Als der Emir
von der Jagd in die Stadt zurückritt, begegnete ihm Hodja
Nasreddin mit seinem Esel, der mit Brennholz hoch beladen
war. Dieser unerwartete Anblick verwirrte wohl das edle Pferd des
Emirs,
denn es scheute, und der Emir fiel vom hohen Ross und landete auf
seinem
durchlauchten Allerwertesten. Erbost ließ der Emir Hodja
festnehmen und befahl, ihn
am nächsten Tag zu köpfen. "Emir, weshalb wollt Ihr mich armen, harmlosen Untertan köpfen lassen?", wagte Hodja einzuwenden. "Dass du vor mir aufgetaucht bist, hat mir Unglück gebracht!", schnaubte der Emir. "Hoheit, bei allem Respekt gestatte ich mir zu bemerken, dass Euer erlauchtes Erscheinen mir erheblich mehr Unglück gebracht hat. Ihr seid schließlich nur vom Pferd gefallen, aber ich soll geköpft werden!" |
Die
Nachbarn des Hodja
Nasreddin hatten schon lange kein richtiges Fest mehr gefeiert und
heckten einen Plan aus, um es sich auf Hodjas Kosten gut
gehen zu lassen. "Hodja, ein Wahrsager hat verkündet, dass morgen die Welt untergeht. Wir sollten den letzten Tag genießen, anstatt in Panik zu verfallen. Wir machen ein Festessen, und du musst uns dafür dein Lamm spendieren." "Mein Lamm? Das ist mein Augapfel, das kann ich doch nicht schlachten!" "Hodja, morgen sind wir sowieso alle mausetot, auch dein Lamm, da ist es doch besser, es heute zu braten!" Am Ende brachten sie Hodja dazu, sein Lamm rauszurücken, und am Ufer eines Flusses entfachten sie ein Feuer, um den Braten zu grillen. Weil der Tag heiß war und es noch eine gute Weile dauern würde, bis das Fleisch gar wird, legten sie ihre Kleidung ab und badeten im Fluss. Hodja sammelte derweil alle ihre Kleider ein und warf sie ins Feuer. Als die Leute plitschnass aus dem See kamen und ihre Bekleidung vermissten, sagte Hodja: "Ach, die Kleider, ich habe damit das Feuer verstärkt, damit das Fleisch schneller gar wird. Da morgen die Welt untergeht, braucht ihr sie ja nicht mehr." |
Als
gäbe es nicht schon genügend Pfützen, die
größenmäßig zur Forellenzucht,
und Schlammfelder,
die durchaus zum Kartoffelanbau geeignet sind, entlud sich in der Nacht
noch ein
ehrfurchtgebietendes Gewitter über der heimeligen Herberge,
die
auch diese Herausforderung klaglos überstand. Aber auf den
Hängen der nahen Berge lag, unübersehbar in der
zaghaft
hervorblinzelnden Morgensonne, frisch gefallener Schnee, und das
Außenthermometer zeigte 9° C an, und das am
23.August. Man
kann sich vorstellen, dass der Januar in Karakol nicht sehr
gemütlich ist. Die Franzosen, die bereits in der alkoholfreien
Herberge am Badekurort am Nebentisch gesessen hatten, trudelten auch
hier am Nebentisch ein. Ein kontaktfreudiger, rundlicher Monsieur aus
Paris, mit dem Frank in der Lobby ein wenig plauderte,
erzählte,
dass die ganze Bande nach Umrundung des Sees in die Berge tuckern wolle
zum Trekking. Hoffentlich haben sie Skier dabei.
Aber vorher erwartet uns die Hauptattraktion von Karakol, denn an jedem
vierten Sonntag im Monat findet am Stadtrand ein großer
Viehmarkt
statt. Trifft sich gut, dass wir gerade heute hier sind, denn Frank
braucht
dringend eine neue Ziege. Auf dem Acker, der von Regen, Viehhufen und
all dem, was Tiere in ihrer Unschuld so fallen lassen, wenn sie in
Stress geraten, in ein Matschfeld verwandelt worden war, das jedem
Ausbilder von Bundeswehrrekruten das Herz
höher hüpfen ließe, wurden
zu seiner Enttäuschung allerdings keine Esel, Kamele oder
chinesische Drachen feilgeboten, sondern nur muhende Kälber
und
blökende Schafe. Nicht mal eine Ziege hatten sie. Das einzige
unüberhörbare Meckern entsprang dem Mund einer
Blondine angelsächsischen
Mutterlauts, die auf ihren Strandsandalen in dem Morast bei fast jedem
Schritt
stecken blieb oder im Schiet ausrutschte. Sie hätte es ja
machen
können wie die clevere kirgisische, dschungelcamptaugliche
Bäuerin, die sich zu helfen wusste. In diesem Jahr scheint
Gelb der
dernier Cri für wetterfestes, modisches Schuhwerk zu sein.
Ein
Freund fragte Hodja
Nasreddin um Rat, weil seine Wohnung für ihn, seine Frau, die
fünf Kinder, Opa, Oma und Schwiegermutter einfach zu
eng war. "Hast du Hühner?", fragte Hodja. "Ja, sieben." "Dann nimm die Hühner mit in die Wohnung." "Die ist doch schon für die Familie zu eng!" "Tu, was ich dir sage, du wirst mir bald dankbar sein dafür." Am andern Morgen kam der Freund und klagte, es sei entsetzlich gewesen mit den Hühnern im Haus. "Du hast auch einen Esel, nicht wahr? Nimm heute noch den Esel mit in deine Wohnung!" Obwohl der Freund laut protestierte, bestand Hodja auf seinem Rat, und am Ende gab der geplagte Freund nach. Die Nacht muss unerträglich gewesen sein, aber am andern Morgen insistierte Hodja, auch noch die beiden Schafe mit in die Wohnung zu nehmen, als unerlässliche Bedingung für seine Hilfe. Mehr tot als lebendig erschien der Freund am dritten Morgen bei Hodja und jammerte, dass sich zuletzt in der Wohnung kaum noch jemand rühren konnte, es sei einfach grauenhaft gewesen, ein Alptraum, die reinste Hölle. "Gut, dann kannst du die Hühner, den Esel und die Schafe heute wieder in den Garten und in ihre Ställe bringen." Am darauf folgenden Morgen kam der Freund freudestrahlend zu Hodja. "Dein Rat hat Wunder gewirkt. Die ganze Familie ist glücklich über unsere schöne, herrlich geräumige Wohnung!" |
Zuflüsse und zerfurchte Schluchten gibt es auf der regnerischen Südseite des riesigen Sees noch mehr als auf der sonnigen Nordseite. Obwohl er eigentlich vom Viehmarkt her genügend paarhufigen Rindviechern begegnet war, begab Frank sich auf den Weg zum nächsten Reiseziel mit Namen Jeti oguz, und jeder Gelsenkirchener weiß gleich, dass es sich um "Sieben Ochsen" handelt, denn auf Türkisch heißt das Yedi öküz, es hängt mal wieder alles mit allem zusammen. Aber wie dem auch sei, Frank wollte ja eigentlich eine Ziege und ansonsten weder Pferd noch Ochsen. Allerdings entpuppten sich die Ochsen als ferne Verwandte der australischen Olgas, genauso rot, genauso unbeweglich, genauso fern und versteinert.
Jetzt
frag mich bloß nicht, wie die Leute auf die Zahl "sieben"
kamen.
Vielleicht zählt man in Kirgistan ja anders als bei uns, oder
die Sieben ist eine Glückszahl; die Welt
ist voller Wunder und Geheimnisse. Auch unter den Ochsen war keine
Ziege dabei,
weshalb Frank weiter in die Berge hineinfuhr, bis die Sonne hervorlugte
und die ersehnte Schäfchenwiese auftauchte. Hach, ist das
schön, beinahe wie in Tirol. Der Unterschied liegt vielleicht
einzig darin, dass hier keine Pension "Edelweiß" zu sehen
ist,
sondern nur vereinzelte Nomadenyurten.
"Schäfchenwiese,
Endstation!",
rief der Busfahrer, und kaum hatte Frank den Schuh, von dem
angetrocknete Teile des Viehmarktes von
Karakol abbröckelten,
auf die grüne Wiese gesetzt, war er schon von den
jugendlichen Schimmelreitern umringt, die wieder ihre Litanei
abspulten, genau
wie auf der Nordseite des Sees in der Grigorjevka-Schlucht.
"Pferd halten, zehn Dollar!"
"Foto mit Pferd, zwanzig Dollar!"
"Fünfzehn Minuten Pferd reiten, fünfzig Dollar!"
Sogar die Preise sind erstaunlich einheitlich, man sollte vielleicht
mal das Kartellamt einschalten.
Auch hier sah man bleiche Fremdlinge, die sich damit abmühten,
nicht aus dem Sattel der geduldigen Mustangs zu rutschen,
wahrscheinlich waren es Entwicklungshelfer, die den Nomaden zu reichen
Einkünften verhelfen wollten. Ich kann dir versichern, dass
die
Reittour schon weit vor der chinesischen Grenze endete.
So sozial ist der Schnorrer Frank leider nicht. Der setzt sich
nämlich einfach
auf die Wiese und guckt Ka zu, die mit einem charmanten Grauschimmel
flirtete, kostenlos.
Dem Pferd wurde Ka bald zu langweilig, oder es wollte auch Dollars, wer weiß. Jedenfalls erhob es sich, drehte ihr sein Hinterteil zu und äpfelte ihr was. Diese Geste ist international, relativ eindeutig und unmissverständlich, weshalb wir uns nach anderer Kurzweil umschauten. Der Pfad führte zu einigen Yurten, wo gerade Wäsche gewaschen und aufgehängt wurde. Nichts für Urlauber, meinte Ka, obwohl Frank, der seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, der Ansicht war, dass man in den meisten Yurten auch etwas zu futtern bekäme, aber Ka zeigte auf die noch immer ziemlich pralle Tüte Aprikosen und den beträchtlichen Vorrat an Nüssen, Knabberzeug und Trockenobst vom Fressalienmarkt in Tokmak, weshalb beide den Hang in Richtung Waldsaum hochkletterten und den Panoramablick über die Schäfchenwiesen und Bergzüge des Tianshan-Gebirges bei veganer Kost genossen. Aber ehrlich gesagt, seit zwei Wochen immer nur Fleisch mit allerlei Beilagen gekaut, da ist man für ein kirgisisches Studentenfutter wirklich mal dankbar. Schließlich ist Kirgistan der weltgrößte Produzent von Walnüssen, die zwar nicht so beliebt und devisenträchtig sind wie Erdgas oder Petroleum, aber auf der Alm deutlich besser munden als die genannten Exportprodukte und nicht selten auch als Toppings auf den allervornehmsten Lindt-Pralinés enden, was auch dem teuersten Erdöl (hoffentlich) nicht vergönnt ist. Ich sollte noch erwähnen, dass die Walnüsse im August noch nicht reif sind; unsere stammten vom Markt, aber die Aprikosen waren alle ehrlich selbstgeklaut.
Bis
zur Abfahrt des nächsten Busses in Richtung Talgrund bleiben
noch
drei Stunden Zeit. Frank erkundet den Wald und die Pilze, Ka
meditiert über die frische Waldluft, und im Tal purzeln noch
immer
irgendwelche Ausländer mit Cowboyhüten
kostenpflichtig vom
Pferd; ich muss mich mal erkundigen, wie viel die Nomaden fürs
Auffangen nehmen. Als die letzten Dollars und Euros kassiert waren, die
Sonne den Waldrand erreichte und die Schatten immer länger
wurden,
zurrten die Nomadenkids die Pferdesättel wieder gerade und
trabten
auf ihren Gäulen in die Nähe der Bushaltestelle,
offensichtlich in freudiger Erwartung neuer Reitschüler aus
Dollaristan.
In der Nähe einer Nomadenyurte hatte sich allerlei Volk
versammelt. Wodka Gratis-Ausschank? Frank war schon immer neugierig
und trabte zu dem Gaffergrüppchen, aber es gab weder
Eingeborenentanz noch Freibier, sondern es floss richtiges Blut. Nein,
keine Steinigung, wir sind doch in einem zivilisierten Land! Es wurde
nur das Abendessen der Nomaden zubereitet, und das bedeutete, dass
jetzt ein Hammel weniger auf der Schäfchenwiese graste und
stattdessen damit
beschäftigt war, zu Wolle, Schaflederpantoffeln und Plov zu
mutieren. Zum Glück war das Blut schon versickert, Frank
schaute
sich nur noch an, wie das Fell ausgeschabt und das Gedärm
ausgewrungen wurde. Die Köttel landen im Abfalleimer, der Darm
wird gewaschen und als Wursthaut verwurstelt, das kennst du als
Wurstdeutscher ja auch aus dem Hunsrück. Viele Fremdsprachen
können die Nomaden nicht, aber die rundliche Bäuerin,
die gerade die
Köttel aus dem noch warmen Schafsdarm drückte,
grinste die
umstehenden blonden Fotoreporter an und scherzte deutlich
hörbar "Kyrgyz
djelikatess!"
Nur Frank kicherte über den derben Nomadenhumor - die
meisten anderen Touristen wussten nicht recht, ob das nicht
womöglich ihr Ernst war, und hätten vielleicht sogar
die
frischen Schafsköttel probiert, wenn die schelmische Dame noch
einen
Schluck Wodka und etwas Knoblauch oder Nutella drangegeben
hätte.
Man kann ja nie wissen, was Nomaden in Absurdistan so alles zu sich
nehmen...
Also,
so war das ja nicht gemeint, als Frank über die viele
Fleischkost
moserte. Jetzt löffelte er ziemlich lustlos in dem
Haferschleim
herum, den man ihm in dem Gästehaus in Tamga, einer
ausgebauten
Privatwohnung mit nur zwei Gemeinschaftsduschen, am Morgen vorsetzte.
Ihn hätte interessiert, wie die französische Gruppe,
die es
in das gleiche Guest house verschlagen hatte -in Tamga scheint die
Auswahl sehr begrenzt zu sein- , den Haferschleim aufnehmen
würde,
aber als die Monsieurdames endlich aufstanden, besichtigte Frank
bereits das Hauptpostamt zu Tamga. Er war ganz froh, dass die
mediterranen Mitbewohner eine deutlich andere Zeiteinteilung hatten;
bis sie am Abend eintrudelten, hatte er nämlich die
Gemeinschaftdusche längst ungestört und weidlich
für
sich genutzt.
Was es im Postamt zu besichtigen gab? Dämliche Frage, hast du
noch kein Postamt gesehen? Die Paketwaage natürlich, und den
gewaltigen Bullerofen, und nebenbei wollte Ka
auch noch zwei Postkarten frankieren lassen. Sie sind auch
frankiert worden, aber bis heute nicht bei ihren Empfängern
eingetroffen. Natürlich besteht noch Hoffnung,
schließlich sind es erst wenige Jahrzehnte her, dass sie versandt wurden. Vielleicht
hätte Ka "via Esel mail" draufschreiben sollen, da
wäre
es eventuell schneller gegangen.
Noch schneller war der Bus, er schnurrte nur so über die
Autobahn,
fort vom See, in Richtung Bishkek. Am Mittag löffelte der
hungrige
Frank, der den Haferschleim schnell vergessen wollte, bereits in Tokmak
seine Fischsuppe, die erste und einzige Begegnung mit einem
Fischmenü auf dieser Reise. Verabreicht wurde die Delikatesse
in
einer Art Hawaiian Restaurant, das mit offenen Pavillons
in einen künstlichen Schwanensee gebaut und voller
exotischer
Tiere war, die dortselbst im Sonnenschein herumstanden.
Saurier
aus Schrottautoteilen, rote Pferde aus bemaltem Beton, Kobras aus
Polyester und ein lebensgroßer Löwe aus alten
Autoreifen,
ein prachtvoller, echter Michelion. Vor allem die Kinder der
zahlreichen Besucher tollten zwischen den ulkigen Skulpturen umher,
fanden sogar ein lebendes Dromedar, das allerdings so eng angekettet
war, dass es nicht mal aufstehen konnte, und ein schwarzrosa Zebra,
ebenfalls echt lebendig, das sich aber beim näheren Hinsehen
als
ein mit Zebrastreifen auf Rosé bemalter Esel entpuppte.
Solche Errungenschaften kennt man ja noch gut
vom Sozialismus her, sie sollten in der Tat für die Nachwelt
erhalten bleiben; aufblasbare Elefanten in polnischen Zoos und als
Kaffee getarnter Muckefuck in der DDR; warum also kein als
Zebra
bemalter Esel in Kirgistan? Zumindest die Schwäne im Wasser
waren
freilich, so weit Frank das beurteilen kann, keine Enten mit
verlängertem Gummihals, sondern durchaus ballettauglich und
mindestens ebenso hungrig wie Frank, denn sie rissen sich um die
Krümel des leider sehr altbackenen Brotes, das zum Potage au
poisson gereicht worden war.
Frank konnte sich gar nicht losreißen von diesem kirgisischen
Disneyland, das er in Samarkand keines Blickes gewürdigt
hätte, aber fern von der Regenseite des Issyk Kul war das
Wetter
wieder sommerlich und die Girls, die da gerade in Jeans und
Sommerkleidchen posierten, sahen gar nicht so kyrillisch aus und waren
auch weder aus Gummi noch Polyester, sondern zeigten dem grauhaarigen
Onkel Frank ihr allerlieblichstes Lächeln.
"Ahem",
sagte Ka, "der Bus nach Bishkek fährt gleich ab."
Tja, so kam es, dass Frank am frühen Nachmittag durch Bishkek
trabte, das städtische Rührholz. Frank hatte
befürchtet,
dass Bishkek eine Plattenbauwüste sei, die mit Tashkent nicht
mithalten könnte, aber auch diese
Stadt ist weitläufig und voller Parks, in denen alte Bekannte
herumstehen und sitzen. Kopf an Kopf schmusen dort Marx und Moritz,
nein Engels, miteinander, und nur wenige Schritte weiter weist ein
durch Taubenkot ergrauter Lenin mit gestrecktem Arm auf die
gegenüberliegende American University; er wusste
natürlich
längst, wo es lang geht.
Auf dem Siegesplatz fotografieren einige wenige Touristen - was
eigentlich? Die drei Hungerharken mit der ewigen Flamme darunter, die
in keinem Land fehlen darf? Wer ewige Flammen fotografieren will,
könnte es auch in Paris tun, das liegt näher. Und wen
hat
Kirgistan eigentlich besiegt? Den Sozialismus? Kann nicht sein, der
scheint hier noch aufs Besiegtwerden zu warten. Die
mühsame
Entzifferung der kyrillischen Inschriften enthüllt zu meiner
Überraschung, dass Kirgistan 1945 das faschistische
Nazideutschland zerhämmert hat, wer hätte das geahnt? Aber
ich gewähre mildernde Umstände, denn im
Großen
vaterländischen Krieg fielen in der Tat auch etliche Kirgisen,
die
von Stalin
gegen ihren Willen
an die Front gezwungen und verheizt worden waren, und das Ende des
Irrsinns als Sieg zu bezeichnen, das will ich gerne gelten lassen. In
diesem Sinn hat schließlich auch Deutschland gesiegt.
Der Platz
präsentiert sich indes nur mäßig
kriegerisch, denn die
Brautpaare samt Entourage, die sich vor dem Monument ablichten lassen,
nicht anders als in Usbekistan, geben der Örtlichkeit einen
überaus zivilen Anstrich, vor allem, wenn man auf dem
Parkplatz gewahrt, in
was für Pralinenschachteln sie
herbeikutschiert werden!
Auch
in Bishkek stehen ein Opernhaus, ein Ballettheater, ein
Pushkin-Theater und eine Musik-Akademie, eine richtige Kulturkapitale!
Alles geschlossen, ja klar, im
August sind auch in Europa Theaterferien. Aber das Kunstmuseum hat auf!
Dabei sieht es auch geschlossen aus, kein Mensch geht aus oder ein,
von innen dringt kein Laut, kein Lichtschein. Frank hat jedenfalls
an manchen Tagen, vor allem, wenn es draußen sehr
heiß
ist oder stark regnet, Anfälle von Kulturinteresse und
drückte vorsichtig an der Pforte, die sich widerstandslos
öffnete und ihn einließ. Er bedauerte aufrichtig,
dass er
das Personal aus dem angenehmen bezahlten Dienstschlaf
aufgestört
hatte. Für ihn und Ka wurden die Neonröhren in
den sechs
Ausstellungsräumen angeschaltet. Drei davon enthielten Werke
lokaler Amateurkünstler, die zum Verkauf standen und die man
besser auf dem Bazar feilgeboten hätte. Die anderen drei
Räume enthielten neben sozialistischem Realismus
tatsächlich auch Kunst, traditionelle und
abstrakte Werke sowie Kupferstiche, die eine halbe Stunde Besichtigung
durchaus wert sind, und danach werden die Lichter wieder ausgemacht,
die Wärterinnen können
wieder Kreuzworträtsel lösen oder vor sich
hindösen, bis der
nächste Besucher sie versehentlich wieder aufscheucht.
Nicht weit davon steht ein nicht sonderlich martialisch bewachter
Präsidentenpalast, was vielleicht erklärt, dass
Kirgistan, im
Gegensatz zu Usbekistan, bereits den dritten oder vierten
Präsidenten am Verschleißen ist, und keiner seiner
Vorgänger hat, so viel ich das weiß, den
schönen Palast
freiwillig geräumt; jedesmal musste das Volk über den
Zaun
klettern und Scheiben einschmeißen. Das nennt man direkte
Demokratie. Auch der Nationalheld dieser Nation ist kein
blutrünstiger Räuberhauptmann wie Timur, sondern der
Sagenheld Manas, der vielleicht,
vielleicht auch nicht, in grauer Vorzeit irgendwelche frechen Uiguren
vertrieben haben soll. Diesen einzigen Sieg des kirgisischen Volkes,
wenn man von 1945 absieht, besingt das Manas-Epos, das lang genug ist,
um eine ganze Bibliothek zu füllen. Es wurde
früher nur
mündlich überliefert durch die Manaschi, fahrende
Barden, die
auch heute noch in Kirgistan Säle
füllen,
und einer von ihnen geriet ins Guinness Book Of Records, weil es ihm
als erstem und einzigen Menschen seit Adam und Eva gelang, das gesamte
Werk auswendig vorzutragen. Er brauchte dafür knapp zwei Wochen.
Hodja
Nasreddin spazierte über den Bazar und blieb vor einem
Kleiderstand stehen. Schöne, neue Kaftane, Mäntel,
Hosen gab
es da in Hülle und Fülle. Hodja nahm einen Mantel,
wendete
ihn hin und her, besah ihn eingehend von allen Seiten, prüfte
Nähte und Knöpfe. Dann gab er ihm dem
Händler
zurück und
ließ sich eine Hose reichen. Die gefiel ihm offenbar nach
mindestens ebenso eingehender
Prüfung; er dankte dem
Händler und schickte sich an, mit der Hose fortzugehen. "Heda!", rief der Händler und kam hinter Hodja hergerannt. "Du musst die Hose erst bezahlen!" "Was denn, ich habe dir doch dafür den Mantel gegeben!" "Aber den Mantel hast du auch nicht bezahlt!" "Ist ja logisch, wieso sollte ich denn für den Mantel zahlen? Den habe ich doch gar nicht gekauft!" |