Das viele Dozieren hat unseren Frank hungrig und durstig gemacht. In
einer Landstraßen-Gaststätte stehen Tische, Stühle und
die usbekischen Sitzbetten unter einem schattigen Laubdach, und es
riecht nach gegrilltem Hammel. Die Sitzbetten sind um die Mittagszeit
leider alle besetzt und belegt, aber vom Hammel ist noch ein Fleischberg übrig, dazu
ein nahezu ebenso hoher Berg Essigzwiebeln und frisches Brot, und
weil der Busfahrer ein cleverer Bursche ist, hat er bei einem
Pinkelstop vom Bauern am Straßenrand einige Melonen erfeilscht, die jetzt geschlachtet
werden, hussa, das ist eine usbekische Vesper. Die Flasche Wodka dazu
kommt vom Nachbartisch, wo drei ältere Herren hocken und sich
Witze erzählen. Kennst du den?
Hodja Nasreddin verlieh ungern Gegenstände.
Und seinen Esel noch viel weniger. Als der Nachbar wieder mal ankam und
Hodja bat, ihm für eine dringende Fuhre bis zum Nachmittag seinen
Esel zu überlassen, antwortete Hodja:
"Das tut mir aber fürchterlich leid, vor einer halben Stunde habe ich meinen Esel an einen anderen Nachbarn ausgeliehen."
Just in diesem Augenblick hörte man vom Stall hinterm Haus her ein deutliches, unmissverständliches "I-aaaaah!"
"Hodja", sagte der Nachbar, "du willst mich wohl hinters Licht
führen? Gerade eben habe ich deinen Esel schreien gehört."
"Holla, Herr Nachbar", erwiderte Hodja, "jetzt bin ich aber
gekränkt. Mir glaubst du nicht, was ich sage, aber einem Esel
glaubst du?" |
Wie der Wodka vom Nachbartisch zu Frank kam, willst du wissen? Zwei von
den drei Opapas nebenan waren früher einmal in Teutonistan gewesen, der eine
hat da eine Zeitlang gearbeitet, der andere ein Praktikum gemacht, und
der dritte ist ein retirierter Arzt, spricht aber auch ein paar Brocken
Deutsch, "Heftpflaster" kennt er, und "Kreislaufkollaps", und
um selbigen bei dem hammelverschlingenden Frank zu verhüten,
wurde der Wodka herübergeschickt.
"Na zdarovije, prost, auf die Drushba mit Bratwurstistan", und das
Ganze
endete mit endlosen Umarmungen und Freundschaftsbeteuerungen.
Sogar Ka, Franks nimmermüde Begleiterin, die eigentlich um
harte Spirituosen
mit Recht einen sehr weiten Bogen macht, fand das Wässerchen
genießbar, zumal es als Digestivo nicht unwillkommen war. Zum
Glück blieb der Busfahrer standhaft, der am selben Tisch
saß, weshalb wir am Abend die
Wüste Kizilkum verlassen konnten und unfallfrei in Samarkand
Einzug hielten.
Aber
jetzt stelle ich dir erst mal vor, womit man sich in Usbekistan
eigentlich so die Wampe vollzuschlagen pflegt. Schließlich ist
Frank auch ein Gourmet. He? Noch nicht bemerkt? Dann höre und
staune.
Also, das Brot
ist recht salzarm, aber ganz lecker, wenn es frisch ist. Nach mehr als einem
halben Tag schmeckt es allerdings wie die Bücherverpackungen von Amazon. Nie
probiert? Versuchs mal. Der grüne Tee ist ein Relikt der
fernen Zeit, als die Chinesen mal in dieser Gegend Geschäfte
machen wollten, schmeckt nicht so bitter wie er aussieht und
löscht gut den Durst.
Nur Touristen trinken ihn mit Zucker, zur Gaudi der Usbeken. Im Winter wird
mehr schwarzer Tee getrunken, vielleicht weil da außer den Christbäumen nicht viel grün ist.
Zum Essen gibt es immer Fleisch, aber nur Chicken, Hammel und Rind,
mancherorts auch Pferd. Und immer mit viel Fett dran, die Usbeken
mögens kalorienreich. Der Frank mag auch fettes Fleisch, aber nur,
weil es weniger zäh ist; zum Essen ist ihm das wertvolle Fett zu
schade. Nur Schweine sind angeblich ungenießbar; der Bratwurstfrank weiß es besser, behält das Geheimnis
aber für sich.
Fisch? Ja, woher denn? Aus der Wüste?
Früher fischte man im Aralsee, aber der letzte Fisch wurde dort im späten 20.Jh. gesichtet. Zum Fleisch, gespießt oder vom
Grill,
gibt es IMMER Gurken und Tomaten, üppig mit Dill garniert,
und auch rohe
oder in Essig eingelegte Zwiebeln. Aus der chinesischen Zeit haben sich
die Manty (gefüllte Teigtaschen) ins Repertoire der usbekischen
Küche eingeschlichen, und die dicken Nudeln in ihrem währschaften
Fleisch- und Gemüsesud dürften auch einen Migrationshintergrund aufweisen.
Aus westlichen Regionen dagegen kommt das Nationalgericht Plov, um das
Usbeken viel Aufhebens machen. Dabei ist es so einfach, dass es auch
der Frank zusammenköcheln könnte. Es ist ein Gemüsereis
mit Hammelfleisch drin, eben der bekannte türkische Pilaf. Mit dem
kleinen Unterschied, dass der Reis in Hammelfett gesotten wird, was nicht
jedermanns Sache ist.
Aber man kann ja seine frisch gefetteten Eingeweide mit Rührkuchen, Trockenobst,
Nüssen, Rosinen und Melonen versöhnen, das alles gibt es in
Hülle und Fülle. Islam hin und Mohammed her, ein gutes kaltes
Bier ist überall zu bekommen und braucht auch nicht vor dem Imam
versteckt zu werden, der selbst vermutlich lieber Wodka trinkt.
In Samarkand kam es zu einer Begegnung mit einem alten Bekannten, denn
an prominenter Stelle sitzt ein streng und würdig dreinblickender,
monumentaler
Metallmensch auf einem Bronzethron und blickt starr auf das
Nationaltheater, als ob es dort Vorstellungen im Freien gäbe. Ist
das der weise Ibn Sina, den man in Europa Avicenna
nennt, ein hochgelehrter Wissenschaftler und Philosoph des Altertums,
der zwar persischer Abkunft war, aber in Khorasan, also
Zentralasien aufwuchs? Oder Ulughbek, der "große Fürst" und
Enkel des alten Timur? Er war freilich etwas aus der Art
geschlagen, denn er war kein Räuberhauptmann und Schlagetot wie
sein Opapa, sondern ein
bedeutender Astronom und Mathematiker, der Wissenschaften und
Künste förderte. Damit macht man sich in der Regel bei der
Geistlichkeit unbeliebt, denn Pfaffen aller Couleur fürchten die
Wissenschaft wie der Teufel das Weihwasser, weshalb Ulughbek
schließlich von fanatischen Mullahs, im Bündnis mit
seinem eigenen Sohn, ermordet wurde.
Die Enttäuschung war groß, denn es handelte sich um Timur den Schlächter persönlich, der hier
tatsächlich zum Landesvater und Nationalhelden aufgemotzt wird, obwohl Usbekistan
doch eine ansehnliche Reihe nobelpreisverdächtiger Gelehrter
hervorgebracht hat, die allemal zum usbekischen Goethe taugten!
Und nicht weit von dem Bronzetimur steht sein Sarg, der das
Wenige enthält, was von Timurs Weltreich übrig geblieben ist,
im Gur Emir, einem reich verzierten Bau, den er als Grabmal für
seinen Enkel Ulughbek geplant und errichtet hatte. Dass er selbst
einmal in
dem angesichts seines Größenwahns eher schlichten Bau vermodern
würde, hätte er sich gewiss nicht träumen lassen.
Na
gut, was ein Timur als "schlicht" bezeichnen würde, ist für
heutige Krauts, die an kubische Bauhaus-Simplizität
gewöhnt sind, in Sozialwohnungen oder Plattenbauten hausen und sich für den Wiederaufbau eines
gefängnisartig-öden, einstmals zu Recht gesprengten Berliner Schlosses begeistern, ein orientalisches Juwel, das erst mal
die Kinnladen herunterklappen lässt. Das Wunderwerk in
Samarkand ist über und über mit farbigen Arabesken und
Koranversen geziert, die glasierte Kuppel neckisch gerillt wie
ein Bratapfel, ja selbst die Minarette, von denen nur eines noch teilweise
steht, sind mit arabischen Schriftbändern und verschnörkelten
Kapitellen aufgepeppt, da staunen sogar die Fans plumper Preußenschlösser.
Wenn sie ihre Kinnlade wieder in die Startposition gebracht haben,
sollten sie sie gut sichern, bevor sie ins Innere eintreten, denn alles
Bisherige war ja nur die Außenhaut. Natürlich kennt man die
überladenen barocken Kapellchen mit ihren vergoldeten
Stuckornamenten und Putten, im Idealfall noch mit Deckengemälden
von Meistern wie Battista Tiepolo versehen, aber angesichts der Pracht des Gur
Emir erblassen alle
noch so gipsputtigen bayrischen Barockkapellen vor Neid. Jetzt kann man
sich Aladins Wunderhöhle vorstellen, hier ist die Kulisse für
Tausendundeine Nacht, die Touristen starren gebannt an die Decke, bis
ihre Nackenknöchel knacken.
Mit orientalischer Architektur verbinden wir wohl eher eine Vorstellung
mit Yemen oder Marocco, vielleicht auch mit Saudi Arabien oder Iran,
aber hier in Zentralasien stehen Schätze, unversehrt oder
restauriert, die alle Reize des Morgenlands aufweisen. Und das Gur
Emir ist nur der Anfang....
Für Frank ist Samarkand ein altes Zauberwort. Seit seiner Kindheit
verbindet sich auf irgendeine mysteriöse Weise mit diesem Namen,
wer weiß, wo er ihn aufgeschnappt hatte, die Vorstellung einer
Schatzkiste an der Seidenstraße. Samarkand war, neben Machu
Picchu und dem Potala-Palast in Lhasa, eines der drei Besuchsziele, von denen
er seit Urzeiten geträumt hatte. Jetzt steht er da wie die anderen
Touristen und kriegt den Mund nicht zu, Kinnlade heruntergeklappt.
Außer Fenster- und innerem Türrahmen ist kein Fleckchen
ungeziert, Franks Lieblingsfarbe Blau ist vorherrschend, und
mögen es auch nur Koranzitate sein, die arabische Schrift
ist in kalligrafischer Hinsicht eine großartige Augenweide. Die tropfsteinhöhlenartige Stuckkunst wird übrigens "Stalaktitendecke"
genannt.
Von hier geht's direkt zum Registan-Platz hinüber, sobald
die Kinnlade wieder in Position ist, und am Registan klappen die
Kinnladen erneut. Erstens wimmelt's da von Touristen, und zweitens
steht da ein Ensemble von gleich drei Medressen, die den Platz auf drei
Seiten säumen, eine prachtvoller als die andere.
Die beiden gegenüberliegenden
Palazzi sind die Ulughbek- und die Sherdor-Madrasa. Den Abschluss des
Platzes auf der dritten Seite bildet die Tillakori-Madrasa. Jetzt
fragst du dich, was so viele Medressen auf einem Haufen für einen Sinn ergeben. Das
sind doch Koranschulen, gab es denn außerhalb Afghanistans jemals so viele Taliban (Koranschüler)?
Obwohl
der Platz stilistisch wie aus einem Guss aussieht, sind die Bauten zu
vollkommen unterschiedlichen Zeiten errichtet worden, alle im gleichen
Stil, der in Usbekistan wohl zeitlos ist. Ulughbek war der
erwähnte Emir, dem das Wissen wichtiger war als das Glauben; kein
Wunder, dass er sich für die Errichtung einer
großen Schule stark machte, und seinerzeit wurden dort, anders
als heute, nicht alleine Geschichten aus dem Märchenbuch
eines dieser Propheten, die bis heute die Welt verunsichern, sondern vor allem handfeste Naturwissenschaften,
Fremdsprachen und Mathematik unterrichtet. Mit der Sherdor-Madrasa en
face hat sich Emir Abdul Jabbar Anfang des 17.Jhs. ein Denkmal
setzen wollen, und die Tillakori-Madrasa ist wenige Jahrzehnte
später eindeutig aus ästhetischen Gründen, nämlich
als architektonische Ergänzung und Vollendung des Ensembles,
hinzugefügt worden. Sie fungierte nie als Schule, sondern in ihr
wurden Schüler, Pilger und Derwische untergebracht. Außerdem
enthält sie eine große Moschee, deren Ausstattung dem ganzen
Gebäude den Namen gab: Tillakori bedeutet "goldbedeckt".
Das
war's, wovon Frank seit seiner Jugendzeit träumte, Samarkand, das
dritte der ganz großen Reiseziele, heute hat er es erreicht.
Von Weitem sieht das Ensemble superfotogen aus, denn wo sonst gibt es
schon so eine Piazza? Bruxelles, der Rathausplatz? San Marco in
Venezia? San Pietro in Vaticano? Plaza de Mayo in Bueos Aires?
Nein, nur der Rote Platz in Moskwa und der Platz des himmlischen
Friedens übertreffen an Pracht den Registan-Platz von Samarkand.
Wenn
man die Zier der Gebäude von Nahem betrachtet, offenbart sich die
ganze Kunstfertigkeit und Hingabe, mit der jedes Detail der drei Bauten
gestaltet ist. Die Fassade der Tillakori-Madrasa ist deutlich breiter
als diejenigen der beiden anderen Medressen - sie sollte den Platz
abschließen, und die Arkaden der Seitenflügel zeigen
deutlich, dass hier Sozialwohnungen für arme Studenten, mittellose
Pilger und heulende Derwische geschaffen werden sollten. Von
außen mutet der Wohnraum mit neunzehn Appartements recht
großzügig an, aber wer glaubt, dass sich hinter jeder Arkade
eine Suite mit Küche, Bad, Schlafzimmer und Büro mit kostenlosem WLAN
verbirgt, der sollte mal einen Blick ins Innere werfen; es sind
unzählige, meist fensterlose Kabuffs, echte enge Studentenbuden,
in die nicht mal ein Bett passt. Auf den Sitzkissen legte man sich auch
schlafen, wenn die Shisha ausgeraucht war, die Ölfunzel erlosch und die Schnaken zur Attacke
bliesen.
Aber bevor die Jungs ihre Bücher und Augendeckel zuklappten,
erzählten sie sich gewiss eine Gutenachtgeschichte, die so oder
ähnlich lautete:
Der
Schwager des Hodja Nasreddin hatte geschäftlich in Samarkand zu tun, wo
Hodja lebte, und stattete ihm einen Besuch ab. Als Gastgeschenk
brachte er ihm ein stattliches Huhn mit. Wie es die orientalische
Gastfreundschaft gebietet, bat Hodja seinen Schwager, zum Abendessen zu
bleiben und ließ seine Frau das Huhn zubereiten.
Am nächsten Tag standen zwei andere Besucher vor der Tür.
"Wir sind die Brüder deines Schwagers, der dir gestern ein Huhn geschenkt hatte."
Hodja lud die Verwandten zum Abendessen, ließ die
Reste des Huhns zu einer guten Hühnerbrühe aufkochen und sie
damit bewirten.
Einen Tag später standen drei Besucher vor der Tür.
"Wir sind die Cousins der Brüder deines Schwagers, der dir vorgestern ein Huhn geschenkt hatte."
Hodja bat auch sie zum Abendessen und setzte ihnen einen Topf voll
heißen Wassers vor. Die Gäste fragten verwundert, was das
denn sei.
"Das ist die Brühe der Brühe des Huhns, das mir mein Schwager
vorgestern geschenkt hat", gab Hodja ungerührt
zurück. |
Heute enthalten die Bauten keine Pilgerwohnungen mehr; alle Räume
im Erdgeschoss sind Souvenirbuden und Handicraft-Shoppes. Aber jetzt
sehen wir uns mal die Moschee an, von der die Leute so
schwärmen und der verheißungsvolle Name der ganzen Medresse
herrührt.
Klackerdiklack, sagt es, und der Laut stammt von den Kinnladen der neu
eintretenden Touristen, die allesamt wieder runterklappen. Das
Timur-Grab war ja schon ein Knallbonbon, aber jetzt geht der ganze
Funkel wieder von vorne los, nur mit noch mehr Gold! Vier Kilo
Blattgold wurde für die Innendekoration verwendet, das macht nach
dem heutigen Goldpreis, ich habe extra im Internet nachgesehen, ein
Loch von ca. 450000 Euro, je nach Kurs, in
der Haushaltskasse. Da siehst du mal, weshalb die Wissenschaft verloren
hat. Hätte man sie mit ebenso vielen Subventionen gepäppelt,
dann wären elektrisches Licht, Dieselmotor, Investment Banking,
Nylonstrümpfe, Internet und Facebook nämlich in Usbekistan erfunden
worden.
Aber Glauben heißt Nicht-Wissen, weshalb das Gold nur an der
Wand schimmert und sich in den Goldzähnen der mit
heruntergeklappter Kinnlade staunenden Besucher widerspiegelt, anstatt
Nobelpreisträger zu generieren.
Aber Tausendundeine Nacht ist
es allemal, auch die eine oder andere mandeläugige Fatima fand
sich unter den zahlreichen
Gläubigen; das Interieur der Moschee ist fotogen und stellt
den
Gur Emir noch in den Schatten. So viele Schörkel und Arabesken,
Glyphen und Kuppeln, Schnitzereien, Minarette und Funkelglitzer wie in
Samarkand hat Frank bisher nur in Bangkok gesehen, wo am Wat Phra Kheo
ein vergleichbares Goldglitzergefunkel die Kinnladen der Besucher
herunterklappen lässt. Das menschliche
Fassungsvermögen gerät leicht an seine Grenzen, und nach drei
Tagen Samarkand ist man schon dermaßen abgefüllt mit Gold
und Glitter, dass man sich nach einem Bergsee und grünen Wiesen zu
sehnen beginnt.
Dabei war Samarkand ursprünglich eine buddhistische Stadt. Eines
Tages kamen jedoch ungläubige Touristen ohne Visum dahergeritten und
verlangten die Übergabe der Stadtschlüssel. Da könnte ja
jeder kommen, antwortete der Stadtkämmerer, der nicht ahnte, dass
die Bande von Rowdys unter ihrem Leader Jinggis Khan auf ihren
kurzbeinigen Gäulen keinen Respekt vor dem Buddha und seinen
Tempeln kannte, sondern ihre Wut an der Stadt ausließ. Die
wenigen überlebenden Einwohner besahen sich den Schutthaufen, der
von Samarkand übrig geblieben war, und beschlossen, die Stadt ein
paar hundert Meter weiter vollkommen neu zu errichten. Als Timur mit
seinen Hooligans anrückte, gab man ihm die Schlüssel freiwillig
heraus, um die Stadt nicht noch ein weiteres Mal neu aufbauen zu müssen,
und Timur gefiel der Ort, den er zu seinem wichtigsten Stützpunkt
machte. Weil der Herr oft außer Haus war, um anderswo in der Welt
zu randalieren, hatte Samarkand weitgehend seine Ruhe und konnte sich
unter dem Einfluss der Araber, deren Kultur zu jener Zeit Künste
und Wissenschaften förderte, zur heutigen Blüte entfalten,
zumal der weise Ulughbek die wundervolle Gestaltung des Registan-Platzes in Angriff nahm und die
Stadt zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit ausbauen wollte, was ihm
bekanntlich nicht gedankt wurde. Die Konfrontation zwischen Glauben und
Wissen ging für den usbekischen Gelehrten leider weniger glimpflich aus
als für seinen europäischen Kollegen Galilei.
Um
dem klugen alten Herrn den gebührenden Respekt zu erweisen, suchte
der Frank eigens das kleine Ulughbek Museum auf einem Hügel am
Rande der Stadt auf; dieser Hügel ist alles, was die Mullahs von
seinem Observatorium übrig gelassen hatten, das sich mit dem
Wissen der Chinesen durchaus messen konnte. Eine Begegnung mit dem
türkischen Astronomen Kozizoda Rumi hatte schon in dem jungen
Prinzen ungewöhnliches Interesse für die Himmelskunde
geweckt, und Timur, erfreut über den Wissensdurst seines
aufgeweckten Lieblingsenkels, ließ ihm eine gute Erziehung zuteil
werden in der Hoffnung, er werde später in Opas Fußstapfen
treten und mindestens noch China, Afrika und Amerika erobern.
Anhand alter Handschriften konnte das sagenhafte Observatorium 1908
gefunden und freigelegt werden. Der gelehrte Emir hatte einen riesigen
Sextanten
bauen lassen, mit einer metallenen Schiene, die exakt den Sonnenlauf
markierte, der durch eine kleine Öffnung hereinfiel.
Modellrekonstruktionen ergaben, dass die durch Ulughbek notierten
astronomischen Daten eine Genauigkeit aufwiesen, die im Abendland erst
sehr viel später erreicht wurde. Seine astronomischen Tafeln und
sein Sternenatlas wurden 1648 in London herausgegeben und 1665 vom
Konservator der Universitätsbibliothek Oxford ins Lateinische
übersetzt.
Erhalten ist nur ein Teil der metallenen Schiene des Observatoriums,
aber Ulughbeks Wort hat bis heute nichts von seiner Aktualität
eingebüßt: "Religionen verwehen, Reiche zerfallen, aber die
Erkenntnisse der Wissenschaft haben für immer Bestand."
Weil man nicht immer nur in Moscheen herumstiefeln kann, ohne Stiefel
natürlich, knurrt bei Frank mal wieder der weltliche Unterleib und
drängt darauf, vor dem Verlassen der Funkelglitzerstadt doch mal
eine Kostprobe des gerühmten usbekischen Plov zu goutieren. Am
besten ist Hausmacher Kost, sagt sich der Frank, und lässt
sich bei einer usbekischen Familie zum Dîner nieder, so wie
die Onkels der Onkels von Hodja Nasreddins Schwager.
Viel
war von der Familie freilich nicht zu sehen, sie verschwand auch nicht
hinter dem rekordverdächtig hohen Servietten-Minarett, sondern es
gab nur eine Begrüßung durch die Hausfrau, ein
Ständchen, vom Benjamin der Familie vorgesungen, und
dann freie Bahn für die Domestiken, die das arabeske
Geschirr, das an
die Wände des Gur Emir erinnerte, mit allerlei Leckereien
füllten, Fladenbrot, Teigtaschen, fritiertes Hühnerklein,
Bohnen, der unvermeidliche Gurken- und Tomatensalat... Aber wo
ist der Plov? Der kam später, denn die Platte ächzte
alleine schon
unter den Vorspeisen und dem Obst zum Dessert. Schließlich soll
ein Plov direkt aus der Pfannne serviert werden. Ehrlich gesagt,
als er dann kam, frisch zubereitet, war
das Highlight der
usbekischen Küche eine gelinde Enttäuschung. Weder in Hammelfett
gesotten, noch enthielt er auch nur einen hammeligen Fitzel; es
war eine schwach
gewürzte, entschärfte und aller orientalischen Reize beraubte Sonderversion
für Ausländer, ein Reistopf mit hart gebratenem,
geschnetzeltem Rindfleisch
drin, ziemlich genau das, was man in Lateinamerika als lomo saltado (beef
sauté) vorgesetzt bekommt. Die "usbekische Familie" war
sozusagen eine professionelle Familie, ein Privat-Gasthaus, das
Ausländer verköstigt und sich schon auf deren Vorlieben
eingestellt hat. Einen richtigen Plov hat der Frank jedenfalls erst in einem anderen Land Zentralasiens erlebt.
Natürlich war alles ausgezeichnet, das Obst war hervorragend, ja, schau dir
nur die Melone an, die hat der Frank restlos entsorgt, und die
Wassermelone auch, aber das allerbeste war die üppige Madame, die
sich
hinterher mit Frank ablichten ließ - oooooh, ich bin so
fürchterlich schüchtern und alles andere als fotogen, rief
sie, aber weil Frank ihr Menü ebenso lauthals pries wie der
Bazarhändler Hodjas Esel, gab sie Frank schließlich doch
noch ihr Jawort. Natürlich nur für das Foto.
Was, die Geschichte von dem Bazarhändler und Hodjas Esel kennst du
nicht? Also, die muss ich dir gleich mal erzählen, hab ich dir direkt
aus dem Morgenland mitgebracht.
Hodja
Nasreddin brachte seinen Esel auf den Markt, um ihn zu verkaufen. Er
überließ ihn einem professionellen Verkäufer, der ihm 8 Piaster
dafür zahlte. Der Händler führte sogleich den Esel mitten auf den
Marktplatz und schrie:
"So ein Prachtstück von Esel ist hier noch nie feilgeboten worden! Er
trägt Lasten, bei denen andere Esel zusammenbrechen
würden, kommt drei Tage lang ohne jegliches Futter aus und
schreitet so sanft, dass man beim Reiten seinen Tee trinken
könnte, ohne einen Tropfen zu verschütten!"
Eine Menge Käufer scharte sich um den Händler, der den Esel
unentwegt in allen Superlativen des Orients pries, und die Leute boten 14,
25, 33 Piaster, um das Wundertier zu erstehen. Hodja staunte
nur, denn dass sein altes Grautier solche wundersamen
Eigenschaften
hatte, war ihm bisher entgangen. Er sagte zu dem Händler: "Ich
gebe dir 40 Piaster, aber gib mir bitte meinen Esel zurück."
Zuhause erzählte er seiner Frau, dass er seinen Esel für 8
Piaster verkauft, ihn dann aber für 40 Piaster zurückgekauft habe,
ein Schnäppchen für seinen total verkannten Super-Esel!
Seine Frau verzog keine Miene, sondern sagte nur:
"Heute war der Salzhändler da, und weil wir kein Salz mehr haben,
bot ich ihm als Entgelt Weizen von unserem Feld. Er stellte die
Weizentüte und die Salztüte auf die Waage, und als er kurz
wegschaute, habe ich schnell meinen goldenen Armreif in die
Weizentüte geworfen, damit sie schwerer wird, so bekommen wir mehr
Salz. Der Salzhändler hat die Weizentüte mit dem Armreif
mitgenommen und nichts gemerkt...."
|
A propos
Jawort: Am Abend gab es ein großes Hallihallo im
Hotel, da hielt eine Brautgesellschaft Einzug und belegte das gesamte
Restaurant. Weil der Frank bei der Plov-Dame zu Besuch war, kann er dir
nicht viel vom Verlauf der fröhlichen Feier erzählen, sondern
nur, dass es gegen 5 Uhr früh sehr laut wurde, was nach dem
reichlichen Wodkagenuss auf Kosten des Brautpaars wohl unvermeidlich sein
dürfte. Aber ob es in Usbekistan zum Ritual einer Hochzeit
dazugehört, dass sich alle männlichen Gäste beim
Abschied in den Morgenstunden auf der Straße vor dem Lokal
gewaltig prügeln, der Bräutigam im Schlachtengetöse
mittendrin, weiß ich nicht zu sagen, aber es flogen die Fetzen,
als seien Timur und Jinggis Khan mit dabei, und der dunkelblaue Anzug
des Bräutigams dürfte im Anschluss an den Pugilat allenfalls noch zum
Autoputzen getaugt haben.
Wo
waren wir eigentlich stehen geblieben? Der Rinderjerky-Plov, die
üppige usbekische Dame und die lustige Hochzeitsfeier waren
schließlich nur die Fleisch-Einlagen zur
Kulturreportage aus Samarkand.
Ja, als größte Etappe auf der Seidenstraße und
Scharnier zwischen Ost und West blühte die Stadt unter den
Nachfolgern Timurs auf, und bevor andere Räuber und Krieger wieder
alles zerdeppern konnten, stellte sich die Stadt zur Zeit der Zarin
Katharina unter russische Protektion. Die Zarin entsandte Truppen,
deren kollektives Kinnladen-Herunterklappen sich herumsprach und zur
Bewahrung des Kulturerbes führte; selbst die atheistisch
gefärbte Sowjetunion respektierte den islamischen Glitter, jagte
nur die Mullahs zum Teufel, was man als gutes Werk honorieren sollte. Außerdem restaurierte sie, was immer an Bausubstanz
am Verfallen war, und ernannte den weisen Ulughbek zu einem der
ruhmreichen alten Wissenschaftler der Sowjetunion, aber jetzt haben die
Usbeken ihre Schätze wieder und feiern auf dem wundervollen Registan-Platz
Musikfestivals, alle zwei Jahre, und als sie am Abend die
Festbeleuchtung testeten, war Frank gerade in der Nähe und eilte,
um sich das Spektakel anzusehen. Die drei Moslem-Kathedralen in
Disco-pink
und -purple, der Prophet aus Mekka würde sich im Grabe rumdrehen. Man
könnte es für die Bühnendekoration einer
"Entführung aus dem Serail" halten. Ich
mute dir lieber eine weniger kitschige Konstellation in Nightblue und
Satsuma-Orange zu....
Hoffentlich
glaubst du nicht, dass das alles sei, was Samarkand zu bieten hat,
sonst würde man ja lieber nach Rom reisen. Wer nach dem
Registan noch Sinn für andere Antiquitäten hat,
schaut ins nahe Bibi Khanom hinein, das natürlich wieder eine
olle
Moschee war. Bemerkenswert ist sie wegen ihrer Größe, schwer
zu übersehen, und wer anders als Timur der Gigantomane kann so
eine Wuchtbrumme gebaut haben in der Absicht, der Welt mit einer Art
islamischem Petersdom zu imponieren? Ein riesiges Portal
bemängelte Timur als "zu mickrig", ließ den Baumeister hinrichten, das Portal abreißen
und eine titanische Nummer größer neu auftürmen. In
nur fünf Jahren hingeklotzt, wies das Ding so grobe bauliche
Mängel auf, dass kurz nach der Fertigstellung schon die ersten
Brocken aus der Kuppel herabfielen. Mister Timur, ich sag dir,
Architekten zu köpfen ist keine gute Idee. Auch ohne Erdbeben
stürzten nach und nach die Minarette ein, dann brach die Kuppel
zusammen und erschlug zahlreiche Gläubige, weshalb sich am Ende
nur noch der Imam in die Ruine traute. Die heutigen Überreste
werden von Metallstützen gehalten, aber sicherer ist es im offenen
Innenhof, wo Frank schon wieder als Fotomodell für usbekische Omas
herhalten musste, klar doch, so ein gut aussehender Gentleman kommt
selten nach Samarkand! Heutzutage hat ja jeder Schimpanse im Urwald
ein iPod, damit können inzwischen sogar
Leute umgehen, die außer dem Koran nicht allzu viel gelesen haben; erst recht machen auch usbekische Omas wie selbstverständlich ihre Selfies.
Aber Frank hat sich
auch noch den Schutthaufen angesehen, der nach dem Abschied der
liebenswürdigen mongolischen Besucher vom früheren Samarkand
übrig geblieben war, und siehe da, die späteren
Samarkandianer haben den Acker sinnigerweise als Friedhof
genutzt. Und wo ein Friedhof ist, wird auch im Islam gebetet, und
zum Beten braucht man eine Moschee, erst eine, dann zwei, dann drei und
immer mehr Moscheen, weil es im Islam mindestens ebenso viele Sekten
und Heilige gibt wie in allen anderen Weltreligionen auch. Außerdem wurden da auch irgendwelche bedeutenden Propheten-Cousins, Potentaten
und Islamisten beigesetzt, die jeweils ihr eigenes Mausoleum und ihre
eigene Kapelle erhielten, so dass es von Weitem den Anschein hat, als
würde eine Moscheenprozession entlang der Gräberfeldmauern
den Hang hinaufklettern. In Wirklichkeit klettern da nur Pilger und
Touristen hinauf, und der Frank war mal wieder mittendrin, nachdem er
zwar den Eintrittspreis bezahlt, die obligatorische Fotolizenz aber
großherzig ignoriert hatte. Bin selber Fotomodell, murmelte er. Schließlich knipst heute auch
jedes Kind mit iPhone, iPod, iTablet, iBrille, iUhr oder
iHosengürtel, wer schleppt schon eine klobige Fotoausrüstung
durch die Wüste?
Shahizinda
heißt die Nekropole, und wenn du meinst, da wäre weniger
Funkel und Glitter zu begaffen als am Registan, da hast du dich aber
getäuscht. Es ist nur enger, du kannst die Terracotta-Säulen,
Majolica-Wände und Mosaik-Kacheln aus allernächster Nähe
beglotzen und befingern, wenn der Pilgerstrom mal kurz abreißt.
Das tut er nur zur Mittagszeit, da führt die Pilgerfahrt in die
naheliegenden Gasthäuser, während Frank von der Hitze halb
benommen im Schatten eines Mäuerchens hockt und an seiner
Mineralwasserbottel nuckelt. Man kommt sich hier vor wie in Isfahan -
eine ganze Allee von glasierten Portalen, türkisfarbenen Kuppeln
und arabischen Kalligrafiebändern, auf denen "Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst", "Dem Volke dienen" oder so was
Ähnliches stehen
dürfte, der Frank kann leider kein Arabisch. Irgendwie weigert
sich sein Hirn, immer mehr Schnörkel und Zierat, Arabesken und
Majoliken aufzusaugen, selbst die Holztüren sind von oben bis
unten verschnörkelt geschnitzelt. Frank richtet sein müdes
Augenmerk nunmehr auf die Pilger, es hätte ja sein
können, dass ihm eine orientalische Schöne aus Tausendundeiner Nacht entgeht, aber wie in Maria Laach
handelt es sich auch hier meist um Ladies fortgeschrittener
Jahrgänge, die mit ihren Kopftüchern als
BigMac-Köchinnen
durchgehen könnten, wenn sie nicht ihre usbekische Feiertagstracht
trügen. Als wichtigste Erkenntnis seiner Betrachtungen darf ich
dir mitteilen, dass selbst unter den frommen Pilgerdamen an diesem
Heiligtum einige waren, die es nicht für nötig befanden,
Kopftuch zu tragen. Also was soll der Zwergenaufstand der
Kopftuchlehrerinnen in Europa? Dem alten Herrn Allah kommt es
doch nur auf die Taten an, nicht aufs Äußere. Es reicht
doch, dass die Daisch ihre Gesichter mit Kopftüchern verbergen,
wenn sie ihre gottgefälligen Werke an ungläubigen Gefangenen
verrichten.
Kennst
du den Talgo? Nein, nur Tango? Du hast echt keine Ahnung, nicht mal
in Mallorca kennst du dich aus! Allerdings muss ich dir Recht geben,
wenn du behauptest, dass es in ganz Mallorca keinen Talgo gibt, nicht
mal im Ballermann. Der fährt ja auch nach Madrid, und nicht nach
Palma. Der Talgo, nicht der Ballermann. Jedenfalls, was den Franzosen
ihr TGV, den Deutschen ihre Autobahn, den Afghanen ihre Talibahn, den Hamburgern ihre Reeperbahn und den Japanern ihr Shinkansen
ist, das ist der Talgo für die Spanier, die flotteste Bahn der
Gegenwart, sofern keine Verspätung, Streiks oder
Stromausfälle zu verzeichnen sind. Und so ein Ding haben die
Usbeken importiert, und das braust von Samarkand nach Taschkent und
wieder zurück, und sie haben sich nicht mal die Mühe gemacht,
die TALGO-Inschrift zu übermalen; der Flitzer heißt bei den
Usbeken auch einfach Talgo. Wenn du die fünffachen
Ausweiskontrollen, Security checks und Gepäckdurchleuchtungen wie
auf einem internationalen Airport absolviert hast, wirst du in den
Bahnhof gelassen, und zum Entern des stromlinienförmigen
Schienenwurms ist nur noch eine weitere Pass- und Fahrtausweiskontrolle
zu bestehen. Uniformierte Flight Attendants, nein Train Attendants
servieren
einen Tee und ein Stück Kuchen wie in der Business Class von
O'zbekiston Airways, das ist
im Fahrpreis enthalten, und mit erheblich weniger Verspätung als bei der deutschen Bundesbahn war
Frank zwei Stunden später wieder zurück in Taschkent. Mit dem
Bus kämst du erst am nächsten Morgen an.
Im
Gartenrestaurant ging es am Abend lustig zu, die Gäste hatten gut
gegessen und wohl auch manches Gläschen geleert, und alles weitere entnimmst du am besten dem nachstehenden
Kästchen, das ist das Richtige für eine längere
Bahnfahrt durch die zentralasiatische Taiga.