Worüber die Schotten den Kopf schütteln |
Soll man in diesem skurrilen Inselreich mit dem rechten Arm über die linke Schulter winken, oder gar dem linken Arm die ungewohnte Arbeit des Trampens zumuten? Als wir uns einig waren, hielt zwar kein Rolls Royce, aber doch immerhin ein unserer Importanz angemessener sechsachsiger Lastzug. Ich bewunderte Ingos Geschick, mit dem Lorrydriver frischweg loszuplaudern, dessen Liverpool-Slang ich kaum von Chinesisch zu unterscheiden gewusst hätte. Wir machten es uns bequem in dem Hochsitz von Cockpit, denn bis Liverpool stand eine längere Fahrt in Aussicht. Da raschelte es unter meinem Sitz, und hervor kroch und flatterte ein seltsames Fabelwesen, das entfernte Ähnlichkeiten mit einer Taube erkennen ließ. Der mickrige Pechvogel auf meinem Schoß hatte gerade noch einige Schwanzfedern am Leibe und hie und da einen dürftigen Flaum, um seine Blößen zu bedecken. Weil das Wesen anfing zu zappeln und zu fiepen, meinte der Fahrer scharfsinnig, das Täubchen sei womöglich krank. Es sei ihm zugeflogen und wolle vielleicht etwas fressen. Nicht nur anhalterfreundlich, sondern auch tierlieb schien unser Driver zu sein. Ich konnte mich des Verdachtes nicht erwehren, dass wir nicht nur die sprichwörtliche britische Tierliebe, sondern auch die Richtigkeit aller anderen Vorurteile über die Insulaner auf dieser Reise am eigenen Leibe erfahren sollten. Während wir dem federlosen Federvieh mit Rosinen den Schnabel stopften, öffnete der angelsächsische Tierfreund das Handschuhfach, und ein arg verängstigter, gleichfalls stark enthaarter Hamster oder was weiß ich für ein Vieh blinzelte uns entgegen. Auch er durfte an unserer Kraftnahrung, Nüsse und Rosinen, mitkauen und stopfte sich die Backen voll, und während La Paloma mit dem kahlen, roten Kopf wackelte und mir zum Dank auf die Jeans kackte, hielt Ingo den Hamster fest und Ausschau nach weiterem Geziefer. Kurz vor Liverpool verließen wir den rollenden Zoo, um weiter nach Norden zu reisen. Zwei rot- und langhaarige Schotten beförderten uns über die Grenze nach Schottland und machten Halt vor der ersten schottischen Kneipe, die sie erblickten, um das Ereignis zu begießen. |
Noch zwei Lifts, und wir waren in Edinburgh, gerade rechtzeitig, um Fish'n'Chips zu laden und ein Nachtquartier zu suchen. Von Studenten erfuhren wir, dass es ein brandneues Studentenwohnheim gebe, aber das sei leider noch nicht bezugsfertig. Leider? Wir sahen uns an und grinsten. Nichts wie hin. Es war der reinste Luxus: Teppichboden, elektrisches Licht, fließendes Wasser, Polstersessel... --- das einzige, was noch fehlte, waren die Schlösser an den Türen, um Leute wie uns fernzuhalten. Beinahe wäre der Traum aber noch geplatzt: Als Ingo das wohlfeile Luxushotel noch einmal verließ, um womöglich einen mädchenhaltigen Tanz- und Beatschuppen in der Nähe ausfindig zu machen, lief er genau zwei Bobbies in die Arme, erfand aber geistesgegenwärtig eine Geschichte, die von einem Studium der Astrologie in Edinburgh ab nächstem Semester und der Erkundung geeigneter Unterkünfte handelte. Die schottischen Blaumänner ließen sich widerstandslos den gewaltigen Bären aufbinden und gönnten uns eine ruhige Nacht. |
Statt Morgenröte pladderte ein Regen vom schottischen Himmel, der nicht von Pappe war. Wie wir später erfuhren, zählt diese Art von Niederschlag hier noch zur Kategorie Scottish mist, also Nebel, denn wenn Schotten sich herablassen, von Regen zu sprechen, stehen sie in der Regel schon bis zu den unteren Fransen ihrer Schottenröcklein in der Sintflut. An solchen Tagen hätten wir beide gute Lust gehabt, bis zum Nachmittag weiterzupennen, denn wir sind schließlich in den Ferien. Nicht so jedoch die emsigen Arbeiter, die bereits im Keller unseres Domizils rumorten, als wir es fluchtartig und unentdeckt über die Feuerleiter verließen. |
Tja, was machste in Schottland im Regen? Whiskey brauen, lautet die richtige Antwort. Da wir jedoch leider nicht die ersten waren, die auf diese Schnapsidee gekommen sind, und Whiskey außerdem nicht gebraut, sondern destilliert wird, besetzten wir den trockenen Wartesaal im Bahnhof und suchten vergeblich nach dem Fahrplan für die Ankunft des Sonnenscheins. Abwechselnd döste einer von uns beim Gepäck, während der andere durch Bookshops, Postämter und Kaufhäuser tigerte, und als die schottische Brause endlich zu versiegen begann, zeigte die Bahnhofsuhr 15 Uhr an. Endlich konnten wir uns der Besichtigung von Stadt, Burg und Volk widmen und über die Typen kichern, die tatsächlich im Schottenrock an der Bushaltestelle warteten. |
Nach seinen Londoner Frustrationen konnte es Ingo ohne weibliche Gesellschaft kaum noch ertragen, weshalb der Abend erneut im Zeichen der Suche nach einer Diskothek stand. Der heißeste Tipp, den uns die Leute zu geben wussten, entpuppte sich indes als eine Art von Pub, in dem sich Einheimische mit Bier volldröhnen und sich über irgendwelche Schottenwitze totlachen, die wir nicht verstehen. Weil die Arbeiter es noch immer versäumt hatten, Schlösser in die Türen zu schrauben, weihten wir in dieser Nacht ein anderes Zimmer der Edinburgher Studentenherberge als Erstbeschläfer ein. Und am Morgen wieder das gleiche Spiel wie gestern: Nur mit knapper Not gelang uns die Flucht aus dem Palazzo tramperesco, als die Arbeiter zum Vordereingang hereinkamen und wir zum Hinterausgang verdufteten. |
Auf das Wetter ist in Edinburgh offenbar Verlass: Genauso feucht wie gestern. Uns reicht es vorerst. Nachdem wir durch die immer größer werdenden Pfützen zum Ortsausgang geplantscht waren, wurde uns schnell Trost zuteil: Ein nettes Mädel, ganz ohne Furcht vor zwei unbekannten männlichen Beifahrern, töffelte uns über die Forth Road Bridge, die längste Straßenbrücke der britischen Inseln, glatt durch bis nach Aberdeen, wo das wirkliche Schottland beginnt. |
Also, da muss ich dazu sagen, dass es kein tramperfreundlicheres Land gibt als das United Kingdom. Wenn du da mal länger als zehn Minuten stehst, musst du dich schon sehr dabbisch angestellt haben oder wie Dracula aussehen. Solche Typen gibt's ja bei den Anhaltern öfter. Ansonsten reißen sich die Autofahrer um die Ehre, jemanden kostenlos durch die Prärie schuckeln zu dürfen. Und bei diesem sympathischen Landesbrauch wollen auch junge Mädchen und Schwerlastkraftwagenfahrer nicht ausscheren, ja sogar ganze Familien auf Wochenendausflug sind mitunter bereit, noch einen Unbekannten in ihr Wohnmobil zu pferchen, da kommste aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Aber es ist ganz gut vorher zu wissen, dass sie das nicht aus christlicher Caritas tun, sondern auch was davon haben wollen. Damit meine ich nicht, dass wir dauernd die Haustiere der Autofahrer zu füttern hätten, das war sozusagen ein Sonderfall. Aber als Gesprächspartner der Chauffeure und Chauffeusen musst du schon was leisten, denn die Spezies der Autobesitzer, in Germany nicht anders als in Frankreich, England oder Schottland, gehört zu den neugierigsten Menschen auf dem Erdenrund. Und dann meinen sie, nur weil sie dich bis zum nächsten Dorf transportieren, ein Recht zu haben, Deinen Lebenslauf zu erfragen. Klar, was soll man auch schon fragen als das übliche Woher und Wohin? Aber manche wollen auch noch deine Schuhgröße, Kragenweite und bevorzugte Zahnpastamarke wissen, als ob sie allesamt Hobby-Statistiker wären, aber dass selbst mal einer mit gutem Beispiel voranginge und beispielsweise erzählte, er sei ein professioneller Tresorknacker auf Hafturlaub oder meinetwegen auch ein Schornsteinfegermeister auf dem Weg zum Finanzamt, das kommt so gut wie nie vor. Für unsereins muss es genügen, dass der Typ am Steuer ein Autofahrer ist, basta. Um mal ehrlich zu sein, ich finde es stinklangweilig, immer dasselbe herzubeten, wenn ich Privates gefragt werde, und variiere daher meinen Lebensweg gern beträchtlich, je nachdem, wie inspirierend der Frager ist, denn kreativ sein ist ja heutzutage alles. |
Aber
genug geschwafelt, schaun wir uns doch mal in Schottland um. Da gehst
du freundlich des Weges und grüßt den
entgegenkommenden Mitmenschen artig nickend, und was macht der? Der
schüttelt den Kopf. Und der nächste ebenso. Deutsche
sind hier wohl unbeliebt? Ein Autofahrer, unterwegs dazu befragt,
grinste und belehrte uns, dass Schotten sich mit Kopfschütteln
begrüßten, das sei die schottische Art zu nicken.
Die spinnen, die Schotten. Ein Kaff weiter frage ich einen jungen Mann
nach der Straße in Richtung Inverness, denn wir
müssen uns zum Hitchen stets an der richtigen
Ausfallstraße postieren. Bereitwillig erteilt er Auskunft und
fügt dann hinzu: "...., aber drei bis vier Tage werdet ihr da
mit eurem schweren Gepäck schon zu gehen haben."
Allmählich beginnen auch wir, die Köpfe zu schütteln. |
Ein englisches Urlauberpärchen hatte anscheinend Langeweile auf der Honeymoonfahrt durch die schottischen Highlands und packte uns in seinen Campingwagen; als Dank für Ingos pausenloses Gelaber in seinem Rotstift-Englisch spendierten sie uns sogar unterwegs ein Eis, als seien wir an der Adria, aber ich muss auch dazu sagen, dass der schottische Nebel gerade mal kurz Pause machte. |
Was Rotstift-Englisch ist, willste wissen ? Klar doch, das ist das Englisch, das du von deinem Lehrer zurückkriegst, nachdem er es mit seinem Rotstift verziert hat, und das klingt etwa so: |
"We have went from Germany and are loving very many of England and Scotland". |
Diesen Ausspruch muss man sich so richtig auf der Zunge zergehen lassen. Lübke würde blass vor Neid. Nichts gegen den Ingo, der ist ja ein guter Unterhalter, und schottisch versteht er fließend, und das sag ich dir, das ist eine Kunst, vor der ich Respekt habe. Aber das hat er dann ebenso wenig kapiert wie ich, als das Pärchen auf einmal anfing, uns in die Geheimnisse des britischen metrischen Systems einzuweihen. Dafür benötigt man ein besonderes Gen, will mir scheinen, denn da müssen sogar kontinentale Hobby-Statistiker passen. |
So, unsre heutigen Fish'n'Chips mampften wir in Inverness, ließen unsere schwere Bagage im Schließfach des Bahnhofs und rollten unsere Schlafsäcke in Sichtweite von Loch Ness im Freien unter einer Brücke aus. Wahrscheinlich hat uns die hervorlugende Abendsonne zu diesem Leichtsinn verleitet. Um kurz nach 5 in der Frühe wurden wir nämlich von kalten Highland-Winden aus den Beuteln geblasen, und jetzt stell dir unsre belämmerten Gesichter vor, als wir am Bahnhof, in dem unser Rödel ruhte, vor verschlossenen Gittern standen. |
"Sonntags macht der erst um 9 Uhr
auf", sagte der
Milchmann, "vorher
fährt eh kein Zug."
Aber Autos fahren, Mann, und da sollen wir hier bis um 9 Uhr herumhängen und die Nessie füttern, oder was? Sogar die Bars machen früher auf als der Hauptbahnhof von Inverness. In einer solchen Bar verärgerten wir auch noch unsere Mägen mit jenem wässerigen Milchgesöff, das sich hier verwegen Coffee nennt. Kein Wunder, dass in dieser Gegend so manches Ungeheuer gedeiht. Um halb zehn haben wir unser Taschenhotel wieder und lassen uns mit einem LKW in die menschenleeren Highlands befördern. Dann hält ein Ire und lädt uns großspurig ein, mit ihm zu reisen, so weit wie er fahre. Hei, heute Abend in Dublin, glaubten wir schon, aber so weit er fuhr, das waren die drei Meilen ins nächste Dorf. Irischer Humor, hahaha. Die spinnen, die Iren. |
Tja, und dann war Schluss, vorerst. Jetzt kannst du nämlich alles vergessen, was ich dir eben erst extra über das britische Anhalterparadies vorgeschwärmt habe. 'Never on sunday', trällerte Melina Merkoury allen Anhaltern die goldene Grundregel Nr. 1 ins Ohr, denn eher hält in der schottischen Ödnis ein weißes Schiff aus Piräus als ein Austin oder Morris. Da mag die Straße ideal sein, der Verkehr durchaus nicht allzu spärlich, der Platz, an dem wir uns die Arme taub winken, sogar hervorragend, und unser Äußeres, hm, zumindest nicht gerade abschreckend. Und woran hakt es dann? |
Ausnahmsweise sind nicht die geizigen (?) Schotten dran schuld --- dem Leser ist sicherlich aufgefallen, dass wir in letzter Zeit meist von Engländern und Iren befördert wurden ---, sondern das schöne Wetter, das unsereins so dringend benötigt, nur sonntags nicht. Denn da packen alle Biedermeier in ihre hugeligen Antikomobile Opa, Oma, Onkel, Tante, Neffen und Nichten, alle fünf Kinder, den Bello und die Maunzi rein und haben für die zwei unrasierten Burschen mit ihren Warenballen nur ein freundliches Kopfschütteln übrig, aber keinen freien Platz. Nur Glückskinder wie wir werden von einem reizenden älteren Ehepaar aufgelesen, das mit einem dieser seltsamen betagten Kleinwagen dem Wochenendhaus zustrebt. Nach über vier Stunden Wartezeit ist so ein Glücksfall eine wahre Erlösung, und als Ingo wortreich, wenn auch nicht immer grammatikalisch korrekt, unsere Leiden schilderte, schmolzen die beiden Alten vor Mitleid dahin wie Eis im Whiskeyglas oder wie rosarote Teenieherzen, wenn Paul McCartney "When I'm sixty-four" näselt. Es war gar keine Absicht dahinter gewesen, der Ingo hat schon immer so einen Predigerton am Leib gehabt, wenn er sich selbst bemitleidete, aber die Straße, an der die guten Oldies uns absetzten, führte direkt vor ihrem Häuslein vorbei, und wir waren nach einer erneuten Stunde Wartezeit schon wieder recht grantig, weil andauernd Wagen vor uns abbremsten, aber anstatt uns an Bord zu hieven, bogen sie ab in den Vorgarten besagten Häusleins. Familientreff bei Grandma und Grandpa zur Teatime am Sonntagnachmittag.... Da ging jedenfalls auf einmal die Türe auf, und die Oma fuchtelte mit beiden Armen in der Luft herum; es war offenbar noch eine Menge Tee und Kuchen übrig. |
Du weißt ja, wie sich die Omis ins Zeug legen, wenn die verwandte Mischpoke zu Besuch kommt, Berge von Apfelkuchen, und Streuselkuchen, so groß wie ein halbes Fußballfeld, als sei eine Armee verhungerter Clochards im Anmarsch. Jetzt musst du dir vorstellen, dass wir seit dem schmalen Imbiss in Inverness nichts Rechtes zu Beißen bekommen haben. Aber du kennst das ja, wie beklemmend es ist, als Fremdling bestaunt in einen Zirkel von Cousins und Enkelkindern unbekannter Opas und Tanten zu geraten und Tee zu schlürfen. Wir waren durchaus von der Fürsorge der wildfremden Leute beeindruckt, gaben uns charmant, bedeckten die taubenkackfleckigen Jeans diskret mit Servietten, stopften das ausgezeichnete Backwerk mit zivilisiert unterdrückter Gier in uns hinein und blieben anschließend aus Höflichkeit zu zwei Stunden English Conversation, bevor wir uns aufrichtig für die Gastfreundschaft bedankten, einen netten Afternoon wünschten und dann mit einem Headstart bis nach Lairg davonzwitscherten. |
Manchmal ist die Welt wie zugenagelt. Da helfen auch Werktag und trockenes Wetter nicht. Dabei will ich gar nicht motzen, denn als wir uns ergeben an die Roadside und dem Schicksal anheim stellten, obwohl dort mehr Schafe des Weges kamen als benzingetriebene Fortbewegungsmaschinen, tropften wir auch im menschenleeren schottischen Hochland von Dorf zu Dorf und hatten ausreichend Muße, die vieltönige Landschaft und die eintönige Dorf- und Kneipenarchitektur auswendig zu lernen. Lairg, Achnairn, Overscaig und manche muhende, damals noch nicht neurotische Kuh ließen wir hinter uns, erreichten an der Brücke über den Laxford-Sund den nördlichsten Punkt unsrer Schottland-Expedition, passierten Scourie und schließlich Kylesku, wo die Fähre unseren Bummelzug-Rhythmus jäh unterbrach. |
Also das mit dem "zugenagelt", das habe ich jetzt ein bisschen zu früh gesagt, weil ich nämlich die Fortsetzung schon kenne, denn bisher konnte man sich ja wirklich nicht beklagen. Aber wenn dich einer bis zur Fähre mitnimmt und dann nicht weiterfährt, musst du gerissen genug sein, um auf dem Kahn einen der knapp 20 Fahrzeugbesitzer zu bezirzen. Wenn du da versagst, bist du aufgeschmissen, denn dann tuckert die Fähre zurück und kommt erst anderthalb Stunden später wieder, und bis dahin kannst du auf der Chaussee ein Jigsaw Puzzle zusammenlegen oder deine Jeans bügeln oder die Steuererklärung ausfüllen. Ohne Fähre kein Fahrzeug, so einfach ist das nämlich. |
Also, Leute anlabern, das war Ingos Fach, und zu seiner Ehre muss ich sagen, da ist er wirklich gut drin. Wenngleich er, das will ich nicht verschweigen, nicht immer die richtigen Leute erwischt. Aber man kann ja nicht alles auf einmal verlangen, die Richtigen finden und die dann noch an die Wand quasseln. Und das auf Schottisch. Aber wir konnten noch nicht ahnen, dass wir heute alle beide nicht unsren besten Tag hatten, um es mal diplomatisch zu sagen, und dass Ingo auf der Fähre keinen Lift zu fassen bekam, war nicht mal der dickste Bock, den wir da geschossen haben. Nur, das weiß man alles immer erst hinterher, wenn es zu spät ist. Sicher, ich hätte die Sache ja auch selbst in die Hand nehmen können, statt jetzt auf meinem Freund rumzuhacken, aber wenn man sich auf so einer Fahrt die Aufgaben nicht aufteilt, gibts immer so ein Kompetenzgerangel, das kann einem die ganze Reise vermiesen. Das ist so wie bei der Dampflok, einer schaufelt die Kohlen rein, und der andere bedient die Mechanik. Wenn nun beide die Mechanik bedienen wollen, kommt die Lok nicht in Fahrt, und wenn sie alle beide Kohlen schaufeln, dann fährt sie Amok. So ähnlich musst du dir das auch beim Hitchhiken vorstellen. |
Wir hatten also Zeit zum Mövenfüttern, als das letzte Vehikel aus dem Innern der Fähre an uns vorbeigerauscht war und die herrliche Einsamkeit der windigen Highlands uns umfing. Wir hatten wenig Sinn dafür, denn am Fährufer, da hast du nur noch wenig Chancen. Vor allem dann nicht, wenn mit der nächsten Fähre zwei naiv dreinblickende, aber vollbusige australische Girls ankommen und prahlen, wie toll das Autostoppen in Schottland doch klappe. Und nicht nur prahlen, denn kaum stehen sie da und heben den Arm, wuppdich, da hält, aber echt wie bestellt, so ein Schnösel mit schicker Limousine und lädt sich seine kichernde Beute in die Kalesche. |
"Good luck!", rufen die frechen Teenies uns noch zu, und das war, da will ich mal gerecht sein, vermutlich gar nicht spöttisch gemeint. Dass Ingo daraufhin voller Wut einen unschuldigen Stein so heftig wegkickte, dass er sich beinahe den Fuß ausrenkte, war ein bisschen unangemessen, aber weg war die Fähre, und fort waren die Autos, und was uns blieb außer dem kalten, immer heftiger blasenden Nachmittagswind, das waren dunkle, schwere Regenwolken, die langsam, aber sicher immer näher geschwebt kamen. Ich sollte vielleicht kurz daran erinnern, dass es August ist und Schottland über die reinsten Gewässer der britischen Inseln verfügt, aber an Badefreuden denkt hier kein Mensch. Eher an norwegische Pullover oder an grönländische Anoraks. Als die ersten Tropfen fielen, schepperte die Fähre zum dritten Mal an die Mole, und es kam eine Urlauberfamilie aus Birmingham im Wohnmobil herbeigefahren und rettete uns vor den hereinbrechenden Gewalten der Natur. So kamen wir bis nach Ullapool und waren sogar schneller da als der Regen, aber in Sichtweite war der schon. Schnell fraßen wir, ja dreimal darfste raten, aber einmal genügt auch, also da fraßen wir uns mit unsrer Tagesration an Fish'n'Chips den Wanst halb voll und suchten uns als Obdach ein einsames Überlandbus-Wartehäuschen aus, und dann fehlte nur noch Wasser. Na ja, von oben, da gibt's hier genug von der Sorte, das hast du sicher schon gemerkt, und vor einer halben Stunde hat's auch wieder angefangen, aber es ist schon mal vorgekommen, dass du mitten in der Nacht aufwachst mit einem mords Durst, und genau da regnet's mal nicht; eine verwegene Konstellation in Schottland, aber der erfahrene Tramper fasst auch die unwahrscheinlichsten Möglichkeiten ins Auge. |
Der
nächste Zapfhahn war an
der Tankstelle an der Ecke. "Hinter
dem Haus", sagte der
Tankwart, und da war er auch. Fürs Wasserzapfen war der Mensch
im Overall nicht zuständig, das gab's nur per Selbstbedienung.
Ingo schaute mir beim Zapfen zu, und weil der immer gern herummeckert,
sagte er:
"Mann, das ist aber ziemlich rötlich, das Wasser hier." Also, wenn du am Arbeiten bist und da guckt dir einer zu und meckert auch noch, dem gibst du gleich eine patzige Antwort, ist doch logo. "Liegt an der schrägen Abendsonne", sage ich, aber weil es die ganze Zeit schon wieder regnete, konnte eigentlich von Abendsonne keine Rede sein, wenn man mal ehrlich war. "Das muss ja rötlich sein, was meinst du denn, woher der schottische Whiskey seine Färbung kriegt?", füge ich noch hinzu, aber da kam mir der Farbton des Wassers schon selber reichlich seltsam vor. Dass Wasser selbst in Schottland in der Regel nicht allzu whiskeyfarbig war, hatten wir bereits ausgiebig verifizieren können; ich drehte den Hahn zu und schnupperte an der halbvollen Bottel. Nein, Whiskey war es leider nicht, das muss ich zugeben, Sprit hingegen schon, und zwar ziemlich hochprozentig. So ein Knaller! Da fahren die Leute wegen einem Preisunterschied von einem halben Cent über die Grenze bis nach Holland, um preisgünstig zu tanken, weil bei 50 Litern, da macht das 25 gesparte Cents, da kriegste zwar nicht mal 'nen Kaugummi dafür, aber gespart ist gespart --- und im als geizig verschrienen Schottland träuft das Zeug kostenlos aus dem Wasserhahn und versaut uns die Plastikbottel, denn die kannste waschen und waschen und waschen, die wird für immer nach Gratis-Benzin aus Ullapool schmecken. |
Die fünf Häuser von Lochalsh, die wir bei überraschend sonnigem Wetter am nächsten Abend erreicht hatten, sahen im Morgenlicht nicht so aus, als ob sie ein Frühstück für hungrige Fahrensleute bereit hielten. Obwohl, sowas weiß man nie im Voraus. Wer hätte zum Beispiel gestern Abend noch ahnen können, dass die Kühe auf der Wiese, die uns in unserem Falthotel in den Schlaf geschmatzt und gefurzt hatten, sich im Morgenlicht in Ziegenböcke verwandeln würden, die sich nicht mal melken lassen? Also, manchmal geht es in Schottland schon recht merkwürdig zu. |
Übrigens, ob du an Zufall glaubst oder nicht, nach Lochalsh gebracht hatte uns, nach einigen Zwischenlifts mit Telefonleitungsreparaturtrupps und dem Postauto, die nette Familie aus Birmingham von vorgestern, die es ohne unsere Gesellschaft in der schottischen Wildnis offenbar kaum ertragen konnte und uns am liebsten noch bis Birmingham mitgenommen hätte. Kann ich gut verstehen, denn wer sich den Ingo ins Auto lädt, der kann was erleben. Seine unterhalterischen Talente waren mit einem Afternoon tea belohnt worden, und weil es in Lochalsh am Abend keine Disco, ja, noch nicht mal Fish'n'Chips gab, waren wir auf die Idee mit dem Melken gekommen, aber wie gesagt, Ziegenböcke, da kannste lange dran rummelken. |
Kurz vor dem Hungertod erreichten wir Invermoriston, wo man zwar einkaufen und frühstücken kann, aber da hat anscheinend in der Morgenzeitung gestanden, dass zwei gefährliche Gewalttäter aus dem Jail von Glasgow ausgebrochen seien und Schottland auf der Suche nach neuen Mordopfern per Anhalter durchstreiften; anders lässt es sich nicht erklären, dass die Leute uns am Straßenrand nicht mal eines Kopfschüttelns würdigten, geschweige denn in Richtung Glasgow spedierten. Also muss mal wieder in die Trickkiste gegriffen werden, denn als Tramper musste pfiffig sein und ein paar Kunstgriffe auf Lager haben. Nein, eine Blondine herbeizaubern, das kann ich auch nicht, aber weil ich Ingos Talente nun bereits eine volle Woche lang ausgekostet habe (--- im Gegensatz zu vollen Flaschen gibt's komischerweise zwar volle, aber keine leeren oder halbvollen Wochen. Gruß, Dein Denker --- ), kann ich mich zu der entbehrungsreichen vorübergehenden Trennung durchringen, denn Einzelhitcher kommen, das ist die Goldene Anhalterregel Nr.2, doppelt so schnell vom Fleck wie männliche Duos. |
Zosch, schon rausche ich durch Fort Augustus, wutsch, schon quietschen die Gummifüße in Fort William, dem vereinbarten Treffpunkt. Keine 10 Minuten später war auch Ingo da, in einem Wagen, der auch mich noch einlud, und das war ganz gut so, denn was sich da auf der Strecke nach Tyndrum über unser Wagendach ergoss, war schon hart am Rande dessen, was ein Schotte noch als scottish mist bezeichnen würde; in der restlichen Welt wäre damit der Wasserbedarf einer ganzen (vollen ?) Woche gestillt gewesen, aber du weißt schließlich, dass die Schotten auch im Wegtrinken diverser Flüssigkeiten, wenn auch nicht unbedingt von undestilliertem Regenwasser, historische Leistungen vollbracht haben. Ab Tyndrum allerdings war mit Wagendach Schluss, mit "Nebel" hingegen nicht. Ein Lastzugpilot und danach zwei urige Wucherbart-Schotten fanden nichts dabei, uns nasse Vogelscheuchen in die Polster zu hieven, und dann erzählten sie uns lange Geschichten, in denen sehr viel Bier und Whiskey vorkam, mehr verstand ich davon nicht. Bei Ingo war das was andres. Wenn von Liquor die Rede ist, versteht er auch Persisch. Das kann ich nur bewundern, denn ich hatte mir, unter uns gesagt, auf meine Sprachtalente allerhand eingebildet. |
Vom vielen Reden bekamen die Schotten einen mächtigen Durst und hielten vor einem Landstraßen-Hotel, in dem sie ihn zu löschen und zu übernachten gedachten. Wir retteten uns vor der Sintflut unter die wasserspeiende Traufe, aber nicht, weil die Geizkragen uns nicht mal auf ein Pint eingeladen hatten, sondern weil aus der halboffenen Türe direkt daneben Düfte drangen, die auch Leute mit eingeschränkter Denktätigkeit mit "Gasthausküche" assoziieren würden, sozusagen instinktiv. Und da waren Ingos Talente wieder gefragt, denn uns war schon lange vorher eingefallen, dass wir seit Invermoriston am Morgen nichts mehr gegessen hatten. Wir streckten unsere Köpfe rein und machten der errötenden Köchin ein paar artige Komplimente, und den Rest des Feldzuges konnte ich getrost Ingo überlassen: Jedenfalls mampften wir kurze Zeit später dick belegte Sandwiches, die nicht mehr gekostet haben als einen Flirt mit dem Küchenpersonal. Und weil Ingo heute in Hochform war, brachte er einen Lastzug-Fahrer, der sich in selbigem Rasthaus mit einem milchigen Coffee gedopt hatte, dazu, mit uns an Bord bis nach Glasgow runterzudonnern, wo uns die Zivilisation in Form von Matratzen in einem Studentenwohnheim, ehrlich bezahlt, in Empfang nahm. |
Glasgow ist eine wahnsinnig aufregende und attraktive Stadt mit dem Charme von Duisburg und Bottrop zusammengenommen, allerdings nur für Besucher, die sich für qualmige Fabriken und Industrieschlote interessieren. Sicher, da gibt es auch eine Altstadt mit hübschen Winkeln, aber die wichtigste Attraktion für uns war das Studentenheim mit seinen Matratzenpritschen, und diese fesselten uns dermaßen, dass wir losen mussten, wer einkaufen geht und wer in der Küche das Breakfast zusammenschmurgelt. Grummelnd bewegte sich Ingo in den Regen hinaus. Also, wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass das nach seinen gestrigen Verdiensten eigentlich meine Aufgabe gewesen wäre, aber einkaufen gehen und Egg-and-Bacon-Braten hatte unsere Arbeitsteilung überhaupt nicht vorgesehen, und wenn man eine gute Woche lang auf der falschen Straßenspur gefahren ist und den Kopf geschüttelt hat, da wird der Mensch halt leicht zum Egoisten, so traurig das ist. Aber das gehört nicht unmittelbar zum gebratenen Glasgower Speck. Lassen wir's also und stellen uns mit gut gefülltem Pansen wieder an die Chaussee. 11 Uhr zeigt die Wristwatch an, und wenn wir heute Abend noch die letzte Fähre nach Irland kriegen wollen, müssen wir einen Zahn zulegen. Getrennt, das war ein bewährtes Rezept, und das ging auch ganz flott, während der Regen sein Bestes gab, um uns dreisten Schmarotzern Schottland auf Dauer zu verleiden. |
Nach den ersten 30 Meilen wusste ich schon nicht mehr, ob Ingo vor mir war oder hinter mir, und wie ich so lässig unter einer großen, dicht belaubten Linde stand und winkte, bremste ein Vehikel, bei dem ich das Winken sofort bereute. Man soll ja dankbar sein für die Güte, wenn einer dich aus dem Dauerregen aufliest und kostenlos ein paar Meilen voranspediert, da gibt's keine Diskussion. Aber manchmal geht die britische Caritas ein bisschen weit. Ich hab ja auch nichts gegen Minis, --- ich meine jetzt nicht die von der Gabi, die stehn ihr ganz ausgezeichnet, denn die hat Beine, das glaubste gar nicht, da will ich gar nichts anderes dran sehen ---, sondern die Mini-Coopers oder Austins oder wie diese schrecklichen Go-Karts heißen, die in diesen Jahren so in Mode waren, eine richtige Plage. Auch wenn der Fahrer mit seiner Leibesfülle den Stamm meiner alten Regenschutzlinde noch erblassen lässt, will ich mich als Tramper gern noch reinknäulen, man stellt ja keine großen Ansprüche, und außerdem haben die dicken Fahrer erfahrungsgemäß immer eine Tüte Sandwiches in Griffweite und meinen, alle Welt sei mit ähnlichem Appetit gesegnet. Und da lassen sie dich nicht darben, das macht die Dicken so sympathisch, zumal ich an Dicken grundsätzlich nichts auszusetzen habe, außer vielleicht, dass sie ein bisschen dünner sein könnten. Aber wenn das Vehikel dann noch mit Sperrholzplatten beladen ist bis unters Dach, da hört der Humor so langsam auf. Die Räder eierten unter der Last ohnehin schon ziemlich abenteuerlich, und ich hoffte erst, der bremst aus irgendwelchen anderen Gründen, konnte ja sein, dass er diese Tour alle Tage fährt und die Linde sein Stammpinkelplatz ist oder was weiß ich, aber nein, kein Missverständnis, come on, steig ein! Aber jetzt pass auf, jetzt kommt nämlich der Gag. Um den Zeitgenossen und seine Großzügigkeit nicht zu vergrätzen, krieche ich mit meinem nassen Bündel unter den Holzstapel, und da sagt's auf Deutsch "hallo, biste auch schon da?" |
Das ist dem x-beinigen Karren nicht anzusehen gewesen, dass da der nasse Ingo noch drin steckte und mit seinem Puckel das Sperrholz festhielt! Ich weiß nicht, für wie viele Unzen oder Scheffel oder wie das bei den Briten heißt, an Zuladung so ein Mini-Cooper zugelassen ist. Aber wenn ich daran denke, dass sein Ächzen zeitweilig das angestrengte Motorengebrumm übertönte und bei jeder Unebenheit die Landstraße an den Boden des Chassis klopfte, kann ich mich des Verdachts nicht erwehren, dass dem Gefährt da ein wenig viel zugemutet wurde. Anders als in Weinheim ging das Ding aber wundersamerweise nicht entzwei; hier machte sich wahrscheinlich der Heimvorteil bemerkbar. |
Um 18 Uhr verließen wir das hörbar aufatmende Fahrzeug in Girvan, wo kein schottischer Nebel, sondern ein echter Regen niederging, es war, wie wenn du unter einem Wasserfall stehst. "Wasserrohrbruch bei Petrus", blubberte Ingo und wusste nicht zu sagen, was ihm lieber war, aufrecht unter der Dusche zu stehen oder zusammengefaltet, aber im Trockenen unterm Sperrholz. Aber lange Zeit zum Überlegen blieb ihm nicht, denn wenn das hier nur 20 Minuten so weiter pladdert, brauchen wir kein Auto mehr, dann kann die Fähre nämlich bis nach Girvan schwimmen. Jetzt stell dir mal vor, wie jemand mit den Armen fuchtelt, der kurz vorm Absaufen steht. Der Retter war ein redseliger Oldie, dem es auf einen kleinen Umweg bis zum Fährhafen nicht ankam, nur schnell fahren wollte er wegen uns nicht bei dem Sauwetter, und da hatte er sicherlich Recht. Denn ob du wie der rasende Roland die Kurven nach Stranraer runterdonnerst und kurz vorm Ziel an einem Chausseebaum zerschellst, oder ob du im Opa-Schritt auf Nummer Sicher runterfährst, den letzten Dampfer kriegste so oder so nicht mehr, der macht nämlich um 19 Uhr die Leinen los. Da sollten wir dem alten Herrn noch dankbar sein, denn wir kamen immerhin heil im Hafen an und konnten in Ruhe zusehen, wie der Kahn gerade davonfuhr. Take it easy.... |
So, jetzt kommt der Denker wieder her und sagt, dass jedes Unglück auch seine guten Seiten habe. Der meint damit natürlich nicht, dass der Regen aufgehört hat und dass es im Hafen von Stranraer eine noch geöffnete Fish'n'Chips-Bude gab, das hat ja nichts damit zu tun, dass uns die letzte Fähre vor der Nase weggefahren ist. Der meint vielmehr, dass da, wie wir so an der Mole hockten und in die Dunkelheit starrten wie Winnetou, ohne eine zündende Idee, wo wir die Nacht verbringen sollten mit unserem voll durchnässten Campingrümpel, gegen 22 Uhr die Gegenfähre aus Irland angetuckert kam, und obwohl die erst am andern Morgen wieder in die graue, regennasse See sticht, wirst du schon am Abend an Bord gelassen und kannst dir die weichste Polsterbank zum Pennen aussuchen. Und hast die Garantie, dass dir selbst niagarafall-artige Niederschläge nicht das Geringste anhaben können. |