titel4


Wenn man flüssige Sahne, das Zeug, das auf frisch gemolkener Milch oben drauf schwimmt, mit dem Schneebesen lange genug verdrischt, wird Schlagsahne draus, ein bisschen Zucker dran, und dann ziert es in Bad Mergentheim den Zwetschgenkuchen der Damen mit den grauvioletten Dauerwellen im Kurpark-Café. Andere Leute tun Salz statt Zucker dran, legen den Schneebesen weg und dreschen mit einem hölzernen Knüppel, den man Rührholz nennt, weiter auf das immer fester werdende Fett, und am Ende nennt es sich Butter und lässt sich unter Franks Nutella streichen.
Hört man den Leuten in Zentralasien zu, wenn sie sich was erzählen, dann reden sie zwar eher nicht über Nutella, aber so ein Rührholz für die Butter kommt in den orientalischen Geschichten durchaus mal vor, denn bei den Nomaden im Zelt wird die Butter noch per Hand hergestellt.
Jedenfalls wurde auch Kirgistan vom russischen Zaren Gorbatschow irgendwann zähneknirschend in die Unabhängigkeit entlassen, und das erste, was die undankbaren Kirgisen taten, war, ihre Hauptstadt unzubenennen. Sie sollte nicht mehr so 
heißen wie der russische General (Michail Wassiljewitsch) Frunze, sondern irgendwie kirgisischer tönen. Ein Komitee zur Namensfindung wurde einberufen, und es gab allerlei Vorschläge; von Kirgisgrad bis Entenhausen wurde wohl kein noch so unwahrscheinlicher Namenskandidat ausgelassen, allein, für keinen der Anträge fand sich die erforderliche Mehrheit. Die Sache zog sich derart in die Länge, dass dem seinerzeitigen Präsidenten der Geduldsfaden riss. Er sprach ein Machtwort und forderte das Ende der Beratungen und ein Ergebnis innerhalb von 24 Stunden. Dreiundzwanzig Stunden waren abgelaufen, und noch immer stieg von dem kirgisischen Namenskonklave nur blauer Dunst an die Saaldecke, aber kein weißer Habemus-Papam-Rauch gen Himmel auf. Da klingelte bei einem der Herren, einem Delegierten vom Lande, das Handy. Seine Frau war dran und sagte, bevor er aus der Hauptstadt wieder nach Hause reise, solle er ihr vom dortigen Bazar ein neues Rührholz für die Butter mitbringen.
"Ein was?", fragte der Delegierte, der wegen des hitzigen und lautstarken Palavers seiner Kollegen die Stimme seiner Gattin nicht gut hörte, und außerdem
kratzte die Leitung, weil der sowjetische Geheimdienst mit drinhing.
"Ein Rührholz!", brüllte die Frau.
"Ach, ein Rührholz!", brüllte auch der genervte Abgeordnete, woraufhin es im Sitzungssaal still wurde.
"Ihr Vorschlag ist außerordentlich interessant, das klingt nach alter kirgisischer Tradition, ist leicht zu merken und wäre ein sinnreicher Name für unsre Hauptstadt", rief der Vorsitzende, und die anderen Delegierten schauten auf die Uhr und klatschten, wenige Minuten vor Ablauf der Frist, nur noch müde Beifall.
So fügte es sich, dass die Stadt, in deren Nähe Frank soeben einschwebte, seither schlicht "Rührholz" heißt, auf Kirgisisch "Bishkek". Gut, dass die Frau keine Babywindeln oder Lockenwickler mitgebracht haben wollte. Aber die Besichtigung dieses seltsamen Rührholzes verschob Frank auf später, denn der Airport ist so weit von der Stadt entfernt, dass es ratsam erscheint, gleich in die grüne Heide davonzuzwitschern, denn von städtischem Glamour war Frank, wie du dich erinnerst, seit dem Funkelglitter von Samarkand reichlich übersättigt und wollte auf die grüne Alm zu den wolligen Schäfchen.


alm

Bishkek liegt in einer fruchtbaren Ebene am Nordwestrand des Tianshan-Gebirges. Auf dessen Nordseite liegen die Steppen von Kasachstan, auf der Südseite das Tarim-Becken, und im Osten Urumtschi. Leider handelt es sich bei der Ebene um Bishkek um die einzige größere fruchtbare, zum Ackerbau geeignete Fläche von ganz Kirgistan, die indes nur ein Zehntel des gesamten Territoriums bedeckt. Der Rest sind steile Berge, viele Bäume und Steine, an denen sich die Gemsen und Ziegen die Zähne ausbeißen, die aber wenig zum Bruttosozialprodukt eines aufstrebenden Landes beitragen. Weil sich Besucher, die Kirgistan aufsuchen, unweigerlich fragen lassen müssen, was sie in einer derart glanz- und strandlosen Gegend eigentlich wollen, tun die Behörden alles, was in ihrer Macht steht, um die ausländischen Devisenbringer willkommen zu heißen. Die Visumspflicht, unabdingbarer Ausweis der Selbständigkeit, wurde schnell wieder abgeschafft, weil niemand nach kirgisischen Visa Schlange stand. Heute kann jeder, der einen gültigen Pass besitzt, nach Bishkek hereinschneien, keine Formulare, keine Zollkontrolle. Nur die bissigen Gesichter aller Zeitgenossen, die eine Uniform tragen, sind aus der Sowjetzeit unbeschadet in die Gegenwart gerettet worden. Aber die beißen nicht, die wollen nur spielen, und sogar den Schnorrerkönig Frank haben sie reingelassen.
Der steht gerade vor dem beinahe einzigen historischen Monument des Landes, dem schlichten Rest eines antiken Backsteinminaretts in Burana nahe dem Provinzstädtchen Tokmak. Auch hier haben die Mongolen gehaust, man mag gar nicht glauben, dass in den hügeligen Pampas rund um das einsame Türmchen mal eine Moschee, nein, eine ganze Stadt lag. Eine gewaltige Leistung, das alles plattzukloppen, als das Dynamit noch nicht erfunden war. Man sieht ja, wie die armen Daisch sich damit abplagen, das kulturelle Erbe von Syrien und Iraq wegzusprengen, und immer noch steht was davon aufrecht. Man hat es nicht leicht als Zerstörer.
 
burana

Heute gibt es jedenfalls in Burana weder Carmina noch andere Überreste zu sehen. Frank freut sich, denn nach Samarkand ist so ein simples Ding geradezu herzerwärmend, zumal es zu den wenigen Bauwerken zählt, die in Kirgistan zu besichtigen lohnt, wenn man mal von der Villa absieht, die aus alten Containern zusammengeschweißt worden ist. Aber diese Villa ist nicht historischer als die blecherne Wendeltreppe, mit der man zum Eingang des plumpen und innen stockfinsteren Buranaturms klettern kann.
Wenn man ein wenig über die endlose Steppe latscht, - und das tut Frank immer wieder ganz gern, man will ja nicht einrosten, -  wird man von freundlich grinsenden Leuten begrüßt, die Balbal heißen, regungslos im Gras hocken und sich von der Hitze braten lassen. Man könnte meinen, Hodja Nasreddin habe sich da im trockenen Gras niedergelassen. Der war auch hier, als die Stadt noch stand und ein grimmiger Emir mit Schnauzbart über diese Gegend herrschte, und ein Treffen zwischen Hodja und Emir hätte um ein Haar für Hodja ein böses Ende genommen.

Als der Emir von der Jagd in die Stadt zurückritt, begegnete ihm Hodja Nasreddin mit seinem Esel, der mit Brennholz hoch beladen war. Dieser unerwartete Anblick verwirrte wohl das edle Pferd des Emirs, denn es scheute, und der Emir fiel vom hohen Ross und landete auf seinem durchlauchten Allerwertesten. Erbost ließ der Emir Hodja festnehmen und befahl, ihn am nächsten Tag zu köpfen.
"Emir, weshalb wollt Ihr mich armen, harmlosen Untertan köpfen lassen?", wagte Hodja einzuwenden.
"Dass du vor mir aufgetaucht bist, hat mir Unglück gebracht!", schnaubte der Emir.
"Hoheit, bei allem Respekt gestatte ich mir zu bemerken, dass Euer erlauchtes Erscheinen mir erheblich mehr Unglück gebracht hat. Ihr seid schließlich nur vom Pferd gefallen, aber ich soll geköpft werden!"
 
Das muss auch ein Emir einsehen, dass Hodja da nicht ganz Unrecht hatte. Wie man hört, amüsierte sich der Herrscher über Hodjas Argumente, vergaß sein gestauchtes Hinterteil und ließ ihn laufen.
Eines der steinigen Grinsemännchen im Gras, die dem Hodja so ähnlich sehen, hielt einen Gegenstand in den Händen, von dem die Moslems stur behaupten, es sei ein Schwertknauf, aber der Frank weiß es besser und konstatiert mit Vergnügen, dass die alten Knaben seinerzeit durchaus auch einem guten Gläschen nicht ganz abgeneigt waren.


grinsemann

Allmählich fällt dem Frank auf, dass der Bus, der ihn zu den Schäfchen bringen soll, mit einem beträchtlichen Affenzahn durch die Botanik zischt. Die Straßen im armen Kirgistan sind die reinsten Autobahnen, babypopoglatt und vier- bis sechsspurig, das lässt sich nach den Ratterpisten des nicht ganz so armen Usbekistan nicht übersehen. Vermutlich haben die Ministerien hier andere Prioritäten gesetzt. Oder man spekulierte auf Besuch aus Germanistan. Ohnehin gibt es hier nicht allzu viele Kulturgüter zu restaurieren.
Im Handumdrehn rücken die stets am Horizont sichtbaren Bergketten näher, obwohl du natürlich ganz Recht hast, dass es nicht die Berge sind, die näher kommen, sondern der Bus, der den Bergen näherkommt; sei nicht so nickelig und lass mir doch mal ein bisschen dichterische Freiheit, der F. Ju Göhte hätte das bestimmt auch so ähnlich gesagt!
An der nächsten Abzweigung geht es rechts nach China und links nach Alma Ata, Frank ist in eine reichlich exotische Gegend geraten, aber er fährt weder nach China noch in die kasachische Steppe, sondern geradeaus in die Berge, wo die Melonenverkäufer am Straßenrand immer seltener werden. Stattdessen gibt es hier, nein, keine Schäfchen, sondern gegrillte Maiskolben, und etwas später geräucherte Lachse und Forellen. Da staunst du, mitten in Zentralasien, in den Bergen. Aber hinter einer der Biegungen der sich durch die Berge windenden Autobahn taucht auf einmal so eine Art Meer auf, und das ist keine Fata Morgana, sondern ein riesiger See, 180 km lang und bis zu 60 km breit, und die schuppigen Rauchflossen haben den Großteil ihres Lebens in ebendiesem See verbracht, bis sie nun am Straßenrand fettigsilbergolden glitzernd als Köder für Touristendollars endeten.


flossen

Am Nachmittag trudelt Frank am Seeufer ein, wo einige Wohnblocks stehen, in denen einst russische Urlauber Erholung suchten, sozusagen eine Art von Mallorcowitsch Grancanarianskij. Ja, genau, ein sozialistisches Erholungsheim, mit Etagendamen, die weder putzen noch werkeln, sondern die Ein- und Ausgehenden streng mustern und Auffälliges an die Parteileitung melden. In einem der Blocks befindet sich die Kantine, wo es ab 19:30 h gemeinschaftliches Abendessen gibt; man kann nur zwischen schwarzem und grünem Tee wählen, alles andere ist sozialistische Einheitskost, gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Sportlich, sag ich dir. Keine Plage mit fremdländischen Speisekarten und undurchschaubaren Preisen, hier wirst du abgefüllt mit abwechselnd Chicken und Beef, dazu immer Gurken, Dill und Tomaten, vorher eine Suppe und hinterher ein schorfiger, saurer Apfel, Natur pur. Natürlich besteht in der Kantine dieser Tugendherberge Alkohol- und Rauchverbot, aber dafür ist man um neun Uhr schon im Bett, denn ab 20:45 h werden die Tische leergeräumt und die Stühle hochgestellt.
Gegen Kirgistan wirkt Usbekistan echt weltläufig. Kirgistan riecht provinziell und ländlich, Usbekistan duftet intellektuell. Dort gibt es Kultur, Kunst und Handwerk, und hier nur Berge und Weiden, Nomaden und Tomaten, Yurten und Yoghurt. Nur Wodka lieben sie alle gleichermaßen. Die Kirgisen sehen freilich alles andere als russisch aus; sie hegen ihre Gäule, hausen lieber in Zelten als in Betonblocks und trinken gegorene Stutenmilch wie die Mongolen, denen sie zum Verwechseln ähnlich sehen, während die Usbeken eher türkisch oder persisch anmuten. Die Leute jenseits der chinesischen Grenze im Osten, die Uiguren, sehen auch mehr persisch oder afghanisch aus, es ist ganz schön kompliziert mit den vielen verschiedenen Weitwegistans, die irgendwann einmal aus der Sowjetunion herausgebröckelt sind und aus der Ferne alle mehr oder weniger gleich aussehen, aber doch beträchtliche Unterschiede offenbaren. In Kirgistan sprechen nur in entlegenen Tälern noch ein paar Leute Kirgisisch, ansonsten ist die Landessprache Russisch, und die Schrift, von den Usbeken gleich auf Lateinschrift umgestellt, blieb hier wie zu Frunzes Lebzeiten kyrillisch. Dem Frank kommt es so vor, als ob die vielen blonden Gäste, die am Abend in der Kantine speisen, gar keine ausländischen Touristen, sondern wie früher hier urlaubende oder gar einheimische Russen sind, denn von den wenigsten Tischen sind bekannte Sprachfetzen zu vernehmen. Nur von einem einzigen Nachbartisch tönte es gedämpft Französisch herüber. Überhaupt ist es beim Essen recht still, der Tee lässt offenbar keine allzu ausgelassene Stimmung aufkommen, und das Menü auch nicht. Vor allem wenn man Franzose ist.
Das Frühstück schmeckt übrigens genauso sozialistisch, die Pforten öffnen sich aber erst um 8:40 h, man ist ja schließlich im Urlaub, und die letzten noch kauenden Spätaufsteher werden um Punkt zehn aus dem Speisesaal mit dem schönen Linoleumfußboden gescheucht.

 
issyk kul


Aber ich will nicht nur meckern, murmelt der Frank. Man darf schließlich jederzeit in den See hüppen, den Paraglidern und Bikini-Girls zugucken oder an der in Kyrillisch angeschriebenen Bitschbar (gemeint ist vermutlich Beach Bar) einen Mokhito auf Wodka-Basis oder ein Bier bestellen, denn es handelt sich hier um eine alkohol-lizensierte Zone. Die Anlage mit dem gepflegten Rasen und den Beeten mit wunderbar duftenden Rosen und gerade erblühenden Kosmeen ist eine Augenweide, der Sandstrand am Seeufer der Bucht ist ebenso makellos wie der sternenreiche Nachthimmel, und auf den Bergkuppen auf der Nordseite schimmern die Gletscher noch dunkelrosa herüber im letzten Widerschein der gerade untergegangenen Sonne.
Der See namens Issyk Kul ist ein Weltnaturerbe, und ich darf dir jetzt schon verraten, dass sich Franks Aufenthalt in Kirgistan vorwiegend um diesen See drehte. Er ist so groß, dass er das Klima beeinflusst; im Sommer kühlt er die Temperaturen in der Umgebung ab, im Winter verhindert er allzu starken Frost und gefriert auch nie, vermutlich wegen seines leicht erhöhten Salzgehalts, und weil er keinen Abfluss, sondern nur lauter Zuflüsse hat, bleibt er auch fast immer gleich groß - die 80 Zuflüsse gleichen die Verdunstung aus. Nur selten einmal, wenn sich der tektonisch aktive Untergrund stärker regt, schwappt mal etwas über oder wird von unsichtbaren schwarzen Löchern in mehr als 700 Metern Tiefe verschluckt - jedenfalls lag der Wasserspiegel vor hundert Jahren noch 40 m höher als heute.
Irgendwann vor Urzeiten ist die Zungenspitze eines Gletschers in den umliegenden Bergen abgebrochen und hat das säuberlich angehäufte Geröll der Endmoräne mit auf die rasante Talfahrt genommen. Wie der See reagiert hat, als die Eis- und Gerölllawine hineinrutschte, ist nicht überliefert, denn damals war die kyrillische Schrift noch nicht erfunden. Lange, lange Zeit danach kamen irgendwelche abergläubischen Reiter in die Gegend, vollzogen seltsame Riten und kratzten altertümliche Comics in die Wackersteine, die am Seeufer die Wiese übersäen. Historiker bezeichnen diese unbekannten Besucher als Skythen, und die Kritzelbilder gelten als historische Relikte.
Die ersten Glyphen, die Frank in die Felsen eingeritzt sah, lauteten, in kyrillischer Schrift, "Igor & Natascha,
, 1978", und "Wladimir + Ljudmila, (ohne ,) 1999". Mythen der Skythen? Es waren vermutlich herzchenlose Nachzügler der Skythen, die sich da verewigt hatten.

skythenfels

Trotz der Berge und des Sees wird es mittags auch hier ziemlich heiß. Nach der Erkundung etlicher Felsen mit Skythen- und Russengraffiti ließ sich Frank im Schatten an der Rückseite der Hütte des Geröllaufsehers nieder, der die Eintrittskarten für die steinige Wiese verkauft. In Reichweite standen eine halb leergetrunkene Flasche Bier und eine Pappkiste unbekannten Inhalts. Nicht lange, da tauchten zwei ältere Kirgisen auf, die hinter den Felsen nach Öl bohrten oder Wachteln fingen, man weiß das ja als Zugereister nicht so genau, und hockten sich grinsend zu unserem Frank.
"Bitte sehr!"
Die offene Bierflasche hatte in der Sonne gestanden, der Inhalt musste kurz vor dem Siedepunkt stehen. Frank hatte Mühe, die kirgisische Gastfreundschaft abzuwehren, ohne die beiden Zeitgenossen zu vergrätzen. Sie versuchten es ein zweites Mal, aber nicht mit dem Bier, sondern zeigten auf die Kiste. Die stand noch im Schatten, und als Frank sie vorsichtig aufklappte, sprang kein Tiger heraus, sondern sie war zu einem Drittel mit Kirschen gefüllt. Kirschen!!! Im späten August!
Frank erwiderte das Lächeln, denn Kirschen mag er sehr, und als er zulangte und die Früchte auch ungewaschen in seinem Schlund verschwinden ließ, freuten sich die Kirgisen. Es waren Sauerkirschen, schmeckten aber ganz köstlich, und die beiden Alten hätten ihm glatt die ganze Pappschachtel mitgegeben, als der Bus zum Aufbruch blies, aber die war groß genug, um zehn Kilo Kartoffeln zu fassen, weshalb Frank zu seinem und der gastlichen Freunde Bedauern nur eine letzte Handvoll der guten Schattenmorellen mitnehmen konnte und seinen aufrichtigen Spassibo-Dank hinterließ. Seiner Ka ist dieses saure Obst in Form einer Schwarzwälder Kirschtorte allerdings erheblich lieber.
Die nächste Station des Ausflugs war die Grigorjevka-Schlucht, durch die einer der Zuflüsse auf seinem Weg von den sommerlich tauenden Gletschern in den Issyk Kul plätschert.
"Plätschert" ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn das Gewässer kommt mit ziemlichem Bohei den Berg herabgeschossen. Der Bus kriecht umso langsamer den Berg hinan; es ist zwar die alte Landstraße nach Alma Ata, das jenseits der Gletscher liegt, die sich aber heute noch in dem Zustand jener Zeit präsentiert, als das Hauptverkehrsmittel der gute alte geduldige graue Esel war.


grigorjevka

In den Bergen wird es naturgemäß waldig, und der Wald soll sehr wildreich und pilzhaltig sein. Einer von Franks Vorgängern, ein russischer Wildbret-Liebhaber namens Leonid Breschnev, dürfte auf der gleichen staubigen Piste bergan gerumpelt sein bis zu seiner Jagdvilla, die soeben zwischen den Tannenwipfeln auftaucht und heute ein kleines kapitalistisches Hotelchen und eine dollargierige Cafeteria enthält. So ändern sich die Zeiten.
A propos dollargierig:  Du hast kaum den Bus verlassen, da wirst du schon von einer wilden Reiterhorde eingekesselt, falls du im Verdacht stehst, im Besitz einer Anzahl von grünlichen Geldscheinen mit den Konterfeis diverser amerikanischer Präsidenten zu sein. Die werden hier nämlich von vielen Liebhabern gesammelt. Auch die schön bunten Euro-Scheinchen sind hochwillkommen. Nichts anderes wollen die Reiter nämlich von dir, keine Rubel, keine einheimischen Som. Einer versucht, dir die Zügel seines Gaules in die Hand zu drücken.

"Pferd halten, zehn Dollar!"
"Foto mit Pferd, zwanzig Dollar!"
"Fünfzehn Minuten Pferd reiten, fünfzig Dollar!"
Die Reiter sind alle minderjährig, aber im Fach Englisch haben sie alle eine Eins. Zumindest im Wortschatz des Fremdenverkehrs- und Finanzwesens.
Dem Frank tut heute noch der Popo weh von einem 4stündigen Ritt in der Mongolei, wo ein Reiseziel auch mit den robustesten 4WD-Skootern nicht zu erreichen war, sondern nur auf dem Rücken eines furzenden Gauls, weshalb er den Verlockungen leicht widerstand, aber einige Mitreisende ließen sich wie in der Zirkusarena fünfzehn Minuten lang am Halfter rund um den Platz chauffieren, auf dem Pferd hängend wie ein nasser Mehlsack, und hinterher waren sie um eine Erfahrung reicher und um 50 Dollar ärmer.

adler


Die Natur ist aber sehr schön, da kann man nichts sagen. Wer Tierchen liebt, kann auch einen Adler streicheln, der auf der Brücke hockt und nicht mal fortfliegt. Sicher handelt es sich um einen Bundesadler, denn er ist festgebunden, und der Lederriemen symbolisiert vermutlich den Verfassungsschutz oder die Lauschstrippen der NSA.
Während andere Touristen noch das kostenpflichtige Pferdefesthalten üben, klettert Frank mit seiner Ka über Fels und Klippe einem einsamen Örtlein am Rande des Bächleins entgegen, um den Picknickbeutel zu leeren und danach in Waldeslust seine Mittagsmeditation zu halten. In der Zwischenzeit erzähle ich dir die Geschichte von Hodja Nasreddins Picknick am Fluss.


Die Nachbarn des Hodja Nasreddin hatten schon lange kein richtiges Fest mehr gefeiert und heckten einen Plan aus, um es sich auf Hodjas Kosten gut gehen zu lassen.
"Hodja, ein Wahrsager hat verkündet, dass morgen die Welt untergeht. Wir sollten den letzten Tag genießen, anstatt in Panik zu verfallen. Wir machen ein Festessen, und du musst uns dafür dein Lamm spendieren."
"Mein Lamm? Das ist mein Augapfel, das kann ich doch nicht schlachten!"
"Hodja, morgen sind wir sowieso alle mausetot, auch dein Lamm, da ist es doch besser, es heute zu braten!"
Am Ende brachten sie Hodja dazu, sein Lamm rauszurücken, und am Ufer eines Flusses entfachten sie ein Feuer, um den Braten zu grillen. Weil der Tag heiß war und es noch eine gute Weile dauern würde, bis das Fleisch gar wird, legten sie ihre Kleidung ab und badeten im Fluss. Hodja sammelte derweil alle ihre Kleider ein und warf sie ins Feuer.
Als die Leute plitschnass aus dem See kamen und ihre Bekleidung vermissten, sagte Hodja:
"Ach, die Kleider, ich habe damit das Feuer verstärkt, damit das Fleisch schneller gar wird.
Da morgen die Welt untergeht, braucht ihr sie ja nicht mehr."
 

Wieder am Seeufer, wo sich die Souvenirläden und Räucherflossen-Stände aneinanderreihen wie in Saint-Tropez, wo die Forellen freilich frisch à la meunière offeriert werden. Die Reise geht weiter nach Osten, bis in irgendeinem kleinen Städtchen Ende ist mit Kurort-Zirkus. Auf einmal bewölkt es sich, die Chaussee wird einsam, und die Dörflein verbreiten allenfalls ländlichen Charme und Fliegenschwärme. Man braucht gar keinen Wetterbericht, um zu ahnen, dass der stets vorherrschende leichte Westwind die feuchten Lüfte über dem verdunstenden Issyk Kul nach Osten treibt, wo sie auf die Berghänge treffen und dort zu Regenwolken kumulieren. Trotz Sandstrands am Seeufer weiden an dessen Osthälfte allenfalls wiederkäuende Rindviecher und keine russischen Urlauber. Aber wir. Als der Bus nämlich zu einer Pinkelpause auf freier Chaussee anhält, entdeckt Frank einen herrenlosen Aprikosenbaum, der in seiner bisherigen Karriere noch nie über den Rang eines Chausseebaums hinausgelangt war. Kaum hatte Frank begonnen, die reifen Früchte in seine Allzweckplastiktüte einzufüllen, entquollen auch andere, pinkelunwillige Fahrgäste dem Bus, ja sogar der Fahrer half mit, und im Nu war der Baum abgeweidet, so weit die Arme reichen.


aprikosen


Jetzt hat der Frank für die nächsten Tage lang genug zu kauen und zu (apri)kosen, besser als die schorfigen sauren Äpfel aus der Kurkantine. Und wenn die Wolken immer dicker werden, kommt man am östlichen Ende des Sees nach Karakol, von wo aus die chinesische Grenze nur noch 150 km weit entfernt ist. Besuchen kann man da das Pržewalski-Museum, wo es nicht um Wildpferde, sondern um die Taten des bekanntesten russischen (polnischstämmigen) Naturforschers geht, der tatsächlich die letzten Wildpferde entdeckt und totgeschossen hat, wie es seinerzeit Forscherbrauch war. Ferner eine Moschee im Stil chinesischer Tempel, von Uiguren errichtet, die aus dem maoistischen China fortgelaufen sind, und die Dreifaltigkeitskirche, eine russisch-orthodoxe Holzkathedrale, aber man sollte sich beeilen, denn nachmittags beginnt es in Karakol zuverlässig zu regnen, man kann fast die Uhr danach stellen. Wer sich verspätet und nicht nass werden will, tut gut daran zu konvertieren und Gospodi pomiluj mitzusingen, i vo vjeki vjekov, amin.
Wer sich nicht verspätet und auch nicht nass werden will, hockt sich am besten in ein Café. Anders als du jetzt erwarten magst, gibt es da keine Sachertorte, sondern kirgisische Imbisse. Und Tee oder Wodka
statt Kaffee. Notfalls auch Wasser. Der Hauptunterschied zwischen "Restaurant" und "Café" ist die Tischdecke. Wo es eine gibt, heißt das Haus "Restaurant", und wo es keine gibt und die Preise um 50% niedriger liegen, spricht man von "Café". Hier kann man sich ohne Zwang sein Menü komponieren; wer einen Lamm-Pott will, bestellt sein Lämmchen, und wer Suppe und Teigtaschen will, bestellt eben Suppe und Teigtaschen, und wer meint, von Salat und Eiscreme satt zu werden, bestellt eben Eiscreme mit Salat und dazu einen Wodka, die junge Kellnerin bringt jede noch so exotische Komposition, ohne mit der künstlichen Wimper zu zucken, und duldet es auch mit kirgisischer Gleichmut, wenn du dazu deine eigene, vom Markt mitgebrachte Melone zerschnetzelst.


karakol


Aber ich sollte lieber das Restaurant preisen, ja, Restaurant, nicht Café, in das Frank am Abend nur deswegen geriet, weil das ursprünglich angepeilte Etablissement mit einer Hochzeitsgesellschaft ausgefüllt war und Frank an Schlägereien nicht sonderlich interessiert ist. Das Ausweichrestaurant hatte sogar einen aladinisch mit farbigen Wunderlampen discobeleuchteten Garten, dessen Tische Frank freilich mied, denn was gerade vom Himmel pladderte, erinnerte, ebenso wie die ungewohnt frischen Temperaturen, an einen deutschen Oktoberabend. Das Menü, das ihm im Inneren zuteil wurde, war hingegen ein rechter Schmaus, und der Höhepunkt war ein endlich echter Plov mit den sterblichen Resten von mindestens einem halben Hammel drin, nachdem schon die Nudelvorspeise mehr Rinderschnetzel als Nudeln enthalten hatte. Der Speisesaal war unverkennbar ein Tanzsaal, wie man ihn aus den 50er Jahren kennt, eine kleine Bühne für die Boogie Woogie Big Band, Kronleuchter an der Decke und erhöhte Tische an den Rändern, während die Tanzfläche in der Mitte für gesellige Events frei blieb, oh mein Papa, das erinnerte den Frank nostalgisch an die gute alte Zeit, als im Ruhrgebiet noch kein Türkisch, sondern Polnisch gesprochen wurde, woll, und es noch keine Gleitzeit, sondern Nierentische und Tütenlampen gab und die wenigen Asylanten aus Ungarn kamen.
Aber zurück nach Karakol. Frank, pass auf, du kommst ins Alter, in dem die Rentner am Stammtisch gern von ihrer goldenen Jugendzeit in den glorreichen, dumpfen 1950ern schwadronieren! 
In einer schlammigpfützigen Seitenstraße von Karakol fand sich jedenfalls etwas, was du da nicht vermutet hättest, nämlich ein picobello blitzblankes Guest house, jedes Appartement mit eigenem Bad und Haartrockner neben der Dusche. Da blinzelte Frank staunend, als sei er in Alices Wunderland geraten. Und wenn du das Fahrzeug auf dem folgenden Foto siehst, das direkt vor dem Haus parkte, verstehst du sicher, warum der Frank aus dem Blinzeln nicht heraus kam. Das Haus auf dem Foto ist freilich nicht das Gästehaus, sondern die Villa en face, ebenso gepflegt wie der elegante Sportwagen vor der Tür....

schrott

Als gäbe es nicht schon genügend Pfützen, die größenmäßig zur Forellenzucht, und Schlammfelder, die durchaus zum Kartoffelanbau geeignet sind, entlud sich in der Nacht noch ein ehrfurchtgebietendes Gewitter über der heimeligen Herberge, die auch diese Herausforderung klaglos überstand. Aber auf den Hängen der nahen Berge lag, unübersehbar in der zaghaft hervorblinzelnden Morgensonne, frisch gefallener Schnee, und das Außenthermometer zeigte 9° C an, und das am 23.August. Man kann sich vorstellen, dass der Januar in Karakol nicht sehr gemütlich ist. Die Franzosen, die bereits in der alkoholfreien Herberge am Badekurort am Nebentisch gesessen hatten, trudelten auch hier am Nebentisch ein. Ein kontaktfreudiger, rundlicher Monsieur aus Paris, mit dem Frank in der Lobby ein wenig plauderte, erzählte, dass die ganze Bande nach Umrundung des Sees in die Berge tuckern wolle zum Trekking. Hoffentlich haben sie Skier dabei.
Aber vorher erwartet uns die Hauptattraktion von Karakol, denn an jedem vierten Sonntag im Monat findet am Stadtrand ein großer Viehmarkt statt. Trifft sich gut, dass wir gerade heute hier sind, denn Frank braucht dringend eine neue Ziege. Auf dem Acker, der von Regen, Viehhufen und all dem, was Tiere in ihrer Unschuld so fallen lassen, wenn sie in Stress geraten, in ein Matschfeld verwandelt worden war, das jedem Ausbilder von Bundeswehrrekruten das Herz höher hüpfen ließe, wurden zu seiner Enttäuschung allerdings keine Esel, Kamele oder chinesische Drachen feilgeboten, sondern nur muhende Kälber und blökende Schafe. Nicht mal eine Ziege hatten sie. Das einzige unüberhörbare Meckern entsprang dem Mund einer Blondine angelsächsischen Mutterlauts, die auf ihren Strandsandalen in dem Morast bei fast jedem Schritt stecken blieb oder im Schiet ausrutschte. Sie hätte es ja machen können wie die clevere kirgisische, dschungelcamptaugliche Bäuerin, die sich zu helfen wusste. In diesem Jahr scheint Gelb der dernier Cri für wetterfestes, modisches Schuhwerk zu sein.

clever


Einer der Bauern bot Frank ein braunes Pferd an; Frank feilschte ein wenig um den Preis und rechnete aus, wie lange man für das gleiche Geld in den Bergen auf einem Mietwallach reiten könnte. Es schien ein gutes Geschäft zu werden, aber Frank wusste nicht, ob der Gaul zubeißen würde, wenn er ihm professionell ins Maul schauen wollte, und außerdem suchte er ja eine Ziege, so dass das Geschäft zum beiderseitigen Bedauern nicht zustande kam. Nur der Braune wieherte dem Frank noch hinterher und wedelte mit dem Schweif, als ob er sich als originelles Souvenir empfehlen wollte.
Ziegenlos und mit gesprenkelten Sneakers bestieg unser Frank den Bus, der ihn auf die Südseite des Sees bringen sollte. Offensichtlich waren auch andere Fahrgäste gerade auf dem Viehmarkt gewesen, denn es roch trotz geöffneter Fenster streng nach würziger Landluft. Wer sich darüber beklagt, der wäre besser in Usbekistan geblieben.



Ein Freund fragte Hodja Nasreddin um Rat, weil seine Wohnung für ihn, seine Frau, die fünf Kinder, Opa, Oma und Schwiegermutter einfach zu eng war.
"Hast du Hühner?", fragte Hodja.
"Ja, sieben."
"Dann nimm die Hühner mit in die Wohnung."
"Die ist doch schon für die Familie zu eng!"
"Tu, was ich dir sage, du wirst mir bald dankbar sein dafür."
Am andern Morgen kam der Freund und klagte, es sei entsetzlich gewesen mit den Hühnern im Haus.
"Du hast auch einen Esel, nicht wahr? Nimm heute noch den Esel mit in deine Wohnung!"
Obwohl der Freund laut protestierte, bestand Hodja auf seinem Rat, und am Ende gab der geplagte Freund nach. Die Nacht muss unerträglich gewesen sein, aber am andern Morgen insistierte Hodja, auch noch die beiden Schafe mit in die Wohnung zu nehmen, als unerlässliche Bedingung für seine Hilfe.
Mehr tot als lebendig erschien der Freund am dritten Morgen bei Hodja und jammerte, dass sich zuletzt in der Wohnung kaum noch jemand rühren konnte, es sei einfach
grauenhaft gewesen, ein Alptraum, die reinste Hölle.
"Gut, dann kannst du die Hühner, den Esel und die Schafe heute wieder in den Garten und in ihre Ställe bringen."
Am darauf folgenden Morgen kam der Freund freudestrahlend zu Hodja.
"Dein Rat hat Wunder gewirkt. Die ganze Familie ist glücklich über unsere schöne, herrlich geräumige Wohnung!"
 

Zuflüsse und zerfurchte Schluchten gibt es auf der regnerischen Südseite des riesigen Sees noch mehr als auf der sonnigen Nordseite. Obwohl er eigentlich vom Viehmarkt her genügend paarhufigen Rindviechern begegnet war, begab Frank sich auf den Weg zum nächsten Reiseziel mit Namen Jeti oguz, und jeder Gelsenkirchener weiß gleich, dass es sich um "Sieben Ochsen" handelt, denn auf Türkisch heißt das Yedi öküz, es hängt mal wieder alles mit allem zusammen. Aber wie dem auch sei, Frank wollte ja eigentlich eine Ziege und ansonsten weder Pferd noch Ochsen. Allerdings entpuppten sich die Ochsen als ferne Verwandte der australischen Olgas, genauso rot, genauso unbeweglich, genauso fern und versteinert. 

jeti oguz

 
Jetzt frag mich bloß nicht, wie die Leute auf die Zahl "sieben" kamen. Vielleicht zählt man in Kirgistan ja anders als bei uns, oder die Sieben ist eine Glückszahl; die Welt ist voller Wunder und Geheimnisse. Auch unter den Ochsen war keine Ziege dabei, weshalb Frank weiter in die Berge hineinfuhr, bis die Sonne hervorlugte und die ersehnte Schäfchenwiese auftauchte. Hach, ist das schön, beinahe wie in Tirol. Der Unterschied liegt vielleicht einzig darin, dass hier keine Pension "Edelweiß" zu sehen ist, sondern nur vereinzelte Nomadenyurten. 

"
Schäfchenwiese, Endstation!", rief der Busfahrer, und kaum hatte Frank den Schuh, von dem angetrocknete Teile des Viehmarktes von Karakol abbröckelten, auf die grüne Wiese gesetzt, war er schon von den jugendlichen Schimmelreitern umringt, die wieder ihre Litanei abspulten, genau wie auf der Nordseite des Sees in der Grigorjevka-Schlucht
.
"Pferd halten, zehn Dollar!"
"Foto mit Pferd, zwanzig Dollar!"
"Fünfzehn Minuten Pferd reiten, fünfzig Dollar!"
Sogar die Preise sind erstaunlich einheitlich, man sollte vielleicht mal das Kartellamt einschalten
. Auch hier sah man bleiche Fremdlinge, die sich damit abmühten, nicht aus dem Sattel der geduldigen Mustangs zu rutschen, wahrscheinlich waren es Entwicklungshelfer, die den Nomaden zu reichen Einkünften verhelfen wollten. Ich kann dir versichern, dass die Reittour 
schon weit vor der chinesischen Grenze endete.
So sozial ist der Schnorrer Frank leider nicht. Der setzt sich nämlich einfach auf die Wiese und guckt Ka zu, die mit einem charmanten Grauschimmel flirtete, kostenlos.

wiese

Dem Pferd wurde Ka bald zu langweilig, oder es wollte auch Dollars, wer weiß. Jedenfalls erhob es sich, drehte ihr sein Hinterteil zu und äpfelte ihr was. Diese Geste ist international, relativ eindeutig und unmissverständlich, weshalb wir uns nach anderer Kurzweil umschauten. Der Pfad führte zu einigen Yurten, wo gerade Wäsche gewaschen und aufgehängt wurde. Nichts für Urlauber, meinte Ka, obwohl Frank, der seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, der Ansicht war, dass man in den meisten Yurten auch etwas zu futtern bekäme, aber Ka zeigte auf die noch immer ziemlich pralle Tüte Aprikosen und den beträchtlichen Vorrat an Nüssen, Knabberzeug und Trockenobst vom Fressalienmarkt in Tokmak, weshalb beide den Hang in Richtung Waldsaum hochkletterten und den Panoramablick über die Schäfchenwiesen und Bergzüge des Tianshan-Gebirges bei veganer Kost genossen. Aber ehrlich gesagt, seit zwei Wochen immer nur Fleisch mit allerlei Beilagen gekaut, da ist man für ein kirgisisches Studentenfutter wirklich mal dankbar. Schließlich ist Kirgistan der weltgrößte Produzent von Walnüssen, die zwar nicht so beliebt und devisenträchtig sind wie Erdgas oder Petroleum, aber auf der Alm deutlich besser munden als die genannten Exportprodukte und nicht selten auch als Toppings auf den allervornehmsten Lindt-Pralinés enden, was auch dem teuersten Erdöl (hoffentlich) nicht vergönnt ist. Ich sollte noch erwähnen, dass die Walnüsse im August noch nicht reif sind; unsere stammten vom Markt, aber die Aprikosen waren alle ehrlich selbstgeklaut.

goodies assorted
selbstgeklaut

Bis zur Abfahrt des nächsten Busses in Richtung Talgrund bleiben noch drei Stunden Zeit. Frank erkundet den Wald und die Pilze, Ka meditiert über die frische Waldluft, und im Tal purzeln noch immer irgendwelche Ausländer mit Cowboyhüten kostenpflichtig vom Pferd; ich muss mich mal erkundigen, wie viel die Nomaden fürs Auffangen nehmen. Als die letzten Dollars und Euros kassiert waren, die Sonne den Waldrand erreichte und die Schatten immer länger wurden, zurrten die Nomadenkids die Pferdesättel wieder gerade und trabten auf ihren Gäulen in die Nähe der Bushaltestelle, offensichtlich in freudiger Erwartung neuer Reitschüler aus Dollaristan.
In der Nähe einer Nomadenyurte hatte sich allerlei Volk versammelt. Wodka Gratis-Ausschank? Frank war schon immer neugierig und trabte zu dem Gaffergrüppchen, aber es gab weder Eingeborenentanz noch Freibier, sondern es floss richtiges Blut. Nein, keine Steinigung, wir sind doch in einem zivilisierten Land! Es wurde nur das Abendessen der Nomaden zubereitet, und das bedeutete, dass jetzt ein Hammel weniger auf der Schäfchenwiese graste und stattdessen damit beschäftigt war, zu Wolle, Schaflederpantoffeln und Plov zu mutieren. Zum Glück war das Blut schon versickert, Frank schaute sich nur noch an, wie das Fell ausgeschabt und das Gedärm ausgewrungen wurde. Die Köttel landen im Abfalleimer, der Darm wird gewaschen und als Wursthaut verwurstelt, das kennst du als Wurstdeutscher ja auch aus dem Hunsrück. Viele Fremdsprachen können die Nomaden nicht, aber die rundliche Bäuerin, die gerade die Köttel aus dem noch warmen Schafsdarm drückte, grinste die umstehenden blonden Fotoreporter an und scherzte deutlich hörbar "Kyrgyz djelikatess
!"
Nur Frank kicherte über den derben Nomadenhumor - die meisten anderen Touristen wussten nicht recht, ob das nicht womöglich ihr Ernst war, und hätten vielleicht sogar die frischen Schafsköttel probiert, wenn die schelmische Dame noch einen Schluck Wodka und etwas Knoblauch oder Nutella drangegeben hätte. Man kann ja nie wissen, was Nomaden in Absurdistan so alles zu sich nehmen...

 
nomaden

Also, so war das ja nicht gemeint, als Frank über die viele Fleischkost moserte. Jetzt löffelte er ziemlich lustlos in dem Haferschleim herum, den man ihm in dem Gästehaus in Tamga, einer ausgebauten Privatwohnung mit nur zwei Gemeinschaftsduschen, am Morgen vorsetzte. Ihn hätte interessiert, wie die französische Gruppe, die es in das gleiche Guest house verschlagen hatte -in Tamga scheint die Auswahl sehr begrenzt zu sein- , den Haferschleim aufnehmen würde, aber als die Monsieurdames endlich aufstanden, besichtigte Frank bereits das Hauptpostamt zu Tamga. Er war ganz froh, dass die mediterranen Mitbewohner eine deutlich andere Zeiteinteilung hatten; bis sie am Abend eintrudelten, hatte er nämlich die Gemeinschaftdusche längst ungestört und weidlich für sich genutzt.
Was es im Postamt zu besichtigen gab? Dämliche Frage, hast du noch kein Postamt gesehen? Die Paketwaage natürlich, und den gewaltigen Bullerofen, und nebenbei wollte
Ka auch noch zwei Postkarten frankieren lassen. Sie sind auch frankiert worden, aber bis heute nicht bei ihren Empfängern eingetroffen. Natürlich besteht noch Hoffnung, schließlich sind es erst wenige Jahrzehnte her, dass sie versandt wurden. Vielleicht hätte Ka "via Esel mail" draufschreiben sollen, da wäre es eventuell schneller gegangen. 
Noch schneller war der Bus, er schnurrte nur so über die Autobahn, fort vom See, in Richtung Bishkek. Am Mittag löffelte der hungrige Frank, der den Haferschleim schnell vergessen wollte, bereits in Tokmak seine Fischsuppe, die erste und einzige Begegnung mit einem Fischmenü auf dieser Reise. Verabreicht wurde die Delikatesse in einer Art Hawaiian Restaurant, das mit offenen Pavillons in einen künstlichen Schwanensee gebaut und voller exotischer Tiere war, die dortselbst im Sonnenschein herumstanden.


michelion

Saurier aus Schrottautoteilen, rote Pferde aus bemaltem Beton, Kobras aus Polyester und ein lebensgroßer Löwe aus alten Autoreifen, ein prachtvoller, echter Michelion. Vor allem die Kinder der zahlreichen Besucher tollten zwischen den ulkigen Skulpturen umher, fanden sogar ein lebendes Dromedar, das allerdings so eng angekettet war, dass es nicht mal aufstehen konnte, und ein schwarzrosa Zebra, ebenfalls echt lebendig, das sich aber beim näheren Hinsehen als ein mit Zebrastreifen auf Rosé bemalter Esel entpuppte. Solche Errungenschaften kennt man ja noch gut vom Sozialismus her, sie sollten in der Tat für die Nachwelt erhalten bleiben; aufblasbare Elefanten in polnischen Zoos und als Kaffee getarnter Muckefuck in der DDR; warum also kein als Zebra bemalter Esel in Kirgistan? Zumindest die Schwäne im Wasser waren freilich, so weit Frank das beurteilen kann, keine Enten mit verlängertem Gummihals, sondern durchaus ballettauglich und mindestens ebenso hungrig wie Frank, denn sie rissen sich um die Krümel des leider sehr altbackenen Brotes, das zum Potage au poisson gereicht worden war.  
Frank konnte sich gar nicht losreißen von diesem kirgisischen Disneyland, das er in Samarkand keines Blickes gewürdigt hätte, aber fern von der Regenseite des Issyk Kul war das Wetter wieder sommerlich und die Girls, die da gerade in Jeans und Sommerkleidchen posierten, sahen gar nicht so kyrillisch aus und waren auch weder aus Gummi noch Polyester, sondern zeigten dem grauhaarigen Onkel Frank ihr allerlieblichstes Lächeln. 

kyrillische girls


"Ahem", sagte Ka, "der Bus nach Bishkek fährt gleich ab."
  
Tja, so kam es, dass Frank am frühen Nachmittag durch Bishkek trabte, das städtische Rührholz. Frank hatte befürchtet, dass Bishkek eine Plattenbauwüste sei, die mit Tashkent nicht mithalten könnte, aber auch diese Stadt ist weitläufig und voller Parks, in denen alte Bekannte herumstehen und sitzen. Kopf an Kopf schmusen dort Marx und Moritz, nein Engels, miteinander, und nur wenige Schritte weiter weist ein durch Taubenkot ergrauter Lenin mit gestrecktem Arm auf die gegenüberliegende American University; er wusste natürlich längst, wo es lang geht.
  
Auf dem Siegesplatz fotografieren einige wenige Touristen - was eigentlich? Die drei Hungerharken mit der ewigen Flamme darunter, die in keinem Land fehlen darf? Wer ewige Flammen fotografieren will, könnte es auch in Paris tun, das liegt näher. Und wen hat Kirgistan eigentlich besiegt? Den Sozialismus? Kann nicht sein, der scheint hier noch aufs Besiegtwerden zu warten. Die mühsame Entzifferung der kyrillischen Inschriften enthüllt zu meiner Überraschung, dass Kirgistan 1945 das faschistische Nazideutschland zerhämmert hat, wer hätte das geahnt? Aber ich gewähre mildernde Umstände, denn im Großen vaterländischen Krieg fielen in der Tat auch etliche Kirgisen, die von Stalin
gegen ihren Willen an die Front gezwungen und verheizt worden waren, und das Ende des Irrsinns als Sieg zu bezeichnen, das will ich gerne gelten lassen. In diesem Sinn hat schließlich auch Deutschland gesiegt.  
Der Platz
präsentiert sich indes nur mäßig kriegerisch, denn die Brautpaare samt Entourage, die sich vor dem Monument ablichten lassen, nicht anders als in Usbekistan, geben der Örtlichkeit einen überaus zivilen Anstrich, vor allem, wenn man auf dem Parkplatz gewahrt, in was für Pralinenschachteln sie herbeikutschiert werden! 

brautlimo


Auch in Bishkek stehen ein Opernhaus, ein Ballettheater, ein Pushkin-Theater und eine Musik-Akademie, eine richtige Kulturkapitale! Alles geschlossen, ja klar, im August sind auch in Europa Theaterferien. Aber das Kunstmuseum hat auf! Dabei sieht es auch geschlossen aus, kein Mensch geht aus oder ein, von innen dringt kein Laut, kein Lichtschein. Frank hat jedenfalls an manchen Tagen, vor allem, wenn es draußen sehr heiß ist oder stark regnet, Anfälle von Kulturinteresse und drückte vorsichtig an der Pforte, die sich widerstandslos öffnete und ihn einließ. Er bedauerte aufrichtig, dass er das Personal aus dem angenehmen bezahlten Dienstschlaf aufgestört hatte. Für ihn und Ka wurden die Neonröhren in den sechs Ausstellungsräumen angeschaltet. Drei davon enthielten Werke lokaler Amateurkünstler, die zum Verkauf standen und die man besser auf dem Bazar feilgeboten hätte. Die anderen drei Räume enthielten neben sozialistischem Realismus tatsächlich auch Kunst, traditionelle und abstrakte Werke sowie Kupferstiche, die eine halbe Stunde Besichtigung durchaus wert sind, und danach werden die Lichter wieder ausgemacht, die Wärterinnen können wieder Kreuzworträtsel lösen oder vor sich hindösen, bis der nächste Besucher sie versehentlich wieder aufscheucht.  
Nicht weit davon steht ein nicht sonderlich martialisch bewachter Präsidentenpalast, was vielleicht erklärt, dass Kirgistan, im Gegensatz zu Usbekistan, bereits den dritten oder vierten Präsidenten am Verschleißen ist, und keiner seiner Vorgänger hat, so viel ich das weiß, den schönen Palast freiwillig geräumt; jedesmal musste das Volk über den Zaun klettern und Scheiben einschmeißen. Das nennt man direkte Demokratie. Auch der Nationalheld dieser Nation ist kein blutrünstiger Räuberhauptmann wie Timur, sondern der Sagenheld Manas, der vielleicht, vielleicht auch nicht, in grauer Vorzeit irgendwelche frechen Uiguren vertrieben haben soll. Diesen einzigen Sieg des kirgisischen Volkes, wenn man von 1945 absieht, besingt das Manas-Epos, das lang genug ist, um eine ganze Bibliothek zu füllen. Es wurde früher nur mündlich überliefert durch die Manaschi, fahrende Barden, die auch heute noch in Kirgistan
Säle füllen, und einer von ihnen geriet ins Guinness Book Of Records, weil es ihm als erstem und einzigen Menschen seit Adam und Eva gelang, das gesamte Werk auswendig vorzutragen. Er brauchte dafür knapp zwei Wochen.

manas


So einen kirgisischen Odysseus lasse ich mir als Nationalhelden gefallen, zumal die Kirgisen noch einen klugen Kopf in ihrer Hauptstadt mit einem Denkmal ehren. Nein, weder Walt Disney noch Franz Beckenbauer ist gemeint, -die Rede war schließlich von einem KLUGEN Kopf, wie er hinter einer bekannten deutschen Tageszeitung stecken soll-, sondern der auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Chingiz Aitmatov. Noch nichts von ihm gelesen? Wird aber höchste Zeit. In seinem Werk steht tausendmal mehr über Kirgistan als in diesem dämlichen Frankgeschwafel. Dieser Frank gehört meiner Meinung nach bestenfalls auf den Bazar, und genau da findest du ihn nämlich zum Abschluss seiner Reise. Da fällt mir noch jemand anders ein, der vor einigen Jahren den größten Bazar Zentralasiens, nämlich den Osh-Bazar von Bishkek, besucht hat.

Hodja Nasreddin spazierte über den Bazar und blieb vor einem Kleiderstand stehen. Schöne, neue Kaftane, Mäntel, Hosen gab es da in Hülle und Fülle. Hodja nahm einen Mantel, wendete ihn hin und her, besah ihn eingehend von allen Seiten, prüfte Nähte und Knöpfe. Dann gab er ihm dem Händler zurück und ließ sich eine Hose reichen. Die gefiel ihm offenbar nach mindestens ebenso eingehender Prüfung; er dankte dem Händler und schickte sich an, mit der Hose fortzugehen.
"Heda!", rief der Händler und kam hinter Hodja hergerannt. "Du musst die Hose erst bezahlen!"
"Was denn, ich habe dir doch dafür den Mantel gegeben!"
"Aber den Mantel hast du auch nicht bezahlt!"
"Ist ja logisch, wieso sollte ich denn für den Mantel zahlen? Den habe ich doch gar nicht gekauft!"
 

Den Osh-Bazar hat tatsächlich ein Herr Osh gegründet. Er kam auf die glorreiche Idee, alte Container, die verschrottet werden sollten, aufzukaufen, und hat sie auf seinem Grundstück am Stadtrand gestapelt. Jetzt fungieren sie als Lager- und Warenhallen der Bazaris, die ihre Waren billig in China einkaufen und mit Gewinn in Bishkek verkloppen. Mit dem Gewinn hat Osh den Lebensmittelmarkt am Rand der Innenstadt dazugekauft und ist seitdem ungekrönter Bazarkönig von Zentralasien. Da sich Ka nicht für Plastiktinnef aus China interessiert, besuchte Frank nur den Fressmarkt, aber selbst der ist groß genug, um sich einen ganzen Vormittag lang darin zu verlaufen. Und wie man da hinkommt? Mit dem Bus natürlich. 10 som für die einfache Fahrt innerhalb des Stadtgebiets, das sind 20 Eurocents, und den Bus kannst du dir heranwinken, wo immer du ihn siehst, so wie ein Taxi in New York. Und dann stell dir vor, dass drei, vier junge Leute von ihren Sitzen aufsprangen, als Frank mit seinen grauen Haaren das Vehikel erklomm, Mannomann, die Leute sind ja grandios erzogen! Frank drückte die Mutti mit den dicken Einkaufstaschen auf den frei gewordenen Sitz, er ist es von Tokyo gewöhnt, im Gedränge eines kommunalen Massentransporters zu stehen. Der Osh-Bazar ist auch in der fremden Stadt im fremden Omnibus nicht zu verfehlen; erstens bleibt der Bus da im Gewühle stecken, und zweitens steigt hier fast alles aus, die Einkaufsmama ebenso wie die höflichen jungen Leute.


osh bazar
 

Dass das Portal am Zugang zum Markt Ähnlichkeiten habe mit den Portalen usbekischer Medressen, will Frank nicht behaupten, aber für einen Bazar ist es schon ganz ordentlich. Bei einem starken Erdbeben würde er allerdings ungern darunter stehen. Ka kann sich stundenlang zwischen den Paprikaschoten und Walnüssen, Büstenhaltern und Trockenpflaumen,
Rinderhälften und Schulheften ergehen, während Frank sich angesichts der Himalayas angetürmter Honigkuchen und alpenhohen Melonenberge des Gefühls eines aufkommenden Appetits nicht erwehren kann, obwohl das adrette Hotel in Bishkek mit für Gäste kostenlosem Internetcafé und reichlichem Frühstücksbuffet keine Wünsche offen lässt. Aber wie auf allen Märkten wird auch im Osh-Bazar in jeder Nische, an jeder Ecke gebrutzelt und gesotten, was immer sich verkaufen lässt. Weil Ka aber abends gerne was Gutes isst in einem der zahlreichen gepflegten Restaurants der kirgisischen Hauptstadt, beließ es auch Frank beim Gaffen. Als Kompromiss erstand er etwas Obst, aber das ist wieder so eine Bazargeschichte, denn der Osh-Bazar ist kein Edeka-Markt. Alleine das Obstviertel dort ist so groß wie zwei Fußballfelder, und wenn du meinst, du bekämst da ein Pfund Birnen oder ein Körbchen Erdbeeren, bist du ein Greenhorn. Da auch Ka Appetit auf Himbeeren hatte, erstand Frank die kleinstmögliche Menge, und das war ein halber Putzeimer voll, mindestens 3 Kilo, das Kilo zu umgerechnet etwa 1 Euro. Bei der Ankunft im Hotel am Nachmittag hatte die oberste Schicht in der dreifachen Plastiktüte noch die Form von Himbeeren gewahrt, aber die mittlere Schicht war Himbeerkompott, und am Boden hatte sich ein halber Liter Himbeersaft angesammelt, yammiiie !
Na schön, der Frank weiß sich zu helfen, denn die Luxussuite des wundervollen Hotels enthielt auch einen funktionierenden Kühlschrank mit Eisfach, und nach dem Abendessen gab es Himbeersaft und am anderen Morgen Himbeer-Sorbet aus dem Tiefkühlfach, kein einziges Beerchen endete im Müll.

beerenmarkt


Auch eine Stadtrundfahrt im kommunalen Omnibus gönnte sich Frank, wenngleich unfreiwillig. Lange suchte er nach dem Bus Nr.114, der ihn zum Bazar gebracht hatte, in dessen Gegenrichtung, um zurückzufahren, nachdem er mit Ka einige Restaurantkandidaten für das Abendmahl ausgekundschaftet und müde Beine hatte. Nitschewo. Schließlich entsann er sich, dass der Fahrer bei der Hinfahrt am Bazar das Schild mit der Fahrtrichtung umgewendet hatte. Das könnte bedeuten, dass er auf einem Rundkurs weiter und zurückfährt. Nicht schlecht, Frank, du kannst bei Scotland Yard anheuern mit deinem sherlockholmischen Scharfsinn. Es kostet ja nur 10 som, die Vermutung zu überprüfen, und nach 40 Minuten Rundfahrt um und durch ganz Bishkek gelangte Frank tatsächlich zum Ausgangspunkt zurück, quod erat demonstrandum.
Und jetzt gibt es, vor der Rückreise nach Hause, nur noch zu untersuchen, wo man Souvenirs für die Lieben daheim finden könnte. Die Suche dauerte den halben letzten Tag und führte im Kaufhaus ZUM zum gewünschten Ergebnis. Da ist ein ganzes Stockwerk für einheimische Trachten, Kirgisenhüte, Souvenirs und T-Shirts vorgesehen, und wenn du keinen Kitsch magst, dann kauf deiner Oma eben ein kirgisisches Hochzeitskleid, da ist viel Lametta und Funkelglitter dran, handgewoben und kostet trotzdem nur 600 Euro, haha. So viel hat der Frank nicht mehr übrig, die Himbeeren im Bazar und die vielen Busfahrten haben sein Budget dezimiert, so dass es nur noch für T-Shirts für alle Freunde, Bekannten und Verwandte reicht, und wem sie nicht gefallen, der soll sie in die Kleidersammlung tun, die Flüchtlinge aus Syrien freuen sich drüber, falls sie noch nicht abgeschoben sind, bevor es in Deutschland mal wieder T-shirthaft warm wird.


kirghut


Um 17 Uhr, pünktlich wie in Donzdorf im Schwabenland, hielt das bestellte Großraumtaxi vor der Hoteltür, blankgewienert, mit einer forschen Lady am Steuer, die Frank und Ka und die Koffer virtuos durch den Feierabendstau zum 60 km fernen Airport chauffierte und die restlichen som, die er ihr in die Hand drücken wollte, erst mal rundweg ablehnte. Erst als er ihr sagte, dass er für einige Zeit verreise und möglicherweise erst wiederkäme, wenn in Kirgistan der Euro eingeführt sei, nahm sie die Münzen an und bedankte sich überschwänglich.
Der Flug am Abend ging nach Alma Ata in Kasachstan, das heute Almaty heißt, mit 25 Minuten der kürzeste je erlebte Flug, und von da nach Seoul in Korea, wo sich Frank und Ka noch eine ganze Woche lang königlich vergnügten, aber das kann man nicht mehr als Zentralasien bezeichnen, denn der gute Hodja Nasreddin ist auf seinem Esel nicht über Urumtschi hinausgekommen, weshalb das eine ganz andere Geschichte ist, die ich dir -vielleicht- ein andermal erzähle.


home


tianshan