Wie man aus einer Drachenburg entkommt |
Das alte Zelt, das ich durch normannische Friedhöfe und schottische Wildnisse geschleppt, vor Nessie und "schottischem Nebel" in diversen Schließfächern sichergestellt und jetzt auf der grünen Wiese von Carlingford aufgestellt habe, ist noch so ein antikes Modell mit erdigen Kordeln, schweren gusseisernen Häringen und fast ebenso schweren Leinenplanen, die durch die Löcher, die der Zahn der Zeit da reingefressen hat, und die Schimmelpilzflecken keineswegs leichter geworden sind. Der Nutzen steht in keinem rechten Verhältnis zum Aufwand, aber Ingo meint, es ist besser als gar kein Dach überm Kopf. Irgendwann wird sicher mal ein Nobelpreis vergeben für die Erfindung eines Zeltes, das nicht schwer, aber wasserdicht ist, keine Schnaken rein-, aber alle Ausdünstungen der Schläfer rauslässt. Mein prähistorisches Zelt war das Gegenteil davon: Schwer und wasserdurchlässig, für Schnecken und Schnaken kein ernsthaftes Hindernis, und morgens war es von Tau und Atem flatschnass, auch wenn es die ganze Nacht über nur vom Mond beschienen worden ist. Aber von wegen und Mondschein.... |
Als wir am Morgen aus unseren triefenden Wasserbetten stiegen und uns auszuwringen begannen, schien die Sonne schon wieder ganz unschuldig, als wäre in der Nacht nichts gewesen. Mann, ich hab geträumt, die IRA, die RAF, die ETA und die PLO trügen die Weltmeisterschaft im Bombenbasteln aus, so hat's gekracht und geblitzt, aber als ich richtig wach war und merkte, dass es nur ein friedliches Gewitter war, da war's auch schon vorbei. Und wir konnten von Glück reden, dass die Wiese schräg war, sonst hätten wir samt Schlafsäcken den Freischwimmer machen können, so hat's geschüttet. Take it easy, sagte Ingo und zupfte sich eine Schnecke aus den Haaren. Den strapazierten Slogan hätte er sich lieber für heute Abend aufgehoben, da ging's uns nämlich noch wesentlich schlechter. Aber das kann man ja vorher nicht wissen. Eines steht jedoch fest: Für so ein faules Urlaubmachen, da haben wir beide kein Talent, es ist bisher noch immer schief gegangen. Stundenlang am Strand oder auf einer Wiese zu hocken mit nichts zu tun als dem Campingrödel beim Trocknen zuzugucken, da musst du ja zwangsläufig auf verrückte Ideen kommen, kann gar nicht ausbleiben, vor allem, wenn du deine grauen Zellen auf Sparflamme gestellt hast. Und dann noch der PSI-Dünger im irischen Boden.... |
Gelangweilt guckste dich um, dann stehste auf und läufst ein paar Runden ums Dorf. Danach steigste in die kalte irische See, um zu checken, ob man da womöglich baden kann. Jawohl, man kann, aber es ist nicht ratsam ohne Handschuhe, Schal und Anorak, denn Irland ist bedauerlicherweise nicht Sizilien. Und dann merkst du auf einmal, dass du nicht über algigen Fels, sondern über Myriaden von Miesmuscheln steigst, die hier keinen salzwasserhaltigen Flecken unbesetzt gelassen haben, faustdicke Exemplare. Also, irgendwann hängen dir ja auch die Fish'n'Chips echt zum Hals raus, und da brauchst du gar kein Bocuse zu sein, wenn du angesichts solcher Mengen von Delikatessen und freier Zeit auf die Idee kommst, dein eintöniges Menü ein wenig aufzulockern. |
Ingo versuchte erst mal eine roh zu verschlingen, aber Miesmuscheln sind halt keine Austern und machen ungekocht geschmacklich ihrem Namen alle Ehre. Aber davon lässt sich Ingo nicht einschüchtern. Der klopft glatt am nächsten Fischerhaus an und kommt fünf Minuten später mit einem geleasten Kochtopf zurück, ein gewaltiges Trumm von der Sorte, in der im Kongo früher die Missionare weich gekocht worden sind. Während ich mit gewitterfeuchtem Holz mühsam einen qualmigen Kokel entzünde, pflückt Ingo unverdrossen Muscheln, und weil das Spass macht und kinderleicht geht, hat er mindestens 2 Kilo davon zusammen, als das Wasser endlich blubbert. Ein paar Kanten Brot aus dem Kaufladen, und dann beginnt das große Fressen. Zwei Kilo Miesmuscheln, das will verschlungen sein, auch wenn an so einem einzelnen Ding nicht viel zu beißen dran ist, es sei denn, du isst die Schalen mit. |
Aber jetzt pass auf: Wenn du nämlich am Dorfrand dein Zelt auffaltest auf einer Wiese, bei der du nicht mal weißt, wem sie gehört, und dann den ganzen Tag da rumhängst, im Kaufladen auftauchst und am Fischerhaus anklopfst, dann brauchste nicht zu denken, du wärst allein auf der Welt. Wahrscheinlich steht am nächsten Tag ein Artikel über uns in dem lokalen Newspaper, so bekannt sind wir inzwischen, und im ganzen Dorf ist keiner, der nicht schon was von den zwei Ausländern da auf der Wiese gehört und gesagt hat: Die spinnen, die Touristen! Nun sind die Iren keine Napoletaner; nicht dass sie da alle angewackelt kommen und dich beglotzen wollen. Und die Bobbies schicken sie dir auch nicht auf die Pelle, wir sind ja nicht in Russland. Im Gegenteil, die Iren sind ein leutseliges Völkchen, und als die Leute hinter den Gardinen, die uns vermutlich rund um die Uhr beobachten, gerafft haben, dass wir uns als Muschelfischer versuchten, schickten sie uns zwei Steppkes, die einen schweren Eimer herbeischleppten, bis an den Rand gefüllt mit ---- nein, leider keine Tomaten, die uns hochwillkommen gewesen wären, sondern mit ..... Miesmuscheln. Also, so ein Eimer voll, wenn das mal keine 8 Kilo sind, will ich Kanalgeruch heißen. Muscheln sind zwar, gut zubereitet, wirklich ein Schmaus, aber wenn du sie eimerweise vertilgst, brauchst du einen eisernen Magen. Bald drohten uns die Muscheln wieder zu den Ohren rauszuquellen, und Ingo erzählte noch im Schlaf endlose Geschichten, die sich um reichhaltige Muschelernten drehten. Am andern Tag bauten wir das Zelt 600 m weiter vom Strand entfernt auf, weil uns selbst der Meeresgeruch schon an den Rand der Übelkeit brachte, und der dritte Urlaubstag in Carlingford diente vor allem der Rekonvaleszenz und Erholung von der heftigen Begegnung mit den miesen Muscheln. Am Abend endlich waren wir wieder so weit fit, dass wir mit den Jungs aus dem Dorf zusammen Fußball spielen konnten. |
Dunkle Wolken brauten sich über der Burgruine zusammen und bewegten uns am Nachmittag zum Aufbruch. Und noch ein wichtiger Grund lag vor, aber den kennst du ja. --- Nein? Dann hast du nicht aufmerksam genug gelesen und musst halt bis morgen warten, dann erfährst du ihn. |
Als wir Drogheda erreichten, hatten die Wolken uns eingeholt, und danach kamen wir von der richtigen Chaussee ab und kleckerten im Träufelregen über die Dörfer. Erst in Navan ließ der Regen nach, aber vorerst trauten wir dem Himmel nicht mehr, ließen das Zelt im Sack und rollten unsere Schlafsäcke auf den überdachten Bänken im Schulhof irgendeines katholischen Colleges aus, denn in Éire sind noch Sommerferien. |
Das heutige Tagesziel heißt Ballyglass bei Kilconnel bei Ballinasloe bei Athlone. Zumindest den letztgenannten Ort findet man auf jeder guten Irland-Karte, für die anderen Weiler brauchst du Satelliten-Navigation. Ja, und was wollen wir in diesen fliegenreichen Kuhdörfern im Herzen der grünen Insel? Da ist er, der zweite wichtige Grund. Gratuliere, du hast es erraten. Ingos lange unterdrückter, immer heftigerer Drang nach weiblicher Gesellschaft ist ihm ja schon beinahe anzusehen. Du hast nicht vergessen, dass Heather und Greta in Irland Urlaub machen wollten, und Ingo hätte lieber auf eine Portion Miesmuscheln verzichtet als auf ein Wiedersehen mit seiner sommersprossigen Heidi. Und jetzt stecken wir drin, im allertiefsten Irland, und warten, von blöden Rindviechern angemuht, ob hier irgendwas vorbeigetuckert kommt. Manchmal kommen dir da Zweifel, ob die Erfindung benzingetriebener Vehikel sich schon bis hier herumgesprochen hat. Weil wir als höfliche Gentlemen jedem uns anmuhenden Rindvieh eine Antwort geben, verpassten wir den Milchmann, der sich auf dem Fahrrad an uns vorbeischlich. Das gehörnte Rumpsteak vor uns ist der Konversation überdrüssig geworden und beginnt mit Wiederkäuen, und wir? Nicht mal käuen können wir hier, denn außer grünem Gras und viel Landwirtschaft wächst hier nichts. Fünf Pints Milch stehen vor der Tür des nahen Gehöfts, ist das nicht der reinste Luxus? Mit vier Pints werden die noch schlafenden Einwohner sicher auch überleben, und wenn's nicht reicht, sollen sie doch ihre Ochsen melken.... Das fünfte gluckern wir uns also rein und legen auch einen Shilling dafür hin, da machen die entmilchten Leute noch ein Geschäft dabei. |
Irgendwie kamen wir dann nach Athlone, und auch Ballinasloe fanden wir noch, aber nach Kilconnel (Cill Chonail) und Ballyglass hätten wir nie und nimmer gefunden, wenn uns nicht der Tierarzt in seinen Daimler gepackt hätte, der just auf dem Hof, wo Heather und Greta urlaubten, einer kranken Kuh in den Auspuff lugen sollte. Wohlgemut traten wir hinter dem Kuhdoktor auf die Bäuerin zu, die uns aber offensichtlich für Landstreicher hielt und umgehend rausschmeißen wollte. Kann ich ja verstehen, wär mir sicher auch so gegangen. Wann haben wir uns denn zuletzt rasiert? Und erst gebadet? Die Gewitterdusche von Carlingford, die will ich mal erst gar nicht mitzählen, die hat uns eher noch mehr zerknittert. Und die Miesmuscheln haben wir auch nur knapp überlebt, sind also von den Strapazen des Urlaubs gezeichnet. |
Die Nennung der Namen von Heather und Greta hielt die Bäuerin zwar in letzter Sekunde davon ab, nach der Mistgabel zu greifen, verdoppelte aber ihr Misstrauen. Die Mädels seien auf Spaziergang, wurde uns kund getan, und unser Gepäck durften wir am Gartentor abstellen. Oh Mann, wo sind wir da hineingeraten.....? Ich hab ein ungutes Gefühl im Bauch. |
Anders Ingo, der sich einen schmatzigen Wiedersehenskuss abholen wollte. Der Mensch war schon auf und davon in die Heide, als ich noch am Gepäck herumzupferte. Dank seines untrüglichen Instinkts für weibliche Nähe trafen wir keine zehn Minuten später auf die beiden Stadtmädchen, die sich bei ihren täglichen Spaziergängen über die grüne, eintönige Prärie zu Tode langweilten und uns entsprechend freudig begrüßten. Statt des erhofften Kusses erntete Ingo allerdings nur ein albernes Gekicher, weil er bei der Aussprache des Namens seiner pickeligen Tussi Übungsbedarf hat und noch immer nur auf eine Trefferquote von 1 : 10 kommt und Heather bei jedem "Hesser" aus Ingos Mund einen Lachkrampf kriegt. Weiß der Geier, wie er an diese unaussprechliche Kleine geraten ist, wo es doch in England vor Janes und Annes nur so wimmelt, und da sind garantiert auch wesentlich hübschere Girls darunter. Mir gefiel die Greta mit ihren langen, fast schwarzen Haaren und ihren grauen Katzenaugen da schon eher, und aussprechen kann man den Namen auch, ohne sich zu blamieren, aber dieses Teenie-Luder wusste genau, wie ihre üppigen Kurven und ihre erotisch geschwungene Nase auf die Jungs wirken und auch die Augen, die sie immer auf die Stirne, dicht am Haaransatz des Gegenübers, zu richten pflegte, anstatt ihm geradeaus in die Augen zu schauen. Das gab ihr etwas Überheblich-Schnippisches, das sie so penetrant ausspielte, dass sie mir im Endeffekt auch nicht sympathischer war als die treuherzige Heather mit den roten Kräusellocken, die Ingos Englisch-Mittelstufe-I-Konversation nichts entgegenzusetzen wusste als ihr ewiges Gekicher. Immerhin fanden sie uns interessanter als die Ochsen auf der Weide, und das ist doch schon mal was. |
Sie verschafften uns Einlass in die Drachenburg und Zutritt zu der reich gedeckten Biokost-Tafel beim Abendessen, und Heather äußerte sich auch zuversichtlich in Hinsicht auf unsere Chancen, in der Scheune im Heu nächtigen zu dürfen, aber solche Flausen wurden uns schnell aus dem Kopf getrieben. Die Bäuerin erwies sich nämlich als immun gegen Frank Eschersheimers Strategie des Tramper-Lächelns, das schon manche ältere Dame kerzenwachsweich werden ließ, und ich will dir auch sagen, warum: Irland ist bekanntlich nach Polen das katholischste Land unter dem Ozonloch, da wird die Bibel wörtlicher genommen als im Vatikan. Die Bibel, die Sankt Patrick den Leuten vorgelesen hatte, war aber vermutlich ein gebrauchtes Exemplar, bei dem ein paar Seiten gefehlt haben müssen, denn das 5.Gebot ist vor allem im Nordteil der Insel offenbar noch unbekannt. Umso genauer wissen die Iren über die Sexualmoral Bescheid, wer weiß, wo sie die her haben, in der Bibel hab ich dazu jedenfalls nichts Näheres gefunden. Nur die Magdalena, die muss eine richtige Schlampe gewesen sein, aber so viel ich weiß, ist die dann ja dafür heilig gesprochen worden. |
Die Bäuerin argwöhnte also, dass Ingo hinter der Heather und ich hinter der Greta her sein könnte, und weil die beiden für uns auch noch gute Worte bei ihr einlegten, sah sie Gefahr im Verzug. Wer weiß, welche Intimitäten da schon bestanden oder im Begriff standen zu entstehen, die Todsünde lauerte vor der Tür! Und die Kuh mit dem Durchfall, das war ein untrügliches Omen..... |
Nicht schlecht, diese Kombinationsgabe einer schlichten irischen Bäuerin, Dr. Watson hätte den Zylinder vor ihr gezogen. Dass ihr bei einer kranken Kuh gleich die Heather in den Sinn kam, ist freilich nicht meine Schuld, so ungalant bin ich ja nun auch wieder nicht. Tja, und als ich beim Abendbrot gewahrte, dass das Management dieser Farm in ausschließlich weiblichen Händen ruhte, denn außer der Bäuerin waren nur ihre Schwester und ein paar Mägde am Tisch versammelt, und Ingo und ich waren die einzigen Männer im ganzen Hause, da wunderte es mich nicht mehr, dass wir einen zwei Meilen entfernten See als Campingplatz empfohlen bekamen anstatt Scheune und Heu. Wenn in Ballydingsbums und Kilconnel auch nur andeutungsweise ruchbar würde, dass da zwei junge Strolche im Heu dieses Frauenhauses den beiden Jungfräuleins nachstellten, um sie zu irgendwelchen Schweinereien zu verleiten, könnte sich die Bäuerin ihr Lebtag nicht mehr in die Kirche trauen und müsste gewärtigen, bis zum jüngsten Tage im Höllensud zu brutzeln. Heather kicherte, und Greta sah mir unentwegt grinsend auf die Stirne, als ob da eine Fliege säße. |
Zwei Meilen, das sind knapp 3 km Gepäckmarsch, und wenn uns nicht ein Traktor die Hälfte des Weges mitgenommen hätte, wären wir wohl erst bei Einbruch der Dunkelheit dort angekommen. Idyllisch war es da, nichts dran auszusetzen, ein einsamer See mit nichts als Pferdeweiden drum herum. Jetzt hätte ich aber gern mal gewusst, wo hier das nächste Frühstück wächst, aber Ingo war immer Optimist, so lange es irgendwie nach Mädchen roch. Der Begrüßungskuss, auf den er immer noch wartete, hätte ihn --- mich freilich nicht, aber wer will da schon so ein spielverderbender Egoist sein? --- für das ausgefallene Frühstück entschädigt. Die beiden Teenies wollten nämlich gleich am andern Morgen kommen, uns was mitbringen, und tagsüber mit uns gemeinsam was unternehmen. |
Also, wenn du mit einem Freund zusammen tagelang auf Achse bist, gibt es Momente, wo du um des lieben Frieden willens dem andern mal seinen Spaß lassen musst. Da steckst du eben zurück und nervst ihn nicht mit Sticheleien über die Vergänglichkeit von Liebesgefühlen und Unbeständigkeit der Frauenherzen, sondern stiefelst durch die Ruinen der Franziskaner-Abtei, die zwischen den Kuhweiden vor sich hinrottet, guckst dir den wolkengrauen Himmel an und den kaltgrauen See, liegst im taufeuchten Gras oder im klammfeuchten Zelt und hörst geduldig dem Grillenzirpen und Pferdegetrappel zu, fischst dir die letzten Marshmallows und Biscuits aus dem Gepäck, damit auch der Bauch beruhigt merkt, dass er nicht vollkommen vergessen worden ist, und machst ansonsten faulen Urlaub, während Ingo wie ein Stehaufmännchen dauernd rauf und runter geht und sich bald den Hals ausrenkt nach seinem Schätzlein, das aber einfach nicht kommt. Irgendwann, sage ich mir, wird der Ingo auch von selber merken, dass wir hier trotz unserer weiten, beschwerlichen und gefahrenreichen Anreise auf wenig Gegenliebe hoffen dürfen. |
In der Tat, gegen Mittag
äußerte er mit versteinerter Miene: "Ich
würde nur noch gern herauskriegen, ob die uns vergackeiern
wollen oder von der giftigen Alten Hausarrest bekommen haben, so lange
wir Zigeuner hier den See belagern."
Wir trabten los, zur Drachenburg zurück, und warteten eigens bis 14 Uhr in der Nähe des Gehöftes, in dessen Umkreis keine Menschenseele zu erblicken war, um nicht womöglich beim Mittagessen zu stören, zu dem wir nicht geladen waren. Unsere Höflichkeit nützte nichts: Als wir uns schließlich reintrauten, saß die gesamte Mischpoke um den Tisch und betete, vermutlich darum, von unserer Anwesenheit baldmöglichst erlöst zu werden. Wir zogen es vor, draußen zu warten, und als Heather nach einer knappen Stunde herausgeschlichen kam, berichtete sie kleinlaut, dass Damenbesuch am Herrenzelt in Éire als Gipfel sittlicher Verderbnis gelte, und dass sie beide, so lange wir Jungs im Umkreis von 10 Meilen gesichtet würden, bei der Feldarbeit mithelfen müssten, um nicht bei den täglichen Spaziergängen gelangweilt auf womöglich unkeusche Gedanken zu kommen. Wir sollten aber in Maghera in Nordirland, wo die beiden Mädchen bei Heathers Verwandtschaft die zweite Hälfte ihrer Ferien verbringen wollten, unbedingt vorbeischauen; bei den dortigen Leuten, Heathers Onkel und Tante, seien wir mit Sicherheit willkommen. |
Ingo verdiente Mitleid, keinen Hohn und Spott, denn das Wiedersehen mit Heather hatte er sich gewiss anders vorgestellt, aber kaum waren wir wieder zu zweit, da fing er von selbst an, über den Stamm der Catholics und ihre Mullahs im Allgemeinen, Irland im Besonderen und die Amazonenburg von Kilconnel ganz im Speziellen einen ironischen Monolog aufzusagen, den ich dir besser nicht überliefere, um die deutsch-irischen Beziehungen nicht zu gefährden. Die Politik ist da ja manchmal ganz empfindlich, und es soll schon Spitzenpolitiker gegeben haben, die wegen so einem Bafel ihre Urlaubspläne geändert haben und zu Hause in Hannover geblieben sind. |
Wir taten der eingeborenen, muffkatholischen Sippschaft den Gefallen, umgehend zu verduften. Ein Angler brachte uns mit seinem Wagen vom See bis zur Chaussee, und ob er die schönen Grüße an die Drachenburg auch ausgerichtet hat, ist uns nicht bekannt. Aber weil sich in Ballinasloe, wo wir dann weiterhitchen wollten, alle vorübertöffelnden Autofahrer vor uns bekreuzigten, musste uns der Ruf, dass hier Luzifer und Beelzebub auf großer Fahrt seien, schon vorausgeeilt sein. Die spinnen, die Iren. Nach einer Weile gewahrten wir jedoch, dass hinter uns eine Kirche stand, und es war ungemein beruhigend zu wissen, dass die folkloristischen Gesten doch nicht uns gegolten hatten, sondern einem Insassen der Kirche. Da uns trotz alledem keiner von diesem Ort wegbringen mochte, gingen wir auf Hotelsuche, bevor es vollends dunkelte. Weil es in Navan so schön geklappt hatte, liebäugelten wir auch hier mit einer Schule, bei der sogar ein Fenster offen stand. Plumps, kollerten unsere Säcke ins Klassenzimmer, und wir enterten den nächsten Pub, wo wir was beißen, unseren Frust ersäufen und einfach mal was Anderes erleben wollten. |
Das andere Erlebnis ließ
nicht lange auf sich warten. Auf dem Rückweg vom Pub zu
"unserer" Schule hielt in der Dunkelheit neben uns ein Wagen an, obwohl
wir gar nicht gewinkt hatten. Drinnen saß der Sheriff des
Ortes und fragte, ob wir diejenigen seien, die den Einbruchsversuch auf
die Mittelschule verübt hätten. Ich glaubte, mich
verhört zu haben. Einbruchsversuch?
Mann, wenn die Ladies von Kilconnel erfahren, dass wir im Nachbarort als Einbrecher verhaftet worden sind, werden die sich so heftig und ausgiebig bekreuzigen, dass sie einen Muskelkater davon bekommen, und schleunigst an allen Türen Sicherheitsschlösser anbringen lassen. |
Am Tatort gewahrte der Hüter des Gesetzes mit Erstaunen, dass nicht mal ein Stück Kreide entwendet worden, sondern die Lehranstalt im Gegenteil um ein klammes Zelt und anderen Rödel reicher geworden war. Grinsend gewährte uns der Bobby mildernde Umstände und fuhr uns nicht in den Jail, sondern zu einer Farm in der Gegenrichtung von Kilconnel, die von seinen Eltern bewirtschaftet wurde, und das alte Ehepaar mit seinen 17 Katzen nahm uns auf wie die eigenen Enkelkinder. Als sich in der Küche ein zweites, nicht mal erbetenes Abendessen extra für uns zusammenbraute, da waren die deutsch-irischen Beziehungen wieder im Lot, und der Opa erzählte begeistert, dass sein ordnungshütender Filius schon Kanadier, Schweden und fliegende Fahrrad-Holländer hier eingeliefert habe, und alle, alle seien sie nette Kerle gewesen. Da wäre es uns wirklich schwer gefallen, als einzige Ausnahme in Erinnerung zu bleiben, und, ehrlich mal, Hand aufs Herz, so fiese Typen sind wir ja auch wieder nicht, oder? |
Unser Zelt erstand auf der Wiese hinter dem Haus, und wir legten uns mit vollem Bauch, elektrischer Lampe (mit Verlängerungskabel bis zum Haus), Decken und Kissen umsorgt, in der tröstlichen Erkenntnis zur Ruhe, dass Kilconnel ein bedauerlicher, aber einmaliger Missgriff gewesen sein muss. |
Unter Aufbietung aller Tramperkunst gelang es uns, zwei Tage später Báile Átha Cliath zu erreichen, wo wir wie Ulysses durch das Straßenlabyrinth streunten, um uns mit ein bisschen Sightseeing Abwechslung zu verschaffen. Das Trinity College, legendäre Heimstatt fast aller irischen Geistesgrößen, mit seiner efeubewachsenen, ehrwürdigen Bibliothek, in der das Book of Kells aufbewahrt wird, dann City Hall, St. Patrick's Cathedral und Castle, und nicht zuletzt das GPO (Hauptpostamt), das noch immer so antik ist wie vor einem halben Jahrhundert, als hier erstmals die republikanische Trikolore gehisst wurde. Wo sonst auf Erden stehen im Kugelschreiber-Zeitalter (Laptop-PCs gab's damals noch nicht) in der Schalterhalle noch Tuschefässer und Federhalter bereit? |
Als es zu tröpfeln begann, verleibten wir uns ein Guinness ein und trabten dann wieder zum Bahnhof, um mal wieder unsere Ziegenbärte abzurasieren, des Eindrucks auf die Autofahrer wegen. Und auf die jungen Dublinerinnen, die übrigens durchaus nicht alle rothaarig sind. Aber die Autofahrer sind wichtiger. Die dürfen wir nicht vergrätzen, die werden noch gebraucht. Beinahe wäre das Vorhaben allerdings an der schier unauffindbaren Lage der Herrentoilette gescheitert; wir fanden nur lauter Ladies' Örtchen. Schon waren wir davon überzeugt, dass die Dubliner ihr Guinness grundsätzlich nur am Rinnstein abschlagen, da fanden wir dank der Mithilfe der Bahnpolizei, die uns misstrauisch hinterhergetappt kam, endlich doch noch, was wir suchten. Frisch aufgepeppt verließen wir am späten Afternoon die Stadt und erreichten mit Glück und Geschick noch ein kleines Nest mit Namen Roosky am River Shannon, dem längsten Fluss der britischen Inseln. Spielende Kinder umringten uns dort und wollten wissen, woher wir denn kämen und --- jetzt kam eine wirklich intelligente Frage --- was wir hier wollten. |
"Am besten ein Federbett", griente Ingo, und eines der Kiddies rannte fort, um seine Oma zu fragen, ob in der Scheune Platz wäre für den Kaiser von China und seinen Großwesir, aber da hielt noch ein Wagen an, und der Fahrer bestand darauf, uns noch ein paar Dörfer weiter zu spedieren, was ich mir nur damit erklären kann, dass wir uns vor wenigen Stunden rasiert hatten. Hier warteten keine Kinder, um uns Logis zu besorgen, aber ein milder Abend mit flammendrotem Horizont lud uns zu einem Bummel am Shannon entlang, wo wir, dem Abendrot misstrauend, ein herrenloses Haus fanden, den Staub von den Matratzen klopften und uns im Schutze eines wasserdichten Daches daselbst aufs Ohr legten. |
Ein weiter Weg liegt heute vor uns, denn am Abend wollen wir wieder in Derry sein. Morgen steigt da nämlich ein anderes historisches Fest, jene Iren-Provokation, bei der vor wenigen Jahren die ersten Ulster-Unruhen ausbrachen. Wir trennten uns von Anfang an, um Meilen zu fressen. Bei erstklassigem Reisewetter fliegen die Dörfer und Städte vorbei, Carrick-on-Shannon, Boyle, Sligo, Bundoran, wo ich Ingo aus den Augen verlor, Ballyshannon, Cashelard, Laghey und Donegal, alles bekannte Namen in der Touristenwelt, aber die Zeit, die zum Sightseeing gebraucht würde, die haben wir bei der Drachenburg von Kilconnel vertrödelt. |
In Donegal hörte ich schon zahlreiche Warnungen vor der Einreise nach Derry. In diesen Tagen sei der Ausnahmezustand verhängt worden, die Stadt sei hermetisch abgeriegelt und Fremde würden überhaupt nicht hineingelassen. Lauter irische Märchen. Eine einzige Straßensperre kurz hinter der grünen Grenze, an der sich die britischen Militärs mit einem Blick ins Fahrerhäusel begnügten, während ich auf der Ladefläche des Kleinlasters vollkommen ungesehen blieb, und wenn ich eine 66-Kilo-Bombe wäre, hätten die Jungs bös auf dem Schlauch gestanden. |
Nach der Fahrt den ganzen Tag an der blauen See entlang, wo sich die Leute an den Stränden suhlten, angelten oder in Yachten herumtörnten, war der Anblick des belagerten, angeknacksten Derry an diesem Spätnachmittag deprimierend. Fünf Kilometer von hier ist die Grenze zu Éire, wo Friede, Freude und Freizeit herrschen, wo sich die Leute den Bauch voll fressen, sich einen Sonnenbrand auf die bleiche Haut brennen lassen, wenn's mal nicht regnet, dabei ein Cuba libre on the rocks süffeln und am Abend in der Disco an den Mädchen rumfummeln, und hier belauern sich die gleichen Biedermänner mit Knüppeln und Pflastersteinen in den Pfoten, um ihren Nachbarn die Fensterscheiben einzuschmeißen oder das Auto zu zerdellern. Man zweifelt beinahe am Verstand des Homo sapientiae capax. Noch von den Hügeln im Westen aus, wenn man auf die Stadt zurollt, liegen die Reihenhäuschen von Derry putzig und friedlich in der Nachmittagssonne, dass einem die Situation so absurd und verrückt vorkommt wie einem Astronauten, der den blauen Planeten im All baumeln sieht und sich an die Stirn tippt, wenn er an das lächerliche, für die Beteiligten aber so tragische Gezerre in Vietnam und Chile denkt. Was ist das für eine seltsame Grenze, die aus friedlichen Familien wilde Kriegerstämme macht? Na ja, die Grenze ist wohl nicht dran schuld; wäre Ulster ein Teil der irischen Republik, dann würden die Protestanten mit Zoff anfangen, und irische Militärs würden die Catholics schützen und protestantische Bombenleger einlochen. |
Ingo ließ heute lang auf sich warten. Vielleicht war er ja an der Straßensperre aus dem Verkehr gezogen worden? Nee, undenkbar. Der beschwatzt eher die britischen Militärs so sehr, dass sie ihn im Panzerwagen nach Derry bringen. Ich ließ mich auf ein Harp Lager einladen von Typen, die mich angequatscht hatten und jemanden suchten, dem sie ihre Leiden klagen konnten, aber einen heißen Tipp für eine bequeme Übernachtung hatten sie nicht. Als Fish & Chips halb alle waren, tauchte auch Ingo am Busbahnhof auf und berichtete, dass er problemlos durch die Barrikaden gewutscht sei, die Soldaten hatten gerade Tea time. Da waren wir also wieder vereint in Derry und konnten uns angucken, was für ein Theater da morgen abgehen würde. Nur ein Dach über dem Kopf, das fehlte uns noch. |