CHINA 1
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BEIJING | ![]() |
Die Verbotene Stadt
Beijing, Juli 1985, 5:00 h früh, am Tiananmen-Platz. Der Osten ist
rot,
denn es geht gerade die Sonne auf. Der permanente
Sommer-Smogdunst lässt den weiten Platz vor dem Tor des
Himmlischen Friedens (Tiananmen) in rötlichem Schein erwachen,
als habe es Mao, der von dem
mehr als 50 qm großen
Portrait am Tiananmen herabgrinst, eigens so befohlen. Rund um
den Platz erstreckt sich ein fast lückenloser Zaun aus
abgestellten Fahrrädern, deren Besitzer sich, lange Schatten
werfend, auf dem weiten Platz zu ihrer Morgengymnastik verrenken
oder mit unsichtbaren Schwertern gegen unsichtbare Drachen oder
Parteibonzen fechten.
Die
Hauptverkehrszeit beginnt. Die riesigen Gelenkbusse, die schon ab
6:00 Uhr verkehren, quellen über, an den Haltestellen bilden
sich dichte Menschenpulks, und trotzdem scheint die Mehrzahl der
Werktätigen mit dem eigenen Verkehrsmittel dem Arbeitsplatz
zuzustreben: Ein Meer von Radfahrern! Der Platz selbst, für
den
Verkehr gesperrt, ist in seiner Weite nahezu menschenleer. Wo
gerade die letzten Gymnasten davongeradelt sind, werden hier und
da kleine Tische und große Sonnenschirme errichtet -
wofür wohl?
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Das Tiananmen, von der Platzmitte aus |
Am gleichen Ort, 10:00 h Vormittag. Der Platz ist wieder von Menschen übersät, die Sommersonne lässt den betonierten Boden, auf dem mit weißer Farbe die Markierungen für die Aufmärsche und Paraden zum 1. Mai oder zum Nationalfeiertag im Oktober aufgemalt sind, in der Hitze flimmern. Unter den Sonnenschirmen haben die Tiananmen-Fotografen ihren Arbeitsplatz und bannen Arbeiter, Bauern, Soldaten, Liebespaare und Rentner, aber keinesfalls die unauffälligen Herren von der Staatssicherheit auf die Platte. Die Fotografen sind die einzigen Pekinesen; die Fotografierten sind durchweg Besucher aus allen Teilen des weiten Reiches.
Am gleichen Ort, 12:00 h Mittag. "Dongfang hong, der Osten ist rot", so tönt ein ausgeleiertes Glockenspiel vom nahen Hauptbahnhof und verkündet die Mittagsstunde. Mittags ist der Osten allerdings nicht mal mehr rosa. Den südlichen Abschluss des Tiananmen-Platzes bildet das Qianmen, das "Vor-Tor", das zu Kaisers Zeiten den äußersten, erlaubten Zugang zu der Verbotenen Stadt kennzeichnete, ein wuchtiges, festungsartiges Stadttor, aber mit sacht geschwungenen, frisch renovierten Dächern, um das jetzt der Verkehr braust und hinter dem die Busse von Marco Polo Travels und Golden Dragon Tours parken. Nördlich davon das Maosoleum, und dazwischen der Obelisk des Denkmals für die Helden des Befreiungskampfes, mit einer Kalligraphie von Mao Zedong auf der Vorder- und einem entsprechenden Wort von Zhou Enlai auf der Rückseite.
Am gleichen Ort, 15:00 h Nachmittag. Jetzt lebt der Platz am intensivsten. Ohne Unterbrechung posieren Leute vor dem Heldendenkmal und fotografieren sich gegenseitig mit ihren klobigen Volkskameras. Jede Menge Soldaten in Uniform, aber das sind Wehrpflichtige auf Urlaub, die ebenfalls ein Foto für die Verwandten in Guilin oder Heilongjiang schießen wollen. Einer von ihnen drückt mir seine urzeitliche Holzkamera in die Hand, auf dass ich ihn samt seinen Kameraden, die sich vor dem Mausoleum des Großen Steuermanns schon zum Gruppenbild aufgebaut haben, ablichte, ein Papa ruht nicht, bis er sein einziges Töchterlein vor sämtlichen Sehenswürdigkeiten verewigt hat und der Schwarzweißfilm zu Ende ist. Dann reiht er sich ein in die Schlange vor dem Sonnenschirm, unter dem ambulant entwickelt wird, und junge Pärchen begucken sich die noch nassen Negative, die sie dann, an einer Wäscheklammer befestigt, zum Trocknen spazieren schwenken. |
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Souveräner
Umgang mit Hightech bei der Volksbefreiungsarmee |
Am gleichen Ort, 18:00 h Abend. Die Hauptverkehrszeit in der Gegenrichtung: Wieder fast berstende Riesenbusse und das Radlermeer, dazu Taxis, Lastwagen, Jeeps, Mopeds, Fahrradrikschas und Lastfahrräder ohne Zahl, den Hotels zustrebende Luxusbusse voller Blondköpfe, alles umbrandet den weiten Platz, der sich wie eine Insel aus dem Verkehrsbrodel erhebt. Am Abend kühlt die Hitze kaum ab, die Wohnungen sind eng und heiß, die Kinos voll besetzt; jetzt beginnt sich der Platz mit Spaziergängern zu füllen, und die abgeräumten Stände der Fotografen nehmen nun die Entertainer ein, Zauberkünstler, Geschichtenerzähler, Schlangenbändiger, um die sich sogleich ein dichter Ring von Zuschauern und -hörern bildet.
Am gleichen Ort, 22:00 h Abend. Die Kinos sind aus, die Restaurants schließen, der letze Bus ist von dannen geröhrt, aber der Platz lebt noch immer. Bis auf das angestrahlte Denkmal und das Staatswappen am Tiananmen ist der Platz finster, nur wenige Kandelaber funzeln schwach am äußersten Rand. In der Dunkelheit wispert's und flüstert's, überall sind Fahrräder geparkt, neben denen dunkle Schatten hocken. Verschwörung? Samisdat? Schwarzmarkt? Konterrevolution? Ein paar Schritte näher, und die Schatten teilen sich in zweie: Auch in Beijing mögen es die Liebespärchen nicht, gestört zu werden. Der größte Platz in Asien, voll besetzt mit turtelnden Pärchen.... Plötzlich aber kommt Bewegung in die küssenden Massen, ein Sog entsteht zur anderen Seite des Platzes, wo ein mehr als 20 m langer Lindwurm mit mächtigem Drachenkopf aufsteigt, die Augen aus blinkenden Glühbirnchen, der lange Schwanz aus lichtreflektierendem Silberpapier. Die Pärchen vergessen die Küsse, die Touristen lassen die Kameras sinken und stimmen ein in den Chor der Ahs und Ohs, die den Ritt des selbstgebastelten Monsters samt Glühaugen und Glimmerschwanz in den schwarzen Nachthimmel begleiten. |
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Das Staatswappen am Tiananmen zeigt --- das Tiananmen ! |
Kein Zweifel, hier
schlägt das Herz des heutigen Beijing, des gesamten
chinesischen
Reiches. In ganz China singen die Schulkinder "Wir lieben
das Tiananmen", und überall, ob in Gansu oder Sichuan,
werde ich gefragt, ob ich auch in Beijing gewesen sei, dem
Zentrum des Reiches, das alle Chinesen einmal mit eigenen Augen
erblicken möchten, und wenn ich antworte, dass Beijing eine
großartige Stadt sei, dann ist das keine Schmeichelei,
sondern
Erinnerung an den Tiananmen-Platz, den die Soldaten betreten, um
sich fotografieren zu lassen, die Einheimischen, um Drachen
steigen zu lassen, und die Liebespärchen, um sich
ungestört zu
küssen.
Damals war es wirklich ein Platz des Himmlischen Friedens, und niemand konnte sich auch nur vorstellen, dass genau vier Jahre später der "Himmlische Frieden" von der Partei anders definiert werden und dort wieder einmal Blut fließen würde. |
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Kapitalisten, Schnorrer und Fellzecken dürfen nur bis hierher |
Beijing ist
wirklich eine großartige Stadt. Gewiss, die
Außenbezirke stehen
voller steriler Wohnsilos, im sozialistischen Einheitsbetonstil
hochgezogen, die Wohnungen wirken ärmlich, schon verkommen,
auch
wenn sie fast noch neu sind, aber das ist in Manila und Ulaan Baatar
kaum anders. Aber Beijing ist auch eine alte Kaiserstadt,
Hauptstadt --mit Unterbrechungen-- seit dem 13.Jahrhundert, und
nicht alles haben die Roten Garden kurz und klein getrümmert.
Die Stadt ist platt wie ein Pfannkuchen, sämtliche
Hüppel sind
künstlich angelegte Auflockerungen kaiserlicher
Gärten. Die
Boulevards sind weiter und breiter als in sämtlichen bisher
erblickten Städten, glatt doppelt so breit wie die
Champs-Elysées. Ein praktisches Netz von Gelenk- und
Trolleybussen und einer neuen U-Bahnlinie macht Taxis
entbehrlich, falls man wie der Frank gewillt ist, sich mit den
Chinesen gemein zu machen und sich in die überfüllten
öffentlichen Verkehrsmittel zu zwängen. Die
Fahrpreise sind
lächerlich gering: Bis zu 3 Stationen 5 fen, bis zu 6
Stationen
10 fen usw., und der Wechselkurs lag damals bei ziemlich genau
200 Yuan für 100 Euro, so dass eine Busfahrt selten mehr als 5
cents kostete, denn 6 Stationen Bus, das sind in Beijing knapp 10
km Fahrt, so weitläufig ist die Stadt, so groß sind
die
Entfernungen und so weit die Stationen voneinander entfernt. Den
Buslinienplan findet man im Stadtplan verzeichnet, der zu einem
ähnlich geringen Betrag in jedem Buchladen erhältlich
ist, und
schon kann man auf eigene Faust durch Beijing stromern. Es gibt
auch eine Anzahl von Rent-a-bike-Geschäften, wo man sich einen
Drahtesel mieten kann, aber dafür muss man früher
aufstehen,
denn um halb neun sind alle fahrbaren Untersätze vergeben und
im
städtischen Gewühl untergetaucht, mit einer
fröhlich
pfeifenden Langnase auf dem Sattel.
Dass China für westliche Individualreisende zugänglich wurde, ist eine noch recht neue Entwicklung. 1980 begannen unter der Devise, Devisen durch Tourismus zu beschaffen, erste zaghafte Öffnungsversuche, aber noch bevorzugte man die leichter kontrollierbaren Reisegruppen. In den folgenden Jahren aber wurden die Löcher im Bambusvorhang größer, bis der Ansturm der Rucksack-Piepel und Fellzecken-Schnorrer vom Schlage des Frank Eschersheimer nicht mehr aufzuhalten war und China alle größeren Städte und touristischen Ziele bedingungslos freigab. Eine weitere Anzahl von potenziellen Reisezielen wurde "bedingt" geöffnet, wobei der Hauptgrund dafür, das Reich nicht bis auf einige militärische Sperrzonen vollständig freizugeben, der Mangel an Hotelbetten war. Wer sich jedenfalls unbefugt in "nicht offenen" Landesteilen antreffen ließ, riskierte ein saftiges Bußgeld und die kostenpflichtige Rückbeförderung in die nächste geöffnete Stadt. Zum Betreten der "bedingt" geöffneten Gebiete genügt es aber, sich auf einer Polizeistelle für 1 Yuan Gebühr eine Reiseerlaubnis ausstellen zu lassen, was anfangs noch begründet werden musste und überprüft wurde, inzwischen aber zu einer reinen Formalität geworden ist. In der Regel wird jeder Antrag auch ohne Begründung umgehend genehmigt. |
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Gelbe Dachziegel sind Kennzeichen der Verbotenen Stadt |
Eine Besonderheit chinesischer Erfindungsgabe ist die Geldwechselei, ein Relikt aus der Zeit, als China nur für Gruppenreisende zugänglich war. Wer Fremdwährungen in Yuan umtauscht, bekommt dafür nämlich FECs (Foreign Exchange Certificates), die zwar auf Yuan lauten, aber zum Einkauf in den aus der DDR bekannten Intershops (Youyi shangdian) berechtigen, die den Gruppentouristen Pschorr-Bräu und ausgestopfte Tiger, Kodak-Filme und porzellanene Spucknäpfe aus der Sung-Zeit feilbieten, aber auch für Chinesen, sofern sie FEC-Besitzer sind, so heiß begehrte Artikel wie Fernseh-Apparate, Nähmaschinen und Fahrräder vorrätig halten. Und deswegen trappst der Rucksack-Reisende zum nächsten Schwarzmarkt und tauscht seine FECs um in Renminbi (RMB), das Kleingeld der Arbeiterbauernsoldaten, für die er nämlich im Überlandbus, auf dem Wochenmarkt und im Dorfgasthaus genauso gut versorgt wird. Und schließlich weiß Frank, der bourgeoise Parasit und Schnorrer-Häuptling, dass er für 100 Yuan FEC glatt 170 Yuan RMB bekommt, und schon kostet ihn das 5 cent-Busticket fast nur noch die Hälfte, billiger geht's wirklich nicht.
Na schön, in Beijing hat man solche Sorgen nicht. Da kann man sich wirklich überall frei bewegen, kein unauffälliger Typ trappst dir hinterdrein. Und die Leute, in flotte Sommermoden gekleidet, finden nichts dabei, den westlichen Eindringling auch mal anzuquatschen, um ihr Englisch zu praktizieren. Vor zwei Jahren noch war Chinesen jeder private Kontakt mit Ausländern streng verboten, und die jungen Damen mit Dauerwelle und Sommerkleid, die hier die riesigen Gelenkbusse sicher durch den endlosen Zweiräder-Ozean steuern, die steckten vor zwei Jahren noch in blauem Zwillich oder in olivgrünen Pluderhosen. Also, wer blaue Ameisen sucht, der muss aufs Land oder ins Exotarium im Zoo gehen. |
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Lotosblüte und chinesische Kalligraphie |
Aber zurück zum Himmlischen Frieden. So wie der Tiananmen-Platz das Herz der heutigen Stadt Beijing ist, so war dunnemals die Verbotene Stadt das Herz des historischen, kaiserlichen Peking. Die gesamte Anlage ist eine architektonische Einheit von der Größe des Vatikanstaates. Der weite Platz bildet die Vorhalle, wo sich auch früher schon das Volk tummeln durfte und die Gesandten aus fremden Reichen begaffte, die dem Sohn des Himmels ihren Tribut darbrachten. Der Durchgang durchs Tiananmen, dem einzigen öffentlichen Ort, an dem heute noch ein Mao-Portrait hängt, wird von zwei mächtigen, Tag und Nacht geöffneten Türflügeln aus massiven, eisenbeschlagenen Holzbohlen flankiert und führt zu einem kleineren Platz, auf dem einst die Palastwache die Besucher kontrollierte und das Volk fern hielt, das heute demonstrativ daselbst picknickt, Eis lutscht oder gar Korbball spielt. Ständer mit Basketball-Körben sind fest installiert. Die nächste, rot getünchte Mauer, das nächste, mit gelben Ziegeln gedeckte Tor... --- man kommt sich vor wie in Kafkas Schloss: Das Wumen, das Tor des Mittags, ist der Zugang zum Palastinnern, denn mittags steht die Sonne fast senkrecht am Himmel direkt über dem Kaiserpalast und beglänzt den Himmelssohn und seine 3000 Konkubinen. Wer es einstmals wagte, dieses Tor unbefugt zu durchschreiten, den kostete dieser Frevel das Leben; heute kostet es nur noch 10 fen, und das Volk drängt sich in einer langen, langen, langen Schlange vor dem einzigen Ticketschalter. Das heißt, vor dem einzigen für das Volk zuständigen Ticketschalter. Es gibt nämlich noch einen Schalter, auf dem in fremdländischen Hieroglyphen dran steht: "Foreign guests 3,00 Yuan". Jetzt kannst du 90 Minuten lang Schlange stehen und für 10 fen RMB reinkommen, oder du zahlst 3,00 Y in FEC und kommst mit einem hochglanzbunten, in Englisch bedruckten VIP-Ticket sofort rein. Aber die Verbotene Stadt ist eines der modernen Weltwunder und lohnt eine Reise nach China, da wären auch 30 Yuan noch billig. |
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Gassen und Tore im Nordteil der Verbotenen Stadt |
Bei ihrer Flucht vor den Kommunisten packten die Guomindang-Truppen alles ein, was nicht niet- und nagelfest war, um es vor den roten Horden zu retten, und schleppten es mit nach Taiwan. Das wertvollste Stück, die Verbotene Stadt und ihre Paläste, passte zum Glück nicht in die Rucksäcke und blieb daher in Beijing. Während der Kulturrevolution zerdepperten die roten Horden in der Tat unzählige Antiquitäten, die Verbotene Stadt aber blieb verschlossen, und was noch an Kulturschätzen dort verblieben war, überdauerte die Wirren unbeschadeter als viele lebende Chinesen. Bald schon setzte sich die Auffassung durch, dass die vergoldeten Kaiserthrone und anderer Kaiser-Nippes zwar einerseits hassenswerte Relikte des zu bekämpfenden Feudalismus, andrerseits aber auch Zeugnisse der handwerklichen Fähigkeiten des ausgebeuteten Volkes seien, so dass die Sammlung heute, ergänzt um neue Funde, den Exponaten des Museums in Teibei in keiner Weise nachsteht. |
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Drachenthron und Fußschemel für kürzer geratene Himmelssöhne |
Die
Hauptgehrichtung ist die schnurgerade Nord-Süd-Achse, die auf
dem Boden auch durch besondere Pflasterung gekennzeichnet ist.
Diese quert nach dem Passieren des Wumen ein künstliches
Bächlein, über fünf zierliche
Rundbrücken zu überschreiten,
bevor man das nächste Tor Taihemen (Tor der Großen
Harmonie)
erreicht. Es gibt den Weg zum Palast der Großen Harmonie
frei,
wo der Kaiser einst die Gesandtschaften der Barbarenreiche
empfing, und der Vorplatz ist weit genug, dass sich selbst
hundertköpfige Delegationen in großer Harmonie zum
Liegestütz
in den Kotau begeben konnten. Ja, einst. Heute quibbelt und quirlt ein wieselig wimmelndes Volk in weniger großer Harmonie um die heiligen Hallen mit ihren kaiserlich gelben Dachziegeln, vom Urenkel bis zur greisen Uroma, die auf ihren verkrüppelten Minifüßchen mühsam einherwackelt, aber trotzdem unermüdlich in jeden Palast hineinlugt. Auf die Harmoniehalle folgt die Friedenshalle der Mitte (Zhonghedian), in der Genosse Kaiser friedlich sein Mittagsschläfchen hielt oder mit den am engsten vertrauten Hofschranzen Majong spielte, und dahinter erhebt sich der Baihedian-Palast, wo man es sich bei Banketten und Musik gut gehen ließ. |
Chinericks Kommentar: Einst lebte ein Kaiser in
Beijings Palast, |
Wenn das Zeremoniell vorbei war, zog sich der Kaiser durch das Tor der Himmlischen Reinheit (Tianqingmen) in den privaten nördlichen Teil des Palastes zurück, wo in engeren, verwinkelten Gassen bis zum Nordende der Verbotenen Stadt zahllose Wohnungen der kaiserlichen Sippschaft, Prinzen und Prinzessinnen, Eunuchen und Mätressinnen verborgen lagen, die heute als Museum der Schätze der Kaiserstadt dienen. Andere Wohnungen dokumentieren auch die kaiserliche Wohnkultur, vom Nachttopf bis zum Moskitonetz, und an den Fenstern der verschlossenen Gebäude drücken die Besuchermassen einschließlich der Wackel-Uroma ihre Nasen platt, um zu gucken, was darinnen im Halbdunkel verborgen sein mag, während wir Touristen schon längst heißgelaufene Füße haben und von all dem Kaiserglitter gesättigt sind. Über den Damengemächern und Frauenzimmern in dem endlosen Irrgarten ist es Nachmittag geworden, und wir suchen nach einem freien Plätzchen in dem überraschend kleinen kaiserlichen Garten, der den nördlichen Abschluss des Palastmuseums bildet. Vielleicht kommt uns das Gärtlein auch nur deshalb so klein vor, weil es offenkundig nicht dazu gedacht war, Tausende von Untertanen seiner Majestät zu fassen, Großfamilien, die sich vor einem der güldenen Löwen abfotografieren, Halbstarke, die vergebens versuchen, sich an einem als Erfrischungsgetränk getarnten Chemie-Destillat zu besaufen, Schulkinder, die mit Erdklumpen die Goldfische im Teich nerven, oder zerfurchte Bäuerchen, die zum ersten Mal in ihrem Leben die Hauptstadt besuchen und mit offenem Mund all den kaiserlichen Protz bestaunen. |
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Denkmal des Kaiserlichen Lieblingslöwen |
Im Beihai-Park nördlich der Verbotenen Stadt hat man mehr Platz. Von dem künstlichen Aussichtshügel Jingshan Gongyuan kann man den Kaisers beinahe ins Schlafzimmer lugen, für eine Aussicht über die gesamte gelbziegelig gleißende Kaiserstadt bis hin zum Platz des Himmlischen Friedens an deren Südende taugt der Hüppel allemal. Auch die Liebespärchen, die hier hinter jedem Busch hocken wie im Baader-Meinhof-Deutschland die Verfassungsschützer, wissen das lauschige Grün und den sanften Höhenwindzug zu schätzen. Auf einem weiteren Hügel weiter westlich erhebt sich ein weißes Ding, das aussieht wie eine startbereite Pershing-Rakete, aber das ist nur eine friedliche Stupa, von amerikanischen Touristen wegen ihrer seltsamen Form respektlos auch "Peppermint bottle" geheißen. Stupa und Hügel sind die Höhepunkte einer kleinen Insel im weiten Park, und der See, wie könnte es an einem sonnigen Sommerferien-Nachmittag in China auch anders sein, ist kaum zu erkennen vor lauter Barken, Booten, Schaluppen und Fähren. Vor dem Bootsverleih steht auch um 18 Uhr noch eine drachenschwanzlange Warteschlange, um eines der Ruder- oder Tretboote zu ergattern, und von den proppevollen Pavillons am Ufer sehen die Leute amüsiert zu, wie die Ruderer einander nass spritzen und junge Männer ihre Mädels unter dichtes Uferlaub schippern, dort einen großen Schirm aufspannen und alles weitere der Fantasie der Zuschauer überlassen. Aber lassen wir den Pärchen ihren Spaß, denn heute ist der 7.Juli, das Fest der Liebe, der Tag, an dem sich der chinesischen Sage zufolge am Nachthimmel die "Himmlische Weberin" (Wega) und der "Hirtenknabe" (Altair), sonst durch die Milchstraße voneinander getrennt, für eine einzige Liebesnacht treffen dürfen. |
Chinericks Kommentar: Im Beihai-Park,
mutterseelenalleene |
Der Nordteil
des
Beihai-Parks enthält ein separates Gärtlein, angelegt
im
traditionellen Stil chinesischer Gartenbaukunst. Es enthält
das
Jingxinzhai, den "Pavillon zur heiteren Entspannung des
Gemüts", mit einem Teich als Mittelpunkt, aus dem sich
schroffe Miniaturfelsberge erheben, die aber von uralten Kiefern
und luftigen Pavillons gekrönt sind, überdachte,
schattige
Wandelgänge, die mit idyllischen und historischen Bildern
geziert sind, Brückchen, Ateliers und
Aussichtstürmchen ---
eine wunderschöne Gartenanlage aus dem 18.Jahrhundert, und wer
hat sich dieses Juwel angeeignet und dem Volke vorenthalten?
Natürlich niemand anders als Frau Jiang Qing, die Mao-Witwe,
die von hier aus die Viererbande steuerte und Intrigen spann....
Heute kann hier wieder jedermann für nur 50 fen heiter sein Gemüt entspannen oder, falls ihm der Sinn nach neueren Varianten der geistigen Erholung steht, gleich neben dem Eingangstor in einem schmuddelig weißgetünchten Bau dem Dianzi Youxi frönen: Piiiiong-blulululuuu, Star wars am elektronischen Flipper, Rosachina ist voll mit dabei. |
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Wir bewundern voller Ehrfurcht die
Errungenschaften |
Südlich von diesem Ort ist auf dem Stadtplan ein großer See verzeichnet, aber den bekommt man auch für FECs nicht zu Gesicht. Hier ist Beijings moderne "Verbotene Stadt", in der das Zentralkommitee der KP die Geschicke des Reiches lenkt. An den heruntergelassenen Schlagbäumen posieren grimmig dreinschauende Militärs, die aussehen, als würden sie ohne Vorwarnung beißen, wenn man sich unbefugt zu nähern wagt. |