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In der Wüste Kizilkum wächst mehr als Sanddünen. Nämlich auch Zementfabriken und langwurzeliges Stachelgestrüpp, Erdgas-Plantagen und seltsames Buschwerk, der Grenzzaun zu Turkmenistan und zu einem Reservat für Wildesel und Antilopen, also langweilig wird dir die Tagesfahrt von Khiva nach Bukhara bestimmt nicht, und schlafen kannst du im Überlandbus erst recht nicht, weil der weise Dauerpräsident nicht dem Straßenbau, sondern der Altertümerpflege die oberste Priorität einräumte. Von guten Chausseen träumen nur die Deutschen, die ihre Daimler-Limousinen nach Usbekistan nicht nur via Polen Lachendes Smiley verschieben lassen, sondern auch verkaufen wollen. Immerhin entsteht stellenweise parallel zu der löcherigen, sandigen Ratterrumpelpiste etwas Schnellstraßiges, allerdings wird das Wunderwerk nicht asphaltiert, sondern betoniert wie die deutschen Autobahnen anno 1936.

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Dass die Fahrt von Khiva bis Bukhara einen ganzen langen Tag dauert, liegt daran, dass ein Busfahrer, der sein Vehikel nicht zuschanden fahren will, das Tempo dem Zustand der Landstraße anpasst. Außerdem hat der kontrollwütige Alleinherrscher Karimov es so eingerichtet, dass an allen strategisch geeigneten Stellen, etwa an Brücken oder Engpässen, Kontrol'nyi punkti eingerichtet sind, wo gelangweilte Bubengesichter in olivfarbigen Anzügen und wintertauglichen Stiefeln Kofferräume öffnen und Ausweise kontrollieren, nur pro forma, denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass jemand ausweislos unterwegs ist, wo alle 20 km ein neues gelangweiltes Milchgesicht in martialischer Uniform die ohnehin nicht flotte Fahrt unterbricht. Und in den Kofferräumen und auf Ladeflächen findet man selten etwas anderes als saftige Honigmelonen, die am Straßenrand verkauft werden. Wer Bomben transportieren möchte, sollte sie als Melonen tarnen. Aber diese Idee bitte den Taliban nicht verraten!

Hodja Nasreddin hatte seinen Esel mit Melonen und Nüssen dermaßen beladen, dass das arme Tier bei den ersten Schritten unter der Last zusammenbrach.
"Wow, das war ein bisschen viel für den Alten", murmelte Hodja und lud sich den Sack mit den Nüssen auf die eigene Schulter, bevor er den Esel wieder bestieg und losreiten wollte, aber pardauz, lag das Grautier wieder im Staub.
"Du bist mir ja ein faules Viech!", schimpfte Hodja. "Jetzt hab ich dir schon die Hälfte der Last abgenommen, und es ist immer noch zu viel für dich!"

Also, beim Hodja Nasreddin möchte ich nicht als Esel angestellt sein. Aber diese Frage stellte sich nicht, als Frank am Abend in Bukhara Einzug hielt. Jetzt muss ich dir aber erst mal erzählen, was es da gibt außer Melonen. Die weitläufige Oase war nämlich einst ein wichtiges Zentrum an der Seidenstraße, hier kreuzten sich die Ostwest- und die Nordsüd-Handelsrouten, es gab (und gibt) Wasser, Karawansereien, Bazare und Handwerker aller Art, es war immer eine lebhafte Stadt, gleich unter welcher der oft wechselnden Herrschaften. Zu seiner Blütezeit unter Timur entstanden die meisten der prachtvollen Bauten, die auch diese Stadt in den elitären Zirkel des Weltkulturerbes katapultiert haben.

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Und Timur? Oh Mannomann, das war ein Junkie, sag ich dir! Geboren 1336, eher kleinwüchsig (1,72 m) und hinkend, seit er als Jüngling zu waghalsig auf seinem Gaul herumgeturnt war, um irgendeinem pickeligen Mädchen zu imponieren, und prompt hatte er sich mit gebrochener Hüfte im Dreck wiedergefunden. Wahrscheinlich wurmte ihn sein neuer, persischer Spitzname Timur i-lang, "Timur der Lahme", was von Goethes Zeitgenossen, die sich für Persien interessierten, zu "Tamerlan" verballhornt wurde, und so wollte er es allen zeigen, warum er Timur (türkisch "demir" = Eisen) hieß. Er scharte eine wilde Räuberbande um sich, und sein erster Erfolg war, dass er die Mongolen aus seiner usbekischen Heimat vertrieb, aber mit seinen blutrünstigen Hooligans randalierte er anschließend durch ganz Zentralasien, und als Machtjunkie vom Schlage des makedonischen Alexanders bekam er nie die Raffel voll, marodierte von Kleinasien bis Indien ohne Rücksicht auf eigene Verluste und Einwohner und zerdepperte alles, was ihm im Weg stand. In Bagdad ließ er aus 90 000 Schädeln erschlagener Gegner eine Pyramide errichten, in Delhi ließ er 100 000 Gefangene hinrichten, anderen mit großer Brutalität die Augen ausstechen und Körperteile abhacken, bis er 1405, auf dem Weg nach China, das er auch noch platt machen wollte, nach einer mehrtägigen Orgie in der kasachischen Steppe dem Suff erlag.
Wie es in unsrer Welt guter Brauch ist, werden die brutalsten Schlagetots und Blutsäufer "der Große" genannt und als Helden verehrt, und für Usbekistan ist Timur deswegen der National"held", so wie die Mongolen ihre Junkies Jinggis und Khublai Khan, die Makedonier ihren Nimmersatt Alexander, die Römer ihren wahnsinnigen Julius Caesar und die Franzosen ihren Amokläufer Napoleon verehren, obwohl keines der zusammengerafften Reiche den irrsinnigen Leithammel der wildgewordenen Horden je für nennenswerte Zeiten überlebte. 
Was Timur mit Bukhara verbindet, ist sein Hang zu Größenwahn auch in der Architektur. Überall ließ er Riesenpaläste und prächtige Sakralbauten aus dem Wüstenlehm stampfen, und in Bukhara und Umgebung ist davon Einiges erhalten geblieben.
Timurs stattliche Sommerresidenz Ok Saray in seiner extrem heißen Heimatstadt Shahrisabz, die in den warmen Fallwinden vom Pamirgebirge her gleichsam im Föhn erstickt, wurde nach dem Tod des Erbauers geplündert. Auch der Khan von Bukhara, der später Shahrisabz unterwarf, hatte reichlich Mühe, den riesigen Palazzo zu verhackstücken, die Taliban und Daisch haben's heutzutage leichter, die arbeiten mit Sprengstoff. Aber die Anwohner auf der Suche nach Baumaterial waren dankbar für die Trümmer, so dass heute, in Sichtweite des idealisierten Timur-Denkmals, nur noch ein Teil des Palastportals steht: Allein der Torbogen ist um die 50 Meter hoch, vermutlich, damit auch Minarette aufrecht hindurch passten - dem Burschen mit seinem Größenwahn war jeder Superlativ gerade das Richtige.


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Am zentralen Registan-Platz von Bukhara, gegenüber den Toren des Trutzburg-Palastes Ark (Festung) des einstigen Emirs, erhebt sich die Masjid Bolo Hauz, die auch heute noch als Moschee genutzt wird, was uns allerdings nicht am Eintreten und Bestaunen der reich gezierten Kuppeldecke hinderte. Der Imam schielte nur aus den Augenwinkeln, ob wir auch alle die Schuhe ausgezogen hatten und dass ihn keiner mit Blitzlicht aus der Predigt aufschrecke, aber Blitzlicht, das ist ja Steinzeit, heute haben alle ihr digitales Equipment, das nicht mal mehr "knips" sagt.
So nachsichtig wie der heutige Imam war der strenge Emir früher nicht, der in Konkurrenz mit dem Emir der westlichen Nachbar-Oase Khiva um den Bau der höchsten Minarette wetteiferte. Auch als Wahrer und Schützer des Islam ging der bukharische Emir keinen Deut milder vor als sein grausamer Kollege von Khiva. Seine zig Frauen durften sich niemandem zeigen und den Registan-Platz höchstens durch ihre arabesk verschnörkelten Gucklöcher über dem Zugangstor beäugen. Wahrscheinlich waren sie es, die aus Langeweile die Leute verpetzten, die sich nicht an das Gebot des Sultans hielten, auf dem Platz von Pferd und Esel abzusteigen und sich in Richtung Ark zu verbeugen. Zuwiderhandelnde wurden allmonatlich an bestimmten Festtagen unter den Klängen des Festorchesters öffentlich geköpft.

Als Hodja Nasreddin nach Bukhara kam, ritt er ahnungslos auf seinem Esel auf den Registan-Platz, ohne abzusteigen und sich zu verbeugen. Auf der Stelle wurde er von der Palastwache festgenommen und in den Kerker geworfen. Kurz vor seiner Hinrichtung ließ er dem Emir eine Botschaft übermitteln, er habe einen triftigen Grund für sein Handeln gehabt und bitte um Begnadigung. Das machte den Emir neugierig; er ließ Hodja kommen und fragte ihn nach seinem Grund.
"Majestät," sagte Hodja, "ich hatte meinem Esel das Fliegen beigebracht, und bei der Landung geriet ich ungewollt auf den Platz und bin zu spät abgestiegen."
Der Emir grinste.
"Hodja, wenn das wahr ist, werde ich dich begnadigen, aber nur unter der Bedingung, dass du meinem Lieblingsesel ebenfalls das Fliegen beibringst."
"Kein Problem", sagte Hodja, nahm das Tier in Empfang, lief schnurstracks zum nächsten Viehmarkt und verkaufte des Emirs Prachtexemplar zu einem beachtlichen Preis.
"Das wird dich den Kragen kosten", bangte ein Bekannter, als er das erfuhr.
"Ach was", sagte Hodja, "jemand, der glaubt, dass Esel fliegen können, wird mir auch abnehmen, dass sein Esel nach erfolgreicher Dressur davongeflogen sei!"

Da mussten selbst die Haremsdamen hinter ihren Gitterfenstern kichern. Von da oben hatten sie aber nicht nur eine gute Sicht auf den Registan-Platz, sondern auch auf das Panorama von Bukhara, das sich dank Timurs Bauwut und Sportsgeist der wetteifernden Emire durchaus sehen lassen konnte. Allerdings erschöpfte sich die Fantasie der Baumeister im Errichten von Medressen und Moscheen; kein profaner Bau, keine Airports, keine Olympiastadien, Banken oder Philharmonie-Paläste wollten ihnen einfallen; vielleicht war die Lehmziegel-Baukunst auch für andere Bauwerke nicht allzu geeignet, und Glas oder Zement hatten sie noch nicht, der wird erst in jüngster Zeit aus der Wüste gekratzt und exportiert bzw. zum Autobahnbau verwendet.

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Allerdings zeichnet sich Bukhara nicht nur durch prachtvolle Sakralbauten aus, sondern auch durch seine handwerkliche Tradition. Wenn du die echten Orientteppich-Imitationen nicht von den SintiRoma kaufen willst, die sogar an deiner Dachgeschosskammer im aufzuglosen 5. Stock des Altbaus mit ihrer Auslegware unterm Arm klingeln, dann fahr nach Bukhara, da kannst du sogar zusehen, wie halbwüchsige Mädels dran herumknüpfen, anstatt in die Disco zu gehen, und wenn du den endlosen Streit mit deiner Schwiegermutter oder dem gehässigen Nachbarn satt hast, findest du in Bukhara wundervoll ziselierte, handgeschmiedete Krummdolche und Köpfmesser aller Größen, wie die Daisch sie verwenden, scharf wie Löwensenf. Da fällt mir die orientalische Geschichte von einer verstorbenen Ehefrau ein. Aber sie starb eines natürlichen Todes.


Als Hodja Nasreddins Frau starb, zeigte sich Hodja nicht allzu traurig, sondern zum Erstaunen aller Verwandten schien ihn das ziemlich ungerührt zu lassen.
Drei Wochen später verendete auch noch Hodjas Esel, aber diesmal lamentierte und trauerte
Hodja volle drei Tage lang.
Ein guter Freund fragte ihn verwundert: "Hodja, als deine Frau starb, warst du überhaupt nicht traurig, aber wegen deines Esels jammerst du so laut!"
"Na klar doch", schluchzte Hodja, "als meine Frau starb, sagten alle Bekannten und Verwandten: 'Hodja, nimm's leicht, du bist noch rüstig, du darfst nicht allein bleiben, du musst wieder heiraten. Wir finden für dich eine neue, jüngere und bessere Frau'. Aber als mein Esel starb, kam niemand und sagte, er würde mir einen neuen, jüngeren und besseren Esel besorgen."
 
Esel gibt es in Bukhara auf dem Bazar derzeit nicht, da musst du zum Viehmarkt gehen, aber als Lady hast du vielleicht auch Freude an den schlanken, goldig glitzernden, orientalischen Tausendundeinenacht-Kupferkannen, die hier handgeschmiedet werden, und dein usbekischer Gebieter wird dir ewig dankbar sein für eine der ulkigen, viereckigen Kappen, mit denen die älteren Zeitgenossen ihre beginnende Glatze camouflieren oder vor Sonnenbrand schützen. Jedenfalls ist Bukhara die Kapitale des usbekischen Kunsthandwerks, und wer mehr als eine Postkarte, einen Plastiktimur oder ein billiges T-Shirt sucht, der sollte sich einen halben Tag für den Basar von Bukhara reservieren, da ist alles echt, handgefertigt und konkurrenzlos teuer.

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Am Lab ihauz, dem zentralen Platz in Bukhara, schwimmen fröhliche Entchen zwischen Tretbooten, Seerosen und gemächlich dahintreibenden leeren Colaflaschen in dem großen Teich, der von Plastikminiaturen der Sehenswürdigkeiten der Stadt gesäumt ist. Frank hockte an einem der Tischlein unter den Weiden am Ufer und schlürfte seinen grünen Afternoon-Tee, als ihn ein junger Usbeke mit einem flüssigen "Where do you come from" begrüßte. Ein freudiges Lächeln erschien auf dessen Gesicht, als Frank sich, wie erhofft, als Urgermane outete. Die Konversation ging in ebenso fließendem Deutsch weiter.
Frank glaubte, der Mensch habe irgendwo zwischen Rhein und Oder gelebt, aber er versicherte, er habe nur in Bukhara Germanistik studiert und sei noch nie in der Heimat aller Weißwürste gewesen. Da wollte Frank noch wissen, wieso der Mensch ausgerechnet Germanistik studiert habe.
Jetzt halt dich fest.
In Usbekistan ist es sehr schwer, an einer der wenigen Unis zu studieren. Nicht nur ein piekfeines Zeugnis des Gymnasiums ist vonnöten, sondern auch eine strenge Aufnahmeprüfung siebt alle Nieten, Hochstapler und Bakshishverweigerer erbarmungslos
aus. Obwohl der junge Gesprächspartner intelligent und gebildet aussah, erzählte er frisch und unumwunden, dass er zweimal durchgefallen sei, als er sich für Betriebswirtschaft und Handelsrecht einschreiben wollte. Um nicht auch beim dritten und letzten Versuch abgeschossen zu werden, erkundigte er sich in der Verwaltung, in welchem Fach es denn die wenigsten Bewerber gebe.
"Germanistik", war die Antwort, "daran hat so gut wie niemand Interesse."
".... so kam es, dass ich Germanistik studierte. Irgendwann im Lauf des Studiums begann ich, mich dafür zu interessieren, las interessante Bücher und Theaterstücke, und am Ende war ich ein richtiger Germanist und Deutschland-Fan geworden", schloss er grinsend.
Jetzt wäre es noch interessant zu erfahren, wovon ein Germanist hier leben will.
"Kein Problem", lachte er, "in der Touristikbranche sind Leute, die Deutsch können, hochwillkommen. Ich bin schon in der Ausbildung und werde gleich ab der nächsten Saison als Reiseleiter anfangen können. Bis dahin übe ich deutsche Konversation mit deutschen Besuchern."
Frank war ziemlich sprachlos, aber sein Gegenüber hatte angesichts seines nahen, krisenfesten, geldwerten, trinkgeldträchtigen Jobs schon eine hübsche Braut geheiratet und war äußerst guter Dinge.

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Frank wollte nur noch wissen, ob er auch, genau wie die anderen Brautpaare, die unentwegt vor Franks Nase herumtippeln, um sich an der Lab ihauz Piazza und vor der Devon Begi Madrasa en face ablichten lassen, diese Pilgerreise durch seine Heimatstadt gemacht habe.
"Klar doch, das machen alle hier", sagte er und zeigte Frank die Bilder vom letzten Jahr auf seinem iPod.
Sachen kannst du erleben in Usbekistan, da brauchst du noch nicht mal Usbekisch zu können!
Ach so, jetzt willst noch wissen, was das obige Foto zeigt, denn ein Brautpaar ist es offensichtlich nicht. Aber man kann ja in Bukhara seine Zeit nicht nur mit germanistischen Fachsimpeleien verbringen, sondern sollte auch einen Blick auf oder zumindest über die Stadt werfen. Deutlich zu erkennen ist zunächst einmal, dass auch hier als Baumaterial die guten, bewährten Lehmziegel Zentralasiens überwiegen, und wenn was türkis schimmert wie die Kuppeln der Moschee Kalon hinter der dazugehörigen Madrasa, dann sind die Ziegel eben glasiert, die Usbeken waren (und sind) Meister diverser Techniken, mit denen sich Lehm wundersam aufpeppen lässt. Wenn du schon mal was von Kacheln, Mosaiken und Majolika gehört hast, weißt du sicher Bescheid. Rings um das Kalon-Ensemble stehen weitere Ziegelbauten, und das sind die Divane, nein, nicht die zum Drauflegen, sondern die Amtsgebäude und Ministerien, in denen die Beamten genüsslich pennten und faulenzten, weshalb man im bienenfleißigen Germanistan mit seiner (beinahe) unbestechlichen Beamtenschaft
einen Divan nicht mit einer Regierungsbehörde, sondern mit einer bequemen orientalischen Couch assoziiert. Blöde Vorurteile, was?
Aber jetzt kriegst du doch noch dein Brautpaar, damit du siehst, dass Moslems nicht ausschließlich minderjährige Kinder heiraten;
zumindest diese Braut ist sicherlich kein Teenie mehr.

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Auch wenn du mal den Namen Chor Minor hören solltest, dann denk mal besser nicht an einen Gesangsverein für Minderjährige, sondern das ist Arabisch oder Persisch oder was immer und wird auch nicht Chor, sondern Tschar gesprochen und heißt "vier Türme". Ein verlängertes "Minor" heißt bei uns zwar Minarett, aber im Prinzip ist es schlicht und ergreifend nur ein Turm, ob er dem Muadhdhin der Masjid (Muezzin der Moschee) für seine täglichen Jammer-Arien dient, schief in Pisa wackelt oder auf dem Schachbrett steht, Turm ist Turm. Vier dieser weißen Lehmraketen auf einen Schlag, das muss ja ein toller Bau sein, wo gibt's denn sowas? Sogar am Kalon steht nur ein einziger.
Na gut, die Ayasofya Moschee in İstanbul hat ebenfalls vier, die Sultan Ahmad Moschee ("blaue Moschee") ebendort sogar sechs, aber die sind alle schlank und weltraumfähig, man müsste sie nur nach Cape Kennedy oder Baikonur schaffen, das ist näher. In Bukhara dagegen steht der Bau mit den vier plumpen Phallussymbolen mitten in der Altstadt und reicht bei weitem nicht an Istanbuls Weltwunder heran, ja, ist nicht mal eine Moschee, sondern nur deren Pförtnerhaus, und der Rest ward längst vom Zahn der Zeit dahingerafft, requiescat in pace. Frank fand das Häuslein aber irgendwie drollig, wie ein umgedreht in den Boden gerammter Kinderstuhl, dessen Beine in den blauen Himmel ragen, oder ein bayrisches Kapellchen, dem ein Scherzkeks gleich vier Zwiebeltürmchen angefügt hat. Wer will, kann durch den Souvenirladen im Erdgeschoss die Stufen im Hintergrund des Shoppes erreichen und dem Ding aufs Dach steigen, macht Spaß bei dem Wetter, denn oben weht ein leicht kühles Morgenlüftchen.
Ein größerer Bruder dieses Lehmbaus steht im Zentrum von Hyderabad in Indien und heißt daselbst, nicht sonderlich überraschend, Charminar. Rate mal, was das bedeutet!


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Bevor wir Bukhara wieder verlassen, will ich dir was über zoroastrische und sufische Architektur erzählen. Wie bitte? Interessiert dich nicht? Na also, dadadadadas ist ja unerhört!  Nach Zentralasien reisen und nur nach glutäugigen Shehrazaden Ausschau halten?!  
Vielleicht interessiert dich ja die zweite Begegnung des Hodja Nasreddin mit dem Emir von Bukhara? Ja? Das freut mich, und ich sag dir, schrullige Geschichten gehören zum Orient wie das Smartphone zum Asylbewerber.


Auf dem Heimweg tief in der Nacht nach seinem arbeitsreichen Tag fand Hodja Nasreddin nahe dem Rotlichtviertel einen Mann, der im Straßengraben lag und einen gewaltigen Rausch ausschlief. Weil er einen ungemein prächtigen Mantel trug, dachte sich Hodja, den könne er gebrauchen, und als er ihn dem felsenfest schlafenden Trunkenbold entwand, gewahrte er, dass es der Emir war. 
Zwei Tage später wurde öffentlich bekannt gegeben, dass der Mantel des Emirs gestohlen worden sei; wer ihn finde und den Dieb namhaft mache, bekomme eine hohe Belohnung, und der Dieb werde gehenkt.
Dem armen Hodja schwante nichts Gutes, und wie befürchtet wurde er verpetzt und angezeigt.
Kaum erblickte der Emir das Corpus delicti, rief er, dies
sei sein Mantel und der Dieb solle umgehend aufgeknüpft werden. Vom Kadi befragt, wie er zu dem Mantel kam, antwortete Hodja:
"Ich fand im Hurenviertel einen Mann, der volltrunken im Graben seinen Rausch ausschlief. Um diesem gottlosen Burschen einen Denkzettel zu geben, nahm ich ihm den Mantel ab und glaubte, damit im Sinne unseres Emirs, des Wahrers und Beschützers unserer heiligen Religion, gehandelt zu haben. Falls dieser Mantel allerdings seiner Majestät gehören sollte, gebe ich ihn selbstverständlich zurück."
"Ich muss mich geirrt haben", sprach daraufhin der Emir, "es ist doch nicht mein Mantel, er sah ihm nur etwas ähnlich. Hodja, du hast ganz recht gehandelt, der Mantel ist dein rechtmäßiges Eigentum, und wenn der schamlose Sünder gefunden wird, der ihn trug, soll er mit achthundert Stockhieben bestraft werden!"
 
Komm her, sei kein Frosch. Alle monotheistischen Religionen beruhen auf orientalischen Märchen, da unten wimmelt es vor Gottesanbetern, Teufelsanbetern, Sonnenanbetern, Ziegenanbetern, Goldenes-Kalb-Anbetern, Dollar-Anbetern, Facebook-Anbetern und noch viel mehr, kein Schwachsinn ist zu absurd, um nicht von einer Schar von Adepten als ewige Wahrheit geglaubt zu werden, das hat der Orient mit den USA gemeinsam. Und auch, dass alle Gläubigen kein Mitleid mit Andersgläubigen haben und diese zu Hackfleisch machen, wenn immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Dahinter stecken natürlich die Unwirtlichkeit der Wüsten und der Wassermangel; wenn die rasant wachsende Bevölkerung nicht bisweilen von irgendwelchen Warlords à la Timur und Konsorten dezimiert würde, müssten die Leute irgendwohin auswandern, beispielsweise nach Europa, bevorzugt nach Deutschland, und das wäre womöglich das Ende aller Bierzelte. So prügeln sich die Sunniten mit den Schiiten, die Hashemiten mit den Monolithen, die Stalagmiten mit den Stalaktiten, und Allah sieht sich das von oben vermutlich ebenso amüsiert an wie in Bayern Herr Seehofer seine Modelleisenbahn.
Eine der vielen orientalischen Heilslehren geht auf den Zoroaster zurück, der bei Nietzsche Zarathustra genannt wird und in Persien sein Unwesen trieb, vermutlich tausend oder auch zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung. Schon damals begnügten sich die Leute nicht damit, ihre Ziegen und Kamele zu zählen, sondern hockten sich mitunter depressiv in die Wüsten-Einöde und dachten über tiefere Dinge nach. Das Gute an Zoroasters gesammelten Erkenntnissen ist, dass er die Opferei von Menschen und Tieren zur Besänftigung der Götter für Unfug hielt; ich will natürlich nicht behaupten, dass das alles ist, was ihm nach längerem Nachdenken eingefallen ist. Und das Schlechte ist, dass er noch heute Anhänger hat, die seine bruchstückhaft überlieferten Weisheiten auf ihre Weise mit großer schöpferischer Freiheit auslegen. D
ie Zoroastristen unter der geschätzten Leserschaft mögen es mir nachsehen.

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Aber lassen wir mal diese angelesenen Weisheiten beiseite. Was heute am Zoroastrismus interessiert, ist die Architektur des Samaniden-Mausoleums aus dem frühen Mittelalter, die sich von islamischer Bauweise deutlich unterscheidet:  Nur aus Lehmziegeln ist der Bau aus der Wendezeit von 10. zum 11.Jh., und betrachtet man die reich verzierten, auf allen vier Seiten identischen Fassaden des Lehmwürfels, wird deutlich, dass alle Muster allein durch die kunstvolle Anordnung der Ziegel entstanden sind. Die erstaunlich gute Erhaltung des reichlich antiken Häusleins ist der Tatsache zu verdanken, dass die nahe Wüste das Ding unter einer Düne begrub, wo es später unversehrt wieder ausgebuddelt wurde. Dass der Busch im Vordergrund rechts zwei Beine aufweist und Hosen und Gummistiefel trägt, hat mit Zoroastrismus allenfalls indirekt zu tun, denn das ist der Gärtner, der den Rasen mäht. Ringsumher, wenngleich in respektvollem Abstand, drehen sich die Karussells und das Riesenrad des Vergnügungsparks von Bukhara, man kann ja nicht immer nur beten, und der frühere Emir Ismail Samani ibn Ahmad und die Seinen, die in den Lehmsärgen in ihrem Mausoleum schlummern, hören täglich die Kinder vor Vergnügen quieksen und kreischen, tja, das Leben geht weiter.  
Und jetzt kommt der Sufismus dran, oder bist du schon eingeschlafen oder hast dich auf eine weltlichere Seite weitergezappt?
Also, was dem Christentum seine Frankistaner, Belletristiner und Dolomitaner sind, sind im Islam die Sufisten, ora et labora. Nein, keine Salafisten; von Schwachsinnigen soll hier nicht die Rede sein. Sufis waren Asketen, die wie Johannes der Säufer und Sautama Guitarrtha in der Wüste oder unter einem Bodhi-Baum auf Erleuchtung warteten, die freilich nur wenigen zuteil wurde, aber es gab (und gibt) auch Wandermönche, die man Derwische nennt, Schnorrer wie der germanische Frank, die sich auf Kosten gastfreundlicher Gläubiger durchfressen und in Moscheen Unterkunft finden. Nicht weit von Bukhara findet sich die Grabstätte des Bahauddin Naqshbandi, dem irgendwann sein Job als Färber zum Hals heraushing, woraufhin er einen sufistischen Orden gründete und einem beschaulicheren Leben nachging, das ihm viele Fans bescherte, die den Naqshbandi-Orden zur wichtigsten Bewegung im Sufismus machten.


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Der Färberheilige stammte also auch aus Bukhara, und wenn du meinst, die Usbeken seien gar keine richtigen Religionsfreaks, sondern saufen Wodka, heiraten ältere Ladies in Weiß und lassen sogar Typen wie den Frank in ihre Tempel, dann geh mal zu dem Mausoleum, da kannst du aber Pilger über Pilger erleben. Natürlich lässt es sich nicht verheimlichen, dass es sich, wie in Sankt Blasien bei der Abendandacht, überwiegend um Damen mehr oder minder fortgeschrittener Altersstufen handelt, die hier um, ja, um was eigentlich? beten, und wenn der Wunsch in Erfüllung geht, kommen sie wieder und beten nochmal, man kennt das ja von Altötting her.
Was es freilich in Altötting nicht gibt, ist der Brauch, dass Leute, denen Allah einen männlichen Nachkommen, einen bakshishträchtigen Job in der Verwaltung oder einen reichen Schwiegersohn beschert hat, dann mit Gaben kommen und diese an die anderen Pilger verteilen. Der Bauer bringt Melonen, der Hirte einen Hammel, der in dem gekachelten Schlachtkabuff mit Blutabfluss und Blasebalg geschächtet und gehäutet wird (zum Häuten wird das tote Vieh aufgepumpt, da geht die Pelle leichter runter), und die Mamas bringen Selbstgebackenes oder Gemüse; in der Großküche neben dem Schlachthaus wird das Ganze sodann zu nahrhaften usbekischen Menüs verköchelt und verbrutzelt, das die Damen in riesigen Kübeln zu dem bierzeltgroßen Gartenlokal voller Holztische und Klappstühle tragen, dort auf den Tisch pflanzen und an die hungrigen Pilger verteilen, vollkommen kostenlos natürlich. Sogar der ungläubige Frank wurde mit Hammelbraten und Zwiebeln, Suppe und Brot verköstigt, es ist genug da für jeden, der Hunger hat, und die Gastronomie in der Umgebung dürfte an den Pilgern keinen müden Sum verdienen. 


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Obwohl es hier von frommen Pilgern wimmelt, lasse ich nichts auf die usbekische Variante des Islam kommen; so ist er mir recht, wo man auch als Gottloser gastfreundlich bewirtet wird, wo sich auch die Betenden nichts aus fotografierenden Fremden machen, ja sogar die Imame in der Moschee japanische Touristinnen ohne Kopftuch tolerant anlächeln. Wenn die Anhänger aller Religionen so friedlich wären wie die Moslems in Usbekistan, wäre die Welt ein angenehmerer Ort. Aber wo sonst in der islamischen Welt kann es dir an einer derart bedeutenden Pilgerstätte wie dieser passieren, dass ein einheimischer Besucher, wohl aus einer entlegenen, ländlichen Region, in der man keine Touristen antrifft, seine beiden Begleiterinnen, Mutter und Ehefrau (?) um einen im Schatten pausierenden, MÄNNLICHEN (!) Ausländer drapiert und lächelnd ein Foto schießt, Ehefrau und Mama oder Schwiegermama ohne islamische Berührungsängste eingehängt beim Ungläubigen?
So viel ich weiß, fand keine Steinigung statt im Anschluss an die Fotosession im Schatten des Maulbeerbaums...

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