Welche Rolle in London die Parks spielen

 

 

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Meine ersten Schritte in Großbritannien müssen sehr ratlos ausgesehen haben. Es stürzt sich nämlich gleich ein eifriger Uniformierter auf mich und weist mir den Weg zu einem bärtigen Seebären, der wiederum please mein Ticket zu sehen wünscht. What for ein Ticket? Das habe ich doch mrsqueenbeim Betreten des Kahnes schon längst abgegeben! Es stellt sich heraus, dass mich der marinierte Teddy auf die Fähre nach Calais befördern wollte. Ihr mögts mi wohl net, ihr Brits? Aber so einfach lass ich mich doch nicht von so einem simplen Schiffer auf den Kontinent zurückspedieren, da müsste schon die Missis Queen persönlich kommen. Aber die hat möglicherweise andere Sorgen und wäre vermutlich not amused.

 

 

Mit leichtem Argwohn folge ich einem dubbeldeckeranderen Gentleman, der sich unaufgefordert meiner annimmt und mich zu einem jener urtümlichen roten Doppeldeckerbusse lotst; da soll ich einsteigen. Môssieu! Ich bin Tramper und habe meinen Stolz, keine öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen. Nein, nein, das ist kostenlos, beschwichtigt er mich. Mein Argwohn wächst. So ein Service will mir ganz und gar nicht einleuchten. Wo kriegt man denn schon mal was umsonst auf dieser Welt? Wo sogar der Ärger was kostet, und zwar Nerven. Vollends verdächtig wird mir die Chose aber angesichts der Insassen des Gefährts: Was Volksmund und Bildzeitung als Gammler, Hippies, ungewaschene, lausige, langhaarige Typen bezeichnen würden, hockt da bunt durcheinander auf Bergen von Gepäck, aus dem so bedrohliche Requisiten wie Kochtöpfe und Gitarren ragen --- mir zuckt durch den Kopf, dass ich wohl in einen Sammeltransport zum nächsten Jail gelockt werden soll, aber der Fahrer versichert mir glaubhaft, dass er nur zum Zoll fahre. Da soll ich womöglich alle meine Juwelen deklarieren? Eine halbe Stunde später war die britische Statistik gefüttert mit Frank-Eschersheimer-Daten, woher, wohin, wann geboren und warum, wie viel a) britische, b) fremdländische Devisen eingeführt und, tatsächlich, welche Pretiosen ich zu verzollen habe --- die spinnen, die Briten! Das zum Schluss noch nach Drogen durchwühlte Päcklein rödelte ich nach meinem ausgeklügelten Packsystem wieder zusammen, denn anders braucht man gar nicht erst zu versuchen, den Reißverschluss zuzukriegen.

  

 

Dann taperte ich also frei durch Dover, mitten in der beginnenden Rush hour, dotzte wie behämmert zwischen wild hupenden Autos umher, die immer von der Seite herangebrummt kommen, von der man es am wenigsten erwartet hätte. Die urigen roten Doppelstockbusse, die kutschenförmigen schwarzen Taxis, in die auch ein steifer Gentleman mit Zylinder ohne Verbeugung einsteigen kann, und all jene unbeirrt auf der verkehrten Straßenseite einhertöffelnden Geisterfahrer --- es ist zum Quieken, aber England sieht tatsächlich aus wie in den komischen Englisch-Lehrbüchern für die Mittelstufe. Womöglich sind dann auch alle anderen Gruselgeschichten wahr, die man sich in Übersee über diese ausgeflippten Insulaner erzählt? Das gute Wetter, die opulenten Mahlzeiten, die übersichtlichen Maß- und Gewichteinheiten?

 
 

Ich will es wissen. Da gibt es ein Royal Post Office, und ein paar Briefmarken zum Postkarten-Frankieren kann man ja immer gebrauchen. Und in der Tat, alle Alpträume wurden wahr: Für meine lapprige Pfundnote erhielt ich als Wechselgeld den Grundstock für eine beachtliche Münzsammlung, welch ein Geschäft! Das Sammelsurium enthielt runde, achteckige, zwölfeckige, silbrige und kupferne Münzen, alte Pence, neue Pence, Shillings und Crowns mit Jahreszahlen zwischen 1915 und 1969, mit den Konterfeis diverser, durchnummerierter Georgs und einer gewissen Elizabeth. Die größte Münze ist der Penny, den man nur selten versehentlich verliert, weil er bei seinem Umfang vernehmlich scheppert. Allenfalls halb so groß ist der Threepence, während es ein Sixpence mit Mühe auf ein Drittel der Penny-Fläche bringt. Das ist sehr vernünftig, denn da hat man auch kurz vor der Pleite noch eine gut gefüllte Geldtasche, während der wahre Wohlhabende seine Schätze diskreter mit sich führt. Zwölf Pennies, die des Bettlers Börse schwellen, ergeben immerhin einen Shilling, und wenn sich deren 20 zusammentun, macht das ein Pfund. Ich habe es aber nicht nachgewogen. Wenn man jetzt noch weiß, dass Shillings auf englisch Bops heißen, dass zweieinhalb Bops eine Half-crown und 21 Bops eine Guinea ergeben, ist man britischer Logik schon halbwegs auf die Schliche gekommen.

 

 

Beruhigt stopfte ich das Altmetall in die Tasche und machte mich, an schrulligen Reihenhäusern entlang, auf den Weg zur Arbeit, die am Ortsausgang Richtung London begann. Wenig begeistert war ich angesichts der Scharen von Trampern, die jede Ausfallstraße säumten und, ja, dreimal darfste raten, wo die alle hinwollten. Erst gegen 18 Uhr geschah das Wunder, dass jemand mich aus dem Anhalterpulk herausklaubte, der sich stündlich, mit jeder Ankunft der Fähre aus Calais, zuverlässig regenerierte. parkGerade heute war der Minister McLeod verstorben, was Gesprächsstoff bis Maidstone ergab, denn nichts liebt der Brite mehr als die täglichen politics zu kommentieren. Ohne nennenswerte Wartezeiten rollte ich dann in wechselnden rechtsgesteuerten Vehikeln durch bis London-Clapham, bis vor die Türe der Adresse, an der mein Kompagnon Ingo residiert. Bevor ich da aber ins Haus schneie, rufe ich lieber erst einmal von einem public phone aus an, und das war gut so, denn Ingo war natürlich nicht daheim, sondern trollte sich, so die Auskunft, irgendwo near Picadilly herum. Die Suche nach einem Ort, wo ich mich eine Weile niederlassen könnte, führte mich in den Clapham Common, denn in London ist der nächste Park immer nur ein paar hundert Yards entfernt. Auf Londoner Rasen dînierte ich mit Cuisine franglaise, Supermarkt-Food aus Calais, angereichert um eine Tüte Fish'n'Chips.

 
 

Londoner Parks sind, anders als ihre deutschen Pendants, keine Hundeklosetts, sondern Erholungs- und Freizeit-Aufenthaltsort für gartenlose Reihenhausbewohner. Du kannst dich da beruhigt auf dem Gras niederlassen und dem Sound irgendeiner Lonely Hearts' Club Band lauschen, die auf einem Podest schrummt und beatelt, von einer Handvoll Flowerpower-Kids umlagert, gerne auch auf Gentleman's Art flanieren wie die Bobbies, die ihre Gummiknüttel lässig umgeschnallt durchs Grün spazieren tragen, einfach in der Abendsonne (yes indeed, es regnet NICHT!) faulenzen oder nebenan mit den Jungs Rugby, Basketball, Fußball oder Handball spielen. Ich entschied mich für Fußball, weil ich da wenigstens die Spielregeln kenne, und ein gebürtiger Franzose, der mitkickte, dolmetschte für mich, weil die Kickers sich in einer mir unbekannten Sprache verständigten. Das sei Cockney, verklarte mir der Franglais, das nur Eingeborenen verständlich sei. Aha. Erinnerungen an Bayern wurden wach, aber lassen wir das, die abendliche Kickerei bedarf erhöhter Aufmerksamkeit. Als mein Schienbeinmuskel sich in Erinnerung brachte, dämmerte es, und ich suchte und fand einen Geräteschuppen des Königlichen Gartenbauamtes, in dem ich es mir auf Torfballen und Leinensäcken bequem machte. Abgesehen von den zwei Unbekannten, die sich gegen 4 Uhr morgens an meinem Gehäuse zu schaffen machten und, ohne mich zu bemerken, einen Spaten klauten, den ich ins Freie gestellt hatte, weil er mich beengte, hatte ich keine Besucher oder Störungen zu verzeichnen. Jetzt mach mich mal nicht verantwortlich für den Verlust eines Royal Spatens. Die Königlichen Trottel vom Gartenbauamt hätten ja ihren dämlichen Schuppen ordentlich abschließen können, bevor sie sich im Pub ihr Lager stout reinziehen.

   

Mit den Frühaufstehern rumpelte ich im Pendlerbus in Richtung nelsonInnenstadt, aber nicht, um ins Büro zu fahren, sondern auf Sightseeing, London für Anfänger. Am Picadilly Circus plumpste mein Rödelbeutel in ein U-Bahn-Schließfach, und meinen leeren Magen bediente ein andrer Frühaufsteher, der Milchmann, mit einem Pint für 7 Pence. In jeder Situation ein untadeliger Gentleman wie weiland Charles Chaplin, ließ ich mich mit einem druckfrischen Morning paper am Fuße der Nelson-Säule nieder und eröffnete den unglaublich sonnigen Tag auf die feine englische Art. Bald bekam ich Gesellschaft, aber der Bobby wollte nicht wissen, was in der Zeitung steht, sondern wo ich die Nacht verbracht hätte. Dass die britischen Flics aber auch so fürchterlich indiskret nach den intimsten Dingen fragen müssen! Bereitwillig nannte ich ihm parliament eine der beiden einzigen mir in London bekannten Adressen, nämlich die in Clapham, wo Ingo haust. Die andere, Downing Street Nr.10, hätte er mir möglicherweise nicht ohne Diskussion abgekauft. Wir pflegten noch ein wenig Konversation über die Vor- und Nachteile des Frühaufstehens, und ich pflichtete dem Uniformierten bei, als er erwähnte, wie gefährlich und ungesund das Übernachten in Parks und U-Bahn-Schächten sei. Mr. Bobby war mit mir zufrieden, er trollte sich und ich mich auch, vom Trafalgar Square zum Parlament, vom Buckingham Palace bis zur Tower Bridge, vom Themse-Ufer bis zur Wohnung des Mr. Heath, der jedoch nicht mit meinem Besuch gerechnet hatte und abwesend war.

 
 

Gegen Nachmittag landete ich mit einem Evening paper in einem Park am Victoria-Ufer. Hier war ich unversehens in die richtige Gesellschaft geraten: Mit sagenhaften Typen begann sich der Park zu füllen, obwohl Punk und Hip hop damals noch unbekannt waren. Offenbar war eine nationale Stadtstreicher-Konferenz anberaumt. Die illustre Gesellschaft vermehrte sich, als werde der "Glöckner von Notre-Dame" verfilmt oder die Endausscheidung im Wettbewerb um den Titel "Clochard des Jahres" stehe an. Die Erklärung war jedoch viel simpler: Kurz darauf begann die Heilsarmee, Linsensuppe auszuschenken. Ich kaute eilends meinen Sandwich alle und wich dann der schmatzenden Mehrheit.

 
 

Nach vier Fehlversuchen erwischte ich den richtigen Bus nach Clapham, wo Ingo bei einer seiner zahllosen Damenbekanntschaften Unterschlupf gefunden hatte, und traf ihn leidlich heil an. Am Londoner Weltjugend-Treffpunkt, dem Picadilly Circus, hatte eine Schöne seine Annäherungsversuche offenkundig missdeutet und ihn mit einem Hasch-Bonbon in höhere Sphären versetzt, aus denen er soeben leicht benommen zurückgefunden hatte, und von Unterschlupf konnte, wie ich nunmehr gewahrte, in Clapham für ihn keine Rede sein, so heiß war die Begeisterung der sommersprossigen Heather für ihre teutonische Errungenschaft denn doch nicht; Ingo hatte die Londoner Nächte gezwungenermaßen im Hyde-Park verbringen müssen. Nun aber setzte Heather uns, assistiert von ihrer dunkelhaarigen Freundin Greta, Afternoon tea und Cookies assorted vor, und als die Mädchen erzählten, dass sie in Irland bei diversen Verwandten ihre Ferien verbringen würden, lud Ingo, wieder ganz der Alte, uns gleich mit ein. Ob sich die beiden Teenager auf das Treffen in Irland oder mehr über unsere bevorstehende Abreise freuten, mag ich nicht beurteilen; jedenfalls packten wir unser Zeugs, nahmen die U-Bahn nach Hendon Central, wo der Motorway beginnt, und fanden ein offenes Fenster an den Umkleideräumen des örtlichen Tennisclubs, die wir vorübergehend zu Schlafgemächern ernannten. Ab morgen soll, hussa, Britannien aufgerollt werden.

 

  

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