TIBET
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POTALA
Die all das äußerlich gefasst hinnehmen, die am anderen Ende der Stadt wohnenden Tibeter, schieben sich in einem kaum je versiegenden Strom flanierender Leute die etwa 600 m lange Hauptstraße des tibetischen Teils von Lhasa entlang, die einen beuligen Kreis um den heiligsten aller tibetischen Tempel beschreibt, den Jokhang-Tempel. Dieser hat mit dem Potala-Palast nur gemeinsam, dass seine Öffnungszeiten offenbar wohlgehütetes Staatsgeheimnis sind, so dass man vorerst nur über die Leute staunen kann, die sich auf dem engen Vorplatz des Tempels der Länge nach niederwerfen, sich wieder aufrichten, die Hände vor der verschlossenen Pforte falten, sich dann erneut niederwerfen usw., ständig dabei ihr "om mani padme hum" (Heil dem Juwel im Lotos) murmelnd und / oder Gebetsmühlen leiernd; eher wird in diesem Lande ein computergesteuertes, digitales Gebetsmühlenmodell heimisch als dass eine wie auch immer geartete Kulturrevolution diesen Leuten ihren Glauben austreibt.
Fromme Leibesübungen im Vorhof des Jokhang-Tempels |
Die dellige Umlaufbahn um den Jokhang-Tempel ist lückenlos gesäumt von Buden und Ständen eines Dauermarktes. Wir stellen fest, dass es in Tibet-town keinen einzigen Kaufladen gibt; alles, was nur zu erwerben ist, von der Gebetsmühle bis zur Kaffeemühle, vom Armreif bis zum Fahrradschlauch, von der Glühbirne bis zur Butterbirne, alles ist hier auf dem Markte feil. Und die Leute, die auf diesem Kreisel ausschließlich im Uhrzeigersinn rotieren wie ihre Om-mani-Mühlen, sind gleichsam ein lebendes Völkerkundemuseum: Von frechen Rotzbengeln bis zu blinden Bettlern, von dolchbewehrten Fransenschopf-Jünglingen und buntbeschürzten Fransenzopf-Mädelein bis hin zu bärtigen Opas und ledrigen Omas, ganz Tibet kreist hier durch die engen Gassen. Bonzen und Pilger perlen durchs Gewoge, alle naslang wirft sich irgend jemand betend in den Staub, ausländische Touristen fotografieren sich ihren Weg durch die Menge der frommen Leute, die auch dann ungerührt lächeln, wenn ihnen ein langnasiger Ungläubiger in der falschen Richtung entgegenkommt.
Zwischen dem Käse- und dem Gürtelschnallen-Stand traktiert ein Zahnarzt einen geduldigen Patienten und hat sein Sortiment von Brechstangen und anderer grober Gerätschaft in Reichweite auf einem wackligen Holztisch liegen, während gegenüber am Fleischstand der Metzger mit einem Beil aus einem halben Yak, an dem noch der gehörnte Kopf und das schwarzflockige Fell sichtbar sind, für die davor wartenden Kundinnen einige Kilo Schulterfleisch herausoperiert. In den Seitengassen, die gleichermaßen von Ständen und Kunden angefüllt sind, setzt sich der Fressalienmarkt fort: Fladenbrot, Gemüse, und vor allem Yak-Produkte, Yakfett, Yaktalg, Yakbutter, Yakmilch, Yakyoghurt und Yakwolle türmen sich auf. Der einzige Nachteil für uns, die wir in China überall Berge von Obst auf den Märkten vorfanden, ist, dass in den kargen Hochlanden Tibets nur wenig unansehnliches, aber zu saftigen Preisen feilgebotenes Obst gedeiht. Wir finden aber Ersatz: Genießbare Tomaten und, wir trauen unseren Augen kaum, eine Marktfrau, die einen riesigen Sack voller frisch gekochter Kartoffeln, noch heiß, vor sich stehen hat, und uns billig ein wackeres Kilo davon abtritt. Heiße Pellkartoffeln sind auch hervorragend dazu geeignet, Kostproben der tibetischen Yakbutter in des Magens Tiefen zu begleiten, und auch die Butter schmeckt ganz vorzüglich und keineswegs so ranzig wie die Düfte, die Tibets Tempel zu durchwabern pflegen.
Die tibetische Grundausstattung ist auf dem Markt erhältlich |
Da es in Lhasa keine Kaufläden gibt -außer natürlich in den chinesischen Vierteln-, sieht man sich auch vergebens nach Restaurants um, zumindest dann, wenn man so vermessen ist und wissen möchte, was in tibetischen Kochtöpfen blubbert. Wo wir es auch versuchten, es gab nur chinesische Menüs, und wenn wir mal ein Lokal erwischten, in dem auch Tibeter schwelgten, eine ganze Sippschaft, die vergnügt zu uns mutigen Gästen herüberwinkte, so war das einzige, was uns tibetisch vorkam, der kostenlose Tee, eine warmsüßmilchige Brühe, die nicht im Geringsten an Tee erinnert, denn in Tibet kommt in das heiße Wasser ein tüchtiger Klumpen Yakbutter und eine ordentliche Kanne Yakmilch hinein, und was außer Zucker dem Sud sonst noch seine Aromen verleiht, bleibt das Geheimnis der tibetischen Köchinnen. Nur --- ungenießbar fand ich das Getränk durchaus nicht.
Die Jugend von Lhasa besäuft sich an Yakbutter-Tee |
In den tibetischen Vierteln sieht man nur sehr wenige, durch ihre nüchterne Kleidung sogleich auffallende Chinesen. Sie spüren offenbar, dass sie hier nicht sonderlich willkommen sind. Andere Ausländer hingegen streben vorwiegend in die engen tibetischen Gassen und fühlen sich da gut aufgehoben. Hier sind Fremde einerseits noch nicht so alltäglich, dass sie als störend, lästig oder als leicht melkbare Geldspender betrachtet werden, andrerseits aber auch nicht so selten, dass sie beglotzt würden wie ein schlittschuhlaufender Gorilla. Sicher, ab und zu klopft dem Ausländer jemand freundlich auf die Schulter, und wenn er sich umdreht, steht da ein grinsender tibetischer Jüngling mit roten Fransen im Schopf, nickt einen Gruß und geht dann seines Weges. Und wenn man sich mitten im Markttrubel niederlässt und aus dem Rucksack eine funkelnde, aus diversen Linsen und mächtigen Rohren bestehende Profi-Fotoausrüstung auspackt, dann gesellen sich schon einmal einige Schaulustige zu ihm und wollen auch durch den Sucher gucken, und die naseweisen Bengel ruhen nicht, bis der Kameramann ihre feixenden Gesichter deutlich klickend in den Kasten nimmt, aber ein Kreis von schweigenden Gaffern, denen die Neugier aus den weit geöffneten Gesichtspunkten strömt wie im ländlichen China, bildet sich in Lhasa nicht.
Lass mich mal durch die Linse linsen ! |
Wer im Snowland wohnt, der sehnt sich naturgemäß nach einem Bad. Wer sich nicht Tag für Tag in das Hongkonger-Hotel einschleichen will, dem bleibt nur der Lhasa-Fluss als Alternative. Da es in den Sommermonaten zumindest bei schönem Wetter tagsüber recht heiß wird, ist ein viertelstündiger Spaziergang zum Lhasa-Fluss durchaus lohnend. Der Fluss fließt nämlich nicht durch die Stadt, sondern in einiger Entfernung am Südrand des Ortes entlang, und zwar zu unserer Überraschung von vollkommen unbebautem Brach- und Weideland gesäumt. Auch wenn man daran denkt, dass Lhasas Abwässer vermutlich ungereinigt irgendwie im Lhasa-Fluss enden, sieht das schnell dahinströmende Gebirgswasser ziemlich klar aus. 20 Fen Brückenzoll kostet der Gang über einen schwankenden, von Gebetsfahnen gesäumten Hängesteg, der auf eine größere Insel im Lhasa-Fluss führt, und überquert man diese sandige, mit Schilf, niedrigem Buschwerk und allerlei Gräsern bewachsene Insel auf die von Lhasa abgewandte Seite des Flusses, kann man unbekümmert die Hüllen fallen lassen und sich in das kalte, von Himalaya-Gletschern gespeiste Gewässer plumpsen lassen. Um weder darin zu erfrieren noch von der reißenden Strömung in den Brahmaputra und nach Bangla Desh entführt zu werden, muss man freilich mit Händen und Füßen emsig lospaddeln, aber die Erquickung ist fabelhaft.
Wenn die bunten Fahnen wehen... |
Der Potala ist dem Himmel näher als dem irdischen Jammertal; er erhebt sich nahezu unerreichbar auf dem Gipfel des steilen, fast 100 m hohen Felsbergs hoch über dem Staub der Stadt und ist für die Tibeter mehr ein überirdisches Symbol als ein ordinärer Tempel. In der Tat ist der Potala, der Bedeutung seines Namens nach, ein Abbild des heiligen Landes, also dessen, was sich der lamaistische Buddhismus unter dem Nirwana vorstellt. Im 7.Jh. hat ein tibetischer König namens Songzamgambu begonnen, den Felsberg mit einer Burg zu befestigen, bis das Bauwerk unter dem 5. Dalai Lama im Jahre 1645 unter erklecklichen finanziellen Aufwendungen und Strömen von Schweiß der Fronarbeiter in etwa seine heutige Gestalt annahm und mit seinen höchsten Dächern 110 m emporragt.
Der Eingang zu dem imposanten Ding ist erst auf halber Höhe; wem bis dahin vom Treppensteigen schon die Puste wegblieb, der sollte erst mal eine Pause machen, denn nach Passieren des ersten Tores geht es Treppe um Treppe weiter. Ein weiter Innenhof mit schattigen Winkeln bildet das Basislager, auf kleineren Treppenabsätzen auf jedem weiteren erklommenen Stockwerk mag man zum Auskeuchen biwakieren, bevor man zum Sturm auf den Gipfel des Felsberges ansetzt und auf dem Dach des Potala herauskommt, nur noch die güldenen Zierdächer des Tempels, der auf dem Dach thront, vor Augen.
Gleich nach dem Frühstück dem Bau aufs Dach gestiegen....... |
Unter den goldglitzernden Dächern wabert ranzigwarme Luftsuppe, für weitere 50 Fen zu inhalieren. Angesichts dessen aber, was sich da vor den staunenden Blicken des Besuchers an Schmuck, Juwelen, Gold, Brokat und Verzierung auftut, vergisst man garantiert die Talgschwaden. Eine Tempelhalle mit dem üblichen Buddha-Trio auf dem Altar, aber der gesamte Raum ist restlos ausgemalt, ausgeschmückt, ausgeziert, so dass kein leerer Fleck zu sehen ist mit Ausnahme des Fußbodens. Wohin man auch schaut, fackeln in riesigen Talgnäpfen die blakenden Dochte, glänzen die Buddhagesichter und Dämonenfratzen in Gold und Silber, und so setzt es sich Raum für Raum fort.
Das aber war nur der Anfang. Von nun an geht's bergab. Steile Stufen führen in den Bauch des Potala hinab, und in jedem der kaum zählbaren Stockwerke sind etwa vier (von mindestens 20) Türen geöffnet, und hinter jeder tut sich eine andere Wunderwelt auf, Michael Ende hätte es nicht besser erfinden können. Jeder Raum ist eine Tempelhalle, und jede Halle ist anders als die vorige, es gibt enge und weite, helle und dunkle, solche, die milde lächelnde Buddhas, und solche, die grimmig bleckfletschende Dämonen enthalten. Hier steht eine ganz aus Perlen gefertigte, mannshohe Pagode, da reihen sich riesige vergoldete Stupas (buddhistische Reliquienschreine) aneinander, im einen Raum sind die Statuen sämtlicher tibetischer Könige und Prinzen, im anderen der gesamte Kosmos der Bodhisattvas lebensecht nachgebildet. Hier leuchten kostbare Ampeln, dort funzeln Tausende von Talglichtern.
In der buddhistischen Potala-Geisterbahn |
Allen Gemächern ist gemeinsam, dass es kein elektrisches Licht gibt und dass alle Wände, Türbögen und Gesimse prachtvoll bemalt sind. Je tiefer man in das Innere hinabsteigt, desto dämmriger wird es in den Hallen, manche Treppen und winklige Gänge sind völlig unbeleuchtet, man muss sich blind vorantasten. Die unteren Tempel sind wohl in die einstigen Burggemäuer aus dem 7. Jh. eingebaut. Hier wähnt man sich in einem Bergwerk, es sind die reinsten Höhlen, die das Gedärm des Potala bilden, tief in den Felsen des Berges hineingebohrt.
Tibetericks Kommentar: Ein junger Mönch im
Potala-Palast |
In dem fensterlosen Dämmerlicht entfaltet der Potala seine urige Atmosphäre am reinsten, hier sind die wuchtigsten Dämonen, die riesigsten Buddhas, die blakendsten Fettnäpfchen. Aus finsteren Winkeln glühen rote Satansaugen, magisch funkeln die Diamanten zwischen den geschwungenen, halb geöffneten Augenlidern der Bodhisattvas, und wie Fledermäuse hocken die reglosen Bonzen in den dunkelsten Winkeln und halten Wacht, dass keiner der relativ wenigen Touristen der Versuchung erliegt, trotz des strengen Verbotes zu fotografieren.
Die weitaus größte Anzahl der Besucher sind aber Tibeter, die, mit allerlei Gepäck beladen, die steilen Stufen zum Potala schon am Morgen heraufgekraxelt kamen und nun unerschütterlich, unermüdlich ihr "Om mani padme hum" murmeln oder singen, vor jeder Statue in jeder Halle tiefe Verbeugungen vollführen oder sich, wo es die Enge zulässt, auf dem Boden niederwerfen. Dass die Tibeter kein Volk von Millionären sind, ist kein Geheimnis, aber wenn man sieht, dass die Gläubigen nun im Potala jedem größeren Bodhisattva einen Geldschein, und seien es nur 10 Fen, vor die Füße legen, kann man ermessen, was der Glaube diesen Menschen wert ist. Nicht genug damit: Im mitgebrachten Gepäck, das nun aufgeschnürt wird, befinden sich ausschließlich Opfergaben. Das Üblichste ist eine riesige Kanne voller zähflüssigen Yakfettes, mit dem die Pilger Sûtras singend alle Talgschalen, die nicht bis zum Rand gefüllt sind, nachtanken. In einem fast ganz finsteren Gang sind drei Männer am Werkeln. Aus einem großen Sack packt der erste lauter kleine, eierbecherförmige, silbrige Metallgefäße aus und reiht sie, mindestens 100 Stück, auf ein leeres Gesims. Der zweite hat eine große Fettkanne in der Hand und füllt Becher um Becher mit Talg, während der dritte in jedes Gefäß Dochte reindreht und dann die Leuchter entzündet. Selbst wenn diese Pöttchen nicht aus Silber sein sollten, haben die drei für tibetische Verhältnisse ein Vermögen ausgeben müssen für diese Opfergabe. Aber der Clou kommt noch: Einige Zeit später sehen wir dieselben drei Burschen in einer anderen Dunkelkammer wieder, und erneut bringen sie mit 100 Eierbechern Licht in die potalische Finsternis ! So ist eben die Religion: Um ins paradiesische Jenseits zu gelangen, stellen die einen dicke Kerzen in Altötting auf, die anderen hantieren mit Dynamit, um sich und einige Mitmenschen in die Luft zu sprengen, und hier werden eben die Buddhas gefettet und geölt....
Fettnäpfchen, Butterskulpturen und Wandgemälde |
Wir wenigen Ausländer, die in den Eingeweiden des Potala umherstaunen und dabei gewahr werden, dass in diesem mächtigen Bau alle Kunst, alles Geschick, aller Reichtum, alle Tradition, aller Fleiß und alle Inbrunst des tibetischen Volkes kulminieren, sind für die emsigen Gläubigen wohl keine Störenfriede. Ungläubige, gewiss, aber der Buddhismus ist eine tolerante Religion, die niemanden zu seinem Glück zwingt. Wem die Erkenntnis versagt bleibt, der muss halt als Frosch oder Kakerlak noch ein paar Runden unterm Ozonloch drehen, bis er fürs Nirwana reif wird, das ist sein Karma. Geduldig warten die Tibeter, bis sich die Blonden an ihren Buddhas sattgesehen haben; jederzeit haben sie ein liebes Lächeln für die Fremdlinge übrig und sind ansonsten mit ihrem Sûtra-Singen, Rumpfbeugen, Fettgießen, Geldspenden usw. vollauf beschäftigt.
So ging das eine geraume Weile fort, dann machte er eine Pause,
sah uns an und sagte:
"Heute existieren in ganz Tibet nur noch 30 Klöster und
Tempel. Ihr versteht, was ich euch sagen will ?"
Mit traurigen Augen drückte er uns lang und fest die Hände und
flüsterte: "Vergesst uns nicht...."
Buddha-Trio und Talglichter im Potala |
Nach schätzungsweise vierzig bis fünfzig Tempelhöhlen stehen wir unversehens blinzelnd im Hellen und sind nach mancherlei Himmeln und Höllen dort angelangt, wo Gedärme üblicherweise zu enden pflegen: Am Hinterausgang des Potala. Noch benommen von dieser Mischung aus Katakomben, Tempeln und Geisterbahn, die mit Sicherheit weltweit einmalig ist, stellen wir fest, dass es schon Nachmittag geworden ist, als wir den Staub der profanen Welt wieder betreten, und auf dem steinigen Pfad zur Stadt ist das ganze Elend dieses Jammertals greifbar zu besichtigen, denn der Weg ist von unzähligen Bettlern gesäumt, und diejenigen, die am Ende des Weges hocken, kriegen nichts mehr, weil wir bis dahin nur noch 5-Yuan-Noten übrig haben. Wollten wir die auch noch verteilen, dann könnten wir uns gleich mit dazu setzen, da hilft es auch nichts, dass ein Bettelkind wie ein Schraubstock Kazukos Füße umklammert.
Heute tat sich nicht allein das Potala-Nirwana an der Straße der Glückseligkeit für uns auf, sondern es geschahen noch weitere Zeichen und Wunder: Auch der Jokhang hatte seine Pforten geöffnet, endlich, beim dritten Besichtigungsversuch. Wer durch das riesige Portal wutscht, bevor es wieder zu ist, und erwartungsvoll die klobigen Stufen erklimmt, die sich dahinter auftun, gelangt überraschenderweise nicht in das Innere des Heiligtums, sondern in einen weiten Vorhof; der eigentliche Tempel erhebt sich im Zentrum des Hofes. Man kann aber kaum umhin, sich diesen Hof eingehend anzusehen. Wie ein Kreuzgang geht der umlaufende, überdachte Weg an vollständig mit tibetischen Motiven bemalten Wänden entlang, und zwischen den Säulen, die das Dach über dem Kreuzgang stützen, reihen sich ringsumher große, goldfarbige Gebetsmühlen, in Brusthöhe drehbar angebracht. Es müssen nahezu tausend Drehmühlen sein, und einige Gläubige gehen auch hier murmelnd und singsangend den Gang entlang, wobei sie jeden Pott ins Rotieren bringen.
Fest installierte Vorrichtung zum Mahlen von Sûtras |
Das ist nicht nur nützlich fürs Karma, sondern macht auch Spaß, weshalb auch wir dem alten Buddha ein paar Pfund Gebete mahlen, wer weiß, ob es sich nicht in der kommenden Existenz auszahlt ? Fast hätten wir zu lange mit dem Heulebeulerolletollebums gespielt, denn als wir endlich auf den eigentlichen Tempel zusteuerten, hatte ein junger Mönch schon den Türgriff in der Hand, um das Häusel für die nächsten drei Wochen wieder abzuschließen. Mit Mühe flutschten wir ihm durch die abwehrenden Arme und betraten schon wieder einen fettig duftenden Dämmertempel, der indes außer von den unvermeidlichen Talgfunzeln auch durch ein Dachfenster erleuchtet wurde, aus dem ein Strahl der tibetischen Höhensonne direkt auf die drei Riesenbuddhas fiel, die auf gewaltigen goldenen Thronen, in Samt, Seide und Brokat gehüllt, ihre eindrucksvollen, bis zur Decke reichenden Gestalten dem Besucher darboten.
Während der Mönch uns nachstiefelte, um uns doch noch rauszuschmeißen, trottete ein faltiges tibetisches Mütterchen durch die vorübergehend unbewachte Eingangstür und fing an, die Fettnäpfchen mit Talg zu betanken. Da gab der Glatzkopf es auf, machte den Eingang dicht und wartete geduldig, bis das Mütterchen mit dem Näpfchen-Gießen fertig war, und wir hatten derweil Muße, die zahlreichen engen, höhlenartigen Seitenkapellen mit ihren wiederum urigen Figüren zu erwandern.
Ein Lichtstrahl vom Dachfenster fällt direkt auf das Buddha-Gesicht |
Der bedauernswerte Japaner !
Riesenmühle, Zugang zum Jokhang |
Also, ich hätte es noch ein gute Weile hier ausgehalten, aber am späten Nachmittag rumpelte der CAAC-Bus mit uns an Bord in Richtung Flughafen, nach dem Militär-Checkpoint am Ortsausgang durch das weite Tal des Lhasa-Flusses, vorbei am Drepung-Kloster, das wir leider nicht besuchen konnten, vorbei an Dörfern, über deren Häusern bunte Gebetsfahnen flatterten, vorbei an steinigen Feldern und Weiden, auf denen Reiter große Rinderherden vorantrieben, vorbei an Gehöften, wo Frauen in ihrer tibetischen Tracht den kargen Weizen droschen, dass die Spreu nur so flog, während die Schatten der Berge allmählich immer länger wurden. Im letzten Abendschein erreichten wir den Airport, der ganz in chinesischer Hand ist --- und entsprechend ist die Organisation.
Da der Flughafen von Lhasa volle 110 km entfernt ist, müssen die Fluggäste am Abend vor dem Abflug im Terminal erscheinen und im Airport-Hotel nächtigen, um anderntags pünktlich um 10 Uhr abfliegen zu können. In unserem Fall starteten am folgenden Tag zwei Maschinen, eine nach Chengdu und eine nach Beijing. So rollen am Vorabend etwa gleichzeitig sieben Busse am Airport vor und entlassen die Paxe auf einer Art Kasernenhof ins stacheldraht-umzäunte Freie. In einem datterigen Hüttlein mit einem kleinen Fensterchen gibt es offenbar irgendetwas Wichtiges, denn alle Leute reihen sich davor auf, das ergibt eine Schlange von genau 335 Personen. Am Schalter sitzt EINE behäbige Tante. Es handelt sich ums Check-In des Airport-Hotels. 1 Yuan für Chinesen, 4,50 Yuan für Ausländer kostet der Luxus in der klassenlosen chinesischen Gesellschaft. Gegen sieben Uhr, es dunkelt bereits, sind wir dran, und dass die Gulag-Baracken ringsumher mit dem Airport-Hotel identisch sein müssen, darauf sind wir schon gefasst gewesen, denn irgendwelche hotelartigen Bauten waren nirgendwo zu erblicken.
Unsere kahle Gefängsniszelle enthielt nichts außer fünf Pritschen; solcher Luxus ist Ausländern vorbehalten, und wir teilten uns die Suite mit einem Österreicher und einem schwedischen Pärchen. In den für Chinesen vorbehaltenen Räumen werden vermutlich 20 Personen in eine gleichartige Zelle gepfercht. Auf der Suche nach einem Abendmahl folgten wir in der Finsternis den Chinesen, die sich alle auf ein größeres Gebäude zubewegten, doch es stellte sich heraus, dass es kein Restaurant, sondern einen Fernsehapparat enthielt, vor dem sich 327 Chinesen drängelten und Werbespots glotzten. Dem Televisor ist es zu danken, dass die drei kleinen Tische in der winzigen Airport-Kantine für uns und die wenigen anderen Ausländer ausreichten, aber als wir uns trollten und danach die Zähne putzen wollten, gab die Wasserleitung -ein Kran im Freien für je zwei Baracken- keinen Glucks von sich. Man konnten den Kran klopfen, schütteln, streicheln oder auf Chinesisch "ha-lo" hineinrufen, er gab kein Tröpflein zur Antwort.
Fundstück hinter dem Airport-Hotel von Lhasa |
"No water from 8 o'clock", sagte ein gebildet aussehender älterer Herr, augenscheinlich einer der beiden Ausnahme-Chinesen, die nicht vor dem Glotzkasten hockten. Da auch die Toilette ein von Wasser vollkommen unabhängiges, prähistorisches Modell tibetischer Bauart war, spazierten wir fünf Ausländer zum Lagertor, das ein bewaffneter Gardist bewachte. Auf Schwedisch, Deutsch, Japanisch und Österreichisch quatschten wir auf ihn ein, denn Englisch kapierte er nicht, bis er uns das Tor aufschlüsselte und uns ins Freie ließ, wo wir bei der Ankunft einen kleinen Bach erblickt hatten. Mit welcher Sprache wir seine Gunst errungen hatten, weiß ich leider nicht. Außer dem klaren, zum Greifen nahen Sternenhimmel gab es in der mondlosen Nacht freilich keinerlei Beleuchtung. In der totalen, von keinerlei Streulicht erhellten Finsternis konnte ein jeder ungeniert und ungesehen alles fallen und fließen lassen, was ihm beliebte, ohne den giftigen Dämpfen der "Hotel"toilette zu erliegen.
Frühstück gibt's in diesem luxuriösen Airport-Hotel nicht. Wir kramten aus unserem Gepäck, was sich darin noch an Keksen und Nüssen fand, und stellten fest, dass auch beim Check-In nur EIN Mensch für alle Paxe zuständig war, und der nächste Stau bildete sich dann beim Sicherheitscheck, wo ebenfalls nur EIN Beamter seinen Plan erfüllte. Wie es bei der Gepäckaufgabe und bei der Passkontrolle (womit China anerkennt, dass Tibet Ausland ist) weiterging, überlasse ich der Fantasie der verehrten Leser und erspare mir unnötige Wiederholungen. Die Abflugzeit von zehn Uhr war offenbar nur ein Bluff, auf einer Schiefertafel stand mit Kreide hinter unserer Flugnummer 12:05 Uhr, und selbst das erschien mir angesichts der Trödelei ziemlich kühn. Nur zwei Busse bringen die Passagiere zu den Maschinen, und als wir endlich in die Smogsuppe von Chengdu eintauchten, war es Nachmittag. Erst als wir den CAAC-Bus am Eingang des vertrauten Chengdu Fandian verließen, atmeten wir erleichtert auf.