Warum Enten nicht gerne im Ozean schwimmen

 

 

Take it easy...., ja ja, es kann keinen abgedroscheneren Titel für so eine Fahrt geben, ich weiß. grillAber man war damals eben ein Luftikus um die 20, den es irgendwo zwischen Lunge und Niere zu kribbeln beginnt, sobald das Sommersemester zu Ende ist und es aus den Vorgärten nach gemähtem Rasen und gegrillten Bratwürsten riecht. Wenn dann noch das Wetter heiter bis wolkig und warm ist, befällt den emsigen Büffler, der über einer langwierigen Hausarbeit sitzt oder an einem Referat bastelt, ein Gefühl der Unruhe, wie es auch die Zugvögel bei Herbstanfang verspüren. Kurzum, ich muss raus, ich bin nicht länger zu halten zwischen Schreibtisch, Bücherbord, Lexika und Schreibmaschine, und diese chronischen Anfälle von Fahrtgeilheit kennt auch mein Freund und Kompagnon Ingo, von dem die Diagnose und der genannte Fachausdruck stammen.

 
 

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Das Ziel der Sehnsüchte sind, God knows why, die britischen Inseln, und das Transportmittel natürlich das gute, alte Automobil, das damals, im Gegensatz zum Handy, bereits erfunden war und Europa in erfreulich großer Anzahl verpestete. Das betone ich deshalb, weil hier nicht die Rede von einem eigenen Fahrzeug sein kann, denn wir waren leider weder im Besitz eines guten noch eines alten, geschweige denn eines guten alten Automobils, sondern nahmen die Wagen, wie sie des Weges gerollt kamen und verschmähten keinen, der willig anhielt, um zwei arme Studenten ein Stück weiter in die Ferien zu spedieren. So, jetzt musst du aber wissen, dass das Anhalten nicht immer ein Zuckerlschlecken ist, denn die weitaus meisten Chauffeure bilden sich ein, dass Armut ansteckend sei, oder dass zwei unrasierte Typen mit Leinenbeutel auf dem Puckel Nachfahren von Jack the Ripper sein müssen. So stehste dann Stunde um Stunde im Regen und inhalierst mulkige Auspuffgase --- der Katalysator wurde erst ein Jahrzehnt später eingeführt ---, weil Scharen von Vehikeln vor deiner Nase entlangbrummeln, ohne dass einer Anstalten macht, mildtätig auf den Bremspilz umzusteigen. Dabei stauen sich Missmut und Frust in der Galle und entladen sich, weil die egomanen Motoristen davonröhren und für unsere Aggressionen unerreichbar sind, zwangsläufig am ebenso regensauren Kompagnon. Also, der saure Regen, ich weiß, der war ja damals auch noch nicht entdeckt, rieselte aber auch unentdeckterweise und säuerte uns mit Nachdruck das Nervenkostüm. Wie dem auch sei, dann wird es jedenfalls höchste Zeit, sich in einen Tearoom zu hocken, mit dem wässrigmilchigen britischen Nationalgesöff die Nerven zu wässern und wieder Frieden zu schließen mit dem für solche Zwecke eben doch bewährtesten Slogan TAKE IT EASY.......

 

 

Zunächst aber hatte ich alleine das Vergnügen. Und wenn du glaubst, ich nehme jetzt direkt Kurs auf die nebligen Inseln aus dem Englisch-Lehrbuch, hast du dich geirrt. Auf dem Weg dorthin liegen nämlich noch andere Länder, die ich dir nicht ersparen will. Wer weiß denn, ob sich so schnell wieder eine Gelegenheit ergibt, über die Franzosen herzuziehen...

 
 

Französische Freunde, auf der Frankreich-Tramptour im Vorjahr kennen gelernt, waren also der Ansicht, dass ihre Heimat, das Städtele Brécey in der Normandie, genau auf dem Wege von Germany nach London liege; dem ist schwer zu widersprechen, denn solche netten Einladungen lehne ich selten ab.ffmkreuz Also nehme ich Kurs auf die Grande nation, indem ich mich um 6:20 an die Autobahnauffahrt postierte. Ja sicher, Studenten sind keine Frühaufsteher, aber wenn der Ernst des Lebens begann, stand Frank Eschersheimer schon 1970 auf Pole position. Ich hätte allerdings auch eine dreiviertel Stunde länger pennen können, denn als sich der erste Automobilist für mich interessierte, zeigte die Uhr 7:10 an. Für den ersten Tag ist man bessere Starts gewohnt. Blütenweiße Turnschuhe, wie sie später bei der Vereidigung hessischer Minister in Mode kamen, frisch rasiert, gebadet und gekämmt, so adrett präsentiert sich der gute Frank nämlich nur am allerersten Reisetag und erwartet, dass die Mani- und Pediküre auch gewürdigt wird.

 

 

Leider honorierten die missgünstigen Schicksalsgötter die Güte des jungen Austin-Mini-Fahrers miniüberhaupt nicht: Bei Weinheim fing die Kalesche an zu spotzen, fauchte, stotterte und ruckelte noch ein wenig, und dann war die Reise vorerst zu Ende. Genauer gesagt, seine Reise. Bis zur Werkstatt begleitete ich den Ärmsten noch aus Solidarität, und aus Dankbarkeit, dass er nicht auf den Gedanken gekommen war, das zugeladene Übergewicht könnte die Ursache für den Trouble seines Auto-Skooters gewesen sein, aber dann ließ ich mich von einem Guru weitertransportieren, der mir weiszumachen versuchte, ein längst verblichener Palästinenser, der vor 2000 Jahren im Nahen Osten die Römer so genervt hatte, dass sie ihn ans Kreuz pinnten, liebe mich und dich und Adolf Putin und Kim von Notkorea (also, das hat der Guru so nicht gesagt, das gebe ich nur sinngemäß wieder) und sowieso jeden Menschen auf der Welt. Ohne weitere Plagen dieser und sonstiger Art erdulden zu müssen, erreichte ich noch vor der Mittagsstunde die Goldene Bremm in Saarbrücken, von wo aus es nur 10 Minuten sind bis zu La bremme d'or. Frag mich jetzt bloß nicht, was eine Bremm ist.

  

Du hast es sicher schon gemerkt, dass Weinheim und Saarbrücken in der falschen Richtung liegen. Also, nicht dass du jetzt denkst, ich will wie Kolumbus von der anderen Seite der Weltkugel her zu den Indern gelangen und dann aus Versehen bei den Indianern rauskommen, aber ich hab eine Kleinigkeit in Paris zu erledigen, nimm's mir bitte nicht krumm.

 

 
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Die Franzosen, so der oft gehörte, deswegen jedoch längst nicht falsche Spruch, "ne prennent pas les stoppeurs facilement". Auch heute traf er zu meinem Leidwesen zu, und um mich nicht gleich am ersten Tag schwarz zu ärgern, was meiner Schönheit Abbruch getan hätte, beendete ich mein Tagewerk in einem Ort mit Namen La-Ferté-Sous-Jouarre, das höchstens halb so groß ist wie sein Name, etwa 15 Kilometer vor der Stadtgrenze von Paris. Es ist das erste Mal, dass ich für die Distanz Kassel - Paris mehr als einen Tag benötigt habe. Aber man ist ja Optimist: Wenn ich daran denke, dass ich in Paris üblicherweise fröstelkalt auf harten Planken von Seine-Kähnen zwischen öligen Taurollen zu nächtigen pflegte, da war doch der mollige Heuhaufen in der Champagne, in den ich meinen Schlafsack reinbohrte, Gold dagegen.

  

Schon nicht mehr ganz so adrett wie am Vortage, aber immerhin mit Wiesenbachwasser gewaschen --- dessen Nitratgehalt aus landwirtschaftlicher Überdüngung wurde damals noch keines Zeitungsartikels gewürdigt ---, winkte ich im Morgengrauen dem Berufsverkehr freundlich zu, mit dem Erfolg, dass ich um halb 7 an der Place de Stalingrad stand, direkt am Eingang zur Métro.

 

Nun muss ich dir auch noch erzählen, dass mich mein Business in Paris zum dortigen Goethe-Institut führte. Aber jetzt will ich dir erst mal den Unterschied zwischen einem denkenden Wesen und einem instinktgesteuerten Tier verklaren, pass auf. Das Tier würde sich nämlich jetzt in die Métro setzen und da einfach hinfahren. Ganz anders unser Frank, den auf einmal das Denken überkam. Und das ging so: Fährste mit der U-Bahn, biste um 7 da. Chic, aber vor 9 machen die sowieso nicht auf. Also gehn wir ein bisschen spazieren. Siehste, das ist clever gewesen. Das Tier würde nämlich jetzt zwei Stunden lang vor der geschlossenen Goethe-Türe hocken und Nägel bzw. Krallen kauen.

 

 

pigeonsNicht so Frank Eschersheimer. Ein munteres "Paris s'éveille" in sich reinsummend, wanderte er jetzt flott durch das morgenfrühe Paris, La Chapelle, Rochecourt, Pigalle, Clichy, Etoile, langsam wurde es Alltag, und siehe da, um Punkt 9 Uhr stand er in der Avenue d' Iéna vor der Pforte des Instituts. Das haut hin, was? Denken lohnt sich bisweilen, es wartet nicht immer der Schierlingssaft am Ende. Und da sage einer, per Anhalter zu fahren sei unsicher und gefährlich. Alles Quark. Pünktlich wie ein preußischer Beamter war ich da.

  

Ich habe in den ersten Jahren heimlich Buch geführt. Von wo bis wo, wie lange gewartet, wie viele Kilometer am Tag, durchschnittliche Fahrzeit, durchschnittliche Wartezeit usw., alles säuberlich aufgelistet. Hinterher habe ich meine Statistiken --- ich bin nämlich Hobby-Statistiker, aber nicht weitersagen! --- ausgewertet und einen Anhalter-Tagesdurchschnittswert ermittelt, der erstaunlich konstant ist, sobald man mehr als 3 Tage in Zentraleuropa unterwegs ist. Später habe ich meine Erfahrungen verifizieren können, indem ich mich auf Sizilien, in Avignon und in Portugal mit Bekannten, die per Zug kamen, verabredet habe, und bin immer pünktlich da gewesen, an der Algarve sogar auf eine Stunde genau, just im Jahr des Grandola-Putsches, der die älteste europäische Diktatur auf den Kehrichthaufen der Geschichte befördert hat. Aber das sind andere Geschichten, konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.

  

metroAlso zurück nach Paris. Ich erledigte also mon affaire mit Goethe und rumpelte dann durch den Métro-Schacht bis Versailles, wo die Autobahnauffahrt ist. Beim Verlassen der U-Bahn spürte ich was, unterhalb des linken Knies; auf dem Pont de Sèvres begann ich, leicht zu humpeln, aber der Muskelschmerz nahm weiter zu, bis ich, halb krauchend wie auf Plattfüßen, am Startpunkt zur zweiten Etappe meiner diesjährigen Tour de France eintraf. Verdammtes Pariser Pflaster, heiß soll es sein, aber verdammt hart ist es, das kann ich dir flüstern. Und das viele Denken, beschloss ich damals, ist in manchen Situationen echt hinderlich und muss auf ein notwendiges Minimum reduziert werden.

  

Jetzt, wo man eine fesche Kalesche benötigte, kann von Pole position keine Rede sein. Erstens sind Großstädte mit ihren eiligen Businessmen dem Autostopp generell abträglich. Zweitens ist da einfach zu viel Verkehr. Ja, zu viel Verkehr, das gibt's beim Hitchen auch und ist total lästig, denn keiner will aus dem Pulk ausscheren und wegen einem lumpigen Tramper einen Stau verursachen. Der Psychologe weiß, was der Autolenker denkt: "Also, wenn ich nicht halte, findet der Anhalter garantiert leicht einen anderen, der ihn mitnimmt, bei dem vielen Verkehr hier", mit dem charmanten Ergebnis, dass ich um 14 Uhr noch immer Autos zähle (Renault siegt deutlich über Peugeot und Citroën). Drittens sind, wo Autoroute und Großstadt, auch die Flics nicht weit. Du bist natürlich nicht so naiv, dich auf das für Denker und Zweibeiner verbotene Autobahn-Territorium zu stellen, sondern stehst brav vor der Zufahrt. Aber wenn Blaumänner in der Nähe lauern, traut sich kein Franzose (und auch kein Deutscher), einen Anhalter zuzuladen, sondern drückt sich mit mäßigem Tempo unauffällig an den Schupos vorbei. Jetzt ist des Trampers Kunst gefragt. Mit unschuldig gewinnendem Lächeln geht Frank auf die Flics zu, grüßt artig und erkundigt sich, ob es an dieser Stelle auch gestattet sei zu hitchen. Ein Viertelstündchen später sucht er die Bullis erneut auf und fragt höflich nach der Uhrzeit. Die eigene Armbanduhr hat er natürlich vorher in die Hosentasche gesteckt. Wenn sie sich dann noch nicht genervt fühlen, zieht man stärkere Register, indem man beispielsweise um Feuer für die Lulle bittet, ohne den Flics eine anzubieten. Auch die hartnäckigste Streife sucht sich erfahrungsgemäß spätestens nach dem dritten Anlabern einen anderen Standort aus.

  

Aber wir sind noch nicht am Ende: Viertens zieht die französische Kapitale nicht nur Geschäftsleute, Romantiker, Touristen, Liebespaare, Clochards, Bohème und Literaten an die Seine, sondern auch die lieben Hitchhiker-Kollegen zuhauf. Und an den Autobahnauffahrten klumpen sich selbige zu veritablen Tramper-Trauben zusammen, und alle sind Profis. Die einen haben Uniform am Leibe und machen auf Patriotismus, "Wehrpflichtiger will heim zu Muttern", die anderen haben was Blondes dabei und präsentieren ihr langhaariges Köderchen, anders als die Deutschen, bei denen man Männlein und Weiblein auch bei Tageslicht und aus nächster Nähe nicht immer unterscheiden kann, in satter Weiblichkeit. Das grenzt natürlich schon an Nötigung, denn so ein schlichter Pariser Bonhomme am Steuer seines biederen Peugeot 404 hat da gar keinen freien Willen mehr: Er tritt sozusagen automatisch auf die Bremse, so, als würde die Ampel rot. Charmant bittet er die Dame neben sich, während deren Begleiter auf der Rückbank Platz nehmen darf. C'est la vie........

  

Nach stundenlanger Wartezeit mit schmerzendem Schienbein, von der Pariser Julihitze ausgedörrt, bringe ich es nicht länger fertig, den Kavalkaden motorisierter Mitmenschen mein gewinnendes Berufslächeln entgegenzuschicken. Bei Mercedes-Fahrern mache ich natürlich eine Ausnahme. Meine verfinsterte Miene brachte indes endlich den Durchbruch, wenngleich der mürrische Fahrer ein Typ von jener Sorte war, die eben Finsterlinge wie mich aufzulesen pflegt. Immerhin war ich wieder auf der Chaussee. Dafür lud mich der Trollo bei Trappes ab, auf völlig freier Strecke, wo die Fahrzeuge mit Schmackes vorüberdonnern. Zur Nahrungsaufnahme und Mittagspause bestieg ich einen unbeaufsichtigten Kirschbaum, bis ich es den Kirschen gleich tat und faul ins Gras plumpste, tapste mit meinem Hinkebein mindestens einen Kilometer bis zur nächsten Ampel, und gelangte noch über Chartres und Alençon bis nach Fougères. Von da aus sind es bis Brécey nur noch 30 km, und weil das Wetter stabil aussah, breitete ich meinen Schlafbeutel auf moosigen Waldboden.

  

Bis um halb zehn ließ ich in meinem Waldbett die nachtkalten, wandermüden Knochen von der Morgensonne auftauen, denn die 30 Kilometerchen bis Brécey, die könnte man auch zu Fuß gehen. Könnte man. Aber wollen will man um keinen Preis. Auch das lädierte Schienbein protestiert laut gegen solche abartigen Gedankengänge, zumal ich mich beim Denken eigentlich zurückhalten wollte. So humpelt Frank, der Optimist, zur nahen Landstraße und lässt, so kurz vor dem Ziel, auch die Straßenkarte im Beutel. Also, den Trick mit dem reduzierten Denken, den hatte ich da noch nicht so ganz raus. Man muss halt erst mal ein bisschen üben. Das musst du mir schon zugute halten.

  

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Und jetzt war es eindeutig ein Mismanagement, sich auf seine Instinkte verlassen zu wollen: Gegen halb eins, nach fünfmaligem Wechsel des Transportmittels und einer Wegstrecke von mindestens 50 km, schöpfte ich Verdacht, denn von Brécey war noch immer keine Kirchturmspitze zu sehen. Die endlich doch aufgefaltete Karte bestätigte alle Befürchtungen und ihre Unentbehrlichkeit: Hätte ich bis Mittag im Wald bei Fuchs und Has weitergepennt und dann die richtige Piste gewählt, wäre ich vermutlich bereits am Ziel. Die kürzeste Route von hier aus aber spottete jeder Beschreibung. Ich war schon in der Solitüde der sardischen Macchia und im öden Karst des kastilischen Hochlands, aber die dortige Einsamkeit ist nichts im Vergleich zu normannischen Kuhdörfern um die Mittagsstunde. Drei Autos in zwei Stunden, wohin bist du geraten? Aber keinen Schritt laufe ich, lieber wachse ich hier fest und warte bis Silvester! Dieser feste Entschluss, dem noch immer maladen Schienbeinmuskel zu verdanken, wurde belohnt: Das nur 5. Auto war ein Präzisionslift, wie die Tramper das nennen: In einem Rutsch bis vor die Haustür meiner Freunde.

  

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Nahebei ragt ein Felsen aus dem seichten Schlick, der Mont St. Michel, eine mittelalterliche Trutzburg mit Abtei obendrauf, bei Ebbe per pedes erreichbar, bei Flut jedoch vom Meer umspült. Heutzutage ist dieser steile Montsalvat nicht länger unnahbar; ein asphaltierter Fahrdamm trotzt dem Gezeitenwechsel, der in Europa nirgendwo so stark differiert wie in der Bucht von St.Malo. Wo einstmals asketische Mönche, von heiseren Möven und Dohlen umkrächzt, fromme Studien trieben, hallt es heute wider vom Getrappel und Gesabbel unzähliger Touristen, denn der Mont, man ahnt es schon, ist fest in der Hand der Raubritter von der Souvenir- und Gastronomiebranche, die von jedem Besucher geziemenden Tribut erwarten. Zum Glück sind die engen Gassen für Motorfahrzeuge gesperrt; die stehen alle auf dem riesigen Parkplatz zu seinen Füßen.

 

 

Weil Jean, der jüngste Filius meiner Gastgeber-Familie, mit seinen 14 Jahren2crot noch kein Führerschein-Besitzer ist, vertraute Madame mir den Zweitwagen des Hauses an, eine leicht angejahrte 2 CV-Ente. Die ließen wir auf dem Parking, wie die unbelehrbaren Franzosen zur Betrübnis ihres Frankophonie-Ministers diese Einrichtung zu nennen pflegen, und erklommen den Mont, wo Verwandte der Familie mehrere Souvenirshops und sogar ein Hotel besitzen. Trotz des zäh vor sich hin knipsenden Touristenstromes kommen wir hurtig voran; der ortskundige Jean wieselt über Hinterhöfe, Terrassen, Saumpfade und verborgene Treppchen. Es gibt aber auch viel zu sehen, die olle Abtei aus dem 11.Jh. mit ihren Verliesen für Ketzer, Verkehrssünder und Steuerhinterzieher, die krummen Häuschen, die tolle Aussicht über die weite Bucht und den windigen Ärmelkanal, und dazu bekamen wir von den verwandten Bekannten Kostproben der leckeren Crêpes havraises vorgesetzt, alles kostenlose Gastfreundschaft, denn in dieser Hinsicht lassen sich Franzosen nur ungern übertreffen. Ich nehme daher verblüfft meine vorschnellen "Raubritter" zurück und schwöre mir, künftig alle Vorurteile in ihrer Abstellkammer ruhen zu lassen, gleich neben der Schublade mit dem kaltgestellten Denken.

  

Satt und zufrieden trabten wir gute vier Stunden später wieder dem Ausgang zu. Die Gegend sahmsm parkplatz durch die Flut reichlich verändert aus, und am Strand schien etwas los zu sein, eine größere Menschenansammlung war da zugange. Beim Näherkommen sahen wir, dass es nicht der Strand, sondern der Parkplatz war, mittlerweile von der Flut überspült, wo ein einsames Auto wacker den salzigen Wellen trotzte, die munter seine Gummifüße umplätscherten. Es war urkomisch zu sehen, wie ein paar Männer mit hochgekrempelten Hosen im Wasser wateten und versuchten, dem Meer die Beute zu entreißen und das Vehikel trotz angezogener Handbremse ins Trockne zu bringen. Der vergessliche Besitzer hatte offenbar die Türen sorgsam verschlossen, und die Leute versuchten gerade, das Dach abzunehmen, was bei diesem Modell, einem 2 CV, zum Glück kaum Schwierigkeiten bereitet. Erst als Jean plötzlich wie von der Tarantel gebissen losstürmte und durch die braune Brühe plitschte, kam mir in den Sinn, dass ICH die Verantwortung und den Schlüssel für selbiges Fahrzeug trug, denn es war unser Entlein, das gerade seine ersten Schwimmversuche im Atlantik unternahm. 2cvNun sprintete auch ich. So schnell habe ich noch kein Auto entschlüsselt, angelassen und gestartet, während mir der Ozean aus den Hosenbeinen troff. Wir waren so benommen, dass wir den tüchtigen Auto-Lebensrettern nur ein kleinlautes merci zuriefen und uns dann zwischen Quallen und Makrelen einen Weg zum Festland suchten. Glücklicherweise waren die wichtigsten Eingeweide des Wagens offenbar trocken geblieben; ein Döschwo ist freilich auch nicht allzu zimperlich und fürchtet weder Seeigel-Stacheln noch Krebses-Scheren.

  

Da juckt es mich so richtig in den Fingern, einen weiteren Kommentar über das menschliche Denken anzufügen, aber erstens soll das ein Reisebericht und kein Zarathustra werden, und zweitens sollten wir dem Frank ein bisschen Zeit zur Eingewöhnung an seine Spar-Philosophie gönnen, das kann ja einfach nicht auf Anhieb gut gehen. Heute, mehr als 30 Jahre später, weiß man es besser: Der Mensch denkt, und der Autofahrer lenkt. Und ob das eine das andere ausschließt, ist noch nicht endgültig geklärt. Ich will jedenfalls sagen, wenn auf so einer Fahrt alles immer so vollkommen glatt geht wie geplant, dann fehlt dir der richtige Reisegrusel wie das Salz in der Suppe, das steht fest.

  

Der Werktag beginnt für manche Leute um 6 Uhr früh. Nur halb ausgeschlafen caenwar der Bekannte meiner Gastgeber, den sie dazu überredet hatten, mich auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz nach Caen mitzunehmen. Nach dem verregneten Wochenende war mir das schöne Werktagswetter ebenso willkommen wie die hübsche junge Dame, die mich anschließend nach Rouen spedierte. Was es doch ausmacht, wenn man mal wieder frisch gebadet und rasiert ist! Aber kaum schlug es Mittag, da waren, typisch Frankreich, die Straßen siestahaft ausgestorben. Da kannste winken und winken, und wenn dann einer weiter fährt als bis zum nächsten Casse-croûte, dann ist es ein Viehtransporter voller Vierbeiner, in den ich gerate. Die spinnen, die Gallier! In Callengeville, wo ich endlich wieder Frischluft atmen durfte, machte ich 50 Minuten lang Pause zum Auslüften, damit meine künftigen Chauffeure nicht glauben, ich sei in eine Jauchegrube gefallen. Bis Hesdin gelangte ich noch und wählte den örtlichen Kirchhof, um mich zwischen Gräbern zur letzten Ruhe zu betten --- auf französischem Boden. Friedhöfe sind meine persönlichen Favoriten bei gutem Wetter, da ist es ruhig, und mit Toten habe ich noch nie Ärger gehabt. Ungestört verpennte ich auch die Geisterstunde, wachte aber am Morgen sehr zeitig auf, denn eine Grabeskälte war mir in den Schlafsack gekrochen. Zugegeben, mein Zähneklappern war der angemessene Laut an diesem Ort und dazu geeignet, mir auch nach Sonnenaufgang noch schreckhafte Besucher vom Halse zu halten.

 

 

hcalaisFünf Stunden nach dem kühlen Erwachen gab ich in Calais meine letzten Francs für Fressalien aus, denn alle die Stories, die man sich so über englische Cuisine erzählt, kreisten mir immer heftiger durch den Kopf. Wohlproviantiert kehrte ich an Bord der "Free Enterprise III" gegen Mittag Frankreich den Rücken. Während der Nebel ohne Mühe die gesamte Grande Nation mit Haut und Haaren verschluckte, tuckerte die Fähre den White cliffs of Dover entgegen, und da waren gar keine Bluebirds over. Auch die hat ja womöglich der britische Willkommensnebel verschluckt.

 

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White cliffs --- einmal im Jahr auch ohne Nebel

 

 

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