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CHINA 4

drach13

 

XIAN

 

pinsel

 

Auch die Volksbefreiungsarmee stand uns in Taiyuan heute zu Diensten: Kaum waren wir im Bahnhof in das Wartesaal-Gewühl eingetaucht, fischte uns ein junger Soldat, der als Bahnpolizist Dienst hatte, aus dem Gewimmel und führte uns ab in einen separaten Raum, der laut Inschrift an der Tür als Wickelraum für Mütter mit Kleinkind gedacht war und wo wir unbehelligt sitzen konnten. Und als die Schlacht um den Zug begann, wurden wir von zwei lieblichen Bahn-Hostessen zu unserem Schlafwagen-Abteil geleitet. Selbst wenn es sich um die harte Version handelt, sind die Liegen durchaus brauchbar und so billig, dass sich auch die Chinesen drum reißen. Tagsüber räkeln sie sich träge in ihren Sitzen und dösen, aber wenn die müden Ausländer zu Bett gehen, werden sie putzmunter, paffen und quackeln, keifen und kloppen Karten, dass für uns an Schlaf erst weit nach Mitternacht zu denken ist.

 

chinerick

Chinericks Kommentar:

Zwei Ausländer, die nach Taiyuan reinschneien,
die wollen sich brav in die Schlange einreihen.
Schon naht, wie ich seh,
Volksbefreiungsarmee,
um die beiden schnellstmöglich vom Volk zu befreien.

 

Noch bevor die unvermeidlichen Zuglautsprecher zu dudeln und zu quäken beginnen, wird man von dem Radau geweckt, den die Mitreisenden veranstalten, sobald es licht wird. Wer mit asiatischen Gebräuchen vertraut ist, wird wissen, dass Asiaten grundsätzlich gegen Lärm immun sind und auch in einer Dezibel-Disco glatt einschlafen können. Deshalb tun sie sich während der Schlafenszeit auch keinen Zwang an, wer pennen will, der pennt, auch wenn die anderen alle singen.

 

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Imposanter Strom (Huanghe 1985)

Gelber Boden, braunes Rinnsal (Huanghe 2005)

 

Der schlaftrunkene Blick fällt auf einen gelben, träge dahinströmenden Fluss, der dementsprechend auch Huanghe (Gelber Fluss) genannt wird. 1985 war das noch ein Fluss, der heute wegen zügelloser Wasserentnahme für die Landwirtschaft und Industrie zu einem Rinnsal versiegt ist. Während die Kaishui-Lady mit ihrem Kessel reihum die Teetassen füllt und die Erdnussschalen und Melonenkerne frühstückender Fahrgäste zum offenen Fenster hinausfliegen, rumpelt die puffende Dampflok über eine lange Brücke auf das andere Flussufer, zockelt durch sauber angelegte grünende Felder und erreicht wiederum pünktlichst Xian, die Hauptstadt des längst vergangenen alten China.

Der Bahnhof von Xian ist weiträumig, hell und supermodern --- nur leider noch im Rohbau. Die Schuppen und Hütten ringsumher, die derweil das Bahnhofsgebäude vertreten müssen, sind mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Hier kann man nicht mal ausspucken, so dicht gerammelt stehen die Wartenden, Reisenden, Gaffenden, Zusteigenden, Lungernden, Aussteigenden, Taschendiebsenden, Fahrplanverkaufenden.... Mit dem Gepäck rammen wir uns eine Schneise durch die wabernden Bäuche, knuff, es weicht der Vordermann, puff, es öffnet sich ein schmaler Pfad, ramm, die Peanuts-Verkäuferin flieht, und schon haben wir uns aus der Rumpelkammer-Enge durch die Sperre und Gassen auf den weiten Bahnhofsplatz durchgewühlt, der jedoch, die Spucke bleibt uns fast weg, von Menschenmassen ebenso überbrodelt. Eine geschlagene halbe Stunde dauert es, bis wir in dem Bus sitzen, der uns zu dem vielversprechenden Renmin Daxia (Große Volksherberge) dieselt.

 

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Menschenmassen, nicht zu fassen

 

Ché palazzo, diese Herberge! Eine Wuchtbrumme im stalinistischen Baustil, ein Trumm, als sollte hier das Finanzministerium einziehen. Zinnen und Türmchen, und an beiden Seiten je ein achteckiger, restauranthaltiger Schnörkelpavillon. Vor det Janze erstreckt sich ein chinesisches Gärtlein mit Blümelein und runden Brücklein, mit Teichlein und Springbrünnlein, des Nachts illuminiert im Glanze unzähliger Glühbirnlein aller Farben des Regenbogens. Erwartungsvoll stemmt der Reisende seinen Rucksack in das Innere dieses Märchenschlosses, dessen stuckdekorierte Innenhalle widerhallt von englischfranzösischdeutschjapanischen Lauten Logis-suchender Scharen, allein, es fehlt der Hotelier. Gähnende Leere an der Rezeption, vor der eine Italienerin tobt, weil sie dringend zum Flugplatz muss, aber keiner da ist, der ihr Gepäck aus dem Safe befreien könnte. Die Oma am Andenkenladen zuckt die Schultern, das Zimmermädchen ist nur fürs Bettenmachen zuständig, die Kellnerin nur für den Speisesaal, der Liftboy nur für den Aufzug, und die Telefonistin nur für Ferngespräche.

Als die Italienerin einem Herzinfarkt nahe ist, kommt, gute zwanzig Minuten später, ein seimiger Typ aus einem Dienstzimmer geschlendert, holt sich aus der Küche einen Tee und kramt dann mit aufreizender Gelassenheit nach Schreibzeug und Schlüsseln. Ein bleicher Brite in der Ecke, gekleidet in einen blauen Monteur-Anzug mit Ballonmütze und Mao-Anstecker verzieht derart missbilligend seine Nase, dass ihm die Sommersprossen beinahe abzubröseln drohen; so hatte er sich die Umsetzung der Maozedong-Ideen und das berühmte "Wei renmin fuwu --- dem Volke dienen" offenbar nicht vorgestellt.

 

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Außen hui, innen kakerlikak, das Renmin Daxia

 

Der Prunkbau hier ist nur für Gruppenreisende. Individualtouristen müssen mit dem unscheinbaren Hinterhaus vorlieb nehmen, in dem man für 74 Yuan ganze Suiten, zwei Doppelzimmer mit gemeinsamem Bad, mieten kann, und das teilen wir uns mit dem deutschen Pärchen, das uns seit Taiyuan anhänglich folgt, weil wir mit der chinesischen Schrift wenig Probleme haben. Da sich, als unser Gepäck schwer auf das Bett plumpste, eine ganze Sippschaft Kakerlaken aus selbigem erschrocken davon machte und in vermeintlich sicherere Ritzen flüchtete, hüllten wir den gesamten Palais in eine Wolke Chemie, kehrten der Bettenburg den Rücken und erwanderten uns erst mal ein örtliches Restaurant, in dem alle Platten, die wir aus der ansehnlichen Speisekarte herausrieten, artige Volltreffer waren. Unsere beiden Begleiter malten eifrig chinesische Schriftzeichen ab, um in Zukunft selbständig zwischen Muscheln und Kutteln, Fisch und Knoblauch, Bambus und Reisschnaps unterscheiden zu können.

Im Hotel beäugten wir unsere Beute: Chinesische Kakerlaken sind chemische Keulen offensichtlich wenig gewöhnt und streckten, kakerlikak, massenhaft die Fühler von sich. Als Denkmal für das Dienstpersonal kehrten wir die ganze Strecke zu einem malerischen Häuflein vor der Tür zusammen. Angesichts der Abenteuer im Binguan zu Datong und der blinden Passagiere aus Kakerlakistan in Xian stellten wir seufzend fest, dass China noch einen langen Marsch zu einem ordentlichen Reiseland vor sich hat; was würde uns in den kommenden Wochen noch alles erwarten?

Fast die gesamte Stadt Xian liegt innerhalb einer trutzigen, nahezu komplett erhaltenen Stadtmauer, die in etwa der Umfriedung des einstigen Kaiserpalastes entspricht. Wo heute ganz Xian unterkommt, hauste im Mittelalter nur der Genosse Kaiser samt Gesinde. Aber damals lebten wahrscheinlich in ganz China nur so viele Leute wie wir heute am Bahnhof erlebt hatten. Von Japan bin ich ja einiges gewöhnt, aber die Volksmassen in China, das schließlich nicht so ein pieseliges Archipel ist wie Nippon, stellen alles bisher Geschaute in den Schatten. Das sterbliche Volk lebte jedenfalls zu Kaisers Zeiten draußen vor den Toren, wo bis heute noch ein Flecken den stolzen alten Hauptstadtnamen Chang'an führt.

 

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Kleine und große Gänsepagode

 

Von Kaisers ist in Xian heute nicht mehr viel zu sehen; man begnüge sich mit der Großen und Kleinen Gänsepagode, beide in hübschen Parks gelegen. Die Kleine ist eleganter, wenngleich ihr Obergeschoss im Laufe der Geschichte abhanden gekommen ist und auf dem verbliebenen Rest ein Wald von Unkraut wuchert. Die Große ist zwar noch komplett, aber ein eher ungeschlachtes, plumpes Modell.

Sehenswert ist auch noch der Xingqing-Park, für 4 Fen zu betreten; ausländische Gäste müssen das fünffache zahlen. Na schön, 20 Fen belasten unsere Kasse nicht wirklich, aber ich will doch mal ausprobieren, wie weit meine Übungen in chinesischer Dreistigkeit gediehen sind. Wie ein echter Chinese krieche ich also mit dem halben Oberkörper durch das Ticketschalterfenster, recke den Arm tief ins Innere rein und klopfe energisch auf den Block mit den Tickets zu 4 Fen, woraufhin die Tante schließlich genervt mit einem ergebenen, milden Lächeln und angedeutetem Seufzer das volkseigene Billigticket herausrückt. Hurra, ein Sieg des Kapitalismus, 8 Cent gespart! Du weißt ja, wegen 2 Cent Ersparnis pro Liter fahren manche Autofahrer von Köln bis nach Holland zum Tanken.

Also nicht dass du jetzt meinst, wir seien wegen der 8 Cent nach Xian gefahren. Weil unsere beiden Mitesser freundlicherweise für uns die Bahntickets für das nächste Reiseziel mitbesorgt hatten, blieb uns noch Zeit, gemeinsam einen Ausflug zu unternehmen. Außerhalb gibt's nämlich mehr und Besseres zu sehen als in Xian selbst. Nahe dem Örtchen Lindong, wo man den Bus wechseln muss und sich nicht von den Taxifahrern belabern lassen darf, wenn sie flunkern, der nächste Anschlussbus käme erst in einer Stunde (der fährt alle 10 Minuten), ist ein Hügel, der sich inmitten der Landwirtschaft erhebt und das Grabmal von Qin Shihuang, dem Ersten Kaiser der Qin-Dynastie (221-207), bedeckt. Diesem Kaiser war es gelungen, sämtliche Warlords des alten China unter seine Fuchtel zu bekommen, und daher gilt er als der Begründer des ersten geeinten chinesischen Reiches. Sein Grab hatte er schon zu Lebzeiten buddeln lassen, und weil er sich noch nicht allzu bald dorthinein zu betten geruhte, bastelten die Bauunternehmer auf seine Kosten ---besser als arbeitslos--- immer weiter daran herum, bis so ein enormes Dingsbums draus geworden war. 1970 bohrte ein Bäuerchen mehr als einen Kilometer weiter östlich ein Loch in seinem Garten, das ein Brunnen werden sollte, aber heraus kam weder Wasser noch Erdöl, sondern ein würdevoll dreinblickender Kopf aus Ton. Bald schürften professionelle Archäologen weiter und legten eine ganze Armada von lebensgroßen Tonfiguren frei, Bogenschützen, Reiter, Rosse und Wagen, 6000 Figuren sind es bisher, frisch wie neu gebacken, die größte archäologische Sensation im China der Neuzeit.

 

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Die tonlose Ton-Armee

 

Die Grabungen sind heute eingestellt, obwohl nur ein Teil des riesigen Heeres freigelegt ist. Andere Figuren stecken noch bis zum Nabel im Löß, weitere liegen umgefallen und zerbröselt wie nach verlorener Schlacht, und kein Mensch weiß, was da noch alles im Boden steckt. An zwei weiteren, davon weit entfernten Stellen hat man probeweise ein bisschen herumgepuhlt, aber dann erschrocken die Löcher wieder zugeschüttet: Überall waren die Archäologen fündig geworden, der ganze Untergrund steckt offenbar voller Tonriesen, die mehr als 2000 Jahre alt sind --- wer aber zahlt die Grabungen, wer die Erhaltung der Funde in einem noch immer armen Land wie China?

Die freigelegte Stelle ist jetzt überdacht und für Besucher aus aller Welt eine erstrangige Attraktion. Die Bauern in der Umgebung dürfen weiterhin unbehelligt ihre Äcker bestellen, in dem Bewusstsein, dass unter ihnen eine riesige Armee Wache hält --- nur Brunnen bohren dürfen sie nicht.

 

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Das Yang Guifei-Bad Huaqingchi, ein Juwel altchinesischer Architektur

 

Auch das Thermalbad Huaqingchi in Lindong ist historisches Gelände, denn hier suhlten sich Kaiser und Höflinge der Tang-Zeit (618-906). Auch wir fühlen uns heute, dem wohl heißesten Tag bisher, zu einem Bad aufgelegt, zahlen die 45 Fen Eintritt und verschwinden nach der üblichen Wartezeit ---einsam ist es in China gewiss nirgendwo--- in kargen Einzelzellen, in denen man sich von dem gleichen heißen Nass berieseln lassen kann wie einst Kaiser und Konkubinen. Auch die legendäre Yang Guifei, die berühmteste Schönheit Asiens, hat hier angeblich ihren Rosenpopo benetzt, und staunende Gläubige bewundern noch heute ihre güldene Badewanne in einer der knallrot getünchten Hallen. Ursprünglich war sie die Gattin des Prinzen Shou, doch dessen Papa, Kaiser Xuanzong, war von der Schwiegertochter so hingerissen, dass er sie seinem Filius ausspannte und das Mädel dermaßen verwöhnte, dass er darob glatt das Regieren vergaß. Dies nahm ihm der Hofstaat krumm; ein Kaiser, der seine gesamte Apanage dazu einsetzt, um seiner Liebsten auch im Winter täglich frische Lychees vorzusetzen anstatt ordentlich Kriege zu führen --- kein Wunder, dass eine Rebellion ausbrach und die schöne junge Guifei vor den Augen ihres Liebhabers aufgeknüpft wurde, bevor die kaiserliche Hofgarde zu Hilfe eilen konnte. Der einzige Trost für den entmachteten Kaiser war, dass kein Geringerer als Bo Juyi, Chinas Goethe, die tragische Romanze unter dem Titel "Lied des ewigen Kummers" der Nachwelt als Epos erhalten hat.

 

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Yang Guifei nach dem Bad

 

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Chinericks Kommentar:

In Huaqing fragten Touristen die Leute:
"Warum sind rot hier alle Gebäude?"
"Yang Guifei im Bade,
jung, schön, weiß wie Jade,
die Bauten erröteten züchtig bis heute!"

 

Anderem Kummer konnten wir glücklicherweise abhelfen. Ein halbes Dutzend Hongkong-Girls, den Tränen nah, kam auf uns Fremdlinge zugeschossen. Auf Englisch sprudelte es hervor, dass der hiesige Dialekt eine Verständigung auf Chinesisch unmöglich mache (Anmerkung des Autors: in Wahrheit lag es wohl eher an dem echt schauderhaften Hongkong-Chinesisch) und kein Mensch Englisch könne - wo geht please der Bus zurück nach Xian? Nun, mit dem waren wir gekommen, und mit dem fuhren wir auch wieder heim, und erleichtert kicherten und keckerten die Hongkong-Mädels bis zur Ankunft in Xian.

Da es im Sozialismus nicht darauf ankommt, möglichst viele Gäste zufrieden zu stellen, ist den Chinesen eine belegschaftsfreundliche Arbeitszeit wichtiger. Um 17 Uhr machen die Restaurants auf, und spätestens um halb neun ist die Kelle wieder im Spind; Einlassschluss ist um Viertel vor acht. Wer so spät kommt wie heute wir, der braucht als Vorspeise eine Portion Glück. Wir versuchen's im Xian-Restaurant, erster Stock: Chinesische Küche, aber "mei you", nichts mehr da. Zweiter Stock: Western food, da gehn wir erst gar nicht rein. Dritter Stock: Canting, eine Art Kantine, noch Licht an, Kellner traben fleißig umher. Wir hocken uns hungrig nieder, aber die Kellnerin guckt auf ihre volkseigene Armbanduhr und flötet bedauernd "mei you". Vierter Stock: Snacks und Disco, aus der uralte Beatles-Songs ertönen. Hat noch auf, aber nur noch Getränke und Tanz. Ungenießbar. Also wieder runter, zum Western food, und da geschehen die Zeichen und Wunder. Die Tante kommt getappst, in der Hand einen Papierblock, aber sie nimmt nicht wie erhofft die Bestellung auf, sondern legt das Dokument wortlos auf den Tisch.

"Today finished" steht da drauf, argwöhne ich, aber weit gefehlt: Es ist eine handschriftlich auf Englisch verfasste Speisekarte! Wir sind gerettet, und der Gag: Nix Western food, alles Chop suey, Reis und Stäbchen....

 

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So sieht "Western food" in Xian aus!

 

"Wie habt ihr es eigentlich fertig gebracht, in dem Labyrinth und Menschenbrodel am Bahnhof in nur zwei Stunden unsere Bahntickets, und auch noch in der Volkswährung RMB, zu beschaffen?"
"Och, hier blickt doch ohnehin keiner durch. Wir sind einfach schnurstracks ins erstbeste Dienstzimmer reingeplatzt und den Bediensteten so auf die Nerven gegangen, dass sie uns auf dem Dienstweg ins Kartenbüro gelotst haben, von hinten rein, wo wir sofort bedient wurden."

Eine etwas ungewöhnliche Art des Bahnticket-Kaufs, aber offenbar ganz effektiv. So weit, so gut. Aber damit sind noch nicht alle Probleme gelöst. Das waren nämlich Hartsitzer-Tickets, aber unser nächstes Ziel, Jiayuguan, liegt in der Provinz Gansu, und das sind zwei Tagereisen quer durch China. Nichts gegen die volkseigenen Hartsitze, da sind wir uns nicht zu schade dafür, aber zwei Tage und zwei Nächte lang? Wir brauchen Liegen, meinetwegen auch harte!

In dem Durcheinander vor der Bahnhofsbaustelle von Xian hat man auf einen Ausländerschalter verzichtet. So stellen wir uns in der Menschensuppe an, jeder in einer anderen Gafferschlange, machen Augen, Nasen und Ohren zu, um von Tobakqualm, Rotzgeräuschen und stieren Blicken so wenig wie möglich zu inhalieren, und nach 40 Minuten Warten in der Mittagsglut, der Schalter ist in Sichtweite gerückt, fällt dort eine Klappe runter und ein Schild mit der Inschrift "Mittagspause bis 14:30" erscheint.
"Ist das ein Mao-Spruch?", fragt einer der ausländischen Gefährten, der in chinesischen Schriftzeichen nicht allzu bewandert ist.
"Vermutlich ja", antworte ich mit Ingrimm.

 
mao
In den Buchläden lebt er noch...

 

Am Nachmittag erneutes Anstehen, und als wir wieder in Reichweite des Schalters gelangen, löst sich die Schlange auf. "Mei you", sagt mein freundlicher Vordermann schulterzuckend, "die Liegen sind ausverkauft."

Sozialismus, so scheint mir, ist eine für Westler gewöhnungsbedürftige Lebensart. Vielleicht klappt ja das Nachlösen im Zug.

"Kein Problem", tröstet mich der gesprächige Herr aus der Warteschlange. "Ausländische Gäste werden vom Zugpersonal bevorzugt behandelt."

Aus dem Gewoge auf dem Bahnhofsvorplatz, wo sich die Myriaden tummeln (der Schiller mit seinen "umschlungenen Millionen" war noch reichlich naiv), tauchen ab und zu Bettler auf und lassen sich von den Reisenden Geldscheine in die schwarzen Pfoten drücken, Einäugige, Lahme und Verstümmelte, die sich für jeden Fen (Geldscheine gibt es ab 1 Fen!) bis zum Boden verneigen --- der Sozialismus hat noch allerhand zu tun. Ausländer sind außer uns nicht zu sehen, weshalb sich eine neugierige Schar um uns versammelt, die minütlich wächst, obwohl eigentlich niemand von uns Feuer speien kann oder über sonstige sehenswerte Fähigkeiten verfügt.

 

gaffer

Drei Langnasen!!!! --- das muss man sich mal anschauen!

 

Die Rettung naht, aber diesmal nicht durch die Volksbefreiungsarmee, sondern durch zwei kurzbehoste, fremdländische Rucksacktypen deutscher Zunge, von denen einer mindestens zwei Meter groß ist. So einen menschlichen Turm, den muss man sich von Nahem ansehen! Und schon verlässt uns auch der letzte treue Fan....

 

tanz20

 

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