
Fähre
nach Ogasawara, einem Vorort von Tokyo
Mit rotem Leder
bezogen sind nur die Sessel der First class lounge. Das
gewöhnliche Volk räkelt sich wie in einem Flüchtlingslager auf
dem Boden, der sich mit seinem Filzteppichbelag von dem eines
ganz gewöhnlichen japanischen Wohnzimmers nicht unterscheidet.
Und wenn das Zimmer anfängt zu schaukeln, dann liegt das heute
ausnahmsweise nicht an einem der üblichen Erdbeben, sondern an
der schwachen Dünung der Bucht von Tokyo, in der zwischen
Ölschlieren, alten Autoreifen und toten Fischen die weiße
Fähre "OGASAWARA MARU" am Quai des quallenreichen
Hafens dümpelt. Im trüben Brackwasser des Innenstadt-Hafens von
Tokyo gedeihen Quallen offenbar hervorragend.
Wie
du den Frank kennst, erscheint er mit seiner abgewetzten Reisetasche
zehn Minuten vor Abfahrt des Dampfers am Ticket-Häuschen, um sich
das in Japan so beliebte Schlangestehen zu ersparen. Die meisten
Fahrgäste meinen nämlich, irgendwas zu versäumen, wenn
sie sich nicht schon am Vorabend vor der Abfahrt anstellen, weshalb der
Kahn notgedrungen in der Nacht vor dem Auslaufen als Hotelschiff
herhalten muss. Morgens werden die Langschläfer aber erst mal
wieder rausgeschmissen, um die Aschenbecher ausleeren sowie die
Bierdosen und sonstigen Hinterlassenschaften beseitigen zu können,
und erst eine Stunde vor dem Ankerlichten werden alle wieder
reingelassen.
Soldatisch
ausgerichtet in Reih und Glied
Also, der Frank
kriegt auch ohne Anstehen sein Ticket und einen Laufzettel mit
einer Nummer drauf, marschiert geradewegs an Bord und sucht den
Platz, der seiner Laufnummer entspricht. Da findet er aber weder
Kajüte noch Sessel, sondern nur eine Decke und ein Kopfkissen
auf dem Filzboden, inmitten einer langen Reihe gleichartiger
"Plätze", und darauf kann er dann die folgenden 29
Stunden Seereise sitzen, liegen, pennen, lesen oder auch
kopfstehen, wenn er mag, aber er mag nicht, denn just vor seiner
Nase packt gerade eine Bande Jungens Zigaretten und Whiskey aus,
so dass Frank unverzüglich die Flucht aufs Oberdeck ergriffen
hätte, wenn ihn nicht der Anblick seiner beiden jungen
Nachbarinnen, dezent geschminkt, in modisch kurzen Röcken und
Nylonstrümpfen angetan, gefesselt hätte. Die müssen auf dem
Weg ins Büro versehentlich die falsche Richtung eingeschlagen
haben, um auf der Ogasawara-Fähre gelandet zu sein.

Auf dem Weg ins Büro versehentlich
verlaufen?
Die ersten drei
Stunden sind noch interessant, denn da ist ein kostenloses
Tokyo-Sightseeing im Ticketpreis enthalten. Die Anlegestelle der
Ogasawara-Fähre liegt mitten in Tokyo, 10 Minuten zu Fuß von
der nächsten S-Bahn-Station oder 5 Minuten im Taxi vom
Hauptbahnhof aus, und da quirlt der Kahn jetzt durch die
braunschwarze Suppe, die du mit deiner Binnenschifferbrille
wahrscheinlich für einen Fluss halten würdest, wenn du durch
Tokyo tappst. Einen Fluss, in dem der letzte Fisch irgendwann im
letzten Jahrhundert gesichtet worden ist. Aber die Quallen, die
sind nicht zu übersehen und ernähren sich vermutlich von
Altöl, rostigem Metall, Autoreifen und leeren Sakedosen. Aber
heben wir den Blick zu den Schönwetterwolken, von denen ein
Flugzeug nach dem andern verschluckt wird, das sich vom
Haneda-Airport aus in die Lüfte schwingt. Vor Yokohama
verdichten sich die Wolken nach dem Verdauen all der Flugzeuge zu
einem Wolkenbruch, nun ja, alles Verschluckte muss halt irgendwie
wieder raus, das kennst du ja, ist wohl so menschlich wie wolkig.
Also,
der
eigentliche Hafen, das ist Yokohama; da staunst du echt, was da
alles offshore vor sich hin rostet. Von da aus gehen auch
Passagierdampfer in alle Winkel des Globus, bloß nicht nach
Ogasawara. Der Grund ist einleuchtend: Die Inselchen gehören zur
Kommune Tokyo, was sollte Yokohama damit zu tun haben?
Zwischen all den
Billigflaggen und anderem maritimem Alteisen sucht sich unser
Kahn einen Weg ins offene Meer, wo der beängstigend dichte
Schiffsverkehr ein wenig dünner und das Wasser ein wenig
durchsichtiger wird, und dann dreht der Käptn die Quirle auf FULL POWER und zischt mit
einem Affenzahn, den niemand dieser schwimmenden Jugendherberge
zugetraut hätte, durch die Straße von Uraga. Noch ist in der
Ferne Cap Suno zu erkennen, dann zieht die Insel Oshima zwischen
grauen Wolken und grauem Ozean vorüber, und danach gibt's außer
viel Wasser eigentlich nichts Wichtiges mehr zu sehen.
So wenden sich die
Passagiere erwartungsvoll der bordeigenen Restauration zu und
nach den ersten Bissen schleunigst wieder ab, auf die Macht der
Monopole und das Fehlen einer echten Konkurrenz schimpfend, und
danach steht man vor dem Problem des sinnvollen Ausfüllens der
restlichen 26 Stunden Seefahrt. Schließlich befindet man sich
auf einer Fähre und nicht etwa auf einer Kreuzfahrt mit Kino,
Disco, Tennisplätzen, Entertainment und Sinfonieorchester an
Bord. Japaner haben weniger Probleme mit dem Zeit-Totschlagen;
einige sehen fern, andere spielen Karten, aber die
überwältigende Mehrheit frönt dem beliebtesten japanischen
Freizeitvergnügen und pennt. Unter den Wolldecken ragen hier und
da Hände und Füße hervor, und das eintönige Brümmeln der
Motoren übertönt gnädig den Chor der Schnarchlaute. Die beiden
Mädels neben uns haben inzwischen Shorts an, aber immer noch
ihre Nylons drunter; vermutlich sind wir noch zu weit vom
Urlaubsziel entfernt, oder, wie man's nimmt, noch zu nah am
Arbeitsplatz.
Das
Maximum an Komfort im Bauch einer japanischen Fähre
Während draußen
noch ein paar Inseln, an denen in Japan wahrhaftig kein Mangel
herrscht, vorüberziehen, leert sich das Deck, denn erstens wird
die Luft allmählich kühl, zweitens gerät das Schiff in die
bewegte Kuroshio-Strömung, und drittens wird im Fernsehen
Baseball übertragen, da hocken alle vor der Glotze und lassen
ferne Inseln ferne Inseln sein, bis der Bildschirm mit
zunehmender Entfernung vom Festland immer flimmeriger wird und
schließlich auch der letzte Pitcher im Schneegestöber der
Mattscheibe untergeht. Obwohl es noch nicht ganz dunkel ist,
kriechen auch die Kartenklopper und die allerletzten Glotzer
still unter ihre Decken und halten die Raffel; sogar das
bordeigene Restaurant ist zur besten Dinnerstunde nahezu leer,
was nicht alleine an der verbesserungsfähigen Qualität des
Angebots liegen dürfte, sondern zu einem guten Teil auch dem
starken Seegang zuzuschreiben ist. Eine Seefahrt, die ist
lustig....
Während draußen
noch ein paar Inseln, an denen in Japan wahrhaftig kein Mangel
herrscht, vorüberziehen, leert sich das Deck, denn erstens wird
die Luft allmählich kühl, zweitens gerät das Schiff in die
bewegte Kuroshio-Strömung, und drittens wird im Fernsehen
Baseball übertragen, da hocken alle vor der Glotze und lassen
ferne Inseln ferne Inseln sein, bis der Bildschirm mit
zunehmender Entfernung vom Festland immer flimmeriger wird und
schließlich auch der letzte Pitcher im Schneegestöber der
Mattscheibe untergeht. Obwohl es noch nicht ganz dunkel ist,
kriechen auch die Kartenklopper und die allerletzten Glotzer
still unter ihre Decken und halten die Raffel; sogar das
bordeigene Restaurant ist zur besten Dinnerstunde nahezu leer,
was nicht alleine an der verbesserungsfähigen Qualität des
Angebots liegen dürfte, sondern zu einem guten Teil auch dem
starken Seegang zuzuschreiben ist. Eine Seefahrt, die ist
lustig....

Am nächsten
Morgen gleitet die OGASAWARA MARU unter heiterem Himmel durch
glatte, seidige Tücher einer ruhigen Morgendünung im endlosen
Pazifik, der eine dunkelblaue Farbe angenommen hat. Die Jungs
gegenüber sind wieder munter, paffen und lesen in farbigen
Reiseführern, während die Girls neben uns sich nunmehr auch
ihrer Strümpfe entledigt haben und nun ziemlich ferienhaft
aussehen. Ob sie ihre Kleiderordnung miteinander abgesprochen
haben? Oder ist der japanische Gruppeninstinkt für diese
Parallelität der Ereignisse verantwortlich? Immerhin sehen sie
auch ohne Nylons ganz flott aus.
Die Essvorräte
der Reisenden neigen sich dem Ende zu, aber das Restaurant
verzeichnet auch weiterhin keinen Besucheransturm. Stattdessen
werden die Automaten angezapft, Bonbons, Erdnüsse, Schokos und
Knusperlis, es ist mir ein Rätsel, wie die unentwegt kauende
japanische Jugend dabei dermaßen schlank bleiben kann. Auch die
Daddelflipper-Maschinen sind ständig umlagert, vor allen
Playstationen drängelt sich ein Pulk von Leuten, die keinen
Blick für Wolken, Möven oder kaltes Meerwasser übrig haben.
Vielleicht schwant ihnen ja, dass es in Kürze Abschied nehmen
heißt von solchen Segnungen der Zivilisation.
"Herr
Eschersheimer!", ruft es da, ich traue meinem Ohropax nicht.
Das kann doch nicht wahr sein, dass da einer meiner Studenten mit
an Bord ist und mich anstarrt, als sei ich ein Gespenst. Nach der
schlechten Note, die ich ihm vor den Sommerferien verpasst habe,
kann ich ihm das nicht verübeln. Nun stehe ich also ständig
unter doppelter Bewachung und muss mich auch in den Ferien noch
anständig benehmen, so schwer mir das fällt. Kojima, der
angehende Sänger, erzählt, dass ein Bekannter auf Ogasawara
eine Stelle als Musiklehrer an der Mittelschule bekommen und ihn
eingeladen habe, weil die Sommerferien in Omura =so heißt das
eine der beiden Dörfer, in denen die gesamte Bevölkerung der
Hauptinsel Chichijima wohnt= todlangweilig seien.
Die
Lautsprecherdurchsage, dass linker Hand Wale zu sehen seien,
führt zu panikartigem Gerenne, und alle dreihundertfünfzig
Passagiere mit Ausnahme einiger Daddler drängen zur
Backbord-Reeling, wodurch das Schiff beinahe Schlagseite bekommt,
und jede Spritzfontäne eines auftauchenden Tieres wird von einem
Chor vom mädchenhaftem Kieksen und Quieken begleitet. Noch fünf
Stunden. Ich gewahre, dass unsere Nachbarinnen nunmehr auf das
Tragen von BHs unter ihren Sommerblüschen verzichten und
bedaure, dass die Fahrt bald zu Ende ist, denn falls die beiden
ihren Striptease im gleichen Rhythmus fortzusetzen gedenken,
bleibt ihnen noch vor Ablauf weiterer 12 Stunden nichts mehr
abzulegen. Während sich an Deck die ersten Bikini-Schönheiten
im Morgenlicht aalen, wird am Horizont wieder Land sichtbar: Die
nördlichsten Ausläufer des Ogasawara-Archipels, die
Muko-Inselgruppe.

Wal
bei Tauchübungen
Die
Ogasawara-Inseln sind eine muntere Sippschaft. Die beiden
größten Inseln heißen Chichijima und Hahajima
(Vater-Insel und
Mutter-Insel), die anderen, sämtlich unbewohnten ringsumher
verstreuten Inseln heißen "Älterer Bruder",
"jüngerer Bruder", "ältere und jüngere
Schwester", und die entfernteren Verwandten sind die
"Neffen" und "Nichten", "Onkel" und
"Tanten" bis hin zu "Schwiegersöhnen" und
"Schwiegertöchtern", wobei sich die männlichen
Verwandten um die "Vater-Insel", und die weiblichen
Angehörigen sich um die "Mutter-Insel" gruppieren. Die
am weitesten entfernte Muko-Inselgruppe, das sind die
"Schwiegersöhne". Diese gesamte Mischpoke wurde im
15.Jh. von dem japanischen Seefahrer Ogasawara Sadayori
entdeckt, dessen Namen sie seither trägt. Der im Ausland
mitunter gebräuchliche Name "Bonin-Archipel" ist eine
Verballhornung des japanischen Wortes "mujin"
(menschenlos, unbewohnt), denn diese Inseln sind erst gegen Ende
des 19.Jahrhunderts besiedelt worden. Im 2.Weltkrieg wurden alle
4000 Bewohner evakuiert und Marine-Stützpunkte angelegt. Nach
dem Ende der japanischen Großmacht-Träume fielen die Inseln
in
die Hand der USA, die jedoch der Bitte der einstigen Bewohner
stattgaben, sie zurückkehren ließen und die Inseln 1968 in
aller Stille an Japan zurückgaben. Heute gelten die Inseln, wie
schon berichtet, als Vororte der
Stadt Tokyo, von dessen Zentrum das größte Inseldorf Omura
genau 1007 km entfernt ist. Meinem Arbeitgeber habe ich bei Antritt des
Urlaubs pflicht- und wahrheitsgemäß kundgetan, dass ich die
ganze Zeit in Tokyo bliebe.
Nach den felsigen,
schroffen Muko-Inseln zeigt sich die Braut-Insel Yomejima
ebenfalls von der abweisenden Seite, aber schon taucht
Brüderchen Ototojima am Horizont auf, und nach ihm rückt Big
Brother Anijima ins Blickfeld, bevor schließlich die Vater-Insel
Chichijima ihre ganze 8 Kilometer lange Skyline, teils
zerklüftet, teils dschungelbewachsen, präsentiert. Also, wenn
ich Robinson Crusoe wäre, hierhin möchte ich nicht verschlagen
werden, geht es mir durch den Sinn. Gibt's hier wenigstens
Süßwasser? Keine palmgesäumten, endlosen weißen Strände,
keine orchideengesäumten Ferienvillen vor lieblich sanft
ansteigendem Hinterland, keine Segelyachten, keine Surfer, nur
ein Klotz von grün überwuchertem Felsen, dem auch Odysseus
nicht entronnen wäre, wenn Polyphem hier hausen sollte, das
sieht nicht einladend nach Urlaubsparadies aus. Aber dann ein
Schwenk, die Fähre kurvt um eine Felsnase herum in eine weite
Bucht ein, in der Hochspannungsmasten und ein paar flache
Betonhäuser in der üblichen japanischen Sozialwohnungs-Schuhkarton-Architektur
von menschlicher Existenz zeugen, und, da guckste und traust
deinen Augen nicht, eine imposante Anlegestelle, an der es von
Menschen nur so wimmelt. Sämtliche 1600 Einwohner und eine
beträchtliche Anzahl von Urlaubern haben sich zum Empfang der
Fähre hier versammelt, denn der Kahn bringt außer neuen
Touristen auch allen Nachschub für die vier Kaufläden, sieben
Restaurants und 68 Getränke- und Zigaretten-Automaten der Insel.
Aus dem
klimatisierten und durch den stetigen Fahrtwind auf erträgliche
Temperaturen herabgekühlten Schiff gestiegen, springt die
Mittagshitze im Hochsommer der Südsee den Besucher an wie ein
hungriger Puma. Also, Tokyos Innenstadt im Hochsommer, das ist
auch schon ein Backofen, aber hier unten, 1000 km weiter
südlich, kriegst du gleich den Hitzeschlag, denn außer ein paar
hibiskusblütigen Büschen gibt es keine schattenspendenden
Gewächse in Hafennähe, und vermutlich deshalb haben alle
Unterkünfte und Herbergen aus dem nur 100 Meter entfernten
Hauptdorf Omura Minibusse geschickt, um die Gepäckberge samt
ihren hitzematten Besitzern schnell ins klimatisierte Obdach zu
bringen. Nur der Frank, der wie immer nichts vorgebucht hat,
latscht mit seinem kleinen Rucksack schlapfig bis ins Dorf, um
endlich mal was Gutes zu spachteln, nachdem er der Bordküche nur
schnöde Verachtung entgegengebracht hatte. Unter den paar
krummen Häusern von Omura fand sich jedoch nicht die kleinste,
um diese Zeit offene Fresseria, so dass unter den schattigen
Bäumen des sauberen Dorfstrands die letzten Peanuts die
Wartezeit bis zum Abend überbrücken müssen. Durch die Bucht
kurven tatsächlich ein paar wenige, gelangweilte Segelschipper
und Windsurfer, und am Strand verlieren sich schon die ersten,
noch wenigen cremeglänzenden Bikini-Mädchen, darunter auch die
beiden Striptease-Girls von der Fähre, aber ich rate dir, am
Anfang lieber im Schatten zu bleiben, um die smogbleiche
Festlandhaut nicht unter der Südseesonne zu versengen.
Jetzt
haben sie nur noch den Bikini am Leib...
Schon während der
müßigen Nachmittagsstunden beschleicht uns der Verdacht, dass
man hier womöglich bald das Gefühl bekommen wird, eingesperrt
zu sein wie ein Tiger im Freigehege des Zoos. Zwei Wochen auf
diesen paar Quadratkilometern Eiland? Tag für Tag durch die
fünf Gassen des Kaffs streifen, bis wir auch den allerletzten
Winkel kennen? Hatte der Musiklehrer der Ogasawara-Mittelschule
nicht extra den Bariton-Studenten Kojima kommen lassen, um nicht
vor Langeweile umzukommen? Wir wagen es kaum, in den
Spätnachmittagsstunden die steilen Stufen zu dem Hüppel hinter
dem Dorf hinaufzuklettern, aus Furcht, dass uns dann schon morgen
nichts mehr zu besichtigen bleibt, aber oben findet sich nur ein
schlichter Dorfschrein, von dem aus man freilich eine grandiose
Aussicht über die Bucht und den Futami-Hafen genießen kann. Der
Weg führt noch weiter zu einer Aussichtsplattform mit Strohdach
und Bänken, ach ja, das ganze Archipel ist ja Nationalpark....
daher die schönen Wanderwege, Bänke und Papierkörbe, die man
sonst in Japan stets vergeblich sucht.
Dichte grüne
Vegetation, ein bisschen gezähmter Dschungel, dazwischen große
Hibiskusblüten, um die bunte Flatterlinge schmettern und auf dem
Weg Eidechsen, die blitzschnell ihre Hautfarbe von lehmigem Braun
zu saftigem Grün ändern können, und ansonsten auf dem Boden
Unmengen von riesigen Schnecken, wohin man auch blickt. Und man
sollte schon hinsehen, sonst macht es bei jedem zweiten Schritt
einen matschigen Knacks, und dann gibt es eine Afrika-Maimai
weniger. Wir denken schon daran, vor Langeweile die
Riesenschnecken zu sammeln, denn pro Kilo werden 10 Yen
Vernichtungsprämie für diese Landplage gezahlt, die sämtliches
Gemüse anknabbert, Blütenbüsche durchfrisst und tagsüber
massenhaft auf dem heißen, sonnenbeglühten Straßenasphalt
verwest. Ein ganz schlauer Mensch ist auf die typisch asiatische
Idee gekommen, auf alle möglichen Weisen aus diesen Viechern ein
genießbares Escargot-Menü à la Ogasawara zu zaubern, aber
obwohl Chinesen und Japaner sonst so gut wie alles verspeisen,
was nicht gerade hochtoxisch ist, trotzten die mit
Handelsschiffen aus Ostafrika via Java eingewanderten Maimais
allen kulinarischen Experimenten. Ich überlegte, ob ich
vorschlagen sollte, Igel zu importieren, zögerte dann aber doch
in dem Bewusstsein, die Verantwortung für derartige Eingriffe in
die Ökologie eines Nationalparks übernehmen zu müssen. Am Ende
wäre ich noch der Schuldige für eine
Frank-Eschersheimer-Igelplage am Rande der Südsee...
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Wandlungsfähige
Eidechsen
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Ungenießbare
Riesenschnecken
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Die Hauptstraße
von Omura (Großes Dorf) endet nach wenigen hundert Metern vor
den Toren der Kaiserlichen Marine. In der Gegenrichtung führt
sie, asphaltiert und tagsüber auch von spärlichem PKW-Verkehr
frequentiert, über die 3 Häuser, die den Ortsteil Kiyose
bilden, und über das zweitgrößte Dorf Okumura (Hinteres Dorf)
ins Innere des Eilands, wo ein paar Gemüsefelder,
Einzelgehöfte, eine Zahnarzt-Praxis, eine Wetterstation, eine
Satelliten-Laufbahn-Überwachungsstation, eine botanische und
eine ozeanologische Forschungsstation, wilde Bergziegen und
einige Strände auf Besucher warten. Ansonsten gibt es nichts zu
entdecken, es sei denn, ich habe doch eine der Attraktionen von
Chichijima vergessen. An ihrer breitesten Stelle bringt es die
Insel auf 3 km, und die Entfernung zwischen den beiden Metropolen
Omura und Okumura beträgt 600 Meter. Weil die Straße eines
starrsinnigen Felsens wegen einen Knick macht, hat man diesen
durchbohrt, damit der geplagte Fußgänger nur 587 Meter zu gehen
hat.
Unsere Unterkunft
für die ersten Tage heißt OGASAWARA MARU. Der Dampfer verweilt
einige Tage im Hafen und dient während seiner Liegezeit als
Hotelschiff, denn das Fassungsvermögen der lokalen Hotellerie
ist höchst begrenzt. Wie sich der geschätzte Leser vorstellen
kann, verzichten wir allerdings darauf, auch an Bord zu speisen.
Dabei ist auch der Ausdruck "Hotelschiff" schon eine
Prahlerei: Anders als während der Seefahrt sind nun Männlein
und Weiblein in getrennten Dormitories untergebracht, und ich
wäre aus verschiedenen Gründen lieber zu den Damen gegangen.
Jedenfalls gibt es vor 23 Uhr, wenn die Lichter ausgehen, im
Männerhostel keine Ruhe, denn unter dem plärrenden Fernseher
werden die Ereignisse des Tages lauthals bequackelt und so
hemmungslos süchtig gepafft, dass die Rauchmelder Alarm geben,
aber das tut der Laune keinen Abbruch, denn die ohnehin nicht
leisen Kehlen werden mit irgendwelchen hochprozentigen Fuseln
geschmiert, schließlich sind die Jungs in den Ferien, und Eltern und Lehrer sind weit weg...

Highlife
statt Nachtruhe auf der Fähre
Also packt man
besser die Badehose ein, stapft zum nahen Strand und stürzt sich
unter dem Sternenhimmel in die lauwarmen Fluten. Oder man hockt
sich in den dank reichlich Licht und Lärm kaum zu übersehenden
Biergarten am Hafen und kühlt seine Innereien. Und als dritte
Alternative bleibt noch die Hafenmole, wo man sich lang
hinstrecken, Sterne zählen, Stille und
den sanften Nachtwind genießen kann. Und hier geschieht es zum
ersten Mal, dass Frank sich im Urlaub fühlt, wie in fernen,
exotischen Landen, wie in der Südsee....
(Falls du in Japanisch eine
schlechte Note gehabt hast:
Das Linke bedeutet WEITER, das Rechte bedeutet HOME.)