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SWAKOPMUND und WALVISBAY

Bis
nach Swakopmund ist es nahezu eine Tagereise, während der sich
Frank über den Namen dieses Städtchens am Meer allerlei
Gedanken machte, denn außer plattem Busch, Unmengen von
Springböcken und vom entgegenkommenden Lastzug aufgewirbeltem
Pistenstaub gibt es wenig zu sehen.
Nein, stimmt nicht! Da gibt's doch noch was, ein Urviech aus der Flora
des Pleistozäns, eine seltsame, nahezu unsterbliche Pflanze, die
Hunderte von Jahren lebende Welwitschia, die aus unergründlicher
Ursache ihre nur zwei Blätter hier aus dem Sand reckt und auf das
nahende Ende des Holozäns wartet. Nur zwei Blätter, aber von
beträchtlichen Ausmaßen und vielfach gesplittet;
männliche Pflanzen präsentieren dazu noch eine Pollenanlage
mit klebrigem Nektar, der zu 50% aus reinem Zucker besteht. Die Pollen
wiederum sind Heimstatt einer beachtlichen Population exotischer
Käfer. Nicht sonderlich schön, aber selten, die Welwitschia,
wie die Wüstenzwiebel Onyanga wissenschaftlich heißt.
Ausgetrocknete Bachläufe, die einmal in hundert Jahren bei
Starkregen überlaufen, gefallen der prähistorischen Pflanze
als Heimstatt besonders. Für Franks Vorgarten in Shinjuku taugt
sie eher nicht und sprengt überdies die Ausmaße japanischer
Vorgärten bei Weitem, deren Fläche von den Einheimischen
treffend als "Katzenstirne" bezeichnet wird.
Käferkonferenz am unteren, frischen Fruchtstand der Urpflanze Welwitschia
Aber zurück zu unserem Denker Frank Eschersheimer, der noch immer
über dem Namen der Stadt Swakopmund grübelt. Das Ergebnis
seiner Frankosophie war, dass Swakopmund ursprünglich gewiss nur
Kopmund hieß. In Südafrika dürfte es schon zig andere
Orte desselben Namens geben, weshalb man vor Zeiten dem namibischen
Kopmund ein SWA voranstellte, um das SüdWestAfrikanische Kopmund
von seinen südafrikanischen Namensvettern zu unterscheiden, so wie
Frankfurt an der Oder und Frankfurt am Main, und so wurde Swakopmund
daraus.
Daran siehst du, wozu es führt, den Frank ein paar Stunden unbeaufsichtigt vor sich hindenken zu lassen.
In Wirklichkeit hält der Fluss Swakop der hübschen, sauberen
Stadt nämlich die Wanderdünen von der Pelle, die hier nicht rot, sondern sandfarben sind, und weil dieses
Rinnsal, wenn es ausnahmsweise tatsächlich einmal echtes, nasses
Wasser führt, just dortselbst in den Atlantik mündet,
heißt die Stadt Swakopmund, also Mündung des Swakop, und
Franks Theorie zerfließt in der Abendsonne als Fata Morgana der
Namib-Wüste.
Wo die Namib-Wüste am wüstesten ist
Wie schon erwähnt, steigt vom
eisigen Südatlantik
beständig verdunstendes Wasser auf, kondensiert zu Nebel, treibt
bei der meist vorherrschenden westlichen Windrichtung aufs Festland und
nebelt es ein, in Swakopmund wie in Narvik, in Nantes wie in Lima, wo
dies allerdings nicht der Atlantik, sondern der Pazifik besorgt und der
Nebel Garúa heißt. Das Prinzip ist indes dasselbe. Nur ein
erfahrenes Reisegenie wie Frank Eschersheimer hält sich just an
den drei von nur elfundzwanzig Tagen im Jahr in Swakopmund auf, an
denen ausnahmsweise Ostwind herrscht und das Städtchen seine
Vorzüge sonnig
präsentiert. Ein kleines Zentrum mit Souvenir Shoppes, Boutiquen,
Einkaufspassagen und Restaurants, eine wunderschöne
Strandpromenade mit weißen Hotelrestaurantpensionbeachresorts wie
in Sassnitz, dazu Sandstrand ohne Ende, Palmen und Surfen, man macht
die Augen zu und meint, man flaniere an der Waterfront von Cannes
entlang... Na ja, da muss man die Augen schon sehr fest
schließen, denn hier gibt es weder Filmfestspiele noch Yachthafen
noch Casino, und außerdem ist es Winter, und das Meerwasser ist
eisig; aber den Charme eines südländischen maritimen Kurorts
besitzt Swakopmund zweifellos. Über gepflegte und mit echtem
Wasser besprengte Rasenflächen, an vermutlich
von finanziell gepolsterten Expats bewohnten Villen vorbei gelangt
Frank schnell in eine schmucke Fußgängerzone, in der
gefühlt jeder zweite Laden deutsch beschriftet ist, vom Buchladen
"Die Muschel" zum Bierlokal "Swakopmund Brauhaus", an dem der bei
solchen Etablissements unvermeidliche Hopfen-und-Malz-Spruch
prangt, bis zur Shopping Mall "Stadtmitte".

Hier innen drin ist Hopfen und Malz verloren
Afrika für
Anfänger, in der Tat. Der Herr, von dem dieser Spruch stammt, ist
nämlich, kein Wunder, in Swakopmund ansässig. Hier
tümelt zweifellos
eine bedeutende Anzahl von deutschsprachigen Überlebenden der
preußischen Gloria vor sich hin. Kann ich verstehen, murmelt
Frank, wenn ich in Namibia leben sollte, dann ließe ich mich wohl
auch am ehesten in Swakopmund nieder. Nicht, weil man da in fast jedem
Geschäft und Hotel auch von schwarzen Mitarbeitern auf Deutsch
angesprochen wird, sondern weil man sich hier so fühlt wie in
Husum bei schönem Wetter, wo mittlerweile auch jede Menge
Afrikaner durch die Gassen streifen. Krabben und Hummer gibt's
ebenfalls; in diesem ansonstern äußerst fleischhaltigen Land
stößt man an der Strandpromenade auf mindestens zwei
oder drei flotte Meeresziefer-Gaststätten, denen Frank nur schwer
widerstehen kann. Auf einem weit in den Ozean hineingebauten Landungssteg
befinden sich am schwankenden, von der Brandung umtosten, von
Kormoranen gesäumten Ende weder Poller noch Gummireifen, sondern
ein Gourmet-Tempel namens Jetty Pier, der alles bietet, was dem Ozean
an Schuppen und Flossen zu entnehmen ist, zu nicht
übermäßig gesalzenen Preisen, denn man weilt eben nicht
in Cannes, sondern in Swakopmund. Und weil hier im Südwesten von
Afrika der Weg bis zum nächsten Imam ziemlich weit ist, kann man
sich dazu auch mit Bier, Wein und Schampus nach Herzenslust von der
namibischen Trockenheit kurieren. Afrika für Anfänger, hihihi!

In Sichtweite ihrer Artgenossen werden im Jetty Pier die Garnelen verzehrt
Was die tümelnden Germanen von Swakopmund und dem restlichen
Namibia anbetrifft, wollen wir ihnen kein Unrecht angedeihen lassen.
Nachweislich taten sich diejenigen, die auch nach der
Pickelhauben-Ära im Land verblieben, oft mit den
Einheimischen zusammen, mühten sich um Bildung, Ausbildung (und Taufe)
der Namibier und schafften die schwachsinnigsten
Apartheid-Auswüchse weit früher als in Südafrika
stillschweigend ab. Sogar die Swapo und ihren Kampf um
Unabhängigkeit unterstützten einige der Expats ideell, finanziell und
aktiv - vielleicht aus Idealismus, vielleicht aus
Menschlichkeit, vielleicht aus Überzeugung, vielleicht aus
Antipathie gegenüber den herrschenden Boeren niederländischer
und britischer Herkunft, die nicht einmal ordentlich
Karneval feiern. Wie dem auch sei, die kurzbehosten, hellhäutigen
Namibier deutschen Mutterlauts, die in Swakopmund noch immer ihre
eigene Tageszeitung drucken, leben trotz der leidigen Untaten ihrer
Vorväter in relativ gutem Einvernehmen mit den Nama, Herero und
Ovambo zusammen, die ihrerseits, mit Ausnahme einiger lautstarker
Aktivisten, ihren Frieden mit den Deutschen geschlossen haben und
Touristen inklusive Schnorrer von Franks Kaliber, wenn auch nicht
gerade beim Immigration Office am Airport, doch generell freundlich
willkommen heißen.

Im Karneval verkleide ich mich als Kangaroo....
Mit einem nachträglichen Schrecken fiel Frank jener
barfüßige Wüstenwalk auf der Rostdüne wieder ein, als ein einheimischer
Kundiger, einer der wenigen Einwohner von Swakopmund vermutlich, die
außer ihrer eigenen Sprache kein Deutsch, sondern nur eine Art von Englisch im Repertoire haben,
mit einem simplen Stecken aus dem Dünenmeer, das die Stadt
jenseits der Trockenfluss-Mündung umgibt, jede Menge Getier
herausbohrt. Sandgeckos, Skorpione, Blindschleichen, Erdhörnchen,
Chamäleons und hochgiftige Sandvipern lauern in der unbewohnt
wirkenden Wüste entweder im Sand, vom Sand getarnt oder zwischen
kargen Büscheln nebelsüchtiger Kräuter auf Beute, und
Frank verzichtet fortan darauf, seine Füße unbesneakert
diesen Bestien zum Fraß zu überlassen, denn er hat keine
Lust, seine nächste Reise fußlos anzutrotten. Wahrscheinlich
war der genannte Wüstenspezialist von der namibischen
Schuhindustrie gesponsert.

Chamäleon eilt zum Tarn-Asyl, Sandviper lauert auf Barfüßler
Zwischen Swakopmund und Walvisbay wurde ein Asphaltband durch den
Wandersand geteert. Bei so starkem Ostwind wie heute kannst du den
Dünen beim Wandern zusehen, und wenn man nicht, wie in Rovaniemi
mit dem Schneepflug, hier mit einer Art Sandsauger die wertvolle Piste
permanent räumt, muss man sich nach spätestens einer Woche
eine neue teeren, denn das teure Stück hat sich dann komplett
verdünisiert.
Walvisbay
ist unschwer als die afrikaanse Version der "Walfischbucht" unserer
Ururahnen zu deuten, die Wale für Fische, Garnelen für
Krabben und Indianer für Bewohner Indiens hielten. Dank Ostwind
war das Meer heute nebelfrei, das richtige Wetter für eine
Bootsfahrt in der Bucht. Vielleicht hat ja ein Walvis die Epoche der
kaiserlichen Pickelhauben überlebt.
Wie Frank erfuhr, war die Gegend um Walvisbay von den
südafrikanischen Boeren, die Südwestafrika 1915-19 als
Protektorat besetzten und danach bis 1990 "verwalteten", annektiert
worden und blieb auch nach der Unabhängigkeit Namibias eine
Exklave des Apartheid-Staats. Klar, ein so toller natürlicher
Hafen an der Westküste des Kontinents war den Südafrikanern
den Krumpel mit dem vermeintlich labilen Nachbarland wert. Aber dann
kam vieles anders als erhofft. Die Apartheid implodierte, der
frühere Boerenhäftling Nelson Mandela stieg zum Landesvater
von Azania (heißt heute wieder RSA) auf, und dann dauerte es nur noch wenige Wochen, bis
auch die Exklave von Walvisbay namibisches Territorium wurde.
Mandela hatte genug Mühe, seine kapriziöse Gemahlin Winnie
Madikizela zu bändigen, da konnte er keinen Ärger mit dem
Nachbarn gebrauchen.
Heute ist die Gegend, neben der Fischerhafenstadt Lüderitz im
Süden, Namibias wichtigster Industrie- und Handelshafen.
Dementsprechend duftet Swakopmund am sandigen Strand nach Biarritz und
Sonnencreme, während alles an Schiet und Smeer, Öl und Gift,
das zu einem ordentlichen industrial port gehört, das Wasser
zwischen den Docks und Piers von Walvisbay schwärzt.

Hier beginnt die Tour zum Sekt on the docks
Der (weiße) English speakende
Skipper, der seine
Touristenbütte mit zwei japanischen Formel 1
Außenbordmotoren wie eine Fjordrakete über die sanften
Wellen der durch
eine natürliche Nehrung geschützten Bucht jagte, hat ein
vermutlich Tag für Tag wiederholtes Repertoire an Jokes parat, von
denen Frank einige schon anderswo gehört hatte, die aber selbst
seekranke Neulinge unfehlbar zum Kichern bringen. Ein Beispiel, das
Frank im Gedächtnis haften blieb, weil er es in Papua New Guinea
and Madagascar aus Expatmund schon mehrfach gehört hatte, nur der
veränderten Örtlichkeit angepasst. Käpt'n Witzbold
schenkte Sherry aus und
tönte dazu: "Nach vier oder fünf solcher hochprozentigen
Drinks musst du dir in deinem Land einen suchen, der dich nach Hause
fährt. In Namibia bist in so einem Fall DU der Fahrer, hahahaha."
Hahahaha. In manchen Townships mag es tatsächlich ein
Alkoholproblem geben, aber alle Namibier pauschal zu einer Bande von
Dauersäufern umzuwitzeln, fand Frank nicht sonderlich lustig.
Saufen ist keine namibische Spezialität, sieh dir nur das nächste Foto an. Sicher kennst du so etwas
auch aus deiner näheren Umgebung, und wenn nicht, dann geh mal in
die katholischen Townships von Derry in Nordirland, wenn du
Herden von lebenden Schnapsleichen sehen willst!

Ka ist in der Tat eine Champagner-Liebhaberin
Zu Franks Verwunderung prustete es auf einmal deutlich hörbar
hinter ihm, aber nicht vor Lachen. Im Umdrehen erblickte er noch die
Schwanzflosse eines Wals, der gerade beim Abtauchen war. Dass in die
Walfischbucht tatsächlich Buckelwale zum Plantschen kommen,
hätte er nicht gedacht; es kam ihm vor, als wäre ihm in
Wolfsburg ein Rudel Wölfe oder in Rüsselsheim ein Mammut
begegnet. Noch ein oder zweimal blies der Wal oder einer seiner
Kollegen seinen Springbrunnen in den blauen Himmel und reckte sein
Schwänzchen in die Höh, zum Glück ohne das Bootchen samt
Ka und Frank und Joker mit hochzustemmen, denn Wale haben nicht so
einen schrägen Humor wie der Bafelschiffer. Eine Schar von
Delfinen begleitete aus Spaß am Spielen die abgasspotzende
Schaluppe, bis der Käpt'n Schampus und Austern knackte und
verteilte. Frank mag Austern, aber keinen Sekt, Ka mag Sekt, aber keine
Austern, wunderbar, da bekommt jeder von dem, was er mag, die doppelte
Portion. Für Austern gilt die Faustregel, dass man sie nur in
Monaten, deren Name ein R enthält, roh genießen sollte, aber
heute ist der 2.August. Hier gelten jedoch die Austern-Regeln der
nördlichen Hemisphäre nicht, denn der August ist tiefer
Winter, also Austern-Hochsaison. Obwohl Frank etwa zehn Schalentiere, nur mit Zitrone
beträufelt, ausschlürfte, von etlichen Möven und einem
Pelikan neidvoll beäugt, wurde ihm nicht übler als ihn die
Abgase des Außenborders ohnedies schon gemacht hatten. Die
Austern von Walvisbay und Lüderitz zählen aus kulinarischer
Sicht wohl mit Recht zu den leckersten der Welt. Die Austern selbst sehen
das vielleicht ein wenig anders....

Keine Badegäste am FKK-Strand, sondern Robben, die sich aalen
Austern, Astern, Western und Ostern sind den Robben egal, die sich in
vieltausendköpfigen Kolonien auf dem Sand der Nehrung in der
warmen Nachmittagssonne aalen. Robben, die sich aalen, sieht man
häufig, aber Aale, die irgendwo robben, eher selten. C'est la vie.
Die
speckfeisten Glatzköpfe sind jedenfalls nicht so faul wie die
Wasservögel, die nachdrücklich darum ersuchen, gefüttert
zu werden, sondern plantschen, grunzen, erzählen einander auf
Robbisch Witze und fangen sich ihre Snacks selber. Mit einer Ausnahme.
Diese kam torpedoschnell zu dem in der Dünung dümpelnden Boot geflutscht, auf dem Frank
gerade seine letzte Auster verschlang, und watschelte die Heckleiter
herauf. Mit der Miene eines zahlenden Passagiers der Business Class
ließ sich Imelda Seal grunzend auf dem besten Platz nieder und
verlangte nach ihrem Anteil.
Nu seggt man, ji olle Ossen, hebbt ji keen Buddel Sekt för mi?
Der Skipper zog einen toten Fisch aus
einem Eimer und warf ihn in Richtung der zugestiegenen Fahrgästin,
den die fette Robbe Imelda zwar geschickt auffing, aber dann missmutig
von sich warf.
"Fische hab ich selber, sogar viel frischere als deine
Aldi-Discountware. Ich will Champagner", sagte ihr beredter Blick, aber
da weder Frank noch Ka noch der scherzige Käpt'n oder sonst
irgendwer sich auf einen Deal einließen, sondern das Viech nur
kitzelten und knipsten, rümpfte Imelda ihren Schnurrbart und stieg
nach einer Weile vergrätzt wieder aus. Und der Schiffer drehte
seine Quirle rücksichtslos so rabiat auf, dass Kas Sonnenhut es
dem Pelikan gleichtat, sich elegant in die Lüfte erhob und derzeit
vermutlich auf dem Weg zum Südpol ist, und die anderen Bootpiepels
bei der Rückkehr zur Hafenmole ebenso nass, salzig und
vergrätzt waren wie die Robbenlady Imelda.
Gut, dass gegenüber von Franks Unterkunft in Swakopmund der
Woolworth steht. Aber an Damenhüten hatten sie nichts, was Kas
Ansprüchen genügte, nur strohblonde Panamahüte, die in
Namibia vermutlich einen Migrationshintergrund aufweisen. In
Panamá werden, so viel ich gesehen habe, jedenfalls keine
Namibiahüte verkauft. Aber in einer Mall einige hundert Meter
weiter, in einer Klamotteria, in der nur schwarze Namibier als Kunden
und Verkäufer anzutreffen waren und niemand Deutsch sprach, fand
Ka nicht nur einen chiquen neuen Hut, sondern in der Kinderabteilung
auch einen modischen Pulli mit Kapuze, der ihr wie angegossen passte
und in kalten Morgen- und Abendstunden gute Dienste leistete.