Wollköpfe musterten uns neugierig und machten bedauernde Gesichter. Immerhin hat er trotz seiner Fracht angehalten. Das ermutigt uns zu einem erneuten Versuch. Wieder ein Volltreffer. Ein PMV-Draiwa im Privatwagen auf der Heimfahrt nach Dienstschluss, Mensch, Dusel muss man haben! Und was für ein herzlicher Mensch war das, in einem brandneuen Wagen! Er war richtig erfreut darüber, uns einen Gefallen tun zu dürfen, missachtete seine nahebei gelegene Garage, ließ Mama und Pikinini warten und das Abendessen kalt werden, um uns ans andere Ende von Madang zu chauffieren, ein Umweg von mehr als acht Kilometern. Unter langem Händeschütteln nahm er schließlich von uns Abschied und lehnte das angebotene Entgelt rundweg ab, als erster und einziger Papua auf unsrer gesamten Reise.

Du musst nämlich wissen, dass bei den Papuas nicht nur Auge um Auge, sondern auch Kokosnuss um Kokosnuss gilt. Das heißt, jeder hilft dir gern, aber du musst dich dafür erkenntlich zeigen, das ist Warentausch im Zeitalter der Dienstleistungen. Du kennst das ja, wenn du den Fliesenleger am Samstag nach Dienstschluss kommen lässt, um dein Bad kacheln zu lassen. Allerdings tut er das nicht für ein Stück Zuckerrohr wie die Papuas. Ich will nur sagen, wenn dich einer mal wo hinfährt, reicht es, wenn du dem was gibst, was du gerade da hast, da gibt's keine festen Tarife. Und wenn du mal kein Zuckerrohr bei dir hast, ist er dir auch für eine Kina dankbar. Vergiss aber nicht, dass die Kina nur 20 Cent an Kaufkraft wert ist, auch wenn du dafür 1,18 Euro investiert hast. Nur Dankeschön zu sagen wie dem Mercedesfahrer, der dich beim Trampen von Hamburg nach Palermo gefahren hat, das genügt den Papuas nicht. Die Kina wie die Toea sind übrigens Namen seltener Muscheln, die man früher auf Schnüre zog oder sich um den Hals hängte, Bargeld und Statussymbole der vorkolonialen Papuas. Und wenn du als Brautschmuck oder Accessoire eine richtige Kina-Muschel kaufen willst, musst du dem Besitzer schon 50 Kina in bar auf die Pfote zählen, damit er sie rausrückt. Du siehst, die Muschelwährung ist wertbeständig.

Sag mal, hast du schon mal Hunde fliegen sehen? Nein? Dann geh mal nach Madang, wo dir die fliegenden Hunde vor der Nase herumflattern. Tagsüber hängen sie mehrheitlich wie Tannenzapfen in den großen, alten Bäumen, aber etliche dieser katzengroßen Fledermäuse spektakeln und krakeelen pausenlos und ziehen auch tagsüber ihre ledernen Kreise über der Stadt. Aber Madang hat noch weitere Attraktionen auf Lager: Wem könnte ein 5 km langer, ununterbrochener Sandstrand missfallen? Unverbaut, nur von Kokospalmen, Wiesen, einem Golfplatz und Alleebäumen gesäumt... Aber baden ist schwierig, denn wenn die Nachmittagsbrise auffrischt, gischten beachtliche Brecher aufs Gestade. In so einem Fall bietet sich die folgende Lösung an: Schnapp dir dein Mädchen und setz dich in eine der Schaluppen, die für nur 20 t zur nahen Insel Krangket schippern.

krangket

Reiseproviant vom Krangket-Atoll

Dieses Atoll ist ein ehemaliges Korallenriff, eine Stunde lang, 20 Minuten breit, mit einem Dorf, einigen Feldern und ansonsten nur Kokospalmen bestanden. Vom Dorf aus führt ein Pfad in den Palmenwald, es duftet nach Orchideen, ein paar Kinder rufen "moning!" oder "hallo!", schwarze Mamas waschen vor ihren luftigen Hütten Wäsche und winken freundlich herüber, und wenn du an der einzigen Gabelung die falsche Richtung erwischst, landest du auf einer Landzunge, auf der noch ein paar Hütten stehen und ein giftiger Erpel ein behaglich grunzendes Schwein anfaucht, das unter einer rostigen WK I - Haubitze nach Trüffeln oder Erdöl wühlt. Ende des Weges, kein Mensch ist zu sehen, die haben wohl alle einen Bisines in Madang. Da ertönt doch ein unerwartetes "moning!" aus einer der Hütten. Ein weißhaariger Alter kommt lächelnd herbeigeschlendert. In langsamem, deutlich artikuliertem, sogar für mich gut verständlichem Pidgin sagt er, dass es hier nicht weitergehe. Er beschreibt den Weg zu unserem Ziel, der schönen Lagune, und fügt am Ende noch hinzu: "Sapos yu laikim lukaraund ol hia yu i welkam" (ihr seid willkommen, falls ihr euch hier umsehen wollt).

Mann, stell dir mal vor, ein Papua verirrt sich irgendwo in Deutschland auf dem Lande und gerät einem Bauern auf dessen Hof. Es grenzte schon an ein Wunder, wenn der misstrauische Landwirt nicht die Mistgabel schwingt oder die Gendarmen alarmiert, sondern dem Fremden freundlich den richtigen Weg zeigen würde. Aber ein "willkommen, falls du dich hier umschauen willst", das kriegt man in unserer Zivilisation bestimmt nicht zu hören, weshalb dem alten kraushaarigen Gentleman von der Insel Krangket meine alleraufrichtigste Hochachtung gilt.

Das Atoll sieht aus der Luft aus wie eine etwas krakelig geratene, große 8, die aber oben offen ist. Es umschließt zwei Lagunen, die durch einen schmalen Wasserlauf verbunden sind. Dieses Gewässer, das hier und da von Palmstämmen überbrückt ist, sieht aus wie ein rasch fließender, klarer Bach, ist aber keiner, denn erstens fließt da Salzwasser drin, und zweitens fließt er bei Ebbe von links nach rechts, und bei Flut von rechts nach links. Wenn du da angeln willst, kriegst du weder eine launische Forelle noch alte Stiefel an den Haken, sondern höchstens unrasierte Seeigel und dunkelblaue Seesterne.

Plumps, sagt es da hinter mir, und eine dicke Kokosnuss landet im Unterholz. Und dann noch eine und noch eine. Schmeißt da ein Affe mit Nüssen? Oder werden die alle zur gleichen Zeit reif und prasseln dann synchron ins Dickicht? Ein schwarzes Gesicht grinst aus der Höhe herunter, sagt "moning!" und fordert uns auf, eine Kokosnuss mitzunehmen.

kokospalmen

Kokoswald auf Krangket

Baden über Korallen in glasklarer Lagune, faulenzen unter Palmen, verwöhnt von extrem herzlichen Leuten, ab und zu ein Schluck Kokosmilch und zum Nachtisch das Fruchtfleisch, und für den Rest ist der Kakadu im Garten des Resort Hotels dankbar und knuspert begeistert die Schale leer. Du musst nur achtgeben, dass du dich nicht direkt unter eine Kokospalme fläzt, denn die Nüsse haben, wenn es sie zum Fallen gelüstet, eine ähnlich durchschlagende Wirkung wie Kanonenkugeln, obwohl es sicher kein unrühmliches Globetrotter-Ende wäre, wenn auf deinem Grabstein stände:

In Papua Neuguinea von einer Kokosnuss erschlagen worden.

+ Requiescat in pace. Amen. +

Falls du Kokosnüsse nur aus dem Supermarkt kennst, sei noch hinzugefügt, dass es sich mit diesen so verhält wie mit den Walnüssen, da weißt du ja sicher Bescheid. Was da nämlich auf dem Weihnachtsteller liegt, das ist, wie die Kokosnuss bei Edeka, nur der herausgeschälte Kern. Was dir aber vom Baum aufs Hirn dätscht, wenn du zu rammdösig bist, um Obacht zu geben, hat eine je nach Alter grüne bis hölzerne, dicke und glatte Schale und Umfang und Gewicht einer ausgewachsenen Wassermelone, aber zehnmal so hart....

bismarcksee

So ungern man sich von Madang trennt, wir sind wieder ausgeruht und dürsten nach neuen Abenteuern. Auf geht's, zu der gurkenförmigen Insel New Britain, an deren Nordost-Ende Rabaul liegt. Wer viel Zeit und wenig Geld hat, kann mit dem Dampfer fahren, der einmal pro Woche da hintuckert, vier Tage dauert die Reise. Da wir aber erstaunlicherweise mehr Kina als Urlaubstage übrig haben, düsen wir mal wieder mit Air Niugini ins Blaue. Wir haben anscheinend sogar einen Rundflug um die Bismarck-See erwischt. Von Madang aus geht es über den sperrangelweit offen stehenden Schlund der Vulkaninsel Karkar, während die nicht allzu weit entfernte Schwesterinsel Manam feurige Schwefelwolken ausspuckt. Mitten in einem Tropengewitter Zwischenlandung i Lorengau auf der Kopra-Insel Manus, die aus der Luft so unbewohnt aussieht, dass man sich wundert, wo all das Volk an dem Airstrip herkommt. Nächste Station ist das freundliche Kavieng, das Hauptdorf von New Ireland, und wenn man die ganze spaghettiförmige Insel entlang gesummt ist, taucht New Britain aus dem Dunst auf, und der Pilot muss nach dem Aufsetzen in Rabaul sofort energisch auf die Bremsen latschen, sonst rumpelt er gegen den Taschenvulkan Matupit, der nur so groß ist wie eine Warze, aber jedesmal, wenn er sich ärgert, Rabaul mit schwarzer Asche zuschüttet.

matupit

Am Ende der Rollbahn von Rabaul: Vulkanchen Matupit

Das letzte Ereignis von Bedeutung in Rabaul, abgesehen von den sporadischen Vulkanausbrüchen, war der 2.Weltkrieg. Seitdem dämmert das Städtele zeitlos in der Tropenhitze vor sich hin. Zäsuren in der eintönigen Stille sind vereinzelte Regenfälle, kleinere Erdbeben, die vergeblich versuchen, den Ort wachzurütteln, oder die Kricket-Meisterschaften im New Guinea Club, aber nichts davon vermag die stillstehende Zeit merklich in Bewegung zu versetzen. Wer Somerset-Maugham-Atmosphäre schätzt, auf einen Drink im Club (strictly members only, guests must be signed in) mit antiken Gentlemen im Tropenhelm und einem grimmigen Zerberus am schmiedeeisernen Eingangsgitter zusammentreffen möchte, wer die messingbeschlagenen Billardtische aus dem 19. Jahrhundert auf bohnerwachsglänzendem Parkett und die verblichenen Schwarzweißfotos vom Besuch seiner Majestät King Edward VII bewundern will, der kommt im New Guinea Club voll auf seine Kosten. Er sollte jedoch der Versuchung widerstehen, dort die halbwegs preisgünstige Übernachtung zu buchen, denn alle Räume liegen ebenerdig auf der Straßen- und Sonnenseite des Holzbaus, verfügen aber über keinerlei Vorkehrung gegen die noch längst nicht ausgestorbenen Mosquitos. Man kann natürlich die Fenster schließen, was auch als Vorkehrung gegen das spurlose Verschwinden von Gepäckstücken und Wertsachen ratsam ist, und im eigenen Sud schmoren, wenn das Reisethermometer in den Abendstunden bei geöffneten Fenstern und zugezogenen Vorhängen lässige 36 Grad im Zimmer misst, oder den Ventilator anwerfen, neben dem Kühlschrank der einzige Luxus rund um das antike Doppelbett, in dem vermutlich Charles Dickens schon geruht hat. Der riesige Miefquirl an der Decke ist freilich höchst effektiv: Nur fünf Minuten Betrieb unter Getöse wie dem einer startenden Cessna, und die Bettdecke ist fortgeflogen und der Raum mit Staub aus elf Jahrzehnten eingenebelt, und wenn du trotz der hellen Laterne, die dir genau in die Bude reinleuchtet, trotz des Jaulens von Hunden, des Johlens von Betrunkenen und des Aufheulens von Automotoren just am Einschlafen bist, meldet sich der leere Kühlschrank, mit sägendem Geschepper losorgelnd, bis ins Nachbarzimmer hörbar betriebsbereit, bis du ihm die Saftstrippe rausziehst.

Wenn Einsamkeit dir am Herzen nagt, ist im Club selbstverständlich für Linderung gesorgt: Jedem Gentleman, der am Abend durch die funzelig beleuchteten Gänge ins entlegene Badezimmer zu der viktorianischen Badewanne schleicht, begegnen unterwegs, rein zufällig, etliche leicht bekleidete Papua-Damen aus beinahe derselben Epoche und tragen ihm ihr Geleit und andere Dienstleistungen an. Vermutlich wirken diese Mitbewohnerinnen tagsüber als Putzfrauen oder Köchinnen des Hauses, denn von ihrem Job in der Nachtschicht allein können sie schwerlich leben; laut Gästebuch sind wir nämlich in diesem Monat die einzigen Greenhorns gewesen, die hier übernachten.

Wenn du auf Abhilfe sinnst, geh mal ins Kulau Lodge essen. Das liegt an einem endlosen Sandstrand, wo du tagsüber faulenzen oder zu den Korallenriffs rausschwimmen und da schnorcheln kannst, und da speist man bei Fackelschein unter Palmen. Und wenn du dich da wohl fühlst, mietest du dir eine der komfortablen Hütten, die von dem Expat und früheren Seemann Peter entworfen, von einheimischen Helfern gezimmert und von seiner umfangreichen Gattin aus Hawaii picobello in Schuss gehalten werden. Unterstützt wird das gastgebende Ehepaar von einer vielköpfigen Mann- und Frauschaft aus den umliegenden Dörfern, denen das Dienstleistungsgewerbe noch nicht die Freundlichkeit durch Geldgier ersetzt hat. Nach Rabaul trauen sich nämlich nur wenige Besucher, weshalb das Lodge meistens leer steht. Am Strand plantschen ein paar Pikinini, und unter einem großen Sonnenschirm sitzt Peters Filius, büffelt Geographie und nuckelt an einem frischen Ananassaft.

7 km von der Stadt und 400 m von der Landstraße entfernt liegt diese Insel der Seligen und ist so einladend, dass wir umgehend den britischen Club und seine liebesdurstigen weiblichen Werktätigen verschmähen und uns für die restliche Aufenthaltsdauer hier einnisten. Nach dem ersten Abendessen müssen wir aber noch für eine Übernachtung zurück in die Stadt, um unseren Rümpel zu holen. Den frischen Fisch im Bauch, den Peter erst am Nachmittag gefangen hatte, vom guten South Pacific Lager angetörnt und vom makellosen Vollmondschein entzückt, watscheln wir gut gelaunt die unbeleuchteten 400 m Weges zur Landstraße. Au clair de la lune kommen uns ein paar Papuas entgegen, die uns bei der Begegnung umringen. Keine Angst, von wegen und Rascals, ich lass mich längst nicht mehr anstecken von der Guidebook-Hysterie. Die Jungs machen vielmehr entsetzte Gesichter: "Ihr wollt doch nicht etwa jetzt noch in die Stadt zurück? Jetzt fährt doch kein PMV mehr!" Ach was, wir werden schon einen Lift kriegen, beruhige ich die fremden Leute, die uns ernstlich besorgt nachblicken.

Ein Stück weiter, neben der einfachen Holzkirche, stehen ein paar funzelig beleuchtete Hütten, jemand ruft "hello", und dann kommen wieder Leute herbeigestürzt: "May I help you? Ich habe einen Jeep, soll ich euch nicht lieber in die Stadt fahren?", sagt ein junger Bursche.

Der Frank, der kann es kaum fassen. Diese Anteilnahme und Hilfsbereitschaft, diese Sorgen, die sich die Bewohner eines unbedeutenden Dorfes in Papua Neuguinea um wildfremde Touristen machen, das ist ein überwältigendes Erlebnis. Jetzt verspürt er sogar einen Anflug von Scham, wenn er daran denkt, dass er sich aus Vorsicht vor solchen Leuten mit Zwille gerüstet und im Tragebeutel griffbereit sein Klappmesser hatte. Mann, woanders kannst du am Straßenrand krepieren und verrecken, ohne dass sich jemand um dich kümmert, und hier reißt sich das ganze Dorf darum, einen Gestrandeten aufzulesen und zu päppeln, bis er komplett restauriert ist. Dabei sind wir nicht einmal in Not oder hilfsbedürftig. Ich kann die Leute nur mit Mühe davon abhalten, eigens einen Wagen flott zu machen, um uns nach Rabaul zu kutschieren. Von einem Chor guter Wünsche begleitet, wandern wir weiter bis zur Landstraße.

Nach unseren bisherigen Erfahrungen hält in diesem Land jeder Wagen, wenn du am Straßenrand winkst, und sei es nur, um bedauernd mitzuteilen, dass kein Platz mehr frei ist. Das nützt allerdings nichts, wenn kein Wagen vorbeikommt. Kurz nach 20 Uhr, da schläft Rabaul schon, wo doch eh schon die Zeit auch tagsüber stille steht. Na schön, dann wandern wir eben mal wieder ein Stück, bis sich schließlich doch ein Kombiwagen in unserer Richtung nähert, und wenn der nicht angehalten hätte und uns ohne Diskussion zu den lachenden Jungs auf die Ladefläche gehievt hätte, wäre mein neues PNG-Weltbild gleich wieder in die Brüche gegangen. Er pickte uns aber nicht nur auf, sondern brachte uns bis vor den Eingang des New Guinea Clubs, und jetzt frag mich nicht, wo der eigentlich wirklich hinwollte und wie viele Meilen Umweg der wegen uns gefahren ist.

rabaul

Kulau Lodge bei Rabaul

In den verbleibenden Tagen im Kulau Lodge hatten wir als einzige Gäste zwischen Essen und Schlafen, Schnorcheln und Faulenzen viel Muße, mit Peter, seiner Frau und den einheimischen Bediensteten zu reden und kamen dadurch allmählich hinter das Geheimnis der überbordenden Anteilnahme, die uns in der Umgebung widerfahren war. Alle Dörfer dieser Region gehören dem gleichen Stamm an, und Peter beschäftigt in seinem Lodge nur Leute aus diesem Stamm, behandelt sie fair und stellt auch mal ein paar Leute mehr ein als er wirklich benötigt. Für diese Leute gilt er daher als Wantok und zugleich als Arbeitgeber und Garant eines regulären Einkommens, und ebenso wie er selbst werden alle seine Gäste als Mitglieder des Stammes betrachtet und behandelt. Und deswegen fuhr auch der PMV, der uns zu ihm hinbrachte, die 400 m Seitenstraße bis vor die Tür des Hauses, ohne dass einer der anderen Fahrgäste wegen des Umweges auch nur das Gesicht verzogen hätte.

"Ich brauche kein Türschloss und keinen Wachhund", erläutert Peter den himmlischen Frieden, und ich stelle mir vor, wie sein Kind, in so einer Idylle aufgewachsen, später mit dem Business-Stress von New York, Sydney oder London fertig werden würde.

Ein paar Tage später erfolgte der zweite Teil des Rundflugs durch Melanesien, als wir über Hoskins nach Port Moresby zurückgondelten, und wegen des melanesischen Zeitbegriffs auch im Luftfahrtwesen konnten wir in Mosby gerade nur noch über das Flugfeld zu dem flugfertig da stehenden Airbus nach Singapore eilen und ihn als allerletzte Paxe besteigen, ohne Pass- und Zollkontrolle, nur hoffend, dass unser Gepäck nicht wieder auf Extratour nach Madang oder Mount Hagen reist.

* * *

Im Airport von Singapore wuseln europäische Businessmen, japanische Reisegruppen, malaiische und indische Bedienstete und Globetrotter aus aller Herren Länder mit ihren Riesenrucksäcken durcheinander. Es quasselt in dutzenden Sprachen, die Duty free shops kassieren in zwanzig verschiedenen Währungen, es funkelt vor Hightech, gedämpfte Musik schwebt durch die weiten Hallen, ja, wer kennt es nicht, das internationale Großstadt-Airport-Flair? Wie die Waldschrate direkt aus dem Urwald tappen wir zwischen geschniegelten Geschäftsleuten und chanelduftend stöckelnden Flight attendants einher, unsere beuligen, nie mehr sauber zu kriegenden Lumpen und von Dschungelpfaden schwer gezeichneten Treter vor abschätzigen Blicken zu verbergen suchend. Uns fehlen auf einmal die liebgewonnenen Papua-Krausköpfe mit ihrem herzlichen Lächeln, die barfüßigen Zeitgenossen, die den Mitmenschen nicht nach seinem Kittel taxieren, die dunkelhäutigen Unbekannten, die uns in keiner Klemme hängen ließen, die zerfurchten Opas, die hocherfreut herbeigelaufen kamen, um uns lange die Hände zu schütteln, die tätowierten Frauen, die uns allerorts freundlich zuwinkten, oder die ausgelassenen Kinder, die am Strand mit einer sandgefüllten Plastikbottel Rugby spielten. Ich habe mich unter den "Wilden, Kopfjägern und Rascals" in PNG oft wesentlich wohler gefühlt als bei manchen muffigen und patzigen Mitbürgern in der Heimat.

Es fehlte nicht viel, und ich wäre losgerannt, als ich in der Menschenmenge am Changi-Airport einen Papua-Schopf erblickte, hätte "apinun" gerufen und dem Unbekannten die Hand geschüttelt, aber es war schon zu spät: Das Herz lag wieder in seinem Alltags-Betonsarkophag, die Gefühle ruhten in ihrem bleiernen Kasten ---- die Zivilisation hatte uns wieder.